Friedrich Schiller
Die Verschwörung des Fiesco zu Genua
Friedrich Schiller

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Vierter Aufzug.

Es ist Nacht. Schloßhof des Fiesco. Die Laternen werden angezündet. Waffen hereingetragen. Ein Schloßflügel ist erleuchtet.

Erster Auftritt.

Bourgognino führt Soldaten auf.

Bourgognino. Halt! – An das große Hofthor kommen vier Posten. Zwei an jede Thüre zum Schloß. (Wachen nehmen ihren Posten.) Wer will, wird hereingelassen. Hinaus darf Niemand. Wer Gewalt braucht, niedergestochen. (Mit den Uebrigen ins Schloß. Schildwachen auf und nieder. Pause.)

Zweiter Auftritt.

Wachen am Hofthor (rufen an). Wer da? (Zenturione kommt.)

Zenturione. Freund von Lavagna. (Geht quer über den Hof nach dem rechten Schloßthor.)

Wachen (dort). Zurück!

Zenturione (stutzt und geht nach dem linken Thor).

Wachen (am linken). Zurück!

Zenturione (steht betreten still. Pause. Darauf zur linken Wache). Freund, wo hinaus geht's zur Komödie?

Wache. Weiß nicht.

Zenturione (auf und ab mit steigender Besorgnis, darauf zur rechten Wache). Freund, wann geht die Komödie an?

Wache. Weiß nicht.

Zenturione (erstaunt auf und nieder. Wird die Waffen gewahr. Bestürzt). Freund, was soll das?

Wache. Weiß nicht.

Zenturione (hüllt sich erschrocken in seinen Mantel). Sonderbar.

Wachen am Hofthor (rufen an). Wer da?

Dritter Auftritt.

Vorige. Zibo.

Zibo (im Hereintreten). Freund von Lavagna.

Zenturione. Zibo, wo sind wir?

Zibo. Was?

Zenturione. Schau' um dich, Zibo!

Zibo. Wo? Was?

Zenturione. Alle Thüren besetzt.

Zibo. Hier liegen Waffen.

Zenturione. Niemand gibt Auskunft.

Zibo. Das ist seltsam.

Zenturione. Wie viel ist die Glocke?

Zibo. Acht Uhr vorüber.

Zenturione. Puh! es ist grimmkalt.

Zibo. Acht Uhr ist die bestellte Stunde.

Zenturione (den Kopf schüttelnd). Hier ist's nicht richtig.

Zibo. Fiesco hat einen Spaß vor.

Zenturione. Morgen ist Dogewahl – Zibo, hier ist's nicht richtig.

Zibo. Stille! stille! stille!

Zenturione. Der rechte Schloßflügel ist voll Lichter.

Zibo. Hörst du nichts? Hörst du nichts?

Zenturione. Hohles Gemurmel drinnen und mitunter –

Zibo. Dumpfiges Rasseln, wie von Harnischen, die sich an einander reiben –

Zenturione. Schauervoll! Schauervoll!

Zibo. Ein Wagen! Er hält an der Pforte!

Wachen am Hofthor (rufen an). Wer da?

Vierter Auftritt.

Vorige. Vier Asserato.

Asserato (im Hereintreten). Freund von Fiesco.

Zibo. Es sind die vier Asserato.

Zenturione. Guten Abend, Landsmann.

Asserato. Wir gehen in die Komödie.

Zibo. Glück auf den Weg!

Asserato. Geht ihr nicht mit in die Komödie?

Zenturione. Spaziert nur voran. Wir wollen erst frische Luft schöpfen.

Asserato. Es wird bald angehen. Kommt. (Gehen weiter.)

Wache. Zurück!

Asserato. Wo will das hinaus?

Zenturione (lacht). Zum Schloß hinaus.

Asserato. Hier ist ein Mißverstand.

Zibo. Ein handgreiflicher. (Musik auf dem rechten Flügel.)

Asserato. Hört ihr die Symphonie? Das Lustspiel wird vor sich gehen.

Zenturione. Mich däucht, es fing schon an, und wir spielen die Narren drin.

Zibo. Uebrige Hitze hab' ich nicht. Ich gehe.

Asserato. Waffen hier.

Zibo. Pah! Komödienwaaren.

Zenturione. Sollen wir hier stehen, wie die Narren am Acheron? Kommt zum Kaffeehaus! (Alle Sechs eilen gegen die Pforte.)

Wachen (schreien heftig). Zurück!

Zenturione. Mord und Tod! Wir sind gefangen!

Zibo. Mein Schwert sagt: nicht lange!

Asserato. Steck' ein! steck' ein! Der Graf ist ein Ehrenmann.

Zibo. Verkauft! Verrathen! Die Komödie war der Speck, hinter der Maus schlug die Thüre zu.

Asserato. Das wolle Gott nicht! Mich schaudert, wie das sich entwickeln soll.

Fünfter Auftritt.

Schildwachen. Wer da? (Verrina, Sacco kommen.)

Verrina. Freunde vom Hause. (Sieben andere Nobili kommen nach.)

Zibo. Seine Vertrauten! Nun klärt sich Alles auf.

Sacco (im Gespräch mit Verrina). Wie ich Ihnen sagte. Lescaro hat die Wache am Thomasthor, Dorias bester Officier und ihm blindlings ergeben.

Verrina. Das freut mich.

Zibo (zu Verrina). Sie kommen erwünscht, Verrina, uns allen aus dem Traume zu helfen.

Verrina. Wie so? Wie so?

Zenturione. Wir sind zu einer Komödie geladen.

Verrina. So haben wir einen Weg.

Zenturione (ungeduldig). Den Weg alles Fleisches. Den weiß ich. Sie sehen ja, daß die Thüren besetzt sind? Wofür die Thüren besetzen?

Zibo. Wofür die Waffen?

Zenturione. Wir stehen da, wie unter dem Galgen.

Verrina. Der Graf wird selbst kommen.

Zenturione. Er kann sich betreiben. Meine Geduld reißt den Zaum ab. (Alle Nobili gehen im Hintergrunde auf und nieder.)

Bourgognino (aus dem Schloß). Wie steht's im Hafen, Verrina?

Verrina. Alles glücklich an Bord.

Bourgognino. Das Schloß ist auch gepfropft voll Soldaten.

Verrina. Es geht stark auf neun Uhr.

Bourgognino. Der Graf macht sehr lang.

Verrina. Immer zu rasch für seine Hoffnung. Bourgognino, ich werde zu Eis, wenn ich mir etwas denke.

Bourgognino. Vater, übereile dich nicht.

Verrina. Es läßt sich nicht übereilen, wo nicht gezögert werden kann. Wenn ich den zweiten Mord nicht begehe, kann ich den ersten niemal verantworten.

Bourgognino. Aber wann soll Fiesco sterben?

Verrina. Wann Genua frei ist, stirbt Fiesco!

Schildwachen. Wer da?

Sechster Auftritt.

Vorige. Fiesco.

Fiesco (im Hereintreten). Ein Freund! (Alle verneigen sich. Schildwachen präsentieren.) Willkommen, wertheste Gäste! Sie werden geschmählt haben, daß der Hausvater so lange auf sich warten ließ. Verzeihen Sie. (Leise zu Verrina.) Fertig?

Verrina (ihm ins Ohr). Nach Wunsch.

Fiesco (leise zu Bourgognino). Und?

Bourgognino. Alles richtig.

Fiesco (zu Sacco). Und?

Sacco. Alles gut.

Fiesco. Und Calcagno?

Bourgognino. Fehlt noch.

Fiesco (laut zu den Thorwachen). Man soll schließen! (Er nimmt den Hut ab und tritt mit freiem Anstand zur Versammlung.)

        Meine Herren!

Ich bin so frei gewesen, Sie zu einem Schauspiel bitten zu lassen – Nicht aber, Sie zu unterhalten, sondern Ihnen Rollen darin aufzutragen.

Lange genug, meine Freunde, haben wir Gianettino Dorias Trotz und die Anmaßungen des Andreas ertragen. Wenn wir Genua retten wollen, Freunde, wird keine Zeit zu verlieren sein. Zu was Ende glauben Sie diese zwanzig Galeeren, die den vaterländischen Hafen belagern? Zu was Ende die Allianzen, so diese Doria schlossen? Zu was Ende die fremden Waffen, die sie ins Herz Genuas zogen? – Jetzt ist es nicht mehr mit Murren und Verwünschen gethan. Alles zu retten, muß Alles gewagt werden. Ein verzweifeltes Uebel will eine verwegene Arznei. Sollte Einer in dieser Versammlung sein, der Phlegma genug hat, einen Herrn zu erkennen, der nur seines Gleichen ist? – (Gemurmel.) – Hier ist Keiner, dessen Ahnen nicht um Genuas Wiege standen. Was? bei Allem, was heilig ist! was? was haben denn diese zween Bürger voraus, daß sie den frechen Flug über unsere Häupter nehmen? – (Wilderes Gemurre.) – Jeder von Ihnen ist feierlich aufgeforderet, Genuas Sache gegen seine Unterdrücker zu führen – Keiner von Ihnen kann ein Haarbreit von seinen Rechten vergeben, ohne zugleich die Seele des ganzen Staats zu verrathen –

(Ungestüme Bewegungen unter den Zuhörern unterbrechen ihn; dann fährt er fort.)

Sie empfinden – jetzt ist Alles gewonnen. Schon hab' ich vor Ihnen her den Weg zum Ruhme gebahnt. Wollen Sie folgen? Ich bin bereit, Sie zu führen. Diese Anstalten, die Sie noch kaum mit Entsetzen beschauten, müssen Ihnen jetzt frischen Heldenmuth einhauchen. Diese Schauder der Bangigkeit müssen in einen rühmlichen Eifer erwarmen, mit diesen Patrioten und mir Eine Sache zu machen und die Tyrannen von Grund aus zu stürzen. Der Erfolg wird das Wagstück begünstigen, denn meine Anstalten sind gut. Das Unternehmen ist gerecht, denn Genua leidet. Der Gedanke macht uns unsterblich, denn er ist gefährlich und ungeheuer.

Zenturione (in stürmischer Aufwallung). Genug! Genua wird frei! Mit diesem Feldgeschrei gegen die Hölle!

Zibo. Und wen das nicht aus seinem Schlummer jagt, der keuche ewig am Ruder, bis ihn die Posaune des Weltgerichts losschließt.

Fiesco. Das waren Worte eines Mannes. Nun erst verdienen Sie die Gefahr zu wissen, die über Ihnen und Genua hing. (Er gibt ihnen die Zettel des Mohren.) Leuchtet, Soldaten! (Nobili drängen sich um eine Fackel und lesen.) Es ging, wie ich wünschte, Freund.

Verrina. Doch rede noch nicht so laut. Ich habe dort auf dem linken Flügel Gesichter bleich werden und Kniee schlottern gesehen.

Zenturione (in Wuth). Zwölf Senatoren! Teuflisch! Faßt alle Schwerter auf! (Alle stürzen sich auf die bereit liegenden Waffen, zwei ausgenommen.)

Zibo. Dein Name steht auch da, Bourgognino.

Bourgognino. Und noch heute, so Gott will, auf Dorias Gurgel.

Zenturione. Zwei Schwerter liegen noch.

Zibo. Was? was?

Zenturione. Zwei nahmen kein Schwert.

Asserato. Meine Brüder können kein Blut sehen. Verschont sie!

Zenturione (heftig). Was? was? Kein Tyrannenblut sehen? Zerreißt die Memmen! Werft sie zur Republik hinaus, diese Bastarde! (Einige von der Gesellschaft werfen sich ergrimmt auf die Beiden.)

Fiesco (reißt sie auseinander). Haltet! haltet! Soll Genua Sklaven seine Freiheit verdanken? Soll unser Gold durch dieses schlechte Metall seinen guten Klang verlieren? (Er befreit sie.) Sie, meine Herren, nehmen so lang mit einem Zimmer in meinem Schloß vorlieb, bis unsre Sachen entschieden sind. (Zur Wache.) Zween Arrestanten! Ihr haftet für sie! Zwei scharfe Posten an ihre Schwelle! (Sie werden abgeführt.)

Schildwachen am Hofthor. Wer draußen? (Man pocht.)

Calcagno (ruft ängstlich). Schließt auf! Ein Freund! Schließt um Gotteswillen auf!

Bourgognino. Es ist Calcagno. Was soll das »um Gotteswillen«?

Fiesco. Macht ihm auf, Soldaten.

Siebenter Auftritt.

Vorige. Calcagno außer Athem, erschrocken.

Calcagno. Aus! aus! Fliehe, wer fliehen kann! Alles aus!

Bourgognino. Was aus? Haben sie Fleisch von Erz, sind unsre Schwerter von Binsen?

Fiesco. Ueberlegung, Calcagno! Ein Mißverstand hier wäre nicht mehr zu vergeben.

Calcagno. Verrathen sind wir. Eine höllische Wahrheit. Ihr Mohr Lavagna, der Schelm! Ich komme vom Palast der Signoria. Er hatte Audienz beim Herzog. (Alle Nobili erblassen. Fiesco selbst verändert die Farbe.)

Verrina (entschlossen gegen die Thorwachen). Soldaten! streckt mir die Hellebarden vor! Ich will nicht durch die Hände des Henkers sterben. (Alle Nobili rennen bestürzt durcheinander.)

Fiesco (gefaßter.) Wohin? Was macht ihr? – Geh in die Hölle, Calcagno – Es war ein blinder Schrecken, ihr Herrn – Weib! Das vor diesen Knaben zu sagen – Auch du, Verrina? – Bourgognino, du auch? – Wohin du?

Bourgognino (heftig). Heim, meine Bertha ermorden und wieder hier sein.

Fiesco (schlägt ein Gelächter auf). Bleibt! Haltet! Ist das der Muth der Tyrannenmörder? – Meisterlich spieltest du deine Rolle, Calcagno! – Merktet ihr nicht, daß diese Zeitung meine Veranstaltung war? – Calcagno, sprechen Sie, war's nicht mein Befehl, daß Sie diese Römer auf die Prob' stellen sollten?

Verrina. Nun, wenn du lachen kannst? – Ich will's glauben, oder dich nimmer für einen Menschen halten.

Fiesco. Schande über euch, Männer! In dieser Knabenprobe zu fallen! – Nehmt eure Waffen wieder – Ihr werdet wie Bären fechten, wollt ihr diese Scharte verwetzen. (Leise zu Calcagno.) Waren Sie selbst dort?

Calcagno. Ich drängte mich durch die Trabanten, meinem Auftrag gemäß die Parole beim Herzog zu holen – wie ich zurücktrete, bringt man den Mohren.

Fiesco (laut). Also der Alte ist zu Bette? Wir wollen ihn aus den Federn trommeln (Leise.) Sprach er lang mit dem Herzog?

Calcagno. Mein erster Schreck und Eure nahe Gefahr ließen mich kaum zwei Minuten dort.

Fiesco (laut und munter). Sieh doch! wie unsre Landsleute noch zittern.

Calcagno. Sie hätten auch nicht so bald herausplatzen sollen. (Leise.) Aber um Gotteswillen, Graf! was wird diese Nothlüge fruchten?

Fiesco. Zeit, Freund, und dann ist der erste Schreck jetzt vorüber. (Laut.) He! an soll Wein bringen! (Leise.) Und sahn Sie den Herzog erblassen? (Laut.) Frisch, Brüder, wir wollen noch eins Bescheid thun auf den Tanz dieser Nacht! (Leise.) Und sahn Sie den Herzog erblassen?

Calcagno. Des Mohren erstes Wort muß »Verschwörung« gelautet haben; der Alte trat schneebleich zurück.

Fiesco (verwirrt). Hum! Hum! der Teufel ist schlau, Calcagno – er verrieth nichts, bis das Messer an ihre Gurgel ging. Jetzt ist er freilich ihr Engel. Der Mohr ist schlau. (Man bringt ihm einen Becher Wein; er hält ihn gegen die Versammlung und trinkt.) Unser gutes Glück, Kameraden! (Man pocht.)

Schildwachen. Wer draußen?

Eine Stimme. Ordonnanz des Herzogs. (Die Nobili stürzen verzweifelnd im Hof herum.)

Fiesco (springt unter sie). Nein, Kinder! Erschreckt nicht! erschreckt nicht! Ich bin hier. Hurtig! Schafft diese Waffen weg. Seid Männer! ich bitte euch. Dieser Besuch läßt mich hoffen, daß Andreas noch zweifelt. Geht hinein. Faßt euch. Schließt auf, Soldaten. (Alle entfernen sich. Das Thor wird geöffnet.)

Achter Auftritt.

Fiesco, als käm' er eben aus dem Schloß. Drei Deutsche, die den Mohren gebunden bringen.

Fiesco. Wer rief mich in den Hof?

Deutscher. Führt uns zum Grafen.

Fiesco. Der Graf ist hier. Wer begehrt mich?

Deutscher (macht die Honneurs vor ihm). Einen guten Abend vom Herzog. Diesen Mohren liefert er Euer Gnaden gebunden aus. Er habe schändlich herausgeplaudert. Das Weitere sagt der Zettel.

Fiesco (nimmt ihn gleichgültig.) Und hab' ich dir nicht erst heut die Galeere verkündigt? (Zum Deutschen.) Es ist gut, Freund. Meinen Respect an den Herzog.

Mohr (ruft ihnen nach). Und auch meinerseits einen, und sag' ihm – dem Herzog – wenn er keinen Esel geschickt hätte, so würd' er erfahren haben, daß im Schloß zweitausend Soldaten stecken. (Deutsche gehen ab. Nobili kommen zurück.)


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