Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Entführung

Im Steinmeer häng ich immer toter Stadt
Und warte auf das Licht der blinden Fenster
Umsonst
Mit hingewandtem Herz, Gehirnbeherrschter
Nur manchmal überbraust vom Ruf des Bluts.
Ich widerhalle zitternd von den großen Glocken,
Ich balle mich aus bebenden Gedanken,
Ich stöhne an die Sterne wildes Lied;
Ich steh am Blasebalg des Geists
Geschwärzt von Esse und versengt von Glut:
Ich schmiede,
Schmiede in Mitternächten meine eignen Fesseln
Und wüte sie entzwei von Zorn zerrast.
Ich wachse immer an den Widerständen
Täter und Töter um ins Grau zu ragen und
Ins Morgenrot zu tönen! Große Zung.

In bronndurchglänztem Thulegarten Zauberschloß!
Woge- und wolkumschäumtes Hallighaus!
Hinspült ihr Träume, Morgentruggebilde.
Von brachem Acker und verwaister Trift
Wend ich mich in der Erde kleine Länder,
Gehetzt, jagend Gejagter, heimatlos,
Gefurchte Stirn und gramumraunter Bart.
Ich fresse, stumpfer Bettler an den Türen,
Geschenkte Supp und schimmlig Abfallbrot.

Ich schleiche durch die Städte: keine Schwelle
Mich Wandrer einlädt mit bestaubtem Schuh;
Kein Fenster singt; mir lacht kein Markt.

Ich lungere an der Landstraß, müd: kein Rain
Blüht mir im Inkarnatklee, Sonn und Federnelke;
Ich schreie heiß und heiser Rabe,
Um Obdach abendfalbes Feld und Wolkenwände an.

Ich steh vor leeren Meeren: ohne Hoffnung:
Such ich ersehnter Inselscholle Ruh? – Umsonst.
Kein Segel geht, kein Boot dem Blick vorbei
Zur Eilandsklippe irgendeines Glücks.

Ich hebe mich zu den Gebirgen: ohne Ehrgeiz
Vor Gletscherstirnen, Firnenot und Steile:
O, daß ich kauern könnte, der ich klettre;
Unfroh des Anstiegs, abstiegs nie erfreut!

Ich wehe durch die Ebnen: ohne Sehnsucht
Zu Euphrat-Ufern, Mohnwind-, Traum-Sinai.
Nie roch ich die Kamele, Karawanen-Ketten dunkel aufgetaucht
Nie stand ein Elefant, groß wie ein Berg, vor mir.

Unstäter scheuch ich die Galopp-Gazelle
Schwarzschimmernder Giraffen Rudel Flucht.
Tiefes Tibet der Seele unerlöst mich läßest,
Grüßest Dalai-Lama-Stadt armen Mantelmann du nie?

Nach innen Gewölbter zerre ich auf der Fläche: Sturmumknallter
Ins eigen eingekehrt Herzträne zischt –
Hinhaste ich wüstweite Steppen. Wolfverfolgter
Flüchtling schlage ich am Horizont, am Ende meiner Welt,
Die kleine Bresche in das große Nichts.

Und – umgekehrt aus Nirgendwo und Niemandsland:
Geschehen hämt mich:
An jedem Morgen höhnt mich Gottes Sonne.
Die Monde wachsen, werden groß und wieder minder.
Die Jahreszeiten laufen. Äcker atmen.
Frucht trägt neue Früchte.
Ich lache Leben und Verwesung:
Schon zerhacktes Herz, vertanzte Trauer, keimerstickte Brut.

Zuwandert mir der Wald, anklatscht mich Dunkel
In bösen Fetzen faucht. Ich schlage an den Stämmen
Die fieberheiße Stirn zur Rinden-Rauheit,
Aus nassen Moosen steigen Nebelgifte,
Äste zerknacken, Lohlaub raschelt Moderfäule auf,
Von Raubtieraugen funkelglimmerts im Dickicht.
Ich taste kalte schaurige Reptile,
Und doch:
An Birkenbäumen beten schlanke Mädchen,
Jünglinge brüllen Brunst am Boden, Greise lieben Steine.
Nachtnasses Gras! Kein unverweintes Aug!
An soviel Menschenunglück Brudernot vorbei
Tapp ich, Enttäuschter, ungehellt zur Lichtung.

Da trittst du in die Lichtung: Menschtier, Stumme,
Rehhüftig, scheu und so beschämend schön!
Gebeugter Nacken. Wolkehaar. Traumstirn. Meerauge. Schwestermund.
Fallende Schulter. Achselanmut. Blüharm. Brüsteschnee
Schoßmutterschoß. Du überfällst mich jäh.
Ich ströme schwellend an dich hin. Aufjauchzend jubelnd Blut
Reiß ich der Nacht den sternbestickten Samt
Vom Leib, dich hüllen, raube dir
Den blanken Mondtopas zum Nabelschmuck.

Ich habe mich durch die grauen Jahrtausende gekämpft.
Jetzt bin ich groß und braun, jetzt trage
Ich Gott im Nacken und alle Weisheit,
Über die brennende Welt werfe ich dir mein Herz zu!
Hinschnelle ich zu dir Kometenbahn.
Du wehrst mir? Glutumsprudelte Gebärde!
Ich werbe dich, du weiße Kirchenkühle!
Ich türme Zärtlichkeiten vor die Tür der Wünsche!
Ich taste dich, noch nie gekoster Flaum;
Ich finde dich, du Hain der tiefen Tausendstundenküsse,
Ein Lippenhall von Vogelsang und Liebesworten,
Entzücken hingestammelt in den Duft des Haars ...
Ich lulle dich, du Schlummerlied der Erde,
Gezwitscher du,
Zu deinen Füßen bluten meine Wunder,
Mit Kletterrosen rankend wächst du wuchernd um mein Sein.

Erwachen wir, entdehnt sich uns der Wald,
Erstaunte Straßen lächeln in den Tag,
Und alle Wege weisen in den Sommer
Herzheimatwärts, dir Glanz der Glücke zu!

Traumtaube fliegst du meinem Tag voran.
Freundin, Gefährtin über aller Fahrt,
Bist du der Seele täglich Reiseziel:
Heilig-geheimes Zelt,
Vom Firmamentchoral umblaute Ruhebucht.

Vor stummer Waldwand laden weit uns Wiesen
Wir liegen in den Mulden, Traumgeschmückte,
Geben und Nehmen eins. Das große Blühen
Umunruht uns und unser unstät Blut.

O unsere Herzen spielen miteinander, junge Jaguare,
Du springst in mein Gehirn,
Ich schenke dir die Sterne!
Ich klimme
Zum Nachtgefels,
Die Salanganennester unserer Sehnsucht pflücken ...

Wir wandern wieder, und der Ebne Schwermut
Drängt in den grenzenlosen Einklang unsrer Tage.
Die Grillen zirpen uns in Liebesnächten
Silberner Singsang aus dem windgerillten Gras.
Und wenn das Licht wächst und die Lerche jubelt,
Begegnen wir an sagenhaften Flüssen
Den Hirten und den Herden Hesiods.

Ich dudle mittags, schläfernde Schalmei,
Im Sonnensengen an der Schlummerhecke:
Du bist der Horizont, wo meine Erde
Mit meinem Himmel eins ist, du!
Der Wolkenschatten bist du, triftentlangsommernd!
Du bist der Traum, den aller Äther klingt,
Geborgen an der Mutterbrust der Welt!

Dem Ufer schmiegen grau sich Zinnenzinkenstädte,
Uralte Kugelkuppeln, weit ins Rund gewölbt,
Auf breiten Dächern rastet spätes Licht.
Wir finden Mauerpfort und schlanken Säulenwald,
Entschlafne Brunnen, fremde Pflasterhallen,
Aus mattem Marmor ragen riesig Tempeltore.
Die Schwelle kommt, wo Teppich gastlich lädt.

Tanze du nachts am verwunderten Markt
Betörendes Gift, den Tanz der heiligen Tiere,
Den Tanz der rankenden Blumen und der rauschenden Bäume!
Fache du die Zymbel: fiebernde Feste!
Wirbele du die Harfen: weinende Weiden!
Decke du mich mit dem Dunkel deiner Gluten,
Mit den diamantenen Sternbildern und dem halben
Mond südlicher Menschenliebe zu!

Dies Weiterziehn im Tausendsonnengruß! O, wahrlich:
Frühlinge quillen aus den saftigen Hängen der Erdlande,
Sommer reifen sattglühend in allen Reichen,
Herbste lodern feldein üppigen Fruchtgeruch,
Im keuschen Schneegewand starrt Winterlandepracht.
Am Born der Zeiten segneten die Jahre
Uns opferfroh: geliebt-gelobten Bund.

Ein Glanz ist unsre Straße: Licht und Klang.
In lachenden Dörfern feiern wir unterwegs,
Wir finden jede Furt am schwellenden Strom,
Uns rudert jeder Fährmann gern über die tiefen Seen.
Wir blühen über die welligen Hügelkämme,
Wir grünen über die öden Hochlandhalden,
Wir baden durch der Tälerbäche Gischt,
Orkan umorgelt uns, hagelprasselnder Prasser,
Stürme stieben um uns, stöhnende Brüder,
Regen rinntrieselt an uns, himmelhallender Sang,
Rauhreif flammt, Tau blitzblinkt unsere Vortagsstunde,
Im kalten Treiben umstöbert uns Schnee, flockig und kos.

Uns liebt das Licht. Nie trügt uns Dunkelheit.
Die Tiere sind uns traut und weisen uns den Pfad
Durch schlimme Wildnis, Warner in Gefahr.
Gott lächelt aus den Wolken längst vergilbter Güte.
Der Mensch ist Freund und reicht uns seine Hand.
Säulen Abendgold stürzen in unendliche Gewölbe,
Über dunkeln Tälern auftaumeln zackig lichtblaue Ketten,
Stehn Berg an Berg des Alpenlands groteske Zuckerhüte.
Hörst du schon Jagdhornhall, Echogejodel, Sägemühlgesumme,
Stürzende Gießwasser in Schluchten brausen und donnern?

Wie jung wir sind! Wir sprühen auf die Berge:
Durchs Almenläuten ziehn wir alle Frühe,
Wir bröckeln über Steingeröll zu Lärchenkrüppeln,
Wir setzen flinken Fußes über Klamm und Spalt,
Wir kraxeln leichtgeseilt Kamin und Gletscherwand,
Wir stürmen alle Steilen, steigens niemals matt.
Und in dem Ungestüm der Gipfelstürme
Erheben wir den Blick und unsre Herzen
Zu Schneefeldernst und Urwelteinsamkeit.

Gemse und Steinbock äugt uns scheu vom Grat,
Der Geier grüßt uns aus gekröntem Horst,
Auf Matten, winzig, weidet das gescheckte Vieh.
Es hängen Wolken, Wattefetzen, in den Fichtenwäldern
Braut Nebel in der Tälerfurchen Nachbarneid.

Zuliebes, die ich halte, du,
Blaublanker See in den die Berge hallen.
O, Mai an dir, du nimmermüder Mund
Im Almrausch lachend, Enzian Edelweiß ...

Und wo am Abstieg schlängelpfads –
Heuduftdurchwoben, steinbeschwertes Dach –
Die kleine felsumschützte Hütte hockt,
Zu der ich abends immer sorglos tret;
insink ich, schluchzend an dein Knie Geknieter:
O angebetet Bild vor einer Gloriole
Gläserner Luft und Alpenglühn.


 << zurück