Johannes Scherr
Die Tochter der Luft
Johannes Scherr

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Viertes Buch.

Die Katastrophe.

Wenn das Stück mit Mord und Totschlag endigt, so ist's ein Trauerspiel; wenn dagegen die Liebesleute schließlich einander kriegen, so ist's ein Lustspiel. In welche Kategorie nun das vorliegende Stück gehöre, darüber, meine Herren, sind die Gelehrten noch nicht einig.

Professor Duselmann.

1. Unerhört romantisches Abenteuer, welches nachtschlafender Weile zwei berühmten Dichtern im Schwarzwalde zugestoßen.

Die Herbstnebel hatten schon angefangen die Blätter der Linde im Bühl stark zu vergilben, als eines Septembertages die Freunde Ottmar und Wate wieder darunter saßen. Jener war unerwartet vor einigen Stunden von ––stadt her im Forgtal angelangt, und da sowohl der Goldforellenwirt als auch seine Tochter von Hause abwesend waren, hatte sich Wate höchstselbst in die Küche begeben, um mit der alten Köchin ein leidliches Mittagessen für seinen Freund zu vereinbaren, wie er sagte.

Dieses vereinbarte Werk war so wohlgelungen, daß der Gastrosoph den Entschluß faßte, dasselbe mit Ottmar zu teilen, obgleich er sein Imbißessen schon früher zu sich genommen hatte. Er bemerkte jedoch mit Mißvergnügen, daß Ottmar nur einen geringen Appetit entwickelte, ja, daß derselbe ganz zerstreut und mit beleidigender Gleichgültigkeit von einer pastetenartigen Speise aß, welche ihm der Philosoph des Magens mit einer gewissen Feierlichkeit vorgelegt hatte.

»Nun, lieber Junge,« fragte der Grimme blinzelnd, »Wie schmeckt das?«

»O, ganz gut, denk' ich,« versetzte Ottmar. »Aber sag mir doch –«

»Da hör' mal einer! Er denkt, es schmecke gut, als ob es sich um die gleichgültigste Sache von der Welt handelte. Wo hast du denn deinen Gaumen? Unglücklicher, weißt du denn nicht, daß du ein Produkt tiefsinnigster Künstlertätigkeit vor dir auf dem Teller hast?«

»Ah so, bitte um Entschuldigung, lieber Alter. Gewiß eine neue kulinarische Erfindung von dir, nicht wahr? Nun, es wird schon gut sein, aber sag doch –«

»Was zum Teufel ist das für 'ne Manier, von einem Gegenstand von solcher Bedeutung so zu reden? Hör nur. Als du fort warst, wurde es mir langweilig, denn die Arbeit und die Freude an dem gloriosen Lied, womit ich, wie ich dir bereits erzählte, Jeremiä Sturz ins Tote Meer verherrlichte, konnte nicht ewig währen. Zum Glück führten mich meine gastrosophischen Forschungen auf einen Gegenstand, der mir das gewaltigste Interesse einflößte und alle Kräfte meiner Seele zur Tätigkeit aufregte. Du weißt vielleicht oder weißt auch vielleicht nicht, daß Friedrich der Große neben anderen Tugenden auch die besaß, ein ausgezeichneter Feinschmecker zu sein und einen Koch zu besitzen, welcher würdig war, dem Magen eines großen Mannes zu dienen. Dieser Treffliche überraschte den König eines Tages, mit einem neuen Gericht von eigener Erfindung, genannt la bombe à la Sardanapal, und der Erfolg dieses Meisterstückes entsprach vollkommen der ungeheuren Mühe, welche der geniale Künstler darauf verwendet hatte; der alte Fritz war entzückt, und wenn's auch ein Anachronismus ist, so behaupt' ich trotzdem, daß er zur Stunde, wo er von der Bombe à la Sardanapal gespeist, die Idee zu seinem Edikt gefaßt: ›In meinen Staaten kann jeder nach seiner Fasson selig werden.‹ Gut, aber diese entzückende Bombe machte mir höllisches Kopfzerbrechen, Gott straf' mich! Ich schrieb an Professor Preuß, den berühmten Biographen des großen Königs, ob er mir vielleicht auf die Spur zu dem Rezept zu mehrbesagter Bombe helfen könnte; aber wie sich unsere deutschen Gelehrten stets um alle möglichen Nebendinge und nie um die Hauptsache zu kümmern pflegen, so wußte mir auch Preuß keine Auskunft zu geben, die mir bei meinem Vorsatz, die sardanapalische Bombe aufs neue zu konstruieren, irgendwie förderlich gewesen wäre. Ich mußte mich also bei Wiederschaffung des großen Werkes ganz auf meinen eigenen Genius verlassen, und er hat mich nicht verlassen. Gestern endlich gelang mir die Konstruktion der Bombe, allerdings, wie ich sagen muß, mit Hilfe des Aivli –«

»Aber wo ist denn das Aivli?« unterbrach Ottmar den behaglich schwatzenden Freund ungeduldig.

»Das Mädchen ist nach Moosbrunn hinunter, um deine erkrankte Schwägerin zu besuchen.«

»Warum hast du mir davon nichts gesagt?«

»Bah, was zum Teufel sollte ich dir von solchen Weibergeschichten schwatzen? Die Krankheit der Frau Pfarrerin ist nicht von Bedeutung.«

»Desto besser, Margaret ist eine brave Frau.«

»Wohl, wohl, was aber die Bombe angeht –«

»Zum Henker mit deiner Bombe! Sie kommt mir viel zu fett vor.«

»Zu fett? Du bist, glaub' ich, nicht recht bei Trost. Zu fett? So kann nur ein ganz oberflächlicher Naturalist sprechen.«

»Nimm es nicht krumm! Ich bin wahrscheinlich heute nur nicht in der rechten Disposition, deiner gastrosophischen Praxis die verdiente Anerkennung zu zollen. Aber – 's Aivli ist doch wohlauf?«

»Was soll nun das wieder? Was sollte dem Mädchen fehlen? 's ist ja die Gesundheit selbst. Bevor du fortgingst, glaubte ich manchmal, es sei in dem Organismus des Kindes irgend 'ne Schraube losgeworden, denn es war gar nicht mehr so heiter wie in früherer Zeit, Du erinnerst dich, daß mir mal ein närrischer Verdacht durchs Hirn geschossen war, so etwas von Liebe, und daß sich das Kind in einen gewissen ritterlichen Juristen vergafft hätte. Aber damit ist's nichts. Das Aivli ist wieder so munter wie früher, und doch ist etwas an und in dem Kind, woraus ich nicht recht klug werden kann. Dem Goldforellenwirt ist's auch so gegangen. ›Doktor,‹ sagt' er neulich zu mir, ›seht doch mal das Meidli an. Ist's nicht, als wär's seit kurzem noch größer und schöner worden? 's dunkt mich manchmal sölli, das Kind gehe nur so in der Luft, und doch besorgt es die ganze Wirtschaft noch besser und handlicher als vorher.‹ Der Alte hatte recht, Gott straf' mich! 's ist 'ne wahre Freude dem Mädchen bei seinem Schaffen und WerchenArbeiten. zuzusehen. Es hat so 'ne verdammt nette Art, alles anzugreifen und – item, 's Aivli ist ein herzig Kind, wie weltbekannt.«

Ottmar lächelte still vor sich hin.

»Beim Zeus,« sagte er dann, »ich erleb' es doch noch, alter Junge, daß du als Freier der Goldforelle des Goldforellenwirts auftrittst.«

»Hm,« schmunzelte der Grimme, »ich sag' dir, 's ist noch nicht aller Tage Abend. Wär' ich nur noch so ein Springinsfeld wie du. Ich wollte dir als Äquivalent gern die Weisheit schenken, welche aus meinem Schwabenalter entspringt.«

»Aber deine gastrosophische Mission? Bedenke doch, welterlösender Philosoph des Magens, deine erhabene Sendung!«

»O, lieber Junge, das ließe sich machen. Seit ich namentlich bei der Konstruktion der sardanapalischen Bombe wahrgenommen, mit welchem tiefen Verständnis, mit welcher Leichtigkeit und Grazie das Aivli die schwierigsten Ideen des Kulinarismus auszuführen versteht, habe ich angefangen mir nach der Richtung hin, wo mein Zölibat liegt, eigene Gedanken zu bilden.«

»Nun, so bilde denn daran weiter. Jetzt aber wollen wir, wenn dir's beliebt, von anderem sprechen. Sag mal, wie hat denn Jeremias der Fromme sein Malheur genommen?«

»Wie ein gescheiter Mensch so was nimmt, schweigend. Was wollte er auch machen? Übrigens habe ich ihn seither nur noch von ferne gesehen. Das schmutzige Bad in dem Schloßgraben scheint ihn menschenscheu gemacht zu haben. Er hat sich im Schlosse nicht wieder sehen lassen, hält aber, wie ich höre, alle Sonntage eine so furchtbare Straf-, Buß- und Drohpredigt, daß die Moosbrunner Bauern vor Angst demnächst an den Kirchenwänden hinauflaufen werden. Im übrigen soll er melancholisch sein und mitunter geradezu rappelig werden. Die Forgauer Burschen sind neulich mal nachts hinabgegangen und haben dem frommen Herrn mein berühmtes Moritatlied als Serenade vor den Fenstern gesungen; da hat er, Gott straf' mich! aus seiner Studierstube eine Flinte auf die Sänger losgebrannt. Zum Glück wurde niemand getroffen.«

»Da wird die arme Margaret wieder was auszustehen haben. – Aber sag, der Freiherr ist also vollständig wiederhergestellt?«

»Schon lange. Ich hab' dir's ja geschrieben. – Beiläufig gesagt, könntest du bei dieser Gelegenheit etwelchen Respekt vor dem alten Wate entwickeln. Der Junker hatte doch einen recht anständigen Lungenfuchser abbekommen, aber ich hab' ihm das Ding ganz leidlich zurechtgeflickt, Gott straf' mich! Er ist auch dankbar, der Junge, das muß ich sagen, und überhaupt ist ihm die Lektion in der Diskretion, welche du ihm gegeben, ganz vortrefflich bekommen. Er ist seither ein gut Teil weniger junkerlich in allem und jedem und kann, schätz' ich, ein recht passabler Mensch werden, wenn's so fortgeht.«

»Und er geht also, wie du mir geschrieben, wieder in Bernwartshall aus und ein?«

»Ja freilich, als wäre gar nichts Außergewöhnliches vorgefallen. Ich kann aus der Sache nicht klug werden, und kommt sie mir ganz spanisch vor.«

»Bah, das ist leicht zu erklären. Die Frau Gräfin wird von dem Verrat des Barons keine Ahnung haben. Wer hätte auch ihr die garstige Geschichte mitteilen sollen?«

»Hm, ich weiß nicht, ich weiß nicht. Aus einzelnen Symptomen glaube ich schließen zu müssen, daß die Tochter der Luft von allem, was an jenem dummen Nachmittag in dem freiherrlichen Schloß vorgefallen, des genauesten unterrichtet sei, und doch ist ihr Benehmen gegen den Baron so, daß es wieder alle meine Schlüsse über den Haufen wirft. Ich will verdammt sein, wenn ich glaube, daß ein Weib einen Schimpf wie jenen je zu verzeihen vermöchte. Nein, die Gräfin muß nichts davon wissen. Es kann nicht anders sein.«

»Da spielen auch wohl die Liebessignale wieder?«

»Nein, das nicht. Ich war auch neugierig, zu erfahren, ob die Flaggenkorrespondenz wieder in Gang gekommen sei. Man wird auf dem Lande so verdammt wunderfitzig. Aber ich konnte nie mehr, weder hüben noch drüben, eins der bunten Dinger zu Gesichte kriegen. Das Telegraphieren scheint entschieden aufgegeben zu sein, was mich namentlich von seiten des Freiherrn wundert, denn er laboriert bedeutend an der Langeweile, besonders seit die Bimbambummler fort sind.«

»Wie, die beiden Berühmtheiten sind fort?«

»Über alle Berge, ausgerissen gleichsam, wie Herr Tauberich sagen würde, verschwunden, verdunstet, verduftet, ach, und wie!«

Und der Grimme barst in ein schmetterndes Gelächter aus.

»Haben etwa die berühmten Gäste des Freiherrn zuletzt ebenfalls mit ihrem Wirt Händel bekommen?« fragte Ottmar.

»O bewahre,« versetzte Wate, »wo denkst du hin! Die Bimbambummler sind infolge des merkwürdigsten Abenteuers ausgerissen, welches je einem Poeten in dem alten Schwarzwalde zustieß. Ich schrieb dir nichts davon und sagte dir auch heute nichts darüber, weil ich dir die Freude gönnen wollte, die prächtige Schnurre von der Gräfin erzählen zu hören.«

»Je nun, eine gute Geschichte kann man auch zweimal hören. Überdies habe ich nicht im Sinne, noch viel mit der Gräfin zu Verkehren.«

»Aha, deine tugendhafte Entrüstung ist nach der Seite hin noch nicht abgekühlt? Du bist doch ein verteufelter Rigorist, du, Gott straf' mich!«

»Bah, laß das und erzähle mir lieber deine Geschichte. Ich sehe ja wohl, deinem Bart zum Trotz, daß sie dir schon bis an den Kehlkopf heraufgestiegen ist und dich ersticken würde, wenn sie nicht herausdürfte.«

»Jetzt sollt' ich aber halt nur, dir zum Possen, die Geschichte gar nicht erzählen.«

»Warum nicht gar! Ich bin ebenso begierig, sie zu vernehmen, wie du, sie an den Mann zu bringen.«

»Nun Wohl. – Reiche mir die Flasche herüber und das Feuerzeug – die Zigarren, die du mitgebracht Haft, sind nicht bitter. Du wirst mir die Adresse mitteilen. – So, jetzt merk' auf, mein Junge.«

Er hatte sich behaglichst zurechtgesetzt, den Rücken an den Lindenstamm gelehnt, die Beine auf einen Stuhl gelegt, die Requisiten des Trinkens und Rauchens auf dem Tische bequem zur Hand, und so hob er an:

»Unsere Forg ist, wie du weißt, ein Wasser, das in seinem ungestümen Lauf schon manchen obstinaten Felsen, der sich ihr breit in den Weg gelagert, im Laufe der Zeit unterhöhlt und weggespült hat. Ist das, schätz' ich, das Privatvergnügen unserer Forg, und muß jedermann sein Privatvergnügen haben. Gibt es aber doch noch eigensinnige Steinklumpen genug, an denen die Forg, bis dato ihre Zähne sozusagen ganz umsonst versucht hat, und so ist denn auch das Vorhandensein von zwei kleinen, kahlen Felseninseln mitten im Flusse, da, wo er zwischen dem freiheitlichen Park und Bernwartshall ziemlich glatt und ruhig strömt, eine Tatsache, an der sich nicht wohl zweifeln läßt. Ist es nicht?«

»Freilich. Aber was soll denn das? Ich glaube, du willst so weitschweifig werden wie ein Poet, der einen achtbändigen Roman unter der Feder hat.«

»Gemach, gemach, werter Kritiker. Daß ich das Vorhandensein jener zwei Felseninseln konstatierte, war unumgänglich notwendig, denn ich bin ein methodischer Erzähler, ich. Also die Felsen sind hergestellt, und das Verhängnis, welches alles von Uranfang vorherbestimmte, hat in seinem Humor gewollt, daß diese Inselchen vom Volke den Namen des Hundes und der Katze erhielten. Hast du dir die Dinger einmal genauer angesehen, so wirst du zugeben, daß diese Namen nicht unpassend gewählt sind. Das eine Inselchen sieht wirklich so ungefähr wie ein auf dem Bauche liegender Hund aus, der mit emporgerecktem Kopf und vor sich hingestreckten Tatzen sich zum Sprunge bereit macht; das andere aber wie eine Katze, die mit heldenhaft in die Höhe gebogenem Buckel den Angriff des Hundes erwartet. – So, jetzt wäre der Schauplatz hergerichtet und ich könnte die Handelnden sofort auftreten lassen, müßte ich nicht vorher das Schauspiel, welches mit Fug und Recht ein Trauerschauerspiel, ein Nachtstück comme il faut genannt werden kann, mit einer Exposition, mit einem Prologus sozusagen, einleiten.

Du erinnerst dich vielleicht, daß dein scharfäugiger Bruder an jenem Tage, wo du den Ritter ohne Furcht und Tadel zu spielen dich bemüßigt fandest, den großen Walter von dem Schmelz damit hänselte, daß er zur Sprache brachte, welchen poetischen Eindruck die Donna Estrella, die exotische Blume aus Atlantis, auf denselbigen Herrn Walter sowie auf dessen Kollegen in Apollo gemacht hätte. Es scheint nun, die besagte Blume sei dieses Eindrucks wohl bewußt gewesen. Es scheint ferner, die Gräfin habe auch davon gewußt und habe die Blume angeleitet, ihre Farbenpracht und ihren Duft den Bimbambummlern noch auffälliger in die Augen und Geruchsnerven stechen zu machen. Es scheint weiterhin, die Gräfin sei der süßen Huldigungen der zwei berühmten Männer herzlich überdrüssig gewesen und habe sich dieselben mit guter Manier vom Halse schaffen wollen. Es scheint endlich, die beiden Bimbambummler seien in ihren exotischen Gefühlen doch nicht so ganz spiritualistisch und christlich germanisch gewesen, wie ihre Bimbambummeleien lauten, denn ich muß mit Bedauern sagen, daß ich bemerkte, wie die beiden der exotischen Blume um die Wette nachstrichen, natürlich nur in der Absicht, Anregungen und Motive zu den grandiosen Dichtungen zu erhalten, womit sie die Tochter Milimachs verewigen wollten.

Da sich nun, vermut' ich, derartige Anregungen aus einem Tete-a-tete besser und gründlicher ergeben als sonst, so hatten die Bimbambummler die Donna Estrella schon lange um ein Stelldichein angegangen. Natürlich jeder privatim, denn es scheint eine Eigentümlichkeit der Poeten, daß sie, und wären auch zwei die dicksten Freunde, einander nicht gern in die Spezialitäten ihrer dichterischen Pläne einweihen. Unklar ist mir dabei freilich, wie es kam, daß unsere zwei berühmten Freunde, welche doch ihre Schöpfungen durchweg auf Backfische und halbreife Jungen berechnen, so darauf versessen waren, von der braunen Sennora, die doch keineswegs mehr ein Backfisch ist, sich anregen zu lassen. Aber so ein Dichtergemüt ist ein wunderlich Ding.

Genug, dem heißen Sehnen der Bimbambummler winkte endlich die Erfüllung. Die exotische Blume gewährte jedem von ihnen ein Stelldichein und noch dazu ein nächtliches. Aber exotische Blumen haben bizarre Launen. Das erbetene und gewährte Rendezvous sollte in der Nacht – das konnte man sich schon gefallen lassen – und mitten im Fluß auf den beschriebenen Inselchen stattfinden; das war allerdings etwas unbequem, aber die Romantik des Abenteuers half den glücklichen Poeten über jede Bedenklichkeit hinweg. Don Rodrigo ward auf den Hund, Herr Walter auf die Katze bestellt. An Kähnen war kein Mangel, und die beiden Herren hatten während ihres Aufenthaltes im Forgtal einen Nachen erträglich führen gelernt. Daß Estrella ihrerseits dieser Kunst mächtig war, davon hatten ihre Anbeter sattsame Proben gesehen. So war denn alles vorbereitet, und die beiden großen Männer trugen, jeder für sich, versteht sich, das Vorgefühl exotischen Glückes schweigend in hochschwellender Brust mit sich herum.

Endlich kam die ersehnte Nacht, eine dunkle Nacht, denn eine solche hatte das zarte Schamgefühl der Donna sich ausgebeten. Die Bimbambummler zogen sich unter plausiblen Vorwänden früher als gewöhnlich von dem Abendtisch auf ihre Zimmer zurück und schlichen sich dann einer nach dem andern aus dem Schlosse. Drüben in Bernwartshall brannte am Fenster des westlichen Turmes richtig das Licht, welches Estrella anzustecken verheißen hatte, als Zeichen, daß sie kommen würde. Die Poeten hatten sich die Lage der beglückenden Felsen genau gemerkt, und so verursachte es ihnen keine großen Schwierigkeiten, glücklich auf den Hund und die Katze zu kommen. Leider ist es aber nicht mit historischer Sicherheit zu ermitteln gewesen, welcher von ihnen zuerst seinen Kahn an dem ihm bezeichneten Felsen befestigte. Die Schilderung dessen, was bis zum Tagesanbruch auf dem Hund und der Katze vorging, beruht nur auf einer Kombination, wie eben die Umstände sie an die Hand geben.

Der Poet auf dem Hund oder aber der Poet auf der Katze hörte, kurz nachdem er sich auf seinem Felsen installiert hatte, ein Geräusch wie von Ruderschlägen, und natürlich vermutete er, die exotische Blume schwimme in ihrem Boote heran. Es war aber nur der Nebenbuhler, welcher keine Ahnung davon hatte, daß sein Kollege in Apollo ein paar Klafterlängen von ihm entfernt dem nämlichen Glück entgegenharrte, dessen er selbst gewärtig war. Auch der zuletzt Gelandete konnte sich nach einer Weile einer süßen Täuschung hingeben, denn es verlautete wieder so was wie Ruderschläge und an der Katze sowohl als an dem Hund rieb sich so was wie ein an- oder abtreibender Kahn. Keiner der beiden konnte es jedoch wagen, diesem Geräusche näher nachzuforschen, denn die Felsen sind schmal und gewähren nicht eben viel Raum zu Bewegungen.

Die Nacht war, wie gesagt, von Anfang an dunkel gewesen und wurde jetzt noch dunkler, schwarz wie das Heidentum, würde Herr Walter sagen. Der Himmel sah aus, als hätte er nie etwas von Sternen gewußt, der Fluß rauschte eintönig, und es erhob sich ein schwüler Wind. Aber noch immer leuchtete das Licht im Turme drüben verheißungsvoll, ein Pharus der Poesie und Liebe. Die beiden warteten geduldig, was hätten sie Besseres tun können? Aber ich vermute, daß stundenlanges Warten zuletzt auch einem Bimbambummler langweilig werden muß, und ohne Zweifel wurde es ihnen wirklich langweilig. Indessen hielten beide noch immer die Blicke hoffnungsvoll auf das mehrbesagte Licht gerichtet, bis dieses den abscheulichen Einfall hatte, plötzlich zu verlöschen.

Das brachte auch die Hoffnungen der Bimbambummler so ziemlich dem Verlöschen nahe und der zu einem Sturm anschwellende Wind war keineswegs geeignet, das Feuer in ihrer Brust wieder anzublasen. Sie begannen zu ahnen, daß die exotische Blume sie schmählich gefoppt habe, und krabbelten sich zu ihren Booten hin, um den Rückzug anzutreten. Aber, o Spiegelfechterei der Hölle! die unglückseligen Boote waren fort, verschwunden, ein für allemal unsichtbar oder vielmehr ungreifbar geworden. Was nun tun? Ins Wasser gehen und versuchen, an ein beliebiges Ufer zu waten oder zu schwimmen? Aber die verzweifelte Forg ist gerade dort herum sehr tief, das wußten der auf dem Hund und der auf der Katze, und schwimmen konnte weder dieser noch jener.

Da hieß es denn: ›Geduld, Geduld, du seligste der Tugenden‹ wie der Phanteist Schefer sagt, welchen gewiß keins der beiden poetischen Kirchenlichter zitieren mochte. Aber das Warten auf den Felsen hatte auch seine Unzukömmlichkeiten. Nämlich der Himmel war boshaft genug, einen Platzregen herabzugießen, und der Sturm heulte dazu mit solcher Macht, daß die Bimbambummler sicherlich sich auf die Felsen niederkauern und mit den Händen am Gestein festhalten mußten, um nicht ins Wasser geschleudert zu werden. Es war eine niederträchtige Situation, Gott straf' mich!

Das Peinlichste war aber doch wohl für sie das endliche Heraufdämmern des Tages und doch auch wieder etwas Tröstliches, denn als der auf der Katze den auf dem Hund und der auf dem Hund den auf der Katze erblickte – was die bei dieser Gelegenheit für Gesichter geschnitten haben mögen! – so hatte nach überwundenem gegenseitigem Erstaunen wenigstens jeder die Befriedigung, zu sehen, daß er nicht allein der Geäffte war, nicht allein auf der Schwelle eines tüchtigen rheumatischen Fiebers stand. Das mußte aber für beide ein horribler Augenblick sein, als jetzt die Gräfin auf den Balkon ihres Schlafzimmers heraustrat und den Bimbambummlern einen lachenden Morgengruß herüberwarf. In diesem Moment ging, vermut' ich, der ganze Vorrat ihrer Dichtergemüter an romantischen Gefühlen bachab. Nachdem sich jedoch die Gräfin die modernen Säulenheiligen genugsam betrachtet – die exotische Blume streckte zu gleicher Zeit den Kopf aus dem Turmfenster und lachte wie eine Teufelin – war sie barmherzig genug, den Milimach mit einem Boote zu senden, welcher die Unglücklichen erlöste und heimführte. Sie legten sich sogleich zu Bett, ich kurierte sie von ihrem Fieber, und als sie es überstanden hatten, sagten sie dem Schwarzwald schleunigst Valet. Ich bin, Gott straf' mich! höllisch begierig, zu erfahren, welche poetische Motive sie aus der Romantik dieser Nacht sich abstrahiert haben. Was übrigens den Spuk mit den Booten betrifft, so erklärt sich der – aber was hast du denn?«

Ottmar war aufgestanden und rannte der Haustreppe zu.

Was er hatte?

Er hatte das Aivli den Fußpfad heraufkommen sehen, welcher durch den Baumgarten nach der Hintertüre der Goldforelle führt.

Eben war er oben an der Treppe angekommen, als das Mädchen in die Vorhalle heraustrat.

Ein zwiefacher Schrei der Freude – und beide verschwanden hinter dem Rebenspalier.

Wate schaute hoch auf, erhob sich, stieg leise die Treppe hinan und warf einen spähenden Blick hinter das Spalier.

Dort wand sich das Aivli hocherrötend aus den Armen des Geliebten.

Ungeheuer verblüfft, verblüfft wie noch nie in seinem Leben, prallte der Grimme zurück und wäre fast die Treppe hinabgefallen. Dann brach er in ein unbändiges Gelächter aus, schlug sich vor die Stirne und schrie:

»O, ich Koloß, ich Pyramide von Kamel!«

2. Ein Stück Bauernadel.

»Aivli, morgen red' ich mit dem Vater,« hatte Ottmar der Geliebten zugeflüstert, als er ihr gute Nacht geboten. Dann war er in die Stube Wates gegangen, denn er fühlte die Verpflichtung, dem wackeren Freund die nötigen Erklärungen zu geben.

Der Gastrosoph hatte seine Küche, wie er sein Zimmer nannte, so komfortabel eingerichtet, als müßte sie für immer seine Wohnung bleiben. Da waren Bücher und physikalische und chemische Instrumente genug, um sich die Langeweile vom Halse zu halten, und in einer Ecke hatte sich der Grimme eine Art Herd von eigener Konstruktion erbauen lassen, auf welchem er seine kulinarischen Experimente machte. Jetzt saß er in hemdärmeliger Bequemlichkeit in einem altvaterischen Großvaterstuhl mit Lederpolsterung, warf von Zeit zu Zeit einen Blick in den Folianten, welcher neben ihm auf dem Tisch aufgeschlagen lag, und schlürfte zwischenhinein einen Zug Rauch aus der Bernsteinspitze seiner Türkenpfeife.

»Ich komme, lieber Alter, dich um Verzeihung zu bitten,« sagte Ottmar.

»Um Verzeihung?« versetzte der im Bart. »Setz dich doch und stecke dir eine Pfeife an. Pfeifen sind abends der Gesundheit zuträglicher als Zigarren, mußt du wissen. – Es ist aber, Gott straf' mich! kulant von dir, daß du als ein Fuchs, der du bist, mir, dem sehr bemoosten Haupt, Abbitte zu tun kommst. Wahrscheinlich bist du hinterher zu der Erkenntnis gekommen, daß meine sardanapalische Bombe keineswegs zu fett sei.«

»Beim Zeus,« entgegnete Ottmar lachend, »ich glaube, diese verteufelte Bombe hat dich gegen alles andere bombenfest gemacht.«

»Die Sache liegt mir am Herzen, ja. Jeder hat so sein Steckenpferd, das meinige ist nun dermalen diese gloriose Bombe, auf welcher ich in eine dankbare Nachwelt hineinreiten will. Ich habe da im Athenäus geblättert, und wenn mich nicht alles täuscht, müssen schon die Griechen eine Ahnung von jenem Kochkunstwerk gehabt haben. Warum auch sollten sie nicht? Waren sie doch von allen den Milliarden von Menschen, die schon mit dumpfer Seele oder hungrigem Magen am sausenden Webstuhl der Zeit geschafft haben, die einzigen, die einigermaßen zu leben verstanden.«

»Wohl, wohl, aber ich möchte jetzt von etwas anderem als von Gastrosophie sprechen. Weißt du, es hat sich ja außer deiner Bombe heute noch etwas ereignet.«

»Ah so, du meinst vielleicht das lebende Bild: Faust und Gretchen, welches ich hinter dem Rebenspalier zu Gesicht kriegte?«

»Ja.«

»Lieber Junge, die Liebe ist eine Privatsache, siehst du, und der alte Wate ist nicht gewohnt, sich in die Privatsachen anderer Leute einzudrängen.«

»Sprich nicht so, Alterle. Wie sollte dich nicht berühren, was mich so tief bewegt?«

»So, meinst du?« entgegnete der Gastrosoph brummig und jetzt wirtlich ein Stück grimmen Wates herauskehrend. »Hast du dich schnöderweise hinter meinem Rücken verliebt und zwar, ich traue dir's zu, allen Ernstes, so magst du auch zusehen, wie du mit der Geschichte fertig wirst. Ich will nichts damit zu tun haben, gar nichts – Gott straf' mich!«

»Beim Zeus, du kommst mir vor wie der alte Brosi, auf und eben.«

Und ohne dem Freunde zu weiterem Brummen Zeit zu lassen, erzählte Ottmar, wie sich der alte Knecht aufgeführt, als derselbe erfahren, sein Meister hätte dem Grafen Geld geliehen, ohne ihm etwas davon zu sagen.

Dadurch wurde der im Bart wieder in bessere Laune versetzt, und nun teilte ihm Ottmar ausführlich mit, wie zwischen dem Aivli und ihm alles so gekommen.

Der Freund hörte ihm mit steigender Teilnahme zu, kraute sich wohlgefällig im Bart und sagte am Schluß der Beichte:

»Ich glaub', es wird am gescheitesten sein, ich absolviere dich. Jetzt weiß ich doch, warum das Aivli gleichsam in der Luft ging und nach deiner Abreise wieder so burrlemunter ward. Da sage doch noch einer, ein Weiberherz sei zu ergründen. Ja, Prosit die Mahlzeit! Das Dundersmeidli! Während sie im Herzen über ihr Verhältnis zu dir frohlockte, lebte ich des Glaubens, so ein Verhältnis sei gar nicht vorhanden, keine Spur. Ich war ein rechter Blechschädel, Gott straf mich! – Und du willst Schwarzwälder Landmann werden? Nun, lieber Junge, darüber denk ich so: Wärest du vor einigen Jahren, als wir noch mitsammen auf den hohen Wogen einer aufgeregten Zeit schwammen, auf diesen Gedanken gekommen, so hätt' ich denselben als eine rabiate Grille betrachtet und behandelt. Heute aber weiß ich mich mit der Sache abzufinden. Du weißt, wir haben den Stimmungen unserer Zeit redlich unseren Tribut entrichtet. Wir haben die blanke blöde Jugendeselei durchgemacht, deren verschiedene Auszweigungen in dem Begriff Romantik sich zusammenfassen; dann haben wir patriotisch und humanistisch geschwärmt und um dieser Schwärmerei willen auch etzliches gelitten. Laß mich aussprechen, ich weiß schon, was du sagen willst, nämlich, daß du auch jetzt noch Begeisterung für Vaterland und Menschheit keineswegs als Schwärmerei betrachtest. Gut und wohl, ich wäre, glaub' ich, töricht genug, mich über dich zu ärgern, wenn du ein blasierter, fischblütiger Halunke von Philister geworden wärest oder je werden konntest. Das wäre also zwischen uns abgemacht, und du brauchst dich nicht zu ereifern. Wer die Zeit hat sich so angetan, daß mit faustischem Sturm und Drang dermalen nichts erstrebt, nichts erreicht werden kann, und zu Byronschem Überdruß herabzusinken, dazu sind wir beide ein Paar viel zu gesunde, viel zu bürgerliche Kerle. Die Gegenwart arbeitet doch an einer Häutung für die Zukunft, trotz alledem. Aber das Getriebe der Entwickelung hat sich mehr von der Oberfläche zurückgezogen und arbeitet stiller. Da muß es denn jedem erlaubt sein, sich vom Markte des Lebens in eine stille Häuslichkeit zurückzuziehen und da sich anzubauen, wo der Boden ihm Früchte seines Fleißes verspricht. ›Wenn die Rose selbst sich schmückt, schmückt sie auch den Garten‹, sagt ein Mann, der nicht nur gute Verse, sondern auch gute Gedanken produzierte. Wo ein Mann an seinem Platze ist und tüchtig sein Geschäft schafft, da ist er auch mitten in der Welt und wirkt für sie. Ich meinesteils habe mir nun allerdings ein leichtes und angenehmes Geschäft gewählt, du willst das Schwerere über dich nehmen und du tust recht, denn du bist jünger, anstelliger, arbeitslustiger als ich und hast den schönsten Segen dazu bei der Hand, das Aivli. Wenn ich dran denke, wie du dich im Heuet zu schicken und zu rühren wußtest und wie fröhlich du dabei gewesen, bist, so kann ich deiner landmännischen Tendenz nur ein gutes Prognostikon stellen. Summa Summarum: ich gratuliere dir von Herzen, und wenn mir die Gastrosophie nicht so viel zu denken und zu tun gäbe, item, wenn ich nicht dein alter Wate wäre, würde ich dich um das dundersnette Kind alles Ernstes beneiden. So aber – gratulor tibi intimo ex animo, hoffe jedoch, du werdest ob deinem Aivli deinen Alten im Bart nicht ganz vergessen.«

»Nie und nimmer, Wate!«

»Wohl, so ist alles gut, denn ich hoffe, du hast dein Herz ernsthaft geprüft. Ich bin nur ein alter Knabe und werde als Hagestolz in die Grube fahren, aber von einer rechten Ehe hatte ich immer eine hohe Meinung. Wo hab' ich nur gleich ein treffend Wort darüber gelesen? Das Wort, die Ehe sei alles oder nichts, die Liebe und Vertraulichkeit lasse sich nicht teilen; habe sie einen Riß erhalten, wie klein er auch sein möge, so sei es damit, wie wenn man eine Nadel in ein Luftkissen bohrt: durch die kaum sichtbare Öffnung entweicht alles, nur die Bürde bleibt zurück und auf Nimmerwiederkehren hat man verloren, was dieselbe leicht und süß macht. Das merke dir! – Doch ich falle ja, Gott straf' mich! ganz aus meinem Charakter und werde salbungsvoll wie der Jeremias.«

»Du fällst nie aus deinem Charakter, Wate,« fagte Ottmar, dem Freunde die Hand reichend, »denn, wie seltsam du dich manchmal auch stellen magst, immer bleibst du der gutmütigste Mensch und der beste Freund unter der Sonne.«

Mit etwas weniger leichtem Herzen, als womit er dem Freunde sich eröffnet hatte, ging Ottmar folgenden Tages zu der Unterredung mit Meister Baldung, denn er wußte, der Goldforellenwirt war ein Charakter, tüchtig, brav, gesund wie eine Eiche, aber in vielen Dingen auch zäh und knorrig wie eine Eiche, ein Mann, welcher unbeschadet seiner Herzensgüte und unbeschadet der innigen Liebe zu seinem einzigen Kinde streng auf sein väterliches Ansehen hielt, welches er vielleicht dadurch, daß Ottmar ohne sein Vorwissen mit seiner Tochter sich verständigt hatte, beeinträchtigt glauben konnte.

Unser Freund suchte den alten Herrn – denn einen solchen durfte man Baldung wohl nennen, obgleich er nur ein Bauer war – im Laufe des Vormittags in dem Hinterstübchen auf, wo der Goldforellenwirt seine Schreibereien, privatliche und amtliche – er war nämlich Bürgermeister der Gemeinde Forgau – abzumachen Pflegte. Unser Freund hatte seinen Wirt, welcher gestern spät von einem Ausflug in Sachen seines Holzhandels zurückgekommen, seit seiner Wiederkunft aus der Hauptstadt noch nicht gesehen und war daher nicht wenig befremdet ob des abgemessenen, um nicht zu sagen kühlen Empfangs, welcher ihm zuteil wurde.

»Gut, daß Ihr kommt, Herr Ottmar,« sagte Baldung nach ausgetauschten Begrüßungen. »Ich hatte numme grad' im Sinn, Euch aufzusuchen.«

»Ihr waret wohl begierig, Herr Baldung, zu erfahren, wie die gräfliche Prozeßsache abgelaufen ist?«

»Das nicht gerade. Indessen – habt Ihr gute Verrichtung gehabt?«

»Die allerbeste. Der Prozeß ist gewonnen, mit Glanz gewonnen und, was noch besser, unwiderruflich: das Obertribunal hat gesprochen. Wenn der Forgforst wirklich so viel wert ist, wie Ihr mir eines Tages sagtet, so ist der Graf heute wieder ein reicher Mann.«

»Weiß er schon von dem glücklichen Ausgang der Sache?«

»Nein. Ich reiste auf der Stelle aus der Stadt ab, nachdem ich die betreffenden Ausfertigungen in Händen hatte.«

»Das ist ja recht schön. Ich wünsch' Euch Glück zu diesem Erfolg, Herr Doktor, mir selber aber auch, denn ich habe nun Aussicht, wieder zu meinem Gelde zu kommen, und will ohne Zeitverlust die nötigen Schritte tun. – Aber warum geht Ihr nicht ins Schloß?«

»Ich bin auf dem Wege dorthin; allein ein für mich unendlich viel wichtigeres Anliegen ließ mich vorher noch an Eure Türe klopfen. – Herr Baldung, ich bitte Euch um geneigtes Gehör, und da ich Umschweife nicht gewohnt bin, so muß ich gerade mit der Sache herausplatzen: ich bin gekommen, bei Euch um die Hand Eurer Tochter anzuhalten.«

Baldung war an dem massiven Tisch, an welchem er beim Eintritt des Freiwerbers geschrieben hatte, sitzen geblieben. Jetzt kehrte er sich aus seinem Stuhl um, fixierte unter seinen buschigen Brauen hervor mit einem scharfen Blick unsern Freund und fragte fast barsch:

»Ihr wollt mein Aivli heiraten?«

»Ja, Herr Baldung. Ich glaube sagen zu dürfen, daß an meiner Vergangenheit und an meinem Charakter nichts hafte, was einem Vater gerechte Bedenken und Besorgnisse einflößen könnte.«

»Das ist wahr. Ihr wißt, ich hab'Euch stets für einen Ehrenmann gehalten, und ich hab' Euch drum, schätz' ich, ordentlich lieb gehabt.«

»Meine Angelegenheiten sind geordnet, Herr Baldung, und was mein Vermögen betrifft, so ist dasselbe zwar nicht groß, aber doch anständig für einen Mann, der Kraft und Willen zum Arbeiten hat.«

»Ich weiß es.«

»Ich brauche Euch nicht erst zu versichern, daß ich Eure Tochter herzlich liebe, aber ich meine – nehmt es nicht für Unbescheidenheit – ich meine, Aivli sei auch mir zugetan.«

»Das meine ich auch, Herr – ja, bi Gott, das meine ich auch.«

Baldung stand auf, als er das gesagt, und ging mit finsterem Gesicht in dem kleinen Raum auf und ab. Sein Aussehen erschreckte Ottmar, und er sagte etwas beklommen:

»Ich hoffe nicht, daß Ihr etwa zugunsten eines anderen schon über die Hand Evas verfügtet, denn –«

»Denn,« unterbrach ihn der Goldforellenwirt mit bitterer Betonung, »dann würdet Ihr vielleicht in neumodischem Trotze die Tochter zum Ungehorsam gegen den Vater verleiten wollen, nicht so?«

»Herr Baldung –«

»Ich könnte Euch vielleicht mit Recht fragen, Herr, ob es ehrlich war, unter meinem Dache, hinter meinem Rücken meiner Tochter Hoffnungen und Erwartungen in den Kopf zu setzen, aus denen nichts werden kann.«

»Nichts werden kann? Wie soll ich das verstehen?«

»Wie es gemeint ist.«

»Aber aus dem, was Ihr vorhin über Eurer Tochter und meine gegenseitige Neigung gesagt, daß Ihr nämlich davon wüßtet, muß ich fast glauben, Eva –«

»Habe getan, was ihre Pflicht war, nicht? Wohl, das hat sie getan. Ich habe das Meidli nicht so erzogen, daß es seiner Pflichten uneingedenk ist. Gestern abend, als ich heimkam, hat mir's Aivli alles gesagt.«

»Alles?«

»Alles. Daß Ihr sie heiraten wolltet, versteht sich. Möchte auch den sehen, welcher sich des Goldforellenwirts im Bühl seiner Tochter in unredlicher Absicht nähern wollte. Ich bin nur ein Bauer, Herr, und möcht' ich um kein Geld was anderes sein, aber den möcht' ich sehen, der sich unterstünde, Unehre unter mein Dach bringen zu wollen.«

»Aber, Herr Baldung –«

»Ihr wollt sagen, das treffe Euch nicht, und das ist wahr. Aber es ist genug, daß Ihr Herzeleid unter mein Dach gebracht, denn allem nach fürcht' ich, das Kind habe Euch zu tief in die Augen geguckt, viel zu tief.«

»Gewiß nicht tiefer als ich ihm,« versetzte Ottmar, dessen männlicher Stolz sich zu regen begann. »Aber ich begreife nicht –«

»Werdet mich sogleich begreifen. Seht, Herr – wir wollen die Sache hübsch sachte abmachen, ohne Lärm, ohne uns zu erhitzen – ja, seht, ich lass' Euch die Gerechtigkeit widerfahren, mein Kind hat nur der Natur nachgegeben, als es Euch sagte, daß es Euch gut sei, nachdem Ihr zuvor von Eurer Seite ihm das nämliche gesagt. Ihr seid schon so ein Bursch, in den sich ein Meidli vergucken kann, und wär's auch ein Meidli wie mein Aivli. – Nichts für ungut, ich darf, schätz' ich, schon ein bißle stolz sein auf das arm' Närrli, das jetzt in tausend Ängsten sein wird. Aber die Sach' ist die: 's Aivli ist ein Landmeidli, ein Forgtaler Kind, und 's tät kein gut mit ihm in der Stadt. 's kann keinen Stadtherrn heiraten. – Unterbrecht mich nicht, ich bin bald fertig. – 's ist noch ein zweiter Umstand da, 's mag sein, der ist mir noch sölli wichtiger als der erste. Seht, wir gemeinen Leut', wir Bauern, wir haben halt auch unsern Stolz, und wer ein rechter Bauer ist, der hält auf seinen Stand trotz einem. Ich bin ein rechter Bauer, ich, und all meine Fürfahren, solang' es Baldunge gab, sind rechtschaffene Bauern gewesen. Da haben sie gehaust, Herr, da im Bühl, in Arbeit und Ehren, und sind von uralters her Bauern und Wirte gewesen, und so oft auch im Verlauf der Zeit die Goldforelle hat müssen umbaut werden, die Baldunge sind immer fest drauf gesessen und haben ihrem Namen Ehr' gemacht centumRingsum. im Schwarzwald. So was geht ins Blut, Herr, und ist auch kein Larifari, bi Gott! Seht, Herr, weil wir Baldunge allzeit rechtschaffen g'werchet hanHaben. und g'hauset und g'lebt, wie's der Brauch, weil wir dem Gesinde gaben, was dem Gesinde, und der Gemeinde, was der Gemeinde, und dem Staate, was dem Staate gehört, und weil wir nie Lumpe und Säufer und Spieler und Händelsucher unter unserm Dache geduldet, keine Stunde, und weil wir nach unserer Sach' gesehen und an anderen getan, wie's Menschen- und Christenpflicht ist – seht, drum haben wir auch was für uns gebracht und haben's erwirkt, daß jeder, der von der Goldforelle im Bühl redet, sagen muß: 's ist ein ehrsames Haus. Und das soll's bleiben und ein rechtes Bauernhaus, denn mit der Wirtschaft will ich, bei dem Anlaß g'sagt, bald abfahren. Mein Bauerng'werb hat allmählich 'ne sölli große Ausdehnung gewonnen, dazu kommt noch der Holzhandel, und so hab' ich keine Zeit mehr, den Wirt zu machen. Dem Aivli aber will ich auch nicht zu viel aufladen, es hat sonst schon mit dem Hausregiment alle Händ' voll zu tun. Schon mein ÄhliGroßvater. wollte den Schild einziehen, aber wir trieben's noch so fort, weil seine Söhnerin,Schwiegertochter. meine Mutter, Freud' dran hatte, 's Aivli hat numme kein' rechte Freud' dran, obgleich es sich's mir zu G'fallen nicht merken läßt. – Nun, aber was wollt' ich doch noch sagen? Ja, seht, mein Meidli soll nun und nimmer einen heiraten, der nicht das Bauerng'werb der Baldunge fortführen will und kann, rechtschaffen und in Ehren. Mein Vater selig war so ein braver Mann, als nur je einer in Schwarzwälder Schuhen stand. Als dem sein letztes Stündlein gekommen und er auf dem Totbett lag und kaum noch die Zunge rühren konnt', da sagt' er zu. mir: ›Gottfried,‹ sagt' er, ›du bist mir stets ein gehorsamer Sohn gewesen; mag dafür deine Tochter auch dir gehorsam sein. Aber eins mußt du mir noch tun, damit ich in Frieden hinfahre. Schwöre mir, solange noch ein Reis von unserm Stamm vorhanden, den Bühl nicht in fremde Hände fallen zu lassen. Schwöre mir, auf dem Boden deiner Väter zu bleiben all dein Leben lang und deine Tochter auf dem Heimwesen der Baldunge bleiben zu machen und deiner Tochter Kinder, als rechtschaffene Bauersleute, in Arbeit und Ehren!‹ – Wißt Ihr nun, Herr Ottmar, warum ich mein Aivli keinem Stadtherrn gebe? Ich hab' dem Vater selig in seine schon halb erstarrten Hände den verlangten Schwur geleistet. Soll mir wie einem Verbrecher zumute werden müssen, wenn ich an dem Grabe des Vaters vorübergehe? Soll ich meineidig werden, ich, der letzte einer Reihe von Bauern, die alle in Ehren gestorben? Nein, lieber sterben und verderben! Könnt Ihr mir das verübeln?«

Der alte Mann hatte sich hoch aufgerichtet, als er so sprach, und sein Blick, seine energischen Geberden, seine aus tiefster Überzeugung quellende Sprache hatten etwas, was Ehrfurcht einflößte.

»Nein, Herr Baldung,« sagte Ottmar mit Wärme, »Ihr sollt, Ihr dürft nicht meineidig werden.«

»Das heißt gesprochen wie ein Mann. Aber seht Ihr, es ist eine leidige Sach'. Mein Aivli dauert mich und Ihr auch, Ottmar; glaubt nur nicht, daß ich nicht wüßt', wie's Euch und dem Kind zumute sein wird. Aber 's kann nicht sein, 's kann nicht sein, bi Gott! Ich hätte früher dazu sehen sollen, ja, das hätt' ich. Aber das Unglück ist nun mal geschehen, und so müßt Ihr denn fort, je eher, je besser.«

»Nein, Herr Baldung,« versetzte Ottmar, die halb widerstrebende Hand des Mannes ergreifend, »nein, ich gehe nicht fort. Euer Kind hat Euch nicht alles gesagt.«

»Nicht alles? Wieso?«

»Es hat Euch nicht gesagt, daß ich ein Bauer werden will, ein Landmann in Rechtschaffenheit und Ehren, und was mir noch dazu fehlt, das soll Euer Beispiel mich lehren.«

Ein heller Blitz der Freude brach aus dem umwölkten Vaterauge.

»Wie, Ottmar, Ihr könntet, Ihr wolltet meinem Aivli zulieb' –«

»Wer täte nicht alles dem Aivli zulieb'? Aber, die ganze Wahrheit zu sagen, ich tu's auch mir selber zulieb'. Ich bin es ganz und gar satt, immer nur mit den Schlechtigkeiten der Menschen zu tun zu haben. Ich hänge den Advokatenrock in den Kasten und ziehe das Schwarzwälder Bauernwams an, um das, was ich im Heuet zum Spaß und mit Freude getan, fürderhin im Ernst und mit Freude zu tun. Der alte Schwarzwald ist ja meine Heimat und ich –«

Hier wurde Ottmar durch Wate unterbrochen, der, nachdem man zuvor schon ein lautes Hin- und Herrennen im Hause gehört hatte, in ungewöhnlicher Aufregung in das Hinterstübchen stürzte.

3. »Ich sag', das ging nicht mit rechten Dingen zu.«

»Wißt ihr's schon?« fragte der Gastrosoph in geflügelter Eile. »Der Freiherr von Moosbrunn ist eben gestorben. An dem Frühstückstische seines Bruders hat ihn der Schlag gerührt.«

Ottmar stieß einen Ausruf der Überraschung aus.

Baldung schob sein schwarzsamtenes Hauskäppchen von einem Ohr zum andern und sagte bedächtig:

»Ich hab' mir, bi Gott, schon lange gedacht, daß das Haus seines Bruders dem jungen Menschen noch verderblich werden würde.«

»Wie meint Ihr das?« fragte Wate.

»Weder so noch so, Doktor. 's ist nur so 'ne Redensart, die mir gerade in den Mund kam.«

»Ja so. Aber ich muß auf der Stelle ins Schloß. Zwar hat man mich nicht rufen lassen, wahrscheinlich weil das Unglück überhaupt zu schnell kam, indessen –«

»Indessen,« fiel Baldung ein, »möchtet Ihr doch gar zu gerne etwas Näheres darüber erfahren, wie eigentlich das Unglück gekommen.«

»Nun ja,« versetzte der im Bart, »man ist doch auch sozusagen ein Mensch, und wenn einem ein Nachbar, mit welchem man verschiedene Flaschen ausgestochen hat, so mir nichts dir nichts vom Tod vor der Nase weggepascht wird, so fühlt man ein menschliches Rühren und so weiter.«

Er griff zur Klinke, als ihn Ottmar aufhielt mit den Worten:

»Halt, ich gehe mit dir. Ich wollte ohnehin ins Schloß, um dem Grafen seinen prozessualischen Sieg anzukündigen. Es ist freilich eine unerquickliche Sache, einem Bruder an der Leiche seines plötzlich dahingerafften Bruders zu sagen, daß er einen Prozeß gegen den Toten gewonnen. Ich hätte doch wohl besser getan, noch von der Hauptstadt aus meinen Klienten schriftlich von dem Ausgang der Sache in Kenntnis zu setzen.«

»Bah, bah,« versetzte Wate, »was sind das wieder für sentimentale Flausen? Ein gewonnener Prozeß ist, Gott straf mich! immer eine schöne Sache, sei der Gegner ein Lebender oder ein Toter. Komm' nur mit.«

»Wartet, Ihr Herren,« sagte der Goldforellenwirt, welcher inzwischen Wams und Mütze mit Rock und Hut vertauscht hatte. »Wartet, ich gehe auch mit. Die beiden Schlösser der Brüder gehören in den Gemeindeverband von Torgau, und ich muß als Bürgermeister ein Protokoll über diesen plötzlichen Todesfall aufnehmen. – So, ich bin schon fertig; nur voran, wenn's gefällig ist.«

Als die Männer die Haustreppe hinabstiegen, erspähte Ottmar, rückwärts blickend, auf dem Söller, hinter einem Pfeiler desselben halb verborgen, die Geliebte, welche ihnen gespannt und ängstlich nachsah. Er blieb einen Augenblick stehen, um mit Kopf und Hand eine bejahende Geberde zu machen, und 's Aivli schien ihn auch recht gut zu verstehen, denn heller Sonnenglanz lief über das schöne Gesicht des Mädchens.

Auf dem Wege nach dem Schlosse begegnete ihnen der alte Brosi, welcher von der Sägmühle am Wolfsloch herabkam und demnach an Bernwartshall vorbeigekommen sein mußte.

»Habt Ihr da droben nichts Näher's über das Unglück im Schlosse gehört, Brosi?« fragte ihn der Goldforellenwirt.

Nun hatte zwar der alte Knabe auf seinem Wege schon allerlei über die große Neuigkeit des Tages aufgefangen, aber er war augenscheinlich nicht in der Stimmung, das Gehörte wiederzuerzählen. Wahrscheinlich stieß es ihn gewaltig, daß Ottmar wieder da war. Auf die an ihn gerichtete Frage antwortete er, die Pfeifenspitze mit dem ewigen Garnknäuel aus dem Munde nehmend, ganz unwirsch und grämlich:

»Was geht mich die ganze fürnehme Bagasche an, Meister? Meinetwegen mag sie allesamt der Kukuk holen – der Donner schieß'!«

Sprach's, schloß seinen zahnlosen Mund wieder über dem Garnknäuel und stapfte dem Bühl zu.

»Möcht' nur wissen,« sagte Baldung im Weitergehen, »möcht' nur wissen, was der alt' Brosi hat. Diesen ganzen Sommer her konnt's einem, schätz' ich, oft fürkommen, es sei in seinem Oberstübli nicht mehr ganz richtig. Er grämelt und brummt manchmal, daß es fast gar nicht mehr zum Aushalten ist.«

»Das Alter, Meister Baldung, das Alter,« bemerkte Wate. »Wenn so ein Hagestolz seine achtzig Jahre auf dem Buckel hat und den ganzen Tag so einen Garnknäuel im Maul mit sich rumschleppt, wird er zuletzt griesgrämig und haßt alle Menschen, welche noch Zähne haben, um die Pfeifenspitze damit festzuhalten.«

»Ach nein, es ist nicht das,« sagte Ottmar.

»Was denn? Wißt Ihr was?«

»Freilich weiß ich was. Der alte Brosi ist dahinter gekommen, daß Ihr ohne sein Vorwissen dem Grafen Geld geliehen.«

»So, das ist's?« versetzte Baldung mit einem leisen Pfiff durch die Zähne. »Da liegt der Has' im Pfeffer? Hätt' es, schätz' ich, wissen sollen, daß es so was sein müßt'. Da muß ich nur gleich mit dem Alten über die Sach' reden, wann ich heimkomme. Er könnt' sich's am Ende z' arg zu Herzen nehmen, und das soll nicht sein. Dienstboten, die fünfundfünfzig Jahr' in einem Haus gedient, rechtschaffen und in Ehren, die muß man höher schätzen als die kostbarste Rarität.«

In Bernwartshall angekommen, konnten die drei Männer leicht wahrnehmen, daß das traurige Ereignis einen tiefen und schreckhaften Eindruck auf die Bewohnerschaft des Schlosses gemacht hatte. Wenigstens inbetreff der Dienerschaft, die unschlüssig hin und her rannte und auf an sie gerichtete Fragen nur verwirrte Antworten gab, konnte dies unzweifelhaft angenommen werden. Hätte Ottmar die tiefe Aufregung, welche von dem Gespräche mit dem Vater der Geliebten her noch in ihm nachbellte, schon völlig verwunden gehabt, würde es ihm vielleicht vorgekommen sein, als ob das ganze Innere des alten Gebäudes eine gewisse Physiognomie der Verstörung trüge. Dem grimmen Wate wenigstens, der unbefangener war, drang sich so ein Gefühl auf, als sie in dem öden Schloßhofe standen, über welchen die graue Wolkendecke eines regnerischen Herbsttages herabhing.

Auf Befragen erfuhren sie, daß der Herr Graf in seinem Laboratorium und die Frau Gräfin in ihrem Kabinett sich befände.

»Der würde, scheint es, fortfahren zu laborieren, und wenn ihm zehn Brüder stürben,« flüsterte Wate dem Freunde zu.

Baldung verlangte in seiner amtlichen Eigenschaft zu dem Toten geführt zu werden und ordnete an, daß die ganze Schloßdienerschaft bei Aufnahme des nötigen Protokolls zugegen sein sollte.

Ottmar seinerseits ließ sich zunächst zu dem Grafen führen und betrat also nach wenigen Sekunden das Gelaß, welches den guten Herrn Tauberich in so große Nöten gebracht hatte.

Er traf den Grafen in emsigster Beschäftigung, und schien es, derselbe habe sich's heute gerade in den Kopf gesetzt, sein Laboratorium auszuräumen und zu reinigen, wobei ihm Milimach half. Die Fenster standen offen, auch eine Hintertüre, von deren Schwelle eine Treppe zum Schloßgraben hinabführte. Dort ging der Indianer mit allerlei Gefäßen aus und ein. Vielleicht leerte er den Inhalt derselben ins Wasser aus. In dem Ofen brannte ein mächtiges Feuer, und der Graf war bei Ottmars Eintreten gerade daran, durch die offenstehende Ofentüre ein noch halbvolles Tabaksfaß in die Flamme zu schütten und diesem Stoff das Fäßchen selber nachzuschieben. Es fiel freilich unserm Freunde einen Augenblick lang auf, daß man mit einem solchen Material heizte, aber da er von den Mysterien der Chemie nichts verstand, so beachtete er die Sache weiter nicht.

Der Graf kam ihm gefaßt und ruhig entgegen. Er war blaß, vielleicht noch mehr als sonst, und diese Blässe ließ einen schwärzlichen Fleck auf seiner rechten Wange um so deutlicher hervortreten. Erst bei zufälliger näherer Besichtigung bemerkte Ottmar, daß dieser Fleck nicht, wie er zuerst geglaubt, ein Rußfleck sei, sondern tiefbraun und brandig aussah, wie in die Wange eingebrannt.

»Ich bitte um Entschuldigung, daß ich störe, Herr Graf,« sagte Ottmar. »Aber bevor ich Ihnen über den plötzlichen Verlust Ihres Bruders, dessen Tod ich soeben erfahren, mein Beileid bezeugen wollte, hielt ich es für angemessen, mich einer geschäftlichen Pflicht zu entledigen.«

»Einer geschäftlichen Pflicht?« entgegnete Hippolyt, das Wort seltsam betonend.

»Ja, Herr Graf. Ich bin gestern abend aus der Hauptstadt zurückgekommen mit einer höchst glücklichen Neuigkeit für Sie: Ihr Prozeß ist gewonnen.«

»Der Prozeß ist gewonnen?« rief Hippolyt aus, indem er einen Schritt zurücktrat und seine Stirne sich rötete. »Habe ich Sie recht verstanden, Herr Doktor?«

»Freilich. Der Spruch des höchsten Gerichtshofes lautet vollständig zu Ihren Gunsten, und der schöne Forgforst ist jetzt wieder Ihr unanfechtbares Eigentum. Ich trage die Dokumente, die Sie von dem glücklichen Ausgang der Sache überzeugen werden, bei mir. Hier sind sie. – Gestatten Sie mir, für jetzt nur meinen herzlichen Glückwunsch beizufügen und alle Einzelnheiten auf eine gelegenere Zeit zu verschieben.«

Der Graf nahm die gerichtlichen Ausfertigungen, welche ihm Ottmar darbot, mechanisch hin und sagte, ohne einen Blick darauf zu werfen:

»Also der Prozeß ist gewonnen? Gerade jetzt gewonnen? Gerade an diesem Tage bringen Sie mir die glückliche Nachricht? Es ist seltsam. – Man könnte – eine Ironie des Schicksals –«

Da er abbrach, bemerkte Ottmar:

»Ich begreife, Herr Graf, daß am Tage eines solchen Familienunglücks meine Nachricht nur störend wirken kann. Sie können heute unmöglich zu geschäftlichen Verhandlungen aufgelegt sein und deßhalb –«

»Es ist nicht allein das,« unterbrach ihn Hippolyt. »Nein, ich wollte sagen – aber ich fürchte, ich bin wirklich etwas konfus. Sie halten es mir wohl zugute. – Es kam so plötzlich, der Tod Adalberts nämlich. Der Unglückliche hatte mit uns gefrühstückt – er war doch sonst ganz gesund, ein wenig vollsaftig allerdings. Wenn mir recht ist, erlag auch sein Vater einem Schlaganfall – es mußte also wohl in der Familie der Moosbrunn liegen. – Und dann, Sie wissen ja, Adalbert sprach der Flasche oft mehr zu, als einem Manne von solcher Konstitution zuträglich sein konnte. – Was sollten wir tun? Wir waren vor Schreck ganz versteinert. – Es ging auch blitzschnell vorüber. – Ich wußte nicht, wo mir der Kopf stand, und da wollt' ich mich durch meine gewöhnlichen Arbeiten zerstreuen, sehen Sie.«

Das alles sagte der Graf so bestimmt und kalt und doch wieder so ruck- und stoßweise, daß es fast scheinen konnte, seine Fassung maskierte nur eine heftige innere Unruhe.

»Geben Sie acht, Herr Graf,« sagte Ottmar. »Sie besudeln die Papiere. Ihre Hand blutet. Sie müssen sich während Ihrer Arbeit verletzt haben.«

Hippolyt kehrte sich zur Seite, murmelte etwas, was Ottmar nicht verstand, und betupfte die stark verletzte Stelle am Daumen seiner Linken, aus welcher Blut sickerte, mit einer starkriechenden Flüssigkeit aus einer Phiole, die auf einem Seitentische stand. Hierauf äußerte er:

»Ich habe mich da ungeschickterweise tüchtig verletzt – mit einem Glassplitter, glaub' ich – ja. Auch ist mir aus einem kochenden Tiegel ein Tropfen glühenden Metalls auf die Wange gespritzt, sehen Sie da! Nun, es hat nichts zu sagen. Solche kleine Mißgeschick muß ein Chemiker schon hinnehmen.«

Das Gespräch ging nicht weiter, denn ein Diener trat ein, welcher den Grafen von seiten des Bürgermeisters Baldung ersuchte, ins Speisezimmer hinaufzukommen, wo seine Anwesenheit nötig wäre. Auch Milimach sollte mitkommen.

»Der Bürgermeister Baldung?« fragte der Graf zaudernd. »Ah, das ist der Goldforellenwirt, richtig. Was will denn der? Ich dächte, man sollte so rücksichtsvoll sein, mich zu dieser Stunde mit was weiß ich für Anliegen zu verschonen.«

»Entschuldigen Sie, Herr Graf,« bemerkte Ottmar. »Herr Baldung ist mit mir gekommen und zwar in seiner amtlichen Eigenschaft als Bürgermeister.«

»Was will er denn? Er hat doch, denk' ich, mit dem Forgforstprozeß nichts zu schaffen.«

»Gewiß nicht, aber er hat die Obliegenheit, den Tatbestand der Umstände beim plötzlichen Tode Ihres Bruders protokollarisch festzustellen.«

»Kann denn kein Mensch sterben, ohne daß hinterdrein verfluchte Schreibereien gemacht werden müssen?« fragte der Graf heftig.

»Es ist nun einmal in solchen Fällen eine vom Gesetze vorgeschriebene Formalität.«

»Der Teufel hole alle diese Gesetze und Formalitäten! Warum bin ich doch nicht in den Wildnissen jenseits des Meeres geblieben, wo Dutzende von Menschen sterben können, ohne daß ein Hahn danach kräht! – Ich will Ihnen mal zu gelegener Zeit erzählen, wie ungeniert man sich dort der Kerle entledigt, die einem quer in den Weg kommen. Als ich mit einer Bande Pahnis meinen ersten Kriegszug machte, war da ein Bursch – doch wie gesagt, davon ein andermal. – Aber sagen Sie, Herr Doktor, ist es nicht spaßhaft, daß ein Bernwart sich von einem Bauer gleichsam verhören lassen muß? Eine tolle Zeit! Und die Einfaltspinsel träumen von Wiederherstellung des Mittelalters! Apropos, hat Ihnen Ihr Freund Wate vielleicht schon den hübschen Spaß erzählt, welchen sich meine Frau mit Beihilfe Estrellas und Milimachs mit den zwei mittelaltersüchtigen Poeten machte, die Sie im Sommer bei uns gesehen? Hat er Ihnen davon erzählt? – So – nicht wahr, das heißt man artig genasführt werden? – Aber wie sich Eva über den gewonnenen Prozeß freuen wird! Nun können wir wieder mitsammen auf Reisen gehen. In die Länge wird der Aufenthalt in dem alten Steinnest hier doch gar zu trist und langweilig, besonders für eine junge Dame.«

In diesem Durcheinander erging sich der Graf, während er an der Seite Ottmars den Hof überschritt und die Treppe zum Speisezimmer hinaufstieg. An der Türe desselben blieb er einen Augenblick stehen, wandte sich gegen Milimach um, der auf einen Wink seines Herrn den beiden gefolgt war, und sprach einige Worte in einer Sprache, deren barbarische Kehllaute unsern Freund in ihr ein indianisches Idiom vermuten ließen. Der Indianer erwiderte nichts darauf, sondern nickte nur leicht mit dem Kopfe.

Bei ihrem Eintritt bemerkte Ottmar, daß nichts in dem Zimmer verriet, hier habe vor wenigen Stunden plötzlich der Tod ein junges, strotzendes Leben weggerafft. Die Überreste des Frühstücks waren natürlich längst abgeräumt, aber auch sonst befand sich alles in der gewohnten Ordnung. Auf dem gebohnten Fußboden leicht ausglitschend, machte Ottmar infolgedessen die Wahrnehmung, daß derselbe sehr feucht war und kaum zuvor gewaschen worden sein mußte.

Baldung saß, mit Schreibmaterialien vor sich, an dem großen Speisetisch, welcher mitten im Zimmer stand. Jenseits des Tisches stand die gesamte Schloßdienerschaft im Halbkreise, und hinter ihr lehnte Wate am Pfosten einer offenstehenden Türe, welche in ein Nebengemach führte. Die Gräfin saß in ihrer gewohnten anmutigen Haltung dem Bürgermeister gegenüber, dessen Fragen sie soeben mit ruhiger Sicherheit und Klarheit beantwortet hatte. Ihr Blick streifte Ottmar, und sie erwiderte seinen Gruß mit Freundlichkeit.

»Sie kommen in ein Haus des Todes,« sagte sie zu ihm, »aber Sie sind darum nicht weniger willkommen.«

»Herr Horst ist doppelt willkommen, Madame,« fügte der Graf hinzu, »denn er kommt als Freudenbote. Der ewige Forgforstprozeß ist endlich entschieden und zwar vollständig zu unseren Gunsten.«

»Der Prozeß ist gewonnen?« entgegnete Eva unbefangen. »Nun, dann ist ja alles gut. Wie sehr hat uns Ihr Eifer und Ihre Geschicklichkeit zu Dank verpflichtet, verehrter Freund!«

Ottmar suchte nach einer passenden Antwort, als ihm dieselbe durch Baldung, welcher inzwischen geschrieben hatte, abgeschnitten wurde.

»Herr Graf,« sagte der Bürgermeister, »ich bedaure, daß mich ein so trauriges Ereignis in Ihr Haus führen mußte. Aber ich will mein Geschäft kurz abmachen. Haben Sie nur die Güte, mir einige Fragen zu beantworten.«

»Fragen Sie, da mir dieser peinliche Auftritt doch einmal nicht erspart werden konnte.«

»Ich habe,« fuhr Baldung fort, »ein kurzes Protokoll über den Sachverhalt aufgenommen, und zwar fast durchaus nach Angaben Ihrer hier anwesenden Frau Gemahlin. Dasselbe besagt, daß Ihr Halbbruder, der Freiherr Adalbert von Moosbrunn, heute bei Ihnen zum Frühstück war und zwar zu ungewohnter Zeit, nämlich schon um sieben Uhr, weil er Ihre Frau Gemahlin auf einem kleinen Ausfluge begleiten sollte.«

»So ist es.«

»Weiter: als das Frühstück zu Ende ging, sank plötzlich der Freiherr, als er eben ein Glas mit Wein an den Mund führte, von seinem Stuhle herab, vom Schlag gerührt, machte noch einige leichte krampfhafte Bewegungen und war dann tot.«

»Es ist so; unsern Schrecken können Sie sich leicht vorstellen.«

»Freilich, freilich. – Als das Unglück sich zutrug, war niemand im Zimmer als der Verunglückte, Ihre Frau Gemahlin, Sie und Ihr indianischer Diener, genannt Milimach?«

»Ja.«

»Sie riefen nach Hilfe, nach Wasser, nach Essigäther und anderen Essenzen?«

»Natürlich. Ich stürzte in das Vorzimmer, aber meine Frau kam mir, der ich vor Schrecken ganz perplex war, noch zuvor, und rief die Treppe hinab nach der Dienerschaft.«

»Welche Personen derselben erschienen auf diesen Ruf zuerst?«

»Wenn mir recht ist, denn es entstand ein entsetzlicher Tumult, ja, wenn mir recht ist, kam zuerst das Stubenmädchen Therese Sillig.«

»Therese Sillig,« wandte sich Baldung an die Bezeichnete, »Ihr brachtet Wasser herauf?«

»Ja, Herr, kaltes und heißes.«

»Und was habt Ihr gesehen, als Ihr heraufkamt?«

»Ach Herrje,« erwiderte die Gefragte, eine ältliche und resolute Person, »was hab' ich gesehen? Einen toten Mann hab' ich gesehen, den Herrn Baron. Und der Milimach hob ihn vom Boden auf und der gnädige Herr spritzte ihm Wasser ins Gesicht – es war halt erschrecklich!«

»Ja,« fiel der Graf ein, »ich bespritzte ihn mit Wasser, und da hab' ich in meiner Konsternation statt des kalten auch heißes genommen, und dann kam auch der Essigäther. Aber es war alles umsonst, und weil jedermann sah, daß der Tod unzweifelhaft eingetreten, unterließ ich es auch, nach einem Arzt zu schicken.«

Baldung warf dem Sprecher einen sonderbaren, bohrenden Blick zu, fuhr aber dann ruhig fort:

»Der Tote wurde hierauf in das Nebenzimmer dort gebracht, der Frühstückstisch abgeräumt und der Boden gescheuert. Wer besorgte das letztere?«

»Wer anders als ich, Herr?« entgegnete Therese Sillig. »Ich tat's, in Gemeinschaft mit der Madlen' Wimpf da.«

»Wer gab Euch dazu den Befehl?«

»Die gnädige Frau, Herr.«

Die Gräfin nickte bestätigend.

»Es ist nicht meines Amtes, weitere Fragen zu stellen,« sagte Baldung, »und ich habe jetzt nur noch den Toten zu besichtigen.«

Er stand auf und ging in das Nebenzimmer, wo der Leichnam auf ein Sofa gelegt worden war. Er war noch in voller Kleidung, gestiefelt und gespornt, wie er in der Frühe von Hause weggeritten, dem Tode entgegen. Das sonst sorgfältig frisierte Haar des Toten war verwirrt, sein Gesicht furchtbar verzerrt, Hemd, Halsbinde, Weste und Rock waren mit Feuchtigkeit getränkt.

Es kostete Ottmar, welcher mit Baldung und dem Grafen eingetreten, fast Mühe, seinen Blick auf dieses von einem plötzlichen und gewiß nicht sanften Tod gezeichnete Antlitz zu heften. Aber immer wieder kehrten seine Augen darauf zurück und hafteten an einem kleinen aufgeschürften und blutunterlaufenen Fleck rechts am Kinn des Toten und an einem zweiten links vom Munde gegen die Wange hinauf, der anders aussah als jener, nämlich nicht bläulich, sondern braunrot und brandig.

Ein unbestimmtes Entsetzen faßte ihn an, als er unwillkürlich dieses Brandmal mit dem auf der Wange des Grafen sichtbaren verglich. Er wollte sich von einem gräßlichen Gedanken befreien, indem er einen fragenden Blick auf Wate warf, der zu Häupten des Totenlagers stand.

Aber Wates Gesicht war ein siebenfach verschlossenes Buch. Kein Zug in demselben regte sich, und scheinbar gleichgültig ließ der Grimme sein Auge von einem der Anwesenden zum andern laufen.

»Es ist ein recht trauriger Anblick, meine Herren, nicht wahr?« sagte der Graf, dem Toten die starr gewordenen Hände auf der Brust übereinanderlegend. »Da sehen Sie, der Unglückliche ist ganz entstellt, und die zwei Flecken hier in seinem Gesicht müssen von dem heißen Wasser herrühren oder auch ist er mit dem Gesicht beim Niedersinken an der Kante des Tisches aufgeschlagen.«

Niemand schien Lust zu haben, über diesen Erklärungsversuch eine Bemerkung zu machen, aber unter Baldungs zusammengezogenen Brauen hervor schoß wieder auf den Grafen so ein Blick, wie er demselben schon vorhin einen zugeschleudert hatte.

»Er war ein kräftiger Mann,« sagte plötzlich die tiefe, weiche Metallstimme der Gräfin im Rücken der Männer, »und er hätte wohl auf eine lange Lebensbahn hoffen können. Aber die Guten sterben ja jung, sagt der Dichter.«

Es war kein Hohn, keine Aufregung in Klang und Betonung dieser Worte, und doch meinte Ottmar, es liege darin etwas furchtbar Schneidendes, etwas, das ihn im Innersten zusammenschaudern machte. Er sah sich um und der Sprecherin ins Auge. Aber sie hielt seinen Blick so ruhig aus, wie sie jetzt den vor ihr liegenden Toten betrachtete.

Dieses große, tiefschwarze, im reinsten Schmelz schimmernde Frauenauge war ein Abgrund, ja, aber wer mochte sagen, was er in seiner Tiefe barg?

»Mein Geschäft hier ist zu Ende,« sagte Baldung, das Wort »hier« leicht betonend; »ich wünsche den Herrschaften guten Tag.«

Er schritt hinaus, nahm sein Protokoll zu sich und ging, ohne sich umzusehen. Auch Ottmar und Wate beurlaubten sich mit wenigen Worten und folgten dem Bürgermeister, welchen sie auf dem Hofe einholten. Jenseits der Zugbrücke stand der alte Mann einen Augenblick still, kehrte sich gegen das Schloß und sagte:

»Viel Böses und Gräßliches mag schon innerhalb dieser alten Mauern vorgegangen sein, aber heute – doch wir wollen machen, daß wir heimkommen.«

Es wurde zwischen den Männern kein Wort gewechselt, bevor sie den Bühl erreicht hatten, was bald geschehen war, da Baldung mit starken Schritten voranging.

Zu Hause bat er die Freunde, für einen Augenblick mit ihm ins Hinterstübchen zu kommen. Dort öffnete er das Fenster und rief auf den Hof hinaus: »Brosi!«

Der alte Knecht steckte den Kopf aus einer Wandluke der großen Scheune drüben.

»Auf der Stell' die zwei besten Gäul' an das Bernerwägele!« befahl ihm der Meister. »Der Jörg soll mich fahren.«

»Was wollt Ihr tun, Herr Baldung?« fragte Ottmar.

»Was ich muß, schätz' ich. Was Gewissen und Amtspflicht mir vorschreiben.«

Dann in die Mitte des kleinen Gemaches tretend, sah er die beiden Freunde fest an und sprach nachdrücklich:

»Ich sag', das ging nicht mit rechten Dingen zu!«

Und als die beiden schwiegen, wiederholte er:

»Nein, es ging nicht mit rechten Dingen zu. Wie es zuging, ich weiß es nicht, aber rechtschaffen ging es nicht zu – ich würde, schätz' ich, gleich den schwersten Eid darauf ablegen. – Ihr Mannen, habt ihr bemerkt, wie der Graf mit Erklärungen bei der Hand war, die man gar nicht von ihm verlangte? Habt ihr die Verletzungen bemerkt, die der Tote im Gesicht trägt? Habt ihr auch den großen brandigen Fleck auf dem frischaufgewaschenen Fußboden bemerkt, hart neben dem Tisch?«

»Den letzteren beachtete ich nicht,« erwiderte Ottmar.

»Aber ich,« sagte Wate, der jetzt zum erstenmal das Schweigen brach, welches er den ganzen Auftritt im Schloß über und auch nachher beobachtet hatte.

»Wem wird es,« fuhr Baldung fort, »unter solchen Umständen einfallen, sogleich ein Zimmer auswaschen zu lassen! wenn nicht – Doch ich will mich dabei nicht aufhalten. Aber habt ihr gesehen, daß der Tote auf seiner linken Wange ein Brandmal hat, das akkurat so aussieht wie das auf der rechten Wange des Grafen? Und habt ihr bemerkt, daß der Graf am linken Daumen verwundet ist? Ich hab's wohl gesehen, obgleich er die Papiere, die er in der Hand hielt, immer so drehte, daß man nichts sehen sollte.«

Beide Freunde bejahten, den letzteren Umstand beachtet zu haben, allein Ottmar teilte zugleich die Erklärung mit, welche ihm der Graf über die Verwundung seiner Hand gegeben.

»Hm,« sagte Baldung, »das scheint mir auf und eben zu dem übrigen Larifarizeug zu passen, was er vorbrachte. – Und so wende ich mich denn an Euch, Herr Wate, der Ihr ein Arzt gewesen und noch seid, wenn es Euch gerade drum ist, und ich frage Euch als einen Ehrenmann und frage Euch auf Euer Gewissen, glaubt Ihr, daß der Freiherr Adalbert von Moosbrunn eines natürlichen Todes gestorben?«

»Nein,« erwiderte Wate tonlos.

»Und wie, vermutet Ihr, wie starb er?«

»An Gift.«

»Wate,« rief Ottmar, »das ist eine furchtbare Beschuldigung!«

»Ich weiß es, ich weiß es,« entgegnete der im Bart, dessen gebräuntes Gesicht bleich geworden war wie die Wand. »Ja, es ist eine furchtbare Beschuldigung, aber nicht furchtbarer als das, was heute morgen in jenem unseligen Zimmer in Bernwartshall vorgegangen sein muß.«

»Muß? Bedenke dich wohl!«

»Ich habe alles bedacht.«

»Es ist genug,« sagte Baldung mit tiefem Ernst. »Ich werde tun, was ich muß, euch beide aber verpflichte ich bei Ehre und Gerechtigkeit, weder mündlich noch schriftlich, weder unmittelbar noch mittelbar mit dem Schlosse zu verkehren, bevor ich zurückkomme. Das Recht muß gehandhabt weiden, gegen den Grafen wie gegen den Bauer.«

Er ging, sagte seiner Tochter im Vorbeigehen an der Küche ein flüchtig Wort und stieg rasch auf das Bernerwägele, welches an der Haustreppe vorgefahren war; aber erst drunten auf der Straße bog er sich zu dem Knecht, der ihn fuhr, vornüber und sagte leise zu ihm:

»Nach ––stadt, und fahr zu, was d' Sträng' halten!«

Gegen Abend erfuhren die erstaunten Bewohner des Dorfes, daß ein zahlreiches Gerichtspersonal aus der Stadt in dem gräflichen Schloß angelangt sei und Bernwartshall von Gendarmen bewacht werde.

Aber am folgenden Morgen verbreitete sich weit das Forgtal hinauf und hinab mit Flugschnelle die unerhörte Kunde, daß der Graf und die Gräfin von Bernwart samt ihrem »Wilden« verhaftet und gefangen nach der Stadt abgeführt worden seien, alle drei beschuldigt des vollbrachten Giftmordes an Adalbert Freiherrn von Moosbrunn.

4. Schuldig oder Nichtschuldig?

»Mir ist ein Freund vonnöten! – Wenn Sie sich noch der Stunde erinnern, in welcher ich dieses Wort zu Ihnen sprach, so werden Sie auch jetzt seinem Klang Ihr Ohr nicht verschließen. Es wäre grausam, und Sie dürfen, Sie können nicht grausam sein, jetzt, wo Sie einem Glück entgegengehen, von welchem die Kunde auch in diese Gefängnismauern gedrungen ist. Segen über Sie, mein Freund, und Segen über die, an deren Seite Sie ein neues Leben beginnen wollen. – Ein neues Leben? Wie das verheißungsvoll klingt und süß lockt! – Aber bin nicht auch ich noch jung und schön und fähig, das Leben zu lieben und zu genießen? Schlagen nicht auch meine Pulse sehnsüchtig dem blauen Himmel und der grünen Erde und der Sonne und allem Schönen entgegen, was sie bescheint? – Nein, ich kann, ich will nicht sterben! In meinem Herzen ist noch Raum für alle Lust und alles Leid des Lebens – ich will noch nicht sterben! Ich verlache den Tod, der mit plumper Faust nach mir greift, und ich biete den Menschen Trotz, die in der heuchlerischen Schadenfreude ihrer Gedanken schon das Schafott für mich aufschlagen. Es soll zwischen mir und ihnen ein Kampf sein auf Leben und Tod um Tod und Leben. Und ich werde nicht unterliegen, nein! – Aber mir ist ein Freund vonnöten, ein Beistand und Rater. Ich habe heute dem Instruktionsrichter erklärt, daß ich zu meinem Verteidiger Sie gewählt. Werden Sie diesem Ruf entsprechen? Ich hoffe es, hoffe es mit allen Fibern meiner Seele, denn ich fühle, daß an Ihrem Ja oder Nein mein Leben hängt. Eva

Ottmar reichte diesen Brief schweigend dem Aivli hin.

Das Mädchen las ihn und rief dann lebhaft aus:

»Du mußt dem Rufe folgen, Ottmar, mußt die Verteidigung übernehmen! Wie dürfte man die unglückliche Frau in dieser Not verlassen? Am Ende ist sie doch unschuldig!«

Das war gewiß hochherzig von dem Aivli gesprochen, denn Ottmar hatte seiner Braut gewissenhaft alles mitgeteilt, was zwischen der Gräfin und ihm vorgegangen, und wir vermuten, daß die Erinnerung an jene berauschende Mondscheinstunde im Bärenschlößchen – auch diese hatte unser Freund in seiner Beichte nicht überhüpft – in den Herzen von tausend Bräuten, die an Aivlis Stelle gewesen wären, einen Stachel der Eifersucht zurückgelassen hätte, welcher sich bei dieser Gelegenheit unsanft genug geregt haben würde.

»Und was meint Ihr, Vater Baldung?« fragte Ottmar seinen künftigen Schwiegervater, welcher dabeistand.

»Hm,« versetzte der Goldforellenwirt, »so geradezu für unschuldig, wie 's Aivli meint, kann ich die Frau nicht ansehen. Jedennoch kann sie, schätz' ich, immerhin mehr oder weniger schuldig sein. Daß sie bei Vollbringung des Verbrechens Hand mit angelegt habe, das glaub' ich nicht. Ein Weib müßte ja, bi Gott, sozusagen aufgehört haben, Weib zu sein, ehe es sich in solche Gewaltsamkeiten mischt, wie sie allem nach vorgefallen sein müssen, als der Graf und sein Wilder dem unglücklichen Baron das Gift einzwangen. Aber mit dabeigewesen ist sie doch, denn sie befand sich im Zimmer, als das Gräßliche geschah. Ich kann sie nicht freisprechen, möcht' sie aber auch nicht verurteilen, so, wie die Sachen bis jetzt liegen, und ist mir's daher sölli recht, daß ich diesmal nicht auf die Geschworenenbank bin berufen. Jedennoch, seht Ihr, lieber Ottmar, ich sag' wie 's Aivli: Ihr müßt die Verteidigung der unglücklichen Frau übernehmen. 's ist Menschen- und Christenpflicht. Das sei Euer letztes Advokatengeschäft, wenn es Euch so gefällt. Und dann wollen wir, mein Meidli und ich, Euch zu 'nem rechtschaffenen Landmann machen. Nicht wahr, Aivli?«

»O, Vater,« versetzte das schöne Kind lächelnd, »ich will numme den Ottmar nicht anders machen. Er ist mir so grad' sölli recht.«

»Wohl, so will ich tun, was ich kann,« sagte Ottmar; »denn, offen gestanden, ich fühle mich fast dazu verpflichtet, weil ich mich noch immer des Gedankens nicht entschlagen kann, das Gräßliche wäre vielleicht gar nicht geschehen, wenn ich den Grafen einen Tag zuvor von dem glücklichen Ausgange des Prozesses über den Forgforst unterrichtet hätte.«

Er sagte das auch seinem Freunde Wate wieder, als er ihm mitteilte, daß er sich entschlossen hätte, die Verteidigung der Gräfin vor dem Schwurgericht zu übernehmen, vor welchem der furchtbare Kriminalfall, welcher ungeheueres Aufsehen im Lande machte, demnächst zur Verhandlung kommen sollte.

Wate schüttelte seinen Bart und erwiderte:

»Ich glaube, du kannst dich beruhigen. Meines Erachtens war der Graf – von dem Indianer gar nicht zu sprechen, denn der hätte uns allen die Kehlen abgeschnitten, wenn sein Sachem es ihm befohlen – ja, daß der Graf nur die Hand war, dessen sich ein anderer Wille zur Ausführung eines Anschlags bediente, welcher eine ganz andere Quelle hatte als die Sorge um den Forgforst und dessen Geldwert.«

»Du meinst –«

»Ich meine gar nichts, lieber Junge, als daß du dich jener Zögerung wegen nicht zu grämen brauchest. Im übrigen wirst du einen schweren Stand haben als Verteidiger. Du weißt, die Untersuchung hat die Tatsachen des Giftmordes bis zur Evidenz festgestellt. Die Sektion des Ermordeten hat eine Tötung durch Gift klar erwiesen, und die Analyse des Giftstoffes hat ergeben, daß es Nikotin war. Mit Herstellung dieses aus Tabak gewonnenen Giftes hat sich der Graf erwiesenermaßen lange und eifrigst beschäftigt –«

»Ja, als der Name des Giftes zuerst genannt wurde, da hab' ich mich auch plötzlich wieder daran erinnert, daß ich bei meiner ersten Zusammenkunft mit dem Grafen auf dem Tische desselben die Orfilasche Toxikologie aufgeschlagen fand und zwar an der Stelle, wo vom Nikotin gehandelt wurde.«

»Ja, er hat sich halb zu Tode studiert und laboriert, um sich endlich um den Kopf zu laborieren. Und das macht mich wieder einigermaßen wankend in meiner Ansicht, daß die intellektuelle Urheberschaft des Verbrechens in einer anderen als in seiner Brust gelegen. Der Brudermord war lange vorbereitet. Im übrigen wirst du wissen, daß man den ganzen Apparat, womit der Graf das Gift herstellte, endlich in dem Schlamm des Schloßgraben gefunden, nachdem man das Wasser abgelassen. Auch der Zeugschmied, bei welchem der Graf denselben kaufte, ist ermittelt. Und endlich hat man auch den Indianer mürbe gemacht, der so lange allen Fragen nur das hartnäckigste Stillschweigen entgegensetzte. Der Mann, welcher seinem Herrn anhängt, treuer als je ein Hund dem seinigen, will zwar alle Schuld auf sich allein nehmen, aber seine naturalistische Schlauheit hat gegen die inquisitorische Kunst des Untersuchungsrichters nicht in die Länge standzuhalten vermocht. Ich wollte jedoch, diese ganze häßliche Geschichte wäre einmal vorüber und zu Ende. Sie hat mir die ganze Zeit her allen meinen gastrosophischen Humor schmählich verdorben. 's ist ein Elend!«

Ottmar nahm seinen Weg nach der Kreisstadt, wo die Assisen stattfinden sollten, über die Residenz, um seine dortige Junggesellenwirtschaft aufzuheben und seine Siebensachen ins Forgtal hinaufzuschicken.

In der Kreisstadt angelangt, um die Geschäfte eines Verteidigers zu übernehmen, mußte er sein Herz gewaltsam zusammenfassen, als es die erste Zusammenkunft mit seiner Klientin galt und er durch das Schneegeriesel eines düsteren Novembertages dem Gefängnis zuschritt.

Ein tiefer Schmerz ging durch seine Seele, als sich die Türe der trübseligen Zelle vor ihm auftat und Eva ihm entgegentrat. Er war auf eine leidenschaftliche Begegnung gefaßt gewesen, aber die ruhige Fassung der Gefangenen beschämte die seinige.

Eva war noch immer, auch jetzt noch, die blendend schöne Tochter der Luft. Selbst der Gefängnisbrodem hatte der Schönheit dieser Gestalt, dieser Züge nichts anzuhaben vermocht. Aber es war zugleich in der Erscheinung der Gräfin etwas Stilles, Strenges, fast dämonisch Großes. Ottmar sagte später zu Wate, der erste Anblick der Gefangenen hätte ihn an die Schilderung der Parzen durch einen neueren Dichter gemahnt, welche ihm unlängst zuvor bei Verpackung seiner Bücher zufällig vor Augen geraten:

Sie standen mit ungelocktem Haar,
Eiserne Kränze über den Stirnen.
Die Augen, ohne Lieb' und ohne Zürnen,
Mit ruhig brennenden, wimperlosen Sternen,
Sahn wie in unerschöpfte Fernen;
Ihr Wuchs war zart, nicht übermenschlich groß.
Graue Gewande flossen herab
In wenig Falten, regungslos.
Es war kein Zug, der Reiz und Wechsel gab,
Doch eine Klarheit –

Ja, eine Klarheit, der äußeren Erscheinung nicht nur, sondern auch des Geistes, eine Konzentration der Seele, die das Mitleid abwies, aber schmerzlichstes Bedauern hervorrufen mußte, daß es mit einem solchen Wesen dahin gekommen.

Was bei dieser und bei weiteren Zusammenkünften Ottmar mit seiner Klientin verhandelt, was er erfuhr, was ihm gebeichtet wurde, er hat es nie jemand mitgeteilt, außer vielleicht einer, dem Aivli. Aber wenn – das Aivli ließ nie ein Wort davon verlauten. Möglich auch, daß unser Freund es für das Passendste hielt, die kristallene Reinheit der Seele seiner Braut auch nicht einmal für einen Augenblick durch Mitteilung einer Beichte zu trüben, welche ein dämonisches Bild, aus Eis und Flammen gewoben, ihr hätte vor Augen führen müssen.

Der entscheidende Tag kam endlich.

Richter und Geschworene nahmen ihre Plätze ein, die Angeklagten wurden vorgeführt, und ihnen nach strömte die Menge der Zuschauer in den Gerichtssaal, dessen weite Räume aber das von nah und fern herbeigekommene Volk nur zu einem kleinen Teile zu fassen vermochten. Kopf an Kopf staute es sich draußen vor den Türen, die ganze Straße hinab.

Drinnen nahm das furchtbare Drama mit einer Eröffnungsrede des Präsidenten seinen Anfang.

Aber wir widerstehen dem Reiz, dieses Drama von Szene zu Szene zu verfolgen, und heben nur einiges aus.

Es war im Publikum bekannt geworden, daß der Graf in der Instruktion des Prozesses die intellektuelle Urheberschaft des Brudermordes von sich ab und auf seine Gemahlin wälzen wollte. Da war man nun doppelt gespannt auf den pikanten Kampf auf Tod und Leben, welcher sich zwischen dem gräflichen Paar entwickeln würde. Aber hierin täuschte man sich.

Die Gräfin war zuerst eingeführt worden. Sie ließ, als sie auf der Anklagebank Platz genommen, ihr großes Auge ruhig über die Versammlung schweifen, um es dann ohne Verlegenheit wie ohne Bedenken zu senken und still in sich gefaßt dazusitzen, bis Hippolyt mit Milimach eingeführt ward und ihr gegenüber sich niedergelassen. Nun sah sie wieder auf und heftete ihren Blick auf den Grafen. Er wollte demselben ausweichen und wandte sich zur Seite, seinem treuen Indianer zu, der mit dem ganzen Stoizismus seiner Rasse dasaß und in seinen Zügen nicht einmal Neugier über das um ihn her sich vorbereitende Schauspiel, geschweige eine tiefere Erregung verriet.

Aber wer Hippolyt genau beobachtete, konnte sehen, daß der unglückliche Mann die Magie von Evas Blick fühlte, daß seine Seele unter der Macht dieses Auges sich wand, bis er endlich seinen Blick in ihren tauchte, sich an demselben festsog und endlich, während die Farbe seines Gesichtes ging und kam, mit der Hand gegen Eva hin eine beschwichtigende und gewährende Geberde machte, worauf ein Strahl der Befriedigung über die stolze Stirne der Tochter der Luft hinflog.

Wohl nur wenige der im Saale Anwesenden hatten diese kurze und stumme Episode bemerkt, und doch hing von derselben vielleicht das Leben Evas ab. Ottmar hatte darauf geachtet und erfuhr bald, daß seine Aufgabe als Verteidiger wesentlich dadurch erleichtert wurde.

Als die abgesonderten Verhöre der Angeklagten begannen und Hippolyt zuerst an die Reihe kam, nahm der Staatsanwalt und mit ihm alle, welche die Untersuchungsakten kannten, mit Erstaunen wahr, daß der Graf das System seiner Verteidigung vollständig geändert. Er sagte jetzt aus, seine frühere Bemühung, seine Frau in sein Unglück zu verwickeln, müßte aus einer Art Geistesstörung entsprungen sein. Evas ganze Schuld bestände darin, daß sie eine unfreiwillige Zeugin des Streites zwischen ihm und seinem Bruder gewesen sei, welcher sich um des Forgforstprozesses willen beim Frühstück erhoben, allmählich zur Erbitterung sich gesteigert und so tragisch geendigt hätte – durch die Vorschnelligkeit seines indianischen Dieners. Als es nämlich zwischen ihm und Adalbert zuletzt zu Tätlichkeiten gekommen, welchen die Gräfin vergeblich hätte ein Ende machen wollen, habe er in seinem Jähzorn Adalbert einen Faustschlag an die rechte Schläfe versetzt, welcher den Getroffenen ohnmächtig zu Boden geworfen. Da hätte er dem Indianer zugerufen, Wein vom Büffett zu holen, um den Ohnmächtigen davon einzuflößen. Zum Unglück wäre aber auch eine Flasche mit Nikotin auf dem Büffett gestanden, denn er hätte dem Bruder versprochenermaßen am nämlichen Morgen an einem Hunde eine Probe seiner Chemie zeigen wollen. Diese Flasche habe Milimach erwischt, auch wohl ganz unschuldigerweise, und hätte von dem Inhalt in ein Glas gegossen, um dasselbe dem Ohnmächtigen an den Mund zu setzen, während er selbst den Kopf desselben in seinem Schoß gehalten. Adalbert wäre inzwischen wieder halb zu sich gekommen, hätte mit den Armen um sich geschlagen und zugleich ihn, den Grafen, in den Daumen der linken Hand gebissen. Daraufhin hatte der Indianer, vielleicht erbost über die Verwundung seines Herrn, den Inhalt des Glases mit Gewalt in Adalberts Mund gezwängt. Hierbei aber sei bei einem Stoß Adalberts an das Glas ein Tropfen von dem Inhalte desselben ihm, dem Grafen, auf die Wange gespritzt, und jetzt erst habe er mit tödlichem Schreck den Fehlgriff des Indianers bemerkt.

Dies der wesentliche Inhalt einer Angabe, welche im ganzen Saale nur ein Achselzucken erregte. Die Verteidigung war doch auch gar zu schwach, fast albern und lächerlich. Jedermann fühlte, daß der Graf daran verzweifelte, sich aus dem Netze von Beweisen gegen ihn loszuwinden, zu welchem die sorgsame Instruktion des Prozesses Masche an Masche gereiht hatte. »Er gibt sich verloren«, dachte Ottmar.

Das Verhör Milimachs ergab nichts Neues. Der störrische Wilde, welchem das ganze Verfahren offenbar ein Rätsel war, gab nur einige wenige Antworten und blieb in diesen dabei, er hätte dem Bruder des Sachems das »tödliche Feuerwasser« mit Gewalt eingegossen, weil derselbe dem Sachem jederzeit feind gewesen und zuletzt noch den Sachem in die Hand gebissen. Auf weiteres Andringen sagte er noch mürrisch, die weiße Squaw des Sachems, wie er die Gräfin nannte, sei bei der Sache nicht beteiligt gewesen.

So wurden denn die Angaben Evas, die sie mit ruhiger Bestimmtheit, ohne alle Affektation, mit keinem Schwanken der Seele, keinem Beben der Stimme machte, schon mit einem günstigen Vorurteil angehört. Sie behauptete, umsonst sich bemüht zu haben, den Streit zwischen den beiden Brüdern zu schlichten. Während der eigentlichen Katastrophe sei sie im Nebenzimmer gewesen, einfach deshalb, weil sie das Widerwärtige, was sie nicht zu hindern vermochte, den Zank zwischen den Brüdern nämlich, nicht länger habe mitansehen können. Den Einwurf, warum sie denn nicht nötigenfalls Leute herbeigerufen, um den Streit zu schlichten, parierte sie gewandt, indem sie sagte, es hätte sich für die Frau ihres Mannes doch wohl kaum geziemt, die Dienerschaft einen solchen Auftritt mitansehen zu machen. Daß sie, nachdem das Unglück geschehen, befohlen habe, das Zimmer aufzuräumen und zu scheuern, das sei, wie sie jetzt einsehe, allerdings eine Unklugheit gewesen, eine Unklugheit jedoch, welche, wie sie glaube, wenn auch nicht die Männer, so doch die Frauen leicht begreiflich und verzeihlich finden würden.

Der Hauptsache nach war diese Aussage dieselbe, welche Eva vom Anfang der Untersuchung an gemacht, und woran sie mit ruhiger Konsequenz festgehalten hatte.

Die Zeugenverhöre währten bis tief in den folgenden Tag hinein, und wie die Trauerspiele Shakespeares, so hatte auch diese kriminalistische Tragödie ihre komischen Zwischenszenen. Man atmete ordentlich auf, wenn in dieses düstere Gewebe, inbetreff dessen Zettelung trotz alledem, trotz der halben und ganzen Geständnisse, trotz der festgefugten Kette der Schuldbeweise noch so vieles dunkel blieb, so dunkel, daß der eigentliche Nerv des Gräßlichen immer nicht zum Vorschein kommen wollte und auch, wie viele fühlten, wirklich überhaupt nicht zum Vorschein kam, weil der Prozeß um den Forgforst dieser Nerv doch wohl nicht sein konnte – wir fügen, man atmete ordentlich auf, wenn in dieses düstere Gewebe der Humor da und dort einen hellen Faden einschlug.

So ein heller Faden war die Erzählung des guten Herrn Tauberich, der zum höchsten Ergötzen der Zuhörer seine mit unendlich vielen gleichsams durchspickte Tabaksgeschichte, die wir schon kennen, als Zeuge hier nochmals zum besten gab. Ferner gestaltete sich zu so einem hellen Faden zuletzt auch die Vernehmung des frommen Jeremias, welcher als Belastungszeuge gegen die Gräfin auftrat und dieselbe unter vielen heiligen Redensarten als eine »Teufelin« bezeichnete, welche des Ärgsten fähig sei. Zu seinem Unglück verleitete aber sein Tugendeifer den würdigen Mann dazu, ein Beispiel dessen anzuführen, wessen die Angeklagte wirklich fähig war. Er erzählte nämlich, wie er auf unzweifelhafte Veranstaltung der Gräfin tückischerweise in den Schloßgraben gestürzt worden sei; wobei er nur durch Gottes besonderen Beistand mit dem Leben davongekommen. Da hatte sich denn Ottmar wieder einmal für den Bruder zu schämen, und dachte bei sich, der Jeremias müsse bei der fraglichen Gelegenheit allerdings etwas Wichtiges, nämlich ein gut Teil von seinem Verstande verloren haben, daß er sich so blamieren möge. Über die Sache befragt, erklärte die Gräfin trocken, mit dem Sturze des Pfarrers in den Graben, welcher übrigens nicht lebensgefährlich tief sei, habe es seine Richtigkeit. Der Mann hätte sich nämlich erfrecht, unter leidenschaftlichem Gebaren ihr eine Liebeserklärung zu machen, und sie hätte dieser für seinen Stand höchst unpassenden Flamme eine kleine Abkühlung zuteil werden lassen wollen. Die Heiterkeit, welche hierauf allwärts im Saale losbrach, überzeugte Jeremiam, daß er besser getan hätte, seine Grabenfahrt für den Verlag des Rauhen Hauses zurechtzustutzen, als diese »erweckliche Geschichte« hier einem profanen Publikum preiszugeben, und wenn er früher im Sinne gehabt, auch über die Liebessignalgeschichte auszusagen, um die Angeklagte recht zu kompromittieren, so hielt er es jetzt für geraten, zu schweigen, um nicht noch länger in der etwas bedenklichen Beleuchtung eines verschmähten Liebhabers dazustehen.

Erst am dritten Tage der Prozedur konnten die Parteivorträge beginnen. Der Staatsanwalt hielt zwar auch gegen Eva die Anklage fest, mußte aber selbst gestehen, daß die Motivierung derselben unter den Umständen, welche sich aus den Verhandlungen ergeben hätten, auf schwachen Stützen stände.

Das Plaidoyer Ottmars beseitigte diese Stützen vollends, und so überraschte es nicht, daß, nachdem der Präsident sein Resümee gegeben und die Fragestellung besorgt hatte, die Geschworenen nach nicht sehr langer Beratung mit ihrem Schuldig! für Hippolyt und Milimach, ein Nichtschuldig! für Eva zurückbrachten.

Sie nahm es hin, wie sie die ganze Prozedur hingenommen hatte, mit Ruhe. Über das Gesicht des Grafen lagerte sich für einen Augenblick fahle Blässe und er senkte das Haupt tief auf die Brust. Dann hob er es wieder in die Höhe, und der Blick, welchen er jetzt auf seine Frau warf, erwirkte ihm von vielen der Anwesenden Verzeihung. Es war der Blick eines Wilden, aber eines Wilden, dessen Wildheit in Liebe schmilzt.

Der rothäutige Wilde an seiner Seite konnte das Todesurteil – zu vollziehen mittels des Fallbeils – welches der Präsident über die zwei Schuldigbefundenen aussprach, mit nicht größerem Stoizismus vernehmen, als sein Sachem es tat.

Der Unglückliche begnügte sich, zu seinem Schicksalsgenossen gewendet in indianischer Sprache zu sagen:

»Mein Bruder Milimach und ich sterben zusammen. Es ist alles gut: Eva ist gerettet!«

Es erfolgte von seiten der Verurteilten keine Berufung an den Kassationshof.

Das Urteil wurde daher am dritten Tage darauf in der Kreisstadt unter ungeheurem Zulauf vollzogen.

Eva war bei ihrem Manne geblieben, bis er zu dem schrecklichen Gang abgeholt wurde. Er hatte sie zuletzt noch gebeten, ihm das Flortuch, welches sie um den Hals trug, um den Nacken zu schlingen. Dieses Tuch hielt er noch fest in der Hand, als das Fallbeil seinen Kopf vom Rumpfe schlug. Priesterlichen Trost hatte er mit ruhiger Bestimmtheit zurückgewiesen. Der Indianer, der unmittelbar nach seinem Herrn gerichtet wurde, hatte beim Besteigen des Schafotts die rauhen Töne des Todesgesanges seines Stammes angestimmt.

Und den Bewohnern des Forgtals sollte der trübe Wintertag, an welchem der letzte Bernwart durch Henkershand starb, noch durch eine weitere Katastrophe ins Gedächtnis geprägt werden. In der Nacht, welche diesem Tage folgte, wurden die schlafenden Dörfler durch eine furchtbare Explosion aufgeschreckt. Das Tagesgrauen zeigte den Herbeigeeilten die teilweise Zerstörung von Berwartshall. Das Laboratorium des Grafen und mit demselben ein gut Teil der anliegenden Baulichkeiten war in die Luft geflogen.

Unter den Trümmern fand man den gräßlich zerfetzten, fast nur noch an seiner Hautfarbe erkennbaren Leichnam der Tochter Milimachs.

5. In die weite Welt und in die Brautkammer.

Aber auch schreckliche Ereignisse verlieren in dem rastlos sich umschwingenden Wirbel des Lebens die Grellheit ihrer Färbung, welche anfangs den Augen so wehtut, und dem Rückblick auf die Vergangenheit erscheint auch das Unerhörteste und Furchtbarste, was damals geschehen, so und nur so, als hätte es gerade geschehen müssen, wie es geschah. Ungewöhnlich frohe Tage der Gegenwart verflüchtigen vollends die Schatten, welche vorübergegangenes Unheil in den Gemütern zurückgelassen, und es ist gut, daß es so ist; der Mensch käme sonst aus dem Jammer gar nicht heraus.

Als die ersten Lerchen aus den sich begrünenden Matten am Ufer der Forg tirilierend in die Höhe stiegen, da dachte im Forgtal wohl kein Mensch an das Trauerspiel von Bernwartshall. Das machte, jedermann hatte genug zu denken und zu reden von der prächtigen Hochzeit, die am heutigen Frühlingstage in der Goldforelle im Bühl gefeiert wurde.

Das ganze Tal war sozusagen geladen, denn Meister Baldung wollte sich heute noch einmal als Wirt sehen lassen, wollte den Leuten noch einmal zeigen, was die alte Goldforelle in bezug auf Küche und Keller zu leisten imstande wäre. Dann, zugleich mit dem Ehrentage seiner Tochter, sollte auch das Wirtschaften ein Ende haben. Sowie die letzten Gäste fort wären, sollte das alte Goldforellenschild, welches unter dem vorspringenden Dach des Hauses so lang ein Ehren gehangen, herabgenommen werden.

Es war dem alten Manne doch recht schwer geworden, diesen Entschluß unwiderruflich zu fassen, aber er brachte dieses Opfer seinem Schwiegersohn, ohne ihm auch nur den leisesten Wink zu geben, daß es ein Opfer sei.

Gegen die zehnte Morgenstunde setzte sich der Hochzeitszug vom Bühl herab nach der kleinen Kirche von Forgau in Bewegung. Es ging hierbei, wie bei der ganzen Hochzeit, streng nach altem Brauch und ländlicher Sitte zu. Vorauf blies und geigte eine Bande von Bergknappen den Hochzeitsmarsch, mächtige Bandschleifen an ihren Geigen und Klarinetten und Waldhörnern. Dann eröffneten die ledigen Mädchen den Zug, und hinter ihnen schritt die Braut, die altgebräuchliche, aus Gold- und Silberflittern hochaufgebaute Brautkrone auf dem Haupte, zwischen den zwei Brautführern gehend, und diese waren der alte Brosi und Wate im Bart, ausgerüstet, wie sich's für ihr hohes Ehrenamt ziemte, nämlich so: An dem linken Rockärmel, mittels weißer Schnüre befestigt, prangte ihnen das aus Silberzindel gefertigte Junggesellenkränzchen, auf den Hüten trugen sie kolossale Sträuße von künstlichen Blumen, in der Rechten hielt jeder von ihnen einen entblößten Degen, von dessen Griff bunte Bandschleifen herabhingen, und in der linken eine Zitrone, in welche ein mächtiger Rosmarinstengel gesteckt war. Hinter der Braut und ihren Führern kamen die ledigen Burschen, die sich bedeutend mit Juchzen angriffen, und dann sah man den Bräutigam, ebenfalls mit dem Junggesellenkränzchen geschmückt und mit einem großen Strauß auf dem Hute, zwischen den beiden Brautjungfern gehen, die aber eigentlich den Titel »Hochzeitmägde« führten. Nun kamen die verheirateten Frauen, und nach ihnen schlossen die verheirateten Männer, an deren Spitze Baldung ging, den Zug.

Das war doch noch ein Hochzeitszug, der, schwarzwäldlerisch gesprochen, 'ne rechte GattigGattung. Die Redensart bedeutet: ein rechtes Ansehen haben. machte und sich vor der Welt sehen lassen durfte.

Als er nach vollzogener Trauung in den Bühl zurückgekehrt war, da spielten die Musikanten zunächst der Hochzeiterin zu ihren drei »Ehrentänzen« auf, deren ersten sie mit dem Hochzeiter, deren zweiten sie mit dem alten Brosi, deren dritten sie mit dem grimmen Wate tanzte, welcher aber heute gar nicht grimmig dreinsah. Der alte Brosi aber drehte sich trotz einem Jungen und beschloß seinerseits den Tanz mit einem merkwürdigen Luftsprung, welcher, behauptete er, vor sechzig Jahren im Forgtal bei solchen Anlässen bräuchlich gewesen.

Inzwischen war das »Mahl« aufgetragen worden, jene reichliche Hauptmahlzeit, welche bei schwäbischen Bauernhochzeiten nie fehlen darf und herkömmlicherweise statt mit einer Suppe mit dem »Voressen« anhebt, einer Art säuerlichen Ragout, welches den Appetit reizt, was in betracht der ungeheuren Quantitäten von Fleischspeisen, Gemüsen (vorab Sauerkraut) und Backwerk, die auf die Tische kommen, nicht ganz überflüssig sein dürfte. Der Brauch wollte, daß bei diesem Mahl der ältere der beiden Brautführer einen Trinkspruch auf das Brautpaar ausbrachte, und der Brosi entledigte sich dieser Obliegenheit mit hinlänglicher Grazie. Da in diesem bäuerlichen Toast neben »mei'm Aivli«, wie Brosi in der Fülle seines Herzens die Braut nannte, und neben dem »jungen rechtschaffenen Meister«, wie Ottmar betitelt wurde, auch sehr herzlich von dem »braven alten Meister« die Rede war, so vermuten wir, daß der alte Knabe sich vollständig wieder mit seinem Herrn ausgesöhnt hatte.

Die Gäste saßen noch beim Mahl, als Wate, welcher mit eigener Hand ein Dutzend sardanapalischer Bomben angefertigt hatte und mit unbeschreiblicher Befriedigung gesehen, daß in unglaublich kurzer Zeit besagte Bomben spurlos von den Tischen verschwunden waren – ja, die Gäste taten sich noch beim Mahle gütlich, als Wate, ohne Aufsehen zu erregen, das Brautpaar aus der großen Oberstube holte.

»Die Gräfin hält unten in ihrem Reisewagen,« sagte er leise. »Sie möchte der Braut ihren Glückwunsch darbringen und dir, Ottmar, zugleich Lebewohl sagen. Kommt, wir wollen hinunter.«

Sie fanden Eva neben ihrem Reisewagen stehend, welcher bei der Einfahrt zum Bühl auf der Straße hielt. Sie war in Trauerkleidung, aber ihre Schönheit leuchtete aus dem Düster derselben nur um so heller hervor.

Sie trat auf Ottmar und ihre Namensschwester zu und begrüßte beide mit lebhafter und herzlicher Freude.

»Das also ist die Braut?« sagte sie, das errötende Mädchen mit ungeheucheltem Wohlgefallen betrachtend. »Ottmar, mein edler und teurer Freund, Sie haben die beste Wahl getroffen – ich wünsche Ihnen aus tiefster Seele Glück! Und nicht minder Ihnen, Aivli; vertrauen Sie ihrem Manne allzeit, Sie dürfen es.«

»Und ich gehe leer aus?« fragte Wate, bemüht, in die gespannte Stimmung einen leichteren Tun zu bringen.

»Sie haben ja Ihren Freund und Ihren Humor,« versetzte Eva. »Lassen Sie andere klagen, welche zu spät einen Freund fanden und denen der Humor zu früh abhanden kam.«

»Aber, Frau Gräfin,« sagte die Braut in ihrer Gutmütigkeit, »wollen Sie denn nicht in die alte Goldforelle treten, um –«

»Nein, liebes Kind; ich würde nur eine Störung veranlassen, und nicht deshalb bin ich gekommen. Ich habe den Umweg durch das Forgtal nur gemacht, um meinem Freund und Verteidiger noch persönlich ein Wort des Dankes zu sagen und ihm und Ihnen, Aivli, meine Glückwünsche darzubringen.«

Ottmar, welchem diese Episode seines Hochzeitstages wirklich eine störende war, fragte etwas hölzern:

»Sie scheinen im Begriffe, gnädige Frau, eine Reise anzutreten. Haben sich Ihre Verhältnisse alle nach Wunsch geordnet?«

»O ja, mein Freund. Die Herrschaft Moosbrunn ist verkauft und der Forgforst auch, wie Sie vielleicht schon gehört haben werden. Von letzterem behielt ich mir bloß das Bärenschlößchen vor und der Umkreis der Stelle, wo mein Großvater schläft. Bernwartshall wollte ein Spekulant erstehen, um es zu einer Fabrik umzuwandeln. Aber ich behielt das Schloß – es mag in Trümmer fallen. Die unglückselige Estrella hat ja schon für den Beginn des Verfalls gesorgt. – Ich bin jetzt,« setzte sie mit einem bitteren Lächeln hinzu, »reich, sehr reich. Auch Adalbert hatte mich ja, wie Sie wissen, zur Erbin eingesetzt.«

Sie sprach die letzteren Worte kalt, mit einer fast schrecklichen Kälte, aber dabei entfunkelte ihren Augen ein fluchtiger Strahl dämonischen Feuers.

Hätte das Aivli diesen Strahl wahrgenommen, sie würde den Abschiedskuß, welchen die Gräfin ihr jetzt bot, kaum so herzlich haben erwidern können, wie sie tat.

Wate faßte die Gelegenheit beim Schopf und erbat und erhielt von der scheidenden Tochter der Luft ebenfalls einen Kuß.

Eva schien zu erwarten, daß auch Ottmar von dem Rechte des Abschieds Gebrauch machte, aber er begnügte sich mit einem Händedruck.

Als Eva schon auf dem Wagentritt stand, fragte er noch:

»Und dürfen wir erwarten, Sie wiederzusehen?«

»Nein,« erwiderte sie, indem sie sich auf den Polstern zurechtsetzte, »ich gehe für immer.«

»Und so ganz allein?«

»Ganz allein.«

»Aber wohin?«

Sie bog das schöne, jetzt von einer düsteren Wolke überflogene Antlitz aus dem Schlag und ließ das unergründliche Auge einen Moment fest auf Ottmar haften. Dann winkte sie mit der Hand und sagte leise, wie mit brechender Stimme:

»In die weite Welt!«

Die Postillione spornten ihre Pferde und der Wagen flog davon.

Nachdenklich gingen die drei dem Hause zu, aus welchem ihnen eine muntere Walzermelodie und fröhliches Lachen entgegenschollen.

»Und so hab' ich mir doch zuguter Letzt einen Kuß erobert!« sagte Wate mit behaglichem Schmunzeln.

»Ich konnte dieses Weib nicht küssen,« bemerkte Ottmar.

»Warum nicht, Ottmar?« versetzte das gute Aivli. »Ach, wie ist sie so schön und so unglücklich!«

Endlich, endlich waren die Gäste fort und der Hochzeitsjubel verhallte das Tal entlang. Bei Fackelschein nahm der Goldforellenwirt mit eigener Hand das alte Schild herunter, und Wate hielt dazu eine Rede, die in ihren humoristischen Sprüngen von dem versammelten Gesinde zwar nicht so ganz verstanden, dessenungeachtet aber mit der Andacht angehört wurde, welche diesem feierlichen Akt geziemte.

Unterdessen hatte Ottmar seine Braut in die stille Brautkammer geführt.

Als er ihr dort die Brautkrone vom Haupte nahm, richtete sich die Jungfrau einen Augenblick in seinen Armen auf und flüsterte mit schalkhaftem Lächeln:

»Ist's keine Eva, so ist's doch ein Aivli, gelt?«

Er sagte nichts, sondern zog sie nur zärtlicher an sich, und als die Bebende, Verschämte ihm wieder ins Auge zu sehen wagte, las sie darin die beseligende Gewißheit, daß sie dem geliebten Manne teurer sei als alle Even der Welt.

Schlußkapitelchen, worin die Moral des Stückes brieflich angedeutet wird und Autor einem werten Publico sich empfiehlt.

Dieser Tage hat mir der grimme Wate unter anderem folgendes aus dem Forgtal geschrieben:

»Deine Zweifel, lieber Junge, ob sich unser Freund Ottmar in seinem neuen Leben auf die Dauer befriedigt und glücklich fühlen würde, sind schmählich zuschanden geworden. Ottmar ist glücklich und das Aivli blüht vor Zufriedenheit wie eine Rose. Da aber, um mich bimbambummlerisch auszudrücken, die Rosen auf den Wangen des herzigen Weibchens zeitweilig mit Lilien wechseln, so vermute ich stark, daß ich neben meinen gastrosophischen Arbeiten, welche das Erscheinen meiner epochemachenden »Philosophie des Magens« in nahe Aussicht stellen, zu denjenigen Studien mich wenden muß, welche einen befähigen, die Rolle eines Gevattermanns mit Anstand und Würde zu spielen. – Natürlich wohne ich noch immer in der Goldforelle und sehe nicht ein, warum ich jemals anderswo wohnen sollte. Ich gehöre nun schon zur Familie und selbst der alte Brosi, von den anderen gar nicht zu sprechen, würde, Gott straf mich! gegen mein Wegziehen entschiedenen Protest einlegen, namentlich seit der Stunde, wo ich eine höchst sinnreiche Vorrichtung erfunden, welche dem alten Knaben den ewigen Garnknäuel erspart. Dazu aber hab' ich mich durch das Beispiel von Ottmars rüstiger Tätigkeit freilich verleiten lassen, daß ich in der Woche ein paarmal ins Trausigtal hinüberreite, um dem Werkführer in der Glashütte auf die Finger zu sehen, damit dieselben nicht gar zu polizeiwidrig lang werden. – Von der Tochter der Luft haben wir keinen Laut mehr vernommen. Wo sie wohl jetzt sein mag? Es war doch ein wunderbares Wesen! Wenn die Rede auf sie kommt, pflegt Meister Baldung mit einem echt schwarzwäldlerischen Kopfruck zu sagen: »Ich wünsch' der Frau alles Glück, aber – aber so ganz sauber war sie doch nicht, schätz' ich.« – Dem Ottmar ist eine tüchtige Sorge zugewachsen durch die Vormundschaft über die Kinder seines Bruders. Der Jeremias hat sich von der Blamage vor dem Schwurgericht nie mehr recht erholt. Er wurde tiefsinnig, versenkte sich, jetzt nicht mehr aus Spekulation, sondern in allem Ernst, in mystischen Kram und schnappte zuletzt völlig über. Er hat sich mit der seltsamen fixen Idee, in eine Schlange verwandelt zu sein, im Irrenhaus herumgequält, bis er vor einigen Wochen daselbst starb. Zum Glück hatte er aller Frommheit zum Trotz das Vermögen seiner Frau tüchtig umzutreiben gewußt. – Daß die beiden Bimbambummler, welche im Forgtal auf den Hund und auf die Katze gekommen, fortfahren, Deutschland mit ihren Dichtungen zu entzücken, wirst du besser wissen als ich. Ich fürchte jedoch, ihr Ruhm möchte nicht von Dauer sein. Die Zeit ist allgemach zu ernst geworden, um an süßlichen Mittelalterlichkeiten ernstlich Geschmack zu finden. Lasse man die alten und jungen Kinder der Salons immerhin noch eine Weile mit diesem literarischen Rokoko spielen. Umgekehrt lockt man aber auch mit dem Byronismus und der faustischen Himmelsstürmerei keinen Hund mehr vom Ofen. Ebenso gehen den Leuten über den merkantilistischen Schwindel, welcher die Gegenwart charakterisiert, allmählich die Augen auf, und immer kräftiger macht sich das Gefühl geltend, daß man überall zur Einfachheit, zur Solidität und Genügsamkeit wird zurückkehren müssen, wenn der gesellschaftliche Bau nicht aus den Fugen gehen soll. Mit dem aus den Fugen reißen desselben ist es aber eine eigene Sache: du weißt, die proletarische Herrlichkeit, welche kommunistische Schwindler uns belieben wollten, war nie nach meinem Geschmack. – Wir müssen lernen, uns zu bescheiden. Eine Umkehr ist für unsere Zeit allerdings vonnöten, freilich nicht zum Köhlerglauben, zur Sklaverei, zum Privilegium, sondern zur Natur und zu naturgemäßer Existenz. Darum lobe ich mir unsern Ottmar, daß er den Mut hatte, dem Schein der sogenannten guten Gesellschaft, welcher ihn in aller verlockendster Gestalt, in der Gestalt Evas von Bernwart umspinnen wollte, das Sein eines Lebens mit der Natur und dem Volke vorzuziehen. Es war dies keine idyllische Illusion, es war der Entschluß und die Tat eines Mannes, welcher ehrlich und energisch genug ist, die geforderte Reform der Gesellschaft bei sich selber anzuheben und für die Möglichkeit einer solchen Reform mit der eigenen Person einzustehen.«

Soweit Wate im Bart.

Und nun, lieber Leser, sage ich dir Lebewohl für heute. Du hast vielleicht, als du diese Erzählung zur Hand nahmst, besorgt, es würde wieder so eine traurige Geschichte sein, wie ich sie dir sonst zu erzählen gewohnt bin. Aber diesmal, siehst du, kam es anders und glaube ich dich, für das Traurige, was zu berühren unvermeidlich war, hinlänglich durch die Hochzeit schadlos gehalten zu haben, welche ich dir schließlich aufgetischt habe. Im übrigen empfehle ich dir meine Freunde im Forgtal und mich selbst zu geneigtem Andenken.


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