Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes und letztes Stück:
Wie sich Geisteskämpfer persönlich zueinander stellen

 

1.

Der Geisteskampf ist nur in mittelbarem, abgeleitetem Sinne ein Kampf mit anderen Menschen. Er ist zuerst und zuletzt der Kampf eines Menschen um den Geist, oder (das gilt hier gleich) der Kampf des Geistes um einen Menschen. Dass ein Mensch den Geist oder der Geist einen Menschen gewinnt, ist an sich eine Erweiterung der Herrschaft des Geistes und schafft diesem auch auf alle Menschen Einfluss, die mit jenem siegreichen Geisteskämpfer in Berührung kommen. Dass aber solche Menschen, die ohne Geist oder in einem falschen, wirren, haltlosen Geist dahinleben, sich durch den neuerstehenden wahren Geist bekämpft fühlen, ist nur ein Nebenerfolg des Geisteskampfes in dem Geisteskämpfer. Dieser braucht ihn weder zu wollen noch zu wissen; ja er kann ihn in gewissem Sinne bedauern.

Daraus ergibt sich, dass wirkliche Geisteskämpfer keine Privatfeindschaft miteinander haben können, auch wenn sie einander bekämpfen, d. h. auf der Entdeckungsreise nach dem Geist sich zeitweilig in entgegengesetzter Richtung bewegen. Sie haben aber auch keine Privatfreundschaft, wenn sie mit und für einander kämpfen, d. h. wenn sie in gleicher Richtung streben und arbeiten. Sie haben in diesem Falle eine Freude aneinander, wie sich auch jeder durch den anderen gestärkt fühlt, so oft er sich geistig wieder mit ihm in positivem Sinne berührt. Aber sie wissen doch, wenn sie anders wirklich um den Geist kämpfen, dass sie auch zugleich irren könnten; und da die Uebereinstimmung ihrer Ziele, Entschlüsse, Gedanken ihnen die Erkenntnis des Irrtums erschweren könnte, so fürchten sie auch einander. Dass sie ewige Freundschaft schliessen und sich unverbrüchliche Treue geloben, fällt ihnen schon deshalb nicht ein, weil dadurch jeder sowohl an Beweglichkeit als auch an Kraft verlieren würde. Denn dass ich auch um des Freundes willen an einer Idee festhalten sollte, macht mich meiner Sache nicht sicherer – im Gegenteil. Auch an Kraft, andere zu überzeugen, büsse ich dadurch ein, dass ich in meinem Denken auch durch die Rücksicht auf den Kampfgenossen bestimmt erscheine. »Der stärkste Mann der Welt ist derjenige, welcher allein steht«: das soll jeder Geisteskämpfer nicht bloss für sich, sondern namentlich auch für seinen Mitkämpfer beherzigen und also über das beiderseitige Alleinstehen nie einen Zweifel aufkommen lassen. – Dass ein anderer mit Ernst und Eifer in entgegengesetzter Richtung sich entwickelt und arbeitet, wird jeden, der das zu erleben bekommt, schmerzlich berühren. Wer aber selbst Person ist, gesteht dem anderen selbstverständlich das Recht zu, sich seine Richtung selbst zu bestimmen. Und wenn jene Erfahrung geeignet ist, das Selbstgefühl zu erschüttern, so wird dies durch die Nötigung ausgeglichen, sich über sich selbst zu erheben, um sich selbst wieder zu erfassen. Es ist ein Glück, einen tüchtigen Gegner zu haben – und mit dem minderwertigen wird man ja (innerlich, meine ich) leicht fertig. Sogar für die Einwirkung auf andere ist ein guter Gegner eine treffliche Unterstützung, wenn man anders einen wirklich geistigen Einfluss ausüben möchte. Auch wer es selbst nicht will, kann doch leicht überreden, statt zu überzeugen; denn vielleicht besitzt der andere noch nicht die nötige Tiefe, um es auf das Ueberzeugtwerden ankommen zu lassen. Wird er aber von einem Dritten zugleich in entgegengesetzter Richtung beeinflusst, so nötigt ihn die aufgedrungene Wahl zur Vertiefung. Bleibt diese Hilfe von aussen aus, so muss der Meister selbst zugleich die Rolle des Gegners übernehmen, um den Jünger in die heilsame Qual der Wahl hineinzustürzen; aber es wird dann doch leicht nur eine Scheinwahl werden. Darum wird der ernsthafte Geisteskämpfer in seinem eigenen Interesse wie um derer willen, die er geistig zu fördern wünscht, sich des ernsthaften Gegners gerade dann freuen, wenn ihm der Widerstand schwer fällt; dass er ihn verwünschte, kann er nur als schmachvolle Niederlage seiner selbst beurteilen.

So kann also der echte Geisteskampf weder Gunst noch Missgunst veranlassen. Denn der Mitkämpfer ist zugleich Gegner; der Gegner zugleich Helfer. Ob einer aber direkt Mitkämpfer, indirekt Gegner ist oder umgekehrt: das gilt offenbar gleich. Sollte also der Geisteskampf je in dem persönlichen Verhältnis der Geisteskämpfer zueinander Schwierigkeiten verursachen können?

Man sollte es in der Tat nicht meinen. Aber in der Wirklichkeit sind die Wechselbeziehungen zwischen Geisteskämpfern viel verwickelter und darum auch schwieriger, als es dieser ideale Aufriss erscheinen lässt. In der Wirklichkeit entspringen darum dem Geisteskampf persönliche Missverhältnisse der schlimmsten Art. In der Wirklichkeit ist es eine der schwierigsten Aufgaben des Geisteskämpfers, das persönliche Verhältnis zu anderen Geisteskämpfern rein und erspriesslich zu erhalten.

Die Lösung dieser Aufgabe kann ich natürlich nur für den besprechen, der sie lösen, der den Geisteskampf nur geistig führen will. Dagegen muss ich mit der Möglichkeit rechnen, dass sein Mitkämpfer oder Gegner auch von anderen als geistigen Interessen bestimmt werde.

 

2.

Der Mitkämpfer kann zurückbleiben oder voraneilen oder falsch kämpfen – und will doch als Mitkämpfer anerkannt sein. Das führt zu schlimmen persönlichen Verwickelungen.

Er bleibt zurück, indem er aus den gemeinsamen Voraussetzungen die Folgerungen nicht zieht – etwa, weil diese zu praktischen Schwierigkeiten führen. Dadurch verwandelt er sich, ohne dass er es will, in den schlimmsten Feind. Denn wenn er mir auch das Recht einräumt, die Konsequenz für mich so zu ziehen, wie ich sie gezogen, so muss er es doch auch als sein Recht beanspruchen, für sich die Konsequenz nicht zu ziehen. Er leugnet also die Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit meiner Schlussfolgerung; er bricht meiner Sache dadurch das Rückgrat aus; und er ist doch mein – Mitkämpfer!

Oder er eilt voraus. Auf die unangenehmste und verderblichste Weise geschieht dies dadurch, dass er aus meinen Voraussetzungen die Folgerungen zieht, ehe ich in den Grundgedanken selbst ganz festen Fuss gefasst habe, ehe ich die Folgen auf mich zu nehmen vermag. Das ist eine Taktik, die einem Feinde alle Ehre machen würde. Lehne ich es ab, mir durch einen anderen die Folgerungen aus meinen Grundsätzen ziehen zu lassen, so erscheine ich als inkonsequent, so werde ich falscher Rücksichten verdächtig, so verliere ich an moralischem Kredit. Lasse ich mich durch den Mitkämpfer zu Schritten drängen, die ich von mir aus noch nicht getan hätte, so büsse ich dadurch unter allen Umständen an Sicherheit und Kraft des Auftretens ein. Denn wohl zu Hause ist man doch immer nur in seinen eigenen Gedanken; und nur der eigene Gedanke trägt mich, während den fremden Gedanken ich tragen muss. Dass der fremde Gedanke sich als Schlussfolgerung aus meinen eigenen Gedanken darstellt, tut nichts zur Sache, wenn diese Schlussfolgerung sich doch mir selbst noch nicht als unabweisbar aufgedrängt hat. Ich bin also unter allen Umständen, so oder so, in Verlegenheit. Und der mich darein gebracht hat, ist mein getreuer, nur etwas rascherer – Mitkämpfer.

Oder er kämpft nicht richtig. Er wirft sich zu meinem Dolmetsch auf und deutet mich falsch. Er hilft meinen Bemühungen zu überzeugen durch Ueberredungskünste nach. Während ich nur auf die unabhängige Ueberzeugung des Einzelnen einen Wert lege, spekuliert er auf die Masse und schafft mir einen Schwanz von Verehrern, der immer nur nachgeschleppt sein will. Während ich andere zu Opfern für eine gute Sache begeistern will, weist er darauf hin, dass sie sich endlich gewiss auch als gutes Geschäft erweisen werde. U. s. f. u. s. f. Solche Unterstützung schadet mir vielleicht äusserlich, jedenfalls geistig; und wenn sie meiner Sache äusserlich einen besseren Fortgang schafft, so darf ich als Geisteskämpfer darauf doch nichts geben. Trotzdem soll ich sie dankbar begrüssen – denn der mir so zweideutige, ja oft eindeutig schädliche Hilfe gewährt, ist ja mein getreuer, wohlmeinender – Mitkämpfer.

Wie soll ich mich gegen diese bedenklichen Mitkämpfer verschiedener Art verhalten? Soll ich sie zurückstossen, da sie doch den guten Willen haben, meine Sache zu fördern? Soll ich ihnen danken und sie dadurch aufmuntern, da sie meiner Sache doch schaden? Und wie soll ich mich vor anderen zu ihnen stellen? Soll ich mich mit ihnen als meinen Genossen in einen Topf werfen lassen? Dadurch wird vielleicht meine Idee in unheilbarer Weise verunstaltet. Soll ich geflissentlich den Einspänner vorstellen? Das bringt mich in den Verdacht des Hochmuts, der Unverträglichkeit, der Undankbarkeit. Zudem: durch jenes verderbe ich mir die Genossen, durch dieses mache ich sie mir zu Feinden. Ich mag tun, Was ich will, so ist es verdriesslich und gefährlich.

Doch, das darf den Kämpfer nicht befremden, dass er in eine verdriessliche und gefährliche Lage gerät. Und wenn er sich das als selbstverständlich in Rechnung nimmt, wird es ihm nicht so schwer fallen, zwischen Scylla und Charybdis durchzufahren, ohne geistigen Schaden zu nehmen. Der Kompass, der ihn sicher leitet, heisst Sachlichkeit. Diene deiner Sache ( so du eine hast!), ohne auf die Personen zu sehen, so werden sich die persönlichen Verhältnisse von selbst regeln. Wer derselben Sache dient (ja, wer überhaupt einer Sache dient), wird sich deiner Sachlichkeit freuen; er wird es gar nicht wünschen, dass du, von deiner Sache wegblickend, persönliche Rücksicht nehmest auf ihn – denn das könnte ja der Sache nur schaden; und wenn du, durch die Sache geblendet, rücksichtslos an ihm vorüber oder gar über ihn hinwegschreitest, so wird ihn das nicht hindern, deiner Sache weiter zu dienen und auch dich zu unterstützen, so lange du deiner Sache treu bleibst. Einen Mitkämpfer für deine Sache kannst du durch Sachlichkeit unmöglich verlieren. Denn wer deine strenge Sachlichkeit zu kühl, wer sie unkameradschaftlich, abstossend, deshalb auch für die Sache schädlich findet – glaub' mir: er ist kein Mitkämpfer für deine Sache! Er ist vielleicht ein gutmütiger Mensch – aber kein Geisteskämpfer, also auch kein Mitkämpfer für dich, der du ein Geisteskämpfer sein willst. Gutmütigkeit ist keine Soldatentugend. Oder ist er gar nur ein schlauer Geschäftsmann, der aus dem Geisteskampf eine ordentliche Dividende an Macht und Ehre ziehen möchte. Dann mag er dein Freund sein – d. h. er mag hoffen, mit dir ein gemeinsames Geschäft zu machen: aber du bist, so lange er bleibt, der er ist, sein unversöhnlicher Feind. Wenn du ihn durch Sachlichkeit so bald als möglich abschreckst, so ist das nur sein und dein und der Sache wahrer Vorteil. Dass er dich für diesen Liebesdienst vielleicht hasst, ist der richtige Ausdruck für euer wirkliches Verhältnis zueinander, wie er es ansehen muss, und darf dich also nicht verwundern, auch nicht beleidigen. In gewisser Weise hassest du ihn ja auch.

Ich leugne nicht, dass die Freundschaft zwischen Geisteskämpfern, so aufgefasst und geübt, keine rechte Wärme und Innigkeit zu gewinnen scheint. Dass Einer für alle stünde, alle für den Einen: das gibt es bei dieser Auffassung des Geisteskampfes überhaupt nicht; da steht jeder hübsch für sich selbst; für den anderen tritt man da immer nur mit Vorbehalt ein, ohne ihn direkt mit sich, ohne sich direkt mit ihm identifizieren zu lassen. Aber es sind doch zwischen den Geisteskämpfern, sie mögen sich auffassen, wie sie wollen, ganz von selbst auch die Kräfte natürlicher Anziehung wirksam. Wenn sie nun im Interesse des Geisteskampfes genötigt sind, gegen den natürlichen Zug zu vorbehaltloser Kameradschaftlichkeit das Bewusstsein der Besonderheit festzuhalten, so gibt das ihrem Verhältnis zueinander mehr Spannung, also auch mehr Innerlichkeit und Tiefe. Die gemeine Herzlichkeit und Vertraulichkeit werden sie allerdings nie erreichen. Aber ist das so ein grosser Nachteil?

 

3.

Ehrliche Gegnerschaft im Geisteskampf wird das persönliche Verhältnis der Geisteskämpfer zueinander nicht trüben. Wie unehrliche, also nur angebliche Geisteskämpfer sich zueinander stellen, liegt ausserhalb unseres Interesses. Dagegen müssen wir auf den Fall näher eingehen, dass ein ehrlicher Geisteskämpfer unehrlich bekämpft wird. Dabei interessiert uns der unehrliche Gegner natürlich nur psychologisch; denn für die Unehrlichkeit gibt es keine sittliche Erwägung und Norm; und deshalb ist uns der unehrliche Gegner auch blosse Nebensache. Die eigentliche Frage für uns kann nur die sein: wie reguliert der ehrliche Geisteskämpfer seine persönliche Stellung zu einem unehrlichen Gegner.

Dieses Problem ist wohl das schwierigste, das es für den Geisteskämpfer überhaupt gibt. Denn der Hauptkunstgriff des unehrlichen Fechters besteht darin, dass er »persönlich« wird, dass er der Sache des Gegners durch Herabsetzung ihres Trägers schaden will. Das verdriesst den ehrlichen Kämpfer um der Sache willen; und schliesslich ist man doch immer Mensch genug, um sich auch persönlich gekränkt zu fühlen. Oft ist ja auch diese persönliche Kränkung der eigentliche Zweck des persönlichen Angriffs, die Sache nur Vorwand für die persönliche Gehässigkeit. Wie kann ich aber mit einem Menschen überhaupt noch persönliche Beziehungen unterhalten, der es als Mittel zum Zweck benützen kann, dem es vielleicht gar Selbstzweck ist, mich herabzusetzen? Erlaubt das meine Würde? Hat das überhaupt noch einen verständigen Sinn? Darf man namentlich, und wie soll man noch den Versuch machen, den Gegner für eine Sache zu gewinnen, nachdem er durch den Uebergang zu »Persönlichkeiten« seinen völligen Mangel an sachlichem Interesse geoffenbart hat?

Eine Art von »Persönlichkeiten« gibt es freilich, die im Geisteskampfe ihre berechtigte Stelle einnehmen: dass man dem Gegner nachweist, er vermöge seinen eigenen Gedanken keine praktische Folge zu geben. Denn die Wahrheit ist Leben; was kein Leben gibt, kann nicht Wahrheit sein; wer sein Leben nicht in seiner Wahrheit hat, möge andere mit dem Ansinnen verschonen, in seiner Wahrheit das Leben zu suchen. Und das darf man ihm auch sagen. Sollen wir uns von einem Gläubigen, der selbst nicht die Früchte des Glaubens bringt, zum Glauben ermahnen lassen? Nein, wir lachen den Schwindler aus! – Der ehrliche Geisteskämpfer macht stets selbst kenntlich, wie weit er es in der Verwirklichung seiner Gedanken gebracht hat. Er ist gerade in dem Punkt, ob Theorie und Praxis bei ihm übereinstimme, selbst sein schärfster Kritiker, wie er ja auch seine Praxis selbst am besten kennt; darum gibt er dem Gegner zu solchen berechtigten »Persönlichkeiten« keine Veranlassung. Das Vergnügen aber, seine Selbstkritik hämisch zu wiederholen, wird er dem Gegner neidlos gönnen. Es gewährt doch eine eigentümliche Art der Befriedigung, dem Feinde die besten Waffen selbst geliefert, die verwundbaren Stellen am eigenen Leibe selbst gezeigt zu haben – und im Geisteskampf wenigstens stirbt niemand an den Wunden, die er sich durch solchen Leichtsinn zugezogen hat.

Wird der Gegner auf unerlaubte Weise persönlich, indem er an dem Vertreter einer Sache vermeintliche oder wirkliche Mängel hervorzieht, die mit der Sache gar nichts zu tun haben, indem er vielleicht gar durch Verleumdung nachhilft, – so weiss ich dem ehrlichen Geisteskämpfer wieder nur einen, aber für alle Fälle genügenden Rat: Sachlichkeit! Denn durch strenge Sachlichkeit wird in einem solchen Falle der Sache am besten gedient, wird der Gegner am sichersten entwaffnet, wird dieser auch noch am ehesten zum Mitkämpfer gewonnen.

Dass man dem Gegner seine »Persönlichkeiten« durch eine »Retourkutsche« zurückschickt, ist Strassenjungentaktik. Darüber ist weiter kein Wort zu verlieren.

Aber auch die blosse Abwehr von Persönlichkeiten kann der Sache schaden. Freilich, soll man sich nicht gerade als Vertreter einer Sache jegliches, auch nebensächlichen Vorwurfs erwehren, der die Wirksamkeit für die Sache irgend wie gefährden könnte? Ist man nicht verpflichtet, eben um der Sache willen der Verdächtigung und Verleumdung entgegenzutreten? Nun ja, wer sich dazu verpflichtet fühlt, der stelle kurz und bündig zurecht, wie sichs mit seiner Person verhält – um dann sofort wieder zur Sache überzugehen. Hat ihn jemand schon als Vertreter einer Sache schätzen gelernt, so glaubt ihm der auf sein Wort und dankt es ihm, dass er ihn mit langen persönlichen Auseinandersetzungen verschont; wer ihn aber als Vertreter einer Sache hasst, lässt sich durch die längste und überzeugendste Verteidigung doch nicht belehren. Der Pöbel, den überhaupt nicht die Sache, nur der »Fall« interessiert, bleibt ausser Betracht. Was sollen also die vielen Worte über die eigene Person? Sie müssen schliesslich den Anschein erwecken, dass es sich um die Person handle, nicht um eine Sache! Und dieser Schein schadet der Sache mehr als alle Herabsetzung ihres Vertreters. – Uebrigens ist es immer guter Wille, dass man auf eine Verdächtigung oder Verleumdung erwidert. Das dürfte namentlich im Verkehr mit Zeitungen besser beachtet werden. Ich bin keine Taste, die mit einer Berichtigung hervorschnellen müsste, wenn sie ein täppischer Zeitungsschreiber niederdrücken will. Es ist Sache des Redakteurs, dass er nicht Redakteur eines Klatschblatts werde; er soll sich also vorher (am besten doch wohl bei mir selbst!) erkundigen, ob er gut unterrichtet ist; und bringt er aus Versehen einen Klatsch, so bin ich nicht verpflichtet, ihm auf die Spur zu helfen. Wollte man eine Pflicht der Berichtigung aufstellen, so würde damit der anständige Mensch zum gehorsamen Diener des fahrlässigen oder boshaften Klatsches gemacht – und das liesse ich mir nicht gefallen. –

Sachlichkeit ist auch das beste Mittel, persönliche Angriffe abzuwehren. Allerdings wirkt es nicht augenblicklich, nur mit der Zeit. Aber eine augenblickliche Abwehr im strengen Sinn gibt es überhaupt nicht; eine gewisse Zeit – ob es nun die paar Minuten sind, bis der Gegner ausgeredet hat, ob die paar Tage, bis eine Berichtigung nach dem Gesetz erfolgen kann, ob die paar Wochen bis zur Rechtfertigung durch gerichtliches Urteil: eine gewisse Zeit muss man dem Gegner doch das Feld lassen. Was tut es, wenn diese Zeit Jahre dauert? bis man durch unleugbare Leistungen für eine Sache seine Ehre sicher gestellt hat? Ob Lenau persönlich das Recht hatte, so zu sagen, weiss ich nicht; aber seine Verse »Trutz Euch« treffen das Rechte:

Ihr kriegt mich nicht nieder,
Ohnmächtige Tröpfe!
Ich komme wieder und wieder,
Und meine steigenden Lieder
Wachsen begrabend euch über die Köpfe.

Das Werk ist nicht bloss des Dichters Sieg über seine Feinde. Wer in sein Werk vertieft ist, kann sich die Angriffe der Gegner gar nicht in der ihnen erwünschten Weise zu Herzen nehmen. Neben dem fleissigen Arbeiter spielt der Kläffer und Schwätzer auch im Urteil anderer bald eine ärmliche Rolle. Gelingt es, das Werk zu vollenden, so wird es endlich jeden Klatsch überdauern, so kann die Erinnerung an den Klatsch, der den Meister verfolgte, nur dessen Ruhm erhöhen. Also geht an Euer Werk, Ihr Geisteskämpfer, und lasst die Fliegen schwärmen, die Hunde bellen, meinetwegen auch die Löwen brüllen! Können sie Euch nicht erschrecken, so dass Ihr Euch umsehet, so können sie Euch auch nicht schaden! Denn das eben, dass Ihr Euch umseht, weg vom Werk, hin auf die Personen und das Persönliche: das ist der einzige reelle Schaden, den – nicht die Feinde, den Ihr selbst Euch zufügen könnt!

Die Sachlichkeit ist endlich die goldene Brücke, die man dem Feinde für den Rückzug nicht bloss lassen, nein, selbst bauen soll. Hat er überhaupt so viel Geist, dass man ihn für absehbare Zeit sich als Mitkämpfer wünschen kann, so wird es ihn zuerst verstimmen, dann beschämen, dass er des zweifelhaften Glücks allein gemessen darf, die Sache des Gegners durch einen Angriff auf dessen Person zu bekämpfen. Vielleicht versucht er nun, durch ein erheucheltes Triumphgeschrei den Gegner aus der festen Burg der Sachlichkeit herauszulocken. Gelingt ihm das nicht, so kann er ja eine Weile an dem Beifall der Claque und des Pöbels und mancher Besseren, die sich zufällig gerade unter sein Gefolge verirrt haben, genügen lassen. Aber es muss ein Mensch doch schon sehr stark angefault sein, um der Zustimmung von Menschen, die er selbst nicht wirklich achtet, dauernd sich erfreuen zu können. Endlich muss ihm also die Scham kommen – wenn nur der Gegner sich dauernd auf der Höhe der Sachlichkeit hält, so dass der persönliche Angriff durch keine gleichartige Abwehr nachträglich gerechtfertigt wird. Da ferner die Verständigung mit dem sachlichen Gegner nur erheischt, dass der Angreifer selbst sachlich wird; da mit diesem Augenblick für beide Teile sofort alles Persönliche zur Nebensache wird: so kann auch keine persönliche Verstimmung ein Hindernis späterer Versöhnung und Kampfbruderschaft bilden. Zudem ist es doch viel leichter, einem sachlich gestimmten Menschen Abbitte zu leisten, als einem, der sich reizen liess. Ist es gar zum Austausch von »Persönlichkeiten« gekommen, so ist eine reinliche Abrechnung in der Regel nicht mehr möglich und, da sie doch notwendig erscheint, eine Versöhnung fast undenkbar. –

Doch ich habe meine Frage ganz aus dem Auge verloren: wie man sein persönliches Verhältnis zu einem unredlichen Gegner regeln soll. Die empfohlene Sachlichkeit begründet doch, auch wenn sie zu persönlichem Verkehr nötigt, noch kein persönliches Verhältnis! Sie ist nicht unfreundlich, aber auch nicht freundlich – oder was man so heisst; sie trägt nicht nach, aber sie verzeiht auch nicht: denn sie besteht ja darin, dass man, in eine Sache verloren, für das Persönliche im bösen, aber auch im guten Sinne eben verloren ist. Wie weit erhebt sich die affektvolle christliche Feindesliebe über diese affektlose Sachlichkeit!

Mag sein – vielleicht aber ist diese Sachlichkeit in der Tat nichts anderes, als was Jesus Liebe zum Feind heisst. Denn wie den Bruder, so liebt der Jünger Jesu auch den Feind »in Jesu Christo« oder »in Gott« – d. h. nicht als die zufällige Privatpersönlichkeit, sondern im Blick auf seinen Wert für Jesus oder Gott, also wegen seines (wirklichen oder möglichen) objektiven Werts, somit »sachlich«. Die höchste Sache ist für uns die Persönlichkeit. Sachlichkeit gegen den Feind bedeutet also, dass ich in ihm die werdende Persönlichkeit anerkenne, schone, fördere – auch wenn er in mir die Persönlichkeit nicht zu achten versteht. Wenn die »Sache« eben die Persönlichkeit ist, so erfordert der Eifer für die Sache das Eintreten für die Persönlichkeit überhaupt und wo ich sie finden mag – auch im Gegner.

Also begründet die Sachlichkeit doch ein persönliches Verhältnis – wenn anders das ein persönliches Verhältnis ist, dass ich den andern als Persönlichkeit auffasse, schätze, behandle. Aber »persönlich« ist mir dabei der Feind so gleichgültig wie der Freund.

Oder es sollte wenigstens so sein. Denn diese Sachlichkeit übersteigt fast des Menschen Kraft.

* * *

Der Geisteskampf ist zuerst und zuletzt ein Kampf um die eigene Vergeistigung. Dass durch mein Ringen um den Geist ein anderer sich bekämpft oder gefährdet sieht, ist ein Nebenerfolg, den ich bedauern, dessen ich mich freuen kann – ja vielleicht kann ich ihn auch zum voraus im Auge haben, ihn fürchten oder hoffen: trotzdem ist der Geisteskampf zuerst und zuletzt Kampf um die eigene Vergeistigung. Denn dieser Nebenerfolg kann nicht direkt erstrebt werden; darum kann er auch den Geisteskampf nicht in einen Kampf mit dem andern und für den andern verwandeln.

Oder sollte das doch das Höhere und Höchste sein, dass ich beim Geisteskampf mich ganz vergesse, nur an das Heil meines Nebenmenschen denke? – Mir soll auch das recht sein: dann habe ich mich also nicht bloss in derselben Art des Geisteslebens weiter zu vervollkommnen, sondern zu einer ganz neuen, höheren Art der Selbstauffassung und des Verhältnisses zum Nächsten emporzuarbeiten! Welche herrlichen Aufgaben, Entdeckungen, Freuden ständen mir da noch bevor!

Jedenfalls aber setzte die Erhebung auf diese Stufe geistigen Lebens voraus, dass ich mit mir selbst wesentlich im Reinen bin. Wenn der Blinde den Blinden leiten will, so fallen sie beide in die Grube; wenn der Lahme den Lahmen tragen will, so werden sie doch nicht weit kommen. Es kann also kein Fehler sein, dass ich den Geisteskampf zunächst als Kampf um den eigenen Geist auffasse – dass ich es zunächst auch wesentlich als Pflicht der geistigen Selbsterhaltung auffasse, den andern als Persönlichkeit zu behandeln. Wäre das nicht die Wahrheit meines Verhältnisses zum Nächsten, so würde sich mir dieses gewiss auch anders darstellen.

Ist der geistige Egoismus noch deine Wahrheit, so ist er auch noch deine Tugend. Die Umkehrung dieses Satzes ist, wenigstens in abstracto, gleich richtig: hast du dich selbst sicher erfasst; hat sich dir eben in der Selbstbehauptung die Persönlichkeit als der einzig wirkliche Wert geoffenbart: so wird ganz von selbst deine Sorge für die eigene Persönlichkeit durch ein Interesse für die Persönlichkeit anderer ersetzt werden. Jeder andere Uebergang von Egoismus zum Altruismus ist unwahr, ist unwirklich, ist eine gefährliche Selbsttäuschung.

 


 << zurück