Clara Schreiber
Eine Wienerin in Paris
Clara Schreiber

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Die Pariserin im Handel und Wandel

Zu den Eigentümlichkeiten der französischen Hauptstadt gehört die hervorragende Stellung der Frau im Geschäftsleben. Die Pariserin der Bourgeoisie ist, sofern ihr Mann nicht zu den Rentiers gehört oder eine Profession libre ausübt, keine consumirende, sondern eine producirende Kraft. Die vielgeschmähte Pariserin ist kein Luxusartikel für den Mann, sondern eine Nothwendigkeit für das Gedeihen seines Geschäftes geradezu unentbehrlich. Die französische durch und durch gesunde Auffassung der Arbeit hat nichts mit den absolut falschen Grundsätzen zu schaffen, welche in Deutschland, mehr noch in Oesterreich die Gesellschaft vergiften; sie ist weit freier und großherziger als die britischen Ideen, welche aus der Art der Arbeitsleistung die Anwartschaft auf die gesellschaftliche Stellung ableiten. Der Pariser erkennt die Nothwendigkeit der Arbeit als Mittel zum Zweck, der Zweck heißt eine Rente, um schließlich in einem beschaulichen, angenehmen Nichtsthun leben zu dürfen. Heute der fleißigste Arbeiter, morgen der glücklichste Flaneur, hält er das Panier der Arbeit hoch. Wenn er die Frucht einheimst, verleugnet er den Baum nicht, der sie getragen hat. Der Engländer, welcher die Parole des selfe made man ausgegeben hat, sieht eine Erniedrigung in dem »Laden«. Der Pariser schätzt jede Thätigkeit gleich hoch.

Im Handel ebenso intelligent als fleißig, ebenso schlau als energisch, ebenso zäh als ausdauernd, in seinen Bedürfnissen bescheiden, unablässig entbehrend, immer das Ziel, die Rente, vor Augen, erreicht der Pariser dasselbe zumeist noch vor dem Termin, welchen er sich gesteckt hat. Die Wohlhabenheit des Bürgerstandes, welcher in Frankreich so sehr gedeiht, die Thatsache, daß die meisten Kaufleute sich in einem gewissen Alter in Rentiers verwandeln, wäre aber ohne die Hilfe der Frau unmöglich.

Die Arbeit der Frau gereicht ihr zur Ehre und beraubt sie niemals des Titels und der Rechte, welche der »Dame« zukommen. Man ist frei von den lächerlichen Vorurtheilen, welche in manchen Ländern der Frau im Hause die Arbeit der Magd auferlegen, ihr aber verbieten ihre Kraft nach Außen zu entfalten.

Der junge Mann, welcher ein Geschäft einrichtet, denkt zuerst an die Ehe. Er sucht ein Mädchen, das einer anständigen Familie angehört und ihm die fast unentbehrliche »Dot« mitbringt. Das Mädchen hat bis zum vollendeten 16. Jahre in der Pension die Durchschnittsbildung genossen, die nicht so wegwerfend zu behandeln ist, wie wir das zumeist thun. Die Pariserin kennt die Geschichte und die Geographie ihres Landes in knappen, klaren Formen, sie schreibt logische Briefe, sie rechnet und versteht die Buchhaltung, sie weiß, daß Racine, Corneille und Molière gelebt haben, daß Victor Hugo noch am Leben ist, und ahnt von den anderen Nationen genug, um deren Schwächen später trefflich auszubeuten.

Die französische Pensionserziehung richtet sich auf praktische Ziele. Nur faßt der Pariser das Wort »praktisch« eben ganz anders auf, als es bei uns daheim geschieht. Er lehrt der Frau nicht, wie man das Geld am besten ausgibt, wie man das schönste Heim einrichtet, die schönste Wäsche hat, den besten Tisch führt, sondern wie man das Geld am besten einnimmt. Verdienen, Erwerben ist die Losung des ganzen Mittelstandes, dessen gesundes Blut die Gesellschaft erhält. Faul und krank sind die höheren Schichten der Gesellschaft – die mittleren jedoch sind kernig, aus festem Stoff. In ihnen liegt die Widerstandskraft und die Regenerationskraft Frankreichs. Hat der junge Mann das Mädchen gefunden, welches meist 17 bis 20 Jahre alt ist, hat man die »Dot« (Mitgift) bestimmt, so folgt die Hochzeit in wenigen Wochen. Ein langer Brautstand ist fast unmöglich, denn er legt der Mutter der Braut und den Verlobten strengen Zwang auf. Das Brautpaar bleibt niemals allein, jede Liebesbezeugung, welche über einen Handkuß hinausgeht, ist unstatthaft, ein gemeinschaftlicher Spaziergang, eine der Freiheiten, bei uns zwischen Verlobten gang und gäbe, gehören in das Reich des Unerlaubten. Das junge Mädchen weiß, daß ihr zukünftiger Gatte Arbeit von ihr erwartet. Man miethet eine kleine Wohnung, so eng als möglich, denn die Heimstätte der Zukunft ist das Geschäft.

Die Wohnung würde nicht nur unnütze Kosten verursachen, sondern eine Last werden. Man möblirt zumeist ganz einfach und miethet eine Bonne, wenn nicht das junge Paar es vorzieht, das Diner aus dem Restaurant kommen zu lassen und sich mit der femme de Menage zu behelfen. Der Maire und der Priester haben das Brautpaar vereint. Die kurze Hochzeitsreise nach Brüssel, nach Havre oder Lyon ist vorüber, der Kranz hängt in Glas und Rahmen im Schlafgemach, der Brautschleier ist verwahrt. Mann und Frau beginnen das gemeinsame Leben. Die junge Frau nimmt ihren Platz im Comptoir oder an der Casse ein, sie bringt Befähigung, guten Willen und unverdrossenen Fleiß mit. Nichts entgeht ihrem Blick. Zumeist ist sie der wichtigste Factor, den die Kunden suchen, den die Untergebenen um Rath fragen, mit dem die Geschäftsfreunde verhandeln. Das gemeinsame Interesse wird zum mächtigen Hebel für das eheliche Glück; unzufriedene Ehen sind in diesem Stande außerordentlich selten. Die Pariserin, von früh Morgens bis spät Abends thätig, vergißt dabei nicht die Sorge für ihr Aeußeres, sie verdient darin zum Muster aufgestellt zu werden.

Die fleißigste Geschäftsfrau, trägt sie die modernste Frisur; ihr schwarzes Kleid, je nach dem Geschäfte, aus Wollenstoff oder schwerer Seide, zeigt die eleganteste Façon. Sie liebt blitzende Steine und haßt falschen Schmuck, sie ziert ihr kleines Ohr gerne mit großen Diamanten und legt nicht wenig Armbänder um ihren schlanken Arm. Die goldene Kette und die zierliche Uhr daran fehlen fast niemals. Sie achtet darauf, daß die Hand immer wohlgepflegt sei. Eine Freundin der Blumen, entbehrt sie nicht die Veilchen und nicht den Rosenschmuck an der Brust. Die Pariser Geschäftsfrau bleibt immer Dame, die keiner Nachlässigkeit verfällt und keine duldet. Die Haltung der Herrin ist von großem Einfluß auf die der Beamtinnen des Geschäfts. Wenn ich die zierlichen, überaus anmuthenden, gefällig gekleideten Pariser Frauen in ihren Laden sehe, denke ich immer mit unbehaglicher Empfindung an viele Magazine Wiens zurück, in denen weibliche Gestalten oft wie wahre Vogelscheuchen mit erfrorenen Fingern, in abgetragenen Kleidern, in dichte Wolltücher gehüllt uns wahrlich nicht an das »schöne« Geschlecht erinnern. Dadurch, daß die Frau von Früh bis Spät im Innern des Geschäftes thätig ist, findet eine Zweitheilung der Arbeit statt, welche dem Ganzen zu Gute kommt. Der Mann kann nach Außen alle Interessen verfolgen, die Arbeiter, die Verkäufer und Verkäuferinnen stehen unter der Aufsicht und Leitung der Frau.

Wie angenehm versteht die kleine Französin mit jedem Käufer zu plaudern. Die dunkeln Augen blitzen als Begleitung der intelligenten Worte. Madame wird von dem Personale hochgehalten. Es gibt kaum ein Geschäft, in welchem die Frau nicht Verwendung findet. Da, wo sie nicht im Laden weilt, beschäftigt sie sich in der Fabrik, beim Buche oder im Arbeitssaal, die Arbeit vertheilend. In allen Zweigen des Geschäftslebens findet sie ihren Platz und füllt ihn trefflich aus. Die Pariserin ist eben nicht nur in guten, sondern auch in bösen Tagen die beste Stütze des Gatten. Wenn eine unglückliche Conjunctur die Familie bedroht, wenn eine böse Katastrophe im Geschäftsleben eingetreten ist, beweist sie ihre ganze Kraft und Tüchtigkeit. Ungebeugt richtet sie ihren Mann auf, unverzagt beginnt sie auf's Neue zu streben, zu ringen. Immer vergnügt lächelt sie dem Manne Muth ins Herz. Die einfachste, schlichteste Frau hat zuweilen Momente von erhabener Größe. Ihre Frage thut dem Manne wohl, denn sie ist auf Verständniß der Sache begründet. Er findet keinen treueren, keinen klügeren Freund, als sein Weib, er rafft sich auf und bald folgen lichte Tage der dunkeln bösen Zeit.

Während da, wo das Geschäft einzig in der Hand des Mannes liegt, mit dessen Leben für die Familie der Wohlstand schwindet, während das Elend seine Arme um Frau und Kinder schlingt, ist die Pariserin in der Lage, den heftigen Schlag nach dieser Richtung hin weniger bitter zu empfinden. Tüchtig und geübt im Geschäft, sichert die Mutter die Erziehung der Kinder durch ihre Arbeit. Die Fälle, in denen Frauen an der Spitze großer Unternehmungen stehen, gehören in Frankreich nicht zu den Seltenheiten.

Die Frau, welche in dem Berufe ihres Mannes keine Arbeit findet, gründet ihr selbstständiges Geschäftchen oder sie erwirbt im Hause. In dem Augenblicke, in welchem der Gehalt des Mannes die Familie zu Entbehrungen verurtheilen würde, greift die Hand der Frau ein und schafft Wohlstand und Behagen. Tausenderlei reizende, niedliche Dinge werden von ihren weißen Fingern geschaffen.

Die Pariserin pflegt ihr Talent und verwerthet es. Die Malerei auf Seide, Sammt, Elfenbein, Porzellan und Glas wird trefflich bezahlt. Feine Blumenarbeit und Hand-Passementerie sind Leistungen, welche die Pariserin des Mittelstandes mit Erfolg zu Stande bringt. Sobald ihr Pensum beendet ist und der Arbeitskorb geschlossen wird, fühlt sie sich vollständig Dame und ist in ihrer Empfindung und in der Behandlung, die sie erfährt, der vornehmen Marquise des Faubourg ebenbürtig.

Man darf darum nicht glauben, daß Paris kein glänzendes Elend kennt. Es finden sich noch genug Beispiele, aber die Regel ist gedeihlicher Erwerb. Der Mittelstand ist darum auch derjenige, in welchem noch die meisten Ehen geschlossen werden. Nur in den höheren Schichten der Gesellschaft, wo die Frau als überflüssiger Luxus gilt, nehmen die Ehen ab. Um Geld auszugeben, braucht der Pariser keine Frau zu nehmen. – Er bedarf der Gattin zum Miterwerb – und dieser Motor schützt die Sittlichkeit. Die Stellung der Frau in Frankreich wäre unerträglich, wenn nicht die Gepflogenheiten des Lebens den Paragraphen des Gesetzbuches die Wage hielten. Die französischen Frauen sind durch ein veraltetes, tyrannisches Gesetz beinahe rechtlos, aber jede Einzelne wird durch eigene Kraft aus der Sklavin zur Herrin. Man hat vielfach behauptet, das Familienleben ginge unter, wenn die Frau sich dem Geschäfte widme und die Kinder vernachlässige; es ist allerdings richtig, daß die Handelsthätigkeit der Frau dieser nicht gestattet, im deutschen Sinne Mutter zu sein. Aber ist die deutsche Sitte wirklich eine alleinseligmachende? Paßt sie für Alle? Wie viel Tausende von Kindern verkommen in anderen Ländern trotz der zärtlichsten Erziehung, weil die Mittel, ihnen anständigen Lebensunterhalt zu schaffen, fehlen, während ihnen die Thätigkeit der Eltern in Frankreich eine gesicherte Lebensstellung schafft.

Wie viele Frauen vergeuden ihre Zeit am Putztische, in leeren Kaffeegesellschaften, im Tratsch mit der Base und der Nachbarin, und kümmern sich weit weniger um ihre Kinder, als die Pariser Geschäftsfrau, welche deren Erziehung bewährten Händen anvertraut und sie regelt, welche die besten Jahre ihres Lebens daran setzt, um für ihre Kinder ein Vermögen zu erwerben. Wer will es wagen, dieser Frau Mangel an Mutterliebe vorzuwerfen? Man muß sie nur des Sonntags sehen, wo sie beladen mit Kuchen in die Pension eilt, um die einzigen freien Stunden der Woche mit dem Töchterchen oder dem Söhnchen zu verbringen, man muß sie sehen, mit welchem Jubel sie die Kleinen umhalst, wenn diese zweimal des Monats den Sonntag bei den Eltern verleben. Uebrigens ist der Fall, daß die Kinder im Elternhause sehr gut erzogen werden, gar nicht selten. Häufig finden sich Geschäft und Wohnung in einem Hause. Die Beweglichkeit, die Intelligenz der Pariserin lassen sie spielend eine Menge von Schwierigkeiten bewältigen. Der Pariser Mittelstand hat mit dem Gespenst der Sorge wenig zu thun und die Frau darf mit Befriedigung auf ihre Arbeit blicken, die das Product gesunder Lebensanschauungen des Volkes ist. Ein Land, in welchem diese eine herrschende Gewalt ausüben, blüht und gedeiht trotz politischen Haders, trotz der Fäulniß, welche einzelne Kreise der Gesellschaft zersetzt. Das Faule und Kranke wird abgestoßen, der gesunde Kern wirkt regenerirend. Das Frankreich von heute wird vielleicht noch manche große Erschütterung erfahren, manches wird in Trümmer sinken, aber die Erschütterung bedeutet nicht das Grollen des Unterganges, sondern das hohe Lied der Auferstehung.


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