Friedrich Schiller
Ueber den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen / 1
Friedrich Schiller

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Thierische Empfindungen begleiten die geistigen.

§. 12. Gesetz.

Der Verstand des Menschen ist äußerst beschränkt, und darum müssen es auch nothwendig alle Empfindungen sein, die aus seiner Thätigkeit resultieren. Diesen also einen größeren Schwung zu geben und den Willen mit gedoppelter Kraft zum Vollkommenen hinzuziehen und vom Uebel zurückzureißen, wurden beide Naturen, geistige und thierische, also eng in einander verschlungen, daß ihre Modifikationen sich wechselsweise mittheilen und verstärken. Daraus erwächst nun ein Fundamentalgesetz der gemischten Naturen, das, in seine letzten Grundtheile aufgelöst, ungefähr also lautet: die Thätigkeiten des Körpers entsprechen den Thätigkeiten des Geistes; d. h. jede Ueberspannung von Geistesthätigkeit hat jederzeit eine Ueberspannung gewisser körperlicher Aktionen zur Folge, so wie das Gleichgewicht der erstern oder die harmonische Thätigkeit der Geisteskräfte mit der vollkommensten Uebereinstimmung der letztern vergesellschaftet ist. Ferner: Trägheit der Seele macht die körperlichen Bewegungen träg, Nichtthätigkeit der Seele hebt sie gar auf. Da nun Vollkommenheit jederzeit mit Lust, Unvollkommenheit mit Unlust verbunden ist, so kann man dieses Gesetz auch also ausdrücken: geistige Lust hat jederzeit eine thierische Lust, geistige Unlust jederzeit eine thierische Unlust zur Begleiterin.

§. 13. Geistiges Vergnügen befördert das Wohl der Maschine.

Also eine Empfindung, die das ganze Seelenwesen einnimmt, erschüttert in eben dem Grade den ganzen Bau des organischen Körpers. Herz, Adern und Blut, Muskelfasern und Nerven, von jenen mächtigen wichtigen, die dem Herzen den lebendigen Schwung der Bewegung geben, bis hinaus zu jenen unbedeutenden geringen, die die Härchen der Haut spannen, nehmen daran Theil. Alles geräth in heftigere Bewegung. War die Empfindung angenehm, so werden alle jene Theile einen höhern Grad harmonischer Thätigkeit haben, das Herz wird frei, lebhaft und gleichförmig schlagen, das Blut wird ungehemmt, mild, oder feurig rasch, je nachdem der Affekt von der sanften oder heftigen Art ist, durch die weichen Kanäle fließen, Coction, Secretion und Excretion wird frei und ungehindert von statten gehen, die reizbaren Fasern werden im milden Dampfbad geschmeidig spielen, so Reizbarkeit als Empfindlichkeit wird durchaus erhöht sein. Darum ist der Zustand der größten augenblicklichen Seelenlust augenblicklich auch der Zustand des größten körperlichen Wohls.

So viel dieser Partialthätigkeiten sind (und ist nicht jeder Puls das Resultat von vielleicht tausenden), so viel dunkle Sensationen werden sich zumal vor die Seele drängen, wovon jede Vollkommenheit anzeigt. Aus der Verworrenheit dieser aller bildet sich nun die Totalempfindung der thierischen Harmonieen, d. h. die höchstzusammengesetzte Empfindung von thierischer Lust, die sich an die ursprüngliche intellektuelle oder moralische gleichsam anreiht und solche durch diesen Zutritt unendlich vergrößert. So ist demnach jeder angenehme Affekt die Quelle unzähliger körperlicher Lüste.

Dieses bestätigen am augenscheinlichsten die Beispiele der Kranken, die die Freude kuriert hat. Man bringe einen, den das fürchterliche Heimweh bis zum Skelet verdorren gemacht hat, in sein Vaterland zurück, er wird sich in blühender Gesundheit verjüngen. Man trete in die Gefangenhäuser, wo Unglückliche seit zehen und zwanzig Jahren im faulen Dampf ihres Unraths wie begraben liegen und kaum noch Kraft finden, von der Stelle zu gehen, und verkündige ihnen auf einmal Erlösung. Das einzige Wort wird jugendliche Kraft durch ihre Glieder gießen, die erstorbenen Augen werden Leben und Feuer funkeln. Die Seefahrer, die der Brod- und Wassermangel auf der ungewissen See siech und elend niedergeworfen hat, werden durch das einzige Wort: Land! das der Steuermann vom Verdeck erspäht, halb gesund, und gewiß würde der sehr irren, der hier den frischen Lebensmitteln alle Wirkung zuschreiben wollte. Der Anblick einer geliebten Person, nach der er lange geschmachtet hat, hält die fliehende Seele des Agonizanten noch auf, er wird kräftiger und augenblicklich besser. Wahr ist es, daß die Freude das Nervensystem in lebhaftere Wirksamkeit setzen kann, als alle Herzstärkungen, die man aus Apotheken holen muß, und selbst inveterierte Stockungen in den labyrinthischen Gängen der Eingeweide, die weder die Rubia durchdringt, noch selbst der Mercur durchreißt, durch sie zertheilt worden sind. Wer begreift nun nicht, daß diejenige Verfassung der Seele, die aus jeder Begebenheit Vergnügen zu schöpfen und jeden Schmerz in die Vollkommenheit des Universums aufzulösen weiß, auch den Verrichtungen der Maschine am zuträglichsten sein muß? Und diese Verfassung ist die Tugend.

§. 14. Geistiger Schmerz untergräbt das Wohl der Maschine.

Auf eben diese Weise erfolget das Gegentheil beim unangenehmen Affekt; die Ideen, die sich beim Zornigen oder Erschrockenen so intensiv stark herausheben, könnte man mit eben dem Recht, als Plato die Leidenschaften Fieber der Seele nannte, als Convulsionen des Denkorgans betrachten. Diese Convulsionen pflanzen sich schnell durch den ganzen Umriß des Nervengebäudes fort, bringen die Kräfte des Lebens in jene Mißstimmung, die seinen Flor zernichtet und alle Aktionen der Maschine aus dem Gleichgewicht bringt. Das Herz schlägt ungleich und ungestüm; das Blut wird in die Lungen gepreßt, wenn in den Extremitäten kaum so viel übrig bleibt, den verlornen Puls zu erhalten. Alle Processe der thierischen Chemie durchkreuzen einander. Die Scheidungen überstürzen sich, die gutartigen Säfte verirren und wirken feindlich in fremden Gebieten, wenn zu gleicher Zeit die bösartigen, die im Unrath dahingeschwemmt werden sollten, in den Kern der Maschine zurückfallen. Mit Einem Wort: der Zustand des größten Seelenschmerzens ist zugleich der Zustand der größten körperlichen Krankheit.

Die Seele wird durch tausend dunkle Sensationen vom drohenden Ruin ihrer Werkzeuge unterrichtet und von einer ganzen Schmerzempfindung übergossen, die sich an die ursprüngliche geistige anheftet und solcher einen desto schärfern Stachel gibt.

§. 15. Beispiele.

Tiefe chronische Seelenschmerzen, besonders wenn sie von einer starken Anstrengung des Denkens begleitet sind, worunter ich vorzüglich denjenigen schleichenden Zorn, den man Indignation heißt, rechne, nagen gleichsam an den Grundfesten des Körpers und trocknen die Säfte des Lebens aus. Diese Leute sehen abgezehrt und bleich, und der innere Gram verräth sich aus den hohlen, tiefliegenden Augen. »Ich muß Leute um mich haben, die fett sind,« sagt Cäsar, »Leute mit runden Backen, und die des Nachts schlafen. Der Cassius dort hat ein hageres, hungriges Gesicht; er denkt zu viel; dergleichen Leute sind gefährlich.« Furcht, Unruh, Gewissensangst, Verzweiflung wirken nicht viel weniger als die hitzigsten Fieber. Dem in Angst gejagten Richard fehlt die Munterkeit, die er sonst hat, und er wähnt sie mit einem Glas Wein wieder zu gewinnen. Es ist nicht Seelenleiden allein, das ihm seine Munterkeit verscheucht, es ist eine ihm aus dem Kern der Maschine aufgedrungene Empfindung von Unbehaglichkeit, es ist eben diejenige Empfindung, welche die bösartigen Fieber verkündigt. Der von Freveln schwer gedrückte Moor, der sonst spitzfindig genug war, die Empfindungen der Menschlichkeit durch Skeletisierung der Begriffe in Nichts aufzulösen, springt eben jetzt bleich, athemlos, den kalten Schweiß auf seiner Stirne, aus einem schrecklichen Traum auf. Alle die Bilder zukünftiger Strafgerichte, die er vielleicht in den Jahren der Kindheit eingesaugt und als Mann obsopiert hatte, haben den umnebelten Verstand unter dem Traum überrumpelt. Die Sensationen sind allzu verworren, als daß der langsamere Gang der Vernunft sie einholen und noch einmal zerfasern könnte. Noch kämpfet sie mit der Phantasie, der Geist mit den Schrecken des Mechanismus. –Life of Moor. Tragedy by Krake. Act. V. Sc. 4.

Moor. Nein, ich zittere nicht. War's doch ledig ein Traum. – Die Todten stehen noch nicht auf – Wer sagt, daß ich zittere und bleich bin? Es ist mir ja so leicht, so wohl.

Bed. Ihr seid todesbleich, eure Stimme ist bang und lallend.

Moor. Ich habe das Fieber. Ich will morgen zur Ader lassen. Sage du nur, wenn der Priester kommt, ich habe das Fieber.

Bed. O, Ihr seid ernstlich krank.

Moor. Ja freilich, freilich, das ist's alles – und Krankheit zerstöret das Gehirn und brütet tolle, wunderliche Träume – Träume bedeuten nichts – Pfui, pfui der weiblichen Feigheit! – Träume kommen aus dem Bauch, und Träume bedeuten nichts – Ich hatte so eben einen lustigen Traum – (Er sinkt ohnmächtig nieder.)

Hier bringt das plötzlich auffahrende Integralbild des Traums das ganze System der dunkeln Ideen in Bewegung und rüttelt gleichsam den ganzen Grund des Denkorgans auf. Aus der Summe aller entspringt eine ganze äußerst zusammengesetzte Schmerzempfindung, die die Seele in ihren Tiefen erschüttert und den ganzen Bau der Nerven per consensum lähmt.

Die Schauer, die denjenigen ergreifen, der auf eine lasterhafte That ausgeht oder eben eine ausgeführt hat, sind nichts anders, als eben der Horror, der den Febricitanten schüttelt und welcher auch auf eingenommene widerwärtige Arzneien empfunden wird. Die nächtlichen Jactationen derer, die von Gewissensbissen gequält werden, und die immer mit einem febrilischen Aderschlag begleitet sind, sind wahrhaftige Fieber, die der Consens der Maschine mit der Seele veranlaßt, und wenn Lady Macbeth im Schlaf geht, so ist sie eine phrenitische Delirantin. Ja schon der nachgemachte Affekt macht den Schauspieler augenblicklich krank, und wenn Garrick seinen Lear oder Othello gespielt hatte, so brachte er einige Stunden in gichterischen Zuckungen auf dem Bette zu. Auch die Illusion des Zuschauers, die Sympathie mit künstlichen Leidenschaften hat Schauer, Gichter und Ohnmachten gewirkt.

Ist also nicht derjenige, der mit der bösen Laune geplagt ist und aus allen Situationen des Lebens Gift und Galle zieht; ist nicht der Lasterhafte, der in einem steten chronischen Zorn, dem Haß, lebt, der Neidische, den jede Vollkommenheit seines Mitmenschen martert, sind nicht alle diese die größten Feinde ihrer Gesundheit? Sollte das Laster noch nicht genug Abschreckendes haben, wenn es mit der Glückseligkeit auch die Gesundheit zernichtet?

§. 16. Ausnahmen.

Aber auch der angenehme Affekt hat getödtet, auch der unangenehme hat Wunderkuren gethan? – Beides lehrt die Erfahrung, sollte das die Grenzen des aufgestellten Gesetzes verrücken?

Die Freude tödtet, wenn sie zur Ekstasi hinaufsteigt, die Natur erträgt den Schwung nicht, in den in einem Moment das ganze Nervengebäude geräth, die Bewegung des Gehirns ist nicht Harmonie mehr, sie ist Convulsion; ein höchster augenblicklicher Vigor, der aber auch gleich in den Ruin der Maschine übergeht, weil er über die Grenzlinie der Gesundheit gewichen ist (denn schon in die Idee der Gesundheit ist die Idee einer gewissen Temperatur der natürlichen Bewegungen wesentlich eingeflochten); auch die Freude der endlichen Wesen hat ihre Schranken, sowie der Schmerz, diese darf sie nicht überschreiten, oder sie muß untergehn.

Was den zweiten Fall betrifft, so hat man viele Beispiele, daß ein mäßiger Grad des Zorns, der Gewalt hat, frei aufzubrausen, die langwierigsten Verstopfungen durchrissen, daß der Schrecken, z. E. über eine Feuersbrunst, alte Gliederschmerzen und unheilbare Lähmungen plötzlich gehoben hat. – Aber auch die Dysenterie hat Verstopfungen der Pfortader geschmolzen, auch die Krätze hat Melancholien und Tobsuchten geheilt – ist die Krätze darum weniger Krankheit, oder die Ruhr darum Gesundheit?

§. 17. Trägheit der Seele macht die Bewegungen der Maschine träger.

Da die Wirksamkeit des Geistes während den Geschäften des Tags nach dem Zeugniß des Herrn von Haller den abendlichen Puls zu beschleunigen vermag, wird ihre Trägheit ihn nicht schwächen, wird ihre Nichtthätigkeit ihn vielleicht nicht gar aufheben müssen? Denn obschon die Bewegung des Bluts nicht so sehr von der Seele abhängig zu sein scheint, so läßt sich doch nicht ohne allen Grund schließen, daß das Herz, welches doch immerhin den größten Theil seiner Kraft vom Gehirn entlehnt, nothwendig, wenn die Seele die Bewegung des Gehirns nicht mehr unterhält, einen großen Kraftverlust erleiden müsse? – Das Phlegma führt einen trägen langsamen Puls, das Blut ist wässericht und schleimicht, der Kreislauf durch den Unterleib leidet Noth. Die Stupiden, die uns MuzellMuzells medicinische und chirurgische Wahrnehmungen. beschrieben hat, athmeten langsam und schwer, hatten weder Trieb zum Essen und Trinken, noch zu den natürlichen Excretionen, der Aderschlag war selten, alle Verrichtungen des Körpers waren schläfrig und matt. Die Erstarrung der Seele unter dem Schrecken, dem Erstaunen u. s. w. wird zuweilen von einer allgemeinen Aufhebung aller physischen Thätigkeit begleitet. War die Seele die Ursache dieses Zustands, oder war es der Körper, der die Seele in diese Erstarrung versetzte? Aber diese Materie führt uns auf Spitzfindigkeiten und muß ja auch gerade hier nicht entwickelt werden.

§. 18. Zweites Gesetz.

Nun ist das, was von Uebertragung der geistigen Empfindungen auf thierische gesagt worden, auch vom umgekehrten Fall, von Uebertragung der thierischen auf die geistigen gültig. Krankheiten des Körpers, mehrentheils die natürlichen Folgen der Unmäßigkeit, strafen an sich schon durch sinnlichen Schmerz, aber auch hier mußte die Seele in ihrem Grundwesen angegriffen werden, daß der gedoppelte Schmerz ihr die Einschränkung der Begierden desto dringender einschärfe. Eben so mußte zu dem sinnlichen Wohlgefühl der körperlichen Gesundheit auch die feinere Empfindung einer geistigen Realverbesserung treten, daß der Mensch um so mehr gespornet werde, seinen Körper im guten Zustande zu erhalten. So ist es also ein zweites Gesetz der gemischten Naturen, daß mit der freien Thätigkeit der Organe auch ein freier Fluß der Empfindungen und Ideen, daß mit der Zerrüttung derselbigen auch eine Zerrüttung des Denkens und Empfindens sollte verbunden sein. Also kürzer: daß die allgemeine Empfindung thierischer Harmonie die Quelle geistiger Lust und die thierische Unlust die Quelle geistiger Unlust sein sollte.

Man kann in diesen verschiedenen Rücksichten Seele und Körper nicht gar unrecht zweien gleichgestimmten Saiteninstrumenten vergleichen, die neben einander gestellt sind. Wenn man eine Saite auf dem einen rühret und einen gewissen Ton angibt, so wird auf dem andern eben diese Saite freiwillig anschlagen und eben diesen Ton, nur etwas schwächer, angeben. So weckt, vergleichungsweise zu reden, die fröhliche Saite des Körpers die fröhliche in der Seele, so der traurige Ton des ersten den traurigen in der zweiten. Dies ist die wunderbare und merkwürdige Sympathie, die die heterogenen Principien des Menschen gleichsam zu einem Wesen macht, der Mensch ist nicht Seele und Körper, der Mensch ist die innigste Vermischung dieser beiden Substanzen.

§. 19. Die Stimmungen des Geists folgen den Stimmungen des Körpers.

Daher die Schwere, die Gedankenlosigkeit, das mürrische Wesen, auf Ueberladungen des Magens, auf Excesse in allen sinnlichen Lüsten; daher die wundertätigen Wirkungen des Weins bei denen, die ihn mit Mäßigkeit trinken. »Wenn ihr Wein getrunken habt,« sagt Bruder Martin, »so seid ihr alles doppelt, noch einmal so leicht denkend, noch einmal so leicht unternehmend, noch einmal so schnell ausführend.« Daher die gute Laune, die Behaglichkeit bei heiterem und gesundem Wetter, die zwar einestheils auch in der Association der Begriffe, mehrentheils aber in dem dadurch erleichterten Gang der natürlichen Aktionen ihren Grund hat. Diese Leute pflegen sich gemeiniglich des Ausdrucks zu bedienen: ich spüre, daß mir wohl ist, und zu dieser Zeit sind sie auch zu allen Arbeiten des Geists mehr aufgelegt und haben ein offener Herz für die Empfindungen der Menschlichkeit und die Ausübung moralischer Pflichten. Eben dieses gilt von dem Nationalcharakter der Völker. Die Bewohner düsterer Gegenden trauern mit der sie umgebenden Natur; der Mensch verwildert in wilden stürmischen Zonen, lacht in freundlichen Lüften und fühlt Sympathie in gereinigten Atmosphären. Nur unter dem feinen griechischen Himmel gab es einen Homer, einen Plato und Phidias; dort nur standen Musen und Grazien auf, wenn das neblichte Lappland kaum Menschen, ewig niemals ein Genie gebiert. Als unser Deutschland noch waldigt, rauh und sumpficht war, war der Deutsche ein Jäger, roh wie das Wild, dessen Fell er um seine Schultern schlug. Sobald die Arbeitsamkeit die Gestalt seines Vaterlands umänderte, fing die Epoche seiner Sittlichkeit an. Ich will nicht behaupten, daß das Klima die einzige Quelle des Charakters sei, aber gewiß muß, um ein Volk aufzuklären, eine Hauptrücksicht dahin genommen werden, seinen Himmel zu verfeinern.

Zerrüttungen im Körper können auch das ganze System der moralischen Empfindungen in Unordnung bringen und den schlimmsten Leidenschaften den Weg bahnen. Ein durch Wollüste ruinierter Mensch wird leichter zu Extremis gebracht werden können, als der, der seinen Körper gesund erhält. Dies eben ist ein abscheulicher Kunstgriff derer, die die Jugend verderben, und jener Banditenwerber muß den Menschen genau gekannt haben, wenn er sagt: »Man muß Leib und Seele verderben.« Catilina war ein Wollüstling, eh er ein Mordbrenner wurde, und Doria hatte sich gewaltig geirret, wenn er den wollüstigen Fiesco nicht fürchten zu dürfen glaubte. Ueberhaupt beobachtet man, daß die Bösartigkeit der Seele gar oft in kranken Körpern wohnt.

In den Krankheiten ist diese Sympathie noch auffallender. Alle Krankheiten von Bedeutung, diejenigen vorzüglich, die man die bösartigen nennt und die aus der Oekonomie des Unterleibs hervorgehen, kündigen sich mehr oder weniger mit einer sonderbaren Revolution im Charakter an. Damals, wenn sie im Stillen noch in den verborgenen Winkeln der Maschine schleichen und die Lebenskraft der Nerven untergraben, fängt die Seele an, den Fall ihres Gefährten in dunkeln Ahnungen voraus zu empfinden. Das ist mit ein großes Ingrediens zu demjenigen Zustand, den uns ein großer Arzt unter dem Namen der Vorschauer (horrores) mit Meisterzügen geschildert hat. Daher die Morosität dieser Leute, davon niemand die Ursache weiß anzugeben, die Aenderung ihrer Neigungen, der Ekel an allem, was ihnen sonst das Liebste war. Der Sanftmüthige wird zänkisch, der Lacher mürrisch, und der sich vorher im Geräusch der geschäftigen Welt verlor, flieht den Anblick der Menschen und entweicht in düstere melancholische Stille. Unter dieser heimtückischen Ruhe rüstet sich die Krankheit zum tödtlichen Ausbruch. Der allgemeine Tumult der Maschine, wenn die Krankheit mit offener Wuth hervorbricht, gibt uns den redendsten Beweis von der erstaunlichen Abhängigkeit der Seele vom Körper an die Hand. Die aus tausend Schmerzgefühlen zusammengeronnene Empfindung des allgemeinen Umsturzes der Organe richtet im System ihrer geistigen Empfindungen eine fürchterliche Zerrüttung an. Die schrecklichsten Ideen leben wieder auf. Der Bösewicht, den nichts gerührt hat, unterliegt der Uebermacht thierischer Schrecken. Der sterbende Winchester heult in wüthender Verzweiflung. Die Seele scheint mit Fleiß nach allem zu haschen, was sie in noch tiefere Verfinsterung stürzt, und vor allen Trostgründen mit rasendem Widerwillen zurückzuschaudern. Der Ton der unangenehmen Empfindung ist herrschend, und wie dieser tiefe Schmerz der Seele aus den Zerrüttungen der Maschine entsprungen ist, so hilft er rückwärts diese Zerrüttungen heftiger und allgemeiner machen.

§. 20. Einschränkung des Vorigen.

Aber man hat tägliche Beispiele von Kranken, die sich voll Muth über die Leiden des Körpers erheben, von Sterbenden, die mitten in den Bedrängnissen der kämpfenden Maschine fragen: wo ist dein Stachel, Tod? Sollte die Weisheit, dürfte man einwenden, nicht vermögend sein, wider die blinden Schrecken des Organismus zu waffnen? Sollte, was noch mehr ist als Weisheit, sollte die Religion ihre Freunde so wenig gegen die Anfechtungen des Staubes beschützen können? Oder, welches eben so viel heißt, kommt es nicht auch auf den vorhergehenden Zustand der Seele an, wie sie die Alterationen der Lebensbewegungen aufnimmt?

Dieses nun ist eine unleugbare Wahrheit. Philosophie und noch weit mehr ein muthiger und durch die Religion erhobener Sinn sind fähig, den Einfluß der thierischen Sensationen, die das Gemüth des Kranken bestürmen, durchaus zu schwächen und die Seele gleichsam ans aller Cohärenz mit der Materie zu reißen. Der Gedanke an die Gottheit, die, wie durchs Universum, so auch im Tode webet, die Harmonie des vergangenen Lebens und die Vorgefühle einer ewig glücklichen Zukunft breiten ein volles Licht über alle ihre Begriffe, wenn die Seele des Thoren und Ungläubigen von allen jenen dunkeln Fühlungen des Mechanismus umnachtet wird. Wenn auch unwillkürliche Schmerzen dem Christen und Weisen sich aufdrängen (denn ist er weniger Mensch?), so wird er selbst das Gefühl seiner zerfallenden Maschine in Wollust auflösen. –

The Soul, secur'd in her existence, smiles
At the drawn dagger, and defies its point,
The stars shall fade away, the sun himself
Grow dim with age, and nature sink in years,
But thou shalt flourish in immortal youth,
Unhurt amidst the war of Elements,
The wreck of Matter, and the crush of Worlds.

Eben diese ungewöhnliche Heiterkeit der tödtlich Kranken hat mehrmalen auch eine physische Ursach zum Grunde und ist äußerst wichtig für den praktischen Arzt. Man findet sie oft in Gesellschaft der tödtlichsten Zeichen des Hippokrates, und ohne sie aus irgend einer vorgängigen Krisis begreifen zu können: diese Heiterkeit ist bösartig. Die Nerven, welche während der Höhe des Fiebers auf das schärfste waren angefochten worden, haben jetzt ihre Empfindlichkeit verloren, die entzündeten Theile, weiß man wohl, hören auf zu schmerzen, sobald sie brandig werden, aber es wäre ein unglücklicher Gedanke, sich Glück zu wünschen, daß die Entzündungsperiode nunmehr überstanden sei. Der Reiz weicht von den todten Nerven zurück, und eine tödtliche Indolenz lügt baldige Genesung. Die Seele befindet sich in der Illusion einer angenehmen Empfindung, weil sie einer lang anhaltenden schmerzhaften los ist. Sie ist schmerzenfrei, nicht weil der Ton ihrer Werkzeuge wieder hergestellt ist, sondern weil sie den Mißton nicht mehr empfindet. Die Sympathie hört auf, sobald der Zusammenhang wegfällt.

§. 21. Weitere Aussichten in den Zusammenhang.

Wenn ich nun erst tiefer hineingehn – wenn ich vom Wahnsinn selbst, vom Schlummer, vom Stupor, von der fallenden Sucht und der Katalepsis u. s. f. sprechen dürfte, wo der freie und vernünftige Geist dem Despotismus des Unterleibs unterworfen wird, wenn ich mich überhaupt in das große Feld der Hysterie und Hypochondrie ausbreiten dürfte, wenn es mir erlaubt wäre, von Temperamenten, Idiosynkrasien und Consensus zu reden, welches für Ärzte und Philosophen ein Abgrund ist, – mit einem Wort: wenn ich die Wahrheit des Bisherigen von dem Krankenbett aus beweisen wollte, welches immerhin eine Hauptschule des Psychologen ist, so würde mein Stoff sich ins Unendliche dehnen. Genug, däucht es mich, ist es nunmehr bewiesen, daß die thierische Natur mit der geistigen sich durchaus vermischet, und daß diese Vermischung Vollkommenheit ist.

Körperliche Phänomene verrathen die Bewegungen des Geists.

§. 22. Physiognomik der Empfindungen.

Eben diese innige Korrespondenz der beiden Naturen stützt auch die ganze Lehre der Physiognomik. Durch eben diesen Nervenzusammenhang, welcher, wie wir hören, bei der Mittheilung der Empfindungen zum Grunde liegt, werden die geheimsten Rührungen der Seele auf der Außenseite des Körpers geoffenbart, und die Leidenschaft dringt selbst durch den Schleier des Heuchlers. Jeder Affekt hat seine specifiken Aeußerungen und, so zu sagen, seinen eigentümlichen Dialekt, an dem man ihn kennt. Und zwar ist dies ein bewundernswürdiges Gesetz der Weisheit, daß jeder edle und wohlwollende den Körper verschönert, den der niederträchtige und gehässige in viehische Formen zerreißt. Je mehr sich der Geist vom Ebenbild der Gottheit entfernet, desto näher scheint auch die äußere Bildung dem Viehe zu kommen, und immer demjenigen am nächsten, das diesen Haupthang mit ihm gemein hat. So ladet das sanfte Außenbild des Menschenfreunds den Hilfsbedürftigen ein, wenn der trotzige Blick des Zornigen jeden zurückscheucht. Dies ist der unentbehrlichste Leitfaden im gesellschaftlichen Leben. Es ist merkwürdig, wie viel Aehnlichkeit die körperlichen Erscheinungen mit den Affekten haben, Heldenmuth und Unerschrockenheit strömen Leben und Kraft durch Adern und Muskeln, Funken sprühen aus den Augen, die Brust steigt, alle Glieder rüsten sich gleichsam zum Streit, der Mensch hat das Ansehen des Rosses. Schrecken und Furcht erlöschen das Feuer der Augen, die Glieder sinken kraftlos und schwer, das Mark scheint in den Knochen erfroren zu sein, das Blut fällt dem Herzen zur Last, allgemeine Ohnmacht lähmt die Instrumente des Lebens. Ein großer, kühner, erhabener Gedanke zwingt uns, auf die Zehen zu stehen, das Haupt empor zu richten, Nase und Mund weit aufzusperren. Das Gefühl der Unendlichkeit, die Aussicht in einen weiten offenen Horizont, das Meer und dergleichen dehnt unsere Arme aus, wir wollen ins Unendliche ausfließen. Mit Bergen wollen wir gen Himmel wachsen, auf Stürmen und Wellen dahinbrausen; gähe Abgründe stürzen uns schwindelnd hinunter; der Haß äußert sich im Körper gleichsam durch eine zurückstoßende Kraft, wenn im Gegentheil selbst unser Körper durch jeden Händedruck, jede Umarmung in den Körper des Freundes übergehen will, gleichwie die Seelen harmonisch sich mischen; der Stolz richtet den Körper auf, so wie die Seele steigt; Kleinmuth senket das Haupt, die Glieder hangen; knechtische Furcht spricht aus dem kriechenden Gang; die Idee des Schmerzens verzerret unser Gesicht, wenn wollüstige Vorstellungen eine Grazie über den ganzen Körper verbreiten; so hat ferner der Zorn die stärksten Bande zerrissen und die Noth beinahe die Unmöglichkeit überwunden. – Durch was für eine Mechanik, möcht' ich nun fragen, geschieht es, daß gerade diese Bewegungen auf diese Empfindungen erfolgen, gerade diese Organe bei diesen Affekten interessiert werden? Ist dies nicht eben so viel, als wollt' ich wissen, warum gerade eine solche Verletzung der Bandhaut die untere Kinnlade erstarren mache?

Wird der Affekt, der diese Bewegungen der Maschine sympathetisch erweckte, öfters erneuert, wird diese Empfindungsart der Seele habituell, so werden es auch diese Bewegungen dem Körper. Wird der zur Fertigkeit gewordene Affekt dauernder Charakter, so werden auch diese consensuellen Züge der Maschine tiefer eingegraben, sie bleiben, wenn ich das Wort von dem Pathologen entlehnen darf, deuteropathisch zurück und werden endlich organisch. So formiert sich endlich die feste perennierende Physiognomie des Menschen, daß es beinahe leichter ist, die Seele nachher noch umzuändern als die Bildung. In diesem Verstande also kann man sagen, die Seele bildet den Körper, ohne ein Stahlianer zu sein, und die ersten Jugendjahre bestimmen vielleicht die Gesichtszüge des Menschen durch sein ganzes Leben, so wie sie überhaupt die Grundlage seines moralischen Charakters sind. Eine unthätige und schwache Seele, die niemal in Leidenschaften überwallt, hat gar keine Physiognomie, wenn nicht eben der Mangel derselben die Physiognomie der Simpel ist. Die Grundzüge, die die Natur ihnen anerschuf und die Nutrition vollendete, dauern unangetastet fort. Das Gesicht ist glatt, denn keine Seele hat darauf gespielt. Die Augbraunen behalten einen vollkommenen Bogen, denn kein wilder Affekt hat sie zerrissen. Die ganze Bildung behält eine Ründe, denn das Fett hat Ruhe in seinen Zellen; das Gesicht ist regelmäßig, vielleicht auch sogar schön, aber ich bedaure die Seele.

Eine Physiognomik organischer Theile, z. E. der Figur und Größe der Nase, der Augen, des Mundes, der Ohren u. s. w., der Farbe der Haare, der Höhe des Halses u. s. f. ist vielleicht nicht unmöglich, dürfte aber wohl sobald nicht erscheinen, wenn auch Lavater noch durch zehen Quartbände schwärmen sollte. Wer die launichten Spiele der Natur, die Bildungen, mit denen sie stiefmütterlich bestraft und mütterlich beschenkt hat, unter Klassen bringen wollte, würde mehr wagen, als Linné, und dürfte sich sehr in Acht nehmen, daß er über der ungeheuren kurzweiligen Mannigfaltigkeit der ihm vorkommenden Originale nicht selbst eines werde.

(Noch eine Art von Sympathie verdient bemerkt zu werden, indem sie in der Physiologie von großer Erheblichkeit ist; ich meine die Sympathie gewisser Empfindungen mit den Organen, aus denen sie kamen. Ein gewisser Krampf des Magens erregte in uns die Empfindung von Ekel; die Reproduktion dieser Empfindung bringt rückwärts diesen Krampf hervor. Wie geschieht das?)

Auch der Nachlaß der thierischen Natur ist eine Quelle von Vollkommenheit.

§. 23. Scheint sie zu hindern.

Noch kann man sagen, wenn auch der thierische Theil des Menschen ihm alle die großen Vortheile gewährt, von denen bisher gesprochen worden, so bleibe er doch immer noch in einer andern Rücksicht verwerflich. Nämlich die Seele ist also sklavisch an die Thätigkeit ihrer Werkzeuge gefesselt, daß die periodische Abspannung dieser letztern ihr eine thatenlose Pause vorschreibt und sie gleichsam periodisch vernichtet. Ich meine den Schlaf, der, wie man nicht leugnen kann, uns wenigstens den dritten Theil unsers Daseins raubt. Ferner ist unsere Denkkraft von den Gesetzen der Maschine äußerst abhängig, daß der Nachlaß dieser letztern dem Gang der Gedanken plötzliches Halt auferlegt, wenn wir eben auf dem geraden offenen Pfade zur Wahrheit begriffen sind. Der Verstand darf kaum ein wenig auf einer Idee gehaftet haben, so versagt ihm die träge Materie; die Saiten des Denkorganes erschlaffen, wenn sie kaum ein wenig angestrengt worden; der Körper verläßt uns, wo wir sein am meisten bedürfen. Welch erstaunliche Schritte, dürfte man einwenden, würde der Mensch in Bearbeitung seiner Fähigkeiten machen, wenn er in einem Zustand ununterbrochener Intensität fortdenken könnte? Wie würde er jede Idee in ihre letzten Elemente zerfasern, wie würde er jede Erscheinung bis zu ihren verhohlensten Quellen verfolgen, wenn er sie unaufhörlich vor seiner Seele festhalten könnte? – Aber es ist nun einmal nicht so; warum ist es nicht so?

§. 24. Nothwendigkeit des Nachlasses.

Folgendes wird uns auf die Spur der Wahrheit leiten.

  1. Die angenehme Empfindung war nothwendig, den Menschen zur Vollkommenheit zu führen, und er ist ja nur darum vollkommen, daß er angenehm empfinde.
  2. Die Natur eines endlichen Wesens macht die unangenehme Empfindung unvermeidlich. Das Uebel exuliert nicht aus der besten Welt, und die Weltweisen wollen ja darin Vollkommenheit finden.
  3. Die Natur eines gemischten Wesens bringt sie nothwendig mit sich, weil sie größtenteils darauf ruhet. Also: Schmerz und Lust sind nothwendig. Schwerer scheint es, aber es ist dennoch nicht weniger wahr:
  4. Jeder Schmerz wächst seiner Natur nach, so wie jede Lust, ins Unendliche.
  5. Jeder Schmerz und jede Lust eines gemischten Wesens zielt auf seine Auflösung.

§. 25. Erklärung.

Nämlich das will so viel sagen: es ist ein bekanntes Gesetz der Ideenverbindung, daß eine jede Empfindung, welcher Art sie auch immer sei, alsogleich eine andere ihrer Art ergreife und sich durch diesen Zuwachs vergrößere. Je größer und vielfältiger sie wird, desto mehr gleichartige weckt sie nach allen Direktionen des Denkorgans auf, bis sie nach und nach allgemein herrschend wird und die ganze Fläche der Seele einnimmt. So wächst demnach jede Empfindung durch sich selbst; jeder gegenwärtige Zustand des Empfindungsvermögens enthält den Grund eines nachfolgenden ähnlichen heftigern. Dies ist an sich klar. Nun ist, wie wir wissen, jede geistige Empfindung mit einer ähnlichen thierischen vergesellschaftet, d. i. mit andern Worten: jede ist mit mehr oder wenigern Nervenbewegungen verknüpft, die sich nach dem Grad ihrer Stärke und Ausbreitung richten. Also: so wie die geistigen Empfindungen wachsen, müssen auch die Bewegungen im Nervensystem zunehmen. Dies ist nicht minder deutlich. Aber nun lehrt uns die Pathologie, daß kein Nerve jemals allein leide und sagen: hie ist Uebermaß von Kraft, eben so viel heiße als: dort ist Mangel der Kraft. Also wächst zugleich noch jede Nervenbewegung durch sich selbst. Ferner ist oben gesagt worden, daß die Bewegungen des Nervensystems auf die Seele zurückwirken und die geistigen Empfindungen verstärken; die verstärkten Empfindungen des Geists vermehren und verstärken wiederum die Bewegungen der Nerven. Also ist hier ein Zirkel, und die Empfindung muß stets wachsen, und die Nervenbewegungen müssen in jedem Moment allgemeiner und heftiger werden. Nun wissen wir, daß die Bewegungen der Maschine, welche die Empfindung des Schmerzens verursachen, dem harmonischen Ton zuwiderlaufen, durch den sie erhalten wird, das heißt, daß sie Krankheit sind. Aber Krankheit kann nicht ins Unendliche wachsen, also endigen sie sich mit der totalen Destruktion der Maschine. In Absicht auf den Schmerz ist es also erwiesen, daß er auf den Tod des Subjekts abzielt.

Aber die Bewegungen der Nerven unter dem Zustand des angenehmen Affekts sind ja so harmonisch, der Fortdauer der Maschine so günstig; der Zustand der größten Seelenlust ist ja der Zustand des größten körperlichen Wohls; – sollte nicht vielmehr umgekehrt der angenehme Affekt den Flor des Körpers ins Unendliche verlängern?– dieser Schluß ist sehr übereilt. In einem gewissen Grade der Moderation sind diese Nervenbewegungen heilsam und wirklich Gesundheit. Wachsen sie über diesen Grad hinaus, so können sie wohl höchste Aktivität, höchste augenblickliche Vollkommenheit sein, aber dann sind sie Exceß der Gesundheit, dann sind sie nicht mehr Gesundheit. Nur diejenige gute Beschaffenheit der natürlichen Aktionen heißen wir Gesundheit, in denen der Grund zukünftiger ähnlicher liegt, d. h. die die Vollkommenheit der darauf folgenden Aktionen befestigen; also gehört die Bestimmung des Fortdauernden wesentlich mit in den Begriff der Gesundheit. So hat z. E. der Körper des entkräftetsten Wollüstlings im Momente der Ausschweifung seine höchste Harmonie erreicht; aber sie ist nur augenblicklich, und ein desto tieferer Nachlaß lehrt zur Genüge, daß Ueberspannung nicht Gesundheit war. So kann man denn mit Recht behaupten, daß der übertriebene Vigor der physischen Aktionen den Tod so sehr beschleunigt als die höchste Disharmonie oder die heftigste Krankheit. Und also reißen uns beide, Schmerz und Vergnügen, einem unvermeidlichen Tod entgegen, wenn nicht etwas vorhanden ist, das ihr Wachsthum beschränket.

§. 26. Vortrefflichkeit dieses Nachlasses.

Und eben dieses leistet nun der Nachlaß der thierischen Natur. Eben diese Einschränkung unserer zerbrechlichen Maschine, die unsern Gegnern einen so starken Einwurf wider ihre Vollkommenheit schien geliehen zu haben, mußte es auch sein, die alle die übeln Folgen verbesserte, die der Mechanismus anderwärts unvermeidlich macht. Eben dieses Hinsinken, dieses Erschlaffen der Organe, worüber die Denker so klagen, verhindert, daß uns unsere eigene Kraft nicht in kurzer Zeit aufreibt, und läßt es nicht zu, daß unsere Affekte in immer steigenden Graden zu unserm Verderben fortwachsen. Sie zeichnet jedem Affekt die Perioden seines Wachsthums, seiner Höhe und seiner Deservescenz, wenn er nicht gar in einer totalen Relaxation des Körpers erstirbt, die den empörten Geistern Zeit läßt, wiederum ihren harmonischen Ton zu nehmen, und den Organen, sich wiederum zu erholen. Daher die höchsten Grade des Entzückens, des Schreckens und des Zorns eben dieselben sind, nämlich Ermattung, Schwäche oder Ohnmacht. –

»Itzo mußt' er entweder ohnmächtig niedersinken« – –

Noch mehr gewährt der Schlaf, der, wie unser Shakespeare sagt, »den verworrenen Knäuel der Sorgen auseinander löst, das Bad der wunden Arbeit, die Geburt von jedes Tages Leben, der zweite Gang der großen Natur ist.« Unter dem Schlaf ordnen sich die Lebensgeister wiederum in jenes heilsame Gleichgewicht, das die Fortdauer unsers Daseins so sehr verlangt; alle jene krampfichten Ideen und Empfindungen, alle jene überspannten Tätigkeiten, die uns den Tag durch gepeinigt haben, werden jetzt in der allgemeinen Erschlaffung des Sensoriums aufgelöst, die Harmonie der Seelenwirkungen wird wiederum hergestellt, und ruhiger grüßt der neuerwachte Mensch den kommenden Morgen.

Auch in Hinsicht auf die Einrichtung des Ganzen können wir den Werth und die Wichtigkeit dieses Nachlasses nicht genug bewundern. Eben diese Einrichtung brachte es nothwendig mit sich, daß Manche, die nicht minder glücklich sein sollten, der allgemeinen Ordnung aufgeopfert wurden und das Loos der Unterdrückung davon trugen. Eben so mußten wiederum Viele, die wir vielleicht mit Unrecht zu beneiden pflegen, ihre Geistes- und Leibeskraft in rastloser Anstrengung foltern, damit die Ruhe des Ganzen erhalten werde. So ferner die Kranken, so das unvernünftige Vieh. Der Schlaf versiegelt gleichsam das Auge des Kummers, nimmt dem Fürsten und Staatsmann die schwere Bürde der Regierung ab, gießt Lebenskraft in die Adern des Kranken und Ruhe in seine zerrissene Seele; auch der Taglöhner hört die Stimme des Drängers nicht mehr, und das mißhandelte Vieh entflieht den Tyranneien der Menschen. Alle Sorgen und Lasten der Geschöpfe begräbt der Schlaf, setzt alles ins Gleichgewicht, rüstet jeden mit neugeboren Kräften aus, die Freuden und Leiden des folgenden Tages zu ertragen.

§. 27. Trennung des Zusammenhangs.

Endlich dann, auf den Zeitpunkt, wo der Geist den Zweck seines Daseins in diesem Kreise erfüllt hat, hat zugleich eine inwendige unbegreifliche Mechanik auch seinen Körper unfähig gemacht, weiterhin Werkzeug zu sein. Alle Anordnungen zur Aufrechthaltung des körperlichen Flors scheinen nur bis aus diese Epoche zu reichen, die Weisheit, kommt es mir vor, hat bei Gründung unserer physischen Natur eine solche Sparsamkeit beobachtet, daß, ungeachtet der steten Compensationen, doch die Consumtion immer das Uebergewicht behalte, daß die Freiheit den Mechanismus mißbrauche und der Tod aus dem Leben, wie aus seinem Keime, sich entwickle. Die Materie zerfällt in ihre letzten Elemente wieder, die nun in andere Formen und Verhältnissen durch die Reiche der Natur wandern, andern Absichten zu dienen. Die Seele fähret fort, in andern Kreisen ihre Denkkraft zu üben und das Universum von andern Seiten zu beschauen. Man kann freilich sagen, daß sie diese Sphäre im geringsten noch nicht erschöpft hat, daß sie solche vollkommener hätte verlassen können; aber weiß man denn, daß diese Sphäre für sie verloren ist? Wir legen jetzt manches Buch weg, das wir nicht verstehn, aber vielleicht verstehn wir es in einigen Jahren besser.


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