Friedrich Schiller
Der Neffe als Onkel
Friedrich Schiller

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Zweiter Aufzug.

Erster Auftritt.

Frau von Mirville. Franz von Dorsigny kommt aus einem Zimmer linker Hand und sieht sich sorgfältig um.

Fr. v. Mirville (von der entgegengesetzten Seite). Wie unbesonnen! Der Onkel wird den Augenblick da sein.

Dorsigny. Aber sage mir doch, was mit mir werden soll? Ist alles entdeckt, und weiß meine Tante, daß ihr vorgeblicher Mann nur ihr Neffe war?

Fr. v. Mirville. Nichts weiß man! Nichts ist entdeckt! Die Tante ist noch mit der Modehändlerin eingeschlossen; der Onkel flucht auf seine Frau – Herr von Lormeuil ist ganz verblüfft über die sonderbare Aufnahme, und ich will suchen, die Entwicklung, die nicht mehr lange anstehen kann, so lang als möglich zu verzögern, daß ich Zeit gewinne, den Onkel zu deinem Vortheil zu stimmen, oder, wenn's nicht anders ist, den Lormeuil in mich verliebt zu machen – denn eh' ich zugebe, daß er die Cousine heiratet, nehm' ich ihn lieber selbst.


Zweiter Auftritt.

Vorige. Valcour.

Valcour (kommt schnell). Ah schön, schön, daß ich dich hier finde, Dorsigny. Ich habe dir tausend Sachen zu sagen und in der größten Eile.

Dorsigny. Hol' ihn der Teufel! Der kommt mir jetzt gelegen.

Valcour. Die gnädige Frau darf doch –

Dorsigny. Vor meiner Schwester hab' ich kein Geheimniß.

Valcour (zur Frau von Mirville sich wendend). Wie freue ich mich, meine Gnädige, Ihre Bekanntschaft gerade in diesem Augenblicke zu machen, wo ich so glücklich war, Ihrem Herrn Bruder einen wesentlichen Dienst zu erzeigen.

Dorsigny. Was hör' ich? Seine Stimme! (Flieht in das Kabinet, wo er herauskommen.)

Valcour (ohne Dorsignys Flucht zu bemerken, fährt fort). Sollte ich jemals in den Fall kommen, meine Gnädige, Ihnen nützlich sein zu können, so betrachten Sie mich als Ihren ergebensten Diener. (Er bemerkt nicht, daß indeß der Oberst Dorsigny hereingekommen und sich an den Platz des andern gestellt hat.)


Dritter Auftritt.

Vorige. Oberst Dorsigny. Lormeuil.

Oberst. Ja – diese Weiber sind eine wahre Geduldprobe für ihre Männer.

Valcour (kehrt sich um und glaubt mit dem jungen Dorsigny zu reden). Ich wollte dir also sagen, lieber Dorsigny, daß dein Oberstlieutenant nicht todt ist.

Oberst. Mein Oberstlieutenant?

Valcour. Mit dem du die Schlägerei gehabt hast. Er hat an meinen Freund Liancour schreiben lassen; er läßt dir vollkommene Gerechtigkeit widerfahren und bekennt, daß er der Angreifer gewesen sei. Die Familie hat zwar schon angefangen, dich gerichtlich zu verfolgen; aber wir wollen alles anwenden, die Sache bei Zeiten zu unterdrücken. Ich habe mich losgemacht, dir diese gute Nachricht zu überbringen, und muß gleich wieder zu meiner Gesellschaft.

Oberst. Sehr obligiert – aber –

Valcour. Du kannst also ganz ruhig schlafen. Ich wache für dich. (Ab.)


Vierter Auftritt.

Frau von Mirville. Oberst Dorsigny. Lormeuil.

Oberst. Sage mir doch, was der Mensch will?

Fr. v. Mirville. Der Mensch ist verrückt, das sehen Sie ja.

Oberst. Dies scheint also eine Epidemie zu sein, die alle Welt ergriffen hat, seitdem ich weg bin; denn das ist der erste Narr nicht, dem ich seit einer halben Stunde hier begegne.

Fr. v. Mirville. Sie müssen den trocknen Empfang meiner Tante nicht so hoch aufnehmen. Wenn von Putzsachen die Rede ist, da darf man ihr mit nichts Anderm kommen.

Oberst. Nun, Gott sei Dank! da hör' ich doch endlich einmal ein vernünftiges Wort! – So magst du denn die Erste sein, die ich mit dem Herrn von Lormeuil bekannt mache.

Lormeuil. Ich bin sehr glücklich, mein Fräulein, daß ich mich der Einwilligung Ihres Herrn Vaters erfreuen darf – Aber diese Einwilligung kann mir zu nichts helfen, wenn nicht die Ihrige –

Oberst. Nun fängt Der auch an! – Hat die allgemeine Raserei auch dich angesteckt, armer Freund? Dein Compliment ist ganz artig, aber bei meiner Tochter, und nicht bei meiner Nichte hättest du das anbringen sollen.

Lormeuil. Vergeben Sie, gnädige Frau! Sie sagen der Beschreibung so vollkommen zu, die mir Herr von Dorsigny von meiner Braut gemacht hat, daß mein Irrthum verzeihlich ist.

Fr. v. Mirville. Hier kommt meine Cousine, Herr von Lormeuil! Betrachten Sie sie recht und überzeugen Sie sich mit Ihren eigenen Augen, daß sie alle die schönen Sachen verdient, die Sie mir zugedacht haben.


Fünfter Auftritt.

Vorige. Sophie.

Sophie. Bitte tausendmal um Verzeihung, bester Vater, daß ich Sie vorhin so habe stehen lassen; die Mama rief mir, und ich mußte ihrem Befehl gehorchen.

Oberst. Nun, wenn man nur seinen Fehler einsieht und sich entschuldigt –

Sophie. Ach, mein Vater! wo finde ich Worte, Ihnen meine Freude, meine Dankbarkeit auszudrücken, daß Sie in diese Heirath willigen.

Oberst. So, so! Gefällt sie dir, diese Heirath?

Sophie. O gar sehr!

Oberst (leise zu Lormeuil). Du siehst, wie sie dich schon liebt, ohne dich zu kennen! Das kommt von der schönen Beschreibung, die ich ihr von dir gemacht habe, eh' ich abreiste.

Lormeuil. Ich bin Ihnen sehr verbunden.

Oberst. Ja, aber nun, mein Kind, wird es doch wohl Zeit sein, daß ich mich nach deiner Mutter ein wenig umsehe; denn endlich werden mir doch die Putzhändlerinnen Platz machen, hoffe ich – Leiste du indeß diesem Herrn Gesellschaft. Er ist mein Freund, und mich soll's freuen, wenn er bald auch der deinige wird – verstehst du? (Zu Lormeuil.) Jetzt frisch daran – Das ist der Augenblick! Suche noch heute ihre Neigung zu gewinnen, so ist sie morgen deine Frau – (Zu Frau von Mirville.) Kommt, Nichte! Sie mögen es mit einander allein ausmachen. (Ab.)


Sechster Auftritt.

Sophie. Lormeuil.

Sophie. Sie werden also auch bei der Hochzeit sein?

Lormeuil. Ja, mein Fräulein – Sie scheint Ihnen nicht zu mißfallen, diese Heirath?

Sophie. Sie hat den Beifall meines Vaters.

Lormeuil. Wohl! Aber was die Väter veranstalten, hat darum nicht immer den Beifall der Töchter.

Sophie. O was diese Heirath betrifft – die ist auch ein wenig meine Anstalt.

Lormeuil. Wie das, mein Fräulein?

Sophie. Mein Vater war so gütig, meine Neigung um Rath zu fragen.

Lormeuil. Sie lieben also den Mann, der Ihnen zum Gemahl bestimmt ist?

Sophie. Ich verberg' es nicht.

Lormeuil. Wie? und kennen ihn nicht einmal?

Sophie. Ich bin mit ihm erzogen worden.

Lormeuil. Sie wären mit dem jungen Lormeuil erzogen worden?

Sophie. Mit dem Herrn von Lormeuil – nein!

Lormeuil. Das ist aber Ihr bestimmter Bräutigam.

Sophie. Ja, das war anfangs.

Lormeuil. Wie, anfangs?

Sophie. Ich sehe, daß Sie noch nicht wissen, mein Herr –

Lormeuil. Nichts weiß ich! Nicht das Geringste weiß ich.

Sophie. Er ist todt.

Lormeuil. Wer ist todt?

Sophie. Der junge Herr von Lormeuil.

Lormeuil. Wirklich?

Sophie. Ganz gewiß.

Lormeuil. Wer hat Ihnen gesagt, daß er todt sei?

Sophie. Mein Vater!

Lormeuil. Nicht doch, Fräulein! Das kann ja nicht sein, das ist nicht möglich.

Sophie. Mit Ihrer Erlaubniß, es ist! Mein Vater, der von Toulon kommt, muß es doch besser wissen, als Sie. Dieser junge Edelmann bekam auf einem Balle Händel, er schlug sich und erhielt drei Degenstiche durch den Leib.

Lormeuil. Das ist gefährlich.

Sophie. Ja wohl, er ist auch daran gestorben.

Lormeuil. Es beliebt Ihnen, mit mir zu scherzen, gnädiges Fräulein. Niemand kann Ihnen vom Herrn von Lormeuil bessere Auskunft geben, als ich.

Sophie. Als Sie! Das wäre doch lustig.

Lormeuil. Ja, mein Fräulein, als ich! Denn, um es auf einmal herauszusagen – ich selbst bin dieser Lormeuil und bin nicht todt, so viel ich weiß.

Sophie. Sie wären Herr von Lormeuil?

Lormeuil. Nun, für wen hielten Sie mich denn sonst?

Sophie. Für einen Freund meines Vaters den er zu meiner Hochzeit eingeladen.

Lormeuil. Sie halten also immer noch Hochzeit, ob ich gleich todt bin?

Sophie. Ja freilich!

Lormeuil. Und mit wem denn, wenn ich fragen darf?

Sophie. Mit meinem Cousin Dorsigny.

Lormeuil. Aber Ihr Herr Vater wird doch auch ein Wort dabei mit zu sprechen haben.

Sophie. Das hat er, das versteht sich! Er hat ja seine Einwilligung gegeben.

Lormeuil. Wann hätt' er sie gegeben?

Sophie. Eben jetzt – ein paar Augenblicke vor Ihrer Ankunft.

Lormeuil. Ich bin ja aber mit ihm zugleich gekommen.

Sophie. Nicht doch, mein Herr! Mein Vater ist vor Ihnen hier gewesen.

Lormeuil (an den Kopf greifend). Mir schwindelt – es wird mir drehend vor den Augen – Jedes Wort, das Sie sagen, setzt mich in Erstaunen – Ihre Worte in Ehren, mein Fräulein, aber hierunter muß ein Geheimniß stecken, das ich nicht ergründe.

Sophie. Wie, mein Herr – sollten Sie wirklich im Ernst gesprochen haben?

Lormeuil. Im vollen höchsten Ernst, mein Fräulein –

Sophie. Sie wären wirklich der Herr von Lormeuil? – Mein Gott, was hab' ich da gemacht – Wie werde ich meine Unbesonnenheit –

Lormeuil. Lassen Sie sich's nicht leid sein, Fräulein – Ihre Neigung zu Ihrem Vetter ist ein Umstand, den man lieber vor als nach der Heirath erfährt –

Sophie. Aber ich begreife nicht –

Lormeuil. Ich will den Herrn von Dorsigny aufsuchen – vielleicht löst er mir das Räthsel. – Wie es sich aber auch immer lösen mag, Fräulein, so sollen Sie mit mir zufrieden sein, hoff' ich. (Ab.)

Sophie. Er scheint ein sehr artiger Mensch – und wenn man mich nicht zwingt, ihn zu heirathen, so soll es mich recht sehr freuen, daß er nicht erstochen ist.


Siebenter Auftritt.

Sophie. Oberst. Frau von Dorsigny.

Fr. v. Dorsigny. Laß uns allein, Sophie. (Sophie geht ab.) Wie, Dorsigny, Sie können mir ins Angesicht behaupten, daß Sie nicht kurz vorhin mit mir gesprochen haben? Nun, wahrhaftig, welcher Andere als Sie, als der Herr dieses Hauses, als der Vater meiner Tochter, als mein Gemahl endlich, hätte das thun können, was Sie thaten?

Oberst. Was Teufel hätte ich denn gethan?

Fr. v. Dorsigny. Muß ich Sie daran erinnern? Wie? Sie wissen nicht mehr, daß Sie erst vor kurzem mit unsrer Tochter gesprochen, daß Sie ihre Neigung zu unserm Neffen entdeckt haben, und daß wir eins worden sind, sie ihm zur Frau zu geben, sobald er wird angekommen sein?

Oberst. Ich weiß nicht – Madame, ob das alles nur ein Traum Ihrer Einbildungskraft ist, oder ob wirklich ein Anderer in meiner Abwesenheit meinen Platz eingenommen hat. Ist das Letztere, so war's hohe Zeit, daß ich kam – Dieser Jemand schlägt meinen Schwiegersohn todt, verheirathet meine Tochter und sticht mich aus bei meiner Frau. und meine Frau und meine Tochter lassen sich's Beide ganz vortrefflich gefallen.

Fr. v. Dorsigny. Welche Verstockung! – In Wahrheit, Herr von Dorsigny, ich weiß mich in Ihr Betragen nicht zu finden.

Oberst. Ich werde nicht klug aus dem Ihrigen.


Achter Auftritt.

Vorige. Frau von Mirville.

Fr. v. Mirville. Dacht' ich's doch, daß ich Sie Beide würde beisammen finden! – Warum gleichen doch nicht alle Haushaltungen der Ihrigen? Nie Zank und Streit! Immer ein Herz und eine Seele! Das ist erbaulich! Das ist doch ein Beispiel! Die Tante ist gefällig wie ein Engel, und der Onkel geduldig wie Hiob.

Oberst. Wahr gesprochen, Nichte! – Man muß Hiobs Geduld haben, wie ich, um sie bei solchem Geschwätz nicht zu verlieren.

Fr. v. Dorsigny. Die Nichte hat Recht, man muß so gefällig sein wie ich, um solche Albernheiten zu ertragen.

Oberst. Nun, Madame! Unsre Nichte hat mich seit meinem Hiersein fast nie verlassen. Wollen wir sie zum Schiedsrichter nehmen?

Fr. v. Dorsigny. Ich bin's vollkommen zufrieden und unterwerfe mich ihrem Ausspruch.

Fr. v. Mirville. Wovon ist die Rede?

Fr. v. Dorsigny. Stelle dir vor, mein Mann untersteht sich, mir ins Gesicht zu behaupten, daß er' s nicht gewesen sei, den ich vorhin für meinen Mann hielt.

Fr. v. Mirville. Ist's möglich?

Oberst. Stelle dir vor, Nichte, meine Frau will mich glauben machen, daß ich hier, hier in diesem Zimmer, mit ihr gesprochen haben soll, in demselben Augenblicke, wo ich mich auf der Touloner Poststraße schütteln ließ.

Fr. v. Mirville. Das ist ja ganz unbegreiflich, Onkel – Hier muß ein Mißverständniß sein – Lassen Sie mich ein paar Worte mit der Tante reden.

Oberst. Sieh, wie du ihr den Kopf zurecht setzest, wenn's möglich ist; aber es wird schwer halten.

Fr. v. Mirville (leise zur Frau von Dorsigny). Liebe Tante, das alles ist wohl nur ein Scherz von dem Onkel?

Fr. v. Dorsigny (ebenso). Freilich wohl, er müßte ja rasend sein, solches Zeug im Ernst zu behaupten.

Fr. v. Mirville. Wissen Sie was? Bezahlen Sie ihn mit gleicher Münze – geben Sie's ihm heim! Lassen Sie ihn fühlen, daß Sie sich nicht zum Besten haben lassen.

Fr. v. Dorsigny. Du hast Recht. Laß mich nur machen!

Oberst. Wird's bald? Jetzt denk' ich, war's genug.

Fr. v. Dorsigny (spottweise). Ja wohl ist's genug, mein Herr – und da es die Schuldigkeit der Frau ist, nur durch ihres Mannes Augen zu sehen, so erkenn' ich meinen Irrthum und will mir alles einbilden, was Sie wollen.

Oberst. Mit dem spöttischen Ton kommen wir nicht weiter.

Fr. v. Dorsigny. Ohne Groll, Herr von Dorsigny! Sie haben auf meine Unkosten gelacht, ich lache jetzt auf die Ihrigen, und so heben wir gegen einander auf. – Ich habe jetzt einige Besuche zu geben. Wenn ich zurückkomme und Ihnen der spaßhafte Humor vergangen ist, so können wir ernsthaft miteinander reden. (Ab.)

Oberst (zu Frau von Mirville). Verstehst du ein Wort von allem, was sie da sagt?

Fr. v. Mirville. Ich werde nicht klug daraus. Aber ich will ihr folgen und der Sache auf den Grund zu kommen suchen. (Ab.)

Oberst. Thu' das, wenn du willst. Ich geb' es rein auf – so ganz toll und närrisch hab' ich sie noch nie gesehen. Der Teufel muß in meiner Abwesenheit meine Gestalt angenommen haben, um mein Haus unterst zu oberst zu kehren, andere begreif' ich's nicht –


Neunter Auftritt.

Oberst Dorsigny. Champagne, ein wenig betrunken.

Champagne. Nun, das muß wahr sein! – Hier lebt sich's, wie im Wirthshaus – Aber wo Teufel stecken sie denn alle? – Keine lebendige Seele hab' ich mehr gesehen, seitdem ich als Kourier den Lärm angerichtet habe – Doch, sieh da, mein gnädiger Herr, der Hauptmann – Ich muß doch hören, wie unsere Sachen stehen. (Macht gegen den Oberst Zeichen des Verständnisses und lacht selbstgefällig.)

Oberst. Was Teufel! ist das nicht der Schelm, der Champagne? – Wie kommt der hieher, und was will der Esel mit seinen einfältigen Grimassen?

Champagne (wie oben). Nun, nun, gnädiger Herr?

Oberst. Ich glaube, der Kerl ist besoffen.

Champagne. Nun, was sagen Sie? Hab' ich meine Rolle gut gespielt?

Oberst (für sich). Seine Rolle? Ich merke etwas – Ja, Freund Champagne, nicht übel.

Champagne. Nicht übel! Was? Zum Entzücken hab' ich sie gespielt. Mit meiner Peitsche und den Kourierstiefeln, sah ich nicht einem ganzen Postillon gleich? Wie?

Oberst. Ja! ja! (Für sich.) Weiß der Teufel, was ich ihm antworten soll.

Champagne. Nun, wie steht's drinnen? Wie weit sind Sie jetzt?

Oberst. Wie weit ich bin – wie's steht – nun, du kannst dir leicht vorstellen, wie's steht.

Champagne. Die Heirath ist richtig, nicht wahr?– Sie haben als Vater die Einwilligung gegeben?

Oberst. Ja.

Champagne. Und morgen treten Sie in Ihrer wahren Person als Liebhaber auf.

Oberst (für sich). Es ist ein Streich von meinem Neffen.

Champagne. Und heirathen die Wittwe des Herrn von Lormeuil – Wittwe! Hahaha! – die Wittwe von meiner Erfindung.

Oberst. Worüber lachst du?

Champagne. Das fragen Sie! Ich lache über die Gesichter, die der ehrliche Onkel schneiden wird, wenn er in vier Wochen zurückkommt und Sie mit seiner Tochter verheirathet findet.

Oberst (für sich). Ich möchte rasend werden!

Champagne. Und der Bräutigam von Toulon, der mit ihm angezogen kommt und einen Andern in seinem Neste findet – das ist himmlisch!

Oberst. Zum Entzücken!

Champagne. Und wem haben Sie alles das zu danken? Ihrem treuen Champagne!

Oberst. Dir? Wie so?

Champagne. Nun, wer sonst hat Ihnen denn den Rath gegeben, die Person Ihres Onkels zu spielen?

Oberst (für sich). Ha der Schurke!

Champagne. Aber das ist zum Erstaunen, wie Sie Ihrem Onkel doch so ähnlich sehen! Ich würde drauf schwören, er sei es selbst, wenn ich ihn nicht hundert Meilen weit von uns wüßte.

Oberst (für sich). Mein Schelm von Neffen macht einen schönen Gebrauch von meiner Gestalt.

Champagne. Nur ein wenig zu ältlich sehen Sie aus – Ihr Onkel ist ja so ziemlich von Ihren Jahren; Sie hätten nicht nöthig gehabt, sich so gar alt zu machen.

Oberst. Meinst du?

Champagne. Doch was thut's! Ist er doch nicht da, daß man eine Vergleichung anstellen könnte – Und ein Glück für uns, daß der Alte nicht da ist! Es würde uns schlecht bekommen, wenn er zurück käme.

Oberst. Er ist znrückgekommen.

Champagne. Wie? Was?

Oberst. Er ist zurückgekommen, sag' ich.

Champagne. Um Gotteswillen, und Sie stehen hier? Sie bleiben ruhig? Thun Sie, was Sie wollen – Helfen Sie sich, wie Sie können – ich suche das Weite. (Will fort.)

Oberst. Bleib, Schurke! zweifacher Hallunke, bleib! Das also sind deine schönen Erfindungen, Herr Schurke?

Champagne. Wie, gnädiger Herr, ist das mein Dank?

Oberst. Bleib, Hallunke! – Wahrlich, meine Frau (hier macht Champagne eine Bewegung des Schreckens) ist die Närrin nicht, für die ich sie hielt – und einen solchen Schelmstreich sollte ich so hingehen lassen? – Nein, Gott verdamm' mich, wenn ich nicht auf der Stelle meine volle Rache dafür nehme. – Es ist noch nicht so spät. Ich eile zu meinem Notar. Ich bring' ihn mit. Noch heute Nacht heirathet Lormeuil meine Tochter – Ich überrasche meinen Neffen – er muß mir den Heirathscontract seiner Base noch selbst mit unterzeichnen – Und was dich betrifft, Hallunke –

Champagne. Ich, gnädiger Herr, ich will mit unterzeichnen – ich will auf der Hochzeit mit tanzen, wenn Sie's befehlen.

Oberst. Ja, Schurke, ich will dich tanzen machen! – Und die Quittung über die hundert Pistolen, merk' ich jetzt wohl, habe ich auch nicht der Ehrlichkeit des Wucherers zu verdanken. – Zu meinem Glück hat der Juwelier Bankerott gemacht – Mein Taugenichts von Neffe begnügte sich nicht, seine Schulden mit meinem Gelde zu bezahlen; er macht auch noch neue auf meinen Kredit. – Schon gut! Er soll mir dafür bezahlen! – Und du, ehrlicher Gesell, rechne auf eine tüchtige Belohnung. – Es thut mir leid, daß ich meinen Stock nicht bei mir habe; aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. (Ab.)

Champagne. Ich falle aus den Wolken! Muß dieser verwünschte Onkel auch gerade jetzt zurückkommen und mir in den Weg laufen, recht ausdrücklich, um mich plaudern zu machen – Ich Esel, daß ich ihm auch erzählen mußte – Ja, wenn ich noch wenigstens ein Glas zu viel getrunken hätte – Aber so!


Zehnter Auftritt.

Champagne. Franz Dorsigny. Frau von Mirville.

Fr. v. Mirville (kommt sachte hervor und spricht in die Scene zurück). Das Feld ist rein – du kannst herauskommen – es ist Niemand hier als Champagne.

Dorsigny (tritt ein).

Champagne (kehrt sich um und fährt zurück, da er ihn erblickt). Mein Gott, da kommt er schon wieder zurück! Jetzt wird's losgehen! (Sich Dorsigny zu Füßen werfend.) Barmherzigkeit, gnädiger Herr! Gnade – Gnade einem armen Schelm, der ja unschuldig – der es freilich verdient hätte –

Dorsigny. Was soll denn das vorstellen? Steh auf! Ich will dir ja nichts zu Leide thun.

Champagne. Sie wollen mir nichts thun, gnädiger Herr –

Dorsigny. Mein Gott, nein! Ganz im Gegentheil, ich bin recht wohl mit dir zufrieden – da du deine Rolle so gut gespielt hast.

Champagne (erkennt ihn). Wie, Herr, sind Sie's?

Dorsigny. Freilich bin ich's.

Champagne Ach Gott! Wissen Sie, daß Ihr Onkel hier ist?

Dorsigny. Ich weiß es. Was denn weiter?

Champagne. Ich hab' ihn gesehen, gnädiger Herr. Ich hab' ihn angeredet – ich dachte, Sie wären's; ich hab' ihm alles gesagt, er weiß alles.

Fr. v. Mirville. Unsinniger! was hast du gethan?

Champagne. Kann ich dafür? Sie sehen, daß ich eben jetzt den Neffen für den Onkel genommen – ist's zu verwundern, daß ich den Onkel für den Neffen nahm?

Dorsigny. Was ist zu machen?

Fr. v. Mirville. Da ist jetzt kein anderer Rath, als auf der Stelle das Hans zu verlassen.

Dorsigny. Aber wenn er meine Cousine zwingt, den Lormeuil zu heirathen –

Fr. v. Mirville. Davon wollen wir morgen reden! Jetzt fort, geschwind! da der Weg noch frei ist! (Sie führt ihn bis an die hintere Thür, eben da er hinaus will, tritt Lormeuil aus derselben herein, ihm entgegen, der ihn zurückhält und wieder vorwärts führt.)


Eilfter Auftritt.

Die Vorigen. Lormeuil.

Lormeuil. Sind Sie's? Ich suchte Sie eben.

Fr. v. Mirville (heimlich zu Dorsigny). Es ist der Herr von Lormeuil. Er hält dich für den Onkel. Gib ihm so bald als möglich seinen Abschied.

Lormeuil (zur Fr. v. Mirville). Sie verlassen uns, gnädige Frau?

Fr. v. Mirville. Verzeihen Sie, Herr von Lormeuil. Ich bin sogleich wieder hier. (Geht ab, Champagne folgt.)


Zwölfter Auftritt.

Lormeuil. Franz Dorsigny.

Lormeuil. Sie werden sich erinnern, daß Sie mich mit Ihrer Fräulein Tochter vorhin allein gelassen haben?

Dorsigny. Ich erinnere mich's.

Lormeuil. Sie ist sehr liebenswürdig; ihr Besitz würde mich zum glücklichsten Manne machen.

Dorsigny. Ich glaub' es.

Lormeuil. Aber ich muß Sie bitten, ihrer Neigung keinen Zwang anzuthun.

Dorsigny. Wie ist das?

Lormeuil. Sie ist das liebenswürdigste Kind von der Welt, das ist gewiß! Aber Sie haben mir so oft von Ihrem Neffen Franz Dorsigny gesprochen – Er liebt Ihre Tochter!

Dorsigny. Ist das wahr?

Lormeuil. Wie ich Ihnen sage, und er wird wieder geliebt!

Dorsigny. Wer hat Ihnen das gesagt?

Lormeuil. Ihre Tochter selbst

Dorsigny. Was ist aber da zu thun? – Was rathen Sie mir, Herr von Lormeuil?

Lormeuil. Ein guter Vater zu sein.

Dorsigny. Wie?

Lormeuil. Sie haben mir hundertmal gesagt, daß Sie Ihren Neffen wie einen Sohn liebten – Nun denn, so geben Sie ihm Ihre Tochter! Machen Sie Ihre beiden Kinder glücklich.

Dorsigny. Aber was soll denn aus Ihnen werden?

Lormeuil. Aus mir? – Man will mich nicht haben, das ist freilich ein Unglück! Aber beklagen kann ich mich nicht darüber, da Ihr Neffe mir zuvorgekommen ist.

Dorsigny. Wie? Sie wären fähig, zu entsagen?

Lormeuil. Ich halte es für meine Pflicht.

Dorsigny (lebhaft). Ach, Herr von Lormeuil! Wie viel Dank bin ich Ihnen schuldig!

Lormeuil. Ich verstehe Sie nicht.

Dorsigny. Nein, nein, Sie wissen nicht, welch großen, großen Dienst Sie mir erzeigen – Ach, meine Sophie! Wir werden glücklich werden!

Lormeuil. Was ist das? Wie? – Das ist Herr von Dorsigny nicht – War's möglich –

Dorsigny. Ich habe mich verrathen.

Lormeuil. Sie sind Dorsigny, der Neffe? Ja, Sie sind's – Nun, Sie habe ich zwar nicht hier gesucht, aber ich freue mich, Sie zu sehen. – Zwar sollte ich billig auf Sie böse sein wegen der drei Degenstiche, die Sie mir so großmüthig in den Leib geschickt haben –

Dorsigny. Herr von Lormeuil!

Lormeuil. Zum Glück sind sie nicht tödtlich, also mag's gut sein. Ihr Herr Onkel hat mir sehr viel Gutes von Ihnen gesagt, Herr von Dorsigny, und weit entfernt, mit Ihnen Händel anfangen zu wollen, biete ich Ihnen von Herzen meine Freundschaft an und bitte um die Ihrige.

Dorsigny. Herr von Lormeuil!

Lormeuil. Also zur Sache, Herr von Dorsigny – Sie lieben Ihre Cousine und haben vollkommen Ursache dazu. Ich verspreche Ihnen, allen meinen Einfluß bei dem Obersten anzuwenden, daß sie Ihnen zu Theil wird – Dagegen verlange ich aber, daß Sie auch Ihrerseits mir einen wichtigen Dienst erzeigen.

Dorsigny. Reden Sie! Fordern Sie! Sie haben sich ein heiliges Recht auf meine Dankbarkeit erworben.

Lormeuil. Sie haben eine Schwester, Herr von Dorsigny. Da Sie aber für Niemand Augen haben, als für Ihre Base, so bemerkten Sie vielleicht nicht, wie sehr Ihre Schwester liebenswürdig ist – Ich aber – ich habe es recht gut bemerkt – und daß ich's kurz mache – Frau von Mirville verdient die Huldigung eines Jeden! Ich habe sie gesehen, und ich –

Dorsigny. Sie lieben sie! Sie ist die Ihre! Zählen Sie auf mich! – Sie soll Ihnen bald gut sein, wenn sie es nicht schon jetzt ist – dafür steh' ich. Wie sich doch alles so glücklich fügen muß!– Ich gewinne einen Freund, der mir behilflich sein will, meine Geliebte zu besitzen, und ich bin im Stand, ihn wieder glücklich zu machen.

Lormeuil. Das steht zu hoffen; aber so ganz ausgemacht ist es doch nicht – Hier kommt Ihre Schwester! Frisch, Herr von Dorsigny – sprechen Sie für mich! Führen Sie meine Sache! Ich will bei dem Onkel die Ihrige führen. (Ab.)

Dorsigny. Das ist ein herrlicher Mensch, dieser Lormeuil! Welche glückliche Frau wird meine Schwester!


Dreizehnter Auftritt.

Frau von Mirville. Franz Dorsigny.

Fr. v. Mirville. Nun, wie steht's, Bruder?

Dorsigny. Du hast eine Eroberung gemacht, Schwester! Der Lormeuil ist Knall und Fall sterblich in dich verliebt worden. Eben hat er mir das Geständniß gethan, weil er glaubte mit dem Onkel zu reden! Ich sagte ihm aber, diese Gedanken sollte er sich nur vergehen lassen – du hättest das Heirathen auf immer verschworen – Ich habe recht gethan, nicht?

Fr. v. Mirville. Allerdings – aber – du hättest eben nicht gebraucht, ihn auf eine so rauhe Art abzuweisen. Der arme Junge ist schon übel genug daran, daß er bei Sophien durchfällt.


Vierzehnter Auftritt.

Vorige. Champagne.

Champagne. Nun, gnädiger Herr! machen Sie, daß Sie fort kommen. Die Tante darf Sie nicht mehr hier antreffen, wenn sie zurückkommt –

Dorsigny. Nun, ich gehe! Bin ich doch nun gewiß, daß mir Lormeuil die Cousine nicht wegnimmt. (Ab mit Frau v. Mirville.)


Fünfzehnter Auftritt.

Champagne allein.

Da bin ich nun allein! – Freund Champagne, du bist ein Dummkopf, wenn du deine Unbesonnenheit von vorhin nicht gut machst – Dem Onkel die ganze Karte zu verrathen! Aber laß sehen! Was ist da zu machen? – Entweder den Onkel oder den Bräutigam müssen wir uns auf die nächsten zwei Tage vom Halse schaffen, sonst geht's nicht – Aber wie Teufel ist's da anzufangen? – Wart – laß sehen – (Nachsinnend.) Mein Herr und dieser Herr von Lormeuil sind zwar als ganz gute Freunde auseinander gegangen, aber es hätte doch Händel zwischen ihnen setzen können! Können, das ist mir genug! Davon laßt uns ausgehen – Ich muß als ein guter Diener Unglück verhüten! Nichts als redliche Besorgniß für meinen Herrn – Also gleich zur Polizei! Man nimmt seine Maßregeln, und ist's dann meine Schuld, wenn sie den Onkel für den Neffen nehmen? – Wer kann für die Aehnlichkeit – Das Wagestück ist groß, groß, aber ich wag's. Mißlingen kann's nicht, und wenn auch – Es kann nicht mißlingen – Im äußersten Fall bin ich gedeckt! Ich habe nur meine Pflicht beobachtet! Und mag dann der Onkel gegen mich toben, so viel er will – ich verstecke mich hinter den Neffen, ich verhelfe ihm zu seiner Braut, er muß erkenntlich sein – Frisch, Champagne, ans Werk – Hier ist Ehre einzulegen. (Geht ab.)


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