Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zur Einführung.

»Im Fleiß kann dich die Biene meistern,
In der Geschicklichkeit ein Wurm dein Lehrer sein,
Dein Wissen teilest du mit vorgezognen Geistern
Die Kunst, o Mensch, hast du allein.«

Schiller (»Die Künstler«).

Nachdem wir im Dienste eines neuen Zeitgeistes, der aus der allseitigen Gedankenwelt Schellings die nach allzulanger realistischer Einseitigkeit wünschenswerten Anregungen zur idealistischen Vertiefung und Ergänzung der Lebensauffassung zu schöpfen bestrebt ist, bereits in zwei Doppelheften der Universal-Bibliothek zunächst » Die Weltalter«, sodann das Gespräch » Clara« herausgegeben haben, geben wir in diesem Hefte eine Probe aus Schellings » Philosophie der Kunst«. Am geeignetsten zur Einführung der Schellingschen Kunstphilosophie in weitere Kreise erscheint uns die am 12. Oktober 1807 in der Akademie der Wissenschaften am Namensfeste des Königs gehaltene Rede: » Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur

Die Theorie der Künste, die »Ästhetik« – noch Kant gebrauchte dieses Wort in einem allgemeineren Sinne (vgl. den Abschnitt seiner »Kritik der reinen Vernunft« über transzendentale Ästhetik) – ist der jüngste unter den philosophischen Wissenszweigen; wenigstens hatten antike Ansätze zu einer solchen, die übrigens vornehmlich die redenden Künste ins Auge faßten, z. B. die Poetik des Aristoteles weder im Mittelalter noch bei den ersten Bahnbrechern der modernen Philosophie sich einer besonderen Pflege erfreut. Erst Lessing (»Laokoon«) und Winckelmann haben das Wesen der bildenden Künste in den Brennpunkt der philosophischen Betrachtung gerückt. Mit Recht betont nun der jüngere Fichte in seiner »Psychologie« (Leipzig 1864, S. 705), daß für die Ästhetik Schellings Naturphilosophie von grundlegender Bedeutung geworden ist, und daß es »Schellings entscheidende Leistung bleibt, daß er an den Parallelismus der Naturtätigkeit und des künstlerischen Bildens wieder erinnert hat, dessen Aristoteles, die Neuplatoniker und am Ausgange des Mittelalters treffliche Denker, wie Telesius, Campanella, Giordano Bruno u. a., schon vollkommen bewußt waren«.

Die Gerechtigkeit fordert übrigens vor allem hier auch Schillers zu gedenken, dessen zahlreiche ästhetische Abhandlungen, dessen Briefwechsel mit Körner über das Wesen der Schönheit, dessen große Gedankendichtungen: »Die Künstler«, »Das Ideal und das Leben«, eine so auffällige Ähnlichkeit mit der Kunstphilosophie Schellings bekunden, daß es uns geradezu als eine Unterlassungssünde Schellings erscheint, diese Verdienste Schillers und die Übereinstimmung seiner eigenen Auffassung mit dem großen Dichter und Denker nicht stärker betont oder wenigstens nicht öfters selber hervorgehoben zu haben. Immerhin erwähnt er Schiller in der »Philosophie der Kunst«, I, 5, S. 632. Geradezu als Motto für die vorliegenden Ausführungen Schellings kann aber folgender Satz aus Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung vorangestellt werden:

»Wenn die Natur in ihren schönen organischen Bildungen entweder durch die mangelhafte Individualität des Stoffes oder durch Einwirkung heterogener Kräfte Gewalt erleidet, so ist ihre Nachahmerin, die bildende Kunst, völlig frei, weil sie von ihrem Gegenstande alle zufälligen Schranken absondert, und läßt das Gemüt des Beobachters frei, weil sie nur den Schein und nicht die Wirklichkeit nachahmt. Da aber der ganze Zauber des Erhabenen und Schönen nur in dem Schein und nicht in dem Inhalt liegt, so hat die Kunst alle Vorteile der Natur, ohne ihre Fesseln zu teilen

Auf den Schillerschen und Schellingschen Grundanschauungen fußt sodann unstreitig auch die Ästhetik Schopenhauers, der freilich ebenfalls jede ausdrückliche Anspielung auf seine beiden Vorgänger vermeidet. Was man als Idealismus in der Ästhetik bezeichnet, findet gerade bei Schopenhauer einen besonders lichtvollen Ausdruck durch seine klassische Unterscheidung zwischen »Begriff« und »Idee«.

»Man kann diesen Unterschied«, sagt Schopenhauer, »gleichnisweise ausdrücken, indem man sagt: Der Begriff gleicht einem toten Behältnis, in welchem, was man hineingelegt hat, wirklich nebeneinander liegt, aus welchem sich aber auch nicht mehr herausnehmen läßt, als man hineingelegt hat. Die Idee hingegen entwickelt in dem, welchen sie gefaßt hat, Vorstellungen, die in Hinsicht auf den ihr gleichnamigen Begriff neu sind: sie gleicht einem lebendigen, sich entwickelnden, mit Zeugungskraft begabten Organismus, welcher hervorbringt, was nicht in ihm eingeschachtelt lag.« – »Allem Gesagten zufolge ist nun der Begriff, so nützlich er für das Leben und so brauchbar, notwendig und ergiebig er für die Wissenschaft ist, für die Kunst ewig unfruchtbar. Hingegen ist die aufgefaßte Idee die wahre und einzige Quelle jedes echten Kunstwerks. In ihrer kräftigen Ursprünglichkeit wird sie nur aus dem Leben selbst, aus der Natur, aus der Welt geschöpft, und auch nur von dem echten Genius oder dem für den Augenblick bis zur Genialität Begeisterten. Eben weil die Idee anschaulich ist und bleibt, ist sich der Künstler der Absicht des Werkes nicht in abstracto bewußt; nicht ein Begriff, sondern eine Idee schwebt ihm vor; daher kann er von seinem Tun keine Rechenschaft geben: er arbeitet, wie die Leute sich ausdrücken, aus bloßem Gefühl und unbewußt, ja instinktmäßig. Hingegen Nachahmer, Manieristen, imitatores, servum pecus, gehen in der Kunst vom Begriff aus: sie merken sich, was an echten Werken gefällt und wirkt, machen es sich deutlich, fassen es im Begriff, also abstrakt auf, und ahmen es nun, offen oder versteckt, mit kluger Absichtlichkeit nach.« Vgl. Schopenhauers Werke (Universal-Bibliothek I, S. 313). Der Grundgedanke dieser Auffassung der künstlerischen Idee hat seine entschiedenste Ausprägung zuerst gefunden in Schellings »Philosophie der Kunst«, I, 5, S. 390 ff.

Die rein psychologische Seite dieses Grundgedankens der Schellingschen Kunstphilosophie ist schließlich hundert Jahre später von du Prel in seiner trefflichen Erörterung des »organisierenden Prinzips« am Anfang seiner »Monistischen Seelenlehre« individualistisch ausgebaut worden.

Die Kunstform der Malerei steht, ähnlich wie unter den übrigen Künsten die Tonkunst, in der modernen Kultur unter den bildenden Künsten im Vordergrunde, gewiß nicht nur deshalb, weil ihre Gegenstände vielseitiger sind und den mannigfaltigen Stoffen der Poesie als »stumme Dichtkunst« am nächsten kommen, sondern auch aus anderen in der modernen Bildung gelegenen Gründen, deren eingehende Erörterung hier zu weit führen würde. Vgl. unten S. 45. Wir haben daher Schellings Gedanken über Malerei neben seinen grundlegenden Betrachtungen über die bildenden Künste überhaupt ausgewählt in der Überzeugung, daß gerade sie in einer Zeit vielfach auf Irrwege geratender Neuerungen und sogar Entgleisungen, zumal in dem noch unentschiedenen Kampfe der gegenwärtigen Malerschulen (Naturalismus, Symbolismus usw.), zur Klärung und Läuterung des Geschmacks besonders dienlich sein können.

Ludwig Kuhlenbeck.


 << zurück weiter >>