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Sinngedichte – in der Art des Angelus Silesius

1.

Am sechsten Urtag schuf
Der Herr im Paradies
Den Menschen sich zu Bild.
Wie sehr bestärkt uns dies.

Der Weltenbau ist Lehm.
Nur der ihn lenkt, der Geist
Ist wert, daß er dir, Mensch,
Einsinnig Sehnsucht heißt.

Die Welt ist öd und arm ...
Du Mensch ereignisreich,
Sieh, daß du selber wirst,
Dann wird auch Welt zugleich.

2.

Die Welt ist reich und groß!
Du Mensch stehst arm und klein
Davor und suchst dein Los:
Werd Weltwort, dein und Sein!

Gott treibt als Weidekraft
Zu Bau den Weltenbaum,
Der Mensch lebt drunter hin
Als Sein betrauter Traum.

Allseiend und allwesend
Ist Gott, der Geist, und thront
Allwährend und allwerdend,
Wo Er im Menschen wohnt.

3.

Gott ist so unbegrenzt,
Ein Licht in seinem Schein,
Soll jens im Über-All,
Muß dieses überall sein.

Wie sehr du Ihm geschiehst,
O Mensch, ersieh daran,
Daß, wo du Ihn nicht siehst,
Er dich noch greifen kann.

4.

Der Mensch verwalte sein einziges
Freitum wohl.
Er wende sich welt-zu.
Da findet er Gott,
Den Schöpfer in Seiner Schöpfung.
Da wird der Unendliche
Dem Endlichen
Unendlich geschehn
In Liebe,
Im endlosesten Bild.

5.

Viele Fragen, keiner weiß,
Alle Welt betreibt es,
Klein und großer Daseinskreis,
Gestern laut und heute leis,
Aber doch, wo bleibt es?

Mancher fühlt sich wunderbar
In den Traum verloren,
Mancher meint, er wäre gar
Besser nie geboren.

Leben, wie es webt und weht,
Muß man walten lassen,
Weil es in der Schwebe steht,
Aus sich in sich selber geht,
Kann es keiner fassen.

6.

Sinnlos ist Suchen,
Gewinnlos finden,
Haben und halten lächerlich leer.
Du forschst nach Gott – Er wird dich verfluchen,
Du hältst dich ans Licht – du wirst dran erblinden,
Du wirst dich ans Unsichtbare binden,
In überkommnen Gnaden winden
Und doch noch meinen: Leben sei mehr.

7.

Ich sah die See; da fuhren
Viel Schiffe mastbestannt,
Das Festland: Feld und Fluren
Vom Frühling überrannt,
Den Himmel: Sonnenspuren
Ins Ätherblau gebrannt.
Es schien mir alles richtig,
Jed Ding sich selber sichtig,
War es auch unbenannt.

Ich frug die See: »Erkennst du,
In wem das Segel streift?«
Das Land: »Die Blust, benennst du
Nicht, die da rauscht und reift?«
Das Ätherall: »Entbrennst du,
Unkund, weß Strahl dich streift?«
O Gott, mußt du genannt sein,
In Wort und Werk erkannt sein,
Daß dich der Mensch begreift.

8.

»O du geliebter Mensch,
Was tust du hier auf Erden?«
»Mir träumt, ich sei der Traum,
Von Gott geträumt zu werden.«
So sprach ich einst mit Gott
Und frug Ihn dann: »Und Du?«
Er sah mich an und sagte:
»O, ich geschah mir zu.«
Da wollt' ich auch Ihn ansehn.
Auf einmal war ein Schein,
Drin ging ich ganz in Ihn,
Er ganz in mich hinein.

9.

Der, der ihn blind beschwört,
Der, der Ihn stumpf beschwätzt,
Der schnöd sich Seiner rühmt,
Hat Ihn zu allerletzt.

Der Ihn in allem liebt,
Der Ihn durch sich beweist,
Der Ihn in Werken wahrtut,
Hat Ihn zu allermeist.

10. – Gleichnisse

Den Schatten im Tal Trübsal
Wirft uns der Gipfel Glück,
Steht Gottes Sonn im Mittag,
Als unser Teil zurück.

Dein Herz ist eine Zelle,
Ein gottbewohntes Haus,
Je mehr Gott drinnen Statt hat,
Je mehr strahlt Er hinaus.

11. – Merksprüche

Das Tun aus Tatbereitschaft
Hat noch jed Werk erbracht,
Die müssige Gescheitheit
Hat nimmer es gemacht.

Wer allzu nüchtern ist,
Bedarf der Trunkenheit,
Wer allzu trunken ist,
Wird nüchtern erst gescheit.

Geist hat sich Leib gebaut,
Doch tracht' und hintertreib's,
Daß er deshalben nie
Zum Diener wird des Leibs.

12. – Das Gute

Kein Mensch ist gut. Mag sein.
Kein Mensch ist schlecht. Dest' mehr
Aus sich nimmt er die Kraft
Zum Gut- und Schlechtsein her.

Gott ist nicht gut noch schlecht,
Reicht weit darüber hin,
Sollt auch Sein' Sonne sengen,
Sollt auch Sein Dunkel engen,
Tut's nimmermehr Sein Sinn.

Und daß in Eigenschaften
Sein Sinnen und Gedanken
Und Bildern uns verscheine
Und scheint, sind einzig Deine
Und niemals Seine Schranken.

13. – Das Allweilende

Glücksritter ziehen aus
Und stürmen einen Stern,
Ein Klausner wohnt im Wald,
Hat Tier und Pflanzen gern.
Warum sucht dieser Gott
So nah und jener fern?

14. – Sprüchwörter

Wo Mist nicht, da kein Christ.
Wie dumm der Bauer schwätzt!
Mit allem Mist der Welt,
Wär er ohn' Christ verratzt.

Was Hänschen nie gelernt,
Hans weiß es über Nacht,
Wenn das, was in ihm schläft,
Geweckt wird und erwacht.

Die Mühl', die langsam mahlt,
Vielleicht mahlt deshalb sicher ...
Das Licht, das heftig strahlt,
Glüht desto inniglicher.

15. – Neue Sprüchwörter

Zehn Eins sind nicht ein Zehn,
Scheint es auch zu vertrackt,
Des Pudels Kern liegt hier:
Die Welt ist nicht abstrakt.

Es ist kein Satansbild,
Sieht's Liebe, da kehrt's um,
Die Wölf sind nicht so wild,
Als wie die Schafe dumm.

Den wahren Schmerz hat nicht,
Wer lustig davon spricht.
Die Selbstsucht geht im Leid
Gar gern im Seidenkleid.

Frag nicht, ob deine Zeit
Dein Wirken anerkennt,
Still schafft, der da gescheit
Ruhm von Berühmtheit trennt.

Bekümmre dich nicht, Mensch,
Um Urteil deiner Zeit,
Ihr unzulänglich Maß
Mißt nie die Ewigkeit.

Wie zärtlich legt die Zeit
Auf alles sich, was lärmt,
Was heute schrillt und schreit,
Ist morgen fernverschwärmt.

16. – Ich und Selbst

Je mehr du dich vergißt,
Je mehr sei Dir bewußt,
Daß du, um ich zu sein,
Das Selbst vergessen mußt.

17. – Ursach und Wirkung

Arm ist und eng, wer geizt,
Wer geizt, wird arm und eng,
Ursach und Wirkung tauschen
Im Wechselstromgedräng.

18. – Amt, Grad, Rang, Würde

Kraft Schmiedens wird man Schmied.
Kraft Dichtens Dichter? Nein!
Eh man ein Dichter wird,
Muß man schon einer sein!

19. – Redensarten

Ich liebt' dich nicht so sehr,
Liebt ich nicht mehr die Ehr!
Verkehrt! Das ist mein' Ehr,
Daß ich dich lieb so sehr.

»Je mehr der Rüpel rülpst,
Je mehr deucht er sich recht«
Wir rülpsten nur was Guts,
Stünd's um den Kerl nicht schlecht.

20. – Glaubensstreitigkeiten

Ob's wahr ist, daß der Papst
Statt Gotts und fehllos ist?
Verstund man Christi recht,
Wär es ja jeder Christ.

Was nennt ihr Karlen groß,
Der Christ so klein gedacht,
Daß er 5000 Mann
Um dessen hingeschlacht'.

21.

Es ist dem Menschen schwer,
Daß er etwas nicht liebt.
Wie deutsch ist das gedacht,
Solang es Deutsche gibt.

Lind fließt der Gottheit Licht,
So muß es lindernd sein.
Nicht Arzt hilft, noch Arznei,
Es heilt das Heil allein.

Ist Demut all Dein Stolz,
Ein und dasselbe Ding,
Bist du von rechtem Holz,
Gott acht' dich nicht gering.

Je mehr du, Mensch, das Wort
Bewegst, je mehr wird's Sinn.
Gott wegt sich allerort
Und allerwege drin.

Ich liebte eine Frau,
Sie ging, ließ mich allein.
Mein einzig ist der Fehl,
Ich muß mehr liebend sein.

Kein Fluß fließt, nur sein Wasser
Wogt immerwährend fort.
So ist das Wesen wegsam,
Unörtlich, doch im Ort.

Ein Negersang, uralther,
Wird allzu wahr im Norden:
»Den Frosch tröst' sein Gequake,
Daß er kein Leu ist worden.«

An Formen klaubt die Mode,
An Form die Künstelei.
Weise und Künstler leben,
Daß nimmer Unform sei.

22.

Und der du sollst
Sein, der du bist,
Tu, was du willst,
Du tust's als Christ.

Ist der Mensch aus seinem Unverstand
Entrückt,
Das ist: Von einer Sonnenhand
Ergriffen und an Gottes Herz gedrückt.

23. – Der Tod

Wo du im Leben stehst
Und dich im Reigen drehst,
Mit seiner Fiedel hell
Der Tod ist dein Gesell.

24.

Winter ist Gottes Jahrzeit!
Behütet unterm Schnee
Keimt Seine Saat der Wahrheit
In Wetterfrösten Weh.

Frühling ist Gottes Jahrzeit!
Die Werdekraft erkühnt
Der Welt zur Wunderbarkeit,
Wenn's in Ihm blüht und grünt.

Sommer ist Gottes Jahrzeit!
Im Sonnesegen reift
Berauscht in jedem Haarbreit
Erd', die Ihn inbegreift.

Herbst! Herbst ist Gottes Jahrzeit!
In Liebesflammen brennt
Sich das Gelaub zur Klarheit,
Da Er die Frucht erkennt.

25.

Erfasse Ihn im Leben,
Erfahre Ihn am Tod,
Der allem Erdenstreben
Anfang und Ende bot.

Ein Ring ist, in Ihn ründend,
Darin wir Seine sind,
Der, ewig in Ihm mündend,
Ewig in Ihm beginnt.


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