Paul Schreckenbach
Wildefüer
Paul Schreckenbach

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Zweites Buch

Frühling und Sommer waren dahingegangen, aber in Hildesheim wünschte sie niemand zurück, denn sie hatten den Bürgern viel Übles gebracht. Es war für ganz Niedersachsen, besonders für die Lande nördlich der Harzberge, eine böse Zeit. Tag für Tag sandte die Sonne ihre glühend heißen Pfeile auf die Erde hernieder, niemals wollte Gewölk am Himmel heraufziehen und einen fruchtbaren Regen spenden. Das Erdreich wurde hart und spröde und zeigte überall Risse und Sprünge. Die Bäche und Teiche trockneten aus, viele Quellen versiegten. Die Innerste, sonst ein nicht unansehnliches Flüßchen, sah von weitem aus wie ein dünner silberner Faden, und wenn eine der Wäscherinnen in der kleinen Venedig den Mühlgraben durchschreiten wollte, so brauchte sie ihr Gewand nicht hoch aufzuschürzen. Die Folge der entsetzlichen Trockenheit war eine so schlechte Ernte, wie sie in der reichen Gegend seit Menschengedenken nicht erlebt worden war. Die Wiesen gaben so wenig Heu, daß die Bauern eine Menge ihres Viehes abschlachten mußten, weil sie es nicht ernähren konnten. Was aber am Leben blieb, sah dürr und struppig aus, denn es konnte nur dürftiges Futter erhalten. Auch unter den Menschen gab es bald viele bleiche, hohlwangige Gestalten, besonders unter den Armen, die nicht vermochten, die immer höher steigenden Preise für das Brotkorn zu zahlen. Aber auch mancher vermögende Mann schnallte den Leibgurt enger, und selbst die Reichen sahen mit Besorgnis in die Zukunft, denn bis zur neuen Ernte war noch eine lange Zeit, und es mochte vielleicht geschehen, daß es eines Tages auch für schweres Geld keinen Weizen und Roggen mehr zu kaufen gab.

Am härtesten drückten solche Sorgen den behäbigen Ratsherrn Tilo Brandis. Der Gedanke, daß die von ihm so hochgeschätzten Mehlklöße einmal ganz von seinem Tische verschwinden könnten, oder daß er genötigt wäre, statt ihrer vier oder fünf nur zwei zu essen, dieser Gedanke beugte ihn tief und nagte an seinem Herzen. Ja, er verfolgte ihn sogar in seine Träume hinein, und eines Nachts gegen Ende des Oktober weckte ihn Frau Gesche, weil sie es nicht mehr mit anhören konnte, wie er im Schlafe so jämmerlich stöhnte. »Was hast du denn, Mann?« sagte sie. »Bist du krank? Tut dir etwas weh?«

»Nein«, erwiderte der Ratsherr mit dumpfer Stimme. »Aber es träumte mir, wir wollten zu Mittag essen, und du brachtest nur einen Kloß herein, und davon wolltet ihr alle auch noch etwas haben.«

Frau Gesche lachte halb ärgerlich und halb belustigt. »Du denkst wohl, es könnte so werden?«

»Ich sage dir, es wird so!« brummte er mit Grabesstimme.

»So? Wenn du das denkst, warum tust du nichts dagegen?«

»Was soll ich denn tun? Was kann denn überhaupt ein Mensch tun? Frage nicht so gänsern«, versetzte er höchst unliebenswürdig.

»Dir fällt freilich nichts ein«, entgegnete sie ziemlich erbost, denn jede Anspielung auf den Vogel des heiligen Martin brachte sie in Harnisch.

»Nun, fällt dir denn etwas ein?« knurrte er.

»Mir ist schon gestern abend etwas eingefallen. Ich konnte dir's nur nicht sagen, denn du warst natürlich wie der Wind in deinen geliebten ›Wiener Hof‹ gelaufen, der eigentlich, wie in früherer Zeit, ›Der grüne Eselstall‹ heißen sollte.«

»So hieß er gar nicht«, unterbrach sie der Ratsherr, der die Anspielung nicht merkte. »Er hieß ›Zum grünen Esel‹.«

»Meinetwegen, das nur nebenbei«, fuhr sie fort. »Aber hörten wir nicht gestern vom jungen Konerding, daß im Mansfeldschen und bei Nordhausen die Ernte so gut geraten ist wie fast noch niemals? Ist nicht der Bürgermeister Meyenburg dein Freund und Gevatter? Wart ihr nicht ganz zärtlich miteinander auf der Hochzeit deiner Base Wiedemeyer in Braunschweig, besonders als ihr einen in der Krone hattet? Da wäre gewißlich was zu machen. Wagen und Pferde und Knechte hast du ja, und das Geld hast du auch und brauchst nicht darauf zu sehen, wie teuer es ist.«

Tilo Brandis fuhr mit einem Ruck in die Höhe, daß sein Bett in allen Fugen krachte. Wäre es nicht stockfinster im Zimmer gewesen, so hätte Frau Gesche sehen können, daß sein Gesicht strahlte. »Weib!« rief er. »Das ist das Klügste, was du mir jemals geraten hast!« Nach einer Weile setzte er hinzu: »Teuer wird es freilich werden, sehr teuer. Aber was hilft das? Der Mensch will doch leben.«

Befriedigt streckte er sich wieder lang aus und sagte dann nachdenklich: »Es ist jedes Mannes Pflicht, sich den Seinigen zu erhalten. Für einen Ratsherrn aber ist es doppelte Pflicht in dieser schweren Zeit, seinen Leib zu nähren. Denn verfällt der Leib, so leidet auch der Geist Schaden, und einem hungrigen Manne wird das Denken gar zu beschwerlich.«

»Ei, damit strengt ihr alle euch ja nicht über die Maßen an! Das Denken besorgt für euch alle mein Vater, und das ist auch sehr gut«, sagte Frau Gesche schnippisch. Sie rutschte dabei eilig an das äußerste Ende ihres Bettes, denn sie fürchtete, für ihre kecken Worte durch einen Schlag seiner eheherrlichen Hand bestraft zu werden. Aber Tilo Brandis war viel zu erfreut in seinem Gemüte, als daß er die Anzüglichkeit seiner lieben Frau hätte ahnden wollen.

Übrigens zeigte schon der folgende Morgen, wie recht Frau Gesche gehabt hatte mit ihrer Bemerkung. Denn dem Bürgermeister war in der Nacht in der Tat ein Gedanke gekommen, auf den keiner der Ratsherren verfallen war, und der wenigstens der schlimmsten Not in der Stadt ein Ende machen mußte, wenn er zur Ausführung kam.

Bald nach Tagesanbruch erschien Hans Wildefüer im Hause seines Eidams und zwar nicht allein, sondern begleitet vom Ratsherrn Hinrich Stauffenburg. Darob verwunderte sich Frau Gesche ebenso wie ihr Gatte nicht wenig, denn Stauffenburg war bekannt als einer, der wenig zur Beichte ging und einmal öffentlich die Äußerung getan hatte, es stünden gerade so viele Bäume um das Michaeliskloster herum, wie Mönche darin wären, und man täte am besten, wenn man an jeden Baum einen Mönch hinge. Darob hatte ihn der Konvent der Brüder beim Rate hart verklagt, und er war um zehn Gulden gepönt worden. Seine Gesinnung gegen die Kutten war darob nicht freundlicher geworden, und er war dadurch in einen Gegensatz zu der gesamten Geistlichkeit geraten. Manche schalten ihn einen heimlichen Martinianer. Der Bürgermeister verkehrte nicht mit ihm, aber zu dem Werke, das er jetzt vorhatte, konnte er ihn gut gebrauchen.

»Ich bitte dich, Tilo, komme einmal mit nach dem Michaeliskloster«, sagte Wildefüer, nachdem er Schwiegersohn und Tochter, die gerade ihre Morgensuppe löffelten, begrüßt hatte.

»Nach dem Michaeliskloster? Was wollt Ihr denn dort, Vater?« fragte Brandis erstaunt und nicht sehr erfreut, denn er mußte nun seine Suppe eilig essen, während er sich sonst ausgiebig Zeit dazu nahm.

»Ich habe dort ein Geschäft, zu dem ich Zeugen aus dem Rate brauche. Das Nähere erzähle ich dir nachher unterwegs.«

Brandis löffelte so schnell wie noch nie in seinem Leben, denn vor seinem Schwiegervater hatte er einen ungeheuren Respekt. Dann begab er sich in ein Nebengemach, um seinen Mantel zu holen.

»Wie geht's den Kindern? Sind sie alle wohl und munter?« wandte sich Wildefüer an seine Tochter.

»Ja, Vater, Gott sei Dank«, erwiderte sie. »Der Hans und der Henning hatten gestern einen schlimmen Hals, so daß ich sie zeitig ins Bett steckte. Sie haben ganz gut geschlafen.«

Ein Höllengebrüll, das in demselben Augenblick aus dem Obergeschoß des Hauses in die Diele herabtönte, bewies, daß sich die Hälse dieser beiden Brandisschen Söhne wieder des größten Wohlseins erfreuten. Gleich darauf kamen sie die Treppe heruntergerollt, wobei sie sich innig umschlungen hielten, aber nicht aus zärtlicher Bruderliebe. Ein heftiger Streit war zwischen ihnen entbrannt, denn der sparsame Henning hatte die beiden großen Äpfel, die jedem die Mutter am Abend gegeben hatte, aufgehoben und mit ins Bett genommen. Der verschwenderische Hans dagegen hatte die seinen sofort aufgegessen. Als er nun am Morgen früher aufgewacht war als sein Bruder, hatte er die Äpfel bei ihm bemerkt und der Versuchung nicht widerstanden, sie zu entwenden und zu verspeisen. Dann hatte er sich schlafend gestellt, aber Henning, der beim Erwachen die Früchte nicht vorfand und nun eifrig suchte, hatte die Stiele auf dem Bett seines Bruders gefunden. Darauf war er, der Heiligkeit des Schlafes nicht gedenkend, wild über ihn hergefallen und hatte ihm ein paar klatschende Maulschellen verabfolgt. So war der Bruderkrieg entstanden und endete nun damit, daß die Mutter die beiden nur mit ihren Hemden Bekleideten ziemlich unsanft aus ihrer Umschlingung löste und sich den Fall berichten ließ.

»Hast du die Äpfel genommen?« fragte sie streng den Älteren.

»Ja«, heulte der. »Wenn sie nicht so rot gewesen wären, so hätte ich sie nicht genommen. Aber sie waren zu rot.«

»Das ist kein Grund dazu, daß man jemandem seine Äpfel stiehlt, du Bengel«, sagte Frau Gesche. »Du wirst gleich den Haselstock bekommen.«

Aber ihr Vater wehrte ihr lachend, denn der fünfjährige Bube hatte sich sofort unter seinen großväterlichen Schutz geflüchtet, indem er seine Beine fest umklammerte. »Laß einmal Gnade für Recht ergehen«, sagte er. »Der Junge hat ja nicht gelogen. Die Röte eines Apfels hat in der Tat etwas Verlockendes. Der Apfel, den unsere Ältermutter im Paradiese nahm, wird sie wohl auch durch sein schönes Aussehen mit verführt haben.«

»Ich dächte, sie wäre dafür auch ehrlich bestraft worden«, warf die schlagfertige Gesche ein. »Auch entsinne ich mich, Vater, daß Ihr den Jost einmal tüchtig abgestraft habt, als er im Garten des Bürgermeisters Konerding die Pflaumen von den Bäumen gegessen hatte.«

»Man denkt mit den Jahren über solche Dinge milder«, erwiderte Wildefüer. »Der hat überdies seine Strafe schon weg. Siehst du nicht alle fünf Finger Hennings auf seiner Backe? Laß ihn laufen! Und du, kleiner Henning, kommst zu Mittag zum Großvater. Da kriegst du ein ganzes Körbchen voll Äpfel, und Hans kriegt keine. Nun aber wollen wir gehen!« wandte er sich an seinen Schwiegersohn, der zum Ausgehen gerüstet in die Stube trat.

»Ach Vater, wir kommen noch immer zu früh«, sagte Brandis. »Von den Mönchen ist gewißlich noch keiner auf. Die liegen in ihren Federn, bis die liebe Sonne in ihre inneren Klostermauern scheint.«

Er behielt recht. Das Kloster lag, als die drei vor seinem Tore erschienen, noch in träger Ruhe, und selbst der Bruder Pförtner erschien erst nach langem Pochen, mißmutig und halb verschlafen und meldete auf Befragen: »Der hochwürdige Herr Abt und der Prior sind noch nicht aufgestanden.«

»So gehe und wecke sie und sage ihnen, sie möchten sich beeilen«, gebot Wildefüer. »Kurt Schneider, kommt einmal her und führt uns auf die Kornböden!«

»Das will ich tun, Herr«, erwiderte der Alte und nahm seine Mütze ab. »Wird die Stadt belagert? Sollen wir eine Bede geben von unserm Korn?«

»Ja«, erwiderte Wildefüer. »Die Stadt wird belagert von einem Feinde, den Gott uns gesandt hat, daß wir uns seiner erwehren. Er heißt der Hunger. Gegen den soll uns das Kloster helfen.«

Ein paar Minuten später standen sie auf einem riesigen Dachboden, wo das gelbe Korn in großen Haufen lag. Ein zweiter und dritter wurde sodann in Augenschein genommen. »Wahrlich«, sagte der Ratsherr Stauffenburg. »Das mögen wohl an die zweitausend Scheffel Getreide sein. Das alles nehmen sie den Zinsbauern und eigenen Leuten ab, die selber wenig genug haben.« Er brummte einen kräftigen Fluch in seinen Bart.

»Es ist noch nicht alles«, sagte Wildefüer. »Da drüben, Kurt Schneider, habt ihr doch auch noch einen Kornboden?«

»Ja, da liegt auch noch Korn«, erwiderte der Alte.

»So führt uns hin«, befahl Wildefüer, aber der Alte kratzte sich bedenklich hinter den Ohren. »Dort liegt die Gerste, Herr, die wir an die Brauer verkaufen. Dazu hat der Herr Prior selber den Schlüssel.«

»So holt ihn«, sagte Wildefüer. »Aber es ist nicht nötig. Da kommt er ja schon selber.«

Die große und breite Gestalt des Priors Theodorus schob sich um die Ecke herum und näherte sich Wildefüer und seinen Begleitern. Er kam höchst widerwillig; das war an seiner ganzen Haltung zu merken und noch mehr an dem Ausdruck seines eigensinnigen Gesichtes, das wie in Rot getaucht erschien. Einen Gruß brachte er nicht über die Lippen, sondern er verneigte sich nur steif und würdevoll.

»Wo ist der Herr Abt?« fragte Wildefüer.

»Der Hochwürdige läßt sich entschuldigen. Ihm ist nicht wohl, er hat das Reißen, kann nicht aufstehen.«

»Wir brauchen ihn auch nicht. Ihr genügt uns!« versetzte Wildefüer. »Wir haben das Korn besichtigt, das Ihr auf Euren Böden habt. Nun wollen wir noch Eure Gerste sehen. Wollet den Schlüssel holen und uns hinaufführen!«

Des Priors Miene zeigte die höchste Überraschung. Dann schoß er einen lauernden und feindseligen Blick auf Wildefüer und erwiderte: »Wie kommt Ihr auf den Einfall, Herr Bürgermeister? Das Kloster steht nicht unter der Stadt Hoheit und Aufsicht.«

Er zitterte bei diesen Worten am ganzen Körper vor Wut und zugleich vor Angst, denn er wußte wohl, wie gefährlich es war, den Zorn des allmächtigen Bürgermeisters zu reizen.

Aber Wildefüer blieb ganz ruhig. »Ich bestehe nicht darauf, des Klosters Gerste zu sehen, wenn Ihr sie mir nicht zeigen wollt. Ihr werdet sie dann denen zeigen, die ich zu Euch sende, und sie werden Euren Vorrat genau abschätzen. Denn, Herr Prior, die Sache liegt so: Es droht unserer Stadt eine Hungersnot, ja, sie ist schon vor der Tür. Da kann ich denn nicht zulassen, daß die armen Leute sterben und verderben. Ich muß vielmehr sie davor bewahren, und ich kann das mit Eurer Hilfe. Ihr habt einen großen Vorrat von Getreide liegen. Den wird Euch die Stadt abkaufen. Wir bieten Euch das Doppelte des Preises, den Roggen und Weizen im vorigen Jahre hatten. Die Preise waren schon damals nicht niedrig. So macht Ihr denn einen guten Schnitt. Meint Ihr nicht auch, Prior?«

Der Prior stand da, als habe ihn der Blitz getroffen. Sein kirschrotes Antlitz war erblaßt, und er wankte, als fühle er den Boden unter seinen Füßen schwinden. Er hatte längst in seinem Geiste überschlagen, was das Kloster aus der großen Teuerung herausschlagen könne. Gegen Ostern konnte das Getreide das Sechs- oder Achtfache des gewöhnlichen Preises kosten. Nun kam dieser vermaledeite Mensch und wollte seine schönsten Pläne durchkreuzen! Er stand da, als sei ihm seine Zunge gelähmt, und erwiderte kein Wort.

Wildefüer beobachtete mit innerem Ergötzen die Wirkung seiner Worte und fuhr ernsthaft fort: »Ihr werdet mir zugestehen, Ehrwürdiger, daß ein Kloster nicht darf Kapital schlagen aus bitterer Not. Das geziemt frommen Männern nicht. So denk' ich denn, Ihr werdet mein Erbieten annehmen und freudig ja dazu sagen.«

Der Prior wurde blau vor Wut. Er sah beängstigend aus, als werde ihn im nächsten Augenblicke der Schlag treffen. Er schnappte nach Luft wie ein aufs Trockne gesetzter Karpfen. Endlich würgte er die Worte hervor: »Das kann ich nicht allein entscheiden. Darüber muß der Konvent der Brüder eine Entschließung fassen.«

»Das versteht sich«, erwiderte Wildefüer. »Ruft Euren Konvent zusammen und faßt die Entschließung. Bis zum Abendläuten bitte ich um Euren Bericht, und ich bitte Euch, daran zu denken, daß der Hildesheimer Rat solchen Leuten, die Wucher treiben in der Stadt, schon manchmal eine harte Hand gezeigt hat, Juden wie Christen. Gehabt Euch wohl, Herr Prior!«

Er nickte ihm zu und ging hinweg, gefolgt von seinen schmunzelnden Begleitern. Als sie in der Nähe des Tores angekommen waren, wandte Stauffenburg sein Haupt noch einmal und lachte dann, daß sein gewichtiges Bäuchlein schütterte. »Der Prior«, sagte er, »steht noch auf derselben Stelle, als wäre er zur Salzsäule geworden, wie das Weib des Lot, das abgebildet ist an Burchard Meiers Haus. Er hat die Hand zum Himmel aufgehoben, als riefe er Gottes Fluch auf dich herab.«

»Davor fürchte ich mich nicht«, warf Wildefüer ein.

»Du hast ihn an dem angefaßt, was diesen Pfaffen das Heiligste ist, an seinem Geldsacke«, fuhr Stauffenburg fort. »Das wird er dir nimmermehr vergessen. Nimm dich hinfüro vor ihm in acht! Aber du bist, weiß Gott, ein großer Mann, Hans Wildefüer. Wie nahe lag der Weg, die Stadt zu retten, aber keiner hat ihn gesehen als du. Das werden dir viele Leute danken. Nur wird der Vorrat nicht lange reichen. Du müßtest die anderen Klöster auch heimsuchen.«

»Das will ich auch!« rief Wildefüer. »Wir gehen von einem zum andern, und kein Kloster kommt ungerupft davon. Ich meine auch, sie werden sich alle unterwerfen, denn was wir verlangen, ist gerecht und billig, und es ist mir kein Zweifel, daß der Rat mit allem Ernst würde hinter mich treten, wenn einer Späne machen wollte.«

»Da hast du recht«, erwiderte Stauffenburg. »Aber meinst du nicht, daß auch die Stadt etwas profitieren könnte? Wie wär's, wenn wir den Scheffel um etliche Groschen teurer verkauften, und täten dann das so gewonnene Geld in der Stadtgemeinde Säckel? Wir haben viel Geld gebraucht für die neuen Geschütze, die wir haben gießen lassen.«

»Darüber laßt uns im Rate reden und Beschluß fassen. Ich wäre nicht dafür, den armen Leuten mehr Geld aus der Tasche zu nehmen, als wir den Klöstern zahlen. Es hängt an diesem Getreide sowieso schon Schweiß und Blut des gemeinen Mannes. Doch darüber entscheide die Mehrheit der Ratsmannen mit den vierundzwanzig Älterleuten. Jetzt zum Magdalenenkloster! Dann zur Karthause und zu den andern!«

»Wollen wir auch in das Kreuzstift gehen und zu den Domherren, Vater?« fragte Tilo Brandis.

»Das wollen wir. Aber dort müssen wir als Bittende erscheinen. Die Stiftsherren und das Kapitel können wir auch im Notfalle nicht zwingen, uns zu Willen zu sein, es möchten sonst böse und betrübliche Händel daraus entstehen. Aber wie ich Herrn Ludolf von Veltheim kenne, werden wir im Domkapitel die leichteste Arbeit haben.«

Diese Voraussage ging in Erfüllung. Während Abt Ulrich vom Godehardikloster und die anderen Vorsteher der Klöster, sogar die Domina des Magdalenenklosters, sich heftig dagegen sträubten, ihr überschüssiges Korn an die Stadt zu verkaufen, ging der Domdechant sogleich auf die Wünsche des Bürgermeisters ein und versprach, die Sache mit dem Kapitel zu beraten und sie dort aufs wohlwollendste zu empfehlen. »Wir haben vielen unserer Leute den Zins zur Hälfte erlassen in diesem Jahre,« erklärte er, »aber auf den Böden über den Kreuzgängen liegt noch viel Korn und Weizen. Einhundert Malter oder auch mehr überlassen wir Euch, Herr Bürgermeister. Ihr sollt nicht vergeblich an unsere Pforte geklopft haben.«

Wildefüer sprach Herrn Ludolf von Veltheim seinen Dank in verbindlichsten Worten aus und verließ die Domfreiheit mit seinen Begleitern durch die Ostpforte. Von hier aus führten steinerne Stufen in die Kreuzstraße.

Hochaufatmend blieb er auf der obersten Stufe stehen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Über seinen meist so düsteren Zügen lag ein fröhlicher Schein. »Es ist uns alles wohlgelungen«, sagte er. »Denn die noch widerstreben, werden bald nachgeben, sie müssen wohl oder übel. So werden wir zwar nicht in Überfluß leben, aber wir werden genug haben, und keiner in der Stadt braucht Hungers zu sterben.«

»Jawohl, Vater, und das haben sie dir zu danken«, versetzte Tilo Brandis. Heimlich aber beschloß er, dennoch dem klugen Rate seiner Eheliebsten zu folgen und seine Wagen nach Nordhausen zu schicken, denn allzuviel mochte bei der Verteilung des Getreides auf seinen Haushalt nicht entfallen, und vielleicht brachte es sein Schwiegervater gar dahin, daß nur die ärmeren Bürger mit dem Korn der Mönche bedacht wurden. Dann sagte er, einer plötzlichen Eingebung folgend: »Ich möcht' Euch einen Vorschlag tun, Vater. Der Tag ist heiß, und Euch wird von dem vielen Reden die Zunge am Gaumen kleben. Wie wär's, wenn wir einen Frühtrunk täten? Es ist noch eine Stunde bis Mittag hin.«

»Das ist ein löblicher Vorschlag!« rief Stauffenburg. »Wie meinst du, Bürgermeister?«

»Ich bin's zufrieden. Ein guter Trunk hat mir auch vor Mittag noch nie geschadet. Auch ist der Anlaß dazu da. Aber wenn ich etwas trinke zu dieser ungewöhnlichen Zeit, so muß es etwas Rares sein!«

»Malvasier«, sagte Stauffenburg. »Den gibt es da drüben.« Er deutete mit dem Zeigefinger auf ein großes gegenüberliegendes Haus, an dem ein Schild hing mit der Inschrift »Zum alten Schaden«. In den ältesten Zeiten durfte nur in der Domschenke Wein ausgeschenkt werden, das war des Bischofs Recht gewesen. Aber die frommen und getreuen Bürger der guten Stadt Hildesheim hatten ihrem Bischof und Landesvater mit der Zeit, wie fast alle anderen Rechte, auch dieses zu entwinden gewußt, und weil damit dem Bischof ein Schaden geschah, so trug das Haus, das trutzig der Domschenke gegenüber sich erhob, den sinnigen Namen »Zum Schaden«. Als dann in der Kreuzstraße eine dritte Schenke hinzukam, unterschied man zwischen einem alten und neuen »Schaden«.

»Nein!« rief Wildefüer. »Nicht in den ›Schaden‹! Sein Malvasier ist gut, aber in der Domschenke haben sie noch etwas viel Besseres: Alten Rheinwein, Rüdesheimer, mehr als dreißigjährigen. Den trinken wir!«

»Heil! Heil!« rief Tilo Brandis. »Dann gleich hier rechts herab!« Er öffnete eine breite Tür, durch die man auf steinernen Stufen hinuntergelangte in die riesigen Kellergewölbe der Domschenke. Sie waren älter als jedes Haus, sogar älter als jede Kirche in ganz Hildesheim. Hier hatte schon der Meßwein des heiligen Bernward gelagert, als der fromme Kaiser Heinrich ihn zu besuchen kam, und die Steine zum ältesten Teile hatten kunstreiche Bauleute fränkischen Stammes gefügt zu der Zeit, als die Söhne und Enkel des großen Karl im Lande als Herren geboten.

Wildefüer wandte sich nach rechts und schritt einen langen Gang hinunter. An dessen Ende stand ein plumper Tisch aus Granitstein, um ihn herum klotzartige Stühle aus Eichenholz. Kleine, enge Fenster warfen ein mattes Licht in den Raum. Sie mündeten in den Domgarten, und durch eines von ihnen konnte man den berühmten Rosenstock erblicken, der sein Laub schon zur Hälfte verloren hatte.

Am Tische saß bereits ein Gast, als Wildefüer mit seinen Begleitern herantrat, und die zwei Flaschen, die vor ihm standen, zeigten an, daß er schon länger hier verweilt hatte, denn die eine war ganz, die andere halb geleert. Es war der Domherr Wilke von Münchhausen, ein frommer, ehrlicher, geistlicher Mann, dem Lärm der Welt abhold, der zur Andacht stimmenden Stille dieses Kellers um so geneigter. Nur zweimal am Tage kam er hierher, vormittags und abends, pflegte dann aber jedesmal nicht etwa kurze Zeit hier zu verweilen. Denn es war ihm sehr beschwerlich, seinen Leib durch die enge Wendelstiege zu zwängen, die von dem Kreuzgange des Domes in den Keller hinabführte. Viel fehlte nicht, so gelang ihm das überhaupt nicht mehr.

»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte er, als Wildefüer herzutrat. »Siehe da, der hohe Rat von Hildesheim erweist uns die Ehre. Das ist schön! Das ist schön! Ich sitze gern in Gesellschaft vor einer guten Flasche, obschon ich es auch nicht verschmähe, die Gabe des grundgütigen Gottes allein zu genießen. Es kommen mir dabei viele erbauliche Gedanken. Haltet Ihr mit? Ich trinke Aßmannshäuser von Anno elf.«

»Ich wollte eben meinen Freunden und Ratsgesellen ein paar Flaschen Rüdesheimer von Anno sieben zum besten geben«, erwiderte Wildefüer.

»Auch gut. Ihr seid ein Kenner und wißt Gutes zu schätzen«, lobte der Domherr. »Stellen wir denn die Gläser nebeneinander, so haben wir die Farben der guten Stadt Hildesheim, gelb und rot. Und laßt Euern Wein schnell kommen, in Christo geliebter Sohn, denn ich habe eine Zeitung für Euch, die wird Euch munden, und darauf, das werdet Ihr selber sagen, wenn Ihr sie wißt, müssen wir den besten Wein trinken, der im Keller ist.«

Inzwischen hatte Tilo Brandis den Wirt herbeigeholt, der in der Nähe mit seinem Knechte Weinfässer umfüllte, und bald stand der duftende goldgelbe Trank in großen, bauchigen Gläsern vor ihnen auf dem Tische.

»Nun höret!« begann der Domherr. »Was ich Euch jetzt sage, weiß noch kein Mensch in Hildesheim. Es ward mir erst vor einer Stunde kund durch einen Brief, den ich aus Franken erhielt. Bald freilich wird es ruchbar sein im ganzen Lande, denn die Ketzer können's nicht mehr geheimhalten. Nun höret zu!« Er bog sich über den Tisch vor und flüsterte geheimnisvoll: »Der Landgraf von Hessen hat zwei Weiber!«

Wildefüer zuckte zusammen. Es ging ihm wie ein Stich durchs Herz. Er dachte an einen anderen Fürsten, der auch zwei Weiber hatte, und dessen grauenvolles Geheimnis er kannte. Er zuckte die Achseln und schwieg.

»Wie? Ihr sagt nichts darauf?« fragte der Domherr enttäuscht. »Ich dachte, Ihr würdet nicht schlecht in die Höhe fahren.«

»Ach, Hochwürden, warum? Das ist ja ein gemeiner Brauch der Fürsten und Herren. Manche haben drei oder vier. Wenn einer sich genügen läßt an seinem rechtmäßigen Weibe, so rühmt und preist man ihn als einen sonderlich frommen Fürsten.«

»Ha!«,rief Münchhausen. »Ich merke, Ihr habt mich gar nicht verstanden. Was Ihr da sagt, das weiß ich wohl. Über solche Dinge macht niemand ein Aufhebens. Aber das ist in der Christenheit unerhört, daß einer sich zu seinem angetrauten Weibe noch ein zweites antrauen läßt. Und das hat der Hesse getan!«

Brandis und Stauffenburg stießen einen Laut der Verwunderung aus, der fast wie ein Schreckensruf klang. Wildefüer bog sich weit zurück und blickte dem Domherrn mit einem ungläubigen Lächeln ins Gesicht. »Das wird wohl bloß ein Gerücht sein, Hochwürden«, sagte er. »Der Landgraf ist der Kühnste unter den schmalkaldischen Fürsten, aber das darf er doch nicht wagen. Der Kaiserlichen Majestät peinliche Gerichtsordnung, die vor etlichen Jahren herauskam, setzt den Tod auf das Verbrechen der Bigamie. Wie dürft' ein Fürst des Reiches sich öffentlich dagegen vergehen! Es wird ein Geschwätz sein, Hochwürden, das Euch einer zugetragen hat.«

Der Domherr geriet in eine Erregung, die seinem sonst so gehaltenen Wesen ganz widersprach. »Meint Ihr?« rief er und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß es klatschte. »Da irrt Ihr Euch sehr. Wißt Ihr, woher ich die Zeitung habe? Von meinem günstigen Freunde, dem hochwürdigen Herrn von Eichstätt. Der Handel kommt zu Regensburg zur Sprache auf dem Reichstage.«

Wildefüer sprang von seinem Sitze auf. »Es ist also wahr, so unglaublich es ist?«

»Gewißlich wahr«, bekräftigte der Domherr. »Aber es kommt noch besser, noch viel besser. Der große Erzketzer zu Wittenberg, Doktor Martinus Luther, der Evangelist der Deutschen, wie er sich selber nennt, hat den ganzen Rat und Handel gebilligt. Es sollte geheim bleiben, aber es ist heraus, und bald werden es die Spatzen von allen Dächern pfeifen.«

Brandis und Stauffenburg, die beide heimlich Luthers Schriften lasen, fuhren nun gleichfalls von ihren Stühlen auf und blickten einander bestürzt an. »Das kann nicht möglich sein«, murmelte Stauffenburg. Wildefüer aber rief mit funkelnden Augen: »Wenn das wahr ist, Hochwürden, so tut es der Ketzerei mehr Schaden und Abbruch als tausendmal tausend Bücher und Schriften, die unsere Gelehrten gegen sie schreiben. Dann kann alle Welt mit Händen greifen, welch böse Früchte dieser Baum bringt. Er hat abgeleugnet, daß die teuflischen Schandbuben von Münster von ihm ausgegangen sind. Nun zeigt er, daß sie mit ihm gleichen Geistes waren, daß er, wie sie, erlaubte, mehrere Weiber zu nehmen. Nur möcht' ich erst sicher wissen, ob es auch wahr ist. Ich kann ihm solche Dummheit kaum zutrauen.«

Der Domherr nickte eifrig mit dem Kopfe und rieb sich die fleischigen Hände. »Ihr dürft es für gewiß und wahr halten. Der Landgraf hat ihm ein Fuder Wein verehrt und ihn als seinen Schwager begrüßt, denn das Weib, das er sich hat antrauen lassen, ist eine von der Saale, und die sind nahe mit denen von Bora verwandt. Die entlaufene Nonne, die der Erzketzer geehelicht hat, ist, wie Ihr wohl wißt, eine Bora.«

»Dann werden viele an ihm irre werden, die jetzt auf ihn schwören!« sagte Wildefüer. Er dachte dabei an eine, die nun schon seit einem halben Jahre bei den Schwestern im Süsternkloster wie eine Gefangene lebte und dennoch keine Willigkeit zeigte, ihren Glauben abzuschwören. »Das sollte man auf allen Straßen und Plätzen ausrufen lassen und mit allen Glocken dazu läuten«, fügte er hinzu.

»Läuten wir zuvörderst einmal mit den Gläsern dazu!« rief der Domherr. »Ein Pereat der Ketzerei allerwegen! Ein Vivat unserer alten heiligen Kirche!« Er hob sein Glas hoch empor und ließ es kräftig an Wildefüers Glas erklingen. Den beiden Ratsmannen war es sehr unbehaglich zumute bei diesem Trinkspruche, aber sie wagten nicht, sich auszuschließen, und stießen mit an, freilich mit niedergeschlagenen Augen und verlegenem Lächeln.

Wildefüer hatte sein Glas bis auf den Grund geleert und hielt es seinem Eidam hin, daß er es ihm von neuem fülle. Was der Domherr erzählt hatte, war ihm eingegangen wie alter Wein, der des Menschen Herz erfreut. Wenn die Tat Herzog Heinrichs, deren Mitwisser er geworden war, ans Licht kam, so mußte sie der katholischen Sache Schande und Schaden bringen, und sie kam ans Licht, das sagte ihm eine innere Stimme. Nun aber war ihr Ruchbarwerden nicht mehr so gefährlich wie bisher. Nun konnte man den Lutheranern entgegenhalten: Was ist denn schlimmer: Sein Weib mit einer anderen betrügen, oder die uralte, heilige, von Gott eingesetzte Ordnung des Ehestandes mißachten und zerstören, indem man sich frei und frech, wenn man der einen überdrüssig war, noch eine zweite antrauen läßt? So weit war es gekommen im deutschen Lande! Was der »König von Zion«, der verrückte Schneider von Leyden, in Münster getan hatte, das tat jetzt einer der ersten Fürsten des Reiches, derselbe Fürst, der die Greuel der täuferischen Rotte in Münster hatte unterdrücken helfen.

Voller Hohn und Grimm lachte er laut auf, und der Schall seines Lachens hallte mächtig wider in dem Gewölbe. Kaum aber war es verklungen, so wurde ein anderer Schall hörbar, und die Köpfe der vier fuhren herum. Es wuchtete einer heran mit schwerem Tritt, ein Mann in eiserner Rüstung, als wolle er in den Streit ziehen. Nur der Helm auf seinem Haupte fehlte; er mochte ihn wohl draußen haben hängen lassen am Sattel seines Rosses. Hans Wildefüer erkannte ihn auf der Stelle, noch ehe das Licht auf ihn fiel. Wie Herzog Heinrich sein Haupt allezeit nach der linken Seite geneigt trug, so trug dieser Mann, der sein Todfeind war, den Kopf allezeit im Nacken. Es war Klaus Barner, der wildeste, fehdelustigste und gefürchtetste Ritter des Niedersächsischen Kreises. Einst in den Tagen der großen Stiftsfehden hatte er an der Seite der Hildesheimer gegen den braunschweigischen Welfen gefochten, und damals war Hans Wildefüer sein Freund und Zeltgenosse gewesen. Die Freundschaft der beiden hatte aber nicht lange Bestand gehabt, denn später war Barner mehrmals der Stadt Feind geworden, und Hans Wildefüer, damals der Stadt oberster Rittmeister, hatte ihn einmal im freien Felde zur Flucht genötigt und beinahe in seine Gewalt gebracht. Noch trug der Ritter die Narbe an der Stirn, die ihm Wildefüers furchtbarer Hammer, seine liebste Handwaffe, durch die Sturmhaube geschlagen. Dann hatte die Stadt sich wieder mit ihm vertragen und lebte zurzeit mit ihm in Frieden.

So trat denn Wildefüer auf ihn zu, bot ihm den Willkommensgruß und sagte: »Setze dich zu uns, Klaus Barner, und tue uns Bescheid! Was führt dich nach Hildesheim?«

Der Ritter blieb vor dem Tische stehen und ließ seine funkelnden Augen von einem zum andern gehen. Wildefüers ausgestreckte Hand nahm er nicht. »Ich weiß noch nicht, Hans Wildefüer, ob ich dir Bescheid tun kann. Ich suche Herrn Wilke von Münchhausen und ward hierher gewiesen. Es ist ein absonderlicher Zufall, daß ich auch dich hier finde. Denn auch mit dir habe ich ein Hühnchen zu rupfen.«

»Mit mir?« rief Wildefüer verwundert. »Was habe ich mit dir zu schaffen?«

»Das wirst du hernach erfahren. Zuvörderst muß ich wissen, woran ich mit dem von Münchhausen bin. Ihr wißt, Gesalbter des Herrn, was ich von Euch will?«

Der Domherr ahnte es gar wohl, aber er heuchelte Unwissenheit. Ihm war sehr unbehaglich in der Nähe des gewalttätigen Landschaden, und er segnete den Zufall, der den Bürgermeister und seine Begleiter gerade jetzt an seine Seite geführt hatte.

»Ihr habt den Hof gekauft, den mein Vetter Jürgen hier in der Stadt hinterlassen hat«, schnaubte ihn der Ritter an. »Den Kauf macht rückgängig, Herr, das rate ich Euch. Wollt Ihr, oder wollt Ihr nicht?«

»Erlaubet«, erwiderte der Domherr, dem vor Schrecken die Sprache fast versagte. »Ich habe ihn gekauft von dem rechtmäßigen Erben, dem Herr Jürgen ihn hinterlassen hatte in seinem Testament.«

Barner schlug sich mit der Faust gegen den Brustharnisch. »Der alte Narr durfte gar kein Testament machen über den Hof!« schrie er. »Vor sechs Jahren schon hatte er ihn mir zugesprochen vor vier ritterlichen Zeugen. Wie durft' er ihn da vererben?«

»Erlaubt,« warf Münchhausen ein, »das hab' ich nicht gewußt.«

»Das lügt Ihr, Domherr. Ihr habt's gewußt, und Euer ganzes Kapitel hat's gewußt, und der ganze Kauf ist ein abgekartetes Spiel. Aber den Teufel will ich tun und mit mir spielen lassen, Ihr Pfaffen! Macht Ihr den Kauf rückgängig oder nicht?«

Der Domherr wand sich auf seinem Stuhle. Er ächzte, und der Schweiß brach ihm aus, aber er brachte kein Wort über die Lippen.

Da kam ihm Wildefüer zu Hilfe. »Ich denke,« sagte er, »man muß Herrn Wilke Zeit lassen zum Überlegen.«

»Nein!« schrie Barner. »Kein Überlegen! Auf der Stelle soll der Pfaffe sich entscheiden, ob er mein Recht anerkennt oder nicht.«

»Du wirst ihm dennoch Zeit lassen müssen, denn ich will es«, sprach Wildefüer mit unerschütterlicher Ruhe. »Auf Hildesheimer Boden gibt es keine Gewalttat, soweit ich sie hindern kann, und ich kann sie hindern. – Ich rate dir dringend, Klaus Barner, dein Schwert in der Scheide zu lassen. Hast du es geblößt, so kommst du nicht mehr aus Hildesheim hinaus.«

Sprachlos vor Wut blickte ihm der Ritter in die Augen, die fest und ernst auf ihn gerichtet waren. Dann mit einem Male brach er in ein wieherndes Gelächter aus. »Hans Wildefüer! Schirmherr der Pfaffen!« rief er. »Ich danke dir für deine Warnung und wahrlich, ich werde sie dir nicht vergessen. Doch wirst du mich nicht hindern, daß ich Herrn Wilke zum dritten Male frage, ob er mir zu meinem Recht verhelfen will oder nicht.«

»Wir müssen wohl Schiedsmänner –« begann der Domherr vorsichtig.

»Ja oder nein!« unterbrach ihn Barner.

Der Domherr schwieg.

»So tragt die Folgen!« sagte Barner. Dann wandte er sich von ihm ab. »Und nun zu dir, Hans Wildefüer! Du hast eine Jungfrau in deiner Gewalt und enthältst sie wider alles Recht dem vor, dem sie verlobt ist. Du hast auch alle ihre Kleinodien in Verwahrung, dazu das Geld, das du erlöst hast für ihr Haus in Goslar. Über das alles hast du sie ins Kloster gesteckt.«

»Das alles geht dich gar nichts an!« rief Wildefüer, und sein Antlitz bedeckte sich mit dunkler Röte.

»Du wirst gleich hören, was es mich angeht«, fuhr der Ritter fort. »Christof von Hagen, das wisse, ist mein Freund geworden und hat mich um Gottes willen gebeten, ich möchte mich seines Rechtes annehmen. Und so fordere ich dich denn auf, du wollest die Jungfrau ihrem Verlobten zustellen und ihr ganzes Vermögen. Er ist heute mit mir hergeritten.«

»In die Stadt?« rief Wildefüer. »Wer aus der Stadt verfestet ist und kehrt dennoch heim vor der Zeit, der verfällt dem Schwert. Das weiß er gar wohl.«

»Er ist so albern nicht, wie du meinst«, entgegnete Barner. »Die Stadt zu betreten, hütet er sich, aber er sitzt in der Neustadt, wohin dein Arm nicht reicht. Nun, Hans Wildefüer, wie denkst du? Willst du es halten, wie ich's gefordert habe?«

Wildefüer blickte ihm finster ins Gesicht. »Der ehrvergessene Bube hat dir die Fehde gegen mich verkauft, das merke ich wohl, und daß du Streit suchst mit mir und uns allen, das merke ich auch. Aber ich habe nur einen guten Rat für dich: Hebe dich von hinnen, so schnell deines Pferdes Beine laufen können! Das ist meine Antwort.«

Der Ritter stieß sein Schwert so hart auf den Boden auf, daß es in der Scheide klirrte. Über sein hageres Gesicht fuhr ein höhnisches Zucken. »Dein letztes Wort, Hans Wildefüer?«

»Mein erstes und letztes.«

»Dann sage ich Euch, Bürgermeister und Rat, Pfaffen und Laien von Hildesheim: Auch Ihr werdet die Folgen tragen wie der da!«

Ohne Gruß drehte er sich um und schritt nach dem Ausgange des Kellers.

»Was wird nun?« stöhnte der Domherr.

»Eine Fehde, Hochwürden«, erwiderte Wildefüer ruhig. »Noch ehe wir einen Tag älter sind, sagt er sie uns an, mir und Euch, kann sein, dem Kapitel auch und der ganzen Stadt. Ich komme gegen Abend zu Herrn Ludolf von Veltheim. Seid auch da, wir wollen über die Sache dort weiter reden.« Er ergriff sein Glas und trank es im Stehen aus. »Kommt mit mir, Tilo und Stauffenburg. Es wird gleich Mittag läuten, und eure Weiber werden auf euch warten. Gehabt Euch wohl, Hochwürden!«

Mit ernsten Gesichtern folgten ihm die beiden. Als sie vor der Treppe standen, die zum Lichte hinaufführte, hörten sie draußen die Hufe der Gäule klappern, auf denen Klaus Barner mit seinen Knechten von dannen ritt. Da seufzte Herr Tilo Brand aus tiefer Brust, denn es erschien ihm rätlich, seine Wagen zu dieser Zeit doch lieber nicht nach Mansfeld und Nordhausen zu schicken.


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