Maximilian Schmidt
Die Ameisenhexe
Maximilian Schmidt

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V.

Der Angerbauer und Mirl waren schon bei Morgengrauen von Hause weggefahren. Jener machte heute nicht das wohlwollende Gesicht, wie vor vier Wochen. Seinen Kopf durchkreuzten schlimme Gedanken und seine Schweigsamkeit unterbrach nur manchmal ein derber Fluch. Mirls Gesicht dagegen trug alle Zeichen des Glücks und der Zufriedenheit. In ihrem jungfräulichen Gemüte war ja die schönste Blume aufgekeimt: die Liebe. Der Schruller Ferdl war, wenn auch kein besonderes Geisteskind, so doch ein braver, wackerer Bursche und der einzige Sohn eines bedeutenden Großbauern. Mirl fühlte sich glücklich. Sie hätte so gern mit ihrem Vater von ihrem Glück gesprochen, aber dieser hatte vorerst nur seinen ungehorsamen Sohn, den Friedl, im Kopf, der ihn in so unerhörter Weise betrogen, sich von einer Hexe umgarnen ließ, die Verbindung mit dem reichen Basl unmöglich gemacht und im ganzen Winkel zum müßigen Gerede geworden.

»No' wart!« wiederholte er immer wieder zähneknirschend.

»Aba Vata, du wirst dengerscht 'n Friedl nit schänden?« erlaubte sich Mirl einzuwenden. »Z'erst muaßt hörn, wie die Sach steht; und mit der Hex, moan i, hat's a bsundre Bewandtnis.«

»Dera will i's Hexen scho' vertreib'n!« rief der Bauer.

269 »Ja, wenn's di nit aa verhext,« lachte Mirl. »Du hast alleweil an' alte, grausige, a recht a wilde vor Augen. Denk dir amal die Hex, die's 'n Friedl antho' hat, als a jungs, saubers, schwarzaugigs Deandl, als a christli's und a frumm's Deandl, a Tirolerdeandl, a lustigs; wirst ebba nacha nit sanftmütiger dafür g'stimmt?«

»Du thuast ja grad, als ob's d' es kennast? Du steckst mit dein' saubern Bruada unter oana Decken, du woaßt mehr!«

»Nix woaß i,« versicherte Mirl. »Aber dös Tirolerdeandl, dös z'naachst zu gleicher Zeit mit uns in der Kircha im Klösterl gwen is, hat dort recht andächti bet'. Die Tirolerin will ma nit recht aus 'n Kopf. Ihr hat der Friedl seine Nagerln g'schenkt, sie hat's an ihra Brust g'steckt und hat'n ang'schaut dabei, so liab, so guat, daß i mi selber ganz in sie verliabt hon. Die Hex, Vata, kaanntst dir g'fallen lassen. Mir waar's justament tausend Mal liaba als Schwagerin, wie die stolz' Basl.«

»Aber a Geld hat's Basl,« warf der Vater ein.

»Aber koa' Herz,« entgegnete Mirl, »und 's Herz is ja dengerscht d' Hauptsach im Leben.«

»Schaamts enk, ös verliabts Gsindel aufananda,« rief der Angerbauer. »So viel is gwiß, 'n Friedl vertreib i seine Faxen, und daß d' Himmelmuatta im Klösterl alles recht macht, hon i die groß' Wachskerzen zum Opfer mitgnomma.«

»Die machts scho' recht,« versicherte Mirl. »Hat's mir nit vor vier Wochen, wie ma von der Wallfahrt hoamgfahrn san, in FallFall – Ortschaft zwischen Lenggries und Vorderriß. 'n Ferdl finden lassen? Hats nit 'n Friedl an demseln Tag –«

270 »Von dem bist ma staad!« unterbrach sie der Vater wild, »koa' Wort will i mehr von eam hörn, bis i selm mit eam Rücksprach gnumma hon.« Dabei machte er eine Bewegung, die als das Gegenteil einer Liebkosung gedeutet werden konnte.

Mirl ließ sich ihre glückliche Stimmung nicht verderben, aber sie behielt ihre Gedanken bei sich. So fuhren sie meist schweigend der Vorderriß zu.

Der Förster war bis spät in die Nacht beschäftigt gewesen, indem er nach der fruchtlosen Verfolgung der Wilderer noch den Floß derselben besichtigte und sonach spät nach Hause kam. Er nahm sich daher vor, über den Burschen erst am nächsten Morgen zu verfügen.

Als er heute nun, seiner Gewohnheit gemäß, in frühester Morgenstunde bloßköpfig und in alter Hausjoppe in den zunächst des königlichen Jagdschlosses liegenden, kleinen Hirschpark gegangen war, um dem prächtigen Lieblingshirsche des königlichen Herrn das Morgenfutter reichen zu lassen, rief ihm Franzei, in ihre gefällige Tirolertracht gekleidet, ein »Guten Morgen, Herr Förschta!« zu.

Das ließ sich der alte Jäger wohl gefallen und freundlich erwiderte er den Gruß des Mädchens.

»Kann mir denken, was dich schon in aller Früh zu mir treibt,« sagte er. »Man könnt völlig eifersüchtig werden auf den Loder.«

»Aber er ischt ja unschuldi!« versetzte Franzei. »Habt's denn seine Papier scho' nachg'sehn?«

»Dazu hab ich noch keine Zeit g'habt,« antwortete der Förster. »Aber nachdem ich gsehn hab, daß der Hans und die Gretl (dies sind die Namen des Hirsches und des Tieres) wohl sind und ihnen 's Fressen schmeckt, will ich 271 die Sache aufnehmen, und 's Liebste ist mir immer, wenn ich nicht viel Schererei mit dem Burschen hab' und ihn laufen lassen kann, obwohl er Strafe verdient, da er mich mit seinem Kardinalsgöden und seiner Romfahrt föppeln wollte.«

»Liaba Herr Förschta, lassen's 'n laufen,« bat Franzei; »heut ischt so a schöner Feiertag. Gel Hansle, du bittst aa für mi, daß der Herr nit so grausam ischt.« Dabei liebkoste sie den Hirsch, der ihr durch den Zaun die Hand ableckte.

»So komm mit mir,« sagte der Förster, »ich laß heut schon eher mit mir reden, als gestern, obwohl ich's nicht verwinden kann, daß mir die Bande ausgekommen ist. Wenn ich nur wüßt, wer ihnen noch in der letzten Minute den Wink gegeben hat, vom Floß aus Reißaus zu nehmen. Mit dem redet ich ein Wörtl! Aber ich krieg 'n schon raus!«

Er führte das Mädchen, das auf des Försters Aeußerung hin wohl errötete, aber mäuschenstill war, in das Haus und ließ es in dem kleinen, an die Wirtsstube anstoßenden, sogenannten Herrenzimmer Platz nehmen, um das weitere abzuwarten. Franzei drückte ihm herzig die Hand und ihre Augen baten ihn inniger, als die wärmsten Worte es vermocht hätten. Der alte Jäger lächelte und ging kopfschüttelnd ab.

Franzei war voll banger Erwartung. Sie blickte durch das offene Fenster hinaus in die prächtige Gebirgswelt. Es war ein lachender Sommermorgen, alles war so friedlich, eine kleine Welt des Glückes schien der scheinbar engbegrenzte Horizont zu umspannen; es war das Glück ihres eigenen Herzens, das sie auf die sie umgebende, schöne Welt 272 ausdehnte. Daß der freundliche Förster nichts Schlimmes mehr vorhatte, das sagte ihr dessen auffallend warmer Händedruck beim Scheiden.

Jetzt sah sie den Angerbauern und seine Tochter ankommen. Es waren dieselben Personen, mit denen vor vier Wochen Friedl die Hinterriß verließ. Beim Anblick des Mädchens ward sie sofort an Friedls Gesichtszüge erinnert. Sie zweifelte keinen Augenblick, daß die Angekommenen Friedls Vater und Schwester seien.

Sie kamen ihr zu früh. Nun konnte sie Friedl nicht mehr allein sprechen. Sie mußte sich selbst sagen, daß der Vater jedenfalls gegen das Verhältnis sein werde und so wurde ihr wieder recht bange ums Herz.

Die Neuangekommenen nahmen in der Wirtsstube Platz, die Thüre zu derselben war nur angelehnt, so daß Franzei jedes Wort vernehmen mußte, das draußen gesprochen wurde, und was sie hörte, ermutigte sie gewiß nicht.

Inzwischen hatte der Förster von den Papieren Einsicht genommen, die sich in Friedls Reisetasche befanden und war nicht wenig überrascht, wirklich einen Reisepaß nach Rom und eine nicht unbedeutende Summe Geldes zu finden und konstatiert zu sehen, daß der Bursche der Sohn des geachteten Angerbauern Leitermann von Lenggries sei, der ihm von seinem früheren Aufenthalt in Chiemgau wohl bekannt war. Nun war ihm alles klar, wenn er sich das schöne Franzei dazu dachte. Jakob hatte um Rahel sieben Jahre gedient, warum sollte Friedl nicht um Franzei drei Wochen Holz hacken und Blumen pflücken?

Ohne Verzug begab er sich daher in die Stube des Arrestanten und kündigte ihm die Freiheit an.

273 Friedl hatte ohnedies nichts anderes erwartet und legte keine besondere Bewegung an den Tag; er wurde erst lebhafter, als ihm der Förster sagte, daß sich die Sache wahrscheinlich noch einige Stunden verzögert hätte, wenn nicht die schöne Tirolerin um seine Freilassung gebeten hätte.

»Unten im Herrenzimmer wart's auf dich,« setzte der Förster hinzu. »Geh zu ihr und schätz' das Glück, so ein Dirndl g'funden z'haben. Sei ehrlich, treib kein Spiel mit ihr. Es macht dich nichts reicher, als ein herzensguts Weib und wenn's noch dazu so schön ist, wie's Franzei, so darfst dich just als einen der glücklichsten schätzen auf der Welt. B'hüt dich Gott; nichts für ungut! Zur Hochzeit schick ich dir schon einen Kapitalbock.«

»Den, Herr Förschta, müaßts Oes mitessen helfen,« sagte Friedl ganz glückselig. »I dank Enk für die schö' Red. Freili halt i zum Franzei auf ewi, aber mei' Vata wird ma's schwaar gnua macha. Herr Förschta, Oes habts ma gestern viel Unrecht tho'; dös könnts tausendfach guat macha, wenn's mir und 'n Franzei guat reden möchts bei mein' Vatern, der heunt her kimmt.«

»Topp!« rief der sehr gut gelaunte Forstmann. »Sag mir's nur, wenn dein Vater da ist. Wir werden uns schon wegen deinem Franzei verständigen. Laß 's jetzt nimmer länger warten; kannst ihr in mein' Namen auch a paar Schmatzer geben.«

Friedl eilte freudig lachend von dannen. Er nahm sich gar nicht Zeit, seine Arbeitsmontur mit seiner besseren Kleidung zu vertauschen, er dachte nur an sein Franzei.

Der Angerbauer hatte inzwischen die Kellnerin gefragt, ob der Schruller hier übernachtet habe.

»Bei uns is heunt nacht koa' Fremder gwen,« 274 antwortete diese und sich besinnend, fügte sie hinzu: »Aber, daß i wahr red, im Arrestkammerl oben is oana, der's mit die Wilderer halten soll, mit den's gestern so an' harten Kampf abg'setzt hat.« Und nachdem sie davon erzählt, was sie wußte, setzte sie leiser und etwas vorsichtig hinzu: »Mi freuts, daß's es nit dawischt hab'n und der Dalk da oben thuat ma load, daß er si' hat fanga lassen. Oes sollts 'n kenna, er is von Lenggries z' Haus – Friedl Leitermann hoaßt er.«

Vater und Tochter erblaßten.

»Dös is nit wahr!« rief der Angerbauer.

»Dös is scho' wahr!« entgegnete die Kellnerin. »Mi dauert er. Er siehgt si' gar nit außi auf an' Wilderer, 's is a saubers Bürschl. Mei', so geht's halt oft!« schloß sie seufzend und verließ die Stube.

»Kann's denn möglich sei', daß er so tiaf gsunken is,« rief der Angerbauer. »A Wildschütz! Na', dö Schand!«

»So a Kuraschi hätt' eam gar nit zuatraut,« versetzte Mirl nicht ohne Anflug von Wohlgefallen.

»Hör auf dei' dumms Gschwaatz!« fuhr sie der Alte an. »Unser Nam' is g'schänd't im ganzen Isarthal. Aber i hon niemals gsehgn, daß der Friedl a Bix in der Hand ghabt hat,« fuhr er sinnend fort; »nit amal a Vogelflinten. Sollt er ebba gar so an' Bazi, an' Schlingenleger g'macht hab'n? Dös wär no' 's allerschrecklichst!«

»Da waar's dengerscht gscheita, wenn er sei' Bix hätt' glei ordentli krachen lassen,« meinte Mirl. »Es wird aa so gwen sei'. Der Friedl macht uns koa' Schand, dös därfst glaubn, Vata, der is a ehrlicha Wildschütz.«

»Bist staad!« schrie der Alte.

275 Mirl konnte ohnedies ihre Verteidigung nicht fortsetzen, denn Friedl kam soeben zur Thüre herein.

Ein dreifacher Ausruf der Ueberraschung tönte durch die Stube. Friedl fand zuerst die Sprache wieder.

»Ja grüaß enk Gott mitanand!« sagte er und wollte dem Vater die Hand reichen.

Dieser zog jedoch die seinige rasch zurück, indem er rief:

»So kimmst zruck aus Rom?«

Friedl überkam jetzt ein Galgenhumor und er erwiderte lächelnd:

»So a Roas' nimmt 's Gwanta her.«

»Natürli,« versetzte der Alte, »du hast es so strapliziert auf'n Güterzug, daß aus dein' Feiertagsrock a alte graue Joppen worn is. Himmel Herrgott! Friedl, bist es denn? Is 's denn mögli, in vier Wochen a ganz umkehrter Mensch z'wern? D' Wahret will i hörn, eh i di – bald hätt' i ebbas gsagt!«

»So frag halt ordentli, na' wird der Friedl d' Wahret sagn,« versetzte Mirl.

»Du bist ganz staad!« rief ihr der Vater zu.

»Frag nur,« sagte Friedl, »i vertusch nix.«

»Bist in Rom gwen?« donnerte ihn der Angerbauer an.

»Na',« antwortete der Sohn. »Da wär's Geld schö' umsonst verroast worn. An' Dispens holn in Rom – und 's Basl mag gar nimmer. Dös Geld hon i mir ersparn kinna.«

»Und hast es verlumpt?« schrie der empörte Vater. »Gel, dös hat dir besser paßt?«

»Is ja gar nit wahr, Vata,« entgegnete Friedl. »Da schaug her, in dem Beutl is mei' gan's Roasgeld drin, 276 wie's d' es einizählt hast. I hon dös Geld nit braucht, i hon mir selm oans verdient, ehrli und redli als Holzarbeiter, und dazu konnst koa' Sunntaggwand braucha. Woaßt, i hon halt a Abenteuer g'habt, wie's d' es in deiner Weisheit vorausgsehgn hast.«

»An' Wilderer hast g'macht, du ungeratener Sohn, du!« schrie der Bauer.

»Dös war nur a ungerechter Verdacht vom Herrn Förschta; der wird's dir glei' selber sag'n, daß i unschuldi bin. Giebst ma itz dei' Hand no' nit?«

Der Angerbauer machte eine abwehrende Bewegung.

Aber Mirl ging zu dem Bruder und reichte ihm mit zärtlichem Blicke die Hand.

»I wünsch' dir Glück, Mirl,« sagte dieser, »du bist ja Hochzeiterin worn.«

»I dank dir, Friedl,« entgegnete die Schwester.

»No' und du bist aa Hochzeiter worn,« sagte der Angerbauer, Friedls zärtlichen Ton zu seiner Schwester nachäffend. »Solln ma dir ebba aa Glück wünschen zu deiner Hex, die dös aus dir g'macht hat, als was d' itz so jämmerli dastehst. Dawisch i 's nur, die soll an mi denka!«

»Ja Vata, stellst du dir ebba gar a Hex vor mit der Mistgabel zwischen die Füaß, die für'n Rauchfang außi fahrt?« lachte Friedl. »Mei' Deandl is grad a Amashex, an' Amasoarsammlerin. Ja was hast dir denn du vorg'stellt?«

»I kann mir vorstelln, was i will,« rief der Vater.

»Na', dös kannst nit. Du kannst dir nit statt unsern Bräunl draußen an' Frosch vorstelln und kannst dös, was 277 weiß is, für schwarz anschaugn oder glei' an' Engel von an' Deandl für a alte, wilde Hex.«

»Du hast die Keckheit g'habt und hast in dein' verlogna Briaf von dem Engel g'schriebn, du hast uns sogar eing'laden, daß ma mit dir in der Hinterriß heut zamkemma solln.«

»Und es is recht schö' von enk, daß 's meina Einladung nachkömmt's.«

»Staad bist, du pflicht- und ehrvergess'ner Bua!« wetterte der Alte.

»Vata, du thuast ma unrecht. I hon drei Wochen g'arbet, und wer arbet, is weder pflicht- no' ehrvergessen. Und wenn mi mei' Herz zu dem Deandl hinzogn hat, dös brav und arbeitsam is, so därfst mi aa nit schänden. Du muaßt dir's halt amal anschaugn, nacha wirst glei anders reden.«

»Da hat der Friedl recht,« warf Mirl ein.

»I mag aber nit!« polterte der Alte. »I hon mir heunt schon gnuag g'hört und g'sehgn von dir, i fahr nimmer in d' Hinterriß.«

»So schaugst dir's halt in der Vorderriß an; g'falln thuat's dir da, wie dort.«

»I glaub wahrhafti, Kunt, du willst mi no' föppeln du? Möchst es nit herhexen in d' Stubn eina?«

»Für was waar's denn a Hex? Itz paß auf! I därf grad sagn: Franzei kimm her, so is 's scho' da aa!«

Franzei, die aus dem Gepolter des Angerbauern herauszuhören meinte, daß er doch wieder leicht zugänglich sei, ging auf den Scherz des Geliebten ein, öffnete rasch die angelehnte Thüre und trat freundlich lächelnd vor die Ueberraschten.

278 »Grüaß Gott mitanand!« sagte sie.

Mirl hatte sofort das Mädchen aus der Hinterriß wieder erkannt und erwiderte freundlich dessen Gruß. Aber der Angerbauer war noch ganz paff. Im ersten Momente glaubte er wirklich an Hexerei, im zweiten schämte er sich seiner Dummheit und im dritten Moment mußte er sich alle Gewalt anthun, um in seinem Gesichte den wilden, gereizten Ausdruck zu lassen, den er seit Friedls Erscheinen angenommen hatte. Deshalb zog er seine Stirn in wuchtige Falten und blickte so grimmig drein, daß ihm das Wasser in die Augen kam. Friedl aber nahm die Geliebte bei der Hand und sagte:

»Siehgst Vata, so siehgt mei' Hex aus. 's Deandl halt mi für an' arma Taglöhner und hat mir's Herz gschenkt. Giebst mir dei' Einwilligung nit, so bleib i arm und arbeit mit Freuden weiter; aber von Franzei laß i nimmer, die wird g'heirat, selm wenn's dir nit recht is.«

»Friedl, da verzicht i auf di!« sagte Franzei rasch und entschieden. »Wenn dei' Vata nit aa mei' Vata sei' kann, und dei' Schwester mei' Schwester, so laß uns scheiden von anand, denn der Vatersegen bleibt 's schönste G'schenk für a Brautpaar.«

»Und d' Schwesterliab aa, nit wahr?« fragte Mirl gerührt, des Mädchens Hand ergreifend. »Mir bist recht, Franzei, i hon di in Gedanken scho' gern g'habt, seit mir's gschwant hat, daß d' es du bist, die d' Himmelsmuatta im Klösterl 'n Friedl b'stimmt hat.«

»Hoppadi, hoppadi!« rief der Angerbauer. »Soll i enk nit glei 'n Kaplan b'stelln. Wer kennt denn dös Deandl?«

279 »Ich kenn's,« antwortete der Förster, welcher schon eine Weile an der Thüre stand. »Und mir, mei' alter Spezl aus 'n Chiemgau, werd 's wohl aufs Wort traun.«

»Jeß, der Herr Förschta!« rief der Angerbauer. »Oes habt's mein' Friedl als Wilderer eingsperrt?«

»Falscher Verdacht!«

»Und Oes kennt's die Tirolerin?«

»Ja, als ein braves, frommes, arbeitsames Mädl und wie Ihr selbst seht, auch als a schöns Mädl.«

»No', mehra kannst nimmer verlanga!« rief Friedl.

»A Geld hätt' i halt aa no' mögn!« versetzte der Bauer.

»Woaßt Vata, da verzicht i auf an' Teil von mein' Heiratsguat und da denkst, 's Franzei hat 'n mitbracht. Dös soll koa' Hindernis sei'.«

»'s schönste Heiratsgut für an' Bauern ist a brav's, arbeitsam's Weib,« setzte der Förster hinzu. »Wenn ich Euch guten Rats bin, Leitermann, so trennt die Herzen nimmer, die sich g'funden haben.«

In diesem Augenblick trat der Forstgehilfe ein und berichtete, er wisse jetzt, wer gestern die Wilderer gewarnt habe.

»O weh!« sagte sich Franzei.

»Wer war's?« fragte der Förster.

»Die Ameisenhex war's, die da steht,« beschuldigte der Jäger das Mädchen. »Ich hab's von einem Augenzeugen gehört.«

»Du, Franzei?« rief der Förster. »Da hört sich doch alles auf! Was ist dir denn da eing'falln?«

»Herr Förschta, Oes habt's steif und fest behaupt', mei' Friedl wär a Wilderer. Du ischt's do natürli, daß i mein' 280 Buam seine Kameraden nit ins Unglück renna laß, wenn i's ändern kann?«

»Du bist wahrhaftig a Hex!« rief der Förster. »Leitermann, wenn ich Euch gut'n Rats bin, so vergeßt, was ich euch von dem Dirndl Gut's g'sagt hab. Ich möcht's nicht wiederholen.«

»Dann hab ich für bestimmt erfahren,« rapportierte der Forstgehilfe weiter, »daß das Wild nicht in unserer Staatswaldung, sondern drüben im Tirolischen geschossen worden ist.«

»No', so hab'n Enk ja im Boarischen herent d' Wilderer gar nix anganga!« rief Franzei. »Habt's so viel Gregori g'macht um nix. Mir, Herr Förschta, habt's es itz zu verdanka, daß 's koa' Ungerechtigkeit beganga habt's.«

Der Förster kämpfte einige Augenblicke mit sich selbst, dann gewann seine natürliche Gutmütigkeit sichtlich die Oberhand.

»No', Herr Förschta,« fragte jetzt Mirl lachend, »was seid's itz 'n Vatan guat'n Rats?«

»Von mir aus lassen wir's wieder bei meiner ersten Aussag,« entgegnete der Förster lächelnd.

Den Angerbauern hatte die Ab- und Einschwenkung des biederen Forstmannes erheitert und Franzeis schlagende Antworten sehr befriedigt, und da es ihm nicht mehr möglich war, ein böses Gesicht zu machen, so wollte er sich auch nicht mehr lange verstellen. Deshalb sagte er:

»Fahr'n ma hintere ins Klösterl, wo der Schruller a so auf uns wart'. Am Weg kinna ma uns b'sinna und kann sei', aa zamreden.«

Mit freudigem Ausruf ward von Friedl und Mirl dieser Entschluß begrüßt. Friedl entfernte sich, um sein 281 Feiertagsgewand anzuziehen, der Angerbauer aber besprach sich mit der Frau Försterin wegen eines guten Mittagessens, mit welchem ein doppeltes Verlobungsfest verbunden werden sollte.

Als der Förster den Namen von Mirls Verlobtem nennen hörte, sagte er: »Das ist ja jener Bursche, durch den wir die bestimmte Nachricht über den Wildtransport bekamen. Der hat seine Sache gut gemacht, aber die Hexe hat's wieder verdorben.«

»Dös is ja die Hexen eana G'schäft!« meinte Franzei lachend, und jetzt lachte der Förster mit und reichte dem schönen Mädchen die Hand zur Versöhnung.

Nach kurzer Zeit saßen die Mädchen im Innern und der Angerbauer mit seinem Sohn auf dem Bock des Wagens, der Braune hatte Haber im Leib und rasch ging es von dannen. Auf der Oswaldhütte ward Halt gemacht, um sich nach Franzeis Großvater umzusehen. Dieser war aber schon allein ins Klösterl vorausgegangen und so folgte man ihm rasch nach. – –

Der Schruller hatte sich schon in aller Frühe erhoben. Sein Schlaf war unruhig gewesen, er sah sich von Wilderern, Jägern und Grenzwächtern umgeben und verfolgt, und so oft eine Thüre zugeschlagen wurde, glaubte er einen Schuß zu vernehmen. Wie verwünschte er diese Wilderer! Er flüchtete gleichsam vor seinen eigenen aufregenden Gedanken hinaus ins Freie, ohne erst ein Frühstück zu nehmen. Keine Seele war zu sehen weit und breit. Die Berge waren prächtig beleuchtet, die beiden Falken standen klar und rein da in ihrem weißen Felsengewande. Der frische Tau lag auf den Gräsern, Büschen und Bäumen im Thale. Die Almglocken der weidenden Herden und das Rauschen der 282 Wasserfälle verbanden sich zu einem harmonischen Morgenpsalm, der von dem Zwitschern der Waldvögel begleitet ward.

Dem Schruller kam dieser Morgen im einsamen Gebirgsthal wohl recht schön vor, aber er spähte doch sehnsüchtig nach einem Menschen aus. Mit den Bergen und Wasserfällen, mit den weidenden Herden und zwitschernden Vögeln konnte er ja nicht plaudern und er hatte doch so viel zu fragen und zu erzählen, daß ihm förmlich die Zunge zitterte. Die Gedanken an Mirl gewährten ihm noch die meiste Unterhaltung; den Alpenrosenstrauß hatte er von den welken Blumen befreit und das Uebriggebliebene auf seinen Hut gesteckt.

Wie schön hatte er sich das Wiedersehen gedacht und wie war ihm dies durch solch gesetzwidrige Burschen verbittert worden. Sein Aerger gipfelte in dem lauten Ausrufe:

»O, wenn i könnt, wenn i därft, i kochet eana a Suppen, dene gottvergess'na Wilderer! Alle ließ i 's aufhänga, alle, und lacha kaannt i dazua!«

Als er unter solch menschenfreundlichen Gedanken gegen die Hagelhütte thalaufwärts ging, stand plötzlich ein prächtiger, hoch aufhabender Hirsch vor ihm. Unwillkürlich nahm er seinen Bergstock wie ein Gewehr in Anschlag und visierte nach dem Hochwild. Es zuckte ihm in allen Gliedern. O, warum ging der Bergstock nicht los! Wie schön, wenn der Hirsch getroffen zusammenbräche!

Dieser aber mochte anderer Meinung sein. Der Bergstockschütze schien ihm nicht gefährlich, ganz vertraut kehrte er in den Wald zurück, als mache er höflichst dem Schruller Platz auf seinem Wege.

283 »'s is dengerscht an' eigne Sach um's Jagen!« dachte der Bursche. »Wär itz der Bergstock losganga, so waar i halt aa r a Wilderer, denn i hätt' gschossen, meiner Seel! I will aa d' Wilderer nit alle hänga. Es liegt halt im Bluat vom Bergler und d' Sünd lockt 'n halt an, wie d' Eva der Apfel im Paradies.«

Nach und nach kamen einzelne Personen aus dem oberen Rißthale herab, Holzleute aus der Hagelhütte und Sennerinnen, auch von der Hinterriß hatten sich einige Touristen auf den Weg gemacht, um über das Plumserjoch nach dem Achensee zu steigen. Vom Klösterl ertönte das Glöcklein zur ersten Morgenmesse.

Der Schruller lenkte jetzt seine Schritte dorthin. Er traf vor dem Kirchlein einige Bekannte aus der Jachenau. Durch sie erfuhr er das Ergebnis der gestrigen Wildererhetze, aber auch, daß das Wild im Tirolischen erlegt worden, und die Frevler streng bestraft würden, wenn sie sich nochmals im Oesterreichischen blicken ließen. Deshalb beschlich ihn wieder von neuem große Angst, denn er konnte ja als ihr Helfershelfer angesehen werden. Es war ihm, als stünde er auf einem Vulkan, in dem er jeden Augenblick versinken könne. Wie sehnte er sich jetzt wieder nach dem blauweißen Schlagbaum, denn nun war wieder jenseits desselben für ihn Sicherheit; im Tirolischen aber Schande und Gefahr. Er ging demnach der Grenze zu; da kam der alte Ameisler des Weges. Endlich ein Mensch, dem gegenüber er sich aussprechen, von dem er Näheres erfahren konnte.

Der Alte erzählte ihm, was er wußte, auch Friedls Arretierung.

»Jeß, der Friedl!« rief der Schruller. »Auf den hon i ganz vergessen, und auf sei' Hex.«

284 »Die Hex zoag i dir,« erwiderte der Alte. »Kimm nur wieder zruck ins Kirchal, dort treff' ma's und da wern ma's aa hörn, wie's mit'n Friedl ausschaugt.«

Der Schruller, nun wieder mutiger, kehrte mit dem Alten um, und lud denselben ein, mit ihm im Klösterl, das sie bald erreicht hatten, zu frühstücken.

Nun war es hier schon lebendiger geworden; von allen Seiten kamen Wallfahrer herbei, und jetzt ertönte Wagengerassel. Ein mit vier Personen besetztes Einspännerwägerl fuhr am Wirtshause vor. Es war des Angerbauern Fuhrwerk.

Die Fahrt hierher hatte alles ausgeglichen. Mit fröhlichen Gesichtern stiegen sie vom Wagen und Schruller eilte hinzu, Mirl behilflich zu sein, die ihn glückselig anlächelte.

»Wir hab'n 'n Friedl scho',« rief sie ihm zu.

»Und sei' Hex kimmt aa her,« antwortete der junge Bauer.

»Die is so mit uns herg'fahrn,« entgegnete Mirl; »da is's.«

Sie zeigte auf das Mädchen, das mit Friedls Hilfe soeben vom Wagen gestiegen. Die beiden künftigen Schwäger reichten sich die Hände zum Gruße und Friedl sagte: »Gestern hon i mit dir meine Bleameln teilt, heut teiln ma mit anand d' Freud. Dös is mei' Hochzeiterin, wenn der Oedl nix dagegn hat.«

Dieser war herangekommen, um seiner Verwunderung Ausdruck zu geben, die Enkelin so vergnügt bei den fremden Leuten zu sehen. Franzei, voller Glückseligkeit, verständigte ihn rasch von allem.

Der Angerbauer, der das Gefährte versorgt, kam jetzt auch herzu, eine sorgfältig in Papier eingewickelte Riesenkerze im Arme tragend, welche zur Opferung bestimmt war, und Franzei machte die beiden alten Männer mit einander bekannt.

»Geht's in d' Kircha, zamläutn thuats,« sagte der Angerbauer zu den jungen Leuten. »Wir zwoa Alte kemmn glei' nachi, wir habn no' ebbas ausz'macha.«

Dann wandte er sich noch zum Schruller. »Dir, Ferdl, laßt der Förster draus extra danken, daß d' sein' Forstgehilfen die G'schicht von dem Wildererfloß g'sagt hast. 's is freili anders ganga, als er denkt hat, aber der Förster denkt – und a gwiß's Franzei lenkt!«

Er lachte selbst über seinen Witz. Aber auch Schruller lachte. Plötzlich war ja sein Herz erleichtert, er hatte keine Strafe mehr zu fürchten, er erntete sogar Dank.

Der alte Ameisler fühlte sich wie aus den Wolken gefallen und doch wieder in dieselben erhoben, als der Angerbauer in bester Form um sein Enkelkind für Friedl freite. Sein »Ja« konnte er nur tiefbewegt und unter Thränen aussprechen.

Nach dem Gottesdienste schritten zwei glückliche Paare aus der Kirche.

Einige Stunden darauf ward in der Vorderriß der Verlobungsschmaus gehalten. Der alte Ameisler nahm jedoch nicht daran teil. Er dankte zu Hause, auf der Gred sitzend, dem Himmel für das unerwartete Glück. Dafür aber saß der gemütliche Förster bei seinen Gästen und manches Wohl auf die beiden Brautpaare wurde bei gutem, echten Tiroler getrunken.

286 Sechs Wochen später fand in Lenggries die Doppelhochzeit statt, die den Grundstein legte für zwei glückliche Hausstände.

Friedl mußte freilich manche Scherzrede über seine Romfahrt hinnehmen, aber er lachte vergnügt dazu, und stolz auf sein prächtiges Weib, das schwarzäugige Franzei, blickend, sagte er oft: »I mag anfanga, was i will, die beste und g'scheiteste That in mein Lebn bleibt halt alleweil mei' Romfahrt in d' Hinterriß.«

München 1887.


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