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Fünftes Kapitel.
Ueber die zweite Klasse der Objekte für das Subjekt und die in ihr herrschende Gestaltung des Satzes vom zureichenden Grunde.

§ 26.
Erklärung dieser Klasse von Objekten.

Der allein wesentliche Unterschied zwischen Mensch und Thier, den man von jeher einem, Jenem ausschließlich eigenen und ganz besonderen Erkenntnißvermögen, der Vernunft, zugeschrieben hat, beruht darauf, daß der Mensch eine Klasse von Vorstellungen hat, deren kein Thier theilhaft ist: es sind die Begriffe, also die abstrakten Vorstellungen; im Gegensatz der anschaulichen, aus welchen jedoch jene abgezogen sind. Die nächste Folge hievon ist, daß das Thier weder spricht, noch lacht; mittelbare Folge aber alles das Viele und Große, was das menschliche Leben vor dem thierischen auszeichnet. Denn durch den Hinzutritt der abstrakten Vorstellung ist nunmehr auch die Motivation eine anderartige geworden. Wenn gleich die Handlungen des Menschen mit nicht minder strenger Nothwendigkeit, als die der Thiere, erfolgen; so ist doch durch die Art der Motivation, sofern sie hier aus Gedanken besteht, welche die Wahlentscheidung (d. i. den bewußten Konflikt der Motive) möglich machen, das Handeln mit Vorsatz, mit Ueberlegung, nach Plänen, Maximen, in Uebereinstimmung mit Andern u. s. w., an die Stelle des bloßen Impulses durch vorliegende, anschauliche Gegenstände getreten, dadurch aber alles Das herbeigeführt, was des Menschen Leben so reich, so künstlich und so schrecklich macht, daß er, in diesem Occident, der ihn weiß gebleicht hat und wohin ihm die alten, wahren, tiefen Ur-Religionen seiner Heimath nicht haben folgen können, seine Brüder nicht mehr kennt, sondern wähnt, die Thiere seien etwas von Grund aus Anderes, als er, und, um sich in diesem Wahne zu befestigen, sie Bestien nennt, alle ihre ihm gemeinsamen Lebensverrichtungen an ihnen mit Schimpfnamen belegt und sie für rechtlos ausgiebt, indem er gegen die sich aufdrängende Identität des Wesens in ihm und ihnen sich gewaltsam verstockt.

Dennoch besteht, wie eben gesagt, der ganze Unterschied darin, daß, außer den anschaulichen Vorstellungen, die wir im vorigen Kapitel betrachtet haben und deren die Thiere ebenfalls theilhaft sind, der Mensch auch noch abstrakte, d. h. aus jenen abgezogene Vorstellungen in seinem, hauptsächlich hiezu so viel voluminöserem Gehirn beherbergt. Man hat solche Vorstellungen Begriffe genannt, weil jede derselben unzählige Einzeldinge in, oder vielmehr unter sich begreift, also ein Inbegriff derselben ist. Man kann sie auch definiren als Vorstellungen aus Vorstellungen. Denn bei ihrer Bildung zerlegt das Abstraktionsvermögen die, im vorigen Kapitel behandelten, vollständigen, also anschaulichen Vorstellungen in ihre Bestandtheile, um diese abgesondert, jeden für sich, denken zu können als die verschiedenen Eigenschaften, oder Beziehungen, der Dinge. Bei diesem Processe nun aber büßen die Vorstellungen nothwendig die Anschaulichkeit ein, wie Wasser, wenn in seine Bestandtheile zerlegt, die Flüssigkeit und Sichtbarkeit. Denn jede also ausgesonderte (abstrahirte) Eigenschaft läßt sich für sich allein wohl denken, jedoch darum nicht für sich allein auch anschauen. Die Bildung eines Begriffs geschieht überhaupt dadurch, daß von dem anschaulich Gegebenen Vieles fallen gelassen wird, um dann das Uebrige für sich allein denken zu können: derselbe ist also ein Wenigerdenken, als angeschaut wird. Hat man, verschiedene anschauliche Gegenstände betrachtend, von jedem etwas Anderes fallen lassen und doch bei Allen das Selbe übrig behalten; so ist dies das genus jener Species. Demnach ist der Begriff eines jeden genus der Begriff einer jeden darunter begriffenen Species, nach Abzug alles Dessen, was nicht allen Speciebus zukommt. Nun kann aber jeder mögliche Begriff als ein genus gedacht werden: daher ist er stets ein Allgemeines und als solches ein nicht Anschauliches. Darum auch hat er eine Sphäre, als welche der Inbegriff alles durch ihn Denkbaren ist. Je höher man nun in der Abstraktion aufsteigt, desto mehr läßt man fallen, also desto weniger denkt man noch. Die höchsten, d. i. die allgemeinsten Begriffe sind die ausgeleertesten und ärmsten, zuletzt nur noch leichte Hülsen, wie z. B. Seyn, Wesen, Ding, Werden u. dgl. m. – Was können, beiläufig gesagt, philosophische Systeme leisten, die bloß aus dergleichen Begriffen herausgesponnen sind und zu ihrem Stoff nur solche leichte Hülsen von Gedanken haben? Sie müssen unendlich leer, arm und daher eben auch suffokirend langweilig ausfallen.

Da nun, wie gesagt, die, zu abstrakten Begriffen sublimirten und dabei zersetzten Vorstellungen alle Anschaulichkeit eingebüßt haben; so würden sie dem Bewußtseyn ganz entschlüpfen und ihm zu den damit beabsichtigten Denkoperationen gar nicht Stand halten; wenn sie nicht durch willkürliche Zeichen sinnlich fixirt und festgehalten würden: dies sind die Worte. Daher bezeichnen diese, so weit sie den Inhalt des Lexikons, also die Sprache, ausmachen, stets allgemeine Vorstellungen, Begriffe, nie anschauliche Dinge: ein Lexikon, welches hingegen Einzeldinge aufzählt, enthält nicht Worte, sondern lauter Eigennamen und ist entweder ein geographisches, oder ein historisches, d. h. entweder das durch den Raum, oder das durch die Zeit Vereinzelte aufzählend, indem, wie meine Leser wissen, Zeit und Raum das principium individuationis sind. Bloß weil die Thiere auf anschauliche Vorstellungen beschränkt und keiner Abstraktion, mithin keines Begriffes, fähig sind, haben sie keine Sprache; selbst wenn sie Worte auszusprechen vermögen: hingegen verstehn sie Eigennamen. Daß der selbe Mangel es ist, der sie vom Lachen ausschließt, erhellt aus meiner Theorie des Lächerlichen, im ersten Buche der »Welt als W. u. V.« § 13, und Bd. 2, Kap. 8.

Wenn man die längere und zusammenhängende Rede eines ganz rohen Menschen analysirt; so findet man darin einen solchen Reichthum an logischen Formen, Gliederungen, Wendungen, Distinktionen und Feinheiten jeder Art, richtig ausgedrückt mittelst grammatischer Formen und deren Flexionen und Konstruktionen, auch mit häufiger Anwendung des sermo obliquus, der verschiedenen Modi des Verbums, u. s. w., Alles regelrecht; so daß es zum Erstaunen ist und man eine sehr ausgedehnte und wohlzusammenhängende Wissenschaft darin erkennen muß. Die Erwerbung dieser ist aber geschehn auf Grundlage der Auffassung der anschaulichen Welt, deren ganzes Wesen in die abstrakten Begriffe abzusetzen das fundamentale Geschäft der Vernunft ist, welches sie nur mittelst der Sprache ausführen kann. Mit der Erlernung dieser daher wird der ganze Mechanismus der Vernunft, also das Wesentliche der Logik, zum Bewußtseyn gebracht. Offenbar kann Dieses nicht ohne große Geistesarbeit und gespannte Aufmerksamkeit geschehn, die Kraft zu welcher den Kindern ihre Lernbegierde verleiht, als welche stark ist, wenn sie das wahrhaft Brauchbare und Nothwendige vor sich sieht, und nur dann schwach erscheint, wann wir dem Kinde das ihm Unangemessene aufdringen wollen. Also bei der Erlernung der Sprache, sammt aller ihrer Wendungen und Feinheiten, sowohl mittelst Zuhören der Reden Erwachsener, als mittelst Selbstreden, vollbringt das Kind, sogar auch das roh aufgezogene, jene Entwickelung seiner Vernunft und erwirbt sich jene wahrhaft konkrete Logik, als welche nicht in den logischen Regeln, sondern unmittelbar in der richtigen Anwendung derselben besteht; wie ein Mensch von musikalischer Anlage die Regeln der Harmonie, ohne Notenlesen und Generalbaß, durch bloßes Klavierspielen nach dem Gehör, erlernt. – Die besagte logische Schule, mittelst Erlernung der Sprache, macht nur der Taubstumme nicht durch: deshalb ist er fast so unvernünftig wie das Thier, wenn er nicht die ihm angemessene, sehr künstliche Ausbildung, durch Lesenlernen, erhält, die ihm das Surrogat jener naturgemäßen Schule der Vernunft wird.

§ 27.
Nutzen der Begriffe.

Unsere Vernunft, oder das Denkvermögen, hat, wie in Obigem gezeigt worden, zu ihrem Grundwesen das Abstraktionsvermögen, oder die Fähigkeit, Begriffe zu bilden: die Gegenwart dieser im Bewußtseyn ist es also, welche so erstaunliche Resultate herbeiführt. Daß sie Dieses leisten könne, beruht, im Wesentlichen, auf Folgendem.

Eben dadurch, daß Begriffe weniger in sich enthalten, als die Vorstellungen daraus sie abstrahirt worden, sind sie leichter zu handhaben, als diese, und verhalten sich zu ihnen ungefähr wie die Formeln in der höheren Arithmetik zu den Denkoperationen, aus denen solche hervorgegangen sind und die sie vertreten, oder wie der Logarithmus zu seiner Zahl. Sie enthalten von den vielen Vorstellungen, aus denen sie abgezogen sind, gerade nur den Theil, den man eben braucht; statt daß, wenn man jene Vorstellungen selbst, durch die Phantasie, vergegenwärtigen wollte, man gleichsam eine Last von Unwesentlichem mitschleppen müßte und dadurch verwirrt würde: jetzt aber, durch Anwendung von Begriffen, denkt man nur die Theile und Beziehungen aller dieser Vorstellungen, die der jedesmalige Zweck erfordert. Ihr Gebrauch ist demnach dem Abwerfen unnützen Gepäckes, oder auch dem Operiren mit Quintessenzen, statt mit den Pflanzenspecies selbst, mit der Chinine statt der China, zu vergleichen. Ueberhaupt ist es die Beschäftigung des Intellekts mit Begriffen, also die Gegenwart der jetzt von uns in Betrachtung genommenen Klasse von Vorstellungen im Bewußtseyn, welche eigentlich und im engem Sinne Denken heißt. Sie auch wird durch das Wort Reflexion bezeichnet, welches, als ein optischer Tropus, zugleich das Abgeleitete und Sekundäre dieser Erkenntnißart ausdrückt. Dieses Denken, diese Reflexion ertheilt nun dem Menschen jene Besonnenheit, die dem Thiere abgeht. Denn, indem sie ihn befähigt, tausend Dinge durch Einen Begriff, in jedem aber immer nur das Wesentliche zu denken, kann er Unterschiede jeder Art, also auch die des Raumes und der Zeit, beliebig fallen lassen, wodurch er, in Gedanken, die Uebersicht der Vergangenheit und Zukunft, wie auch des Abwesenden, erhält; während das Thier in jeder Hinsicht an die Gegenwart gebunden ist. Diese Besonnenheit nun wieder, also die Fähigkeit sich zu besinnen, zu sich zu kommen, ist eigentlich die Wurzel aller seiner theoretischen und praktischen Leistungen, durch welche der Mensch das Thier so sehr übertrifft; zunächst nämlich der Sorge für die Zukunft, unter Berücksichtigung der Vergangenheit, sodann des absichtlichen, planmäßigen, methodischen Verfahrens bei jedem Vorhaben, daher des Zusammenwirkens Vieler zu Einem Zweck, mithin der Ordnung, des Gesetzes, des Staats, u. s. w. – Ganz besonders aber sind die Begriffe das eigentliche Material der Wissenschaften, deren Zwecke sich zuletzt zurückführen lassen auf Erkenntniß des Besonderen durch das Allgemeine, welche nur mittelst des dictum de omni et nullo und dieses wieder nur durch das Vorhandenseyn der Begriffe möglich ist. Daher sagt Aristoteles: ανευ μεν γαρ των καθολου ουκ εστιν επιστημην λαβειν ( absque universalibus enim non datur scientia). ( Metaph. XII, c. 9.) Die Begriffe sind eben jene Universalia, um deren Daseynsweise sich, im Mittelalter, der lange Streit der Realisten und Nominalisten drehte.

§ 28.
Repräsentanten der Begriffe. Die Urtheilskraft.

Mit dem Begriff ist, wie schon gesagt, das Phantasma überhaupt nicht zu verwechseln, als welches eine anschauliche und vollständige, also einzelne, jedoch nicht unmittelbar durch Eindruck auf die Sinne hervorgerufene, daher auch nicht zum Komplex der Erfahrung gehörige Vorstellung ist. Auch dann aber ist das Phantasma vom Begriff zu unterscheiden, wann es als Repräsentant eines Begriffs gebraucht wird. Dies geschieht wenn man die anschauliche Vorstellung, aus welcher der Begriff entsprungen ist, selbst, und zwar diesem entsprechend, haben will; was allemal unmöglich ist: denn z. B. von Hund überhaupt, Farbe überhaupt, Triangel überhaupt, Zahl überhaupt giebt es keine Vorstellung, kein diesen Begriffen entsprechendes Phantasma. Alsdann ruft man das Phantasma z. B. irgend eines Hundes hervor, der, als Vorstellung, durchweg bestimmt, d. h. von irgend einer Größe, bestimmter Form, Farbe u. s. w. seyn muß, da doch der Begriff, dessen Repräsentant er ist, alle solche Bestimmungen nicht hat. Beim Gebrauch aber eines solchen Repräsentanten eines Begriffs ist man sich immer bewußt, daß er dem Begriff, den er repräsentirt, nicht adäquat, sondern voll willkürlicher Bestimmungen ist. In Uebereinstimmung mit dem hier Gesagten äußert sich Hume in seinen essays on human understanding, ess. 12. pars 1 gegen das Ende; und ebenfalls Rousseau, sur l’origine de l’inégalité, pars 1 in der Mitte. Etwas ganz Anderes hingegen lehrt darüber Kant, im Kapitel vom Schematismus der reinen Verstandesbegriffe. Nur innere Beobachtung und deutliches Besinnen kann die Sache entscheiden. Jeder untersuche demnach, ob er sich bei seinen Begriffen eines »Monogramms der reinen Einbildungskraft a priori«, z. B. wenn er Hund denkt, so etwas entre chien et loup, bewußt ist, oder ob er, den hier aufgestellten Erklärungen gemäß, entweder einen Begriff durch die Vernunft denkt, oder irgend einen Repräsentanten des Begriffs, als ein vollendetes Bild, durch die Phantasie vorstellt.

Alles Denken, im weitern Sinne des Worts, also alle innere Geistesthätigkeit überhaupt, bedarf entweder der Worte, oder der Phantasiebilder: ohne Eines von Beiden hat es keinen Anhalt. Aber Beide zugleich sind nicht erfordert; obwohl sie, zu gegenseitiger Unterstützung, ineinandergreifen können. Das Denken im engern Sinne, also das abstrakte, mit Hülfe der Worte vollzogene, ist nun entweder rein logisches Räsonnement, wo es dann gänzlich auf seinem eigenen Gebiete bleibt; oder es streift an die Gränze der anschaulichen Vorstellungen, um sich mit diesen auseinanderzusetzen, in der Absicht, das empirisch Gegebene und anschaulich Erfaßte mit deutlich gedachten abstrakten Begriffen in Verbindung zu bringen, um es so ganz zu besitzen. Es sucht also entweder zum gegebenen anschaulichen Fall den Begriff, oder die Regel, unter die er gehört; oder aber zum gegebenen Begriff, oder Regel, den Fall, der sie belegt. In dieser Eigenschaft ist es Thätigkeit der Urtheilskraft, und zwar (nach Kants Eintheilung) im erstern Falle reflektirende, im andern subsumirende. Die Urtheilskraft ist demnach die Vermittlerin zwischen der anschauenden und der abstrakten Erkenntnißart, oder zwischen Verstand und Vernunft. Bei den meisten Menschen ist sie nur rudimentarisch, oft sogar nur nominell, vorhanden: Wer dies für hyperbolisch hält, betrachte das Schicksal der Goethe'schen Farbenlehre: und wundert er sich, daß ich daran einen Beleg finde; so hat er selbst einen zweiten dazu gegeben. sie sind bestimmt, von Andern geleitet zu werden. Man soll mit ihnen nicht mehr reden, als nöthig ist.

Das mit Hülfe anschaulicher Vorstellungen operirende Denken ist der eigentliche Kern aller Erkenntniß, indem es zurückgeht auf die Urquelle, auf die Grundlage aller Begriffe. Daher ist es der Erzeuger aller wahrhaft originellen Gedanken, aller ursprünglichen Grundansichten und aller Erfindungen, so fern bei diesen nicht der Zufall das Beste gethan hat. Bei demselben ist der Verstand vorwaltend thätig, wie bei jenem ersteren, rein abstrakten, die Vernunft. Ihm gehören gewisse Gedanken an, die lange im Kopfe herumziehn, gehn und kommen, sich bald in diese, bald in jene Anschauung kleiden, bis sie endlich, zur Deutlichkeit gelangend, sich in Begriffen fixiren und Worte finden. Ja, es giebt deren, welche sie nie finden; und leider sind dies die besten: quae voce meliora sunt, wie Apulejus sagt.

Aber Aristoteles ist zu weit gegangen, indem er meinte, daß kein Denken ohne Phantasiebilder vor sich gehn könne. Seine Aeußerungen hierüber, in den Büchern de anima III, c. c. 3, 7, 8, wie ουδεποτε νοει φαντασματος ἡ ψυχη ( anima sine phantasmate nunquam intelligit), und ὁταν θεωρῃ, αναγκη ἁμα φαντασμα τι θεωρειν ( qui contemplatur, necesse est, una cum phantasmate contempletur), desgleichen de memoria c. 1, νοειν ουκ εστι ανευ φαντασματος ( fieri non potest, ut sine phantasmate quidquam intelligatur), – haben jedoch viel Eindruck gemacht auf die Denker des 15. und 16. Jahrhunderts, von welchen sie daher öfter und mit Nachdruck wiederholt werden: so z. B. sagt Picus de Mirandula, de imaginatione c. 5: Necesse est, eum, qui ratiocinatur et intelligit, phantasmata speculari; – Melanchthon, de anima, p. 130, sagt: oportet intelligentem phantasmata speculari; – und Jord. Brunus, de compositione imaginum, p. 10, sagt: dicit Aristoteles: oportet scire volentem, phantasmata speculari. Auch Pomponatius, de immortalitate, p. 54 et 70, äußert sich in diesem Sinn. – Nur so viel läßt sich behaupten, daß jede wahre und ursprüngliche Erkenntniß, auch jedes ächte Philosophem, zu ihrem innersten Kern, oder ihrer Wurzel, irgend eine anschauliche Auffassung haben muß. Diese, obgleich ein Momentanes und Einheitliches, theilt nachmals der ganzen Auseinandersetzung, sei sie auch noch so ausführlich, Geist und Leben mit, – wie ein Tropfen des rechten Reagens der ganzen Auflösung die Farbe des bewirkten Niederschlags. Hat die Auseinandersetzung einen solchen Kern; so gleicht sie der Note einer Bank, die Kontanten in Kasse hat: jede andere, aus bloßen Begriffskombinationen entsprungene hingegen ist wie die Note einer Bank, die zur Sicherheit wieder nur andere, verpflichtende Papiere hinterlegt hat. Jedes bloß rein vernünftige Gerede ist so eine Verdeutlichung Dessen, was aus gegebenen Begriffen folgt, fördert daher eigentlich nichts Neues zu Tage, könnte also Jedem selbst zu machen überlassen bleiben, statt daß man täglich ganze Bücher damit füllt.

§ 29.
Satz vom zureichenden Grunde des Erkennens.

Aber auch das Denken im engern Sinne besteht nicht in der bloßen Gegenwart abstrakter Begriffe im Bewußtseyn, sondern in einem Verbinden, oder Trennen zweier, oder mehrerer derselben, unter mancherlei Restriktionen und Modifikationen, welche die Logik, in der Lehre von den Urtheilen, angiebt. Ein solches deutlich gedachtes und ausgesprochenes Begriffsverhältniß heißt nämlich ein Urtheil. In Beziehung auf diese Urtheile nun macht sich hier der Satz vom Grunde abermals geltend, jedoch in einer von der im vorigen Kapitel dargelegten sehr verschiedenen Gestalt, nämlich als Satz vom Grunde des Erkennens, principium rationis sufficientis cognoscendi. Als solcher besagt er, daß wenn ein Urtheil eine Erkenntniß ausdrücken soll, es einen zureichenden Grund haben muß: wegen dieser Eigenschaft erhält es sodann das Prädikat wahr. Die Wahrheit ist also die Beziehung eines Urtheils auf etwas von ihm Verschiedenes, das sein Grund genannt wird und, wie wir sogleich sehn werden, selbst eine bedeutende Varietät der Arten zuläßt. Da es jedoch immer etwas ist, darauf das Urtheil sich stützt, oder beruht; so ist der deutsche Name Grund passend gewählt. Im Lateinischen und allen von ihm abzuleitenden Sprachen fällt der Name des Erkenntnißgrundes mit dem der Vernunft selbst zusammen: also heißen Beide ratio, la ragione, la razon, la raison, the reason. Dies zeugt davon, daß man im Erkennen der Gründe der Urtheile die vornehmste Funktion der Vernunft, ihr Geschäft κατ' εξοχην, erkannte. Diese Gründe nun, worauf ein Urtheil beruhen kann, lassen sich in vier Arten abtheilen, nach jeder von welchen dann auch die Wahrheit, die es erhält, eine verschiedene ist. Diese sind in den nächsten vier Paragraphen aufgestellt.

§ 30.
Logische Wahrheit.

Ein Urtheil kann ein anderes Urtheil zum Grunde haben. Dann ist seine Wahrheit eine logische, oder formale. Ob es auch materiale Wahrheit habe, bleibt unentschieden und hängt davon ab, ob das Urtheil, darauf es sich stützt, materiale Wahrheit habe, oder auch die Reihe von Urtheilen, darauf dieses sich gründet, auf ein Urtheil von materialer Wahrheit zurückführe. – Eine solche Begründung eines Urtheils durch ein anderes entsteht immer durch eine Vergleichung mit ihm: diese geschieht nun entweder unmittelbar, in der bloßen Konversion, oder Kontraposition desselben; oder aber durch Hinzuziehung eines dritten Urtheils, wo denn aus dem Verhältnisse der beiden letzteren zu einander die Wahrheit des zu begründenden Urtheils erhellt. Diese Operation ist der vollständige Schluß. Er kommt sowohl durch Opposition als Subsumtion der Begriffe zu Stande. Da der Schluß, als Begründung eines Urtheils durch ein anderes, mittelst eines dritten, es immer nur mit Urtheilen zu thun hat und diese nur Verknüpfungen der Begriffe sind, welche letztere eben der ausschließliche Gegenstand der Vernunft sind; so ist das Schließen mit Recht für das eigenthümliche Geschäft der Vernunft erklärt worden. Die ganze Syllogistik ist nichts weiter, als der Inbegriff der Regeln zur Anwendung des Satzes vom Grunde auf Urtheile unter einander; also der Kanon der logischen Wahrheit.

Als durch ein anderes Urtheil begründet sind auch diejenigen anzusehn, deren Wahrheit aus den vier bekannten Denkgesetzen erhellt: denn eben diese sind Urtheile, aus denen die Wahrheit jener folgt. Z. B. das Urtheil: »Ein Triangel ist ein von drei Linien eingeschlossener Raum«, hat zum letzten Grunde den Satz der Identität, d. h. den durch diesen ausgedrückten Gedanken. Dieses: »Kein Körper ist ohne Ausdehnung«, hat zum letzten Grunde den Satz vom Widerspruch. Dieses: »Jedes Urtheil ist entweder wahr, oder nicht wahr«, hat zum letzten Grunde den Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Endlich dieses: »Keiner kann etwas als wahr annehmen, ohne zu wissen warum«, hat zum letzten Grunde den Satz vom zureichenden Grunde des Erkennens. Daß man, im gewöhnlichen Gebrauch der Vernunft, die aus den vier Gesetzen des Denkens folgenden Urtheile als wahr annimmt, ohne sie erst auf jene, als ihre Prämissen, zurückzuführen, da sogar der größte Theil der Menschen jene abstrakten Gesetze nie gehört hat, macht jene Urtheile so wenig von diesen als ihren Prämissen unabhängig, als, wenn Jemand sagt: »Nimmt man jenem Körper da seine Stütze, so wird er fallen«, dieses Urtheil, weil es möglich ist ohne daß der Satz »Alle Körper streben zum Mittelpunkt der Erde« jemals seinem Bewußtseyn gegenwärtig gewesen sei, dadurch von diesem als seiner Prämisse unabhängig wird. Daß man bisher in der Logik allen auf nichts außer den Denkgesetzen gegründeten Urtheilen eine innere Wahrheit beilegte, d. h. sie für unmittelbar wahr erklärte, und diese innere logische Wahrheit unterschied von der äußern logischen Wahrheit, welche das Beruhen auf einem andern Urtheil als Grund wäre, kann ich daher nicht billigen. Jede Wahrheit ist die Beziehung eines Urtheils auf etwas außer ihm, und innere Wahrheit ein Widerspruch.

§ 31.
Empirische Wahrheit.

Eine Vorstellung der ersten Klasse, also eine durch die Sinne vermittelte Anschauung, mithin Erfahrung, kann Grund eines Urtheils seyn: dann hat das Urtheil materiale Wahrheit, und zwar ist diese, sofern das Urtheil sich unmittelbar auf die Erfahrung gründet, empirische Wahrheit.

Ein Urtheil hat materiale Wahrheit, heißt überhaupt: seine Begriffe sind so mit einander verbunden, getrennt, eingeschränkt, wie es die anschaulichen Vorstellungen, durch die es begründet wird, mit sich bringen und erfordern. Dies zu erkennen ist unmittelbar Sache der Urtheilskraft, als welche, wie gesagt, das Vermittelnde zwischen dem anschauenden und dem abstrakten, oder diskursiven Erkenntnißvermögen, also zwischen Verstand und Vernunft, ist.

§ 32.
Transscendentale Wahrheit.

Die im Verstande und der reinen Sinnlichkeit liegenden Formen der anschauenden, empirischen Erkenntniß können, als Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung, Grund eines Urtheils seyn, das alsdann ein synthetisches a priori ist. Da ein solches Urtheil dennoch materiale Wahrheit hat; so ist diese eine transscendentale; weil das Urtheil nicht bloß auf der Erfahrung, sondern auf den in uns gelegenen Bedingungen der ganzen Möglichkeit derselben beruht. Denn es ist durch eben Das bestimmt, wodurch die Erfahrung selbst bestimmt wird: nämlich entweder durch die a priori von uns angeschauten Formen des Raumes und der Zeit, oder durch das a priori uns bewußte Gesetz der Kausalität. Beispiele solcher Urtheile sind Sätze wie: Zwei gerade Linien schließen keinen Raum ein. – Nichts geschieht ohne Ursache. – 3 × 7 = 21. – Materie kann weder entstehn noch vergehn. Eigentlich kann die ganze reine Mathematik, nicht weniger meine Tafel der Prädikabilia a priori, im 2. Bande der Welt a. W. und V., wie auch die meisten Sätze in Kants metaphys. Anfangsgr. d. Naturwissenschaft, als Beleg dieser Art der Wahrheit angeführt werden.

§ 33.
Metalogische Wahrheit.

Endlich können auch die in der Vernunft gelegenen formalen Bedingungen alles Denkens der Grund eines Urtheils seyn, dessen Wahrheit alsdann eine solche ist, die ich am besten zu bezeichnen glaube, wenn ich sie metalogische Wahrheit nenne; welcher Ausdruck übrigens nichts zu schaffen hat mit dem Metalogicus, den Joannes Sarisberriensis im 12. Jahrhundert geschrieben hat; da dieser, in seinem prologus, erklärt: quia Logicae suscepi patrocinium, Metalogicus inscriptus est liber, und von dem Worte weiter keinen Gebrauch macht. Solcher Urtheile von metalogischer Wahrheit giebt es aber nur vier, die man längst durch Induktion gefunden und Gesetze alles Denkens genannt hat, obgleich man sowohl über ihre Ausdrücke, als ihre Anzahl, noch immer nicht ganz einig, wohl aber über das, was sie überhaupt bezeichnen sollen, vollkommen einverstanden ist. Sie sind folgende: 1) Ein Subjekt ist gleich der Summe seiner Prädikate, oder a = a. 2) Einem Subjekt kann ein Prädikat nicht zugleich beigelegt und abgesprochen werden, oder a = -a = 0. 3) Von jeden zwei kontradiktorisch entgegengesetzten Prädikaten muß jedem Subjekt eines zukommen. 4) Die Wahrheit ist die Beziehung eines Urtheils auf etwas außer ihm, als seinen zureichenden Grund.

Daß diese Urtheile der Ausdruck der Bedingungen alles Denkens sind und daher diese zum Grunde haben, erkennen wir durch eine Reflexion, die ich eine Selbstuntersuchung der Vernunft nennen möchte. Indem sie nämlich vergebliche Versuche macht, diesen Gesetzen zuwider zu denken, erkennt sie solche als Bedingungen der Möglichkeit alles Denkens: wir finden alsdann, daß ihnen zuwider zu denken, so wenig angeht, wie unsere Glieder der Richtung ihrer Gelenke entgegen zu bewegen. Könnte das Subjekt sich selbst erkennen, so würden wir auch unmittelbar und nicht erst durch Versuche an Objekten, d. i. Vorstellungen, jene Gesetze erkennen. Mit den Gründen der Urtheile von transscendentaler Wahrheit ist es in dieser Hinsicht eben so: auch sie kommen ins Bewußtseyn nicht unmittelbar, sondern zuerst in concreto, mittelst Objekten, d. h. Vorstellungen. Versuchen wir z. B. eine Veränderung ohne vorhergängige Ursache, oder auch ein Entstehn, oder Vergehn von Materie zu denken; so werden wir uns der Unmöglichkeit der Sache bewußt, und zwar als einer objektiven; obwohl sie ihre Wurzel in unserm Intellekt hat; sonst wir sie ja nicht auf subjektivem Wege zum Bewußtseyn bringen könnten. Ueberhaupt ist zwischen den transscendentalen und metalogischen Wahrheiten eine große Aehnlichkeit und Beziehung bemerkbar, die auf eine gemeinschaftliche Wurzel beider deutet. Den Satz vom zureichenden Grunde vorzüglich sehn wir hier als metalogische Wahrheit, nachdem er im vorigen Kapitel als transscendentale Wahrheit aufgetreten war und im folgenden noch in einer andern Gestalt als transscendentale Wahrheit erscheinen wird. Daher eben bin ich in dieser Abhandlung bemüht, den Satz vom zureichenden Grunde als ein Urtheil aufzustellen, das einen vierfachen Grund hat, nicht etwan vier verschiedene Gründe, die zufällig auf das selbe Urtheil leiteten, sondern einen sich vierfach darstellenden Grund, den ich bildlich vierfache Wurzel nenne. Die drei andern metalogischen Wahrheiten haben eine so große Aehnlichkeit mit einander, daß man bei ihrer Betrachtung beinah nothwendig auf das Bestreben geräth, einen gemeinschaftlichen Ausdruck für sie zu suchen; wie auch ich Dies im 9. Kapitel des 2. Bandes meines Hauptwerks gethan habe. Dagegen sind sie vom Satze des zureichenden Grundes sehr unterschieden. Wollte man für jene drei andern metalogischen Wahrheiten ein Analogon unter den transscendentalen suchen; so würde wohl diese, daß die Substanz, will sagen die Materie, beharrt, zu wählen seyn.

§ 34.
Die Vernunft.

Da die in diesem Kapitel in Betrachtung genommene Klasse von Vorstellungen dem Menschen allein zukommt, und da alles Das, was sein Leben von dem der Thiere so mächtig unterscheidet und ihn so sehr in Vortheil gegen sie stellt, nachgewiesenermaaßen auf seiner Fähigkeit zu diesen Vorstellungen beruht; so macht diese, offenbar und unstreitig, jene Vernunft aus, welche von jeher als das Vorrecht des Menschen gerühmt worden ist; wie denn auch alles Das, was zu allen Zeiten und von allen Völkern ausdrücklich als Aeußerung oder Leistung der Vernunft, des λογος, λογιμον, λογιστικον, ratio, la ragione, la razon, la raison, reason, betrachtet worden, augenfällig zurückläuft auf das nur der abstrakten, diskursiven, reflektiven, an Worte gebundenen und mittelbaren Erkenntniß, nicht aber der bloß intuitiven, unmittelbaren, sinnlichen, deren auch die Thiere theilhaft sind, Mögliche. Ratio et oratio stellt Cicero, de offic. I, 16, ganz richtig zusammen und beschreibt sie als quae docendo, discendo, communicando, disceptando, judicando, conciliat inter se homines u. s. w. Eben so de nat. deor. II, 7: rationem dico, et, si placet, pluribus verbis, mentem, consilium, cogitationem, prudentiam. Auch de legib. I, 10: ratio, qua una praestamus beluis, per quam conjectura valemus, argumentamur, refellimus, disserimus, conficimus aliquid, concludimus. In diesem Sinne aber haben alle Philosophen überall und jederzeit von der Vernunft geredet, bis auf Kant, welcher übrigens selbst sie noch als das Vermögen der Principien und des Schließens bestimmt; wiewohl nicht zu leugnen ist, daß er Anlaß gegeben hat zu den nachherigen Verdrehungen. Ueber jene Uebereinstimmung aller Philosophen in diesem Punkt, und über die wahre Natur der Vernunft, im Gegensatz der Verfälschung ihres Begriffs durch die Philosophieprofessoren in diesem Jahrhundert, habe ich schon ausführlich geredet in der Welt a. W. und V. Bd. 1. § 8, wie auch im Anhange S. 577-585 [3. Aufl. S. 610-619], und abermals Bd. 2, Kap. 6; endlich auch in den Grundprobl. d. Ethik S. 148-154 [2. Aufl. S. 146-151], brauche also nicht alles dort Gesagte hier zu wiederholen; sondern knüpfe daran folgende Betrachtungen.

Die Philosophieprofessoren haben gerathen gefunden, jenem den Menschen vom Thier unterscheidenden Vermögen des Denkens und Ueberlegens, mittelst der Reflexion und der Begriffe, welches der Sprache bedarf und zu ihr befähigt, an dem die menschliche Besonnenheit hängt und mit ihr alle menschlichen Leistungen, welches daher in solcher Weise und in solchem Sinn von allen Völkern und auch von allen Philosophen stets aufgefaßt worden ist, seinen bisherigen Namen zu entziehn und es nicht mehr Vernunft, sondern, wider allen Sprachgebrauch und allen gesunden Takt, Verstand, und eben so alles aus demselben Fließende verständig, statt vernünftig zu nennen; welches dann allemal queer und ungeschickt, ja wie ein falscher Ton herauskommen mußte. Denn jederzeit und überall hat man als Verstand, intellectus, acumen, perspicacia, sagacitas u. s. w. das im vorigen Kapitel dargestellte, unmittelbare und mehr intuitive Vermögen bezeichnet und die aus ihm entspringenden, von den hier in Rede stehenden, vernünftigen specifisch verschiedenen Leistungen verständig, klug, fein u. s. w. genannt, demnach verständig und vernünftig stets vollkommen unterschieden, als Aeußerungen zweier gänzlich und weit verschiedener Geistesfähigkeiten. Allein die Philosophieprofessoren durften sich hieran nicht kehren: denn ihre Politik verlangte dieses Opfer, und in solchen Fällen heißt es: »Platz da, Wahrheit! wir haben höhere, wohlverstandene Zwecke: Platz, Wahrheit! in majorem Dei gloriam, wie du es längst gewohnt bist! Bezahlst du etwan Honorar und Gehalt? Platz, Wahrheit, Platz! geh zum Verdienst, und kauere in der Ecke.« Sie hatten nämlich die Stelle und den Namen der Vernunft nöthig für ein erfundenes und erdichtetes, richtiger und aufrichtiger ein völlig erlogenes Vermögen, das ihnen in den Nöthen, darin Kant sie versetzt hatte, aushelfen sollte, ein Vermögen unmittelbarer, metaphysischer, d. h. über alle Möglichkeit der Erfahrung hinausgehender, die Welt der Dinge an sich und ihre Verhältnisse erfassender Erkenntnisse, welches demnach vor Allem ein »Gottesbewußtseyn« ist, d. h. Gott den Herrn unmittelbar erkennt, auch die Art und Weise a priori konstruirt, wie er die Welt geschaffen, oder, wenn das zu trivial seyn sollte, wie er sie, durch einen mehr oder minder nothwendigen Lebensproceß, aus sich herausgetrieben und gewissermaaßen erzeugt, oder auch, was das Bequemste, wenn gleich hochkomisch ist, sie, nach Sitte und Brauch vornehmer Herren am Ende der Audienz, bloß »entlassen« habe, da sie dann selbst sich auf die Beine machen und marschiren möge, wohin es ihr gefällt. Zu diesem Letzteren war freilich nur die Stirn eines frechen Unsinnschmierers, wie Hegel, dreist genug. Dergleichen Narrenspossen also sind es, welche seit funfzig Jahren, unter dem Namen von Vernunfterkenntnissen, breit ausgesponnen, Hunderte sich philosophisch nennender Bücher füllen und, man sollte meinen ironischer Weise, Wissenschaft und wissenschaftlich genannt werden, sogar mit bis zum Ekel getriebener Wiederholung dieses Ausdrucks. Die Vernunft, der man so frech alle solche Weisheit anlügt, wird erklärt als ein »Vermögen des Uebersinnlichen«, auch wohl »der Ideen«, kurz, als ein in uns liegendes, unmittelbar auf Metaphysik angelegtes, orakelartiges Vermögen. Ueber die Art ihrer Perception aller jener Herrlichkeiten und übersinnlicher Wahrnehmungen herrscht jedoch, seit 50 Jahren, große Verschiedenheit der Ansichten unter den Adepten. Nach den Dreistesten hat sie eine unmittelbare Vernunftanschauung des Absolutums, oder auch ad libitum des Unendlichen, und seiner Evolutionen zum Endlichen. Nach Andern, etwas bescheideneren, verhält sie sich nicht sowohl sehend, als hörend, indem sie nicht gerade anschaut, sondern bloß vernimmt was in solchem Wolkenkukuksheim (νεφελοκοκκυγια) vorgeht, und dann dieses dem sogenannten Verstande treulich wiedererzählt, der danach philosophische Kompendien schreibt. Und von diesem angeblichen Vernehmen soll nun gar, nach einem Jacobischen Witz, die Vernunft ihren Namen haben; – als ob es nicht am Tage läge, daß er von der durch sie bedingten Sprache und dem Vernehmen der Worte, im Gegensatz des bloßen Hörens, welches auch den Thieren zukommt, genommen ist. Aber jener armsälige Witz florirt seit einem halben Jahrhundert, gilt für einen ernsthaften Gedanken, ja einen Beweis, und ist tausend Mal wiederholt worden. Nach den Bescheidensten endlich kann die Vernunft weder sehn, noch hören, empfängt also von allen besagten Herrlichkeiten weder den Anblick, noch den Bericht, sondern hat davon nichts weiter, als eine bloße Ahndung, aus welchem Worte nun aber das d ausgemerzt wird, wodurch dasselbe einen ganz eigenen Anstrich von Niaiserie erhält, welcher, durch die Schaafsphysiognomie des jedesmaligen Apostels solcher Weisheit unterstützt, ihr nothwendig Eingang verschaffen muß.

Meine Leser wissen, daß ich das Wort Idee nur in seinem ursprünglichen, dem Platonischen, Sinne gelten lasse, und diesen, besonders im 3. Buche meines Hauptwerks, gründlich ausgeführt habe. Der Franzose und Engländer andererseits verbindet mit dem Worte idée, oder idea, einen sehr alltäglichen, aber doch ganz bestimmten und deutlichen Sinn. Hingegen dem Deutschen, wenn man ihm von Ideen redet (zumal wenn man Uedähen ausspricht), fängt an, der Kopf zu schwindeln, alle Besonnenheit verläßt ihn, ihm wird, als solle er mit dem Luftballon aufsteigen. Da war also etwas zu machen für unsere Adepten der Vernunftanschauung; daher auch der frechste von allen, der bekannte Scharlatan Hegel, sein Princip der Welt und aller Dinge ohne Weiteres die Idee genannt hat, – woran dann richtig Alle meinten etwas zu haben. – Wenn man jedoch sich nicht verdutzen läßt, sondern fragt, was denn eigentlich die Ideen seien, als deren Vermögen die Vernunft bestimmt wird; so erhält man gewöhnlich, als Erklärung derselben, einen hochtrabenden, hohlen, konfusen Wortkram, in eingeschachtelten Perioden von solcher Länge, daß der Leser, wenn er nicht schon in der Mitte derselben eingeschlafen ist, sich am Ende mehr im Zustande der Betäubung, als in dem der erhaltenen Belehrung befindet, oder auch wohl gar auf den Verdacht geräth, es möchten ungefähr so etwas wie Chimären gemeint seyn. Verlangt er inzwischen, dergleichen Ideen speciell kennen zu lernen; so wird ihm allerlei aufgetischt: bald nämlich die Hauptthemata der Scholastik, welche leider Kant selbst, unberechtigter und fehlerhafter Weise, wie ich in meiner Kritik seiner Philosophie dargethan habe, Ideen der Vernunft genannt hat, jedoch nur, um sie als etwas schlechthin Unbeweisbares und theoretisch Unberechtigtes nachzuweisen: nämlich die Vorstellungen von Gott, einer unsterblichen Seele und einer realen, objektiv vorhandenen Welt und ihrer Ordnung; – auch wird wohl, als Variation, bloß Gott, Freiheit und Unsterblichkeit angeführt: bald wieder soll es seyn das Absolutum, welches wir oben § 20 als den nothgedrungen inkognito reisenden kosmologischen Beweis kennen gelernt haben; bisweilen aber auch das Unendliche, im Gegensatz des Endlichen, da an diesem Wortkram der deutsche Leser, in der Regel, sein Genügen hat und nicht merkt, daß er am Ende nichts Deutliches dabei denken kann, als nur »was ein Ende hat«, und »was keines hat.« Sehr beliebt sind ferner, als angebliche Ideen, vorzüglich bei den Sentimentalen und Gemüthlichen, »das Gute, das Wahre und das Schöne«; obwohl dies eben nur drei sehr weite und abstrakte, weil aus einer Unzahl von Dingen und Verhältnissen abgezogene, mithin auch sehr inhaltsarme Begriffe sind, wie tausend andere dergleichen Abstrakta mehr. Ihren Inhalt anlangend, habe ich oben, § 29, die Wahrheit nachgewiesen als eine ausschließlich den Urtheilen zukommende, also logische Eigenschaft; und über die beiden andern hier in Rede stehenden Abstrakta verweise ich theils auf die »Welt als W. und V.« Bd. 1, § 65, und theils auf das ganze dritte Buch des selben Werks. Allein wenn bei jenen drei magern Abstraktis nur recht mysteriös und wichtig gethan und die Augenbrauen bis in die Perücke hinauf gezogen werden; so können junge Leute leicht sich einbilden, daß Wunder was dahinter stecke, nämlich etwas ganz Apartes und Unaussprechliches, weshalb sie den Namen Ideen verdienen und somit vor den Triumphwagen jener vorgeblichen, metaphysischen Vernunft gespannt werden.

Wenn nun also gelehrt wird, wir besäßen ein Vermögen unmittelbarer, materieller (d. h. den Stoff, nicht bloß die Form liefernder) übersinnlicher (d. h. über alle Möglichkeit der Erfahrung hinausführender) Erkenntnisse, ein ausdrücklich auf metaphysische Einsichten angelegtes und zu solchem Behuf uns einwohnendes Vermögen, und hierin bestände unsere Vernunft; – so muß ich so unhöflich seyn, dies eine baare Lüge zu nennen. Denn die leichteste, aber ehrliche Selbstprüfung muß Jeden überzeugen, daß in uns ein solches Vermögen schlechterdings nicht vorhanden ist. Diesem entspricht eben auch was im Laufe der Zeit aus den Forschungen der berufenen, befähigten und redlichen Denker sich als Resultat ergeben hat, daß nämlich das Angeborene, daher Apriorische und von der Erfahrung Unabhängige unsers gesammten Erkenntnißvermögens durchaus beschränkt ist auf den formellen Theil der Erkenntniß, d. h. auf das Bewußtseyn der selbsteigenen Funktionen des Intellekts und der Weise ihrer allein möglichen Thätigkeit, welche Funktionen jedoch sammt und sonders des Stoffs von außen bedürfen, um materielle Erkenntnisse zu liefern. So liegen in uns die Formen der äußern, objektiven Anschauung, als Zeit und Raum, sodann das Gesetz der Kausalität, als bloße Form des Verstandes, mittelst welcher dieser die objektive Körperwelt aufbaut, endlich auch der formelle Theil der abstrakten Erkenntniß: dieser ist niedergelegt und dargestellt in der Logik, die deshalb von unsern Vätern ganz richtig Vernunftlehre benannt worden ist. Eben sie lehrt jedoch auch, daß die Begriffe, aus denen die Urtheile und Schlüsse bestehn, auf welche alle logischen Gesetze sich beziehn, ihren Stoff und Inhalt von der anschaulichen Erkenntniß zu erwarten haben; – eben wie der diese schaffende Verstand den Stoff, welcher seinen apriorischen Formen Inhalt giebt, aus der Sinnesempfindung nimmt.

Also alles Materielle in unserer Erkenntniß, d. h. Alles, was sich nicht auf subjektive Form, selbsteigene Thätigkeitsweise, Funktion des Intellekts zurückführen läßt, mithin der gesammte Stoff derselben, kommt von außen, nämlich zuletzt aus der, von der Sinnesempfindung ausgehenden, objektiven Anschauung der Körperwelt. Diese anschauliche und, dem Stoffe nach, empirische Erkenntniß ist es, welche sodann die Vernunft, die wirkliche Vernunft, zu Begriffen verarbeitet, die sie durch Worte sinnlich fixirt und dann an ihnen den Stoff hat zu ihren endlosen Kombinationen, mittelst Urtheilen und Schlüssen, welche das Gewebe unserer Gedankenwelt ausmachen. Die Vernunft hat also durchaus keinen materiellen, sondern bloß einen formellen Inhalt, und dieser ist der Stoff der Logik, welche daher bloße Formen und Regeln zu Gedankenoperationen enthält. Den materiellen Inhalt muß die Vernunft, bei ihrem Denken, schlechterdings von außen nehmen, aus den anschaulichen Vorstellungen, die der Verstand geschaffen hat. An diesen übt sie ihre Funktionen aus, indem sie, zunächst Begriffe bildend, von den verschiedenen Eigenschaften der Dinge Einiges fallen läßt und Anderes behält und es nun verbindet zu einem Begriff. Dadurch aber büßen die Vorstellungen ihre Anschaulichkeit ein, gewinnen dafür jedoch an Uebersichtlichkeit und Leichtigkeit der Handhabung; wie im Obigen gezeigt worden. – Dies also, und Dies allein, ist die Thätigkeit der Vernunft: hingegen Stoff aus eigenen Mitteln liefern kann sie nimmermehr. – Sie hat nichts, als Formen: sie ist weiblich, sie empfängt bloß, erzeugt nicht. Es ist nicht zufällig, daß sie, sowohl in den Lateinischen, wie den Germanischen Sprachen, als weiblich auftritt, der Verstand hingegen als männlich.

Wenn nun etwan gesagt wird: »Dies lehrt die gesunde Vernunft«, oder auch: »Die Vernunft soll die Leidenschaften zügeln« und dergl. mehr; so ist damit keineswegs gemeint, daß die Vernunft aus eigenen Mitteln materielle Erkenntnisse liefere; sondern man weist dadurch hin auf die Ergebnisse des vernünftigen Nachdenkens, also auf die logische Folgerung aus den Sätzen, welche die aus der Erfahrung bereicherte, abstrakte Erkenntniß allmälig gewonnen hat, und vermöge welcher wir sowohl das empirisch Nothwendige, also vorkommenden Falls Vorauszusehende, als auch die Gründe und Folgen unsers eigenen Thuns deutlich und leicht überblicken können. Ueberall ist »vernünftig« oder »vernunftgemäß« gleichbedeutend mit »folgerecht« oder »logisch«; wie auch umgekehrt; da ja die Logik eben nur das als ein System von Regeln ausgesprochene natürliche Verfahren der Vernunft selbst ist: jene Ausdrücke (vernünftig und logisch) verhalten sich also zu einander wie Praxis und Theorie. In eben diesem Sinne versteht man unter einer vernünftigen Handlungsweise eine ganz konsequente, also von allgemeinen Begriffen ausgehende und von abstrakten Gedanken, als Vorsätzen, geleitete, nicht aber durch den flüchtigen Eindruck der Gegenwart bestimmte; wodurch inzwischen über die Moralität einer solchen Handlungsweise nichts entschieden wird, sondern diese sowohl schlecht, als gut seyn kann. Hierüber findet man ausführliche Erläuterungen in meiner »Kritik der Kantischen Philosophie«, S. 576 fg. [3. Ausl. S. 610 fg.], wie auch in den »Grundproblemen der Ethik«, S.152 (2. Aufl. S. 149 fg.). Erkenntnisse aus reiner Vernunft endlich sind solche, deren Ursprung im formellen Theil unsers Erkenntnißvermögens, sei es des denkenden oder des anschauenden, liegt, die wir also a priori, d. h. ohne Hülfe der Erfahrung, uns zum Bewußtseyn bringen können: sie beruhen allemal auf Sätzen von transscendentaler, oder auch von metalogischer Wahrheit.

Hingegen eine, materielle Erkenntnisse ursprünglich und aus eigenen Mitteln liefernde, uns daher über alle Möglichkeit der Erfahrung hinaus, positiv belehrende Vernunft, als welche dazu angeborene Ideen enthalten müßte, ist eine reine Fiktion der Philosophieprofessoren und ein Erzeugniß der durch die Kritik der reinen Vernunft in ihnen hervorgerufenen Angst. – Kennen die Herren wohl einen gewissen Locke, und haben sie ihn gelesen? Vielleicht ein Mal, vor langer Zeit, obenhin, stellenweise, dabei mit wohlbewußter Superiorität auf den großen Mann herabsehend, zudem in schlechter, deutscher Tagelöhnerübersetzung: – denn daß die Kenntniß der neuern Sprachen in dem Maaße zunähme, wie, dem Himmel sei's geklagt, die der alten abnimmt, merke ich noch nicht. Freilich haben sie auch keine Zeit auf solche alte Knasterbärte zu verwenden gehabt; ist doch sogar eine wirkliche und gründliche Kenntniß der Kantischen Philosophie höchstens nur noch in einigen, sehr wenigen, alten Köpfen zu finden. Denn die Jugendzeit der jetzt im Mannesalter stehenden Generation hat verwendet werden müssen auf die Werke des »Riesengeistes Hegel«, des »großen Schleiermacher« und des »scharfsinnigen Herbart.« Leider, leider, leider! Denn Das eben ist das Verderbliche solcher Universitätscelebritäten und jenes aus dem Munde ehrsamer Kollegen im Amte und hoffnungsvoller Aspiranten zu solchem emporsteigenden Kathederheldenruhmes, daß der guten, gläubigen, urtheilslosen Jugend mittelmäßige Köpfe, bloße Fabrikwaare der Natur, als große Geister, als Ausnahmen und Zierden der Menschheit angepriesen werden; wonach dann dieselbe sich mit aller ihrer Jugendkraft auf das sterile Studium der endlosen und geistlosen Schreibereien solcher Leute wirft und die wenige, kostbare Zeit, die ihr zu höherer Bildung vergönnt worden, vergeudet, statt solche der wirklichen Belehrung zu widmen, welche die Werke der so seltenen, ächten Denker darbieten, dieser wahren Ausnahmen unter den Menschen, welche, rari nantes in gurġite vasto, im Laufe der Jahrhunderte nur hin und wieder ein Mal aufgetaucht sind, weil eben die Natur jeden ihrer Art nur Ein Mal machte und dann »die Form zerbrach.« Auch für sie würden diese gelebt haben, wenn sie nicht um ihren Antheil an ihnen wären betrogen worden durch die so überaus verderblichen Präkonen des Schlechten, diese Mitglieder der großen Kamerad- und Gevatterschaft der Alltagsköpfe, die allezeit florirt und ihr Panier hoch flattern läßt, als stehender Feind des sie demüthigenden Großen und Aechten. Durch eben Diese und ihr Treiben ist die Zeit so heruntergebracht, daß die, von unsern Vätern nur nach jahrelangem ernstlichen Studium und unter großer Anstrengung verstandene Kantische Philosophie der jetzigen Generation wieder fremd geworden ist, die nun davorsteht, wie ονος προς λυραν, und etwan rohe, plumpe, tölpelhafte Angriffe darauf versucht, – wie Barbaren Steine werfen gegen ein ihnen fremdartiges, griechisches Götterbild. Weil es denn nun so steht, liegt auch mir heute ob, den Verfechtern der unmittelbar erkennenden, vernehmenden, anschauenden, kurz materielle Kenntnisse aus eigenen Mitteln liefernden Vernunft, als etwas ihnen Neues, in dem seit 150 Jahren weltberühmten Werke Locke's das erste, ausdrücklich gegen alle angeborenen Erkenntnisse gerichtete Buch zu empfehlen, und noch speciell im 3. Kapitel desselben die §§ 21-26. Denn obwohl Locke in seinem Leugnen aller angeborenen Wahrheiten insofern zu weit geht, als er es auch auf die formalen Erkenntnisse ausdehnt, worin er später von Kant auf das Glänzendeste berichtigt worden ist; so hat er doch hinsichtlich aller materialen. d. i. Stoff gebenden Erkenntnisse vollkommen und unleugbar Recht.

Ich habe es schon in meiner Ethik gesagt, muß es jedoch wiederholen, weil, wie das Spanische Sprichwort lehrt, es keinen ärgern Tauben giebt, als den, der nicht hören will ( no hay peor sordo, que el que no quiere oir): wenn die Vernunft ein auf Metaphysik angelegtes, Erkenntnisse, ihrem Stoffe nach, lieferndes und demnach alle Möglichkeit der Erfahrung überschreitende Aufschlüsse gebendes Vermögen wäre; so müßte ja nothwendig über die Gegenstände der Metaphysik, mithin auch der Religion, da sie die selben sind, eine eben so große Uebereinstimmung unter dem Menschengeschlechte herrschen, wie über die Gegenstände der Mathematik; so daß, wenn etwan Einer in seinen Ansichten über Dergleichen von den Andern abwiche, er sofort als nicht recht bei Troste angesehn werden müßte. Aber gerade das Umgekehrte findet Statt: über kein Thema ist das Menschengeschlecht so durchaus uneinig, wie über das besagte. Seitdem Menschen denken, liegen überall die sämmtlichen philosophischen Systeme im Streit und sind einander zum Theil diametral entgegengesetzt; und seitdem Menschen glauben (welches noch länger her ist), bekämpfen einander die Religionen mit Feuer und Schwerdt, mit Exkommunikationen und Kanonen. Für sporadische Heterodoxe aber gab es, zur Zeit des recht lebendigen Glaubens, nicht etwan Narrenhäuser, sondern Inquisitionsgefängnisse, nebst Zubehör. Also auch hier spricht die Erfahrung laut und unabweisbar gegen das lügenhafte Vorgeben einer Vernunft, die ein Vermögen unmittelbarer, metaphysischer Erkenntnisse, oder, deutlicher geredet, Eingebungen von oben wäre, und über welche ein Mal strenges Gericht zu halten, es wahrlich an der Zeit ist; da, horribile dictu, eine so lahme, so palpable Lüge seit einem halben Jahrhundert in Deutschland überall kolportirt wird, jahraus jahrein vom Katheder auf die Bänke und dann wieder von den Bänken aufs Katheder wandert, ja sogar unter den Franzosen ein Paar Pinsel gefunden hat, die sich das Mährchen haben aufbinden lassen und nun damit in Frankreich hausiren gehn; woselbst jedoch der bon sens der Franzosen der raison transcendentale bald die Thüre weisen wird.

Aber wo ist denn die Lüge ausgeheckt, und wie ist das Mährchen in die Welt gekommen? – Ich muß es gestehn: den nächsten Anlaß hat leider Kants praktische Vernunft gegeben, mit ihrem kategorischen Imperativ. Diese nämlich ein Mal angenommen, hatte man weiter nichts nöthig, als derselben eine eben so reichsunmittelbare, folglich ex tripode die metaphysischen Wahrheiten verkündende theoretische Vernunft, als ihren Pendant, oder ihre Zwillingsschwester, beizugeben. Den glänzenden Erfolg der Sache habe ich geschildert in den Grundproblemen der Ethik S. 148 fg. [2. Aufl. S. 146 fg.], wohin ich verweise. Indem ich also einräume, daß Kant zu dieser erlogenen Annahme den Anlaß gegeben, muß ich jedoch hinzufügen: wer gerne tanzt, dem ist leicht gepfiffen. Ist es doch wie ein Fluch, der auf dem bipedischen Geschlechte lastet, daß, vermöge seiner Wahlverwandtschaft zum Verkehrten und Schlechten, ihm sogar an den Werken großer Geister gerade das Schlechteste, ja geradezu die Fehler, am besten gefallen; so daß es diese lobt und bewundert, hingegen das wirklich Bewunderungswürdige ihnen nur so mit hingehn läßt. Das wahrhaft Große, das eigentlich Tiefe in Kants Philosophie ist jetzt äußerst Wenigen bekannt: denn mit dem ernstlichen Studio seiner Werke mußte auch das Verständniß derselben aufhören. Sie werden nur noch kursorisch, zum Behuf historischer Kenntnißnahme, gelesen von Jenen, welche wähnen, nach ihm sei auch etwas gekommen, ja, erst das Rechte: daher man allem Gerede Dieser von Kantischer Philosophie anmerkt, daß sie nur die Schaale, die Außenseite derselben kennen, einen rohen Umriß davon nach Hause getragen, hie und da ein Wort aufgeschnappt haben, aber nie in den tiefen Sinn und Geist derselben eingedrungen sind. Was nun allen Solchen von jeher am besten im Kant gefallen hat, sind zuvörderst die Antinomien, als ein gar vertracktes Ding, noch mehr aber die praktische Vernunft, mit ihrem kategorischen Imperativ, und wohl gar noch die darauf gesetzte Moraltheologie, mit der es jedoch Kanten nie Ernst gewesen ist; da ein theoretisches Dogma von ausschließlich praktischer Geltung der hölzernen Flinte gleicht, die man ohne Gefahr den Kindern geben kann, auch ganz eigentlich zum »wasch' mir den Pelz, aber mach' ihn mir nicht naß« gehört. Was nun aber den kategorischen Imperativ selbst betrifft, so hat Kant ihn nie als Thatsache behauptet, hiegegen vielmehr wiederholentlich protestirt und denselben bloß als das Resultat einer höchst wunderlichen Begriffskombination aufgetischt; weil er eben einen Nothanker für die Moral brauchte. Die Philosophie-Professoren aber haben niemals das Fundament der Sache untersucht, so daß, wie es scheint, vor mir dasselbe nicht ein Mal erkannt worden ist: statt Dessen haben sie sich beeilt, unter dem puristischen Namen »das Sittengesetz«, der mich jedesmal an Bürger's Mamsell Laregle erinnert, den kategorischen Imperativ als felsenfest begründete Thatsache in Kredit zu bringen, ja, haben etwas so Massives daraus gemacht, wie die steinernen Gesetztafeln des Moses, welche er ganz und gar bei ihnen vertreten muß. Nun habe ich zwar, in meiner Abhandlung über das Fundament der Moral, die praktische Vernunft, mit ihrem Imperativ, unter das anatomische Messer genommen und daß nie Leben und Wahrheit in ihnen gewesen ist so deutlich und sicher nachgewiesen, daß ich Den sehn will, der mich mit Gründen widerlegen und ehrlicher Weise dem kategorischen Imperativ wieder auf die Beine helfen kann. Das macht jedoch die Philosophieprofessoren nicht irre. Sie können ihr »Sittengesetz der praktischen Vernunft« als einen bequemen Deus ex machina zur Begründung ihrer Moral, so wenig wie die Freiheit des Willens, entbehren: denn dies sind zwei höchst wesentliche Stücke ihrer Alteweiber- und Rocken-Philosophie. Daß ich nun beide todtgeschlagen habe thut nichts: bei ihnen leben sie noch immer, – wie man bisweilen einen bereits gestorbenen Monarchen, aus politischen Gründen, noch einige Tage fortregieren läßt. Gegen meine unerbittliche Demolition jener beiden alten Fabeln gebrauchen die Tapfern eben nur ihre alte Taktik: schweigen, schweigen, fein leise vorüber schleichen, thun als ob nichts geschehn wäre, damit das Publikum glaube, daß was so Einer wie ich sagt nicht werth sei, daß man auch nur hinhöre: nun freilich; sind sie doch vom Ministerio zur Philosophie berufen, und ich bloß von der Natur. Zwar wird sich wohl am Ende ergeben, daß diese Helden es machen, wie der idealistisch gesinnte Vogel Strauß, welcher meint, daß wenn nur er die Augen verhüllt, der Jäger nicht mehr dasei. Je nun, kommt Zeit, kommt Rath: wenn nur noch einstweilen, etwan bis ich todt bin und man sich meine Sachen nach eigenem Gusto appretiren kann, das Publikum sich an dem unfruchtbaren Gesaalbader, dem unerträglich langweiligen Gekaue, den arbiträren Konstruktionen des Absolutums und der Kinderschulenmoral der Herren genügen lassen will, da wird man später weiter sehn.

Morgen habe denn das Rechte
Seine Freunde wohlgesinnet,
Wenn nur heute noch das Schlechte
Vollen Platz und Gunst gewinnet.

W. O. Divan p. 97.

Aber wissen die Herren auch, was es an der Zeit ist? – Eine längst prophezeite Epoche ist eingetreten: die Kirche wankt, wankt so stark, daß es sich fragt, ob sie den Schwerpunkt wiederfinden werde: denn der Glaube ist abhanden gekommen. Ist es doch mit dem Licht der Offenbarung wie mit andern Lichtern: einige Dunkelheit ist die Bedingung. Die Zahl Derer, welche ein gewisser Grad und Umfang von Kenntnissen zum Glauben unfähig macht, ist bedenklich groß geworden. Dies bezeugt die allgemeine Verbreitung des platten Rationalismus, der sein Bulldogsgesicht immer breiter auslegt. Die tiefen Mysterien des Christenthums, über welche die Jahrhunderte gebrütet und gestritten haben, schickt er sich ganz gelassen an, mit seiner Schneiderelle auszumessen und dünkt sich wunderklug dabei. Vor Allem ist das Christliche Kerndogma, die Lehre von der Erbsünde, bei den rationalistischen Plattköpfen zum Kinderspott geworden; weil eben ihnen nichts klarer und gewisser dünkt, als daß das Daseyn eines Jeden mit seiner Geburt angefangen habe, daher er unmöglich verschuldet auf die Welt gekommen seyn könne. Wie scharfsinnig! – Und wie, wenn Verarmung und Vernachlässigung überhand nehmen, dann die Wölfe anfangen sich im Dorfe zu zeigen; so erhebt, unter diesen Umständen, der stets bereit liegende Materialismus das Haupt und kommt, mit seinem Begleiter, dem Bestialismus (von gewissen Leuten Humanismus genannt), an der Hand, heran. – Mit der Unfähigkeit zum Glauben wächst das Bedürfniß der Erkenntnis Es giebt einen Siedepunkt auf der Skala der Kultur, wo aller Glaube, alle Offenbarung, alle Auktoritäten sich verflüchtigen, der Mensch nach eigener Einsicht verlangt, belehrt, aber auch überzeugt seyn will. Das Gängelband der Kindheit ist von ihm gefallen: er will auf eigenen Beinen stehn. Dabei aber ist sein metaphysisches Bedürfniß (Welt als W. und V., B. 2, Kap. 17) so unvertilgbar, wie irgend ein physisches. Dann wird es Ernst mit dem Verlangen nach Philosophie, und die bedürftige Menschheit ruft alle denkenden Geister, die sie jemals aus ihrem Schooß erzeugt hat, an. Mit hohlem Wortkram und impotenten Bemühungen geistiger Kastraten ist da nicht mehr auszureichen; sondern es bedarf dann einer ernstlich gemeinten, d. h. einer auf Wahrheit, nicht auf Gehalte und Honorare gerichteten Philosophie, die daher nicht frägt, ob sie Ministern oder Räthen gefalle, oder dieser oder jener Kirchenpartei der Zeit in ihren Kram passe; sondern an den Tag legt, daß der Beruf der Philosophie ein ganz anderer sei, als eine Erwerbsquelle für die Armen am Geiste abzugeben.

Doch ich kehre zu meinem Thema zurück. Dem praktischen Orakel, welches Kant der Vernunft fälschlich zugeschrieben; hatte, wurde, mittelst einer, bloß einiger Kühnheit bedürfenden Amplifikation, ein theoretisches Orakel zugesellt. Die Ehre der Erfindung wird wohl auf F. H. Jacobi zurückzuführen seyn, von welchem theueren Manne die Philosophieprofessoren das werthvolle Geschenk freudig und dankbar entgegennahmen. Denn dadurch war ihnen geholfen aus der Noth, in die Kant sie versetzt hatte. Die kalte, nüchterne, überlegende Vernunft, welche Kant so grausam kritisirt hatte, wurde zum Verstande degradirt und mußte fortan diesen Namen führen: der Name der Vernunft aber wurde einem gänzlich imaginären, zu Deutsch, erlogenen Vermögen beigelegt, an dem man gleichsam ein in die supralunarische, ja übernatürliche Welt sich öffnendes Fensterlein hatte, durch welches man daher alle die Wahrheiten ganz fertig und zugerichtet in Empfang nehmen konnte, um welche die bisherige, altmodische, ehrliche, reflektirende und besonnene Vernunft sich Jahrhunderte lang vergeblich abgemüht und gestritten hatte. Und auf einem solchen, völlig aus der Luft gegriffenen, völlig erlogenen Vermögen basirt sich seit funfzig Jahren die Deutsche sogenannte Philosophie, erst als freie Konstruktion und Projektion des absoluten Ich und seiner Emanationen zum Nicht-Ich, dann als intellektuale Anschauung der absoluten Identität, oder Indifferenz, und ihrer Evolutionen zur Natur, oder auch des Entstehns Gottes aus seinem finstern Grunde, oder Ungrunde, à la Jakob Böhme, endlich als reines Sichselbstdenken der absoluten Idee und Schauplatz des Ballets der Selbstbewegung der Begriffe, daneben aber stets noch als unmittelbares Vernehmen des Göttlichen, des Uebersinnlichen, der Gottheit, der Schönheit, Wahrheit, Gutheit, und was sonst noch für Heiten gefällig seyn mögen, oder auch als bloßes Ahnen (ohne d) aller dieser Herrlichkeiten. – Das also wäre Vernunft? o nein, das sind Possen, welche den durch die ernsthaften Kantischen Kritiken in Verlegenheit gesetzten Philosophieprofessoren zum Nothbehelfe dienen sollen, um irgend wie, per fas aut nefas, die Gegenstände der Landesreligion für Ergebnisse der Philosophie auszugeben.

Nämlich die erste Obliegenheit aller Professorenphilosophie ist, die Lehre von Gott, dem Schöpfer und Regierer der Welt, als einem persönlichen, folglich individuellen, mit Verstand und Willen begabten Wesen, welches die Welt aus nichts hervorgebracht hat und sie mit höchster Weisheit, Macht und Güte lenkt, philosophisch zu begründen und über allen Zweifel hinaus festzustellen. Dadurch aber gerathen die Philosophieprofessoren in eine mißliche Stellung zur ernstlichen Philosophie. Nämlich Kant ist gekommen, die Kritik der reinen Vernunft ist geschrieben, schon vor mehr als 60 Jahren, und das Resultat derselben ist gewesen, daß alle Beweise, die man im Lauf der christlichen Jahrhunderte für das Daseyn Gottes aufgestellt hatte und die auf drei allein mögliche Beweisarten zurückzuführen sind, durchaus nicht vermögen das Verlangte zu leisten, ja, die Unmöglichkeit jedes solchen Beweises, und damit die Unmöglichkeit aller spekulativen Theologie, wird ausführlich a priori dargethan, und zwar, wohlverstanden, nicht etwan, wie es in unsern Tagen Mode geworden, mit hohlem Wortkram, Hegel'schem Wischiwaschi, woraus Jeder machen kann was er will; nein, ganz ernstlich und ehrlich, nach alter guter Sitte, folglich so, daß seit 60 Jahren, so höchst ungelegen die Sache auch Vielen gekommen, Keiner etwas Erhebliches dagegen hat einwenden können, vielmehr in Folge davon die Beweise des Daseyns Gottes ganz außer Kredit und Gebrauch gekommen sind. Ja, gegen dieselben haben, von Dem an, die Philosophieprofessoren äußerst vornehm gethan, sogar eine entschiedene Verachtung dagegen an den Tag gelegt; weil nämlich die Sache sich so ganz von selbst verstände, daß es lächerlich sei, sie erst beweisen zu wollen. Ei, ei, ei! hätte man doch Das früher gewußt! Dann würde man sich nicht Jahrhunderte lang um solche Beweise abgemüht haben, und Kant hätte nicht nöthig gehabt, dieselben mit dem ganzen Gewicht der Vernunftkritik zu zermalmen. Da wird denn wohl, bei besagter Verachtung, Manchem der Fuchs mit den sauern Trauben einfallen. Wer übrigens eine kleine Probe derselben sehn möchte, findet eine recht charakteristische in Schelling's philosophischen Schriften, Bd. 1, 1809, S. 152. – Während nun Andere sich damit trösteten, daß Kant gesagt habe, das Gegentheil ließe sich auch nicht beweisen, – als ob dem alten Schalk das affirmanti incumbit probatio unbekannt gewesen wäre, – kam, als ein Retter in der Noth, für die Philosophieprofessoren, die bewundernswürdige Jacobische Erfindung, welche den deutschen Gelehrten dieses Jahrhunderts eine ganz aparte Vernunft verlieh, von der bis dahin kein Mensch etwas gehört, noch gewußt hatte.

Und doch waren alle diese Schliche keineswegs nöthig. Denn durch jene Unbeweisbarkeit wird das Daseyn Gottes selbst nicht im Mindesten angefochten; da es auf viel sichererm Boden und unerschütterlich fest steht. Es ist ja Sache der Offenbarung, und zwar ist es Dies um so gewisser, als solche Offenbarung allein und ausschließlich demjenigen Volke, welches deshalb das auserwählte heißt, zu Theil geworden ist. Dies ist daraus ersichtlich, daß die Erkenntniß Gottes, als des persönlichen Regierers und Schöpfers der Welt, der Alles wohlgemacht, sich ganz allein in der Jüdischen und den beiden aus ihr hervorgegangenen Glaubenslehren, die man, im weitern Sinne, ihre Sekten nennen könnte, findet, nicht aber in der Religion irgend eines andern Volkes, alter oder neuer Zeit. Denn es wird doch wohl Keinem in den Sinn kommen, etwan das Brahm der Hindu, welches in mir, in dir, in meinem Pferde, deinem Hunde lebt und leidet, – oder auch den Brahma, welcher geboren ist und stirbt, andern Brahmas Platz zu machen, und dem überdies sein Hervorbringen der Welt zur Schuld und Sünde angerechnet wird If Brimha be unceasingly employed in the creation of worlds, – – – how can tranquillity be obtained by inferior orders of being? (Wenn Brahma unaufhörlich Welten schafft, – – – wie sollen Wesen niedrigerer Art zur Ruhe gelangen?) Prabodh Chandro Daya, tr. by J. Taylor, p. 23. – Auch ist Brahma Theil des Trimurti, dieser aber die Personifikation der Natur, als Zeugung, Erhaltung und Tod: er vertritt also die erstere., – geschweige den üppigen Sohn des betrogenen Saturns, dem Prometheus trotzt und seinen Fall verkündet, – mit Gott dem Herrn zu verwechseln. Sehn wir aber gar die Religion an, welche auf Erden die größte Anzahl von Bekennern, folglich die Majorität der Menschheit für sich hat und in dieser Beziehung die vornehmste heißen kann, also den Buddhaismus; so läßt es heut zu Tage sich nicht mehr verhehlen, daß dieser, so wie streng idealistisch und asketisch, auch entschieden und ausdrücklich atheistisch ist; so sehr, daß die Priester, wenn ihnen die Lehre des reinen Theismus vorgetragen wird, solche ausdrücklich perhorresciren. Daher (wie uns in den Asiatic researches Vol. 6, p. 268, desgleichen von Sangermano in seiner Description of the Burmese empire, p. 81, berichtet wird) der Oberpriester der Buddhaisten in Ava, in einem Aufsatze, den er einem katholischen Bischofe übergab, zu den sechs verdammlichen Ketzereien auch die Lehre zählte, »daß ein Wesen dasei, welches die Welt und alle Dinge geschaffen habe und allein würdig sei, angebetet zu werden.« (Siehe J. J. Schmidt's »Forschungen im Gebiete der ältern Bildungsgeschichte Mittelasiens«, Petersburg 1824, S. 276.) Eben deswegen sagt auch J. J. Schmidt in Petersburg, welchen trefflichen Gelehrten ich entschieden für den gründlichsten Kenner des Buddhaismus in Europa halte, in seiner Schrift »über die Verwandtschaft der gnostischen Lehren mit dem Buddhaismus« S. 9: »In den Schriften der Buddhaisten fehlt jede positive Andeutung eines höchsten Wesens, als Princips der Schöpfung, und scheint sogar dieser Gegenstand, wo er sich, der Konsequenz gemäß, von selbst darbietet, mit Fleiß umgangen zu werden.« In seinen »Forschungen im Gebiete der ältern Bildungsgeschichte Mittelasiens« S. 180 sagt derselbe: »Das System des Buddhaismus kennt kein ewiges, unerschaffenes, einiges göttliches Wesen, das vor allen Zeiten war und alles Sichtbare und Unsichtbare erschaffen hat. Diese Idee ist ihm ganz fremd, und man findet in den buddhaistischen Büchern nicht die geringste Spur davon. Eben so wenig giebt es eine Schöpfung; zwar ist das sichtbare Weltall nicht ohne Anfang, es ist aber aus dem leeren Raume nach folgerechten, unabänderlichen Naturgesetzen entstanden. Man würde sich indeß irren, wenn man annähme, daß Etwas, man nenne es nun Schicksal oder Natur, von den Buddhaisten als göttliches Princip angesehn oder verehrt würde: vielmehr das Gegentheil; denn gerade diese Entwickelung des leeren Raumes, dieser Niederschlag aus demselben oder dessen Zerstückelung in unzählige Theile, diese nun entstandene Materie, ist das Uebel des Jirtintschü, oder des Weltalls in seinen innern und äußern Beziehungen, aus welchem der Ortschilang, oder der beständige Wechsel nach unabänderlichen Gesetzen entstanden ist, nachdem diese durch jenes Uebel begründet waren.« Eben so sagt derselbe in seiner, am 15. September 1830 in der Petersburger Akademie gehaltenen Vorlesung S. 26: »Der Ausdruck Schöpfung ist dem Buddhaismus fremd, indem derselbe nur von Weltentstehungen weiß«; und S. 27: »Man muß einsehn, daß, bei ihrem System, keine Idee irgend einer urgöttlichen Schöpfung Statt finden kann.« Es ließen sich hundert dergleichen Belege anführen. Nur auf einen jedoch will ich noch aufmerksam machen; weil er ganz populär und zudem offiziell ist. Nämlich der 3. Band des sehr belehrenden Buddhaistischen Werkes Mahavansi, Raja-ratnȧcȧri and Raja-vali, from the Singhalese, by E. Upham, Lond. 1833, enthält die aus den holländischen Protokollen übersetzten offiziellen Interrogatorien, welche, um 1766, der holländische Gouverneur von Ceylon mit den Oberpriestern der fünf vornehmsten Pagoden einzeln und successive abgehalten hat. Der Kontrast zwischen den Interlokutoren, welche sich nicht wohl verständigen können, ist höchst ergötzlich. Die Priester, den Lehren ihrer Religion gemäß, von Liebe und Mitleid gegen alle lebenden Wesen, selbst wenn es holländische Gouverneure seyn sollten, erfüllt, sind auf das Bereitwilligste bemüht, allen seinen Fragen zu genügen. Aber der naive und arglose Atheismus dieser frommen und sogar enkratistischen Oberpriester geräth in Konflikt mit der innigen Herzensüberzeugung des schon in der Wiege judaisirten Gouverneurs. Sein Glaube ist ihm zur zweiten Natur geworden, er kann sich gar nicht darin finden, daß diese Geistlichen keine Theisten sind, frägt daher immer von Neuem nach dem höchsten Wesen, und wer denn die Welt geschaffen habe und dergl. mehr. – Jene meinen dann, es könne doch kein höheres Wesen geben, als den Siegreich-Vollendeten, den Buddha Schakia Muni, der, ein geborener Königssohn, freiwillig als Bettler gelebt und bis ans Ende seine hohe Lehre gepredigt hat, zum Heil der Menschheit, um uns Alle vom Elend der steten Wiedergeburt zu erlösen; die Welt nun aber sei von Niemanden gemacht Κοσμον τονδε, φησιν Ἡρακλειτος, ουτε τις θεων ουτε αθρωπων εποιησεν. Plut. de animae procreatione, c. 5., sie sei selbstgeschaffen ( selfcreated), die Natur breite sie aus und ziehe sie wieder ein: allein sie sei Das, was existirend nicht existirt; sie sei die nothwendige Begleitung der Wiedergeburten, diese aber seien die Folgen unsers sündlichen Wandels u. s. w. So gehn denn diese Gespräche gegen hundert Seiten fort. – Ich erwähne solche Thatsachen hauptsächlich darum, weil es wirklich skandalös ist, wie noch heut zu Tage, in den Schriften deutscher Gelehrten, durchgängig Religion und Theismus ohne Weiteres als identisch und synonym genommen werden; während Religion sich zum Theismus verhält, wie das Genus zu einer einzigen Species, und in der That bloß Judenthum und Theismus identisch sind; daher eben auch alle Völker, die nicht Juden, Christen, oder Mohammedaner sind, von uns durch den gemeinsamen Namen Heiden stigmatisirt werden. Sogar werfen Mohammedaner und Juden den Christen vor, daß sie nicht reine Theisten wären, wegen der Lehre von der Trinität. Denn das Christenthum, was man auch sagen möge, hat Indisches Blut im Leibe und daher einen beständigen Hang, vom Judenthume los zu kommen. – Wäre Kants Vernunftkritik, welche der ernsthafteste Angriff auf den Theismus ist, der je gewagt worden, weshalb die Philosophieprofessoren sich beeilt haben, ihn zu beseitigen, in Buddhaistischen Landen erschienen; so hätte man, obigen Anführungen gemäß, darin nichts weiter gesehn, als einen erbaulichen Traktat, zu gründlicherer Widerlegung derer Ketzer und heilsamer Befestigung der orthodoxen Lehre des Idealismus, also der Lehre von der bloß scheinbaren Existenz dieser unsern Sinnen sich darstellenden Welt. Eben so atheistisch, wie der Buddhaismus, sind auch die beiden andern, neben ihm in China sich behauptenden Religionen: die der Taossee und die des Konfuzius; daher eben die Missionare den ersten Vers des Pentateuchs nicht ins Chinesische übersetzen konnten; weil diese Sprache für Gott und Schaffen gar keine Ausdrücke hat. Sogar der Missionär Gützlaff, in seiner soeben erschienenen »Geschichte des Chinesischen Reichs«, ist so ehrlich, S. 18, zu sagen: »Es ist außerordentlich, daß keiner der Philosophen (in China), welche jedoch das Naturlicht in vollem Maaße besaßen, sich zur Erkenntniß eines Schöpfers und Herrn des Universums emporgeschwungen hat.« Ganz übereinstimmend hiemit ist was J. F. Davis ( The Chinese, chap. 15, p. 156) anführt, daß Milne, der Uebersetzer des Shing-yu, im Vorbericht über dieses Werk sagt, man könne daraus ersehn: » that the bare light of nature, as it is called, even when aided by all the light of pagan philosophy, is totally incapable of leading men to the knowledge and worship of the true God.« Alles dieses bestätigt, daß das alleinige Fundament des Theismus die Offenbarung ist; wie es auch seyn muß, wenn nicht die Offenbarung eine überflüssige seyn soll. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß das Wort Atheismus eine Erschleichung enthält; weil es vorweg den Theismus als sich von selbst verstehend annimmt. Man sollte statt Dessen sagen: Nichtjudenthum, und, statt Atheist, Nicht-Jude: so wäre es ehrlich geredet.

Da nun, wie oben gesagt, das Daseyn Gottes Sache der Offenbarung und dadurch unerschütterlich festgestellt ist, bedarf es keiner menschlichen Beglaubigung. Die Philosophie nun aber ist bloß der, eigentlich zum Ueberfluß und müßiger Weise angestellte Versuch, ein Mal die Vernunft, also das Vermögen des Menschen, zu denken, zu überlegen, zu reflektiren, ganz allein ihren eigenen Kräften zu überlassen, – etwan wie man einem Kinde, auf einem Rasenplatz, ein Mal das Gängelband abnimmt, damit es seine Kräfte versuche, – um zu sehn, was dabei herauskommt. Man nennt solche Proben und Versuche die Spekulation; wobei es in der Natur der Sache liegt, daß sie von aller Auktorität, göttlicher wie menschlicher, ein Mal absehe, solche ignorire und ihren eigenen Weg gehe, um auf ihre Weise die höchsten und wichtigsten Wahrheiten auszusuchen. Wenn nun, auf diesem Grund und Boden, ihr Resultat kein anderes, als das oben angeführte unsers großen Kant ist; so hat sie deshalb nicht sofort aller Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit zu entsagen und, wie ein Schelm, Schleichwege zu gehn, um nur irgendwie auf den jüdischen Grund und Boden, als ihre conditio sine qua non, zurückzugelangen: vielmehr hat sie, ganz redlich und einfach, nunmehr der Wahrheit auf anderweitigen Wegen nachzuspüren, wie solche sich etwan vor ihr aufthun, nie aber irgend einem andern Lichte, als dem der Vernunft, zu folgen, sondern unbekümmert, wohin sie gelange, ihren Weg zu gehn, getrost und beruhigt, wie Einer, der in seinem Berufe arbeitet.

Wenn unsere Philosophieprofessoren die Sache anders verstehn und vermeinen, ihr Brod nicht mit Ehren essen zu können, so lange sie nicht Gott den Herrn (als ob er ihrer bedürfte) auf den Thron gesetzt haben; so ist schon hieraus erklärlich, warum sie an meinen Sachen keinen Geschmack haben finden können und ich durchaus nicht ihr Mann bin: denn freilich kann ich mit Dergleichen nicht dienen und habe nicht, wie sie, jede Messe die neuesten Berichte über den lieben Gott mitzutheilen.


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