Maximilian Schmidt
Meister Martin
Maximilian Schmidt

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I.

Das bayrisch-böhmische Grenzgebirge ist ungemein quellenreich und entsendet zahlreiche Gewässer nach allen Richtungen. Dieser anfangs durch Urwildnisse in felsigem Bette hinab brausenden, braunfarbigen Wasser hat sich die Industrie seit langem bemächtigt. Allenthalben klappern lustig die Wasserräder am Rande der rasch dahinflutenden Bäche und verdrängen die einstige feierliche Stille der hehren Waldeseinsamkeit.

In ununterbrochener Thätigkeit verarbeiten die Schneidsägen die riesigen Stämme des Waldes und die großen Triften von Bau- und Brennholz bringen eine vielverzweigte Thätigkeit in das ganze Waldgebiet.

An einem dieser in steilem Falle über felsiges Bett herabstürzenden Gebirgsbäche, der sich durch ein höchst romantisches Thal seine Bahn bricht, in dessen Nähe sich ein ärmliches Kirchdorf und eine große Glashütte befinden, sind mehrere kleinere Wasserwerke von der einfachsten Konstruktion angebracht. Es sind kleine Glasschleifereien und Polierwerke, deren Besitzer von der nahen Hohlglasfabrik 210 ihre Ware in rohem Zustande beziehen und mittelst ihrer Schleif- und Poliersteine veredeln.

Diese Glasschleifer sind ärmlich einfache Leute, obwohl die auf das Glas eingeschliffenen, oft prächtigen Landschafts- und Jagdbilder auf künstlerisch gebildete Arbeiter schließen lassen. Aber hier ist es, wie bei den Holzschnitzern in Berchtesgaden: Durch die fortwährende Uebung in dem Einerlei der Vorwürfe, eignen sie sich jene mechanische Fertigkeit und Schnelligkeit in der Arbeit an, die es ihnen ermöglicht, ihre vom Laien für Kunst gehaltenen Erzeugnisse um billigen Preis wieder an die Niederlagen zu verschleudern, obwohl gerade hier dem kaufenden Publikum gegenüber auf den Kunstwert das Hauptgewicht gelegt wird.

Diese Glasschleifer bringen es auch in der Regel zu keinen Ersparnissen. Wie bei den Glasmachern wird der meiste Erlös durch die Gurgel gejagt und geht der Mann mit Tod ab, so beeilt sich die Gemeinde, die hinterlassene Familie so rasch als möglich in ihre ursprüngliche Heimat, welche gewöhnlich das nachbarliche Böhmen ist, zu entfernen.

Nach charakteristischen Merkmalen ihrer Besitzer hat der Volkswitz diesen kleinen Quetschen mancherlei Namen gegeben. So giebt es unter anderem eine »Altweiberschleif«, eine »Teufelsschleif« und eine »Gurgelschleif«. Der Besitzer der letzteren zeichnete sich ganz besonders durch die Leistungsfähigkeit seiner Gurgel aus. Er hieß Tieschke.

Heißt es in der Bibel: »Sechs Tage sollst du arbeiten und am siebenten sollst du ruhen,« so richtete sich Tieschke den Spruch nach seiner Art zurecht: »So lange du Geld hast, sollst du ruhen und trinken, und wenn die Taschen leer sind, magst du arbeiten.« Kein Wunder also, wenn die Gurgelschleife nicht musterhaft dastand, wenn sie 211 vernachlässigt und wie herrenlos aussah. Das Wasserwerkchen litt Schaden, repariert wurde nichts und so kam es, daß eines Tages das Wasserrad samt der Transmission von dem reißenden Gebirgsbache mitgenommen wurde und Tieschke mit gerungenen Händen jammernd den davoneilenden Trümmern nachstarrte.

Tieschke war allseitig beliebt. Er that niemand etwas zu leide, als sich selbst, und was bei der Gemeinde den Ausschlag gab, war, daß Tieschke an keinem Sonn- und Feiertag versäumte, während des Gottesdienstes seinen gewohnten Platz in der Kirche einzunehmen. Da saß er, regelmäßig einer der ersten, maltraitierte sein altes Gebetbuch nicht weniger, wie sein Brisilglas und schlief meistens schon, sobald der Pfarrer den ersten Teil seiner Predigt begonnen. Er gab auch in den Klingelbeutel sein Gröschlein und die vielen Betschwestern des Dorfes rechneten ihm dieses Gröschlein hoch an in ihrer Gunst. Aber seine Zeit war hier um. Eines Tages kam ein würdig aussehender und Vertrauen erweckender Mann zu ihm, handelte ihm das defekte Schleifwerk, das heißt, die Ueberreste und den Platz desselben ab, bezahlte ihn bar aus und Tieschke zog ab – aber nicht von dannen, sondern ins Wirtshaus des Dorfes, wo er sich so lange aufzuhalten gedachte, als die paar hundert Gulden ausreichten.

Der neue Glasschleifer hieß Martin Ehrmann, war ein großer, starker Mann mit üppigem, blondem Haupthaar und kam aus Nürnberg, wo er seine Familie, eine Frau mit drei Kindern zurückgelassen, bis das neu erstandene Anwesen in gehörigen Stand gebracht war. Der beste Mühlarzt der Gegend mußte eine neue Radstube mit verbesserter Transmission herstellen und ein Maurermeister richtete das 212 kleine Wohngebäude zurecht. Meister Ehrmann zahlte alles richtig und bar, und die Dörfler sowohl, wie die Glasmacher und sonstigen Fabriksleute zeigten zunehmendes Interesse für den Fremdling.

Als endlich gegen den Herbst zu das Werk in gehörigen Stand gebracht war, begann dieser seine Thätigkeit. Gegen die Gewohnheit der übrigen Schleifer arbeitete er nicht auf Akkord für den Fabrikherrn, sondern kaufte von diesem das Rohglas nach Bedarf, besorgte infolge einer neuen Einrichtung auch das Vergolden der Gläser und sandte die veredelte Arbeit nach seiner Vaterstadt Nürnberg, woselbst er einen eigenen Laden zum Verkaufe seiner Ware unterhielt.

Es war ein großer Freudentag für Martin Ehrmann, als endlich seine Familie angefahren kam, und mit den Worten »Der Herr segne unsern Ein- und Ausgang« von der neuen Heimat Besitz ergriff.

Die Frau mochte gleich dem Manne im Anfange der Vierzigerjahre stehen. Der Knabe war neun, die beiden Mädchen sieben und vier Jahre alt.

Nun war alles begierig, diese Frau am nächsten Feiertag in der Kirche zu sehen. Als sie nämlich in dem Reisewagen angefahren kam, wollten einige Neugierige bemerkt haben, daß die Glasschleiferin einen Hut trage, einen Hut, dessen sich bis jetzt nur die Frau des Fabriksherrn zu rühmen hatte. Auch die Kinder waren ganz städtisch gekleidet und man war nun »gespannt« auf den ersten Kirchgang dieser Familie.

Man hatte es schon übel vermerkt, daß der neue Schleifer bis jetzt noch niemals zur Kirche gekommen war; weder da, noch im Wirtshaus ließ er sich blicken. Kost und 213 Getränke hatte er sich aus der Marketenderei der nahen Glasfabrik nach Hause holen lassen. Er mied die Leute, welche ihn ausholen wollten und machte sich immer zu schaffen, wenn er am Feierabend den Besuch Neugieriger erhielt. Man hoffte daher, sobald Frau und Kinder einmal da seien, würde auch der Mann zugänglicher werden. Eines Sonntags also war die ganze Pfarrgemeinde in einer gewissen Aufregung, als zum Frühgottesdienst geläutet wurde. Alles blickte nach dem Wege, auf welchem Martin Ehrmann mit den Seinigen kommen mußte.

Ganz besonders neugierig war die »pinkat Urschi«, eine Betschwester, die infolge ihres durch eine Blatternkrankheit entstellten Gesichtes so genannt wurde. Ihre Oberlippe bedeckte ein Haarwuchs, der einem Wachtmeister Freude gemacht hätte, ihre Augen rollten wie Feuerräder. Sie war das lebendige Tageblatt, drängte sich in alle Familien ein, trug hinüber und herüber, hetzte die Leute auf einander, stiftete selbst im Pfarrhofe Unfrieden, da sie jede ihr auffallende Unregelmäßigkeit an die geistliche Oberbehörde denunzierte, plapperte aber dann, teilweise mit ausgespannten Armen ein halbes Dutzend Rosenkränze herunter, worüber die Engel im Himmel sicher nicht in freudige Extase gerieten.

Die »pinkat« Urschi hatte sich über den neuen Schleifmeister bereits so viel wie möglich erkundigt. Sie hatte schon einige Male eine Annäherung an ihn gesucht und scheinbar im Vorübergehen, wenn sie ihn gewahr wurde, einen Diskurs mit ihm begonnen, aber Ehrmann schnitt die Unterhaltung jedesmal mit den Worten ab:

»Ich habe keine Zeit zum Schwätzen. Gott befohlen!«

Darüber konnte die böse Sieben nun gerade keine 214 Randglossen machen. Als aber die Familie des Schleifmeisters ankam und sie mit ihren eigenen rollenden Augen gesehen hatte, daß die noch hübsche Frau gleich der Gattin des Fabrikherrn einen Hut als Kopfbedeckung trug, da sprudelte es von ihren behaarten Lippen und sie hatte Gelegenheit, ihrer Lieblingsbeschäftigung zu fröhnen und hier »ein Kohlenhäufl anzublasen,« daß es bald ganz blau herausrauchte.

So hatte sie alle Leute auf der Schleiferin ersten Kirchengang neugierig gemacht und sie blinzelte wohlgefällig zu dem abgehausten Tieschke hinüber, der auf seinen Nachfolger durchaus nicht gut zu sprechen war, denn jetzt, nachdem das Werk nun hergerichtet, stach es ihm auch wieder in die Augen, und nachdem ein Geldstücklein nach dem andern in die Tasche des Wirtes verschwand und das Kapitälchen schon sehr zusammenschmolz, war es ihm hie und da, als früge ihn eine innere Stimme, die Stimme des Gewissens:

»Was dann?«

Es schauderte ihm vor der Antwort, aber er unterdrückte sie durch den Vorwurf, den er sich machte, indem er sich sagte:

»I hon mei' schöne Sach z'wohlfeil hergeben; der Nürnberger hat mi drankriegt.«

Und die »pinkat« Urschi gab ihm recht. Sie redete so viel in den fast stets Beduselten hinein, daß er sich bald selbst für das bedauernswerteste Opfer eines eigennützigen Fremdlings betrachtete und Martin Ehrmann geradezu als seinen größten Feind bezeichnete, der ihn um sein Hab und Gut gebracht.

Heute konnte er den ersten Trumpf gegen ihn ausspielen. Nachdem die neugierige harrende Menge über das 215 vergebliche Warten bereits ungeduldig geworden und die Glocken jeden Augenblick zum Beginn des Gottesdienstes zusammenläuten mußten, trat Tieschke in seinem schmierigen Kittel herzu.

»Auf'n Schleifer wart's umsonst, Leut'ln,« sagte er; »der kimmt nöt in unser Kircha.«

»Warum nöt?« fragte man ihn.

»Er wird dennast koa' Heid sein?« meinte die »pinkat« Urschi, sich bekreuzend.

»No' was viel Aergers!« erwiderte Tieschke heuchlerisch. »Jetzt woaß i, warum's mir mei' Radstuben wegg'schwemmt hat, warum koa' Aufkommens mehr für mi war. Wißt's, warum?«

»Warum? Was is's?« fragten die immer neugieriger werdenden Leute durcheinander.

»Jetzt woaß i 's, warum koa' Segen in mein' Geld is,« fuhr Tieschke fort, »warum's zamschwindt, wie d' Butter in der Sunn'.«

»Weilst es verlumpst!« fiel ein ehrlicher Geradean, der Hüter Wastl, ein.

»Bst!« machte Urschi. »Red, Tieschke! Is am End gar a Wolf in unser Schafherd kömma?«

Jetzt begannen die Glocken zu läuten und für Tieschke war es hohe Zeit, wenn er seinen Trumpf ausspielen wollte.

»Daß 's es wißt's, lutherisch is er, der neu' Schleifer, er und sei' ganze Familie.«

»Lutherisch?« schrie alles entsetzt.

»Heiliger Gott!« rief Urschi, »verlaß deine unschuldigen Küchlein nöt. Schick uns eine Henne, unter deren Flügel wir Schutz suchen können vor dem bösen Geier.«

216 »O je!« spottete der Hüter Wastl, »die »pinkat« Urschi und a Küchlein! I halt di schon eher für a Nachteulen.«

Ein schallendes Gelächter folgte diesem Ergusse.

»Mach, daß d' weiterkimmst, du Heid, du!« schrie die Beleidigte mit wahrer Megärenstimme.

Wastl trottete lachend der Kirche zu. Die Mehrzahl der Leute folgte ihm. Einige andere aber nickten der alten Jungfer mit besorgten Mienen zu und schüttelten bedenklich die Köpfe. Langsam schritten auch sie dem Gotteshause zu.

Noch vor der Kirchenthüre sagte Urschi zu dem neben ihr herschreitenden Tieschke:

»'s is mir schon alleweil an dem Menschen was aufg'falln; er hat schon so an' luthrischen Gang. Und daß eam alles so glückt, der Himmel woaß, was da mithilft! I bin froh, daß i koa' Geld von dem z'kriegen hab.«

»Und i,« erwiderte Tieschke, eine Priese Schmalzler nehmend, »i mach, daß i's meine so g'schwind als mögli anbring. Sakara! 's gloria in excelsis geht schon an –«

»Bst!« machte die Betschwester, sich bekreuzend. Im nächsten Augenblick lag sie auf den Knieen und ihre Augen rollten mit Andacht himmelwärts. –

Martin Ehrmann hatte zu eben dieser Stunde Weib und Kind in der Wohnstube um sich versammelt und las ihnen das auf den heutigen Tag treffende Evangelium vor, dann sangen alle aus dem Gebetbuche die für diesen Tag ausgezeichneten Verse und nachdem sie der sonntäglichen Feier möglichst Genüge gethan, begab sich die Frau in die Küche, um den Sonntagsbraten zu bereiten, während der Vater mit den Kindern einen Gang in den nahen Hochwald machte. Die riesigen Stämme der Tannen und Fichten und die glattschäftigen Buchen gemahnten sie an die Säulen in 217 einem gotischen Dome, über welchen sich das blaue Himmelsgewölbe ausbreitete. Ein feierliches Halbdunkel und eine nur durch das Gemurmel eines nahen Quellbaches und durch den Gesang der Walddrossel unterbrochene Stille herrschte hier. Die übrigen gefiederten Sänger hatten sich zur Mittagsruhe aufgesetzt, guckten aber neugierig von den Zweigen herab auf die Besucher.

»Ich meine, ich bin in der Lorenzerkirche,« sagte das ältere Töchterchen, und der Vater benutzte diese feierliche Stimmung der Kleinen, um ihnen zu erklären, daß dieser herrliche Dom, den sich Gott selbst aufgebaut, wohl künftig ihr einziges Gotteshaus sein werde, daß aber Gott ihre Andacht, hier dargebracht, ebenso wohlgefällig aufnehme, wie in dem stolzesten, von Menschenhand erbauten Dome.

Und hell klangen nun ihre schönen Psalmen durch den herrlichen Wald. Drossel und Amsel lauschten erst betroffen, dann sangen sie emsig mit den Kindern und Meister Martin, und das Tosen des nahen Gebirgsbaches begleitete den feierlichen, weithin hallenden Sonntagschoral. Es war ein echter Gottesdienst. 218


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