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Über die Unsterblichkeit

Die scheinbar einzige augenfällig beobachtbare Unsterblichkeit ist jene, die Weißmann unter dem Mikroskop gesehen hat, die der einzelligen Lebewesen. Da gibt es nur ein Teilen einer Mutter in zwei Tochterzellen ohne Tod, ja ohne Leichenbildung. Geburt ist hier Auflösung in zwei neue Wesen, die wiederum zwei Neue jedes bildet und so fort. Die Mutter stößt nicht ein Wesen ab, nein sie wird selbst zu zweien und durch diese zur Stammutter eines Zellvolkes mit Riesenziffern in ganz kurzer Zeit. Taillenabschnürung.

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Aber diese Unsterblichkeit, die also leiblich ist, d. h. Vermehrung der Zeugungssubstanz (Chromosom, Idioplasma) ins Unendliche ist durchaus nicht alleiniger Besitz der Einzelligen. Sie ist eine Eigenschaft aller Keimsubstanz. Die Chromatinsubstanz (organisiertes Nuklein) ist unvergänglich, weil immer mit anderen Chromosomen paarbar, zeugungskräftig. Der Unterschied ist nur der, daß beim Menschen alle Einzeller zu einer Monarchie harmonisch verkettet sind (Zellstaat), deren Königin die Seele ist. Die Chromosoms dieser Genossenschaftszellen sind ebenso regenerierbar, teilbar, unsterblich, wie die der Einzeller.

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Sie werden nur wieder zu Einzellern durch den Zerfall des organisierten Leibes und sind dann auch wieder vermehrungsfähig unter den Bedingungen der Weltallsbefruchtung durch das ganze Reich des Belebten.

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Die Zeugung ist die Wiedergeburt eines Wesens aus zwei Zellorganismen, die eine Idee der Vervielfältigung (Liebe) zusammenführt. Das neue Wesen erhält etwas von dem Wesen seiner beiden Komponenten. Dieser Siegeldruck der Persönlichkeit beiderseits liegt in den Nukleinsubstanzen (Chromosomen, Idioplasmen) beider konjugierten Zellen. So enthalten auch die Saatkörner des zerfallenen Individuums, die freigewordenen Nukleinsubstanzen etwas vom Petschaftdruck der Persönlichkeit seines Trägers, sind also ebenso übertragbar, wie die Eigenschaften von Mutter und Vater auf das Kind und dieses auf die nächste Kette der persönlichen Befruchtung. Letztere ist Zeugung und Unsterblichkeit in bezug auf das Individuum in seiner Totalität, jene Zeugung ist universell, die einzelnen Organzellen werden allen anderen Zellleibern als Befruchtungselement dargeboten in der Ernährung. Das kommt zunächst der Reparatur der Leiber, der Regeneration zugute, aber auch durch Nervenzellen der Verstorbenen der Geistigkeit schon bestehender Individuen.

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Wem das zu wunderbar ist, der erkläre mir, wie es kommt, daß ein einziges mikroskopisches Zeugungszellchen auf ein reifendes Ei alle physischen und seelischgeistigen Eigenschaften des Vaters übertragen kann? Doch wohl nur durch eine Art rhythmischer Infektion.

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Oder ist es weniger wunderbar, wenn Bachs Vaterzelle ihn selbst zum Heros der Musik machte, als wenn Goethe sein Leben zu einem Menschheitsgedicht gestalten konnte, weil er vielleicht mit irgendeinem Nahrungsmittel (Zeugungszellnuklein) von Leonardi da Vincis Nervensubstanz befruchtet wurde.

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Alle Zellen sind Fackelträger des Lebens. Sie stoßen die organisierte Materie an, sie drehen sie auf zu neuen Rhythmen, sie infizieren sie im Sinne der Wiederholung und Steigerung aller schon vorherbesessenen Reigen und molekularen Tanzrasereien. Ein Ballett der Nukleingeisterchen!

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Wie in der Zeugung der Menschenzellkomplex unsterblich ist als physische Einheit, so ist die Einzelzelle als Fackelträger einer geistigen Einheit ebenso unsterblich.

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In meinen Nukleinzellen wird mein persönliches Geschick, mein Leid und meine Freude, kristallisiert und überträgt diese Rhythmen, die aufgerollt sind in jedem meiner Nukleinkerne, infektionsgleich dem ganzen belebten Kreislauf, wie ein mysteriöses Filmband.

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Der Kreislauf des Lebens ist also physisch wie psychisch garantiert. Nichts kann sterben, auch die Idee von mir nicht, weil sie nie geboren wurde, sondern immer mit der Idee überhaupt vorhanden war.

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Meine unsterbliche und ungebärbare Seele hat mich aufgebaut von der Urzelle an bis zu meinem Ich. Mit dieser Form meines Ichs kann die Idee von mir nicht aufhören. Wenn die Zellen meines organisierten Ichs (durch meine Seele organisiert d. h. jenes Teils der Weltidee, die in einem Fädchen auf mich führt) durch Apparatabnützung unfähig werden, sich von den Nahrungszellen erhaltungsgemäß infizieren zu lassen, d. h. bei dem Aufhören meiner genügenden Regenerationskraft (Ersatzzellenbildung) wird diese Form des persönlichen Lebens für die Seele unbrauchbar, sie verläßt die alte Geige, um eine neue aufzubauen. Benutzt aber das vertrocknete Holz der alten, um für andere Instrumente erprobtes Material zu liefern.

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Mein gewissermaßen durch meinen Lebenskampf erworbenes »Ich« ist zerfallbar in Milliarden Einzelkeime, die aber alle ein geistiges Faksimile meines Lebenslaufes haben und meine geistigen Rhythmen der belebten Materie zur Höhersteigerung übergeben werden. Meine Seele, die niegeborene, die nie sterbende, zieht weiter zu neuen Geigen und Orgelbauten meines Ichs. Meine Seele während meines Lebens war mir nur geliehen, um mich zur Aufstiegsbefruchtung tüchtig zu machen, sie findet nach meinem Tode höhere Organisationsmöglichkeiten. Sie, die Unsterbliche, hat vor mir schon Millionen Ichs von mir geschaffen, erst im Menschen ließ sie mich etwas von mir ahnen, wenn ich sterbe, wird mir von ihr noch viel mehr bewußt werden, als mir von mir selbst bewußt ist nach dem Aufstieg vom Staube durch das Tierreich zu mir.

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Was ich leiblich gestaltend in diesem Leben erreicht, erkämpft, errungen, erlitten habe, gebe ich tot milliardenfach mit unsterblichen Zellen gleichsam als kleine Feuerzünder meines Ichs dem organischen Bestand der Erde wieder, mein seelisches Ich gehört dem Weltall, es wird dort neue Formen finden im langsamen Aufstieg zur letzten Ebenbürtigkeit der Weltseele und wird jauchzen im Ausblick, einst einen Stern befruchten zu können mit Wesen nach meinem geläuterten Ebenbilde.

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Auch der Gott dieser Erde war einst ein solch Ringender, ist ein Emporgerungener und ringt immer noch mit der Luziferischen Gegenmacht, die ewig am Werke war Schöpfungen zu erwürgen und immer am Werke ist Seelen zu verführen, in ihrem Dienste dem Gottmenschen ins Gesicht zu speien und seine Kreuzigung zu ermöglichen.

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Um unsere Seele wettet auch Mephisto mit Gott. Wir haben uns selbst zu entscheiden für den einen oder den anderen. Ewiger Aufstieg der Seele oder ewiger Abstieg zur nochmaligen Läuterung, so steht uns die Wahl frei.

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