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Sealsfield-Postl.

 

Ist dies die Auflösung des Räthsels? –
Nur eine theilweise.

Klinger.

 

1.

Das Büchlein, welches mich zu diesem Aufsatz veranlasst Charles Sealsfield. Biographisch-literarisches Charakterbild. Von Dr. Leo Smolle. Wien 1875, A. Hölder., hat die Erinnerung an meine erste Bekanntschaft mit den sealsfield'schen Schriften wieder lebhaft in mir wachgerufen. Ich war damals ein junger Mensch, nahe dabei, vom Gymnasiasten zum Studenten mich hinüberzumausern, und machte im Sommer 1834 in dem am Fuße des Hohen Rhonen gelegenen Schweizerdörfchen Hütten eine Molkenkur. Eines schönen Morgens hatte mich mein Molkenverdauungsgang an den kleinen hüttener See hinabgeführt und der Fürwitz stach mich, den zu einem unfern vom Ufer gelegenen Bauernhause gehörigen »Weidling« (Nachen) von seinem Pflocke zu lösen und mich auf die von den prächtigsten »Seerosen« bedeckte Wasserfläche hinauszurudern. Ich glaube gar, es geschah in der Absicht, aus besagten Rosen einen Kranz zu winden für eine arme, schwerkranke, aber liebenswürdige Mitkurgästin, welche ich mit der ganzen Schwärmerei – scilicet »Jugendeselei« – eines blöden Jungen verehrte. Natürlich im stillen, im stillsten. Der Weidling war zu jener Zeit das einzige Boot auf dem kleinen See, und zwar ein so verrottetes, daß nur ein siebzehnjähriger Leichtsinn so einem Dinge seine Gliedmaßen anvertrauen mochte. Zu »fahren« hatte ich drunten auf dem Zürichsee schon gelernt, aber was half mir das, als mir mitten auf dem stillen Wasser das einzige Ruder entzweibrach? Da lag ich nun wie festgenagelt, über mir die brennende Julisonne, rings unter mir das schwärzliche, keineswegs einladende Wasser, welches gar nicht so aussah, als wär' es »wohlig auf dem Grund«. Luft und Wasser regungslos, als wäre die Windstille extra bestellt. Eine niederträchtige Situation, vollends mit fünf Schoppen Molke im Leibe. Das schlimmste wusste ich glücklicher Weise nicht: nämlich, daß eine erkleckliche Anzahl von Kurgästen beiderlei Geschlechtes – die Stillverehrte darunter – mit dem Tubus des Pfarrherrn von Hütten – er hieß Wolf und las mir ein Praktikum de arte fumandi – von der Höhe herab auf mich vigilirte und meinen Schaden mit dem sprichwörtlichen Spotte glossirte.

Damals kannte ich den Spinoza noch nicht und war mir demnach auch unbekannt, daß Resignation die Quintessenz menschlicher Weisheit ist. Trotzdem resignirte ich mich, weil ich musste, setzte mich auf das Brett, welches in der Mitte des Nachens die beiden Seitenwände verband und zog ein Buch aus der Tasche, welches mir mein guter Bruder, der großmüthige Beschützer meiner Jugend, tags zuvor gegeben hatte.

Das war »Der Legitime und die Republikaner«, vor Jahresfrist (1833) in Zürich anonym erschienen.

Ich hatte das Buch noch nicht geöffnet und that es jetzt missmuthig genug. Aber schon nach den ersten Seiten nahm mich die Lesung so in Beschlag, daß ich den alten Kasten von Weidling, das zerbrochene Ruder, den See mit seinen Rosen, die Hitze und Windstille, item auch die Stillverehrte vergaß und Kapitel nach Kapitel verschlang, bis mich ein verdächtiges Gefühl von Nässe und Kälte an den Füßen aus den Prairien Georgiens und den Palmettowäldern Louisianas wieder auf den See von Hütten zurückrief. Ich saß bis an die Knöchel in dem Wasser, welches das halblecke Boot gesogen; aber aufspringend gewahrte ich zugleich, daß der alte Kasten derweil unmerklich ans Ufer geglitten war, das heißt in ein Schilfröhricht hinein. Meiner Erlösung froh, sprang ich landwärts, wadete, den Weidling seinem Schicksal überlassend, durch den Sumpf, der mir stellenweise bis über die Kniee reichte, eilte das Hügelgehänge hinan, vermied den Dorfweg und schlängelte mich durch die Hinterthüre der »Krone«, allwo im Stübchen hinter der Küche die gute alte Frau Bär, unsere Wirthin, mich mit große Lamento empfing ...

Sieben Jahre später war ich so glücklich, den Verfasser des Buches vom Legitimen und von den Republikanern persönlich kennen zu lernen. Ich sage »so glücklich«, denn ich befand mich dazumal im Stadium der Bewunderung und Verehrung, wie ein solches die jungen Leute von heutzutage in der Regel nicht mehr kennen, und es that mir ordentlich wohl, mit Charles Sealsfield bei Tische sitzen und nach Tische den Kaffee der Verdaulichkeit schlürfen und den Glimmstengel der Beschaulichkeit rauchen zu können.

Das geschah im Gasthaus »Zum Hirschen« beim alten Witzig in Feuerthalen, von wo die Rheinbrücke nach Schaffhausen hinüberführt. In dieser Stadt hatte ich in den Jahren 1840-43 häufig zu thun, und von Winterthur hergekommen, pflegte ich mich selber und meinen Gaul im »Hirschen« unterzubringen. Daselbst hauste zu jener Zeit Sealsfield, dessen Schriften ich natürlich mit höchster Theilnahme gelesen hatte. Der Schleier seiner Anonymität war bereits gelüftet, nicht aber der seiner Pseudonymität. Er galt allgemein für einen Amerikaner von Geburt, für einen Yankee wohlverstanden! und er that nicht nur nichts, diese Meinung zu zerstören, sondern im Gegentheil alles, um dieselbe aufrechtzuhalten. Er war mit mir recht artig, was ich dem Umstande verdanke, daß er früher in Zürich meinen Bruder gekannt hatte. Einmal stiegen wir mitsammen durch den Kohlfirstwald zu dem Dörfchen Wildisbuch hinauf, wo die Heldin meines Buches »Die Gekreuzigte« gelebt hat und ans Kreuz genagelt worden ist. Die furchtbare Geschichte der armen Margarethe Peter beschäftigte mich schon damals lebhaft. Ich erzählte sie meinem Begleiter und er sagte dann: »Darüber wäre ein Buch zu schreiben.« Ich riskirte die Antwort: Das sollten Sie thun. – »Ich?« entgegnete er. »Bah, ich habe die Feder ausgespritzt. Maintenant, c'est fini.«

Er liebte es, wie in seine Schrift, so auch in seine Rede englische und französische Sätze zu streuen und zwar, wie ich mich deutlich erinnere, in die Rede mehr französische als englische.

Uebrigens war der Mann weder lieblich anzusehen, noch durfte seinem gebaren im allgemeinen das Epitheton liebenswürdig zuerkannt werden. Er konnte sogar mitunter so unliebenswürdig sein, daß ihm gleich unliebenswürdiges begegnete, wie z. B. jene Ohrfeige, welche ihm zu Feuerthalen der Doktor Schiel aushändigte, ein daselbst sitzen gebliebener deutscher Flüchtling von der dreißiger Generation, und welche Ohrfeige, wenn mir recht ist, seitens des damit Beschenkten den Wegzug aus dem »Hirschen« und nach Schaffhausen zur Folge hatte.

Ich habe eine gute Photographie von Sealsfield vor mir liegen, welche während seiner letzten Lebenszeit in Solothurn aufgenommen wurde. Da sieht er auf und eben aus wie ein in den Ruhestand getretener wirtembergischer »Oberzoller« oder wie ein emeritirter bairischer Landrichter. Zur Zeit, als ich ihn kannte, war er nicht gerade viel schöner. Die gelbe Gesichtsfarbe, die Platschnase, der große Mund mit dem akkurat wie eine pensionirte Zahnbürste sich darstellenden Schnurrbart darüber – das alles konnte viel hübscher sein, als es war. Die kleinen tiefliegenden Augen blickten mehr lauernd als frank und frei. Was aber die Ohren betraf, so haben ihresgleichen gewiß selten an einem civilisirten Menschenschädel gestanden: sie schlugen entschieden ins elephantische Fach. Nur der Bau der Stirne, hoch, breit, massiv, gab diesem Kopf einen Ausdruck, welcher über das Ordinäre hinausging, und die zwei Furchen zwischen den Brauen verliehen in Verbindung mit der ironischen Niederkrümmung der Mundwinkel der ganzen Physionomie etwas, was dem aufmerksamen Betrachter sagte, daß er keinen gewöhnlichen Menschen vor sich hätte.

Das wiederholte Zusammensein mit Sealsfield hatte mir die Ueberzeugung gegeben, daß er kein geborener Amerikaner, wie sehr er auch mit seinem Amerikanerthum und mit seinen Amerikanismen dickthat. Ja, ich war vollständig überzeugt, daß er kein Yankee, sondern ein Deutscher und zwar ein Oestreicher. Das ließ ich i. J. 1844 in Stuttgart drucken. Natürlich machte mich dafür einer jener Kritikakerlaken, welche in der deutschen Literatur herumschwirren und von denen beim Heine geschrieben steht:

»In dem großen Viehstall Gottes,
Den wir Erde nennen, findet
Jegliches Geschöpf die Krippe« –

fürchterlich herunter. Wie ich mir einfallen lassen könnte, diesen »Stockangloamerikaner« für einen Deutschen zu halten, und vollends für einen östreichischen Deutschen! Ich müsste keins seiner Bücher gelesen haben! Und was dergleichen Liebenswürdigkeiten mehr waren ...

Da ich im Herbste von 1843 die Schweiz verließ und erst sechs Jahre später für immer in dieses Land zurückkehrte, waren und blieben meine persönlichen Beziehungen zu Sealsfield unterbrochen. Ich hab' ihn nicht wiedergesehen. Als ich im Sommer von 1865 zum erstenmal zur Sommerfrische auf den prächtigen Weißenstein ob Solothurn gekommen war, zeigte mir auf mein befragen der Wirth, Herr Gschwind, mittels des Fernrohrs drunten in der Tiefe, rechts vom Walde der »Eremitage«, das kleine »in der Steingrube« gelegene Haus »Unter den Tannen«, in welchem Sealsfield zuletzt gelebt, so zu sagen geeinsiedlert hatte und wo er ein Jahr zuvor gestorben war.

Etliche Wochen später, als ich, vom Weißenstein herabgestiegen, die schattige Kluft der Eremitage durchwanderte, besuchte ich den am Eingange zu derselben gelegenen Friedhof von Sankt-Nikolaus. Dort hatte der unstäte Wanderer, welcher zwei Erdtheile durchstrichen, seine bleibende Heimstätte gefunden und jene Ruhe, welche, wie der arme Waiblinger bei der Pyramide des Cestius in Rom empfand und bezeugte, »das beste ist von allem Glück der Welt«.

 

2.

Wie bei Staatsmännern, so hängt auch bei Autoren viel, wenn nicht alles, davon ab, daß sie zur rechten Zeit kommen.

Sealsfield kam zur rechten Zeit. Er trat in die deutsche Literatur ein gerade dann, wann diese eines Schriftstellers bedurfte, um sie aufzufrischen und ihr neue Wege zu weisen.

Die ganz offenbar vom Byronismus ausgegangene und von der französischen Neu-Romantik stark beeinflusste Literaturtendenz der letzten zwanziger und der ersten dreißiger Jahre war verwittert und verbraucht. Das junge »Deutschland« war so rasch alt geworden, daß sich begründeter Zweifel erhob, ob es überhaupt jemals jung gewesen sei. Man hatte es satt bekommen, kleine Staarmatze von ihren »großen zerrissenen Herzen« piepen zu lassen: man war es müde, die byron'schen Donner auf Guitarren und Maultrommeln nachahmen zu hören. Der Weltschmerz war nachgerade auf hem literarischen Markt zu einer »ungefragten« Waare und die Zerrissenheit zu einer Buchladenhüterin geworden. Da kam ein Unbekannter und Ungenannter daher und gab in rascher Aufeinanderfolge eine Reihe von novellistischen Schildereien, welche auf die ohnehin sattsam europamüden deutschen Leserseelen mit dem ganzen Zauber amerikanischer Jugendfrische wirkten. Er erwies sich um so mächtiger, dieser Zauber, als damals die Kenntniß transatlantischer Zustände bei uns verhältnißmäßig noch sehr gering war und wir demnach nicht wussten, wie viel greisenhaftes (in des Wortes schlimmstem Sinne) der amerikanischen Jugendfrische in Wahrheit und Wirklichkeit alleweile schon beigemischt sei. Es wäre gewiß von Interesse gewesen, damals, als Sealsfield mit seinem ersten Werke hervortrat, die Briefe damit zusammenzuhalten, welche genau zur selben Zeit der Landsmann des Verfassers, der arme Lenau-Niembsch, aus Nordamerika herüberschrieb, z. B. den vom März 1833 datirten Brief an Emilie Reinbeck, worin es hieß: »Die Natur ist hier entsetzlich matt. Hier gibt es keine Nachtigall, überhaupt keine wahren Singvögel. Der Natur wird es hier nie so wohl ums Herz oder so weh, daß sie singen müsste. Sie hat kein Gemüth und keine Phantasie und kann darum ihren Geschöpfen auch nichts dergleichen geben. Es ist was recht trauriges, diese ausgebrannten Menschen zu sehen in ihren ausgebrannten Wäldern.« Es ließe sich eine hübsche Vergleichung anstellen zwischen der Auffassung der Natur Amerikas und der Amerikaner durch den Idealisten Lenau und der Darstellung transatlantischen Natur- und Menschenlebens durch den Realisten Sealsfield. Doch nein, die Parallele könnte keine hübsche sein, weil sie auf schiefer Basis ruhen würde. Lenau hat ja nur einen Theil der Vereinigten Staaten gesehen und zwar den nördlichen, Sealsfield dagegen bewegt sich mit seinen Anschauungen und Schilderungen vorzugsweise auf südstaatlichem Gebiete, von wo er auch noch weiter südwärts, in die Tropenzone hineinschweift. Ganz in Ordnung also, daß sich Amerika in Sealsfields Schriften ganz anders darstellt als in Lenaus Gedichten und Briefen. Ein heißblütiger und stolzer »Southron« verhält sich zu einem kalkulirenden und psalmodirenden »Yankee« genau so, wie sich die Natur Louisiana's zu der von Massachusetts verhält. Die Yankees und das Yankeethum betrachtet und behandelt übrigens auch Sealsfield mit ganz entschiedener Abneigung und man weiß, daß während des großen amerikanischen Bürgerkrieges zwar nicht sein Kopf, aber sein Herz mit den Southrons gegen die Yankees ging. Ueberall aber nimmt er für Amerika und gegen Europa Partei. Von Deutschland insbesondere spricht er meist nur mit einem aus Mitleid und Verachtung gemischten Gefühl und, die Wahrheit zu sagen, wie anders hätte denn ein Mann von Herz und Verstand über die deutschen Zustände, wie sie in den zwanziger und dreißiger Jahren gewesen sind, reden sollen? Man erinnere sich nur, wie Ludwig Börne geredet hat, und doch wird kein wissender und gerechter Mann anstehen, zu erklären, daß Börne das so bitter getadelte und satirisirte Deutschland mit einer Liebe liebte, zu welcher die Vaterlandsliebe gar vieler deutschen Patrioten von heutzutage, gar vieler dieser Patrioten von hoher obrigkeitlicher Bewilligung wegen ungefähr so sich verhält wie ein Maulwurfshügel zum Hohenstaufen.

Sealsfield hat sich das boshafte Vergnügen nicht versagt, in einem seiner Bücher (»Süden und Norden«) in der Person des Herrn Bohne, einem Mischmasch von Enthusiasten und Philister, das Deutschthum zu karikiren: – »Herr Bohne war trotz Lässigkeit in seiner Toilette und altdeutschen Wammsrockes ein lieber, trefflicher Mensch – ein wahres bon enfant, aber deutsch durch und durch und ganz mit der echtdeutschen Schwachheit behaftet, überall Polizei und Behörden zu bedürfen. Das Kommandowort zum dreinschlagen gegeben, würde er ohne Zweifel wie ein tapferer Preuße dreingeschlagen haben, aber ohne von hohen Lippen gegebene Permission zu diesem dreinschlagen konnte ihn jede Squaw mit ihrem Besenstiele meistern. Er würde richtig zuerst nach der Polizei gerufen haben. Ohne Polizei konnte er weder Schritt noch Tritt thun; seine Hauptklage gegen unser Land war, daß da keine Polizei vorhanden, was um so seltsamer klang, als er sonst, muthig, liberal, ja selbst erklecklich revolutionär, von eben der Polizei hart mitgenommen, sie wie die Todsünde hasste.« Aber plötzlich lässt Sealsfield den guten Bohne mit einem Ruck die karikaturische Lächerlichkeit abschütteln und lässt den deutschen Flüchtling seinen amerikanischen Reisegefährten gegenüber in die Worte ausbrechen: »Ihr kennt mein Volk nicht, kennt es nicht! Es ist das beste!« und wieder: »... Ach, ihr Herren kennt nicht den Schmerz eines Deutschen, den Gram und Grimm, den Neid und die Zerrissenheit, die er überall mit sich herumträgt. Ach, Gentlemen, wir sind die erste Nation, die größte der Erde, die Stammnation Englands, eures Amerika und –« – »Veraltet für jetzt« – fällt einer der Begleiter Bohnes ein, das heißt Sealsfield selbst – »werdet euch aber wieder verjüngen, glaubt es mir. Es liegt in euch Deutschen eine Zähigkeit und Dehnbarkeit und wieder eine Schwungkraft und Elasticität, die tausend Jahre und hunderttausend Tyrannen nicht erdrücken können; aber Männer müsst ihr werden, schaffen, arbeiten, nicht phantasiren, tifteln, träumen! Lernt euch und euer Volk kennen und ihr habt den Hauptschritt zur Freiheit gethan.«

Sprach hier nicht ein guter Deutscher? Und haben nicht tausende von Deutschen wiederum während der trostlosen fünfziger Jahre in der Fremde wie Herr Bohne gefühlt und gedacht?

Sealsfields nationalliterarische Bedeutung ist, mittels der Aussichten und Einblicke, welche er uns in die transatlantische Welt eröffnete, den dichterischen Horizont der Deutschen um ein beträchtliches erweitert zu haben. Er that nach Westen hin, was Rückert nach Osten hin gethan hat. Mit Sealsfields Novellistik wirkte dann höchst glücklich Freiligraths lyrische Malerei zusammen, um eine gesund realistische Anschauung und Stimmung in unsere durch den Byronismus versengte und ausgehöhlte Literatur zurückzuführen. Das hieß ihr einen großen Dienst leisten, der bis zur Stunde heilsam nachwirkt.

Aber die Bedeutung Sealsfields ist damit noch nicht erschöpft. Er hat sich ja in unserer Literatur eine eigenthümliche und bleibende Stellung geschaffen. Denn er ist unser dichterischer Völkerpsycholog und Rassencharakteristiker par excellence. Es gibt auf dem ganzen Gebiete der Weltliteratur meines Erachtens nur noch einen Poeten, der ihm hierin an die Seite zu stellen wäre, jener Engländer Trelawney, der abenteuerliche Freund Byrons, welcher in seiner Memoirennovelle » Adventures of a younger son« ein Buch verfasst hat, wie es alle paar hundert Jahre einmal geschrieben wird.

Eine Art von Unikum ist es auch, daß Sealsfields Erstling – sofern man den Roman »Der Legitime und die Republikaner« als solchen bezeichnen will – sein formvollendetstes Werk war und blieb. Der Grund liegt nahe. Hier hatte unser Autor nach ihm vorliegenden Mustern gearbeitet, nach Scott und Cooper. Nach dem Vorgange dieser beiden hatte er auf die Komposition seines Romans, auf die Anlage und Ausgestaltung der Fabel einen Fleiß gewandt, welchen er später, als er seine eigene Form oder, richtiger gesprochen, seine eigene sealsfield'sche Formlosigkeit gefunden, verachten zu dürfen glaubte. Uebrigens sprengte doch auch schon im genannten Erstling die Eigenart Sealsfields den scott-cooper'schen Rahmen. Es war in dem ganzen Wurf der Erzählung eine wilde Kraft und Größe, welche den Leser höchst erfrischend überraschte. Auch wurde das Buch von einem bedeutenden kulturgeschichtlichen Gedanken getragen: in dichterischer Ausführung desselben zeigte es die historische Nothwendigkeit der Vernichtung der rothen Rasse durch die weiße auf – jene repräsentirt durch den Indianersachem Tokeah, den legitimen Herrn des Grundes und Bodens, auf welchem die Republikaner, das heißt die angelsächsischen Hinterwäldler sich angesiedelt hatten, diese vertreten insbesondere durch einen dieser Hinterwäldler, den Squire Copeland. Diese beiden Figuren, der Miko der Okonees und der Squire, erwiesen auch sofort eine sealsfield'sche Gestaltungskraft, an welche die von Scott nicht allzu häufig, die von Cooper nie hinanreicht. Außerdem trat in dem Roman ein Zug von kaustischem Humor neben erschütterndem Pathos ansprechend hervor und endlich zeigten die Naturschilderungen eine Schärfe der Zeichnung und eine Glut des Kolorits, welche den Verfasser den ersten poetischen Landschaftsmalern zur Seite stellten. Man vergleiche die tropisch-amerikanischen Naturgemälde Sealsfields mit denen Chateaubriands und man wird, obzwar diese wie jene auf Autopsie beruhen, unschwer den gewaltigen Unterschied zu Gunsten des erstgenannten wahrnehmen. Chateaubriand schminkt die Natur, Sealsfield photographirt sie; aber so, daß sie mit ihrem ganzen Farbenzauber vor uns lebt. Er photographirt nicht nur ihren Körper, sondern ihre Seele. Ja, wenn irgendein Dichter, hat dieser das Geheimniß der Beseelung der Landschaft verstanden. Atlantis athmet aus den Naturscenen der sealsfield'schen Schriften.

Aber in dem großen Kosmos der Poesie ist der närrische, ringende, duldende Mikrokosmos Mensch doch immer die Hauptsache. Die Landschafterei, mit welcher Virtuosität sie auch betrieben werde, macht noch nicht den Dichter. Und nicht als bloße Staffage dürfen Menschen in poetisch entworfene und ausgeführte Landschaften hineingemalt werden. Das sieht man recht deutlich beim Adalbert Stifter, welcher vielleicht unbedenklich als der größte Landschaftervirtuose in Worten bezeichnet werden kann. Das hereinbrechen des Frühlingsthauwetters über die Berg- und Waldgegend in Stifters »Mappe meines Urgroßvaters« ist eine Schilderung, wie sie nirgends wieder vorkommt, in keiner Literatur. Aber Stifters Menschen sind nur um seiner Landschaften willen da, bloße Staffage. Noch dazu nach der Schablone gemalte Staffage, Gobelintapetenfiguren, Automaten, sammt und sonders mit demselben Uhrwerke der kleinen Auswahl stifter'scher Motive im Leibe. Wie ganz anders, wie ungeheuer reich, vielgestaltig, von selbstherrlichem Leben pulsirend Sealsfields Menschenwelt! Welche Fülle von ganzen Menschen, welcher Reichthum von eigenwüchsigen Charakteren, welches Nervenvibriren und welches Muskelspiel der Leidenschaften! Welche Gestalten, dieser Kentuckier Ralph Doughby, dieser Squatter-Regulator Nathan, dieser Auswürfling Bob, dann wieder dieser mexikanische Magnat, Don Yxkuhar, oder dieser Plutokrat Lomond – welche Lebenswahrheit und welche Kontraste! Auch in den weiblichen Figuren Sealsfields. Die Indianerin Kanondah, die Yankeesinnen Arthurine und Margareth, die Kreolinnen Louise und Julie, die Mexikanerinnen Elvira und Mariquita – sie alle zeigen der scharf schattirten Verschiedenheit von Rasse und Bildungsstufe ungeachtet überall das naturwahre Weib, das Weib in seiner Größe und Schwäche, in seiner Liebe und in seinem Haß, in seiner Aufopferungsfähigkeit und in seiner Koketterie. Sehr wirksam erweist sich in der Galerie sealsfield'scher Frauenbilder auch die Gegenüberstellung von nord- und südstaatlichen, namentlich in den »Lebensbildern aus der westlichen Hemisphäre«, deren zweite Auflage (1843) der Verfasser »der zum Bewusstsein ihrer Kraft und Würde erwachenden deutschen Nation« gewidmet hat.

In seiner ganzen und fertigen Eigenart gab sich Sealsfield zuerst in seinem zweiten Roman »Der Virey und die Aristokraten«, dessen Schauplatz Mexiko im Jahre 1812, als die ersten heftigen Zuckungen der bevorstehenden Losreißung von Spanien durch das Land liefen. Die novellistische Fabel ist hier dem Autor schon Nebensache. Er handhabt sie nur als einen Faden, um damit die bunteste Scenenfolge nothdürftig zusammenzubinden. Den Akcent legt er auf eine anschauliche, wunderbar gelungene Darstellung von Land und Leuten. Das Mexiko von damals lebt vor unsern Blicken. Der Glanzpunkt des Buches aber ist die Charakteristik des Virey, des Spaniers Don Vanegas einerseits und des Führers der kreolischen Aristokratenfraktion, des Conde de San-Jago andererseits. Später ist Sealsfield noch einmal nach Mexiko zurückgekehrt, das heißt, er ließ daselbst seine wunderliche Reisenovelle »Süden und Norden« spielen, in welcher er die Formlosigkeit bis zum Exceß trieb und seine Manier so überspannte, daß sie zur Karikatur umschlug. Es sind Stellen von kolossaler Phantastik darin, berauschende Prachtstücke, aber man meint den fatalen Geschmack des Opiums zu spüren, welchen bei Schreibung dieses Buches geschlürft zu haben man den Autor unwillkürlich beschuldigen möchte. Es ist ein richtiges Opiat und man darf es nur in kleinen Dosen zu sich nehmen: sonst wird man erst schwindlig und dann betäubt. Als ganzes ist »Süden und Norden« missrathen und unerquicklich, was auch von Sealsfields unvollendetem Buch »Deutsch-amerikanische Wahlverwandtschaften« gesagt werden muß, einem weitschichtigen Torso, der aber nicht aus karrarischem Marmor, sondern nur aus ordinärem Sandstein gemeißelt ist, sodaß das Werk dem Meister so zu sagen unter den Händen zerbröckelt. Einzelnes ist freilich sehr gut, wie z. B. die Schilderung des amerikanischen Dandieslebens in dem Modebad Saratoga. Man gewinnt aus dieser und ähnlichen Stereoskopieen in den »Deutschamerikanischen Wahlverwandtschaften« den Eindruck, wie sehr das scheinheilige Yankeethum innerlich schon verfault sein musste, bevor es äußerlich reif wurde. Schade, daß sich Sealsfield nicht eigens darauf verlegte, uns in seiner Weise ein Gesammtbild der Beamten- und Behördenkorruption in den Vereinigten Staaten zu geben. Allerdings müsste es seinem Republikanismus schwer angekommen sein, einzugestehen, daß die Verderbniß der Beamtenschaft von Uncle Sam noch größer und schamloser sei als die der Beamtenschaft des Großtürken, was weiter nichts beweist, als daß der Durchschnittsmensch wie unter allen Himmelsstrichen so auch unter allen Staatsformen der gleiche Lump ist und bleibt. Er fällt also nicht aus seinem Charakter, wenn er sich anstrengt, die Vereinigten Staaten mehr und mehr zu verunreinigten, um nicht zu sagen zu verschweinigten zu machen.

Unmittelbar nach dem »Virey« und noch in demselben Jahre (1835) hatte Sealsfield die zweibändige Novelle »Morton oder die große Tour« veröffentlicht und in der Vorrede dazu eine Art von ästhetischem Glaubensbekenntniß. Was er darin über Scott und Cooper sagt, ist Wort für Wort zu unterschreiben. Ebenso seine scharfbetonte Ansicht über die Aufgabe der Novellistik in unserer Zeit: sie soll dem Princip der Humanität dienen und in ihrer Weise den Vorschritt desselben fördern und beschleunigen helfen. Der Verfasser fußt hierbei aus der Thatsache, daß in der modernen Welt der Roman die weitaus einflußreichste und wirksamste Dichtungsgattung ist. Natürlich weiß er auch, daß der Roman, wenn er seine künstlerische Aufgabe lösen will, von einem Grundgedanken getragen sein muß, dessen mannichfaltige Erscheinungsformen dichterisch aufgezeigt werden sollen. Der Grundgedanke in »Morton« nun ist die moderne Geldmacht, und die Art und Weise, wie Sealsfield diesen Gedanken novellistisch in Scene zu setzen unternahm, macht dieses sein Buch, was die Konception angeht, zu seinem bedeutendsten. Allem nach wollte er die göttliche oder auch die teuflische Komödie des Geldes schreiben. Leider langte der große Wurf nicht bis zum Ziele: die Erzählung bricht ab, nachdem der junge aus Amerika nach London herübergekommene Morton durch den »Geldmann« Lomond in den Bund der »Zehn«, das heißt der großen »über die ganze Welt hin zerstreuten und doch täglich vereinigten« Plutokraten aufgenommen worden und im Begriffe ist, von London nach Paris zu gehen, um daselbst seine Rolle in der genannten höllischen Komödie anzuheben. Den Mister Lomond würde ich unbedenklich als die originellste und größte von Sealsfields Gestaltenschöpfungen bezeichnen, falls sie nicht noch überragt würde durch die Gestalt des Squatter-Regulators Nathan. Aber in der Schilderung, welche Lomond von der souveränen Herrschaft des Geldes über die moderne Gesellschaft entwirft, hat Sealsfields Stil eine Energie der Stimmung, eine Höhe tragischen Humors erreicht wie sonst nicht wieder. Auch die Kaustik, womit das englische » high life« gemalt wird, ist ganz meisterlich.

Die »Lebensbilder aus der westlichen Hemisphäre« (5 Bde.) sind geistvoll angelegt und mit von Bild zu Bild sich steigernder Gestaltungskraft und Farbenmacht des Pinsels durchgeführt. Das novellistische Motiv des ganzen Werkes ist ebenso einfach als geschickt gewählt. Der Junggesell George Howard geht auf die Freite und sein Weg führt ihn von New-York, wo er bekorbt wird, durch verschiedene Staaten der Union und schließlich an den untern Missisippi, wo er die allerliebste Kreolin Louise Menou zur Frau gewinnt und an der Seite derselben ein südstaatliches »Pflanzerleben« (so ist der 3. Band betitelt) beginnt. Howards Brautfahrt vom Norden gen Süden gibt dem Verfasser Gelegenheit, seine Meisterschaft in der Vorführung der verschiedenartigsten Rasse- und Klassentypen der Unionsbevölkerung in glänzendster Weise zu bewähren. Ebenso in der Darstellung eigenthümlicher transatlantischer Scenen und Abenteuer eine Magie der Sprache, welche uns bald mitfortreißt, bald in einer wollustathmenden Traumwelt umherdämmern lässt. Ich erinnere an das »Wettrennen« der beiden Dampfer auf dem Missisippi im zweiten und an den Bajaderentanz in der »Chartreuse« im vierten Bande. Die letztere Scene könnte nur Hanns Mackart so malen, wie Sealsfield sie schrieb. Es ist vielleicht das kühnste, äußerste, was in dieser Gattung eine deutsche Dichterfeder gewagt hat; aber nirgends überschreitet das Wagniß auch nur um eines Haares Breite die Gränzlinie der Schönheit. Einen großen, aber keineswegs zu großen Raum nimmt in den Lebensbildern der prächtige kentuckische Wildfang Ralph Doughby ein, ein Hauptkerl, der unser ganzes Herz gewinnt, die originellste Mischung von Backwoodsman und Gentleman. Das ganze Buch aber gipfelt in seinem Schlußbande und zwar in der Figur des Squatter-Regulators Nathan, welche sofort bei ihrem erscheinen alle übrigen weit in den Hintergrund drängt. Frank und frei sag' ich, daß diese Gestalt unbedingt zu dem besten und größten gehört, was der Poesie des 19. Jahrhunderts überhaupt gelungen ist. Wer sie geschaffen, musste ein rechter Dichter sein, gerade wie auch Immermann ein solcher war, weil er seinen westphälischen Hofschulzen geschaffen hat. Dieser Hofschulze und dieser Squatter sind geradezu die eigenwüchsigsten, gesundesten, erquicklichsten Typen, welche seit fünfzig oder sechzig Jahren in die europäische Literatur eingeführt wurden.

Die Vorzüge der »Lebensbilder« kehren wieder im »Kajütenbuch« (2 Bde. 1841), mit der Einschränkung jedoch, daß die überzärtliche Miß Alexandrine, welche den tapfern Texaser Morse schließlich mit ihrer Hand beglückt, etwas zu sehr in den englischen Lovely-Genre hineingerathen ist. Der historische Hintergrund, vor welchem der Roman sich aufbaut, ist die Losreißung des Landes Texas von Mexiko. Uebrigens spielt sich der »Roman« zwischen dem Oberst Morse und der süßen Miß nur so nebenbei ab, der Ton liegt auf der Reih« historischer Genrebilder, welche den Unabhängigkeitskampf der Angelsachsen in Texas gegen die Mexikaner veranschaulichen, und noch mehr auf der Entrollung von Naturscenen, wie eben nur Sealsfield sie zu geben vermag. Gerade im Kajütenbuch und zwar in dem die größere Hälfte füllenden Kapitel »Die Prairie am Jacinto« hat er als Naturmaler sein höchstes geleistet. Die Schilderung, welche Morse von seinem Irr-Ritt in der Prairie entwirft, steht in unserer Literatur geradezu einzig da, wie auch die Episode des Kajütenbuches »Der Fluch Kishogue's oder der verschmähte Johannistrunk« eine wahre Bereicherung der deutschen Humoristik genannt werden muß. Beide Kapitel können, neben einander gestellt, den schlagenden Beweis erbringen, daß und wie sehr Sealsfield die ganze Skala menschlicher Empfindungen in seiner Gewalt hatte.

Für den Lesepöbel sind jedoch die Werke dieses Autors nicht geschrieben, weder für den verbildeten noch für den ungebildeten. Für diesen nicht, weil Sealsfields Stil, gegen welchen sich vom puristischen Standpunkt aus viel, sehr viel einwenden ließe, einen nicht gemeinen Grad von Bildung beim Leser schlechterdings voraussetzt; für jenen nicht, weil sie kein hofräthliches Marcipangebäcke nach den flauen Recepten unserer großen Theekesselpoeten neuester Mache sind, sondern Hervorbringungen eines freien und kühnen Geistes, der den Teufel danach fragte, was die Frau Oberceremonienmeisterin von X oder die Frau Hofprofessorin von Y oder die Frau Oberkirchenräthin von Z dazu sagen würden. Es sind mannhafte Bücher vor allem. Nicht als ob sie rechten, das heißt gesunden, gescheiden, von der Bleichsucht allermodernster Prüderie, Frömmelei und sonstiger Dummheit nicht angekränkelten Frauen nicht gefallen könnten. Im Gegentheil! Aber es bedarf doch, die Wahrheit zu sagen, mehr geschichtlichen Sinnes, als die Frauen im all gemeinen besitzen, um den Schriften Sealsfields das richtige Verständniß entgegenzubringen und die ganze Wirkung derselben zu empfangen.

 

3.

Wer war nun aber dieser große Autor? Wer steckte hinter der pseudonymen Maske Charles Sealsfield?

Der deutsche Bauersohn Karl Postl aus Poppitz bei Znaim in Mähren.

Das wissen wir jetzt, und alles, was wir sonst noch von Sealsfield wissen, hat der Herr Doktor Smolle in dem oben von mir citirten Büchlein bündig, sauber, pietätvoll zusammengestellt und in gefälliger Form der deutschen Lesewelt zur Betrachtung dargeboten, wofür wir ihm zu aufrichtigem Danke verpflichtet sind. Auch dafür gebührt dem Doktor, wie Herrn Meister aus Zngim und gleichgesinnten Freunden, unser Dank, daß sie die Errichtung eines Denkmals für ihren berühmten Landsmann auf heimatlichem Boden anregten, hoffentlich mit Erfolg ...

In einem altindischen Drama heißt es:

»Das Schicksal spielet mit dem Menschenleben
Und radgleich dreht sich wirbelnd um die Welt.«

Ja wohl! War es nicht auch ein wunderlich Schicksalsspiel, daß in einem weltverlorenen Winkel unter dem Dach eines mährischen Bauernhauses ein Junge zur Welt kam, welcher der größte dichterische Ethnograph der europäischen Literatur werden und uns die Riesenströme, Urwälder und Savannen, die menschenwimmelnden Städte und die in gränzenloser Einsamkeit verlorenen Blockhütten der Ansiedler, den Wigwam der Rothhaut und die Rohrkabine des Negers, das empfinden, denken und thun der verschiedenartigsten Rassen und Nationalitäten, das wildeste Gewühle der Leidenschaften und die tollsten Ausbrüche der Narrheit, die Neue Welt, wie sie leibt und lebt, arbeitet, kämpft, leidet, weint, lacht, liebt, hasst, kalkulirt und ras't, mit unvergleichlich-realistischer Macht und Pracht vor die Augen hinzaubern sollte?!

Und der Mann war Mönch, bevor der Dichter aus der Kutte schlüpfte und bevor er merkte, daß die Feder des Klostersekretärs, welche er führte, eigentlich ein Zauberstab sei. Dem jungen Karl Postl erging es eben, wie es schon tausend und wieder tausend Söhnen fromm-katholischer Mütter ergangen ist: – er sollte »geistlich«, er sollte »Mein Herr Sohn«, er sollte ein »Hochwürden«, wohl gar ein »Heiliger Leib« werden. Nicht alle frommen – im besten Sinne frommen – katholischen Mütter sind zugleich so verständig, wie meine eigene herrliche Mutter gewesen ist. Die merkte bei Zeiten, was für ein kurioser Heiliger von »Hairle« ich werden würde, und verzichtete aus freier Hand auf die Erfüllung ihres theuersten Lebenswunsches. Hätte sie nicht darauf verzichtet, ich hätte ihn erfüllt. Ja, beim Zeus, so hätte ich gethan und jetzt wär' ich – es rieselt mir bei dem Gedanken ein kalter Schauer über den Rücken – einer der Unglücklichen, welche so thun, als glaubten sie an unbefleckte Empfängnisse, Syllabuse, Vatikana und dergleichen alleinseligmachende Herrlichkeiten mehr. Vielleicht hätt' ich es gar bis zum Bischof gebracht – wer weiß? – und säße jetzt in einem komfortabel eingerichteten »Kerker«, nährte mich, um die Sünden Bismarcks und Falks abzufasten, redlich mit Rheinsalm und Scharlachberger, ließe mir behaglich die Nägel und die Märtyrer-Gloriole wachsen und dazu behaglichst von mehr oder weniger schönen westphälischen oder schlesischen Gräfinnen die heiligen Hände küssen. Auch ließe mein Martyrium mir ja Muße genug, noch bei Lebzeiten und, so zu sagen, auf Lager etzliche Wunderchen und Zeichelchen zu verüben, und könnt' ich also mit der bestimmten Aussicht auf Heiligsprechung dahinfahren und der allerpopulärsten Unsterblichkeit, nämlich der im Kalender assekurirten, mich getrösten. Um alles dieses und um noch verschiedenes andere hat mich das leidige Einmaleins gebracht und meine Tolpatschigkeit, welche mich verhinderte, zu sagen und zu singen: » Credo, quia absurdum – Te deum laudamus

Wohl also, im mährischen Dorfe Poppitz steht der Kirche gegenüber das niedrige Bauernhaus, in welchem am 3. März von 1793 dem Ortsrichter Anton Postl und seiner Ehefrau Juliane ein Junge geboren wurde, welchen sie Karl nannten. Es ging im Hause nicht gerade arm, aber doch so ziemlich ärmlich her und Vater Anton war ein strenger, mitunter zu strenger Mann. Ein vertrauliches Verhältniß zu ihm scheint der Sohn nie gewonnen zu haben. Was die Mutter anlangt, so wollte sie ihren Sohn im Chorhemd auf der Kanzel und im Messegewande vor dem Altar sehen, um jeden Preis, und sie war die Frau, ihren Willen durchzusetzen. Karl machte in Znaim, beim Tischler Schmid »verkostgeldet«, die fünf Klassen des Gymnasiums durch und absolvirte dann im Kreuzherrnstift zu Prag, in welches er auf die Fürsprache eines geistlichen und eines adeligen Gönners als »Konventstudent« aufgenommen worden, die »Philosophie«, worunter man bekanntlich damals und noch lange nachher in Oestreich eigentlich die Misosophie verstand oder wenigstens verstanden wissen wollte. Wenn man überhaupt den damaligen Zustand der östreichischen Studienanstalten berücksichtigt, wird einem klar, daß Karl Postl den hohen Bildungsgrad, welchen seine Schriften aufzeigen, nur der Autodidaxis zu verdanken haben konnte.

Mit der Prager »Philosophie« fertig, ging Karl heim nach Poppitz, wo jetzt entschieden werden sollte, was weiter. In der rauchgeschwärzten Küche des Vaterhauses fiel die Entscheidung. Dort trat der Sohn die Mutter an mit der Frage: »Was soll ich nun werden?« Worauf die fromme Bäuerin: »Wüsste ich, daß du nicht Geistlicher werden wolltest, so würde mich jeder Kreuzer reuen, den ich auf dich verwendet habe.« Ein heftiger Seelenkampf arbeitete sichtbar in dem Jüngling. Dann sagte er kurz: »Nun, Mutter, Ihr Wille geschehe!« und ging weg.

Karls Bruder, Joseph, welcher uns diese Scene bezeugt, sagt ergänzend aus, die Mutter habe nachmals oft die Stelle in der Küche bezeichnet, wo ihr verschwundener und verschollener Sohn dazumal gestanden, und habe unter heißen Thränen ihre harte Rede beklagt. Zu spät! Aber musste es denn nicht so sein? Besäßen wir einen Sealsfield, so Mutter Juliane zu jener Stunde anders gesprochen hätte? Kaum. Auch dieser Genius musste, wie jeder echte, im Feuer der Trübsal geglüht werden. Zudem ist Haß des Pfaffenthums einer der Charakterzüge der sealsfield'schen Schriften und wo hätte er diesen Haß so voll aus der Quelle schöpfen können wie im Pfaffenthum selbst?

In seinem zwanzigsten Lebensjahre trat Karl als Novize in das Kloster der Kreuzherren zu Prag und that den schwarzen Ordenstalar an, der vorn auf der Brust ein rothseidenes Kreuz zeigte. Leider finden wir nirgends angegeben, wann der angehende Mönch die priesterlichen Weihen erhielt; wohl aber berichtet uns Doktor Smolle, daß Karl noch vor seiner Weihung zum Priester vom Ordensgeneral zum Sekretär des Ordens ernannt worden sei, ein so außerordentliches Zeichen von Werthschätzung und Vertrauen, daß darob der ordensbrüderliche Neid in stille oder auch in laute Wuth verfiel. Der junge Ordenssekretär hat sicherlich die grüngelben Auslassungen solchen Neides nicht selten schwer zu verspüren gehabt, wie er denn gelegentlich gegenüber seinem Bruder Joseph Aeußerungen that, welche bitterlich merken ließen, daß und wie sehr er sein Leben für ein verfehltes ansähe, obzwar das Dasein in dem Klosterpalast in der prager Altstadt ein ganz behagliches, ja genüssliches war, so sehr, daß ein Durchschnittsmensch den schwarzen Talar mit dem rothen Brustkreuz ganz vergnüglich getragen hätte.

Aber unser junger Priester war eben kein Durchschnittsmensch. Die Kette der Möncherei rieb ihm die Seele wund, mehr und mehr, zuletzt so sehr, daß er es nicht länger aushielt und das dumme Ding zu zerbrechen und wegzuschleudern beschloß.

Und er that so.

Es sind zu seiner Zeit über die nächsten Motive seiner Flucht aus dem Kloster allerlei Sagen ausgegangen, Sagen, welche keinerlei historischen, sondern nur einen Lügenkern hatten. Sie rührten wohl von liebsüßchristlichen Ordensbrüdern her. Man wusste zu wispern von einer Liebschaft des Ordenssekretärs mit einer den höchsten Kreisen der Aristokratie angehörigen Dame, aber auch von 80,000 Gulden, welche derselbige Ordenssekretär aus der Klosterkasse und auf seine Fluchtreise mitgenommen hätte. Lügenmärchen! Nichts thatsächlich daran, gar nichts! Thatsache dagegen, daß Karl an einem der letzten Apriltage von 1823 zu seinem Bruder Joseph, welcher mit seiner Hülfe in Prag studirte, plötzlich die Worte sprach: »Bruder, du kennst meine Lage, weißt, wie unglücklich ich in meinem Stande bin. Ich kann länger die Fesseln nicht mehr tragen, die mich umschlingen. Ich werde morgen von hier abreisen und wir werden uns kaum je wiedersehen. Ich gehe zunächst nach Karlsbad, werde da die Kur gebrauchen. Was weiter folgt, kann ich dir nicht sagen – ich weiß es selbst noch nicht bestimmt.«

Unzweifelhaft hatte er die Ausführung seines Entschlusses von langer Hand her vorbereitet: darauf deutet der Umstand hin, daß er seit Jahren eifrig um die Aneignung der französischen und der englischen Sprache sich bemühte; sowie der weitere, daß er unzweifelhaft die Geldmittel zur Flucht zusammengespart hatte. Ein prager Bankherr, in dessen Haus Karl häufig zum Whist geladen war, hat wohl inbetreff dieser Ersparnisse näheres gewusst: denn er ließ sich, als man in seiner Gegenwart die Frage aufwarf, wie der Flüchtling wohl die nöthigen Gelder aufgetrieben hätte, die Aeußerung entwischen: »Oh, der Sekretär Postl kann schon noch ein Jahr reisen.«

Am Tage nach der seinem Bruder gemachten Eröffnung fuhr der Kreuzherr in der Ordenskutsche aus dem Klosterhof und dem Thore von Prag – auf Nimmerwiederkehr. Am 16. Mai sollte er heimkehren und die Klosterkutsche fuhr gemächlich nach Karlsbad, um ihn abzuholen. Sie kam leer zurück: Postl war verschwunden.

Daß er von Karlsbad nach Wien gegangen, weiß man. Daß er von Wien durch Tirol nach der Schweiz und von dort nach England gereist sei, ist stark zu vermuthen. Daß er in England eine Weile sich aufgehalten und dann nach Amerika sich eingeschifft hat, steht fest. Ebenso, daß er die Vereinigten Staaten kreuz und quer durchzog, daß er Mexiko bereiste, daß er in Louisiana und Texas sich aufhielt. Endlich, daß er unlange nach seiner Ankunft in der Union publicistisch sich bethätigte und später in New-York eine Zeit lang das französische Journal » Courrier des états-unis« redigirte, welches dem Joseph Bonaparte, Extitularkönig von Spanien, gehörte. Im übrigen ist inbetreff der transatlantischen Periode Postls alles dämmerig oder ganz dunkel. Er soll am Red-River, dessen Ufer er so herrlich beschrieben hat, eine Plantage, mit dazu gehörigen Niggers natürlich, besessen und mit großem Profit verkauft haben. Es wird uns auch von dem Bankerott eines Bankiers in New-Orleans erzählt, wobei Postl den größten Theil seines »damaligen« Vermögens eingebüßt habe. Aber wie erwarb er das spätere, welches er unzweifelhaft besaß und in amerikanischen Papieren anlegte? Wie ist er da drüben in verhältnißmäßig kurzer Zeit verhältnißmäßig reich geworden? Höchstwahrscheinlich vermochte niemand als er selbst diese Fragen zu beantworten und er hat es vorgezogen, sie unbeantwortet zu lassen. Auch die Bemühungen des wackern Doktor Smolle, über diesen dunklen Punkt Licht zu verbreiten, sind augenscheinlich eitel gewesen. Wollte ich meinerseits eine Vermuthung wagen, so wäre es die, daß unser Flüchtling als Agent der Unionsregierung sich Geld gemacht haben könnte. Aus einer solchen Agentur würde sich auch die Reise nach Mexiko am leichtesten erklären lassen. Ich muß jedoch gestehen, daß meine Vermuthung nur einen schwachen Anhalt hat, nämlich diesen, daß Sealsfield sein »Kajütenbuch« dem Hrn. J. R. Pomsett, Kriegsminister der Vereinigten Staaten, zugeeignet hat, einem Staatsmann also, welcher seiner Zeit im Kabinette von Washington einen großen Stand hatte. Uebrigens ist mir aus Sealsfields Gesprächen erinnerlich, daß er verschiedene amerikanische Regierungs- und Kongreßmänner persönlich gut gekannt haben muß.

Noch drüben in Amerika und noch in den zwanziger Jahren hat der weiland prager Kreuzherr seine Autorarbeit im großen Stil begonnen. Zunächst in englischer Sprache. Im Jahre 1827 ließ er zu Philadelphia drucken » Tokeah or the white rose«, in welcher Erzählung der nachmals deutsch erschienene Roman »Der Legitime und die Republikaner« englisch zu Faden geschlagen war. Alfred Meißner hat wahrscheinlich gemacht, daß eine bitterwahre Schilderung des franz- und metternichtigen Oestreichs, welche 1828 unter dem Titel » Austria as it is« in London erschien, von Postl verfasst sein müsste. Ich kenne das Buch nur aus Meißners Angaben, welchen zufolge es das beste wäre, was über jenes heillose und schandbare Regiment geschrieben worden ist.

Aber unser Mann dachte und empfand doch viel zu deutsch, als daß seine Gedanken in der fremdsprachigen Verkleidung lange sich behagt hätten. »Den Legitimen und die Republikaner« muß er schon fix und fertig deutsch aus Amerika nach Europa, wohin er als amerikanischer Bürger Charles Sealsfield i. J. 1832 zurückkehrte, mitgebracht haben. Daß er seinen Taufnamen beibehielt und nur englisirte, scheint anzudeuten, er habe das Band, welches ihn mit seiner Vergangenheit verknüpfte, doch nicht ganz durchschneiden wollen. Im übrigen freilich wollte er schlechterdings nur der Amerikaner Sealsfield sein. Nie entwischte ihm ein Wort, welches seine Herkunft verrathen hätte. Wenn er sich jemand ganz hätte anvertrauen wollen, so wären seine Vertrauten sicherlich entweder sein langjähriger Freund Herr Nationalrath Peyer im Hof zu Schaffhausen oder Fräulein Elise Meyer ebendaselbst gewesen. Aber er wahrte auch gegen diese sein Geheimniß und niemals ließ er das leiseste Lebenszeichen nach seiner mährischen Heimat gelangen, sodaß er für seine Familie schon längst verschollen war. Er scheint auch keinerlei Erkundigung über seine Angehörigen eingezogen zu haben und dies muß um so mehr auffallen, da wir bestimmt wissen, daß er seine Mutter und seinen Bruder Joseph innig liebte. Ob hinwiederum er – die Frage drängt sich uns gerade hier auf – jemals in seinem Leben die Fülle von Glück gekannt hat, welche das Gemüth einer edlen Frau über den geliebten Mann auszuschütten vermag? Ich glaube nicht. Daß er dieses Glück geahnt, ersehnt, vermisst habe, davon zeugen viele Stellen in seinen Schriften; aber keine einzige beweist, daß er es genossen. Armer Mönch!

Die Schweiz, wohin er sich gewandt hatte, musste vor 1848 für einen Mann von Sealsfields Sinnesweise der passendste Aufenthaltsort sein. Er wohnte erst in Zürich, dann, wie schon bemerkt, in Feuerthalen und Schaffhausen. Dreimal noch ist er über den »großen Bach« gefahren und seine letzte Amerika-Fahrt, i. J. 1853 unternommen, hat fünf Jahre gewährt. Drüben durchzog er abermals die Vereinigten Staaten nach allen Richtungen und suchte die Stätten süßer und schmerzlicher Erinnerungen auf. Denn es gab solche für ihn. War er doch zweimal nahe daran gewesen, ein glücklicher Gatte zu werden. Mit einer jungen und schönen Louisianerin – wohl das Vorbild der Louise in Howards Brautfahrt – verlobt, verlor er sie plötzlich: ein Cedernsplitter war ihr in den Fuß gedrungen und die Verwundung hatte Brand und Tod gebracht. Dann später droben in den Nordstaaten hatte er die Neigung einer hübschen jungen Quäkerin gewonnen; aber auch dieses Verhältniß führte nicht zum Eheziele, weil die Eltern ihre Tochter nur einem Quäker zur Ehe geben wollten und unser weiland Kreuzherr zur Quäkerei sich nicht entschließen konnte. Man zieht doch wahrhaftig die Mönchskutte nicht aus, um dafür einen Quäkersack anzuziehen. Das lohnte sich der Mühe, ei, jawohl! Wenn man sich der Aeußerlichkeit Sealsfields erinnert, so geht es einem freilich ein bißchen schwer ein, sich eine in ihn verliebte schöne Louisianerin und dito schöne Quäkerin vorzustellen. Aber bekanntlich sind die Frauen keineswegs so sinnlich und oberflächlich, alles oder auch nur viel auf den Schein zu setzen, und gerade hässliche und hässlichste Männer sind von schönsten und besten Frauen innigst geliebt worden. So Mirabeau mit seinem blatternarbigen Eberkopf, so Danton mit seinem Bulldoggengesicht, so Byron mit seinem Klumpfuß. Umgekehrt dürfte es schwer sein, eine körperlich entschieden hässliche, wenn auch geistig noch so schöne Frau nachzuweisen, welche von einem bedeutenden Manne leidenschaftlich geliebt worden wäre ...

Sealsfields Ruhmesstern ging am literarischen Horizonte Deutschlands etwa i. J. 1835 auf, stand nach dem erscheinen der »Lebensbilder« im Zenith und ging ungefähr i. J. 1845 unter. Denn gelesen wird er eigentlich heute nicht mehr und mir selbst ist es zu verschiedenen malen begegnet, daß ich Leute, welche es höchlich übelnehmen würden, wenn man sie nicht zu den literarisch gebildeten zählen wollte, auf diesen genialen Autor ausdrücklich und dringend aufmerksam machen musste. Sie hatten nichts von ihm gelesen, nichts von ihm gewusst. So viel Genie und Arbeit demnach an eine zehnjährige Wirkung im Publikum verschwendet! So viel prächtiges, glühendes, erschütterndes gedichtet haben und jetzt schon nur noch eine Mumie mit andern Mumien in den Katakomben der Literaturgeschichte sein! Ja, ja, wie noch so vieles andere kommen und gehen zu unserer Zeit die literarischen Berühmtheiten mit Dampf. Wie viele der heutigen werden nach zehn, höchstens nach zwanzig Jahren schon verdampft sein! Ich würde sagen spurlos, so die besagte Mumiensammlung nicht existirte. Uebrigens war es, genauer zugesehen, immer so. Wie viele Fixsterne zählt denn das ganze weltliterarische Firmament? Zwei Dutzende, wenn es hoch kommt. »Nur da und dorten«, hat mein Freund J. G. Fischer schön gesagt:

»Nur da und dorten rettet einen
Auf hohen Fluten seine Zeit,
Der leuchtet, wie die Sterne scheinen,
Ein Gott in seiner Einsamkeit.«

Nachdem Sealsfield von seiner letzten Fahrt nach Atlantis zurückgekehrt war, zog er sich in die von ihm erworbene ländliche Einsiedelei »Unter den Tannen« bei Solothurn zurück. Eine Dienstmagd besorgte seinen knapp oder, wie die guten Solothurner behaupten, nicht nur knapp, sondern »knorzig«, knorzigst zugeschnittenen Haushalt. Eine furchtbare Krankheit vergällte ihm sein Klausnerdasein, ein Unterleibskrebs, und noch etwas: die Angst vor dem armwerden, die infolge des amerikanischen Bürgerkrieges, welcher den drüben angelegten Vermögenstheil allerdings bedeutend reducirte, zu einer geradezu krankhaften wurde. Davon erzählt man sich in Solothurn manches bald lächerliche, halb mitleidswerthe. So, daß der arme Sealsfield an seine Magd das fabelhafte kulinarische Ansinnen gestellt habe, mit einem Ei einen menschenwürdigen Eierkuchen für zwei Personen herzustellen.

Gearbeitet hat der schwer und schwerer Leidende »Unter den Tannen« kaum mehr. In einer Anwandelung von trübster Verstimmung soll er druckfertige Handschriften, darunter drei Romane und seine Selbstbiographie, verbrannt haben. Das wäre namentlich um der Selbstbiographie willen sehr zu beklagen, wenn es wahr. In seinem Nachlasse hat sich nur ein schrecklich unleserliches Heft vorgefunden, woraus Alfred Meißner eine Erzählung entzifferte und unter dem Titel »Die Grabesschuld« (1874) drucken ließ, eine Groteske, auf die Narrheiten des Spiritismus und Revivalismus gemünzt, dann und wann flüchtig an die besten Sachen des Verfassers erinnernd.

Der schmerzliche Schaden, an welchem der Greis krankte, wuchs und wuchs. Die Streifereien in der Umgebung mussten eingestellt werden. Tagelang, nächtelang war der Kranke auf seinen Sorgenstuhl festgebannt. Da ist ihm der tägliche Besuch eines ausdauernden Freundes, des Waisenlehrers Müller in Solothurn, ein großer Trost gewesen. Fortwährend noch suchte er mit der Seele das Land seiner Wahl, die Vereinigten Staaten, welche zu jener Zeit so grausam zerrissen worden waren. Als der Frühling von 1864 gekommen, erkannte der Einsiedler, daß ihm fortan keiner mehr grünen und blühen werde. Da stiegen ihm die Bilder der Jugend, der Heimat, des Vaterhauses auf und er entwarf mühsälig und unterfertigte müde am 7. März sein Testament, kraft dessen »die ehelichen Nachkommen des Anton Postl und seiner Ehefrau Juliane zu Poppitz in Mähren« zu seinen Haupterben eingesetzt wurden. Aber er löste das Siegel vom Geheimniß seines Lebens nur halb, er sagte in dem Testamente nichts von sich und gab nicht an, warum er seinen Geschwistern sein immerhin schönes Vermögen hinterließ. Sie sollten den verloren gegangenen Bruder nur errathen können.

In seinen letzten Tagen erbat und empfing er wiederholt den Besuch des protestantischen Stadtpfarrers Hemmann und von ihm ließ er sich auch das Abendmahl reichen. Der große Pfaffenfeind ist demnach als reformirter Christ gestorben. Vier Jahre zuvor hatte er sich bei Gelegenheit einer schweizerischen Volkszählung weder in die Rubrik »katholisch« noch in die Rubrik »reformirt« eingeschrieben, sondern sich als »einer andern christlichen Konfession angehörig« bezeichnet.

Am 26. Mai von 1864 hat Befreier Tod ihm die Last des Lebens und Leidens vom Nacken genommen.

Unweit von her Klause, worin er zuletzt gelebt, ruht auf dem Friedhof von Sankt-Nikolaus das Sterbliche von Charles Sealsfield. Denn also wollte er auch auf seinem Grabsteine noch genannt sein.

Die schwarze Marmortafel, welche ob dem liegenden Stein an die Wand der Kapelle sich lehnt, gibt zu denken. Denn darauf sind nach Anordnung des Todten die beiden Psalmenstellen (31 und 143) aus der englischen Bibel eingegraben: » And enter not into judgement with thy servant, for in thy sight shall no man living be justefied.« – »Have mercy upon me, my God, aocording to thy kindness, according to thy tender mercies blot out my transgressions

Spricht aus diesen Selbstanklagen nur das Gefühl christlicher Demuth und Zerknirschung? Oder birgt dieses Grab eins jener Geheimnisse, welche nie enthüllt werden? Quien sabe!

Ja, wer weiß es?

Was mich angeht, so will ich nicht leugnen, daß die Inschriften von Sealsfield-Postls Grabstein, als ich sie zum erstenmal sah, auf mich den Eindruck einer Selbstanklage machten, welche auf etwas positiverem als auf dem christlichen Demuthsgefühl fußen müssten. »Geh' nicht ins Gericht mit deinem Knecht!« und »Lösche aus meine Missethaten!« Daraus vermöchte ein Sensationsnovellist à la Wilkie Collins oder Emile Gaboriau eine Schauderhistorie aus dem ff zu machen. Doktor Smolle hat auch aus den hinterlassenen Papieren Sealsfields den von diesem englisch niedergeschriebenen Satz beigebracht: »Der, welcher zurückkehrt vom Laster zur Tugend, von der Schande zum Ruhm, ist oft ein besserer Mann als einer, so niemals fehlgegangen.« Man müsste nicht viel Zwang anwenden, um darin eine Art von Beichte, von Sündenbekenntniß zu finden. Sodann ist doch wohl immer wieder die Frage berechtigt, was denn unsern Mann bewogen haben möge, sein ängstliches versteckenspielen bis zum Tode fortzusetzen, nachdem jede Besorgniß vor den Folgen seiner Flucht aus dem Kloster schon lange verschwunden sein musste. Hatte er vielleicht aus andern Gründen die Entdeckung seiner wahren Persönlichkeit zu fürchten? Endlich wird kaum jemand, wer den weiland Kreuzherrn gekannt hat, bestreiten wollen, daß sein ganzes Wesen und Gebaren etwas mysterienhaftes, ja geradezu etwas unheimliches hatte.

Nimmt man alle diese Umstände und Erwägungen zusammen, so ist es – das Aufsehen, welches die sealsfield'schen Schriften machten, hinzugerechnet – nicht sehr verwunderlich, daß noch bei Lebzeiten des Mannes ein Sealsfields-Mythus entstand, von welchem Herr Doktor Smolle nichts gehört zu haben scheint. Hier in Zürich kann er und können andere Leute davon hören, so sie wollen.

Dieser historisch schlechterdings ungreifbare Mythus will, Sealsfield-Postl sei der Thäter einer von jenen Thaten gewesen, welche man »dunkle« zu nennen und im alten oder neuen »Pitaval« zu erörtern pflegt. Er habe vollwichtigen Grund gehabt, bis zu seinem letzten Athemzuge versteckens zu spielen. Denn er sei ein Missethäter gewesen, sogar ein doppelter. Warum? Darum: – Der Mann, welcher i.J. 1832 in Zürich auftauchte, die als »sealsfield'sche« bekannt und berühmt gewordenen Bücher veröffentlichte und i. J. 1864 »Unter den Tannen« bei Solothurn starb, war allerdings der aus dem Kreuzherrenkloster entwichene Mönch Karl Postl aus Poppitz in Mähren. Aber er war nicht der Verfasser der »sealsfield'schen« Schriften, sondern vielmehr der Mörder des wahren und wirklichen Autors. Ja, er hat den echten Sealsfield, oder wie derselbe sonst geheißen haben mag, drüben in Amerika umgebracht, hat sich der Handschriften seines Opfers bemächtigt und dieselben zu seinem eigenen Vortheil und Ruhm unter dem Namen Sealsfield hüben in Europa veröffentlicht.

Dies der Mythus. Vielleicht erleben wir es, daß ein sensationshungriger Stoffjäger von Novellist denselben einfängt und daraus einen Kriminalroman macht, so eine Art von deutschem »Eugen Aram«. Der Stoff wäre gar nicht übel. Jedenfalls zeigt die Sealsfieldsfabel, daß auch in der Zeit der Dampfbewegung und der Gasbeleuchtung die »mythenbildende Kraft der Volksphantasie« noch nicht erloschen ist und nie erlöschen wird. Denn allzeit will die Welt belogen und betrogen sein, was ganz naturgemäß und logisch, sintemalen sie selber nur eine große Lüge und ein plumper Betrug ist.


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