Hermann Harry Schmitz
Der Fremde
Hermann Harry Schmitz

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Hermann Harry Schmitz

Der Fremde

Es war im vergangenen Herbst.

Wir saßen in der Dämmerung unter den mächtigen Kastanien vor dem Gasthause »Mohren« in Mittelzell auf der Insel Reichenau: der Münchener Student, der Privatdozent aus Basel und ich.

Ein seltsam warmer Oktobertag ging zur Neige.

Etwas Drückendes, Schweres lag in der Luft, etwas Lauerndes.

»Der Föhn kommt zur Nacht«, hatten die Fischer unten am See gesagt.

Im Dorf war es ganz still. Ab und zu raschelte ein dürres Blatt durch das Astwerk der Kastanien. –

Unsere Unterhaltung war verstummt: Ein jeder hing schweigend seinen Gedanken nach. Eine sonderbare Beklemmung lag auf uns, das Gefühl einer unerklärlichen Angst.

Seltsam – wie gleichzeitig diese merkwürdige, drückende Stimmung von uns drei Besitz genommen hatte.

Ein eigenartiges, zwingendes Gefühl der Zusammengehörigkeit war plötzlich über uns gekommen, über uns drei Menschen, die wir uns zufällig hier am Bodensee kennengelernt hatten und erst nur wenige Tage zusammen waren. Ein geheimnisvolles gegenseitiges Verstehen, ein feinstes Empfinden der Seelenregungen der Anderen.

Von einer unsichtbaren Macht getrieben, gehetzt glitten unsere Gedanken zusammen, kauerten sich erschauernd aneinander, duckten sich in der Erwartung einer kommenden entsetzlichen Gefahr.

Die Natur um uns schien angstvoll auf irgend etwas zu warten; wie abwehrend streckten die Bäume ihr Geäst von sich.

Ganz still war es, schauerlich still.

Wir starrten wie gebannt in den sterbenden Tag. Wie ein grauer, namenlos trauriger Schleier legte sich die Dämmerung auf die Erde, als ob sie sie schützen, verbergen wollte vor etwas nahendem Furchtbaren. –

Plötzlich stand er vor uns.

Wir schreckten zusammen.

Eine hohe schmale Gestalt, in einen schwarzen Mantel gehüllt, war hinter einem Kastanienbaum in unserer Nähe hervorgetreten. Sie mußte schon die ganze Zeit über dort gestanden haben, man hätte sonst Schritte hören müssen.

Aus dem ungewissen Nebel der Dämmerung tauchte unter einem schwarzen, weichen Filzhut ein bleiches, von einem schwarzen, spitzzulaufenden Bart umrahmtes Gesicht auf. Etwas Entsetzliches lag in diesen Zügen, das uns lähmte.

Einen Augenblick machte der unheimliche Fremde vor uns halt und ging dann mit müden Schritten auf das Haus zu, in welchem er verschwand.

Starr hingen unsere Augen an der Tür, die sich hinter ihm lautlos geschlossen hatte. Niemand von uns wagte, das grauenhafte Schweigen zu brechen.

Ein plötzlicher Windstoß fegte durch die Wipfel der Kastanien und störte einen Schwarm dürrer Blätter auf, die wie kranke, totwunde Vögel hilflos zu Boden flatterten.

Ein warmer, müder Hauch traf unsere Wangen.

Ein dumpfes Stöhnen in der Luft, ein Stöhnen, Ächzen, wie wenn zwei furchtbare Mächte miteinander rängen. –

Schweigend erhoben wir uns und gingen verstört ins Haus.

Man trat von außen her sofort in die Gaststube.

In dem hellerleuchteten Raum saß der bleiche Maler aus Düsseldorf, der heute mittag angekommen war, und scherzte mit den beiden kleinen Mädchen des Wirtes. Außerdem war nur noch der Mohrenwirt im Zimmer.

»Es war der Maler, der eben ins Haus getreten war und uns erschreckt hatte, ohne Zweifel.« Hier drinnen schämten wir uns fast unserer Angst.

»Und doch, der Maler war es nicht. Der gleiche spitze Bart – das schmale, bleiche Gesicht – eine gewisse Ähnlichkeit mit der unheimlichen Erscheinung war wohl vorhanden – aber trotzdem, er war es nicht.«

»Wer ist soeben hereingekommen?« fragten wir den Wirt.

»Niemand, ich habe seit einer Stunde das Zimmer nicht verlassen«, antwortete dieser.

Der Maler schaute auf und sagte: »Niemand kam herein, niemand.«

»Waren Sie nicht soeben draußen?«

»Ich? – Nein. Es war noch heller Tag, als ich heimkam. Mit den beiden Kleinen hier trat ich gleichzeitig ins Haus.«

»Es ist jemand vor einigen Minuten ins Haus getreten, durch diese Tür da, bestimmt«, beharrten wir.

»Sie müssen sich irren; es ist vollständig ausgeschlossen. Wir sind doch die ganze Zeit über hier gewesen«, erklärte der Wirt. Seltsam.

»Der Föhn macht unruhig«, sagte der Maler.

Wir alle drei konnten uns doch nicht derart geirrt haben; kopfschüttelnd, beklommen setzten wir uns zu dem Maler an den Tisch. Die Kinder kamen zu uns und zeigten uns eine seltsame Münze mit fremden Schriftzeichen. Der Maler hatte sie ihnen geschenkt.

Wir drei saßen still und in uns gekehrt. Das Erlebnis beschäftigte uns noch immer. Wie ein Alp lag es auf uns.

Der Maler erzählte von seinen Reisen, seinen Erlebnissen; lustig wußte er zu plaudern. Mit den Kindern spielte und lachte er dann wieder. Wir hörten kaum zu. Immer noch hatten wir das bleiche Gesicht vor Augen.

Ohne daß wir davon sprachen, wußte jeder von uns dreien, was der andere dachte, was in ihm vorging. Wie ein Wesen fühlten wir: drei fremde Menschen, die der Zufall zusammengebracht.

Plötzlich schlug der Student auf den Tisch: »Wein, Traminer! Mohrenwirt!«

Im Alkohol versuchten wir zu vergessen. Wir stürzten den feurigen Wein in großen Zügen hinunter. Der Mohrenwirt schüttelte den Kopf; eine Flasche nach der anderen mußte er herbeischaffen. – Wir sprachen laut – wir schrien. Der Privatdozent begann zu singen, ein wildes italienisches Lied von Liebe und Wein. Plötzlich brach er jäh ab und starrte den Maler an. Dann sank er in sich zusammen und schaute vor sich hin.

Wieder kroch der Alp in unsere Sinne, wieder sahen wir das bleiche Gesicht vor uns auftauchen. Wir schwiegen und wagten nicht aufzuschauen, uns anzuschauen.

Der Maler lachte: »Ja, ja, der Traminer. Mit dem ist nicht zu spaßen!«

Stoßweise zauste der Föhn draußen die Kastanien; prasselnd schlugen die letzten Früchte zu Boden.

Wir horchten angstvoll hinaus. Was war das nur mit uns? – Der lustige Maler vom Rhein, der so fröhlich plauderte und mit den Kindern scherzte, was hatte der mit unserer Vision zu tun? – Wir tranken und vergaßen dennoch nicht.

Der Maler unterhielt sich mit dem Mohrenwirt über geschnitzte Truhen, altes Zinn, köstliches Porzellan, welches er in einem alten Hause unten am See gefunden, über die Reliquienschreine, die romanischen Ziborien, die Brokatgewänder aus dem Münsterschatz – wie von ferne drangen seine Worte an unser Ohr. Dann sprach er von einem Steinkreuz mit einem Heiland aus Bronze, und es kam uns so vor, als ob er seine Stimme erhoben hätte. Seine Worte störten uns auf. Gespannt, wie im Banne einer unbekannten Macht hörten wir zu, mußten wir zuhören.

»Ich habe heute nachmittag hier auf dem Kirchhof herumgestöbert«, erzählte der Maler, »auf einem alten verwachsenen, vergessenen Grab fand ich ein Steinkreuz mit einem Bronzeheiland, eine herrliche, spätgotische Arbeit. Eine Bronze, wie ich sie nie gesehen. Ich war verliebt in diese Bronze, hypnotisiert vom ersten Augenblick. Ich muß sie besitzen, war mein erster Gedanke. Ich prüfte die Befestigung. Die Figur war fest mit dem Stein verbunden, auf eine eigentümliche, unsichtbare Art, scheinbar ohne Schrauben und Klammern. Ich suchte den Totengräber auf. Gegen Trinkgeld war er bereit, mir die Figur vom Kreuze herunterzunehmen. Längst verstorben, vergessen sei das Geschlecht, das unter diesem Kreuz seine letzte Ruhe gefunden. Der Name selbst sei vergessen, erzählte der Alte.

Mit Zange, Hammer und Meißel versuchte er die Bronze von dem Steinkreuz zu lösen. Vergebliches Bemühen. Der Stein gab den Heiland nicht frei. Eine unsichtbare Macht hielt die Figur auf dem Stein.

»Ich zerschlage das Kreuz«, sagte ungeduldig der Totengräber und holte eine Spitzhacke. Wie an Stahl prallten seine erbitterten Schläge an dem Stein ab.

Keuchend und schwitzend warf er endlich die Hacke hin.

»Es geht nicht, wie Sie sehen. – Die Toten dulden es nicht«, fügte er murmelnd hinzu, bekreuzigte sich und verließ dann in eigentümlich hastiger Weise mit einem scheuen Blick auf das Kruzifix den Friedhof. Ich mußte über den Alten lachen. Merkwürdig ist die Sache ja immerhin; ich hätte gern die Bronze gehabt.

»Vor Jahren hat man schon versucht, das Kreuz zu versetzen, da das alte Grab zu neuen Gräbern benutzt werden sollte; aber alle Anstrengungen, es zu bewegen, waren vergeblich«, sagte der Wirt, als der Maler geendet.

Starr hatten wir drei dem Maler zugehört; wir hatten das Gefühl, als ob diese Begebenheit im Zusammenhang stände mit der seltsamen Erscheinung von heute abend.

Es war mittlerweile spät geworden. Man beschloß zu Bett zu gehen. Der Maler wollte am anderen Morgen schon früh wieder weiter. »Ich schwimme schon draußen auf dem See, wenn Sie herunterkommen«, meinte er, als wir uns von ihm verabschiedeten.

Voll von schweren Gedanken, mit einem seltsamen Gefühl von Unbehagen gingen wir nach oben in unsere Zimmer.

Stumm gaben wir uns die Hand, bevor wir schieden. Wir drei, die ein geheimes Geschick zusammengeschmiedet. Ein jeder fühlte, wie des anderen Hand in der seinen zitterte.

Ich horchte noch in den Korridor hinaus und hörte, wie die beiden ihre Zimmer verriegelten. Ich schloß die Tür meines Zimmers und blieb einen Moment im Dunkeln stehen, krampfhaft horchend; das Herz klopfte mir laut in der Brust.

Der Föhn hatte sich in seiner ganzen Stärke erhoben und peitschte die Äste der Kastanien gegen mein Fenster.

Klang nicht wieder jenes gräßliche Stöhnen von vorhin über mir in den Lüften? Ich war nervös – der Wein – der schwüle Abend suchte ich mich zu beruhigen.

Ich machte Licht und kleidete mich langsam aus.

Unten hörte ich den Mohrenwirt noch mit dem Maler reden und die Haustür verriegeln; dann kamen Schritte die Treppe herauf, der Maler ging in sein Zimmer. Jetzt war es still im Haus – ganz still.

 

Ich mußte fest geschlafen haben, als mich ein gellender, furchtbarer Schrei im Hause entsetzt auffahren ließ. Ich horchte voller Grauen in die Nacht. Da, wieder dieser Schrei. Entsetzlich, was ging da vor?

Ich sprang aus dem Bett und griff zu meinem Revolver. Bebend, schwer atmend stand ich vor der verschlossenen Tür und lauschte gespannt nach draußen. Ein Keuchen, ein Seufzen dicht vor meiner Tür. Dann ein Schlurfen wie von müden Füßen über den Korridor; langsam verloren sich die Schritte im Gang.

Ich nahm mir ein Herz, riß die Tür auf und leuchtete hinaus. Ich sah niemanden. – Jedoch, was war das? – Aus dem Seitengang, der ganz am Ende des Hauptganges in diesen mündete, fiel ein Lichtschein, ein flackerndes gelbliches Licht, in welchem ein langgestreckter Schatten hin und her huschte. – Dort hinter jener Ecke stand irgendwer. Ich wagte nicht, mich zu rühren und umkrampfte fest meine Waffe. Plötzlich öffneten sich die Türen der Zimmer meiner Schicksalsgenossen, und voller Entsetzen in den Zügen stürzten die beiden auf den Gang.

Stumm schauten wir uns verzweifelt in die Augen. Wieder dieses Ineinandergleiten der Empfindungen, das Gefühl, ein Wesen zu sein. Unsere Seelen bäumten sich auf unter dem gleichen furchtbaren Verhängnis. Starr hingen unsere Augen an dem gespenstigen Schatten dort an der Gangwand.

Der Lichtschein verschwand langsam. Wieder das müde Gleiten auf dem Boden, dann tiefe Stille. Lähmende Angst lag auf uns. Klarheit, Gewißheit mußten wir haben. Dieser Zustand war furchtbar. Wir wankten bis ans Ende des Korridors und schauten voller Grauen in den Seitengang, an dessen Ende sich die Tür zur Terrasse befand. Diese Tür, die abends verschlossen wurde, war seltsamerweise geöffnet. Halb geöffnet, wie wenn jemand soeben hindurchgeschlüpft wäre, der keine Muße mehr gefunden, die Tür ins Schloß zu ziehen.

Auf der Terrasse mußte jemand sein.

Wir folgten dem Seitengang bis zur Tür, und ich trat mit vorgehaltenem Revolver zuerst auf die Terrasse. Obgleich kein Windhauch ging, flackerte meine Kerze hin und her und verlosch plötzlich. Wir standen im Dunkeln und horchten voller Grauen in die Nacht. Totenstille um uns. Wir wagten nicht, einen Schritt voran zu setzen.

Plötzlich ein Föhnstoß, der die Kastanien rüttelte, und wieder war es still wie zuvor.

Jetzt über uns das Stöhnen, das gräßliche Stöhnen.

Der Mond trat hinter einer zerrissenen Wolke hervor. Es war niemand außer uns auf der Terrasse.

Der Weg, der zwischen den Kastanien hindurch ins Dorf führte, war grell vom Mondlicht übergossen.

Wieder ein kurzer Windstoß. Dann sahen wir plötzlich auf dem grün-weißen Wege unbestimmt durch das Geäst der Bäume etwas Schwarzes auftauchen, nur einen Augenblick, schon war es wieder hinter einem Kastanienstamm verschwunden – – dann trat er hervor, jener schwarze Wanderer, wie wir ihn gesehen. Mit müden Schritten kam er auf das Haus zu, sein bleiches, entsetzliches Gesicht zu uns emporgerichtet. In der rechten, erhobenen Hand trug er die vom Kreuze gelöste Figur des Heilands. Über die Patina der Bronze krochen die Mondstrahlen.

Entgeistert, voller Entsetzen folgten unsere Augen dem grauenhaften Spuk.

In der Haustür, die sich lautlos öffnete und schloß, verschwand die schwarze Gestalt.

Der furchtbare Wanderer war im Hause! –

Wie gelähmt sanken wir auf der Terrasse zusammen und starrten voller Grauen auf die Korridortür. Jetzt konnte er die Treppe hinauf sein. Kamen nicht jene furchtbaren, schlurfenden Schritte durch den Gang heran? Jeden Augenblick mußte das schreckliche Gesicht in der Türe erscheinen. – –

Totenstille im ganzen Haus. – –

Unsere Herzen standen still.

Ein Krampf lähmte unsere Glieder. – –

 

Auf dem Boden zusammengekauert, starr die Augen gegen die Tür gerichtet, fand uns der Morgen.

Zitternd erhoben wir uns und wankten ins Haus zurück.

Wir gaben uns stumm die Hand, wie Gezeichnete. Ein wildes Erschrecken packte mich, als ich in die schauerlich verzerrten Gesichter meiner Genossen schaute. –

Jeder ging in sein Zimmer zurück.

Im Haus war noch alles still.

Ich warf mich völlig erschöpft auf das Bett und verfiel in einen todähnlichen Schlaf. –

Die Sonne stand schon hoch, als ich wach wurde.

Meine Glieder waren wie gerädert, von einer bleiernen Schwere.

Das Ereignis der Nacht stand greifbar vor mir. Es war keine Täuschung, kein Traumgesicht gewesen – gräßliche Wirklichkeit. Ich vermißte meinen Revolver und den Kerzenleuchter. Auf der Terrasse fand ich beides.

Ich ging nach unten.

»Der Herr aus Basel ist auf den See hinaus in seinem Nachen nach Radolfszell zu«, sagte man mir. »Der Student ist soeben abgereist; er hat in der Früh eine Depesche bekommen. Er hat dann sofort seine Sachen gepackt und ist im Wagen nach Konstanz gefahren, um noch rechtzeitig den Anschlußzug nach München zu erreichen. Lebe wohl, läßt er Ihnen sagen, der arme Herr, er sah so traurig und bleich aus heute früh, und sonst war er der Lustigsten einer.«

Sinnend ging ich zum See hinunter nach der Radolfszeller Seite.

Weit draußen auf dem Wasser ein einsamer Nachen. Ein weißer Nachen mit dem Schweizer Bundesbanner. Das war der Privatdozent.

Der Fährmann, der sein Fährboot zur Fahrt nach der badischen Seite hinüber instand setzte, meinte lachend: »Der Herr da im Boot macht sich die Sache bequem. Jetzt liegt er schon seit einer Stunde an der gleichen Stelle.«

Ich bat ihn um sein Fernglas, das er im Boot mitführte.

Ich stellte das Glas ein. – Entsetzt ließ ich es sinken.

Der schwarze Fremde von der vergangenen Nacht stand vorn im Boot. Hochaufgerichtet ragte die düstere Gestalt in den blauen Tag. Ganz zusammengekrümmt kauerte am äußersten Ende des Bootes, die Hände vor das Gesicht gepreßt, der Dozent aus Basel.

Der Fährmann schaute mich verwundert von der Seite an und entriß mir das Glas. »Was haben Sie nur? Der Herr scheint eingeschlafen zu sein, er sitzt am Ende des Bootes, den Kopf in die Hände gestützt; ich kann es deutlich durch das Glas sehen.«

»Er ist nicht allein im Boot«, preßte ich voller Entsetzen hervor.

»Ich sehe sonst niemand – er ist ganz allein«, antwortete der Schiffer. »Sehen Sie selbst!« Er gab mir das Glas zurück. Zitternd führte ich es an die Augen.

Was ich jetzt sah, ließ mir das Blut im Herzen stocken.

Ein wildes Ringen im Boot – das verzweifelte Greifen von gekrampften Händen in der Luft und – die schwarze Gestalt saß allein im Nachen am Steuer und lenkte das Boot, von unsichtbarer Hand getrieben, dem Ufer zu in der Richtung, in der wir standen.

»Ich sehe niemand mehr im Boot«, hörte ich den Schiffer sagen, »der Herr hat sich scheinbar auf den Boden gelegt.«

Näher – näher trieb das Boot. Schon konnte ich das bleiche, entsetzliche Gesicht erkennen, das zu mir herüberschaute.

Es war kein Hirngespinst – gräßliche Wirklichkeit.

Der Wind spielte mit dem Bart, und der Mantel flatterte um die hagere Gestalt. Ich sah es deutlich mit meinen Augen, im Licht des Tages.

»Was ist Ihnen? Was haben Sie nur? – Es ist niemand mehr dort im Kahn!« stieß der Fährmann angstvoll hervor. »Was ist mit dem Herrn geschehen?«

Jetzt wieder das Stöhnen in der Luft.

Ein Krampf umschnürte mein Herz. Ich brach zusammen und verlor das Bewußtsein. –

Zwei Tage habe ich im Fieber gelegen, dann erfuhr ich, was geschehen war an jenem Morgen.

»Der Privatdozent muß wohl im Boot eingeschlafen sein, hat dann das Übergewicht bekommen und ist in den See gestürzt«, erzählte man mir. Der leere Nachen war ans Land getrieben. Nur den Hut des Dozenten und eine seltsame unbekannte Münze lagen im Boot, eine Münze ähnlich der, wie sie die Kinder des Mohrenwirtes von dem Maler bekommen hatten. Die Leiche des Dozenten hatte man trotz eingehenden Suchens nicht gefunden.

Mich hatte man vom See bewußtlos ins Haus getragen.

Die guten Mohrenleute hatten sich aufs sorgsamste meiner angenommen. –


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