Joseph Schreyvogel
Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte
Joseph Schreyvogel

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17.

»Ist deine Mamsell aufgestanden?« fragte ich die Magd, die eben aus Gretchens Zimmer kam, da ich früh am Morgen über den Vorsaal ging. »O ja, Herr!« war die Antwort; »und sie befindet sich recht wohl.« – Ich pochte leise an der Tür und trat hinein, da ich nicht antworten hörte. Gretchen stand in ihrem Nachtkorsett am offenen Fenster, mit dem Rücken gegen den Eingang gekehrt, und trillerte ein Liedchen in den Garten hinaus. Sie hatte mich nicht kommen hören, sondern blieb nachlässig im Fenster gelehnt, indem sie mit dem einen Fuße den Takt zu ihrer Melodie leise anschlug. Ich sah, daß es meine Pantöffelchen waren, mit denen sie auf dem Boden klapperte. Alle meine heitersten Gedanken und Wünsche wurden in dem Augenblick rege, und indem ich mich ihr unbemerkt genähert hatte, umfaßte ich ihren schlanken Leib, so daß sie, sich umwendend, gerade in meinen Armen lag. – »Sie haben mich wirklich erschreckt«, sagte sie, über und über errötend, indem sie sich von mir losmachte; »ich bin noch kaum angezogen.« – »Kein Anzug kleidet Sie besser als dieser, Gretchen!« erwiderte ich, »und glücklich der, welcher ein Recht hat, Sie immer so zu sehen.« – Sie ging vom Fenster weg und bat mich zu sitzen, während sie selbst in einiger Entfernung von mir stehen blieb. – »Wissen Sie«, fing sie nach einer Weile an, »daß mir heute nacht von Ihnen geträumt hat? Wir machten wieder eine Reise miteinander, und zwar eine sehr weite, denn wir gingen sogar über See und fuhren durch Klippen und Stürme hin; aber am Ende war alles gar still und freundlich und wir kamen in ein schöneres Land, als ich mir je eines vorgestellt habe.« – »Dieser Traum«, erwiderte ich, »könnte erfüllt werden; ja, ich hoffe gewiß, er wird es, und ich nehme ihn als eine gute Vorbedeutung an. Setzen Sie sich zu mir, liebes Gretchen!« – Sie tat es. »Ich möchte doch nicht«, sagte sie, »daß der Traum in Erfüllung ginge; denn ich bin gern hier, wo ich alles um mich habe, was mir lieb ist.« – »Desto besser, mein Kind! Auch brauchen Sie Ihre Stelle nicht zu verlassen; die Reise, die Ihnen im Traume vorkam, ist – die Lebensreise und hier können Sie sie vollenden. Wollen Sie mich heiraten, liebes Gretchen?« – »Ach Gott!« rief sie, – »darauf war ich nicht gefaßt mein teurer Herr!«

Sie wurde abwechselnd blaß und rot und sah mich mit scheuen, aber nicht unteilnehmenden Blicken an. Eine mächtige Empfindung schien ihr Inneres zu bewegen; sie wollte einigemal sprechen, vermochte es aber nicht. Nach einer längeren Stille sagte ich: »Geliebtes Mädchen! Ich wollte Sie nicht überraschen; ebensowenig möchte ich Sie zu etwas überreden, was nur das Werk Ihrer freien Entschließung sein darf. Wie ich bin, haben Sie gesehen; was ich Ihnen sein kann, muß Ihnen Ihr Herz sagen. Gehen Sie mit sich selbst zu Rate; in einigen Tagen geben Sie mir Antwort.« – »Nehmen Sie dies«, setzte ich hinzu, indem ich einen Ring mit einem einfachen Smaragd hervorzog, »zum Andenken dieser Stunde. Er trägt die Farbe der Hoffnung, aber er verbindet Sie zu nichts. Sie werden diesen Ring, der nun der Ihrige ist, einst mir oder – einem anderen geben; wer ihn von Ihnen erhält, wird glücklich sein.« – Mit diesen Worten stand ich auf und ging fort, ohne eine Antwort abzuwarten.

Paul sah mich forschend an, als ich auf mein Zimmer zurückkam. Die heftige Erschütterung, worin er mich bei Gretchens Gefahr erblickt hatte, schien ihm unerwartet Aufschluß über alles, was um ihn vorging, gegeben zu haben. Er erriet meine Absicht und schien selbst nicht ruhig dabei zu sein. Obgleich ich nicht gern beobachtet bin, war mir Pauls Zutätigkeit doch nicht unangenehm, denn ich glaubte, ihn milder und teilnehmender zu finden als sonst. »Wollen Sie nicht ein wenig um die Felder reiten, Herr?« sagte er, da er mich unbeschäftigt und ziemlich ernst in meinem Zimmer herumgehen sah; »es ist ein herrlicher Morgen und die Leute sind recht fröhlich draußen beim Heumachen.« – »Du hast recht, Paul; laß mir den Braunen satteln.« – Als ich in den Hof hinabstieg, kam mir Max entgegen, der schon vom Felde zurückkehrte. Er grüßte mich recht munter, und da ich fragte, wo er hingehe, antwortete er offen, er wolle sehen, wie Gretchen geschlafen habe. »O, sehr gut«, erwiderte ich, »grüße sie von mir«; und nachdem ich mich auf meinen Gaul geschwungen, ritt ich zum Tore hinaus.

Der schöne Morgen und die Heuernte, obschon sich das Volk rüstig genug dazu anstellte, wollten keine rechte Wirkung auf mich tun. Ich ließ mein Roß ziemlich zerstreut und nachlässig gegen den Wald hinschlendern, als mir der Oberförster aufstieß und mich durch einen wackeren Weidmannsgruß aus meiner Träumerei weckte. Er fragte mich nach Gretchens Befinden; denn er hatte das Mädchen während meiner Abwesenheit kennen gelernt und ihren gestrigen Unfall erfahren. »Der gute Max«, sagte er, »muß außer sich gewesen sein; denn ich habe wohl gemerkt, daß die jungen Leute einander lieb haben.« – »Das ist natürlich!« erwiderte ich schnell. – »Jawohl!« war seine Antwort. »Da sollten Sie ein Einsehen haben, Herr Brink, und ein Paar aus den hübschen Kindern machen. Mamsell Berger ist ganz dazu geschaffen, die Frau eines braven Forstmannes zu werden.« – »So?« sagte ich. – »Ja, ja!« erwiderte er lachend; »ich habe sie vorgestern abends eine ganze Stunde examiniert und mich an ihren kunstfertigen Antworten recht ergötzt. Sie könnte zur Not selbst einem kleinen Forste vorstehen. Und das Mädchen ist guter Leute Kind, Herr! Ich habe ihren Vater in jüngeren Jahren gekannt; er war ein Ehrenmann.« – »Das freut mich, Herr Oberförster!« »Nun, wie gesagt, Herr Brink! Sie sollten das Mädchen Ihrem Max zur Frau geben. Heiraten muß er doch beizeiten; das geht auf dem Lande nicht anders.« – »Hat Max mit Ihnen von der Sache gesprochen, Herr Oberförster?« – »Kein Wort; es war bloß mein Einfall, aber er deucht mir gut und Sie sollten im Ernste daran denken, Herr Brink!« – »Gut, gut; ich will mir's überlegen. Adieu, Herr Oberförster!« – Ich lenkte um und gab meinem Braunen die Sporen, um geschwind nach Hause zu kommen.

»Ist Max noch bei Mamsell Gretchen?« fragte ich Paul, als ich ihm auf der Treppe begegnete. – »Er verließ sie vor einer kleinen Weile, Herr, und ist eben wieder aufs Feld gegangen.« – »Und wie sah er aus, Paul? Sage mir's ehrlich!« – Paul schüttelte den Kopf. »Nicht wie sonst, Herr! Seit einer Stunde haben sich alle Gesichter im Hause verändert; auch Gretchen sieht ganz traurig aus und hat sogar geweint, glaub' ich.« – »Bring mir eine gestopfte Pfeife in mein Kabinett, Paul, und laß niemand zu mir; ich will allein sein, Alter!«

Ich hatte Stoff genug zum Nachdenken, aber die Ruhe der Überlegung fehlte mir. Die Pfeife war verdampft, ohne daß ich mehr wußte als zuvor. Es war etwas von schlimmer Vorbedeutung im Hintergrunde meiner Seele, aber ich scheute mich, das Dunkel aufzuhellen. »Am Ende sind es Vermutungen und Einfälle von Leuten«, sagte ich zu mir selbst, »die von der eigentlichen Lage der Sachen weniger wissen als nichts.« – Da kam Paul, mich zum Essen zu rufen.

Gretchen stand bei ihrem Stuhle, Max, ein wenig abgewandt, bei dem seinigen. Wir setzten uns schweigend. Ich warf einen Blick auf Gretchen, die, mit dem Vorlegen beschäftigt, ziemlich ernst, aber ruhig schien. Max sah auf seinen Teller und mußte sich anreden lassen, um Gretchen seine Suppe abzunehmen. Ich selbst war wenig gestimmt, die Unterhaltung anzufangen, doch tat ich einige Fragen an Max, die er beantwortete, ohne aufzusehen. Gretchen suchte öfters ein Gespräch in Gang zu bringen, aber die Worte wollten ihr nicht fließen und der Versuch hatte keine Folge. Sie vermied es sichtbar, die Rede an Max zu richten. Dagegen ließ dieser zuweilen einen Blick auf sie fallen, worin ich die Glut einer mühsam verhehlten Leidenschaft zu erkennen glaubte. – »Er liebt sie«, sagte ich zu mir selbst, »und weiß, was zwischen ihr und mir vorgegangen ist!« – Die unerfreuliche Tischgesellschaft ward endlich aufgehoben! Wir verließen alle drei fast zugleich das Speisezimmer.

Meine Unruhe trieb mich bald wieder ins Freie. Diesmal wollte ich meiner Stimmung Meister werden; ich machte einen weiten Spaziergang, von dem ich erst abends ziemlich ermüdet zurückkehrte. Als ich in mein Zimmer treten wollte, öffnete sich die Tür auf Gretchens Seite und Max kam heraus. Er war bestürzt und blieb stehen, als wollte er abwarten, bis ich wegginge. – »Max!« sagte ich, mich zu ihm wendend, »du bist jetzt oft hier oben.« – Er näherte sich mir einige Schritte. – »Du hast dir gestern«, fuhr ich mit gemäßigtem Ernste fort, »große Ansprüche auf meine Dankbarkeit erworben. Was ich für deine Erziehung getan habe, ist kein Ersatz dafür; – ich möchte nicht, lieber Max, daß etwas zwischen uns träte.« – Seine Blicke, welche bisher am Boden gehaftet, erhoben sich jetzt und begegneten den meinigen. Ich sah Tränen darin; er ergriff meine Hände, drückte sie gegen seine Brust und entfernte sich schnell.

Einen Augenblick stand ich, ihm nachsehend, dann ging ich in Gretchens Zimmer. Ich sah sie am Fenster sitzen, den Kopf in die Hand gestützt. Sie stand auf und kam mir langsam entgegen; ihre Augen waren verweint. – »Max ging eben von Ihnen?« sagte ich in möglichst ruhigem Tone. – »Ja!« war ihre Antwort. – »Er schien sehr bewegt – und auch Sie haben geweint.« – Sie schwieg. Ich setzte mich und winkte ihr, es auch zu tun. – »Es ist nicht mehr, wie es war«, sagte ich nach einer Pause; »während meiner kurzen Abwesenheit hat sich viel verändert.« – Sie wollte reden, schlug aber die Augen nieder und schwieg. – »Max liebt Sie.« – »Es ist so«, antwortete sie, vor sich hinsehend. – »Und Sie lieben ihn!« – Sie zögerte. – »Reden Sie, Gretchen!« – »Ich glaub' es fast«, sagte sie mit kaum vernehmbarer Stimme. – Ich stand auf und ging ein paarmal auf und ab. – »Gute Nacht!« sagte ich und ging gegen die Tür. – »Herr Brink!« rief sie mir nach. – »Was verlangen Sie, Gretchen?« – »Er hat mir entsagt und ich ihm«, sagte sie, still weinend. – »Gute Nacht, Gretchen!«


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