Friedrich Schlegel
Lucinde
Friedrich Schlegel

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Eine Reflexion

Es ist meinem Gemüt nicht selten sonderbar aufgefallen, wie verständige und würdige Menschen mit nie ermüdender Industrie und mit so großem Ernst das kleine Spiel in ewigem Kreislauf immer von neuem wiederholen können, welches doch offenbar weder Nutzen bringt noch sich einem Ziele nähert, obgleich es das früheste aller Spiele sein mag.

Dann fragte mein Geist, was wohl die Natur, die überall so viel denkt, die List im Großen treibt und statt witzig zu reden, gleich witzig handelt, bei jenen naiven Andeutungen denken mag, welche gebildete Redner nur durch ihre Namenlosigkeit benennen.

Und diese Namenlosigkeit selbst ist von zweideutiger Bedeutung. Je verschämter und je moderner man ist, je mehr wird es Mode sie aufs Schamlose zu deuten. Für die alten Götter hingegen hat alles Leben eine gewisse klassische Würde und so auch die unverschämte Heldenkunst lebendig zu machen. Die Menge solcher Werke und die Größe der Erfindungskraft in ihr bestimmt Rang und Adel im Reiche der Mythologie.

Diese Zahl und diese Kraft sind gut, aber sie sind nicht das Höchste. Wo schlummert also das ersehnte Ideal verborgen? Oder findet das strebende Herz in der höchsten aller darstellenden Künste ewig nur andre Manieren und nie einen vollendeten Styl?

Das Denken hat die Eigenheit, daß es nächst sich selbst am liebsten über das denkt, worüber es ohne Ende denken kann. Darum ist das Leben des gebildeten und sinnigen Menschen ein stetes Bilden und Sinnen über das schöne Rätsel seiner Bestimmung. Er bestimmt sie immer neu, denn eben das ist seine ganze Bestimmung, bestimmt zu werden und zu bestimmen. Nur in seinem Suchen selbst findet der Geist des Menschen das Geheimnis welches er sucht.

Was ist denn aber das Bestimmende oder das Bestimmte selbst? In der Männlichkeit ist es das Namenlose. Und was ist das Namenlose in der Weiblichkeit? – das Unbestimmte.

Das Unbestimmte ist geheimnisreicher, aber das Bestimmte hat mehr Zauberkraft. Die reizende Verwirrung des Unbestimmten ist romantischer, aber die erhabene Bildung des Bestimmten ist genialischer. Die Schönheit des Unbestimmten ist vergänglich wie das Leben der Blumen und wie die ewige Jugend sterblicher Gefühle; die Energie des Bestimmten ist vorübergehend wie das echte Ungewitter und die echte Begeisterung.

Wer kann messen und wer kann vergleichen was eines wie das andre unendlichen Wert hat, wenn beides verbunden ist in der wirklichen Bestimmung, die bestimmt ist, alle Lücken zu ergänzen und Mittlerin zu sein zwischen dem männlichen und weiblichen Einzelnen und der unendlichen Menschheit?

Das Bestimmte und das Unbestimmte und die ganze Fülle ihrer bestimmten und unbestimmten Beziehungen; das ist das Eine und Ganze, das ist das Wunderlichste und doch das Einfachste, das Einfachste und doch das Höchste. Das Universum selbst ist nur ein Spielwerk des Bestimmten und des Unbestimmten und das wirkliche Bestimmen des Bestimmbaren ist eine allegorische Miniatur auf das Leben und Weben der ewig strömenden Schöpfung.

Mit ewig unwandelbarer Symmetrie streben beide auf entgegengesetzten Wegen sich dem Unendlichen zu nähern und ihm zu entfliehen. Mit leisen aber sichern Fortschritten erweitert das Unbestimmte seinen angebornen Wunsch aus der schönen Mitte der Endlichkeit ins Grenzenlose. Das vollendete Bestimmte hingegen wirft sich durch einen kühnen Sprung aus dem seligen Traum des unendlichen Wollens in die Schranken der endlichen Tat und nimmt sich selbst verfeinernd immer zu an großmütiger Selbstbeschränkung und schöner Genügsamkeit.

Auch in dieser Symmetrie offenbart sich der unglaubliche Humor, mit dem die konsequente Natur ihre allgemeinste und einfachste Antithese durchführt. Selbst in der zierlichsten und künstlichsten Organisation zeigen sich diese komischen Spitzen des großen Ganzen mit schalkhafter Bedeutsamkeit wie ein verkleinertes Portrait und geben aller Individualität, die allein durch sie und den Ernst ihrer Spiele entstehet und bestehet, die letzte Rundung und Vollendung.

Durch diese Individualität und jene Allegorie blüht das bunte Ideal witziger Sinnlichkeit aus dem Streben nach dem Unbedingten.

Nun ist alles klar! Daher die Allgegenwart der namenlosen unbekannten Gottheit. Die Natur selbst will den ewigen Kreislauf immer neuer Versuche; und sie will auch, daß jeder einzelne in sich vollendet einzig und neu sei, ein treues Abbild der höchsten unteilbaren Individualität.

Sich vertiefend in diese Individualität nahm die Reflexion eine so individuelle Richtung, daß sie bald anfing aufzuhören und sich selbst zu vergessen.

*

»Was sollen mir diese Anspielungen, die mit unverständlichem Verstand nicht an der Grenze sondern bis in die Mitte der Sinnlichkeit nicht spielen sondern widersinnig streiten?«

So wirst Du und würde Juliane zwar nicht sagen aber doch gewiß fragen.

Liebe Geliebte! darf der volle Blumenstrauß nur sittsame Rosen, stille Vergißmeinnicht und bescheidne Veilchen zeigen, und was sonst mädchenhaft und kindlich blüht, oder auch alles andre was in bunter Glorie sonderbar strahlt?

Die männliche Ungeschicklichkeit ist ein mannigfaltiges Wesen und reich an Blüten und Früchten jeder Art. Gönne selbst der wunderlichen Pflanze, die ich nicht nennen will, ihre Stelle. Sie dient wenigstens zur Folie für die hellbrennende Granate und die lichten Orangen. Oder soll es etwa statt dieser bunten Fülle nur eine vollkommne Blume geben, welche alle Schönheiten der übrigen vereint und ihr Dasein überflüssig macht?

Ich entschuldige nicht, was ich lieber sogleich noch einmal tun will, mit vollem Zutrauen auf Deinen objektiven Sinn für die Kunstwerke der Ungeschicklichkeit, welche den Stoff zu dem was sie bilden will, oft nicht ungern von der männlichen Begeisterung entlehnt.

Es ist ein zärtliches Furioso und ein kluges Adagio der Freundschaft: Du wirst Verschiednes daraus lernen können: daß Männer mit ungemeiner Delikatesse zu hassen verstehn, wie ihr zu lieben; daß sie dann einen Zank, wenn er vollendet ist, in eine Distinktion umbilden, und daß Du so viele Anmerkungen darüber machen darfst als Dir gefällig ist.


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