Maximilian Schmidt
Meister Martin
Maximilian Schmidt

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II.

In jenen Tagen, in welchen diese Erzählung spielt, war das Volk des bayrischen Waldes noch in großer geistiger Unmündigkeit. Ein Lutheraner in einer stockkatholischen Gemeinde war ein schwarzer Widder unter weißen Lämmlein. Die Leute waren gewohnt, Luther und den Teufel für ganz identisch zu halten. Unter einem »Lutheraner« stellten sie sich konsequenter Weise einen Menschen vor, dessen Aussicht fürs Jenseits unfehlbar die ewige Verdammnis sein mußte, und wir möchten nicht beschwören, daß diese Anschauung schon völlig verdrängt worden ist. Sie datiert jedenfalls noch aus der Schwedenzeit, wo gerade diese Gegenden am härtesten bedrängt wurden.

»Schade um die netten Kinder,« sagten barmherzige Leute; »sie können nix dafür, daß sie der ewigen Verdammnis anheimfallen müssen,« setzten sie in ihrem Gedankengange fort. Andere gaben sich sogar die Mühe, wenn sie den Kindern begegneten, dieselben mit Weihwasser zu besprengen, damit das höllische Feuer gedämpft werde, und vermeinten ihnen noch manches andere Gute. Die meisten aber blickten mit Abscheu nach ihnen und riefen ihnen manchen Schimpfnamen nach.

Da die beiden älteren Kinder schulpflichtig waren, so mußten sie im nächsten Pfarrdorfe die Schule besuchen. Da gab es denn immer ein großes Gaudium, wenn vor und 219 nach der Schule gebetet wurde. Es kam der übrigen Dorfjugend gar spaßig vor, daß die jungen Ketzer kein Kreuz machten. Sobald es nun dazu kam, wandten sich sämtliche Augen nach ihnen und bei den Schlußworten »Und des heiligen Geistes. Amen!« brach jedesmal ein allseitig Gelächter los.

Die Schleiferskinder kehrten sich wenig an dieses sonderbare Vergnügen der anderen und ließen sich nicht irre machen in ihrer Arbeit, so daß sie ihre Plätze in der ersten Bank behaupteten und in Bezug auf Lernen den Uebrigen oft als Muster vorgestellt wurden.

Auch die Werkstatt Meister Ehrmanns durfte allen anderen Gewerbetreibenden als Muster dienen. Eine Kiste nach der andern, mit schönen geschliffenen Gläsern gefüllt, wurde durch den Boten nach Nürnberg befördert und der Fabrikherr begab sich selbst oft in die Schleiferei Martins und ließ besonders künstlerische Bestellungen durch ihn zur Ausführung bringen.

Das ärgerte manchen der übrigen Glasschleifer und die sichtlich zunehmende Wohlhabenheit auf der »lutherischen Schleif,« wie man die frühere »Gurgelschleif« jetzt nannte, stach vielen in die Augen, besonders aber dem abgehausten Tieschke, der sich mit seinem leeren Geldbeutel bereits die Augen auswischen konnte.

»Der lutherische Schleifer hat mi z' Grund g'richt't!« behauptete er, als er dem Wirte sein letztes Geldstück hinwarf.

Die Frage »Was jetzt?« trat gebieterisch an ihn heran. Niemand wollte den Trinkbruder in Arbeit nehmen, selbst wenn er eine solche gesucht hätte, und der Gendarmeriekommandant mahnte ihn bereits, dies letztere bald zu thun, 220 da er ihn sonst als arbeitsscheuen Menschen bei Gericht zur Anzeige bringen müßte.

In dieser Not half ihm dann seine Freundin Urschi.

Der alte Hüter Wastl, der sie schon öfter dem allgemeinen Spotte ausgesetzt hatte, mußte fallen, und sie bemühte sich, den verkommenen Tieschke an seine Stelle zu bringen. Als Hauptanklagepunkt diente ihr die Behauptung, daß der alte Wastl längst als Heide bekannt sei und daß er es gar auffallend mit dem lutherischen Schleifer halte.

Wastl war auch in der That die einzige Person, mit welcher Meister Ehrmann etwas vertraulicher verkehrte. Der alte, aber noch rüstige Mann mit seinem langen, zottigen, schwarz und grau gemischten Haar, dem wettergebräunten Gesichte und den kleinen, frischen Augen hatte für den Meister viel Ansprechendes. Er suchte ihn deshalb an Sonntagen öfters heim auf seinen Weideplätzen hoch oben an den Birkenbergen, von welchen man eine prächtige Aussicht über die Gegend hatte. Hier weilte Wastl wie ein echter Kuhfürst in der Mitte seiner muhenden Gemeinde. Oft Tage lang allein und ohne Ansprache, war doch sein Geist nicht unthätig in Gottes freier Natur und im Kopfe dieses einfachen Hüters entstanden Gedanken, die manchem Philosophen zur Ehre gereicht hätten.

Es war am letzten Sonntage seiner Hüterzeit, wenige Tage vor Martini, als ihn Ehrmann wieder besuchte. Dieser setzte sich neben ihn hin auf einen bemoosten Granitfelsen. Im Thale waren soeben die Glocken verklungen, die zur Vesper luden, der herbstliche Himmel war tiefblau, der Horizont begrenzt von tannendunklen Waldmassen, aus welchen nur das graue, kahle, mit Felsentrümmern besäte Haupt des Lusen aufleuchtete. Ein tiefer stiller Friede war 221 über den scheinbar endlosen Wald ausgegossen und erweckte jene Sehnsucht nach der Ferne, wie sie sonst nur der Anblick des weiten Meeres erzeugt.

Ehrmann blickte lange schweigend nach den fernen und scheinbar doch so nahe gerückten, waldigen, den Horizont abgrenzenden Bergen.

»Ueber der Waldgrenz dort läuft d' Donau,« erklärte Wastl, den Blick und vielleicht auch die Gedanken des Meisters verfolgend. »Wie gern möcht i's sehen; 's muaß a mentisch groß's Wasser sein.«

»So seid Ihr noch nie über Eure Berge hinausgekommen?« fragte Ehrmann.

»Dös is's ja, was mir oft mei' Hirn ganz rebellisch macht,« antwortete der Alte. »Wenn i oft am Bachl sitz, das dort aus die Felsen laaft und an mein' Stecka schnitz für d' Martinigerten, da wirf i manchmal a Spanl eini und schau eam nach, wie's lusti weiterschwimmt gen Thal, wie's weiter roast und weiter, in d' Ilz, in d' Donau und bis ins Meer und dabei wünsch i mir nacha: kaant i aa mit, furt über d' Berg, weit furt bis hin zum Meer, und furt und furt – in d' Ewigkeit!«

»Ja, ja,« meinte der Meister, »ich kenne diesen Trieb. Ich habe die Welt gesehen, sie ist schön. Aber noch schöner ist eine traute Heimat, eine Heimat, in der man sein Brot verdienen und mit den Seinigen in Ruhe und Frieden leben kann.«

»Der Wunsch is Enk erfüllt,« meinte Wastl.

»Nicht so ganz,« erwiderte der Meister, und wie eine trübe Wolke zog es über sein Gesicht. »Die Leute hier sind mir nicht freundlich gesinnt.«

»Die Strohköpf!« fuhr der Alte auf. »Mi halten's 222 aa für an' Heiden, weil i meine extrigen Ansichten hon. I bild mir aber ein, es san schon die rechten, die vom echten Glauben.«

Der Meister war von dieser Rede nicht weniger überrascht.

»Wer hat sie Euch denn gelehrt?« fragte er.

»Wer? Schauts umanand in dera großen Natur, da braucht ma' koan andern Lehrmoasta. Wenn d' Sunn aufgeht und wieder awisteigt, wenn d' Bleameln blüahn, wenn's Laub verwelkt, wenn d' Lercheln singa und wenn's Wildfeuer tobt, da predigt eam die große Natur dös Rechte und dös Wahre. Die sagt mir's, wie großmächti unser Herrgott is, den d' Leut so kloa' machen möchten, daß 's eam zorna thuat. Wer a bißl was anders glaubt, wie sie, glei wird er verdammt!«

»Dieser grausamen Ansicht sind leider schon Unzählige zum Opfer gefallen,« versetzte Ehrmann seufzend, »und – Unzählige werden leider noch folgen.«

»Ja mein Gott, was willst machen?« meinte Wastl. »Dö Dummheit stirbt nöt aus auf der Welt. Kaannt i's nur an' jeden klar machen, daß's nur an' oanzigen Gott giebt für uns alle und daß ma alle, san ma Christen oder Juden, nur zu dem Oan beten, der oane auf Umwegen, der andere grad, wie's eam halt angeborn und g'lernt is worn. Betracht's nur dös Bachl dort, dös laaft in d' Ilz, über'n Berg drunten laufa die Quellen in Regen, die oa' lauft z' Regensburg, die ander z' Passau in d' Donau, da kömma d' Wasser vom Wald wieder zama und rinna mitanand ins Meer. Grad so is's mit'n Beten, mit'n Glauben. Is der Mensch nur rechtschaffen, so dringt sei' Gebet schon dahin, wo's hinkömma muaß, sollt's aa oft Umweg braucha. Der 223 dort oben woaß schon, was er davon z' halten hat. I moan, der macht koan Schiedunter zwischen an' lutherischen und an' katholischen Vaterunser. Dös is mei' Glauben und dernthalben hoaßens mi an' Heiden drunten im Dorf. So bin i halt a Heid!«

Ehrmann reichte dem Alten die Hand und sah ihm lange in die ehrlichen Augen.

»Kommt zu mir, wenn Eure Hüterzeit um ist und Ihr Verdienst braucht,« sagte er zu ihm; »Ihr sollt ihn bei mir jede Stunde haben.«

»Dös kunnt der Fall wern,« meinte Wastl. »Martini is in etli Tag und i hon was munkeln hör'n, daß 's Kloa'vieh, d' Schaf und d' Schwein, die aufs Winterfeld trieben wern, an' andern soll'n anvertraut wern. I hon 'n Tieschke nenna hör'n, den Kapitallumpen. No', wie Gott will! Aber zum Hüataball mach i schon heut mei' höfliche Einladung; es waar mir a große Freud, wenn's mir die Ehr gebet's.«

Meister Ehrmann versprach ihm, seiner Einladung Folge zu leisten und freudig schlug der alte Wastl in die dargereichte Hand des sich von ihm Verabschiedenden. 224


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