Viktor von Scheffel
Der Trompeter von Säkkingen
Viktor von Scheffel

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Lieder des stillen Mannes.

Aus der Erdmännlein-Höhle.

I.

            Einsam wandle deine Bahnen,
Stiller Herz, und unverzagt!
Viel erkennen, vieles ahnen
Wirst du, was dir keiner sagt.

Wo in stürmischem Gedränge
Kleines Volk um Kleines schreit,
Da erlauschest du Gesänge,
Siehst die Welt du groß und weit.

Andern laß den Staub der Straße,
Deinen Geist halt frisch und blank,
Spiegel sei er, wie die Meerflut,
Drein die Sonne niedersank.

Einsam aus des Tages Lärmen
Adler in die Höhen schweift,
Storch und Kranich fliegt in Schwärmen,
Doch ihr Flug die Erde streift.

Einsam wandle deine Bahnen,
Stiller Herz, und unverzagt!
Viel erkennen, vieles ahnen
Wirst du, was dir keiner sagt.

II.

        Laß die breitgetretnen Plätze,
Steig nach unten, klimm nach oben;
Reiche Nibelungen-Schätze
Liegen rings noch ungehoben.

Und du schaust vom Grat der Berge
Fernes Meer und Ufer dämmern,
Hörst tief unten der Gezwerge
Ergewaltig dumpfes Hämmern.

Mannagleich wird dich erquicken
Süße, starke Geistesnahrung,
Hell vor den gestählten Blicken
Glänzt die alte Offenbarung:

Wie der gröbste und der feinste
Faden sich zu einem Netz schlingt,
Wie durchs Größte und das Kleinste
Stets das gleiche Weltgesetz dringt.

Aber einmal, – schwer Geständnis, –
Einmal mußt du doch dich beugen,
Und am Ende der Erkenntnis
Steht ein ahnungsvolles Schweigen.

III.

        Blasse Menschen seh' ich wandeln,
Und die Klag' tönt allerorten:
»Schal ist unser Tun und Handeln,
Siech und alt sind wir geworden.«

Wollt' euch nie bei euerm Forschen
Die uralte Mär erklingen
Von dem Brunn, darin die morschen
Knochen wundersam sich jüngen?

Und der Brunn ist keine Dichtung,
Fließt so nah vor euren Toren,
Euch nur mangelt Weg und Richtung,
Ihr nur habt die Spur verloren.

Drauß im Wald, im grünen, heitern,
Wo die Menschenstimmen schweigen,
Wo auf duft'gen Farrenkräutern
Nächtlich schwebt der Elfenreigen:

Dort, versteckt von Stein und Moose,
Rauschet frisch und hell die Welle,
Dort entströmt der Erde Schoße
Ewig jung die Wunderquelle.

Dort, umrauscht von Waldesfrieden,
Mag der kranke Sinn gesunden,
Und des Lenzes junge Blüten
Sprossen über alten Wunden.

IV.

        Willst die Welt und klar erschauen,
Schaue erst, was vor dir liegt,
Wie aus Stoffen und aus Kräften
Sich ein Bau zusammenfügt.

Laß die Starrheit des Gewordnen
Künden, was belebend treibt;
In dem Wechsel der Erscheinung
Ahne das, was ewig bleibt.

Aus dem Dünkel eignen Meinens
Nie entkeimt die frische Saat,
Im Nachdenken nur erschwingt sich
Menschengeist zur Schöpfertat.

V.

                Die Blicke scharf wie der junge Aar,
Das Herz von Hoffnung umflogen,
So bin ich dereinst mit reisiger Schar
In den Kampf der Geister gezogen.

Die Fahne hoch, gradaus den Speer –
Da wichen der Feinde Reihen;
O Reiterspaß, dem fliehenden Heer
Die breiten Rücken zu bläuen!

Doch kamen auch wir an jenes End',
Zu wissen, daß nichts wir wissen!
Da hab' ich langsam mein Roß gewend't
Und mich des Schweigens beflissen.

Zu stolz zum Glauben – bin ich gemach
In die Felskluft niedergestiegen;
Die Welt da draußen ist oberflach,
Der Kern muß tiefer liegen.

Nun freut mich mein alt Gewaffen nicht mehr,
Verspinnwebt liegt's in der Ecken;
Doch soll drum kein hochweiser Herr
Als wehrlosen Mann mich necken:

Noch reicht ein Blick, das Eulenpack
Und die Fledermaus zu verjagen,
Noch reicht ein alter Eselskinnback,
Den Philisterschwarm zu erschlagen!

VI.

        Aus deinem Auge wisch die Trän
Sei stolz und laß die Klage;
Wie dir wird's manchem noch ergehn
Bis an das End' der Tage.

Noch manch ein Rätsel ungelöst
Ragt in die Welt von heute,
Doch ist dein sterblich Teil verwest,
So kommen andre Leute.

Die Falten um die Stirne dein
Laß sie nur heiter ranken;
Das sind die Narben, die darein
Geschlagen die Gedanken.

Und wird dir auch kein Lorbeerreis
Als Schmuck darum geflochten:
Auch der sei stolz, der sonder Preis
Des Denkens Kampf gefochten.


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