Friedrich Schlegel
Lucinde
Friedrich Schlegel

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Sehnsucht und Ruhe

Leicht bekleidet standen Lucinde und Julius am Fenster im Pavillon, erfrischten sich an der kühlen Morgenluft und waren verloren im Anschaun der aufsteigenden Sonne, die von allen Vögeln mit munterem Gesang begrüßt ward.

Julius, fragte Lucinde, warum fühle ich in so heitrer Ruhe die tiefe Sehnsucht? – Nur in der Sehnsucht finden wir die Ruhe, antwortete Julius. Ja die Ruhe ist nur das, wenn unser Geist durch nichts gestört wird, sich zu sehnen und zu suchen, wo er nichts Höheres finden kann als die eigne Sehnsucht.

Nur in der Ruhe der Nacht, sagte Lucinde, glüht und glänzt die Sehnsucht und die Liebe hell und voll wie diese herrliche Sonne. – Und am Tage, erwiderte Julius, schimmert das Glück der Liebe blaß, so wie der Mond nur sparsam leuchtet. – Oder es erscheint und schwindet plötzlich ins allgemeine Dunkel, fügte Lucinde an, wie jene Blitze, die uns das Gemach erhellten, da der Mond verhüllt war.

Nur in der Nacht singt Klagen, sprach Julius, die kleine Nachtigall und tiefe Seufzer. Nur in der Nacht eröffnet sich die Blume schüchtern und atmet frei den schönsten Duft, um Geist und Sinne in gleicher Wonne zu berauschen. Nur in der Nacht, Lucinde, strömet tiefe Liebesglut und kühne Rede göttlich von den Lippen, die im Geräusch der Tage ihr süßes Heiligtum mit zartem Stolz verschließen.

Lucinde: Nicht ich, mein Julius, bin die die Du so heilig malst; obschon ich klagen möchte wie die Nachtigall, und, wie ich innig fühle, nur der Nacht geweiht bin. Du bist's, es ist die Wunderblume Deiner Fantasie, die Du in mir, die ewig Dein ist, dann erblickst, wenn das Gewühl verhüllt ist und nichts Gemeines Deinen hohen Geist zerstreut.

Julius: Laß die Bescheidenheit und schmeichle nicht. Gedenke, Du bist die Priesterin der Nacht. Im Strahl der Sonne selbst verkündigt's der dunkle Glanz der vollen Locken, der ernsten Augen lichtes Schwarz, der hohe Wuchs, die Majestät der Stirn und aller edlen Glieder.

Lucinde: Die Augen sinken, indem Du rühmst, weil jetzt der laute Morgen blendet, und lust'ger Vögel buntes Lied die Seele stört und schreckt. Sonst möchte wohl das Ohr in stiller dunkler Abendkühle des süßen Freundes süße Rede gierig trinken.

Julius: Es ist nicht eitle Fantasie. Unendlich ist nach Dir und ewig unerreicht mein Sehnen.

Lucinde: Sei's was es sei, Du bist der Punkt in dem mein Wesen Ruhe findet.

Julius: Die heil'ge Ruhe fand ich nur in jenem Sehnen, Freundin.

Lucinde: Und ich in dieser schönen Ruhe jene heil'ge Sehnsucht.

Julius: Ach, daß das harte Licht den Schleier heben darf, der diese Flammen so verhüllte, daß der Sinne Scherz die heiße Seele kühlend lindern mochte!

Lucinde: So wird einst ewig kalter ernster Tag des Lebens warme Nacht zerreißen, wenn Jugend flieht und wenn ich Dir entsage wie Du der großen Liebe größer einst entsagtest.

Julius: Daß ich doch Dir die unbekannte Freundin zeigen dürfte und ihr das Wunder meines wunderbaren Glücks.

Lucinde: Du liebst sie noch und wirst sie ewig mein auch ewig lieben. Das ist das große Wunder Deines wunderbaren Herzens.

Julius: Nicht wunderbarer als das Deine. Ich sehe Dich an meine Brust gelehnt mit Deines Guido Locke spielen; uns beide brüderlich vereint die würd'ge Stirn mit ew'gen Freudekränzen zieren.

Lucinde: Laß ruhn in Nacht, reiß nicht ans Licht, was in des Herzens stiller Tiefe heilig blüht.

Julius: Wo mag des Lebens Woge mit dem Wilden scherzen, den zart Gefühl und wildes Schicksal heftig fortriß in die herbe Welt?

Lucinde: Verklärt und einzig glänzt der hohen Unbekannten reines Bild am blauen Himmel Deiner reinen Seele.

Julius: O ew'ge Sehnsucht! – Doch endlich wird des Tages fruchtlos Sehnen, eitles Blenden sinken und erlöschen, und eine große Liebesnacht sich ewig ruhig fühlen.

Lucinde: So fühlt sich, wenn ich sein darf wie ich bin, das weibliche Gemüt in liebeswarmer Brust. Es sehnt sich nur nach Deinem Sehnen, ist ruhig wo Du Ruhe findest.


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