Clara Schreiber
Eine Wienerin in Paris
Clara Schreiber

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Pariser Dienstboten.

In einem vornehmen Pariser Hause sollte ein Koch aufgenommen werden. Der Hausherr besprach alle Bedingungen und nannte endlich auch die Summe des »Gehaltes«. »Verzeihung, mein Herr,« erwiderte der Nachfolger Vatel's, »der Gehalt ist mir eigentlich gleichgiltig.« – »Gleichgiltig? Umso besser!« – »Jawohl, mein Herr, auf den Gehalt kommt es nicht an. Nennen Sie mir gütigst die Summe, welche Sie für Ihr Hauswesen ausgeben.« – »Ah, das ist eine sonderbare Zumuthung!« – »Und doch kann ich mich erst, wenn Sie meine Frage beantwortet haben, entscheiden, ob ich den Platz annehme. Ich muß jährlich 8000 Francs verdienen können. Diese sind ein Ergebniß der Percente des Haushaltes. Sie begreifen, daß der Gehalt –« – »Vollkommen. Ich begreife Alles«.

Diese Geschichte spielt sich im Kleinen in jedem Pariser Haushalte ab.

Die große Nation, die Bevölkerung von Paris, welche eine Dynastie von Königen und eine von Kaisern ausgerottet hat, welche die Völkerfreiheit aus dem Schlafe weckte, in dem sie Jahrhunderte lang versunken war, die Pariser, sonst die unabhängigsten Charaktere, seufzen alle unter dem Drucke von Haustyrannen, deren Macht ungebrochen im Wachsen begriffen ist, deren Joch Niemand abschüttelt.

Diese Tyrannen sind die »Diener«, eigentlich die Herren ihrer Herrschaft. Der Unabhängigkeitssinn, welcher jedem Pariser innewohnt, ist in den unteren Schichten der Gesellschaft um so entwickelter. Der französische Diener ist der größte, eingefleischteste Egoist, voll Selbstbewußtsein und überzeugt von seiner Unentbehrlichkeit. Der Dienerstand recrutirt sich fast gar nicht aus Mädchen guter Familien, die, wie z.B. in Deutschland, gezwungen sind, ihren Lebensunterhalt durch das Dienen in fremdem Hause zu erwerben. Keine Pariser Mutter bestimmt oder erzieht ihr Kind zum »Dienen«. Das Mädchen zieht jede andere Arbeit vor und nur wenn ihm diese zu schwer wird, wenn sie nicht genügend einträglicher ist, wenn die Genußsucht ein Leben im Dienste als verlockender malt, als ein solches im Atelier, wird sie Dienerin. Der Mann, der Intelligenz und Fleiß besitzt, wird Arbeiter; derjenige, welcher bequem genießen und sich nur wenig regen will, wird Diener.

Zwischen Herrschaft und Dienerschaft besteht in Paris gar kein Band – gar keine Neigung.

Dem Diener fällt es gar nicht ein, dem Herrn ein Opfer zu bringen, und der Herr betrachtet den Diener als eine lebende Maschine, die man ölt, so lange sie brauchbar ist. Es ist selbstverständlich, daß hievon überall Ausnahmen existiren; es gibt auch in Frankreich einzelne ausgezeichnete Diener und gewiß auch treffliche Herren. Auch in Frankreich finden sich Fälle von Muth und Selbstverleugnung der Dienerschaft. Aber die Regel entspricht meiner Schilderung. Viel an dem unerquicklichen Zustand ist der Umstand Schuld, daß die Kündigungsfrist nur acht Tage beträgt. Man geht leichtsinnig auf Probe. Die Frist wird nicht eingehalten, man verläßt sofort das Haus und wird ohne besonderen Grund auf die Minute entlassen. In der Ferne bildet man sich ein, es sei äußerst angenehm, daß die bürgerlich lebenden Familien in Paris nur eine bonne a tout zu halten brauchen. – Wer aber meint, daß diese Bonne auf einer Stufe mit der deutschen Dienerin oder gar der böhmischen Marianka steht, der irrt gewaltig. Die Familie ist darauf angewiesen, sehr einfach zu essen, der gedeckte Tisch muthet durchaus nicht an und die Sauberkeit ist ein Capital, über welches wir lieber schweigen wollen.

Die französische Dienerin spricht mit ihrer Herrin ohne alle Unterwürfigkeit. Sie präcisirt genau alle Rechte und schickt Madame ohne Umstände mit den Worten: »Hier haben, Madame, gar nichts zu suchen!« aus der Küche; sie regelt ihren Gehalt, ihren Ausgang, Weingeld, Zuckergeld, Wäschgeld u.s.w. Sie bestimmt, daß sie Morgens nicht vor halb 8 Uhr mit der Arbeit beginnt und Abends nicht nach 9 Uhr zur Verfügung steht; sie fragt genau nach der Zahl der Schüsseln, aus denen ihre Nahrung täglich besteht, und findet es unerträglich, nicht ganz dieselbe Verpflegung wie die Herrschaft zu genießen. Sie wohnt natürlich im sechsten Stocke, in einem Kämmerchen, das nicht geheizt werden kann, aber sie erträgt diesen Mangel, denn sie verdankt dem sechsten Stocke die Freiheit. Ach, die sechsten Stöcke! Da liegt eine Flucht von Dimerzimmern und da versammeln sich Abends die Dienenden beider Geschlechter. Da wird die Ehre der Familie zu Markte getragen, da wird gelacht, geklagt, gescherzt, gehaßt und geliebt. Da wird duftender Thee getrunken, den die Köchin vom zweiten Stocke anbietet, während der Diener vom ersten eine Flasche vom Besten entkorkt. Die femme de chambre hat im dritten Stocke einen unbeachteten Topf Confiture gefunden, die kleine Celie war so geschickt, eine Handvoll Bisquits zu escamotiren. Zucker, Cognac, finden sich im Ueberfluß. Die Beleuchtung besorgen eine Menge von Lichtstümpfchen, die aus verschiedenen Tischen hervorgeholt wurden. Das gibt nun eine lustige, plappernde Gesellschaft, die sich die Hände wärmt über Glutpfannen, die Füße auf Wärmeflaschen. Da überkommt alle die Versammelten die Empfindung der Unabhängigkeit. Der kluge Jean weiß stets so lustige Geschichten von dem dicken Bankier und der kleinen Tänzerin, der schmächtige Victor erzählt, wie Madame kleine duftige Briefchen durch ihn besorgen lasse, die behäbige Françoise öffnet den Schatz ihrer Erfahrungen, die Kammerkatzen wechseln verliebte, glühende Blicke mit den Adonis der Vorzimmer und oft dringen schon blasse Sonnenstrahlen in die Fenster, ehe die Gesellschaft daran denkt, auseinanderzugehen und in Träumen die Unterhaltung der Nachtstunden fortzusetzen. Nicht selten stellen sich auch Gäste von auswärts ein. Bekannte aus früheren Dienstplätzen. Die männlichen Verehrer erscheinen. Der Concierge ist so gefällig, den Cordon niemals zu verweigern. Nicht selten kommt es vor, daß, indeß die müde Hausfrau, der sorgsame Hausherr, ihre Diener in tiefen Schlaf versunken wähnen, sich diese in einem der unzähligen Vergnügungslocale von Paris gütlich thun. Kaum ist die Bonne nach ihrem geliebten sechsten Stock entschlüpft, so hat sie auch rasch die seinen glänzenden Stiefelchen über die müden Füße gezogen, das Sonntagskleid angelegt, den Hut auf das dichte Haar gedrückt und fort geht es zum Tanz, in die Freiheit. Die wenigsten Diener nehmen eine Schlafstube im Stockwerke, in dem die Herrschaft wohnt, an; ihre Weigerung ist stets ein Prüfstein für die Moralität des weiblichen Personales, mit der es herzlich schlecht bestellt ist, weit schlechter als in Deutschland oder Oesterreich.

Die preußische Minna und die böhmische Marianka, die Wiener Nani haben Herzensbündnisse geschlossen, sie besitzen zumeist ihre ständigen Verehrer, sie haben »Verhältnisse«, die oft wahrhaft rührende Beweise von Ausdauer sind in Verhältnissen, die schließlich meist mit einer Heirat enden, welche vom Anfang als das Ziel betrachtet wurde. Anders in Paris. Die Liebe wird von der leichten Seite erfaßt. Die Frauen dieser Classe kommen sich sofort hochmoralisch vor, wenn sie aus der Liebe kein Geschäft machen, aber aus den zärtlichen Herzensbündnissen entspringt keine Pflicht und selten führt eines zur Ehe.

Um im Punkte der Sittlichkeit etwas beruhigter zu sein, verwendet man in guten Pariser Familien sehr gerne verheiratete Dienstleute, eine sogenannte Menage, die Frau für die Küche, den Mann als Diener. Es ist Ueberfluß an solchen Ehepaaren, die sich aber nicht zusammenfinden, wie in Wien. In den meisten Fällen werden diese Ehen, gerade so wie die der Gesellschaft, von den Eltern des Mädchens vermittelt, zuweilen spielen die Dienstgeber, wenn sie mit ihren Leuten zufrieden sind, die Heirathsstifter. Man ist in dieser Beziehung human und verdammt nicht zur Ehelosigkeit, was nicht gerne allein bleibt. Ein Uebelstand, der dem sechsten Stock zunächst steht, ist der Sou. Jede Ausgabe, welche für den Haushalt gemacht wird, wirft für die Bonne einen Sou vom Franc ab. Vom Bäcker und vom Epicier, vom Fleischer, vom Milchmann und vom Gemüsehändler. – Der Sou ist ein regelmäßiges Deputat. Kauft die Hausfrau selbst ein, so bezahlt sie nicht um den Sou weniger, in diesem Falle nimmt der Verkäufer den Sou in Anspruch. Eine kurze Rechnung zeigt das Resultat dieses Sou. In großen Haushaltungen wird der Gehalt durch denselben weit übertroffen und so erklärt sich die Aeußerung des Eingangs erwähnten Kochs.

Je höher die Stellung des Dieners ist, desto unliebsamer wird sie empfunden. Liberté, fraternité und egalité sind eine Mischung, welche herzlich unangenehm weiden kann. Eine Dame ist im Begriffe, eine femme de chambre aufzunehmen. Die Augen des Mädchens wandern über alle Effecten im Zimmer und bleiben endlich auf der Zeitung, dem »Gaulois« haften. »Pardon, Madame, lesen den »Gaulois?« fragt das Mädchen. »Ja wohl«, antwortet erstaunt die Herrin – »Pardon, Madame, ich bin so sehr an den »Figaro« gewöhnt aber – man kann sich vielleicht eingewöhnen!« – Bei einer anderen Dame bemerkt das Stubenmädchen den »Gil-Blas«. »Pardon, Madame, ist nicht mit Monsieur zusammen?« »Was bringt Sie auf diesen Gedanken?« – »Ich meinte nur, mein letzter Herr erlaubte der Gnädigen nicht, den »Gil-Blas« zu lesen.«

Die femme de chambre unterscheidet sich durch ihre Vorliebe für die Lectüre von der Köchin, welche freie Stunden gerne mit Kartenaufschlagen verbringt. Die modernen Romane wandern aus dem Salon in die Dienerstube.

Geht das Kammermädchen auf den Ball, so greift es kühn in die Garderobe ihrer Herrin und wählt den besten Staat. Das Heer jener Frauen, welche ihren Dienerinnen Vieles nachsehen müssen, die sammt ihren Geheimnissen völlig in den Händen ihrer Untergebenen sind, ist so groß, daß die honnêt femme darunter schwer leidet.

Der männliche Diener findet sich im bürgerlichen Haushalte noch eher zurecht, er ist in der Regel verläßlicher, anspruchsloser und tüchtiger als das Frauenvolk seines Standes. Die Geißeln der Familien sind die Kinderwärterinnen. Die Ammen sind theuer, aber meist annehmbar. Man verwendet nur verheiratete Frauen vom Lande, die zwar sehr geldgierig sind, aber sonst nicht viel Verdruß bereiten. Dagegen die Kinderwärterin! Ich kenne Frauen, die mit Thränen von einem Familienzuwachs sprechen, weil in Folge dessen sie eine Kinderwärterin benöthigen. In diesen Geschöpfen schlummern alle bösen Leidenschaften, die nur auf den ersten Anlaß warten, um zu erwachen und sich an dem Kinde zu rächen.

Wenn ich der Wiener Kinderfrauen gedenke, deren Fehler ich gewiß nicht unterschätze, so fällt mir gleichzeitig auch ein, wie viele Nächte solch' eine Pflegerin dem kleinen Wesen opfert, wie sie es hegt und pflegt und betreut, wie sie an demselben hängt. Nichts von alledem in Paris.

Deutsche Dienstmädchen sind in Paris sehr beliebt. Die ärgsten Deutschenfeinde jagen nach ihnen. Leider sind die deutschen Dienerinnen nicht die besten ihrer Art. Der Elsaß und Luxenbourg stellen die Mehrzahl. Es sind Leute mit höchst beschränkter Intelligenz, die in der Heimat nicht fortkommen würden; sie sind schwerfällig und unbeholfen. Was ein richtiges, flinkes deutsches Dienstmädchen ist, weiß der Pariser nicht. Es ist Mode, für Kinder deutsche Pflegerinnen zu nehmen, damit sie die deutsche Sprache erlernen. Die Dialekte, welche man dem heranwachsenden Pariser Geschlechte als deutsch präsentirt, sind geradezu schauderhaft. Da wird geschwäbelt, luxenburgisch platt gedrückt, auf elsässisch breitgequetscht, Alles, nur nicht gut deutsch geredet, aber die Pariser Eltern begreifen das nicht. Deutsch muß doch deutsch bleiben.

Auffallend und bezeichnend sind die wenigen hübschen Dienstmädchen.

Frauenschönheit greift eben in jedem Stande in Frankreich nach der Herrschaft, auch wenn sie im Schmutz aufgerichtet wird, und für den Dienst dünkt sich ein hübsches Gesicht viel zu gut. Es ist gewöhnlich Mangel an Dienern, denn die Familien auf dem Lande sind wenig zahlreich, der Bauer behält seine Kinder im Hause. Eines aber zeichnet den französischen Diener aus: Sparsamkeit und relative Einfachheit in der Kleidung. Die meisten Dienerinnen tragen die weiße Haube, der Hut ist ihnen unbekannt, und glatte, einfache Kleider aus festem Wollstoffe oder Leinwand. Nur die höhere femme de chambre ahmt die Launen der Herrin nach. Durch die geringe Putzsucht bleibt der Lohn in der Tasche. Die meisten Dienerinnen tragen größere Summen in die Sparkasse, sie versichern sich bei Assecuranzgesellschaften, sie arbeiten in der Jugend, um in alten Tagen nicht dem Elend zu verfallen. Diese Eigenschaft liegt eben auch im Nationalcharakter.

Man behandelt den Diener in Frankreich sehr artig, aber man ist sehr kurz angebunden, und nimmt keinen Theil an seinen Leiden und Freuden. Das Spital, wenn er erkrankt, und auch dieses nicht auf Kosten der Herrschaft. Die Auslagen vergütet der Diener selbst oder die Assistance publique.

Wenn man die Schattenseite einer Menschenclasse hervorhebt, ist es nur billig, auch ihrer Vorzüge zu gedenken. Der französische Diener ist findig und intelligent, wenn er arbeiten will, ungeheuer leistungsfähig. In den Geschäften bewältigen die Hausknechte, Garçons genannt, eine unglaubliche Arbeitsmenge; sie fühlen sich aber nicht mehr als Diener, sondern als Ouvriers. Dasselbe gilt von den in Hotels oder Pensionen angestellten Leuten, Schlanke, schwächliche Burschen tragen haushohe Koffer auf ihren Schultern, als wären sie Kinderspielzeug.

So wie der Diener Ouvrier wird, d.h. seine Arbeit nur für eine bestimmte Arbeitszeit einzusetzen braucht und die Art der Thätigkeit genauer taxiren kann, als im bürgerlichen Haushalte, wird er aus dem Feind des Hauses dessen brauchbarer Vertreter. Gerade in dem Inneren der Haushaltung klafft die Wunde. Das Band, welches Herrschaft und Dienerschaft verknüpft, ist locker. Auf beiden Seiten herrscht Selbstsucht und das Bestreben, einander so gut als möglich auszunützen.

Wer das Blatt der großen ersten Revolution aufschlägt und die rührenden Züge von Dienertreue liest, wer die Fälle, in denen Diener für ihre Herren zum Schaffot gingen, an seinem Geist vorüberziehen läßt, wer der Thatsache gedenkt, daß viele Diener den Besitz der geflüchteten Herrschaften an sich brachten und diesen Jahrzehnte lang die Einnahmen in die Fremde schickten, bis sie denselben ihre alten Schlösser zurückgaben, um bescheiden abermals in die Dienerstube zurückzukehren, wer das Alles mit den Zuständen von heute vergleicht, der schüttelt den Kopf und mit Trauer fragt er nach der Ursache. Liegt sie in der Volkserziehung? Kann überhaupt ein Dienerstand für sich als Bestandtheil der Cultur und des civilisirten Staates gedacht werden?

Die Dienerfrage ist in Frankreich mit ein Theil der socialen Frage geworden, im Frieden unlösbar, im Kampf alle Schranken niederwerfend.


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