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Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur.

1807.

 

Festliche Tage, wie der heutige, der, mit dem Namen des Königs bezeichnet, durch ein erhabenes Losungswort alles einstimmig zu frohen Empfindungen aufruft, scheinen von selbst da, wo nur Wort und Rede sie feiern kann, auf Betrachtungen zu leiten, die, an das Allgemeinste und Würdigste erinnernd, die Zuhörer in geistiger Teilnehmung ebenso verbinden, wie sie im vaterländischen Gefühle des Tages vereiniget sind. Denn was danken wir auch den Herrschern der Erde Höheres, als daß sie den ruhigen Genuß alles Trefflichen und Schönen uns verleihen und erhalten? So daß wir ihrer Wohltaten nicht gedenken, noch das öffentIiche Glück betrachten können, ohne unmittelbar auf das Allgemeinmenschliche geführt zu werden. Durch einmütigere Lust wäre ein solches Fest wohl kaum zu verherrlichen, als wenn an ihm ein wahrhaftes und großes Werk bildender Kunst enthüllt und der Anschauung freigegeben würde! Nicht minder vereinigend, angemessen zugleich diesem den Wissenschaften allein geweihten Ort schiene der Versuch, das Kunstwerk überhaupt seinem Wesen nach zu enthüllen und vor dem geistigen Auge gleichsam entstehen zu lassen.

Wie viel ist seit langer Zeit über Kunst empfunden, gedacht, geurteilt worden! Wie könnte daher die Rede hoffen, in einer so würdigen Versammlung der erleuchtetsten Kenner und einsichtsvollsten Beurteiler dem Gegenstande neue Reize zu geben, verschmähte dieser nicht fremden Schmuck, und dürfte nicht vielmehr jene auf einen Teil der allgemeinen Kunst und Empfänglichkeit, deren sich dieser erfreut, für sich Rechnung machen! Denn andere Gegenstände müssen durch Beredsamkeit gehoben, oder, wenn sie etwas Überschwengliches an sich haben, durch die Darstellung glaublich gemacht werden. Die Kunst aber hat diesen Vorteil voraus, daß sie sichtbar gegeben ist, und daß Zweifeln, die sonst gegen Behauptungen einer über das gemeine Maß erhabenen Vollkommenheit laut werden, die Ausführung begegnet, indem das, was in der Idee nicht begriffen worden wäre, in dieser Region als verkörpert vor die Augen tritt. Dann kommt der Rede auch diese Betrachtung zustatten, daß die vielen Lehren, die über diesen Gegenstand sich gebildet, doch noch immer viel zu wenig auf die Urquelle der Kunst zurückgegangen sind. Denn die meisten Künstler, ob sie gleich alle die Natur nachahmen sollen, erlangen doch selten einen Begriff, was das Wesen der Natur ist. Kenner aber und Denker finden, der größeren Unzugänglichkeit der Natur wegen, es meistens bequemer, ihre Theorien mehr aus der Betrachtung der Seele als aus einer Wissenschaft der Natur herzuleiten. Solche Lehren sind aber gewöhnlich viel zu flach: sie sagen wohl im allgemeinen manches Gute und Wahre über die Kunst, sind aber doch für den bildenden Künstler selbst unwirksam, für die Ausübung völlig unfruchtbar.

Denn es soll die bildende Kunst, nach dem ältesten Ausdruck, eine stumme Dichtkunst sein. Der Erfinder dieser Erklärung wollte damit ohne Zweifel dieses sagen: sie soll gleich jener geistige Gedanken, Begriffe, deren Ursprung die Seele ist, aber nicht durch die Sprache, sondern wie die schweigende Natur durch Gestalt, durch Form, durch sinnliche, von ihr unabhängige Werke ausdrücken. Die bildende Kunst steht also offenbar als ein tätiges Band zwischen der Seele und der Natur, und kann nur in der lebendigen Mitte zwischen beiden erfaßt werden. Ja, da sie das Verhältnis zu der Seele mit jeder anderen Kunst und namentlich der Poesie gemein hat, so bleibt die Aufgabe, wodurch sie mit der Natur verbunden und eine dieser ähnliche hervorbringende Kraft sein soll, als die ihr allein eigentümliche zurück: nur auf diese kann also auch eine Theorie sich beziehen, die für den Verstand befriedigend, für die Kunst selbst fördernd und ersprießlich sein soll.

Wir hoffen daher, indem wir die bildende Kunst im Verhältnis zu ihrem wahrhaften Vorbild und Urquell, der Natur, betrachten, einiges noch nicht Erkannte zu ihrer Theorie beitragen zu können, einige genauere Bestimmungen oder Aufhellungen von Begriffen zu geben; vornehmlich aber den Zusammenhang des ganzen Gebäudes der Kunst in dem Licht einer höheren Notwendigkeit erscheinen zu lassen.

Aber hat denn die Wissenschaft dieses Verhältnis nicht von jeher erkannt? ist nicht sogar alle Theorie neuerer Zeit von dem bestimmten Grundsatz ausgegangen, daß die Kunst die Nachahmerin der Natur sein solle? Wohl war dem so: aber was sollte dieser weite allgemeine Grundsatz dem Künstler frommen bei der Vieldeutigkeit des Begriffs der Natur, und da es von dieser fast so viele Vorstellungen als verschiedene Lebensweisen gibt. Ist sie doch dem einen nichts mehr als das tote Aggregat einer unbestimmbaren Menge von Gegenständen, oder der Raum, in den er sich die Dinge wie in ein Behältnis gestellt denkt; dem andern nur der Boden, von dem er seine Nahrung und Unterhalt zieht: dem begeisterten Forscher allein die heilige, ewig schlafende Urkraft der Welt, die alle Dinge aus sich selbst erzeugt und werktätig hervorbringt. Eine hohe Bedeutung hatte jener Grundsatz wohl, wenn er die Kunst dieser schaffenden Kraft nacheifern lehre: aber in welchem Sinne er gemeint war, kann kaum zweifelhaft sein, wenn man den allgemeinen Zustand der Wissenschaften in der Zeit seiner ersten Entstehung kennt. Sonderbar genug, wenn eben die, welche alles Leben der Natur verleugnen, es in der Kunst zur Nachahmung aufstellten! Ihnen konnten die Worte des tiefsinnigen Mannes gelten: Eure lügnerische Philosophie hat die Natur aus dem Wege geräumt, und warum fordert ihr, daß wir sie nachahmen? damit ihr das Vergnügen erneuern könnt, an den Schülern der Natur dieselbe Gewalttat auszuüben? Worte J. G. Hamanns in dem Kleeblatt hellenistischer Briefe II, S. 189, gemildert nach dem Zusammenhang gegenwärtiger Rede, denn so lauten sie in des Mannes eignem Ausdruck: »Eure mordlügnerische Philosophie hat die Natur aus dem Wege geräumt, und warum fodert ihr, daß wir selbige nachamen sollen? Damit ihr das Vergnügen erneuern könnt, an den Schülern der Natur auch Mörder zu werden?« – Möchte derjenige, dem der Verfasser die erste genauere Bekanntschaft mit den Schriften jenes urkräftigen Geistes verdankt, F. H. Jacobi, die längst gehoffte Ausgabe der Werke Hamanns entweder noch selbst übernehmen, oder durch sein Wort beschleunigen!

Nicht bloß ein stummes, ein völlig totes Bild war ihnen die Natur, dem auch innerlich kein lebendiges Wort eingeboren war: ein hohles Gerüste von Formen vom dem ein ebenso hohles Bild auf die Leinwand übergetragen oder in Stein ausgehauen werden sollte. Dies war die rechte Lehre jener älteren roheren Völker, die, da sie in der Natur nichts Göttliches sahen, Götzen aus ihr hervorholten; indes den sinnbegabten Hellenen, welche überall die Spur lebendig wirkenden Wesens fühlten, aus der Natur wahrhafte Götter entstanden.

Und sollte denn der Schüler der Natur alles in ihr ohne Unterschied und von jedem jedes nachahmen? Nur schöne Gegenstände und auch von diesen nur das Schöne und Vollkommene soll er wiedergeben. So wurde der Grundsatz näher bestimmt, aber eben damit behauptet: in der Natur sei das Vollkommene mit Unvollkommenem gemischt, das Schöne mit Unschönem. Wie sollte nun der, dem zu der Natur kein anderes Verhältnis als das dienstbarer Nachahmung zukam, das eine von dem andern unterscheiden? Die Art der Nachahmer ist, daß sie die Fehler ihres Urbildes eher und leichter als seine Vorzüge sich aneignen, weil jene faßlichere Handhaben und Merkzeichen darbieten; und so sehen wir auch, daß von Nachahmern der Natur in diesem Sinn das Häßliche öfter und selbst mit mehr Liebe nachgeahmt worden ist als das Schöne. Wenn wir die Dinge nicht auf das Wesen in ihnen ansehen, sondern auf die leere, abgezogene Form, so sagen sie auch unserem Innern nichts: unser eigenes Gemüt, unsern eignen Geist müssen wir daransetzen, daß sie uns antworten. Was ist aber die Vollkommenheit jedes Dings? Nichts anders als das schaffende Leben in ihm, seine Kraft dazusein. Nie also wird dem, welchem die Natur überhaupt als Totes vorschwebt, jener tiefe dem chemischen ähnliche Prozeß gelingen, wodurch, wie im Feuer geläutert, das reine Gold der Schönheit und Wahrheit hervorgeht.

Nichts geändert in der Hauptansicht dieses Verhältnisses wurde auch da, als man anfing, das Ungenügende jenes Grundsatzes allgemeiner zu empfinden. Nichts selbst durch die herrliche Stiftung neuer Lehre und Erkenntnis durch Johann Winckelmann. Zwar er setzte die Seele in der Kunst in ihre ganze Wirksamkeit wieder ein, und erhob sie von der unwürdigen Abhängigkeit in das Reich geistiger Freiheit. Lebhaft bewegt durch die Schönheit der Formen in den Bildungen des Altertums lehrte er, daß Hervorbringung idealischer und über die Wirklichkeit erhabener Natur samt dem Ausdruck geistiger Begriffe die höchste Absicht der Kunst sei.

Untersuchen wir aber, in welchem Sinne von dem größten Teil jenes Übertreffen der Wirklichkeit durch die Kunst verstanden worden, so findet sich, daß auch mit dieser Lehre die Ansicht der Natur als bloßen Produkts, der Dinge als eines leblosen Vorhandenen fortbestand, und die Idee einer lebendigen, schaffenden Natur dadurch keineswegs geweckt wurde. So konnten denn auch jene idealischen Formen durch keine positive Erkenntnis ihres Wesens belebt sein; und waren die der Wirklichkeit tot für den toten Betrachter, so waren es jene nicht minder; war von den letzten keine selbsttätige Hervorbringung möglich, so auch nicht von den ersten. Der Gegenstand der Nachahmung wurde verändert, die Nachahmung blieb. An die Stelle der Natur traten die hohen Werke des Altertums, von denen die Schüler die äußere Form abzunehmen sich befleißigten, doch ohne den Geist, der sie erfüllt. Jene sind aber ebenso unnahbar, ja sie sind unnahbarer als die Werke der Natur, sie lassen dich kälter noch als jene, wenn du nicht das geistige Auge hinzubringst, die Hülle zu durchdringen und die wirkende Kraft in ihnen zu empfinden.

Von der andern Seite erhielten zwar die Künstler seit dieser Zeit einen gewissen idealischen Schwung und Vorstellungen einer über die Materie erhabenen Schönheit, aber diese Vorstellungen waren wie schöne Worte, denen die Taten nicht entsprechen. Hatte früherer Kunstgebrauch Körper ohne Seele erzeugt, so lehrte diese Ansicht nur das Geheimnis der Seele, aber nicht das des Körpers. Die Theorie war, wie es zu geschehen pflegt, mit einem raschen Schritte auf die entgegengesetzte Seite hinübergetreten, aber die lebendige Mitte hatte sie noch nicht gefunden.

Wer kann sagen, daß Winckelmann die höchste Schönheit nicht erkannt? Aber sie erschien bei ihm nur in ihren getrennten Elementen, auf der einen Seite als Schönheit, die im Begriff ist und aus der Seele fließt, auf der andern Seite als die Schönheit der Formen. Welches tätig wirksame Band bindet nun aber beide zusammen, oder durch welche Kraft wird die Seele samt dem Leib zumal und wie mit einem Hauche geschaffen? Liegt dieses nicht im Vermögen der Kunst, wie der Natur, so vermag sie überhaupt nichts zu schaffen. Dieses lebendige Mittelglied bestimmte Winckelmann nicht; er lehrte nicht, wie die Formen von dem Begriff aus erzeugt werden können. So ging die Kunst zu jener Methode über, die wir die rückschreitende nennen möchten, weil sie von der Form zu dem Wesen strebt. Aber so wird das Unbedingte nicht erreicht: durch bloße Steigerung des Bedingten wird es nicht gefunden. Darum zeigen solche Werke, die ihren Anfang von der Form genommen haben, bei aller Bildung von seiten der letzten als Merkmal ihres Ursprungs eine unausfüllbare Leere an eben der Stelle, wo wir das Vollendende, Wesentliche, Letzte erwarten. Das Wunder, wodurch das Bedingte zum Unbedingten gehoben, das Menschliche ein Göttliches werden sollte, bleibt aus; der magische Kreis ist gezogen, aber der Geist, der sich in ihm fassen sollte, erscheint nicht, unfolgsam dem Rufe dessen, der eine Schöpfung durch die bloße Form für möglich hielt.

Ferne sei es von uns, hiermit den Geist des vollendeten Mannes selbst tadeln zu wollen, dessen ewige Lehre und Offenbarung des Schönen mehr die veranlassende als die bewirkende Ursache dieser Richtung der Kunst wurde! Heilig wie das Gedächtnis allgemeiner Wohltäter bleibe uns sein Andenken! Er stand in erhabener Einsamkeit, wie ein Gebirg, durch seine ganze Zeit: kein antwortender Laut, keine Lebensregung, kein Pulsschlag im ganzen weiten Reiche der Wissenschaft, der seinem Streben entgegenkam? Einzig ist Winckelmann in seinem Zeitalter durch die Objektivität nicht allein seines Stils, sondern seiner ganzen Betrachtungsweise. Es gibt eine Geistesart, welche über die Dinge denken, eine andere, die sie an sich selbst, nach ihrer lautern Notwendigkeit erkennen will. Von dieser Art gab Winckelmanns Geschichte der Kunst das erste Beispiel; später erst zeigte sich dieser Geist auch in andern Wissenschaften, wenngleich mit großem Widerstreben der anders Gewöhnten. Gemächlicher ist die erste Art. – Meister kannte Winckelmanns eigentliches Zeitalter nur in dieser, man müßte denn den eben genannten Hamann ausnehmen wollen. Aber ist dieser für sein Zeitalter zu rechnen, in welchem er unverstanden und ohne Wirkung blieb? Lessing, der einzige neben Winckelmann zu nennende Mann jener Zeit, ist dadurch groß, daß er in der gänzlichen Subjektivität derselben, und obwohl er eben in dem Denken über die Dinge die höchste Meisterhaftigkeit entwickelte, doch nach der andern Sinnesart, wenn auch unbewußt, sehnend sich geneigt hat, nicht allein in seiner Erkennung des Spinozismus, sondern in so mancher Anregung, hauptsächlich durch die Erziehung des Menschengeschlechtes. Für ein Vorurteil aber hat der Verfasser immer die Meinung ansehen müssen, als wäre Lessing mit Winckelmann ganz eines und desselben Sinnes und Meinens in Hinsicht der höchsten Absicht der Kunst. – Man höre folgende Fragmente Lessings: »Die eigentliche Bestimmung einer schönen Kunst kann nur dasjenige sein, was sie ohne Beihilfe einer andern hervorzubringen imstande ist. Dieses ist bei der Malerei die körperliche Schönheit. – Um körperliche Schönheiten von mehr als einer Art zusammenbringen zu können, fiel man auf das Historienmalen. – Der Ausdruck, die Vorstellung der Historie war nicht die letzte Absicht des Malers. Die Historie war bloß ein Mittel, seine letzte Absicht, mannigfaltige Schönheit, zu erreichen. – Die neuen Maler machen offenbar das Mittel zur Absicht. Sie malen Historien, um Historien zu malen, und bedenken nicht, daß sie dadurch ihre Kunst nur zu einer Hilfe anderer Künste und Wissenschaften machen, oder wenigstens sich der Hilfe der andern Künste und Wissenschaften so unentbehrlich machen, daß ihre Kunst den Wert einer primitiven Kunst gänzlich dadurch verliert. – Der Ausdruck körperlicher Schönheit ist die Bestimmung der Malerei. – Die höchste körperliche Schönheit also ihre höchste Bestimmung usw.« (Aus Lessings Gedanken und Meinungen, zusammengestellt von Friedrich Schlegel. T.1. S.292.) – Wie sich der scharfscheidende Lessing den Begriff einer rein-körperlichen Schönheit denken und auf diesem bestehen konnte, begreift sich wohl; zur Not auch, wie er sich überreden konnte, daß nach Wegdenkung jenes Zwecks, der Darstellung mannigfaltiger körperlichen Schönheit, für die Historienmalerei kein anderer übrig bleibe als eben – Vorstellung der Historie. Wenn aber Winckelmanns Lehre, wie sie besonders in der Geschichte der Kunst enthalten ist, (die Monumenti inediti sind für Italiener geschrieben und haben nicht gleichen urkundlichen Wert wie die erste) mit jenen Lessingschen Behauptungen in Einklang zu bringen steht; wenn es sich insbesondere als Meinung Winckelmanns erweisen läßt, daß Darstellung von Handlungen und Leidenschaften, kurz, die höchste Gattung in der Malerei nur erfunden worden, um eine Abwechslung körperlicher Schönheit in ihr zu zeigen, so bekennt der Verfasser, von Winckelmann nichts, überall nichts verstanden zu haben. Interessant wird immer die Vergleichung des Laokoon, als des Geistreichsten, was über Kunst in dem obigen Sinne gedacht worden, mit den Werken Winckelmanns in bezug auf äußern und innern Stil beider bleiben; die totale Verschiedenheit der beiden geistigen Behandlungsarten eines Gegenstands muß dabei jedem einleuchtend werden. Als seine wahren Genossen kamen, da eben wurde der Treffliche dahingerafft. Und dennoch hat er so Großes gewirkt! Er gehört durch Sinn und Geist nicht seiner Zeit, sondern entweder dem Altertum an, oder der Zeit, deren Schöpfer er wurde, der gegenwärtigen. Er gab durch seine Lehre die erste Grundlage jenem allgemeinen Gebäude der Erkenntnis und Wissenschaft des Altertums, das spätere Zeiten aufzuführen begonnen haben. Ihm zuerst ward der Gedanke, die Werke der Kunst nach der Weise und den Gesetzen ewiger Naturwerke zu betrachten, da vor und nach ihm alles andere Menschliche als Werk gesetzloser Willkür angesehen und demgemäß behandelt wurde. Sein Geist war unter uns wie eine von sanften Himmelsstrichen herwehende Luft, die den Kunsthimmel der Vorzeit uns entwölkte, und die Ursache ist, daß wir jetzt mit klarem Aug' und durch keine Umnebelung verhindert die Sterne desselben erblicken. Wie hat er die Leere seiner Zeit empfunden! Ja, hätten wir keinen andern Grund als sein ewiges Gefühl der Freundschaft und die unauslöschliche Sehnsucht ihres Genusses, so wäre diese Rechtfertigung genug für das Wort der Bekräftigung geistiger Liebe gegen den Vollendeten, den Mann klassischen Lebens und klassischen Wirkens. Und hat er außer jener noch eine andere Sehnsucht empfunden, die ihm nicht gestillt wurde, so ist es die nach innigerer Erkenntnis der Natur. Er selbst äußert in den letzten Lebensjahren wiederholt vertrauten Freunden, seine letzten Betrachtungen würden von der Kunst auf die Natur gehen Man sehe z. B. die Dasdorfische Briefsammlung. II. T., S. 235; gleichsam vorempfindend den Mangel und daß ihm fehlte, die höchste Schönheit, die er in Gott fand, auch in der Harmonie des Weltalls zu erblicken.

Die Natur tritt uns überall zuerst in mehr oder weniger harter Form und Verschlossenheit entgegen. Sie ist wie die ernsthafte und stille Schönheit, die nicht durch schreiende Zeichen die Aufmerksamkeit reizt, nicht das gemeine Auge anzieht. Wie können wir jene scheinbar harte Form geistig gleichsam schmelzen, daß die lautere Kraft der Dinge mit der Kraft unseres Geistes zusammenfließt, und aus beiden nur ein Guß wird? Wir müssen über die Form hinausgehen, um sie selbst verständlich, lebendig und als wahrhaft empfundene wiederzugewinnen. Betrachtet die schönsten Formen, was bleibt übrig, wenn ihr das wirkende Prinzip aus ihnen hinweggedacht habt? Nichts als lauter unwesentliche Eigenschaften, dergleichen Ausdehnung und räumliches Verhältnis sind. Daß ein Teil der Materie neben und außer dem andern ist, trägt dies irgend etwas zu seiner innern Wesenheit bei, oder trägt es vielmehr gar nichts bei? Offenbar das Letzte. Nicht das Nebeneinandersein macht die Form, sondern die Art desselben: diese aber kann nur durch eine positive, dem Außereinander vielmehr entgegenwirkende Kraft bestimmt sein, welche die Mannigfaltigkeit der Teile der Einheit eines Begriffs unterwirft, von der Kraft an, die im Kristall wirkt, bis zu der, welche wie ein sanfter magnetischer Strom in menschlichen Bildungen den Teilen der Materie eine solche Stellung und Lage untereinander gibt, durch welche der Begriff, die wesentliche Einheit und Schönheit sichtbar werden kann.

Aber nicht bloß als tätiges Prinzip überhaupt, als Geist und werktätige Wissenschaft muß uns das Wesen in der Form erscheinen, damit wir es lebendig fassen. Kann doch alle Einheit nur geistiger Art und Abkunft sein, und wohin trachtet alle Forschung der Natur, wenn nicht dahin, selbst Wissenschaft in ihr zu finden? Denn das, worin kein Verstand wäre, könnte auch nicht Vorwurf des Verstandes sein, das Erkenntnislose selbst nicht erkannt werden. Die Wissenschaft, durch welche die Natur wirkt, ist freilich keine der menschlichen gleiche, die mit der Reflexion ihrer selbst verknüpft wäre: in ihr ist der Begriff nicht von der Tat, noch der Entwurf von der Ausführung verschieden. Darum trachtet die rohe Materie gleichsam blind nach regelmäßiger Gestalt, und nimmt unwissend rein stereometrische Formen an, die doch wohl dem Reich der Begriffe angehören, und etwas Geistiges sind im Materiellen. Den Gestirnen ist die erhabenste Zahl und Meßkunst eingeboren, die sie, ohne einen Begriff derselben, in ihren Bewegungen ausüben. Deutlicher, obwohl ihnen selbst unfaßlich, erscheint die lebendige Erkenntnis in den Tieren, welche wir darum, wandeln sie gleich besinnungslos dahin, unzählige Wirkungen vollbringen sehen, die viel herrlicher sind als sie selbst: den Vogel, der von Musik berauscht in seelenvollen Tönen sich selbst übertrifft, das kleine Kunst begabte Geschöpf, das ohne Übung und Unterricht leichte Werke der Architektur vollbringt, alle aber geleitet von einem übermächtigen Geist, der schon in einzelnen Blitzen von Erkenntnis leuchtet, aber noch nirgends als die volle Sonne, wie im Meiischen, hervortritt.

Diese werktätige Wissenschaft ist in Natur und Kunst das Band zwischen Begriff und Form, zwischen Leib und Seele. Jedem Ding stehet ein ewiger Beariff vor, der in dem unendlichen Verstande entworfen ist; aber wodurch geht dieser Begriff in die Wirklichkeit und die Verkörperung über? Allein durch die schaffende Wissenschaft, welche mit dem unendlichen Verstande ebenso notwendig verbunden ist, wie in dem Künstler das Wesen, welches die Idee unsinnlicher Schönheit faßt, mit dem, welches sie versinnlicht darstellt. Ist derjenige Künstler glücklich zu nennen um vor allen lobenswert, dem die Götter diesen schaffenden Geist verliehen haben, so wird das Kunstwerk in dem Maße trefflich erscheinen, in welchem es uns diese unverfälschte Kraft der Schöpfung und Wirksamkeit der Natur wie in einem Umrisse zeigt.

Schon längst ist eingesehen worden, daß in der Kunst nicht alles mit dem Bewußtsein ausgerichtet wird, daß mit der bewußten Tätigkeit eine bewußtlose Kraft sich verbinden muß, und daß die vollkommne Einigkeit und gegenseitige Durchdringung dieser beiden das Höchste der Kunst erzeugt. Werke, denen das Siegel bewußtloser Wissenschaft fehlt, werden durch den fühlbaren Mangel an selbständigen, von dem Hervorbringenden unabhängigen Leben erkannt, da im Gegenteil, wo diese wirkt, die Kunst ihrem Werk mit der höchsten Klarheit des Verstandes zugleich jene unergründliche Realität erteilt, durch die es einem Naturwerk ähnlich erscheint.

Die Lage des Künstlers gegen die Natur sollte oft durch den Ausspruch klar gemacht werden, daß die Kunst, um dieses zu sein, sich erst von der Natur entfernen müsse, und nur in der letzten Vollendung zu ihr zurückkehre. Der wahre Sinn, desselben scheint uns kein anderer sein zu können als folgender. In allen Naturwesen zeigt sich der lebendige Begriff nur blind wirksam: wäre es auf dieselbe Weise im Künstler, so würde er sich von der Natur überhaupt nicht unterscheiden. Wollte er sich aber mit Bewußtsein dem Wirklichen ganz unterordnen, und das Vorhandensein mit knechtischer Treue wiedergeben, so würde er wohl Larven hervorbringen, aber keine Kunstwerke. Er muß sich also vom Produkt oder vom Geschöpf entfernen, aber nur um sich zu der schaffenden Kraft zu erheben und diese geistig zu ergreifen. Hindurch schwingt er sich in das Reich reiner Begriffe; er verläßt das Geschöpf, um es mit tausendfältigem Wucher wiederzugewinnen, und in diesem Sinn allerdings zur Natur zurückzukehren. Jenem im Inneren der Dinge wirksam durch Form und Gestalt nur wie durch Sinnbilder redenden Naturgeist soll der Künstler allerdings nacheifern, und nur insofern er diesen lebendig nachahmend ergreift, hat er selbst etwas Wahrhaftes erschaffen. Demi Werke, die aus einer Zusammensetzung auch übrigens schöner Formen entstünden, wären doch ohne alle Schönheit indem das, wodurch nun eigentlich das Werk oder das Ganze schon ist, nicht mehr Form sein kann. Es ist über die Form, ist Wesen, Allgemeines, ist Blick und Ausdruck des inwohnenden Naturgeistes.

Kaum zweifelhaft kann es nun sein, was von dem so durchgängig geforderten und sogenannten Idealisieren der Natur in der Kunst zu halten sei. Diese Forderung scheinet aus einer Denkart zu entspringen, nach welcher nicht die Wahrheit, Schönheit, Güte, sondern das Gegenteil von dem allen das Wirkliche ist. Wäre das Wirkliche der Wahrheit und Schönheit in der Tat entgegengesetzt, so müßte es der Künstler nicht erheben oder idealisieren, er müßte es aufheben und vernichten, um etwas Wahres und Schönes zu erschaffen. Wie sollte aber irgend etwas außer dem Wahren wirklich sein können, und was ist Schönheit, wenn sie nicht das volle mangellose Sein ist. Welche höhere Absicht könnte demnach auch, die Kunst haben, als das in der Natur in der Tat Seiende darzustellen? oder wie sich vornehmen, die sogenannte wirkliche Natur zu übertreffen, da sie doch stets unter dieser zurückbleiben müßte? Denn gibt sie etwa ihren Werken das sinnlichwirkliche Leben? Diese Bildsäule atmet nicht, wird von keinem Pulsschlag bewegt, von keinem Blute erwärmt. Beides aber, jenes angebliche Übertreffen und dieses scheinbare Zurückbleiben, zeigt sich als Folge eines und desselben Prinzips, sobald wir nur die Absicht der Kunst in die Darstellung des wahrhaft Seienden setzen. Nur auf der Oberfläche sind ihre Werke scheinbar belebt: in der Natur scheint das Leben tiefer zu dringen und sich ganz mit dem Stoff zu vermählen. Belehrt uns aber nicht von der Unwesentlichkeit dieser Verbindung, und daß sie keine innige Verschmelzung sei, der beständige Wechsel der Materie und das allgemeine Los endlicher Auflösung? Die Kunst stellt also in der bloß oberflächlichen Belebung ihrer Werke in der Tat nur das Nichtseiende als nichtseiend dar. Wie kommt es, daß jedem einigermaßen gebildeten Sinn die bis zur Täuschung getriebenen Nachahmungen des sogenannt Wirklichen als im höchsten Grade unwahr erscheinen, ja den Eindruck von Gespenstern machen, indes ein Werk, in dem der Begriff herrschend ist, ihn mit der vollen Kraft der Wahrheit ergreift, ja ihn erst in die echt wirkliche Welt versetzt? Woher kommt es wenn nicht aus dem mehr oder weniger dunkeln Gefühl, welches ihm sagt, daß der Begriff das allein Lebendige in den Dingen ist, alles andere aber wesenlos und eitler Schatten? Aus demselben Grundsatz erklären sich alle entgegengesetzten Fälle, welche als Beispiele der Übertreffung der Natur durch die Kunst angeführt werden. Wenn sie den schnellen Lauf menschlicher Jahre anhält, wenn sie die Kraft entwickelter Männlichkeit mit dem sanften Reiz früher Jugend verbindet, oder eine Mutter erwachsener Söhne und Töchter in dem vollen Bestand kräftiger Schönheit zeigt: was tut sie anders, als daß sie aufhebt, was unwesentlich ist, die Zeit? Hat nach der Bemerkung des trefflichen Kenners ein jedes Gewächs der Natur nur einen Augenblick der wahren vollendeten Schönheit, so dürfen wir sagen, daß es auch nur einen Augenblick des vollen Daseins habe. In diesem Augenblick ist es, was es in der ganzen Ewigkeit ist: außer diesem kommt ihm nur ein Werden und ein Vergehen zu. Die Kunst, indem sie das Wesen in jenem Augenblick darstellt, hebt es aus der Zeit heraus; sie läßt es in seinem reinen Sein, in der Ewigkeit seines Lebens erscheinen.

Nachdem einmal aus der Form alles Positive und Wesentliche hinweggedacht war, so mußte sie als beschränkend und gleichsam feindselig gegen das Wesen erscheinen, und dieselbe Theorie, welche das falsch und unkräftig Idealische hervorgerufen hatte, notwendig zugleich auf das Formlose in der Kunst hinwirken. Allerdings müßte die Form beschränkend für das Wesensein wäre sie unabhängig von ihm vorhanden. Ist sie aber mit und durch das Wesen, wie könnte sich dieses beschränkt fühlen durch das, was es selbst erschafft? Wohl möchte ihm Gewalt geschehen durch die Form die ihm aufgedrungen würde, nimmer aber durch die, welche aus ihm selbst fließt. Vielmehr muß es in dieser befriedigt ruhen und fein Dasein als ein selbständiges in sich abgeschlossenes empfinden. Die Bestimmtheit der Form ist in der Natur nie eine Verneinung, sondern stets eine Bejahung. Gemeinhin denkst du freilich die Gestalt eines Körpers als eine Einschränkung, welche er leidet; sähest du aber die schaffende Kraft an, so würde sie dir einleuchten als ein Maß, das diese sich selbst auferlegt, und in dein sie als eine wahrhaft sinnige Kraft erscheint. Denn überall wird das Vermögen eigener Maßgebung als eine Trefflichkeit, ja als eine der höchsten angesehen. Auf ähnliche Weise betrachten die meisten das Einzelne verneinend, nämlich als das, was nicht das Ganze oder Alles ist: es bestehet aber kein Einzelnes durch seine Begrenzung, sondern durch die ihm einwohnende Kraft, mit der es sich als ein eignes Ganzes dem Ganzen gegenüber behauptet.

Da diese Kraft der Einzelheit und also auch der Individualität sich als lebendiger Charakter darstellt, so hat der verneinende Begriff derselben notwendig die ungenügende und falsche Ansicht des Charakteristischen in der Kunst zur Folge. Tot und von unträglicher Härte wäre die Kunst, welche die leere Schale ober Begrenzung des Individuellen darstellen wollte. Wir verlangen allerdings nicht das Individuum, wir verlangen mehr zu sehen, den lebendigen Begriff desselben. Wenn aber der Künstler Blick und Wesen der in ihm schaffenden Idea erkannt, und diese heraushebt, bildet er das Individuum zu einer Welt für sich, einer Gattung, einem ewigen Urbild; und wer das Wesen ergriffen, darf auch die Härte und Strenge nicht fürchten, denn sie ist die Bedingung des Lebens. Die Natur, welche in ihrer Vollendung als die höchste Milde erscheint, sehen wir in allem Einzelnen auf Bestimmtheit, ja zuerst und vor allem andern auf Härte, auf Verschlossenheit des Lebens hinwirken. Wie die ganze Schöpfung ein Werk der höchsten Entäußerung ist, so muß der Künstler zuerst sich selbst verleugnen und ins Einzelne hinabsteigen, die Abgeschiedenheit nicht scheuend, noch den Schmerz, ja die Pein der Form. Von ihren ersten Werken an ist die Natur durchaus charakteristisch; die Kraft des Feuers, den Blitz des Lichtes verschließt sie in harten Stein, die holde Seele des Klangs in strenges Metall; selbst an der Schwelle des Lebens und schon auf organische Gestalt sinnend, sinkt sie von der Kraft der Form überwältiget in Versteinerung zurück. Das Leben der Pflanze bestehet in stiller Empfänglichkeit; aber in welchen genauen und strengen Umriß ist dies duldende Leben eingeschlossen? Im Tierreich scheint erst der Streit zwischen Leben und Form recht zu beginnen, ihre ersten Werke birgt sie in harte Schalen, und wo diese abgelegt werden, schließt sich die belebte Welt durch den Kunsttrieb wieder an das Reich der Kristallisation an. Endlich tritt sie kecker und freier hervor, und es zeigen sich tätige lebendige Charaktere, die ganze Gattungen hindurch dieselben sind. Die Kunst kann zwar nicht so tief anfangen wie die Natur. Ist Schönheit gleich überall verbreitet, so gibt es doch verschiedene Grade der Erscheinung und Entfaltung des Wesens und damit der Schönheit; die Kunst aber verlangt eine gewisse Fülle derselben, und möchte nicht den einzelnen Klang oder Ton, noch selbst den abgesonderten Akkord, sondern die vollstimmige Melodie der Schönheit zugleich anschlagen. Sie greift darum am liebsten unmittelbar nach dem Höchsten und Entfaltetsten, der menschlichen Gestalt. Denn da ihr das unermeßliche Ganze zu umfassen nicht vergönnt ist, und in allen andern Geschöpfen nur einzelne Fulgurationen, im Menschen allein das ganze volle Sein ohne Abbruch erscheinet, so ist ihr nicht nur verstattet, sondern sie ist aufgefordert, die gesamte Natur nur im Menschen zu sehen. Gerade darum aber, weil diese hier alles in einem Punkte versammelt, wiederholt sie auch ihre ganze Mannigfaltigkeit, und legt denselben Weg, den sie in ihrem weiten Umfange durchlaufen hatte, zum zweitenmal in einem engeren zurück. Hier also entsteht die Forderung an den Künstler, erst im Begrenzten treu, und wahr zu sein, um im Ganzen vollendet und schön zu erscheinen. Hier gilt es mit dem schaffenden Naturgeist, der auch in der Menschenwelt Charakter und Gepräge in unergründlicher Mannigfaltigkeit austeilt, zu ringen, nicht in schlaffem und weichlichem, sondern in starkem und mutigem Kampf. Anhaltende Übung der Erkenntnis desjenigen, wodurch das Eigentümliche der Dinge ein Positives ist, muß ihn vor Leerheit, Weichheit, innerer Nichtigkeit bewahren, eh' er es wagen darf, durch immer höhere Verbindung und endliche Verschmelzung mannigfaltiger Formen die äußerste Schönheit in Bildungen von höchster Einfalt bei unendlichem Inhalt erreichen zu wollen.

Nur durch die Vollendung der Form kann die Form vernichtet werden, und dieses ist allerdings im Charakteristischen das letzte Ziel der Kunst. Wie aber die scheinbare Übereinstimmung, zu der gehaltlose Seelen leichter als andere gelangen, innerlich dennoch nichtig ist, so verhält es sich in der Kunst mit der schnell erlangten äußern Harmonie ohne die Fülle des Inhaltes, und hat Lehre und Unterricht der geistlosen Nachahmung schöner Formen entgegenzuwirken, so vornehmlich auch der Neigung zu einer verzärtelten charakterlosen Kunst, die sich zwar höhere Namen gibt, aber damit nur ihr Unvermögen, die Grundbedingungen zu erfüllen, bedeckt.

Jene erhabene Schönheit, wo die Fülle der Form die Form selbst aufhebt, wurde von der neueren Kunstlehre nach Winckelmann nicht nur als höchstes, sondern als einziges Maß angenommen. Weil man aber den tiefen Grund, auf den, sie ruht, übersehen, so geschah es, daß sogar von dem Inbegriff alles Bejahenden ein verneinender Begriff gefaßt wurde. Winckelmann vergleichet die Schönheit mit dem Wasser, das, aus dem Schoß der Quelle geschöpft, je weniger Geschmack es hat, desto gesunder geachtet wird. Es ist wahr, daß die höchste Schönheit charakterlos ist; aber sie ist es, wie wir auch sagen, daß das Weltall keine bestimmte Abmessung, weder Länge, noch Breite, noch Tiefe habe, weil es alle in gleicher Unendlichkeit enthält, oder daß die Kunst der schöpferischen Natur formlos sei, weil sie selbst keiner Form unterworfen ist. In diesem und keinem andern Verstande können wir sagen, daß die Hellenische Kunst in ihrer höchsten Bildung sich zum Charakterlosen erhebe. Aber nicht unmittelbar strebte sie nach diesem. Aus den Banden der Natur wand sie sich erst zu göttlicher Freiheit empor. Kein leicht hingesäetes Korn, nur ein tiefverschlossener Kern konnte es sein, aus dem dies Heldengewächs entsproß. Nur mächtige Bewegungen des Gefühls, nur tiefe Erschütterung der Phantasie durch den Eindruck allbelebender, allwaltender Naturkräfte konnten der Kunst die unbezwingliche Kraft einprägen, mit der sie von dem starren verschlossenen Ernst der Bildungen früher Zeiten bis zu den Werken überfließender sinnlicher Anmut stets der Wahrheit getreu blieb, und die höchste Realität geistig erzeugte, welche Sterblichen zu schauen vergönnt ist. Wie ihre Tragödie mit dem größten Charakter im Sittlichen beginnt, so war der Anfang ihrer Plastik der Ernst der Natur, und die strenge Göttin Athens die erste und einzige Muse bildender Kunst. Diese Epoche wird bezeichnet durch denjenigen Stil, welchen Winckelmann als den noch herben und strengen schildert, aus dem sich der nächste oder hohe Stil nur durch die Steigerung des Charakteristischen zum Erhabenen und zur Einfalt entwickeln konnte. In den Bildern der vollkommensten oder göttlichen Naturen mußte nämlich nicht nur die Fülle von Formen, deren die menschliche Natur überhaupt fähig ist, vereinigt werden: die Vereinigung mußte auch von der Art sein, wie wir sie uns im Weltall selbst gedenken können, daß nämlich die niedrigeren oder die auf geringere Eigenschaften sich beziehenden unter höhere, alle zuletzt unter eine höchste ausgenommen wurden, in der sie sich zwar als besondere gegenseitig auslöschten, dem Wesen und der Kraft nach aber bestanden. Wenn wir daher diese hohe und selbstgenügsame Schönheit nicht charakteristisch nennen können, inwiefern dabei an Beschränkung ober Bedingtheit der Erscheinung gedacht wird, so wirkte in ihr das Charakteristische dennoch auch ununterscheidbar fort, wie im Kristall, ist er gleich durchsichtig, die Textur nichtsdestoweniger besteht: jedes charakteristische Element wiegt, wenn auch noch so sanft, mit, und hilft die erhabene Gleichgültigkeit der Schönheit bewirken.

Die äußere Seite oder Basis aller Schönheit ist die Schönheit der Form. Da aber Form ohne Wesen nicht sein kann, so ist, wo mir immer Form ist, in sichtbarer oder nur empfindbarer Gegenwart auch Charakter. Charakteristische Schönheit ist daher die Schönheit in ihrer Wurzel, aus welcher dann erst die Schönheit als Frucht sich erheben kann; das Wesen überwächst wohl die Form, aber auch dann bleibt das Charakteristische die noch immer wirksame Grundlage des Schönen.

Der würdigste Kenner, dem die Götter die Natur samt der Kunst zum Königreich gegeben, vergleicht das Charakteristische in seinem Verhältnis zur Schönheit mit dem Skelett in seinem Verhältnis zur lebendigen Gestalt. Sollten wir das treffende Gleichnis in unserm Sinne deuten, so würden wir sagen, daß das Skelett in der Natur nicht wie in unsern Gedanken von dem lebendigen Ganzen getrennt ist; daß Festes und Weiches, Bestimmendes und Bestimmtes sich gegenseitig voraussetzen und nur miteinander sein können, daß eben darum das lebendig Charakteristische schon die ganze aus der Wechselwirkung von Knochen und Fleisch, von Tätigem und Leidendem entstandene Gestalt sei. Drängt auch die Kunst, wie die Natur, auf ihren höheren Stufen das erst sichtbare Knochengerüste nach innen zurück, so kann es der Gestalt und Schönheit nie entgegengesetzt werden, da es nicht aufhört, sowohl zu dieser als jener bestimmend mitzuwirken.

Ob aber jene hohe und gleichgültige Schönheit auch als einziges Maß in der Kunst gelten solle, wie sie als das höchste gilt: dieses scheint von dem Grade der Ausbreitung und Fülle abhängen zu müssen, mit welcher die bestimmte Kunst wirken kann. Stellt doch die Natur in ihrem weiten Kreis das Höhere immer mit seinem Niedereren zugleich dar: Göttliches schaffend im Menschen, wirkt sie in allen übrigen Produkten den bloßen Stoff und Grund desselben, welcher sein muß, damit im Gegensatz mit ihm das Wesen als solches erscheine. Wird ja doch in der höhern Welt des Menschen selbst die große Masse wieder zur Basis, an der sich das in wenigeren rein enthaltene Göttliche durch Gesetzgebung, Herrschaft, Glaubensstiftung manifestiert. Wo daher die Kunst mehr mit der Mannigfaltigkeit der Natur wirkt, da darf und muß sie neben dem höchsten Maß der Schönheit auch wieder ihre Grundlage und gleichsam den Stoff derselben in eigenen Bildungen zeigen. Bedeutend entfaltet sich hier zuerst die verschiedene Natur der Kunstformen. Die Plastik im genaueren Sinn des Worts verschmähet ihrem Gegenstand den Raum äußerlich zu geben; er trägt ihn in sich. Aber eben dies verbietet ihr größere Ausbreitung, ja sie ist genötigt, die Schönheit des Weltalls fast auf einem Punkte zu zeigen. Sie muß als unmittelbar zum Höchsten streben, und kann Mannigfaltigkeit nur getrennt und durch die strengste Ausscheidung des gegenseitig Widerstrebenden erreichen. Durch die Absonderung des rein Tierischen in der menschlichen Natur gelingt es ihr auch, niedere Schöpfungen übereinstimmend und sogar schön zu bilden, wovon uns die Schönheit vieler aus dem Altertum erhaltener Faune belehrt, ja sie kann, wie der heitere Naturgeist sich selbst parodierend, ihr eignes Ideal umkehren und z. B. in dem Übermaß der Silenenbildungen durch die spielende und scherzende Behandlung selbst von dem Druck der Materie wieder befreit erscheinen. Immer aber ist sie genötigt, ihr Werk ganz abzusondern, um es mit sich übereinstimmend und zu einer Welt für sich zu machen, indem es für sie keine höhere Einheit gibt, in der sich die Dissonanz des Einzelnen auflösen könnte. Dagegen kann die Malerei im Umfang schon mehr mit der Welt sich messen und in epischer Ausbreitung dichten. In einer Ilias hat auch ein Thersites Raum, und was findet nicht alles in dem großen Heldengedicht der Natur und der Geschichte Platz! Hier zählt der Einzelne kaum für selbst; das Ganze tritt an seine Stelle, und was für sich nicht schön wäre, wird es durch die Harmonie des Ganzen. Würde in einem ausgebreiteten Werk der Malerei, welche ihre Gestalten durch den beigegebenen Raum, durch Licht, durch Schatten, durch Widerschein verbindet, das höchste Maß der Schönheit überall angewendet, so entstünde hieraus die naturwidrigste Eintönigkeit, da, wie Winckelmann sagt, der höchste Begriff der Schönheit überall nur einer und derselbe ist und wenig Abweichungen verstattet. Das Einzelne wäre dann dem Ganzen vorgezogen, anstatt daß überall, wo das Ganze aus einer Vielheit entsteht, das Einzelne ihm unterworfen sein soll. Es müssen daher in einem solchen Werk Abstufungen der Schönheit beobachtet werden, wodurch erst die im Mittelpunkt konzentrierte volle Schönheit sichtbar wird, und aus einem Übergewicht im Einzelnen ein Gleichgewicht im Ganzen hervorgeht. Hier findet denn auch das beschränkt Charakteristische seine Stelle, und die Theorie wenigstens sollte den Maler nicht sowohl auf jenen engen Raum hinweisen, der alles Schöne konzentrisch versammelt, als an die charakteristische Mannigfaltigkeit der Natur, durch welche allein er einem größern Werk das Vollgewicht lebendigen Inhalts erteilen kann. So dachte unter den Stiftern der neuen Kunst der herrliche Leonardo, so der Meister hoher Schönheit, Raphael, der sich nicht scheute, lieber auch das geringere Maß derselben darzustellen, als eintönig, unlebendig und unwirklich zu erscheinen, verstand er gleich nicht nur jene hervorzubringen, sondern sogar ihre Gleichmäßigkeit durch die Verschiedenheit des Ausdrucks wieder zu brechen.

Kann sich nämlich der Charakter zwar auch in Ruhe und im Gleichgewicht der Form ausdrücken, so ist er doch in seiner Tätigkeit erst eigentlich lebendig. Wir denken uns unter Charakter eine Einheit mehrerer Kräfte, welche beständig auf ein gewisses Gleichgewicht und bestimmtes Maß derselben hinwirkt, welchem dann, wenn es ungestört ist, ein ähnliches Gleichgewicht im Ebenmaß der Formen entspricht. Soll sich aber jene lebendige Einheit in Handlung und Tätigkeit zeigen, so ist dies nicht anders möglich, als wenn die Kräfte durch irgendeine Ursache zur Empörung gereizt, aus ihrem Gleichgewicht treten. Jedermann erkennt an, daß dies der Fall in Leidenschaften sei.

Hier stellt sich uns nun jene bekannte Vorschrift der Theorie dar, welche verlangt, die Leidenschaft in dem wirklichen Ausbruch so viel möglich zu mäßigen, damit die Schönheit der Form nicht verletzt werde. Wir glauben aber diese Vorschrift vielmehr umkehren und so ausdrücken zu müssen, daß die Leidenschaft eben durch die Schönheit selbst gemäßigt werden solle. Denn es ist sehr zu befürchten, daß auch jene verlangte Mäßigung verneinend verstanden werde, da die wahre Forderung vielmehr ist, der Leidenschaft eine positive Kraft entgegenzusetzen. Denn wie die Tugend nicht in der Abwesenheit der Leidenschaften, sondern in der Gewalt des Geistes über sie besteht: so wird Schönheit nicht bewährt durch Entfernung oder Verminderung derselben, sondern durch die Gewalt der Schönheit über sie. Die Kräfte der Leidenschaften müssen sich also wirklich zeigen, es muß sichtbar sein, daß sie sich gänzlich empören könnten, aber durch die Gewalt des Charakters niedergehalten werden, und an den Formen festgegründeter Schönheit wie Wellen eines Stroms sich brechen, der seine Ufer eben anfüllt, aber nicht überschwellen kann. Sonst möchte jenes Unternehmen der Mäßigung nur dem seichter Moralisten gleichen, welche, um mit dem Menschen fertig zu werden, lieber die Natur in ihm verstümmeln und alles Positive aus den Handlungen so rein hinweggenommen haben, daß das Volk sich an dem Schauspiel großer Verbrechen werdet, um sich noch durch den Anblick von irgend etwas Positiven zu erquicken.

In Natur und Kunst strebt das Wesen zuerst nach der Verwirklichung oder Darstellung seiner selbst im Einzelnen. Darum zeigt sich die größte Strenge der Form in den Anfängen beider; denn ohne Begrenzung könnte das Grenzenlose nicht erscheinen; wäre nicht Härte, so könnte die Milde nicht sein, und soll die Einheit fühlbar werden, so kann dies nur durch Eigenheit, Absonderung und Widerstreit geschehen. Im Beginn daher erscheint der schaffende Geist ganz verloren in die Form, unzugänglich, verschlossen und selbst im großen noch herb. Je mehr es ihm aber gelingt, seine ganze Fülle in einem Geschöpf zu vereinigen, desto mehr läßt er allmählich von seiner Strenge nach, und wo er die Form völlig ausgebildet, so daß er in ihr befriedigt ruht und sich selbst faßt, erheitert er sich gleichsam, und fängt an, in sanften Linien sich zu bewegen. Dieses ist der Zustand der schönsten Reife und Blüte, wo das reine Gefäß vollendet dasteht, der Naturgeist frei wird von seinen Banden und seine Verwandtschaft mit der Seele empfindet. Wie durch eine linde Morgenröte, die über der ganzen Gestalt aufsteigt, kündigt sich die kommende Seele an; noch ist sie nicht da, aber alles bereitet sich durch das leise Spiel zarter Bewegungen zu ihrem Empfang: die starren Umrisse schmelzen, und mildern sich in sanfte; ein liebliches Wesen, das weder sinnlich noch geistig, sondern unfaßlich ist, verbreitet sich über die Gestalt, und schmiegt sich allen Umrissen, jeder Schwingung der Gliedmaßen an. Dieses, wie gesagt, nicht greifliche und doch allen empfindbare Wesen ist, was die Sprache der Griechen mit dem Namen der Charis, die unsrige als Anmut bezeichnet.

Wo in völlig ausgewirkter Form Anmut erscheint, da ist das Werk von seiten der Natur vollendet, es gebricht ihm nichts mehr, alle Forderungen sind befriedigt. Auch hier schon ist Seele und Leib in vollkommenen, Einklang; Leib ist die Form, Anmut ist die Seele, obgleich nicht Seele an sich, sondern die Seele der Form oder die Naturseele.

Die Kunst kann auf diesem Punkt verweilen und stehenbleiben; denn schon ist von einer Seite wenigstens ihre ganze Aufgabe erfüllt. Das reine Bild der auf dieser Stufe angehaltenen Schönheit ist die Göttin der Liebe. Die Schönheit aber der Seele an sich, mit sinnlicher Anmut verschmolzen: diese ist die höchste Vergöttlichung der Natur.

Der Geist der Natur ist nur scheinbar der Seele entgegengesetzt; an sich aber das Werkzeug ihrer Offenbarung: er wirkt zwar den Gegensatz der Dinge, aber nur damit das einige Wesen, als die höchste Milde und Versöhnung aller Kräfte, hervorgehen könne. Alle andern Geschöpfe sind von dem bloßen Naturgeist getrieben, und behaupten durch ihn ihre Individualität; im Menschen allein als im Mittelpunkt geht die Seele auf, ohne welche die Welt wie die Natur ohne die Sonne wäre.

Die Seele ist also im Menschen nicht das Prinzip der Individualität, sondern das, wodurch er sich über alle Selbstheit erhebt, wodurch er der Aufopferung seiner selbst, uneigennütziger Liebe, und, was das Höchste ist, der Betrachtung und Erkenntnis des Wesens der Dinge, eben damit der Kunst, fähig wird. Sie ist nicht mehr mit der Materie beschäftigt, noch verkehrt sie unmittelbar mit ihr, sondern nur mit dem Geist, als dem Leben der Dinge. Auch im Körper erscheinend, ist sie dennoch frei von dem Körper, dessen Bewußtsein in ihr, in den schönsten Bildungen, nur wie ein leichter Traum schwebt, von dem sie nicht gestört wird. Sie ist keine Eigenschaft, kein Vermögen oder irgend etwas der Art insbesondere; sie weiß nicht, sondern sie ist die Wissenschaft, sie ist nicht gut, sondern sie ist die Güte, sie ist nicht schön, wie es auch der Körper sein kann, sondern sie ist die Schönheit selber.

Zuerst oder zunächst zeigt sich freilich in dem Kunstwerk die Seele des Künstlers durch die Erfindung im Einzelnen; und im Ganzen, wenn sie als Einheit über ihm in ruhiger Stille schwebt. Aber sie soll im Dargestellten sichtbar werden; als Urkraft des Gedankens, wenn menschliche Wesen, ganz erfüllt von einem Begriff, einer würdigen Betrachtung vorgestellt werden: oder als einwohnende, wesentliche Güte. Beides findet auch im ruhigsten Stande seinen deutlichen Ausdruck, lebendigeren jedoch, wenn die Seele sich tätig und im Gegensatz offenbaren kann; und weil es hauptsächlich die Leidenschaften sind, welche den Frieden des Lebens unterbrechen, so ist allgemein angenommen, daß sich die Schönheit der Seele vornehmlich durch die ruhige Gewalt im Sturme der Leidenschaften zeige.

Allein es ist hier eine bedeutende Unterscheidung zu machen. Denn um diejenigen Leidenschaften zu mäßigen, welche nur eine Empörung niederer Naturgeister sind, muß die Seele nicht herbeigerufen werden; noch kann sie im Gegensatz mit demselben gezeigt werden; denn wo die Besonnenheit noch mit diesen ringt, ist die Seele überhaupt noch nicht aufgegangen; diese müssen schon durch die Natur des Menschen, durch die Macht des Geistes gemäßigt sein. Allein es gibt höhere Fälle, in denen nicht nur eine einzelne Kraft, in denen der besonnene Geist selbst alle Dämme durchbricht; ja Fälle, wo auch die Seele durch das Band, das sie mit dem sinnlichen Dasein verknüpft, dem Schmerz, der ihrer göttlichen Natur fremd sein sollte, unterworfen wird, wo der Mensch sich nicht durch bloße Naturkräfte, sondern durch sittliche Mächte bekämpft und in der Wurzel seines Lebens angegriffen fühlt, wo unverschuldeter Irrtum ihn in Verbrechen und damit in Unglück reißt, tiefgefühltes Unrecht die heiligsten Gefühle der Menschlichkeit zur Empörung aufruft. Es ist dies der Fall aller wahrhaft und im erhabenen Sinn tragischen Zustände, wie sie uns das Trauerspiel des Altertums vor Augen stellt. Wenn blind leidenschaftliche Kräfte aufgeregt sind, so ist der besonnene Geist als Hüter der Schönheit gegenwärtig; wenn aber der Geist selbst wie durch eine unwiderstehliche Gewalt fortgerissen wird, welche Macht schützt da, wachend über sie, die heilige Schönheit? Oder wenn auch die Seele mit leidet, wie rettet sie sich von Schmerz und vor Entweihung?

Willkürlich die Kraft des Schmerzens, des empörten Gefühls zurückhalten, wäre gegen Sinn und Zweck der Kunst gesündigt, und verriete Mangel an Empfindung und Seele in dem Künstler selbst. Schon dadurch, daß die Schönheit auf große und feste Formen gegründet zum Charakter geworden ist, hat sich die Kunst das Mittel bereitet, ohne Verletzung des Ebenmaßes die ganze Größe der Empfindung zu zeigen. Denn wo die Schönheit auf mächtigen Formen wie auf unverrückbaren Säulen ruht, läßt uns schon eine geringe, und jene kaum berührende Veränderung ihrer Verhältnisse auf die große Gewalt schließen, welche nötig war, sie zu bewirken. Noch mehr heiligt Anmut den Schmerz. Ihr Wesen beruhet darauf, daß sie sich selbst nicht kennet; wie sie aber nicht willkürlich erworben wird, so kann sie auch nicht durch Willkür verloren gehen: wenn ein unerträglicher Schmerz, ja wenn Wahnsinn, von strafenden Göttern verhängt, Bewußtsein und Besinnung raubt, steht sie noch als schützender Dämon bei der leidenden Gestalt, und macht, daß sie nichts Ungeschicktes, nichts der Menschheit Widerstrebendes vollbringe, sondern, wenn sie fällt, wenigstens als ein reines und unbeflecktes Opfer falle. Noch nicht die Seele selbst, aber die Ahndung derselben, bringt sie schon durch natürliche Wirkung hervor, was jene durch eine göttliche Kraft, indem sie Schmerz, Erstarrung, ja den Tod selbst in Schönheit verwandelt.

Dennoch wäre diese in der äußersten Widerwärtigkeit bewährte Anmut tot ohne ihre Verklärung durch die Seele. Welcher Ausdruck aber kann ihr in dieser Lage zukommen? Sie rettet sich vom Schmerz und tritt siegreich, nicht besiegt, hervor, indem sie ihr Band mit dem sinnlichen Dasein aufgibt. Der Naturgeist mag für dessen Erhaltung seine Kräfte aufbieten, die Seele geht nicht ein in diesen Kampf; aber ihre Gegenwart besänftigt selbst die Stürme des schmerzhaft ringenden Lebens. Jede äußere Gewalt kann auch nur äußere Güter rauben, die Seele nicht erreichen; ein zeitliches Band zerreißen, das ewige einer wahrhaft göttlichen Liebe nicht auflösen. Nicht hart und empfindungslos oder die Liebe selbst aufgebend, zeigt sie vielmehr diese allein im Schmerz als die das sinnliche Dasein überdauernde Empfindung, und erhebt sich so über den Trümmern des äußern Lebens oder Glücks in göttlicher Glorie.

Dieses ist der Ausdruck der Seele, den uns der Schöpfer der Niobe im Bilde gezeigt hat. Alle Mittel der Kunst, wodurch auch das Schreckliche gemäßigt wird, sind hier in Wirkung gesetzt. Mächtigkeit der Formen, sinnliche Anmut, ja die Natur des Gegenstandes selbst lindert den Ausdruck, dadurch, daß der Schmerz, allen Ausdruck übertreffend, ihn selbst wieder aufhebt, und die Schönheit, welche lebendig zu retten unmöglich schien, durch die eintretende Erstarrung vor Verletzung bewahrt wird. Was wäre dennoch alles ohne die Seele, und wie offenbaret sich diese? Wir sehen auf dem Antlitz der Mutter nicht den Schmerz allein über die schon hingestreckte Blüte der Kinder, nicht die Todesangst allein um die Rettung der noch übrigen und der jüngsten in ihren Schoß sich flüchtenden Tochter, nicht Unwillen gegen die grausamen Gottheiten, am wenigsten, wie vorgegeben wird, kalten Trotz; wir sehen jenes alles, aber nicht für sich, sondern durch Schmerz, Angst und Unwillen strahlt wie ein göttliches Licht die ewige Liebe als das allein Bleibende, und in dieser bewahret sich die Mutter als eine solche, die es nicht war, die es ist, die durch ein ewiges Band mit dem Geliebten verknüpft bleibt.

Jedermann bekennt, daß Größe, Reinheit und Güte der Seele auch ihren sinnlichen Ausdruck haben. Wie ließe sich dieses gedenken, wäre nicht auch das in der Materie tätige Prinzip schon ein seelenverwandtes und seelenähnliches Wesen? Es gibt nun in der Darstellung der Seele wiederum Stufen der Kunst, je nachdem sie entweder mit dem bloß Charakteristischen verbunden ist, oder mit Huld und Anmut sichtbar zusammenfließt Es gibt nun in der Darstellung der Seele wiederum Stufen der Kunst: die erste, wo sie als noch unterscheidbares Element gegenwärtig ist, mehr an sich, als in voller Verwirklichung; die andere, wo sie mit Huld und Anmut sichtbar zusammenfließt. (Erste Ausgabe.). Wer sieht nicht ein, daß schon in der Tragödie des Aeschylos jene hohe Sittlichkeit waltet, die in den Werken des Sophokles einheimisch wohnt? Aber sie ist dort noch in eine herbe Hülle verschlossen, und teilt sich weniger dem Ganzen mit, weil es noch an dem Bande sinnlicher Anmut fehlt. Aus diesem Ernst und den noch furchtbaren Grazien der ersten Kunst konnte jedoch die Sophokleische Anmut hervorgehen, und mit dieser jene vollkommene Verschmelzung beider Elemente, die uns zweifelhaft läßt, ob es mehr die sittliche Grazie oder die sinnliche Anmut ist, die uns in den Werken dieses Dichters entzückt. Eben dieses gilt von den plastischen Erzeugnissen des noch strengen Stils, im Vergleich mit denen der späteren Milde.

Wenn Anmut, außerdem daß sie die Verklärung des Naturgeistes ist, auch noch das bindende Mittel von sittlicher Güte und sinnlicher Erscheinung wird, so leuchtet von selbst ein, wie die Kunst von allen Richtungen her gegen sie als ihren Mittelpunkt wirken müsse. Diese Schönheit, welche aus der vollkommenen Durchdringung sittlicher Güte mit sinnlicher Anmut hervorgeht, ergreift und entzückt uns, wo wir sie finden, mit der Macht eines Wunders. Denn weil sich der Naturgeist sonst überall als von der Seele unabhängig, ja gewissermaßen ihr widerstrebend zeigt, so scheint er hier wie durch eine freiwillige Übereinstimmung und wie durch das innere Feuer göttlicher Liebe mit der Seele zu verschmelzen; den Beschauenden überfällt mit plötzlicher Klarheit die Erinnerung von der ursprünglichen Einheit des Wesens der Natur mit dem Wesen der Seele: die Gewißheit, daß aller Gegensatz nur scheinbar, die Liebe das Band aller Wesen, und reine Güte Grund und Inhalt der ganzen Schöpfung ist.

Hier geht die Kunst gleichsam über sich hinaus, und macht sich selber wieder zum Mittel. Auf diesem Gipfel wird auch die sinnliche Anmut wieder nur Hülle und Leib eines höhern Lebens; was zuvor Ganzes war, wird als Teil behandelt, und das höchste Verhältnis der Kunst zur Natur ist dadurch erreicht, daß sie diese zum Medium macht, die Seele in ihr zu versichtbaren.

Wenn aber in dieser Blüte der Kunst, wie in der Blüte des Pflanzenreichs, alle früheren Stufen sich wiederholen, so läßt sich auch im Gegenteil einsehen, nach welchen verschiedenen Richtungen die Kunst aus jenem Mittelpunkt heraustreten kann. Besonders zeigt sich die natürliche Verschiedenheit der beiden Formen bildender Kunst hier in ihrer größten Wirksamkeit. Denn für die Plastik, da sie ihre Ideen durch körperliche Dinge darstellt, scheint das Höchste eben in dem vollkommenen Gleichgewicht zwischen Seele und Materie bestehen zu müssen; gibt sie der letzten ein Übergewicht, so sinkt sie unter ihre eigne Idee herab; ganz unmöglich aber scheint, daß sie die Seele auf Kosten der Materie erhebe, indem sie dadurch sich selbst übersteigen müßte. Der vollkommene plastische Bildner wird zwar, wie Winckelmann bei Gelegenheit des Belvederischen Apollo sagt, zu seinem Werk nicht mehr Materie nehmen, als er zur Erreichung seiner geistigen Absicht bedarf, aber auch umgekehrt in die Seele nicht mehr Kraft legen, als zugleich in der Materie ausgedrückt ist; denn eben darauf beruhet seine Kunst, das Geistige ganz körperlich auszudrücken. Die Plastik kann darum ihren wahren Gipfel nur in solchen Naturen erreichen, deren Begriff es mit sich bringt, alles, was sie der Idee oder der Seele nach sind, jederzeit auch in der Wirklichkeit zu sein, also in göttlichen Naturen. Sie wurde daher, wenn auch keine Mythologie vorangegangen, durch sich selbst auf Götter gekommen sein, und Götter erfunden haben, wenn sie keine fand. Da ferner der Geist auf der tieferen Stufe wieder dasselbe Verhältnis zur Materie hat, das wir der Seele gegeben haben, indem er das Prinzip der Tätigkeit und der Bewegung, wie die Materie das der Ruhe und Untätigkeit ist, so wird das Gesetz der Mäßigung des Ausdruckes und der Leidenschaft ein aus ihrer Natur herfließendes Grundgesetz sein; aber dieses Gesetz wird nicht bloß für die niederen, sondern ebenso für jene, wenn es erlaubt ist so zu sagen, höheren und göttlichen Leidenschaften gelten, deren die Seele im Entzücken, in der Andacht, in der Anbetung fähig ist: daher sie, weil auch dieser Leidenschaften nur die Götter entbunden sind auch von dieser Seite zu der Bildung göttlicher Naturen hingezogen wird.

Ganz anders aber scheint es mit der Malerei als mit der Skulptur beschaffen. Denn jene stellt nicht wie diese durch körperliche Dinge, sondern durch Licht und Farbe, also selbst durch ein unkörperliches und gewissermaßen geistiges Mittel dar; auch gibt sie ihre Bilder keineswegs für die Gegenstände selbst, sondern will sie ausdrücklich als Bilder angesehen wissen. Sie legt darum schon an und für sich auf die Materie nicht jenes Gewicht der Plastik, und scheint aus diesem Grunde, zwar den Stoff über den Geist erhebend, tiefer als im gleichen Falle die Plastik unter sich selbst zu sinken, dagegen mit desto größerer Befugnis in die Seele ein deutliches Übergewicht legen zu dürfen. Wo sie den Höchsten nachstrebt, wird sie allerdings die Leidenschaften durch Charakter veredeln oder durch Anmut mäßigen, oder die Macht der Seele in ihnen zeigen; dagegen aber sind eben jene höheren Leidenschaften, die auf der Verwandtschaft der Seele mit einem obersten Wesen beruhen, ihrer Natur vollkommen angemessen. Ja, wenn die Plastik die Kraft, wodurch ein Wesen nach außen besteht und in der Natur wirkt, mit der, wodurch es nach innen und als Seele lebt, vollkommen gleich abwägt, und das bloße Leiden selbst von der Materie ausschließt, so mag dagegen die Malerei in dieser zum Vorteil der Seele den Charakter der Kraft und Tätigkeit mindern und in den der Hingebung und Duldsamkeit verwandeln, wodurch es scheint, daß der Mensch für Eingebungen der Seele und höhere Einflüsse überhaupt empfänglicher werde.

Aus diesem Gegensatz allein schon erklärt sich nicht nur das notwendige Vorherrschen der Plastik im Altertum, der Malerei in der neueren Welt, indem jenes auch durchaus plastisch gesinnt war, dieses aber sogar die Seele zum leidenden Organ höherer Offenbarungen macht; auch dieses zeigt sich, daß nach dem Plastischen in Form und Darstellung streben, nicht hinreicht; daß vor allem erfordert würde, auch plastisch, d. h. antik, zu denken und zu empfinden. Ist aber die Ausschweifung der Plastik in das Malerische ein Verderb der Kunst, so ist die Zusammenziehung der Malerei auf plastische Bedingung und Form eine derselben willkürlich auferlegte Beschränkung. Denn wenn jene, gleich der Schwere, auf einen Punkt hinwirkt, so darf die Malerei wie das Licht den ganzen Weltraum, schaffend, erfüllen.

Beweis dieser unbeschränkten Universalität der Malerei ist die Geschichte selbst und das Beispiel der größten Meister, welche, ohne das Wesen ihrer Kunst zu verletzen, jede besondere Stufe derselben für sich zur Vollendung ausbildeten, so daß wir dieselbe Folge, die in dem Gegenstande nachgewiesen werden konnte, auch in der Historie der Kunst wiederfinden können.

Zwar nicht genau der Zeit, aber doch der Tat nach Doch auch als Folge der Zeit nach war die hier aufgestellte zu rechtfertigen, wenn zu näherer Nachweisung Raum war. Denn leicht konnte diesem oder jenem erinnerlich sein, daß das Werk des Jüngsten Gerichtes erst nach Raphaels Tode angefangen worden. Aber Michel Angelos Stil war mit ihm geboren, und demnach auch der Zeit nach früher denn Raphael. Ohne eben den gewöhnlichen Erzählungen von der Wirkung des Anblicks der ersten römischen Werke des Michel Angelo auf den Jüngling Raphael mehr Glauben beizumessen, als sie verdienen, oder es von diesem Zufall herzuleiten, dass der letzte von anfänglich noch zaghafterem Stil zur Kühnheit und Grobheit vollendeter Kunst gediehen, ist dennoch unleugbar, nicht nur daß Michel Angelos Stil eine Basis der Kunst des Raphael gewesen, sondern daß sich durch ihn die Kunst überhaupt erst zu völliger Freiheit erschwungen. – Von Correggio sollte vielleicht weniger zweideutig gesagt sein: »Durch ihn blühet das wahre goldene Zeitalter in der Kunst«, obschon niemand leicht das Gesagte mißverstehen oder verkennen wird, was der Verfasser für das eigentlich Höchste neuerer Malerei gehalten.. Denn so stellt sich durch Michel Angelo die älteste und mächtigste Epoche der freigewordenen Kunst dar, jene, wo sie in ungeheuren Geburten ihre noch ungebändigte Kraft zeigt: wie nach den Dichtungen sinnbildlicher Vorwelt die Erde nach den Umarmungen des Uranos erst Titanen und himmelstürmende Giganten hervorbrachte, bevor das sanfte Reich stiller Götter hervorging. So scheinet uns das Werk des Jüngsten Gerichtes, womit als dem Inbegriff seiner Kunst jener Riesengeist die Sixtinische Halle erfüllte, mehr an die ersten Zeiten der Erde und ihrer Geburten als an ihre letzten zu erinnern. Nach den verborgensten Gründen organischer, besonders menschlicher Gestalt hingezogen, vermeidet er das Schreckliche nicht, ja er sucht es absichtlich, und stört es in den dunkeln Werkstätten der Natur aus seiner Ruhe auf. Mangel der Zartheit, Anmut, Gefälligkeit wiegt er durch das Äußerste der Kraft auf, und erregt er durch seine Darstellungen Entsetzen, so ist es der Schrecken, welchen der Fabel zufolge der alte Gott Pan verbreitet, wenn er plötzlich in den Versammlungen der Menschen erscheint. Die Natur bringt in der Regel durch Sonderung und Ausschließung entgegengesetzter Eigenschaften das Außerordentliche hervor: so mußte in Michel Angelo Ernst und tiefsinnige Naturkraft mehr denn Sinn für Anmut und Empfindung der Seele walten, um das Höchste rein plastischer Kraft in der Malerei neuerer Zeiten zu zeigen.

Nach der Besänftigung der ersten Gewalt und des heftigen Triebs der Geburt verklärt sich in Seele der Naturgeist, und die Grazie wird geboren. Zu dieser Stufe gelangte, nach Leonardo da Vinci, die Kunst durch Correggio, in dessen Werken die sinnliche Seele der wirkende Grund der Schönheit ist. Nicht nur in den weichen Umrissen seiner Gestalten ist dies sichtbar; auch in den Formen, welche denen der rein sinnlichen Naturen in den Werken des Altertums am meisten ähnlich sind. In ihm blühet das wahre goldene Zeitalter der Kunst, welches der Erde die sanfte Herrschaft des Kronos verlieh: hier lächelt spielende Unschuld, heitere Begier und kindliche Lust aus offnen und fröhlichen Gesichtern, und hier werden die Saturnalien der Kunst gefeiert. Der Gesamtausdruck jener sinnlichen Seele ist Helldunkel, welches Correggio mehr als irgendein anderer ausgebildet. Denn das, was dem Maler die Stelle der Materie vertritt, ist das Dunkel; und dieses ist der Stoff, an den er die flüchtige Erscheinung des Lichtes und der Seele heften muß. Je mehr also das Dunkel mit dem Hellen verschmilzt, so daß aus beiden nur ein Wesen und gleichsam ein Leib und eine Seele wird, desto mehr erscheint das Geistige körperlich, das Körperliche auf die Stufe des Geistes gehoben.

Nachdem die Schranken der Natur überwunden, das Ungeheure, die Frucht der ersten Freiheit, verdrungen ist, Form und Gestalt durch das Vorgefühl der Seele verschönt sind: klärt sich der Himmel auf, das gemilderte Irdische kann sich mit dem Himmlischen, dieses hinwiederum mit dem sanft Menschlichen verbinden. Raphael nimmt Besitz vom heitern Olymp, und führt uns mit sich von der Erde hinweg in die Versammlung der Götter, der bleibenden, seligen Wesen. Die Blüte des gebildetsten Lebens, der Duft der Phantasie, samt der Würze des Geistes hauchen vereint aus seinen Werken. Er ist nicht mehr Maler, er ist Philosoph, er ist Dichter zugleich. Der Macht seines Geistes stehet die Weisheit zur Seite, und wie er die Dinge darstellt, so sind sie in der ewigen Notwendigkeit geordnet. In ihm hat die Kunst ihr Ziel erreicht, und weil das reine Gleichgewicht von Göttlichem und Menschlichem fast nur in einem Punkte sein kann, so ist seinen Werken das Siegel der Einzigkeit aufgedrückt.

Von hier aus konnte die Malerei, um jede in ihr gegründete Möglichkeit zu erfüllen, nur nach einer Seite noch sich weiter bewegen, und was auch bei der späteren Wiedererneuerung der Kunst unternommen und nach welchen verschiedenen Richtungen hin sie sich versucht hat, so scheint es doch nur einem gelungen, den Kreis der großen Meister mit einer Art von Notwendigkeit zu schließen. Wie den Kreis der alten Göttergeschichten die neue Fabel der Psyche schließt: so konnte die Malerei durch das Vorgewicht, das sie der Seele gab, noch eine neue, wenn gleich nicht höhere Kunststufe gewinnen. Zu dieser trachtete Guido Reni, und wurde der eigentliche Maler der Seele. Dahin scheint uns sein ganzes, oft ungewisses und in manchen, Werke ins Unbestimmte sich verlierendes Streben gedeutet werden zu müssen, dessen Aufschluß neben vielleicht wenigen andern das Meisterbild seiner Kunst geben möchte, das in der großen Sammlung unseres Königes zur allgemeinen Bewunderung ausgestellt ist. In der Gestalt der gen Himmel erhobenen Jungfrau ist alles plastisch Herbe und Strenge bis auf die letzte Spur getilgt; ja scheint nicht in ihr die Malerei selbst, wie die freigelassene der harten Formen entbundene Psyche auf eignen Fittichen sich zur Verklärung emporzuschwingen? Hier ist kein Wesen, das mit entschiedener Naturkraft nach außen besteht; Empfänglichkeit und stille Duldsamkeit drückt alles an ihr aus, bis auf jenes leichtvergängliche Fleisch, dessen Eigenschaft die welsche Sprache mit dem Namen der morbidezza bezeichnet, ganz verschieden von dem, mit welchem Raphael die herabkommende Himmelskönigin bekleidet, wie sie dem anbetenden Papst und einer Heiligen erscheinet. Ist freilich die Bemerkung gegründet, daß das Vorbild der weiblichen Köpfe des Guido die Niobe des Altertums ist, so liegt der Grund dieser Ähnlichkeit doch gewiß nicht in einer bloß willkürlichen Nachahmung; vielleicht daß ein gleiches Streben auf gleiche Mittel führte. Wenn die florentinische Niobe ein Äußerstes für die Plastik und die Darstellung der Seele in ihr ist, so das uns bekannte Bild ein Äußerstes für die Malerei, welche hier sogar das Bedürfnis von Schatten und Dunkel abzulegen und beinahe mit reinem Lichte zu wirken wagt.

Konnte der Malerei ihrer besondern Beschaffenheit wegen zugestanden werden, ein deutliches Übergewicht in die Seele zu legen, so werden doch Lehre und Unterricht am besten tun, stets nach jener ursprünglichen Mitte hinzuwirken, aus der die Kunst allein immer neu erzeugt werden kann, da sie dagegen aus der zuletzt angegebenen Stufe notwendig stille stehen oder in beschränkte Manier ausarten muß. Denn auch jenes höhere Leiden streitet mit der Idee eines vollendet kräftigen Wesens, dessen Bild und Abglanz zu zeigen die Kunst berufen ist. Der rechte Sinn wird sich stets erfreuen, ein Wesen auch von seiner individuellen Seite würdig und so viel möglich selbständig gebildet zu erblicken; ja die Gottheit würde mit Lust auf ein Geschöpf herabsehen, das mit reiner Seele begabt die Hoheit seiner Natur auch kräftig nach außen und durch sein sinnlich wirksames Dasein behauptete.

Wir haben gesehen, wie aus der Tiefe der Natur Diese ganze Abhandlung weist die Basis der Kunst und also auch der Schönheit in der Lebendigkeit der Natur nach; was indes Lehre der heutigen Philosophie sei, ist den öffentlichen Beurteilern bekanntlich immer besser bewußt als den Urhebern derselben. So erfuhren wir durch das Mittel einer sonst mit Recht geschätzten Zeitschrift von einem solchem Kenner vor kurzem: daß es zufolge der neuesten Ästhetik und Philosophie – (ein weitschichtiger Begriff, worin von namhaften Halbkennern aus dem Haufen alles Mißfällige zusammengeworfen wird, vermutlich um es desto besser über den Haufen zu werfen) – nur eine Kunstschönheit, aber keine Naturschönheit gebe. Wir möchten nun gern fragen, wo die neueste Philosophie, desgleichen Ästhetik, eine solche Behauptung ausgestellt; erinnerten wir uns nicht in diesem Augenblick, welchen Begriff Richter dieser Art mit dem Wort Natur, besonders in der Kunst, zu verbinden pflegen. Der angeführte Beurteiler meint es übrigens mit jener Meinung selbst nicht übel; vielmehr sucht er ihr durch einen strengen Beweis, in den Redensarten und Formen der neuesten Philosophie, selbst zu Hilfe zu kommen. Vernehmen wir den trefflichen Beweis! »Das Schöne sei die Erscheinung des Göttlichen im Irdischen, des Unendlichen im Endlichen. Die Natur sei nun zwar auch Erscheinung des Göttlichen, aber diese – seit dem Anfang der Zeit gewesene und bis ans Ende der Tage dauernde Natur, wie sich der Wohlunterrichtete näher ausdrückt – erscheine nicht des Menschen Geiste, und nur in ihrer Unendlichkeit sei sie schön.« – Wir mögen diese Unendlichkeit nehmen, wie wir wollen, so ist hier der Widerspruch, daß die Schönheit Erscheinung des Unendlichen im Endlichen, dennoch aber die Natur nur in ihrer Unendlichkeit schön sein solle. Doch sich selbst bezweifelnd wendet der Kenner ein, daß jeder Teil eines schönen Werkes doch auch noch schön sei, z. B. die Hand oder der Fuß einer schönen Bildsäule. Aber (so löst er den Zweifel) wo haben wir denn die Hand oder den Fuß von einem solchen Koloß (der Natur nämlich)? Der philosophische Kenner gibt hiermit den Wert und die Erhabenheit seines Begriffs von Unendlichkeit der Natur zu erkennen. Er findet sie in der unermeßlichen Ausdehnung. Daß eine wahre wesentliche Unendlichkeit in jedem Teil der Materie ist, ist eine Übertreibung, zu der sich der billige Mann gewiß nicht versteigt, spricht er gleich die Sprache der neuesten Philosophie. Und daß der Mensch z. B. noch wohl etwas mehr denn nur Hand und Fuß der Natur sein könnte – wohl eher das Auge –, Hand und Fuß aber außerdem auch wohl noch zu finden wären – könnte nicht ohne Ausschweifung auch nur gedacht werden. Demnach mag ihm die Frage selbst nicht vernichtend genug geschienen haben, und die rechte philosophische Anstrengung beginnt erst. Es sei allerdings wahr, meint der Treffliche, daß jedes Einzelne in der Natur eine Erscheinung des Ewigen und Göttlichen – doch wohl in diesem Einzelnen? – sei; aber das Göttliche erscheint nicht als göttlich, sondern als irdisch und vergänglich. – Das ist philosophische Kunst zu nennen! Wie auf das Gebot Apparais und Disparais die Schatten im Schattenspiel kommen und gehen, so erscheint das Göttliche im Irdischen, und erscheint auch wieder nicht, wie der Künstler es will. Doch dieses ist nur Vorspiel zu einer nachfolgenden Schlußkette, deren Glieder besonderer Auszeichnung wert sind. 1) »Das Einzelne, als solches, stellt nichts dar, als ein Bild des Werdens und Vergehens – und zwar nicht die Idee des Werdens und Vergehens, sondern ein Beispiel davon, dadurch, daß es wird und vergeht.« (So könnte man auch von einem schönen Gemälde sagen, es stellt ein Beispiel des Werdens und Vergehens dar, denn auch dieses fängt erst allmählich an, seine Farbenstimmung zu erhalten, dann verdunkelt es und wird vom Rauch, Staub, Würmern oder Motten angegriffen.) 2) »Nun aber erscheint in der Natur nichts, als Einzelnes« (vorhin aber war alles Einzelne eine Erscheinung des Göttlichen in dem Einzelnen). 3) Also kann nichts in der Natur schön sein, weil das Göttliche, welches doch wohl dauernd und bleibend (in der Zeit versteht sich!) erscheinen muß, dauernd und bleibend im Irdischen erscheinen müßte, damit Schönheit wäre, in der Natur aber nichts als Einzelnes, demnach Vergängliches ist. Herrlicher Beweis! Nur an einigen Gebrechen leidet er, von denen nur zwei erwähnt werden sollen. Die Behauptung Nr. 2, daß in der Natur nichts als Einzelnes erscheine; zuvor aber waren da, wo jetzt nichts als Einzelnes ist, drei Dinge: A) das Göttliche, B) das Einzelne, in dem es erscheint, C) das in dieser Verbindung Gewordene, zugleich Göttliche und Irdische. Nun vergißt aber der Bescheidene, der kurz zuvor sein Antlitz im Spiegel der neuesten Philosophie beschaut, ganz wie es gestaltet war. Er sieht jetzt von A, B und C nur noch B, von dem freilich leicht zu beweisen steht, daß es nicht das Schöne ist, da es nach seiner eignen Erklärung nur das C sein sollte. Er wird nun nicht im Gegenteil sagen wollen, daß das C nicht erscheine; denn mich das hatte er schon anders gemeint. Denn A (das Göttliche) erscheint nicht für sich, sondern nur durch das Einzelne, B; also in C. B aber ist überhaupt nur, inwiefern A in ihm erscheint, also auch nur in C; gerade C also ist das einzige wirklich Erscheinende. – Das zweite Gebrechen liegt in dem Schlußsatz, obwohl nur mit halber Sicherheit, fast nur als Anfrage eingeschobenen Nebensatz: das Göttliche, als solches, müßte doch wohl bleibend und dauernd erscheinen! Offenbar hat der wohl orientierte Mann die Idee des an-sich, ohne alle Zeit, Ewigen mit dem Begriff des in der Zeit Bleibenden und endlos Dauernden verwechselt, und verlangt das letzte, wenn er das erste sehen soll. Nun, wenn das Göttliche nur im endlos Fortdauernden erscheinen kann, so mag er zusehen, woher er eine Erscheinung desselben in der Kunst, also ein Kunstschönes, erweisen kann. – Es kann nicht fehlen, daß dieser gründlich belehrte Mann zu anderer Zeit hingeht und wieder andern den Mißbrauch der neuesten Philosophie vielleicht nicht ohne Grund verweist, durch welche Potenzenfolge immer besseren Verstehens das Verständnis, wie man leicht sieht, immer weiter gedeihen muß. das Kunstwerk emporwachsend mit Bestimmtheit und Begrenzung anhebt, innere Unendlichkeit und Fülle entfaltet, endlich zur Anmut sich verklärt, zuletzt zur Seele gelangt; aber getrennt mußte vorgestellt werden, was in dem Schöpfungsakt der zur Reife gediehenen Kunst nur eine Tat ist. Diese geistige Zeugungskraft kann keine Lehre oder Anweisung erschaffen. Sie ist das reine Geschenk der Natur, welche hier zum zweitenmal sich schließt, indem sie, ganz sich verwirklichend, ihre Schöpfungskraft in das Geschöpf legt. Aber wie im großen Gange der Kunst jene Stufen nacheinander erschienen, bis sie auf der höchsten alle zu einer wurden, ebenso kann auch im einzelnen gediegene Bildung nur da entspringen, wo sie vom Keim und von der Wurzel an gesetzmäßig bis zur Blüte sich gesteigert hat.

Die Forderung, daß die Kunst wie alles andere Lebendige von den ersten Anfängen ausgehen und, um lebendig sich zu verjüngen, immer neu auf diese zurückgehen müsse, mag eine harte Lehre dünken in einem Zeitalter, dem so vielfältig gesagt worden, wie es die gebildetste Schönheit schon fertig von vorhandenen Kunstwerken abnehmen und so wie mit einem Schritt zum letzten Ziel gelangen könne. Haben mir nicht schon das Vortreffliche, Vollendete, und wie sollten wir zu dem Anfänglichen, Ungebildeten zurückkehren? Hätten die großen Stifter neuerer Kunst ebenso gedacht, wir hätten wohl niemals ihre Wunder gesehen. Auch vor ihnen standen Schöpfungen der Alten, runde Bildwerke und flach erhabene Arbeiten, welche sie unmittelbar in Gemälde hätten übertragen können Es kann dies, nämlich daß vor den Stiftern der neueren Malerei Denkmäler alter Kunst gestanden, nicht einmal von den ersten oder ältesten derselben behauptet werden. Denn wie der würdige Fiorillo in seiner Geschichte der zeichnenden Künste, T. I, S. 69, ausdrücklich bemerkt, so waren zu den Zeiten des Cimabue und Giotto noch keine alten Gemälde und Statuen wieder entdeckt; sie lagen vernachlässigt unter der Erde. »Niemand konnte daher daran denken, sich nach den Mustern, die uns die Alten hinterlassen, zu bilden, und der einzige Gegenstand des Studiums für die Maler war die Natur. An den Werken des Giotto, Schülers von Cimabue, bemerkt man, daß er sie schon fleißig zu Rate gezogen.« Auf diesem Pfade, der aus die Antike vorbereiten und näher dazu hinleiten konnte, ging man nach seinem Beispiele fort, bis, wie derselbe Geschichtschreiber S. 286 bemerkt, das Medicäische Haus (namentlich mit Cosmus) anfing, Denkmäler der alten Kunst aufzusuchen. »Vorher mußten sich die Künstler mit den Schönheiten begnügen, welche ihnen die Natur darbot, doch hatte diese fleißige Beobachtung den Vorteil, daß dadurch eine mehr wissenschaftliche Bearbeitung der Kunst vorbereitet wurde, und die folgenden philosophischen Künstler, ein da Vinci und Michel Angelo, die den Erscheinungen der Natur zum Grunde liegenden beharrlichen Gesetze zu erforschen anfingen.« – Aber auch die Wiederauffindung der alten Kunstwerke in dem Zeitalter dieser Meister und dem des Raphael hatte keineswegs die Nachahmung derselben in dem erst späterhin aufgekommenen Sinne zur Folge. Die Kunst blieb dem einmal eingeschlagenen Wege getreu und vollendete sich ganz aus sich selbst; nichts von außen in sich aufnehmend, sondern auf eigentümliche Weise nach dem Ziel jener Vorbilder strebend, und nur im letzten Punkt der Vollendung mit ihnen zusammentreffend. Erst mit den Zeiten der Caraccis wurde Nachahmung der Antike, welche ganz etwas anderes sagen will als Bildung des eignen Sinnes nach dem Geiste derselben, förmliches Prinzip, und ging besonders durch Poussin in die Kunsttheorie der Franzosen über, welche fast von allen höheren Dingen einen bloß buchstäblichen Verstand haben. Hierauf wurde durch Mengs und durch Mißverstand der Ideen Winckelmanns dasselbe auch bei uns einheimisch, und brachte der deutschen Kunst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine solche Mattheit und Geistlosigkeit mit solcher Vergessenheit des ursprünglichen Sinnes bei, daß selbst einzelne Auflehnungen dagegen meist wieder nur mißverstandenes Gefühl waren, daß aus einer Nachahmungssucht in die andere noch schlimmere führte. Wer kann leugnen, daß in den letzten Zeiten sich wieder ein weit freierer und eigentümlicherer Sinn in deutscher Kunst gezeigt hat, der, wenn alles zusammenstimmte, große Hoffnungen gewährte, und vielleicht den Geist erwarten ließe, der in der Kunst denselben höhern und freiern Weg eröffnete, der in der Dichtkunst und den Wissenschaften betreten worden ist, und auf dem allein eine Kunst werden könnte, die wir wahrhaft unser, d. h. eine Kunst des Geistes und der Kräfte unseres Volkes und unseres Zeitalters, nennen könnten.. Aber diese Aneignung eines nicht selbst erworbenen und darum auch unverständlichen Schönen befriedigte einen Kunsttrieb nicht, der durchaus auf das Ursprüngliche ging, und aus dem das Schöne frei und urkräftig sich wieder erzeugen sollte. Sie scheuten sich darum nicht, einfältig, kunstlos, trocken gegen jene erhabenen Alten zu erscheinen, und die Kunst lange in unscheinbarer Knospe zu hegen, bis die Zeit der Anmut gekommen war. Woher kommt es, daß wir diese Werke älterer Meister, von Giotto an bis auf den Lehrer Raphaels, noch jetzt mit einer Art von Andacht, ja einer gewissen Vorliebe betrachten, als weil uns die Treue ihres Bestrebens und der große Ernst ihrer stillen freiwilligen Beschränktheit Hochachtung und Bewunderung abdringt? Wie diese sich zu den Alten verhielten, so verhält sich zu ihnen das jetzige Geschlecht. Ihre Zeit und die unsrige knüpft keine lebendige Überlieferung, kein Band organisch fortgewachsener Bildung zusammen: wir müssen die Kunst auf ihrem Wege, aber mit eigentümlicher Kraft wieder erschaffen, um ihnen gleich zu werden. Konnte doch selbst jener Nachsommer der Kunst am Ende des sechzehnten und Anfang des siebzehnten Jahrhunderts zwar einige neue Blüten auf dem alten Stamme, aber keine fruchtbaren Keime hervorrufen, noch weniger selbst einen neuen Stamm der Kunst pflanzen. Die vollendeten Kunstwerke aber zurücksetzen, und die noch einfältigen schlichten Anfänge derselben aufsuchen, um sie nachzuahmen, wie einige gewollt, dieses wäre nur ein neuer und vielleicht größerer Mißverstand; nicht sie selber wären auf das Ursprüngliche zurückgegangen, auch die Einfalt wäre Ziererei, und würde heuchlerischer Schein.

Welche Aussicht aber böte die jetzige Zeit für eine aus frischem Kern und von der Wurzel aufwachsende Kunst? Ist diese doch einem großen Teile nach abhängig von dem Sinn ihrer Zeit, und wer möchte solchen ernsten Anfängen den Beifall der gegenwärtigen versprechen, wo jene auf der einen Seite kaum die Gleichschätzung mit andern Werkzeugen verschwenderischer Üppigkeit erlangt, auf der andern Künstler und Liebhaber, mit völligem Unvermögen die Natur zu fassen, das Ideal loben und fordern?

Die Kunst entspringt nur aus der lebhaften Bewegung der innersten Gemüts- und Geisteskräfte, die wir Begeisterung nennen. Alles, was von schweren oder kleinen Anfängen zu großer Macht und Höhe herangewachsen, ist durch Begeisterung groß geworden. So Reiche und Staaten, Künste und Wissenschaften. Aber nicht die Kraft des Einzelnen richtet es aus; nur der Geist, der sich im Ganzen verbreitet. Denn die Kunst insbesondere ist, wie die zarteren Pflanzen von Luft und Witterung, so von öffentlicher Stimmung abhängig, sie bedarf eines allgemeinen Enthusiasmus für Erhabenheit und Schönheit, wie jener, der in dem Medicäischen Zeitalter gleich einem warmen Frühlingshauch alle die großen Geister zumal und auf der Stelle hervorrief, einer Verfassung, wie sie uns Perikles im Lob Athens schildert, und die uns die milde Herrschaft eines väterlichen Regenten sicherer und dauernder als Volksregierung gewährt; wo jede Kraft freiwillig sich regt, jedes Talent mit Lust sich zeigt, weil jedes nur nach seiner Würdigkeit geschätzt wird; wo Untätigkeit Schande ist, Gemeinheit nicht Lob bringt, sondern nach einem hochgesteckten, außerordentlichen Ziel gestrebt wird. Nur dann, wenn das öffentliche Leben durch die nämlichen Kräfte in Bewegung gesetzt wird, durch welche die Kunst sich erhebt, nur dann kann diese von ihm Vorteil ziehen; denn sie kann sich, ohne den Adel ihrer Natur aufzugeben, nach nichts Äußerem richten. Kunst und Wissenschaft können beide sich nur um ihre eigne Achse bewegen; der Künstler wie jeder geistig Wirkende nur dem Gesetz folgen, das ihm Gott und Natur ins Herz geschrieben, keinem andern. Ihm kann niemand helfen, er selbst muß sich helfen; so kann ihm auch nicht äußerlich gelohnt werden, da, was er nicht um seiner selbst willen hervorbrächte, alsobald nichtig wäre; ebendarum kann ihm auch niemand befehlen oder den Weg vorschreiben, welchen er wandeln solle. Ist er beklagenswert, wenn er mit seiner Zeit zu kämpfen hat: so verdient er Verachtung, wenn er ihr frönt. Und wie vermöchte er auch nur dieses? Ohne großen allgemeinen Enthusiasmus gibt es nur Sekten, keine öffentliche Meinung. Nicht ein befestigter Geschmack, nicht die großen Begriffe eines ganzen Volkes, sondern die Stimmen einzelner willkürlich aufgeworfener Richter entscheiden über Verdienst, und die Kunst, die in ihrer Hoheit selbstgenügsam ist, buhlt um Beifall und wird dienstbar, da sie herrschen sollte.

Verschiedenen Zeitaltern wird eine verschiedene Begeisterung zuteil. Dürfen wir keine für diese Zeit erwarten, da die neue jetzt sich bildende Welt, wie sie teils schon äußerlich teils innerlich und im Gemüt vorhanden ist, mit allen Maßstäben bisheriger Meinung nicht mehr gemessen werden kann, alles vielmehr laut größere fordert und eine gänzliche Erneuung verkündet? Sollte nicht jener Sinn, dem sich Natur und Geschichte lebendiger wieder aufgeschlossen, auch der Kunst ihre großen Gegenstände zurückgeben? Aus der Asche des Dahingesunkenen Funken ziehen, und aus ihnen ein allgemeines Feuer wieder anfachen wollen, ist eitle Bemühung. Aber auch nur eine Veränderung, welche in den Ideen selbst vorgeht, ist fähig, die Kunst aus ihrer Ermattung zu erheben; nur ein neues Wissen, ein neuer Glaube vermögend, sie zu der Arbeit zu begeistern, wodurch sie in einem verjüngten Leben eine der vorigen ähnliche Herrlichkeit offenbarte. Zwar eine Kunst, die nach allen Bestimmungen dieselbe wäre wie die der früheren Jahrhunderte, wird nie wieder kommen; denn nie wiederholt sich die Natur. Ein solcher Raphael wird nicht wieder sein, aber ein anderer, der auf eine gleich eigentümliche Weise zum Höchsten der Kunst gelangt ist. Lasset nur jene Grundbedingung nicht fehlen, und die wiederauflebende Kunst wird wie die frühere in ihren ersten Werken das Ziel ihrer Bestimmung zeigen: in der Bildung des bestimmt Charakteristischen schon, geht sie anders aus einer frischen Urkraft hervor, ist, wenn auch verhüllt, die Anmut gegenwärtig, in beiden schon die Seele vorherbestimmt. Werke, die auf solche Art entspringen, sind auch in anfänglicher Unvollendung schon notwendige, ewige Werke.

Wir dürfen es bekennen, wir haben bei jener Hoffnung eines neuen Auflebens einer durchaus eigentümlichen Kunst hauptsächlich das Vaterland im Auge. War doch schon zu der nämlichen Zeit, welche die Kunst in Italien wieder erweckte, aus einheimischem Boden das vollkräftige Gewächs der Kunst unseres großen Albrecht Dürer hervorgegangen; wie eigentümlich deutsch, und doch wie verwandt jenem, dessen süße Früchte die mildere Sonne Italiens zur höchsten Reife brachte. Dieses Volk, von welchem die Revolution der Denkart in dem neueren Europa ausgegangen, dessen Geisteskraft die größten Erfindungen bezeugen, das dem Himmel Gesetze gegeben, und am tiefsten von allen die Erde durchforscht hat, dem die Natur einen unverrückten Sinn für das Rechte und die Neigung zur Erkenntnis der ersten Ursachen tiefer als irgendeinem anderen eingepflanzt, dieses Volk muß in einer eigentümlichen Kunst endigen.

Wenn die Schicksale der Kunst abhängig sind von den allgemeinen Schicksalen des menschlichen Geistes, mit welchen Hoffnungen dürfen wir das nächste Vaterland betrachten, wo ein erhabener Regent dem menschlichen Verstande Freiheit, dem Geiste Flügel, menschenfreundlichen Ideen Wirksamkeit gegeben hat, indes gediegene Völker die lebendigen Keime alter Kunstanlage noch bewahren, und die berühmten Sitze altdeutscher Kunst mit ihm vereiniget worden. Ja die Künste und Wissenschaften selbst, wären sie sonst überall verbannt, würden eine Freistatt unter dem Schutz des Thrones suchen, auf beim milde Weisheit das Zepter führt, den Huld als Königin verschönert, angestammte Kunstliebe verherrlichet, durch welche auch der junge Fürst, den in diesen Tagen der laute Jubel des dankbaren Vaterlandes empfangen, die Bewunderung fremder Nationen geworden ist. Hier würden sie die Samen eines künftigen kräftigen Daseins überall ausgestreut, hier schon erprobten Gemeinsinn und befestigt unter dem Wechsel der Zeiten wenigstens das Band einer Liebe und eines allgemeinen Enthusiasmus finden, des für das Vaterland und für den König, um dessen Heil und Erhaltung bis zum äußersten Ziel menschlicher Jahre heißere Wünsche in keinem Tempel aufsteigen können, als in diesem, den er den Wissenschaften erbauet.

 


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