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Erstes Kapitel.
Einleitung.

§ 1.
Die Methode.

Plato der göttliche und der erstaunliche Kant vereinigen ihre nachdrucksvollen Stimmen in der Anempfehlung einer Regel zur Methode alles Philosophirens, ja alles Wissens überhaupt Platon. Phileb. pp. 219-223. Politic. 62, 63. Phaedr. 361-363. ed. Bip. Kant, Krit. d. reinen Vern., Anhang zur transsc. Dialektik.. Man soll, sagen sie, zweien Gesetzen, dem der Homogeneität und dem der Specifikation, auf gleiche Weise, nicht aber dem einen, zum Nachtheil des andern, Genüge leisten. Das Gesetz der Homogeneität heißt uns, durch Aufmerken auf die Aehnlichkeiten und Uebereinstimmungen der Dinge, Arten erfassen, diese eben so zu Gattungen, und diese zu Geschlechtern vereinigen, bis wir zuletzt zum obersten, Alles umfassenden Begriff gelangen. Da dieses Gesetz ein transscendentales, unserer Vernunft wesentliches ist, setzt es Uebereinstimmung der Natur mit sich voraus, welche Voraussetzung ausgedrückt ist in der alten Regel: entia praeter necessitatem non esse multiplicanda. – Das Gesetz der Specifikation drückt Kant dagegen so aus: entium varietates non temere esse minuendas. Es heischt nämlich, daß wir die unter einem vielumfassenden Geschlechtsbegriff vereinigten Gattungen und wiederum die unter diesen begriffenen, höhern und niederern Arten wohl unterscheiden, uns hütend, irgend einen Sprung zu machen und wohl gar die niedern Arten, oder vollends Individuen, unmittelbar unter den Geschlechtsbegriff zu subsumiren; indem jeder Begriff noch einer Eintheilung in niedrigere fähig ist und sogar keiner auf die bloße Anschauung herabgeht. Kant lehrt, daß beide Gesetze transscendentale, Uebereinstimmung der Dinge mit sich a priori postulirende Grundsätze der Vernunft seien, und Plato scheint das Selbe auf seine Weise auszudrücken, indem er sagt, diese Regeln, denen alle Wissenschaft ihre Entstehung verdanke, seien zugleich mit dem Feuer des Prometheus vom Göttersitze zu uns herabgeworfen.

§ 2.
Ihre Anwendung in gegenwärtigem Fall.

Das letztere dieser Gesetze finde ich, so mächtiger Empfehlung ungeachtet, zu wenig angewendet auf einen Hauptgrundsatz in aller Erkenntniß, den Satz vom zureichenden Grunde. Obgleich man nämlich längst und oft ihn allgemein aufgestellt hat, so hat man dennoch seine höchst verschiedenen Anwendungen, in deren jeder er eine andere Bedeutung erhält, und welche daher seinen Ursprung aus verschiedenen Erkenntnißkräften verrathen, gehörig zu sondern vernachlässigt. Daß aber gerade bei Betrachtung unserer Geisteskräfte die Anwendung des Princips der Homogeneität, mit Vernachlässigung des ihm entgegengesetzten, viele und langdauernde Irrthümer erzeugt und dagegen die Anwendung des Gesetzes der Specifikation die größten und wichtigsten Fortschritte bewirkt hat, – dies lehrt die Vergleichung der Kantischen Philosophie mit allen früheren. Es sei mir deshalb vergönnt, eine Stelle herzusetzen, in der Kant die Anwendung des Gesetzes der Specifikation auf die Quellen unserer Erkenntnisse empfiehlt, indem solche meinem gegenwärtigen Bestreben seine Würdigung giebt. »Es ist von der äußersten Erheblichkeit, Erkenntnisse, die ihrer Gattung und Ursprunge nach von andern unterschieden sind, zu isoliren und sorgfältig zu verhüten, daß sie nicht mit andern, mit welchen sie im Gebrauche gewöhnlich verbunden sind, in ein Gemische zusammenfließen. Was Chemiker beim Scheiden der Materien, was Mathematiker in ihrer reinen Größenlehre thun, das liegt noch weit mehr dem Philosophen ob, damit er den Antheil, den eine besondere Art der Erkenntniß am herumschweifenden Verstandesgebrauch hat, ihren eigenen Werth und Einfluß, sicher bestimmen könne.« (Kritik d. rein. Vern., der Methodenlehre 3. Hauptst.)

§ 3.
Nutzen dieser Untersuchung.

Sollte mir zu zeigen gelingen, daß der zum Gegenstand dieser Untersuchung gemachte Grundsatz nicht unmittelbar aus einer, sondern zunächst aus verschiedenen Grunderkenntnissen unsers Geistes fließt; so wird daraus folgen, daß die Nothwendigkeit, welche er als ein a priori feststehender Satz bei sich führt, ebenfalls nicht eine und überall die selbe, sondern eine eben so vielfache, wie die Quellen des Satzes selbst ist. Dann aber wird Jeder, der auf den Satz einen Schluß gründet, die Verbindlichkeit haben, genau zu bestimmen, auf welche der verschiedenen, dem Satze zum Grunde liegenden Nothwendigkeiten er sich stütze, und solche durch einen eigenen Namen (wie ich welche vorschlagen werde) zu bezeichnen. Ich hoffe, daß dadurch für die Deutlichkeit und Bestimmtheit im Philosophiren Einiges gewonnen seyn wird, und halte die, durch genaue Bestimmung der Bedeutung jedes Ausdrucks zu bewirkende, größtmögliche Verständlichkeit für ein zur Philosophie unumgänglich nöthiges Erforderniß, um uns vor Irrthum und absichtlicher Täuschung zu sichern und jede im Gebiet der Philosophie gewonnene Erkenntniß zu einem sicheren und nicht, durch später aufgedeckten Mißverstand oder Zweideutigkeit, uns wieder zu entreißenden Eigenthum zu machen. Ueberhaupt wird der ächte Philosoph überall Helle und Deutlichkeit suchen, und stets bestrebt seyn, nicht einem trüben, reißenden Regenbach zu gleichen, sondern vielmehr einem Schweizer See, der, durch seine Ruhe, bei großer Tiefe große Klarheit hat, welche eben erst die Tiefe sichtbar macht. La clarté est la bonne foi des philosophes hat Vauvenargues gesagt. Der unächte hingegen wird zwar keineswegs, nach Talleyrand's Maxime, durch die Worte seine Gedanken, vielmehr nur seinen Mangel daran zu verbergen suchen, und wird die aus eigener Unklarheit des Denkens erwachsende Unverständlichkeit seiner Philosopheme dem Leser ins Gewissen schieben. Hieraus erklärt sich, warum in einigen Schriften, z. B. den Schelling'schen, der didaktische Ton so häufig in den scheltenden übergeht, ja oft die Leser schon zum voraus, durch Anticipation ihrer Unfähigkeit, gescholten werden.

§ 4.
Wichtigkeit des Satzes vom zureichenden Grunde.

Sie ist überaus groß, da man ihn die Grundlage aller Wissenschaft nennen darf. Wissenschaft nämlich bedeutet ein System von Erkenntnissen, d. h. ein Ganzes von verknüpften Erkenntnissen, im Gegensatz des bloßen Aggregats derselben. Was aber Anderes, als der Satz vom zureichenden Grunde, verbindet die Glieder eines Systems? Das eben zeichnet jede Wissenschaft vor dem bloßen Aggregat aus, daß ihre Erkenntnisse eine aus der andern, als ihrem Grunde, folgen. Darum sagt schon Plato: και γαρ αἱ δοξαι αἱ αληθεις ου πολλου αξιαι εισιν, ἑως αν τις αυτας δησῃ αιτιας λογισμῳ. ( etiam opiniones verae non multi pretii sunt, donec quis illas ratiocinatione a causis ducta liget). Meno, p. 385. Bip. – Zudem enthalten fast alle Wissenschaften Kenntnisse von Ursachen, aus denen die Wirkungen sich bestimmen lassen, und eben so andere Erkenntnisse von Nothwendigkeiten der Folgen aus Gründen, wie sie in unserer ferneren Betrachtung vorkommen werden; welches bereits Aristoteles ausdrückt in den Worten: πασα επιστημη διανοητικη, η και μετεχουσα τι διανοιας, περι αιτιας και αρχας εστι. (omnis intellectualis scientia, sive aliquo modo intellectu participans, circa causas et principia est). Metaph. V, 1. – Da es nun die, von uns stets a priori gemachte Voraussetzung, daß Alles einen Grund habe, ist, die uns berechtigt, überall Warum zu fragen; so darf man das Warum die Mutter aller Wissenschaften nennen.

§ 5.
Der Satz selbst.

Weiterhin soll gezeigt werden, daß der Satz vom zureichenden Grunde ein gemeinschaftlicher Ausdruck mehrerer a priori gegebener Erkenntnisse ist. Vorläufig muß er indessen in irgend einer Formel aufgestellt werden. Ich wähle die Wolfische als die allgemeinste: Nihil est sine ratione cur potius sit, quam non sit. Nichts ist ohne Grund warum es sei.


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