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Vom treuen Leser

Redakteure sind mutige und unerschrockene Männer. Weiß Gott, ich habe nur solche kennen gelernt. Manche fürchten selbst den Teufel nicht, manche zittern selbst nicht vor dem Presse-Paragraphen 11. Ja, ja, solche Helden gibt es.

Aber jeder Redakteur wird unter allen Umständen erbleichen und von zagender Angst befallen werden, wenn man ihm von einer gewissen Spezies Leser zu reden beginnt. Er wird zaghaft werden, seine Festigkeit wird stürzen, Gruseln wird ihn überlaufen.

Der treue Leser oder der langjährige Abonnent oder der alte Freund des Blattes – das klingt so brav, bieder und unendlich treuherzig, so ganz ohne Falsch, und doch verbirgt sich hinter diesen harmlosen Worten eine entsetzlich unangenehme Art von Menschen, ein quälendes, heimtückisches Ungeziefer, das aus dunklem Versteck heraus das Gift seiner Drüsen auf seine Opfer spritzt.

Vor diesen Menschenseelen hat der heroischste Redakteur eine peinliche Scheu.

Meistens sind es Leute, die nie in ihrem Leben etwas zu sagen gehabt haben, im übrigen auch nicht die Courage besitzen, sich offen gegen irgend jemand, der ihnen vielleicht mal nützen könnte, in Widerspruch zu setzen. Die aber, wenn sie ganz allein sind oder sich ihrer Umgebung völlig sicher fühlen, das Maul weit aufreißen, sich in die Brust werfen und pathetisch erklären, sie würden jetzt mal zeigen, was eine Harke wäre.

Beamte mit strengen, gottähnlichen Vorgesetzten, Leute, die von Verbeugungen und Selbsterniedrigungen leben, pensionierte Beamte, die gewohnt sind, von dem Klempner unten im Hause, dem Gasmann und dem Bezirksschutzmann zuerst gegrüßt zu werden, kleine Rentner, die in ihrer Straße als reich gelten, weil sie mittags Fleisch essen, Nörgelseelen, denen alles im Leben schief ging, die immer zu spät kamen, untergeordnete Angestellte, die höchstens wagen, der Putzfrau gegenüber, die das Bureau zu reinigen hat, ihre Autorität aufzuspielen – das sind so die lieben Menschen, in denen eines Tages der Wille zur Macht erwacht, der ja schließlich in jeder Seele schlummert.

Sie sind Abonnenten des Lokal-Anzeigers, die pünktlich ihre achtzig Pfennig pro Monat entrichten, pünktlich am Ersten. Man kann ihnen in dieser Hinsicht nichts vorwerfen.

Sie sind felsenfest davon überzeugt, daß ihre achtzig Pfennig die Basis des Gedeihens und des gesicherten Bestehens der Zeitung darstellen. Von »ihrem Blatt« reden sie, und die unbedingte Abhängigkeit des Lokal-Anzeigers von ihrem erhabenen Willen ist für sie die ausgemachteste Sache von der Welt. Nach ihrer Ansicht hat ihr Geschmack und ihre Laune für die Redaktion die suprema lex zu sein.

Paßt ihnen im Inhalt des Blattes irgendetwas nicht, oder sie verstehen einen Artikel nicht, weil sie zu dumm sind, oder aber ist man vom Chef angeschnauzt worden, oder man hat überhaupt das Bedürfnis, seine Wut über ein unangenehmes Ereignis in irgendeiner ungefährlichen Weise auszulassen, so setzt man sich schleunigst hin und schreibt einen wütenden Brief an die Redaktion, der in der furchtbaren Drohung gipfelt, das Abonnement auf die Zeitung aufzugeben! Den Zeitungsschmierern will man es mal zeigen! Und man unterschreibt, um die berechtigte Autorität seiner Kritik zu unterstreichen, die Briefe mit »Ein treuer Leser«, »Ein langjähriger Abonnent« oder »Ein alter Freund des Blattes«.

Vom Chefredakteur bis zu Albert, dem Setzerstift, hinab werden alle von einer entsetzlichen Panik ergriffen. Man versammelt sich zitternd und völlig konsterniert im Redaktionsberatungszimmer. Wie ein schwerer, dumpfer Alp liegt es auf den Leuten vom Lokal-Anzeiger. Alle stehen unter dem Drucke dieses schrecklichen Ereignisses.

Was bleibt zum Schluß aber anders übrig als abzuwarten, ob die grauenhafte Drohung des treuen Lesers sich am Ersten verwirklichen wird?

Immer wieder kommen solche Reklamationen und setzen neue Unruhen in die vom letzten Brief kaum erholten Gemüter.

Ein Arsenal von Damoklesschwertern hängt über dem Lokal-Anzeiger! –

 

Balduin Ohrenschmalz war irgendetwas Geringes bei der Steuerverwaltung gewesen. Man hatte ihn rechtzeitig pensioniert. Seine Pension war klein. Er spielte im Leben eine unbedeutende Rolle. Er war Abonnent des Lokal-Anzeigers. Er war ein eifriger und gründlicher Leser dieses Blattes.

Vom Kopf der Zeitung, wo die Bezugsbedingungen stehen, bis zur letzten Annonce las er jedes Wort. Nach dem Frühstück nahm er täglich das Blatt zur Hand, wohl in der Art, wie ein gewichtiger Professor die Arbeit eines Schülers entgegennimmt. Kritisch und mißtrauisch.

Und bald ging es los.

»So, wenn der Graf von Kehlkopf-Imbiß die Tochter des Fabrikanten Schwungrad nicht bald heiratet, kriegt die Redaktion einen Brief, den sie sich nicht hinter den Spiegel stecken wird. Es ist ja zu albern, dieses Hin und Her. Ich lasse mich von einem solchen Romanschreiber nicht frozzeln für mein gutes Geld,« erboste sich Balduin Ohrenschmalz über den unter dem Strich veröffentlichten Roman »Die Heide klagt's« von Otto Kurt Dagobert von Mostert-Mostert.

»Was, der Graf, dieser Liederjahn, soll die reizende Ilse, die Goldilse, heiraten?! Das wird hoffentlich nicht passieren. Dann gönne ich sie schon eher dem schwarzlockigen Maler Hendrik Ewerth,« meinte in erregtem Ton Frau Ohrenschmalz.

»Na, ich werde den Leuten schon die Hölle heiß machen. Für meine achtzig Pfennige pro Monat kann ich einen Roman verlangen, der mich in allen Teilen befriedigt,« schnauzte Ohrenschmalz weiter und warf mit einer großen Kraftgeste den Lokal-Anzeiger klatschend auf den Tisch.

Als sich in den nächsten Tagen die Fortsetzungen des Romans in einer anderen, als der von dem Ehepaare gewünschten Weise entwickelten, setzte sich Ohrenschmalz wütend hin und schrieb folgenden Brief:

»An die Redaktion des Lokal-Anzeigers.

Wenn Sie darauf Wert legen, Ihren Leserkreis zu erhalten, so möchte ich Ihnen den Rat geben, von der Veröffentlichung solcher Machwerke, ich betone Machwerke, wie des Romanes »Die Heide klagt's« in Zukunft absehen zu wollen. Der Graf hätte unbedingt die Tochter des Fabrikanten heiraten müssen, das ist klar. Aber natürlich, diese modernen Dichter! Auch meine Frau ist absolut mit dem Roman nicht zufrieden. Ich werde wohl für meine Person das Abonnement Ihrer Zeitung aufgeben.

Ein treuer Leser.«

Von einer anderen Seite bekam die Redaktion des Lokal-Anzeigers, den Roman betreffend, diesen Brief:

»Sie ruinieren Ihre ganze Zeitung mit solchen absolut verfehlten Romanen wie »Die Heide klagt's«. Der Graf muß sich mit Ewerth duellieren und fallen. Das war die einzige mögliche Lösung. Wer ist überhaupt dieser sogenannte Dichter Mostert-Mostert? Ich verzichte in Zukunft auf die Lektüre Ihres Blattes!!

Ein langjähriger Abonnent.«

»Was geht mich Goethe und moderne Reflexionen über seine Farbenlehre an,« giftete sich Herr Balduin Ohrenschmalz wieder an einem Morgen über einen dieses Thema behandelnden Aufsatz im Lokal-Anzeiger. »Goethe ist meines Wissens tot, und dieses Blatt ist doch kein Fachorgan für Anstreicher.«

Wieder setzte sich Balduin Ohrenschmalz schleunigst hin, und ein entsprechendes Protestschreiben ging an die geplagte Redaktion.

»So, das ist ja eine schmachvolle Berichterstattung in diesem Lokal-Anzeiger!« wütete eines Abends bei der Rückkehr vom Stammtisch Herr Balduin Ohrenschmalz. »Ist in Danzig eine alte Frau mit einer Petroleumlampe die Kellertreppe hinuntergefallen und hat den Hals gebrochen. In allen Blättern soll es gestanden haben. Im Lokal-Anzeiger war natürlich nichts darüber zu finden. Es ist eine Schande. Na, denen werde ich einen Brief schreiben.«

Und wieder fiel wie eine Bombe ein anonymer Brief in die Redaktion.

Dann war eines Tages bei Ohrenschmalzens das Tintenfaß umgefallen und hatte seinen Inhalt auf die geblümte Kaffeedecke ergossen.

Wie macht man Tintenflecke aus geblümten Kaffeedecken?

Natürlich, was man wissen möchte, findet man nie in diesem Lokal-Anzeiger. Anstatt dieser törichten Artikel über Goethe und seine Farbenlehre sollte man lieber etwas darüber schreiben, wie Tintenflecke aus geblümten Kaffeedecken zu entfernen sind.

Einen wutschnaubenden Brief mit der Unterschrift »Ein alter Freund des Blattes« schnellte Ohrenschmalz gegen den Lokal-Anzeiger.

Es war eine lustige Geschichte erschienen, in der ein stümperhafter Arzt glossiert wurde. Drohende Briefe, natürlich anonym, von Ärzten aus der Stadt, die sich in ihrer Berufsehre verletzt fühlten, fielen über die Redaktion her.

Als in einer Skizze eine Amme vorgenommen wurde, regnete es wütende Briefe aus Ammenkreisen.

Es war bezeichnend, wie die Achillesfersen aller Berufsklassen prompt bei der geringsten satirischen Spiegelung reagierten, wie die schlechten Gewissen sofort ins Gären gerieten.

Die Redakteure bekamen graue Haare, verloren die Lust am Leben, rauchten nicht mehr und ließen sich bei Regenwetter naß werden.

Mancher mußte ins Sanatorium.

Endlich kam der Lokal-Anzeiger auf die glückliche Idee, jedem Abonnenten vor dem Abdruck sämtliche Beiträge vorzulegen. Fünfhundert Boten gingen zu diesem Zweck von Haus zu Haus. Auf diese Weise kam das Ideal einer Zeitung zusammen.

Als aber trotzdem eines Tages wieder ein Schmähbrief kam, von jemandem, der zwar nicht abonniert war, die Zeitung indessen im Café las und forderte, man müsse eine Rubrik für Scherzrebusse einrichten und für Vexierbilder »Wo ist der Gärtner?«, hat der Chefredakteur mittels Dynamits das ganze Gebäude des Lokal-Anzeigers mit sämtlichen Angestellten in die Luft gesprengt.


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