Maximilian Schmidt
Meister Martin
Maximilian Schmidt

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IV.

Weihnachten kam heran. Groß war die Sehnsucht und die Freude auf dieses heilige Fest in Meister Ehrmanns Hause. Von Nürnberg her hatte der Bote bereits einige Kisten mit geheimnisvollem Inhalt gebracht. Frau Ehrmann fertigte, wie es in ihrer Heimat der Brauch, Marzipan und Honiglebkuchen, sowie die in Franken beliebten »Stollen« mit großer Geschicklichkeit. Der Meister blies kleine Kugeln aus farbigem Glas und schliff prismatische Glasstücke, in welchen sich, auf dem Christbaum hängend, die Lichter feenhaft brechen sollten. Es war das erste Weihnachtsfest in der Fremde, und die Kinder sollten nichts vermissen, was sie in der Heimat gewohnt waren. Hell, wie in den Vorjahren, sollte der Christbaum auch heuer strahlen und ihre Geschenke sollten noch schöner und reichhaltiger sein, als es sonst an diesem schönsten aller Familienfeste der Fall gewesen.

Von dieser Christbaumfreude hatten nun freilich die Dörfler des bayerischen Waldes weder Kenntnis, noch Begriff. Deren ganzer häuslicher Weihnachtsjubel bestand in dem Schwein, welches herkömmlicher Weise in jedem Bauernhause geschlachtet und welches die Mettenwürste und den Braten für die Feiertage für Bauern und Ehehalten liefert. Nur in wenigen Häusern war es üblich, daß die Kinder vor dem Schlafengehen leere Teller vor die Fenster 229 stellten, welche sie dann am andern Morgen mit Obst und Lebzelten, vom Christkind'l angefüllt, wiederfanden. Doch wurde diese Weihnachtsfreude durch eine beigelegte Rute oder durch verdächtiges Kettengerassel bedeutend beeinträchtigt, wie es auch schon bei den Gaben am St. Nikolaustage der Fall gewesen, wo der Heilige selbst mit seinem Knecht Rupert oder die Frau Percht den Kindern mehr Schrecken als Freude machten.

Die helle Freude einer Christbescheerung mit dem schönen strahlenden Weihnachtsbaum kannten die Wäldler anfangs der Vierzigerjahre noch nicht. Was Wunder also, wenn die Dorfjugend große Augen machte, als sie in der Schule durch Ehrmanns Kinder erfuhr, am heiligen Abend werde bei ihnen ein schöner Tannenbaum angezündet, auf welchem das Christkindlein hänge.

Bis diese Neuigkeit zu der »pinkaten« Urschi kam und durch deren geläufiges Mundwerk weiter kolportiert wurde, lautete sie wörtlich:

»In der lutherischen Schleif wird am heiligen Abend das liebe Christkindlein zum Aergernis aller christkatholischen Leute gehenkt und nachher elendiglich verbrannt.«

»Dös leiden wir nöt!« schrieen die erhitzten Köpfe. »Eher stürmen wir d' Schleif und schlagen alles zam.«

»Dös is 's Wahre!« rief Tieschke, jetzt Schaf- und Schweinehirt, der aber infolge eines fortgesetzten Schnapsrausches seinen Dienst in nachlässiger Weise betrieb und von der Gemeinde schon ernstlich vermahnt wurde. »Z' Grund richten muaß ma' so an' herzlosen Menschen ohne Religion, der andern z' Sach wegschnappt und 's Geld zamscharrt von unserm Thal.«

Kurz, es wurde beschlossen, sobald es am Christabend 230 dunkle, das Rachehandwerk gegen den lutherischen Schleifer zur Ausführung zu bringen.

»Es is a Gotteswerk!« Mit diesen Worten ermutigte die alte Betschwester diejenigen, welche Zweifel hegten.

Als man im Laufe des Tages bemerkte, daß der alte Wastl, der bis zum Anfang seiner neuen Hüterzeit im Hause Ehrmanns thätig war, einen kleinen, schön beasteten Tannenbaum aus dem Walde holte, ging es wie ein Lauffeuer durchs Dorf, daß der »Galgen für das Christkindl«, wie Urschi das Bäumchen nannte, schon in die Schleif verbracht sei. Man ballte die Faust, man konnte den Abend kaum erwarten.

»Z' Grund richten!« Das war Tieschkes Parole. Er gönnte seinem Nachfolger den sichtlichen Wohlstand nicht, dieser sollte ein Bettler werden, wie er es wäre, wenn ihm nicht Urschi geholfen hätte. Dazu, so glaubte er, bedürfe es nur einer Vernichtung des Wasserwerkes und diese setzte er sich zur Aufgabe am Christabend.

Wastls Weib hatte, freilich erst spät, von diesem Anschlage munkeln hören. Schnell entschlossen eilte sie nach dem nahen Marktflecken und setzte die Gendarmerie davon in Kenntnis. Dann nahm sie ihren Weg zum Pfarrer des Dorfes, einem alten würdigen Geistlichen und erzählte ihm, was sie wußte, ihn um Gotteswillen bittend, den Meister vor dem ihm drohenden Unglück zu retten.

Es war spät Abend geworden, bis sie dies alles zuwege gebracht, und nun eilte sie der Schleife zu, um auch ihren dort beschäftigten Mann in Kenntnis zu setzen. Diesem begegnete sie aber schon unterwegs, soeben im Begriffe, sie zu holen, damit sie Zeuge der prächtigen Christbescherung sein möge.

231 Der Alte war nicht wenig überrascht von dem, was ihm sein Weib erzählte, ja, er wollte anfangs gar nicht an die Wahrheit dieser Erzählung glauben. Aber die Frau deutete nach dem vom Dorfe herführenden Weg, auf welchem man beim hellen Schein des Vollmondes einen dunklen Haufen näher kommen sah, der dem Lärm nach auf eine größere Anzahl von Leuten schließen ließ.

»Laß's nur kömma,« sagte Wastl, »wenn's die Herrlichkeit dort sehgn, wern's schnell umsatteln, und sollt was passiern, so stell i mein Mann.«

»Und i den mein!« sprach das Weib entschlossen.

»Aber schau dorthin. Lauft da nöt oana von der Schleif her auffa? Jetzt halt er am Einlaßkanal.«

»Der hat nix Guat's vor!« rief Wastl. »Schwant mir recht, so is's der Lumpazi, der Tieschke. Mit dem mach i mir a Weihnachtsfreud.«

»Um Gotteswillen, fang nix an!« rief das Weib dem rasch Davoneilenden nach.

Wastl kam gerade hinzu, als Tieschke im Begriffe war, die Schütze des Einlaßkanals aufzudrehen. Es durchzuckte ihn sofort der Gedanke, dieser habe hier ein Schelmenchen vor. Rasch sprang er hinzu, packte den soeben die Schütze Hebenden nicht in der sanftesten Weise am Kragen und rief:

»Kerl, was thuast du?«

Tieschke erschrak darüber so heftig, daß er das Gleichgewicht verlor und rücklings in das Stauwasser des Baches fiel. Aus Leibeskräften schreiend, klammerte er sich an den sogenannten Fangbaum vor dem Einlaßkanal und rettete sich so vor dem Ertrinken.

232 Inzwischen war auch Wastls Weib herangekommen. Tieschke zappelte im Wasser und bat, man möge ihm um Gotteswillen heraushelfen, da ihn vor Kälte die Kräfte verließen. Aber Wastl winkte seinem Weibe verständnisvoll zu und versicherte dem unfreiwillig Badenden, sie würden ihn nur dann retten, wenn er sofort eingestände, was er in der Schleife gemacht. Der in Todesängsten Schwebende gestand denn auch, daß er die Vernichtung des Räderwerkes geplant und zu diesem Zwecke eine eiserne Stange in dasselbe eingetrieben habe. Sein Plan wäre ihm wohl gelungen, wenn ihn Wastl nicht gestört hätte.

Das war das Christgeschenk, das er dem lutherischen 233 Schleifer zugedacht. Er versicherte aber, jetzt seine That zu bereuen; man solle ihn nur laufen lassen.

Das erstere geschah, zu dem letzteren aber hatte Wastl keine Lust. Er band ihm mit seinem Schnupftuch die Hände fest zusammen, bewaffnete sein Weib mit einem Prügel und beauftragte sie, auf den Verbrecher wohl achtzuhaben, bis er selbst aus der Radstube zurück käme. Es schien ihm vor allem nötig, die Eisenstange aus dem Räderwerke zu entfernen, um ein Unglück zu verhüten.

Tieschke warf sich, als er mit Wastls Frau allein war, vor dieser auf die Kniee nieder und bat sie, ihn über die nahe Grenze entwischen zu lassen. Er hatte nicht Kraft genug, sich ohne ihre Genehmigung durch die Flucht zu retten. Aber sie war ein unerbittlicher und unbestechlicher Posten und antwortete dem vor Frost und Nässe Schnatternden mit innerer Genugthuung:

»Iß dei' Christkindlsuppen nur aus, die 's d' dir eingebrockt hast. Deiner pinkaten Nachteulen wern sie 's aa schon zoagn, wo der Bartlmä 'n Most her hat. Irr i mi nöt, kimmt dort unser Herr Pfarrer. Dös wird a schöne Absolution geben. I hätt a gute Lust, i werfet di wieder ins Wasser eini, daß i aa dabei sein könnt.«

Tieschke schrie erschrocken auf, denn er sah sich schon wieder im Wasser zappeln. Wastls Weib aber konnte die Neugierde nicht mehr länger bezähmen.

»Vorwärts marsch, Lumpazi!« kommandierte sie und schlug mit ihrem Gefangenen die Richtung nach der Schleife zu ein.


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