Joseph Schreyvogel
Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte
Joseph Schreyvogel

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14.

Der Kirchgang war belebter und feierlicher, als ich vermutet hatte; denn als ich den jungen Leuten in meiner Kalesche nachgefahren kam, zeigte sich, daß eben Kirchweihe gefeiert wurde. Um sie dem Gedränge zu entziehen, nahm ich Gretchen auf dem Rückwege in meinen Wagen. Ich war in vierundzwanzig Stunden nicht so eng und vertraulich mit ihr beisammen gewesen und fühlte um so lebhafter, wie nahe sie mein Herz anging. Sie war freundlich, beinahe weich, schien aber zuweilen zerstreut, was ich dem uns umgebenden Gewühle zuschrieb. Auf einige hingeworfene Fragen gab sie mir nur halbe oder unpassende Antworten; da ich sie darüber halb scherzend zur Rede stellte und dabei tändelnd ihre Hand drückte, entschuldigte sie sich leicht errötend und erwiderte kaum merklich meinen Händedruck.

»Hat Sie Max so ernsthaft gestimmt?« fragte ich, ohne Arges darin zu suchen. – »Ein wenig mag er wohl Ursache davon sein«, erwiderte sie. – »Wie, Kind?« sagte ich ziemlich betroffen. – Sie erzählte mir nun treuherzig, daß sie auf dem Gange nach der Kirche einen Teil von Maxens Jugendgeschichte erfahren habe: – von dem unglücklichen Ende seines Vaters; von der Hilflosigkeit seiner früheren Jahre; von dem, was nachher ich für seine Erhaltung und seinen Unterricht getan; von seiner Anhänglichkeit an mich und von seinen jetzigen glücklichen Verhältnissen. Sie sei durch die Ähnlichkeit ihrer Schicksale innig gerührt worden und sie leugne nicht, daß ihr Max durch dieses alles recht lieb geworden, aber – noch lieber der, dem er und sie so viel zu verdanken hätten. – Sie zog meine Hand an ihr Herz und aus ihren Augen fielen ein paar Tränen darauf. – »Mein Kind!« sagte ich, innigst bewegt, »Sie wissen nicht, daß dieser Augenblick mich reicher belohnt, als alles wert ist, was ich je für Sie und ihn tun kann.«

Die Zweifel, welche über Gretchens Gesinnung augenblicklich in mir aufgestiegen waren, verschwanden ebenso bald wieder; vielmehr glaubte ich, meines Glückes mehr als jemals versichert zu sein. Max selbst war ja ein neues Band zwischen uns geworden; und so bestand mein Vertrauen in die beiden Lieblinge meines Herzens neu befestigt und völlig hergestellt.

Der Mittag gehörte zu den frühesten, welche ich in lieber, kleiner Gesellschaft jemals zugebracht habe. Max war anfangs etwas still, nahm aber bald an meiner und Gretchens aufgeweckten Laune teil. Ich schlug vor, daß wir gegen Abend auf das Kirchweihfest fahren und daß Gretchen mit Max einen ländlichen Tanz machen solle. Nach Tische setzte sich Gretchen an das Klavier. In meiner humoristischen Stimmung fiel mir ein, meinem Vetter, der eben kein starker Violinspieler ist, zuzumuten, sie bei einer Sonate zu akkompagnieren. Er tat es nach einigem Widerstreben. Es ließen sich bald einige falsche Griffe und kratzende Töne vernehmen. Gretchen sah ein paarmal gutmütig verweisend auf Max zurück; als aber ich und er selbst darüber zu lachen anfingen, stimmte sie munter in unsere Lustigkeit ein und spielte unbekümmert fort, bis das drollige Konzert unter allgemeinem Gelächter ein Ende nahm. – »Ich habe mich selbst zum besten gegeben«, fing Max nach einer Pause an, »weil ich sah, daß meine Ungeschicklichkeit Sie wirklich belustigte; aber von heute an bitte ich die Violine nicht mehr anrühren zu dürfen.« – »Was fällt dir ein?« sagte ich. – »Ich würde fürchten«, fuhr er fort, »Mamsell Gretchens seelenvolles Spiel mit jedem Striche zu verderben, ja ihr die Musik selbst zu verleiden, und schon diese Furcht macht es mir unmöglich, die Geige je wieder in die Hand zu nehmen.« – »Nicht doch!« rief Gretchen lächelnd. – »Ich weiß, was ich sage!« antwortete Max sehr bestimmt; »die disharmonischen Töne, die uns heute so viel zu lachen machten, werden oft noch recht ernsthaft in mir nachklingen.« – »Sieh, sieh!« sagte ich leise für mich, »das ist eine Zartheit, die ich dem jungen Forstmanne kaum zugetraut hätte.«

Wir fuhren schon frühzeitig zum Kirchweihfest. Max hatte seine Forstuniform angezogen und saß neben unserer Kalesche herreitend, recht stattlich auf seinem Pferde. Auf halbem Wege kam uns ein Zug von Bauernjungen mit einer bunt ausgeschmückten Kirchweihstange entgegen, um welche sie fröhlich herumsprangen, lärmten und musizierten. Der Weg war nicht der beste und verengte sich gerade, wo wir mit dem Zuge zusammentrafen. Max wollte ausweichen und über einen Graben am Fahrwege setzen. Da wurde sein Roß scheu und machte einen falschen Sprung, so daß er zu stürzen drohte. – »Ach!« hörte ich Gretchen erschreckt ausrufen; aber der Angstschrei löste sich in ein Lächeln der Zufriedenheit auf, denn der junge Mann saß fest und sicher und sah von seinem beruhigten Gaule munter nach uns zurück. – »Er ist ein geschickter Reiter«, sagte sie mit merklichem Wohlgefallen. – »Und sieht recht gut aus«, setzte ich hinzu; »nicht wahr, Gretchen?« – Sie wurde rot, oder ich bildete es mir wenigstens ein. – »Paul hat recht«, dachte ich; »der verdammte Junge ist wirklich bildschön!«

Max hob Gretchen und dann auch mich aus dem Wagen, als wir vor dem Wirtshause ankamen. Aus dem geräumigen, festlich verzierten Hofe schallte uns die Tanzmusik und das frohe Getümmel der Landleute entgegen. Unser Eintritt erregte Aufmerksamkeit, denn wir waren die ersten Städter, die bei dem Feste erschienen. Aber noch mehr Bewegung entstand, als Max von einigen der Umstehenden erkannt wurde. »Herr Max ist hier. – Willkommen, Herr Max!« hörte ich von mehreren Seiten rufen. Alte und junge Leute kamen auf ihn zu und schüttelten ihm treuherzig die Hände. Mir und meiner Begleiterin ward viele Ehre erwiesen, als er uns den Leuten vorstellte; Gretchen besonders gewann bald die allgemeine Teilnahme, denn man schien sie für Maxens Geliebte zu halten.

Es half kein Weigern, Max mußte das erste Menuett mit ihr eröffnen. Alles stand umher, das schöne Paar tanzen zu sehen; ich selbst mußte gestehen, daß Max auch seiner reizenden Tänzerin gegenüber sich noch ganz wohl ausnahm. Die Musik ging in das Tempo des Deutschen über und Max flog mit Gretchen an mir vorbei unter dem lauten Jubel der Zuschauer. Die jungen Paare schlossen sich an, bald war die Lust und die wirbelnde Bewegung allgemein. Nach einigen Touren, welche Gretchen mit Max gemacht hatte, gab sie einem jungen Bauernburschen die Hand, der jauchzend nach Ländlerart mit ihr zu drehen anfing. Es war der Lieblingstanz ihrer Heimat; mit grazienhafter Leichtigkeit führte sie die kühnen, oft mutwilligen Figuren und Wendungen aus, aber die Sittsamkeit schien jede ihrer Bewegungen und selbst den Faltenwurf ihrer Kleidung zu bewachen, indes der kindlichste Frohsinn aus ihrem offenen Gesichte lachte. Ich war in den Anblick verzückt; ungern sah ich, daß Max mit ernstem Lächeln sie anhielt, indem er sagte: »Es ist zu viel!« – Gretchen kam, von der Bewegung und von Freude glühend, auf mich zu und hing sich an meinen Arm. Das Herz schlug mir mächtig; ich führte sie aus dem Gedränge, um mich und sie durch einige Züge frischer Luft in dem Garten zu erquicken.

Max war uns gefolgt. Er scherzte über Gretchens übertriebene Neigung zum Tanze, konnte aber, als wir uns der Musik wieder näherten, sich dennoch nicht enthalten, sie noch zu einem Walzer mit ihm aufzufordern. Lachend gab sie ihm die Hand und hüpfte in die Reihen. Nach wenigen Augenblicken sah ich sie, von Max umschlungen, unter den Tanzenden dahinschweben. Sie schienen beide von der Musik getragen zu werden; Gretchen Auge hing an den Feuerblicken des kräftigen Jünglings, der, sich selbst und seine Umgebung vergessend, fünf bis sechsmal die ganze Länge des Tanzbodens mit ihr durchflog.

»Es ist genug, Kinder!« rief ich ihnen zu, als sie an mir vorbeikamen; und wie aus einem tiefen Traume geweckt, traten sie schnell und etwas betroffen aus dem Kreise. – »Es wird dunkel«, fuhr ich fort; »wir wollen nach Hause, Max!« – Ohne Widerrede ging er, unseren Kutscher zu suchen, und ließ sein Pferd vorführen. Ich stieg mit Gretchen in die Kalesche und stiller, als nach so lebhaften Eindrücken zu vermuten war, kamen wir vom Kirchweihfeste wieder auf meinem Landhause an.


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