Viktor von Scheffel
Der Trompeter von Säkkingen
Viktor von Scheffel

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Der Trompeter von Säkkingen.

Erstes Stück.

Wie jung Werner in den Schwarzwald einreitet.

                      Auf zum Schwarzwald schwingt mein Lied sich,
Auf zum Feldberg, wo das letzte
Häuflein seiner Berggetreuen
Trotzig fest nach Süden schauet
Und bewehrt im Tannenharnisch
Grenzwacht hält am jungen Rhein.

Sei gegrüßt mir, Waldesfriede!
Seid gegrüßt mir, alte Tannen,
Die ihr oft in euren Schatten
Mich, den Müden, aufgenommen.
Rätselhaft verschlungen senkt ihr
In der Erde Schoß die Wurzeln,
Kraft aus jenen Tiefen schöpfend,
Deren Zugang uns verschlossen.
Und ihr neidet nicht des flücht'gen
Menschenkindes flüchtig Treiben,
Lächelnd nur – zur Weihnachtszierde
Schenkt ihr ihm die jungen Sprossen.
Auch in euren Stämmen lebt ein
Stolzes selbstbewußtes Leben,
Harzig Blut zieht durch die Adern,
Und es wogen die Gedanken
Schwer und langsam auf und nieder.
Oft sah ich die zähe, klare
Träne eurer Rind' entquellen,
Wenn im Forst ein rauher Axthieb
Frevelnd die Genossin fällte!
Oft auch hört' ich eurer Wipfel
Geisterhaft Zusammenflüstern,
Und es zog mir durch die Seel' ein
Süß geheimnisvolles Ahnen.
Zürnt drum nicht, wenn hell mein Sang jetzt
Einzieht in das Waldrevier. –

's war im März. Noch trieb der Winter
Mummenschanz; die Äste hingen
Mit phantast'schen Eiskristallen
Schwer geziert, zur Erde nieder.
Da und dort nur aus dem Grunde
Hob das junge Köpflein schüchtern
Anemon' und Schlüsselblume.
Wie der alte Patriarch einst
In der Sündflut Wassernöten
Ausgesandt die weiße Taube:
So von Winters Eis umlastet
Schickt die Erde ungeduldig
Fragend aus die ersten Blumen,
Fragend, ob nicht der Bedränger
In den letzten Zügen liege. –
Sausend von des Feldbergs Höhen
Kam der Meister Sturm gefahren,
Der erfreut' sich, als zum dunkeln
Tannwald er sich niedersenkte;
Sprach: »Ich grüß' euch, feste Freunde,
Denn ihr wißt, warum ich komme. –
Glauben da die Menschenkinder,
Wenn ich einem just vom Haupte
Seinen alten Hut entführe,
Ich sei da, um sie zu schrecken.
Traun, das wär' ein sauber Handwerk,
Schornstein knicken, Fenster brechen,
Strohdach in die Lüfte zetteln,
Altem Weib den Rock zerzausen,
Daß sie betend sich bekreuzet!
Doch ihr Tannen kennt mich besser,
Mich, des Frühlings Straßenkehrer,
Der, was morsch, zusammenwettert,
Der, was faul, in Stücke schmettert,
Der sie Erde sauber feget,
Daß sein strahlender Gebieter
Würdig seinen Einzug halte.
Und euch, stolzen Waldgenossen,
Die ihr mir mit ehr'ner Stirn oft
Tapfern Widerpart gehalten,
Deren Stämmen ich so manches
Blaue Mal am Schädel danke,
Anvertrau' ich mein Geheimnis:
Balde kommt er selbst, der Frühling;
Und wenn dann der junge Sproß grünt,
Lerch' und Amsel jubilieren
Und der Lenz mit warmer Sonn' euch
Lustig auf die Häupter scheinet:
Dann gedenkt auch meiner, der ich
Als Kurier in seinem Dienste
Heut an euch vorbeigesaust.«

Sprach's und schüttelte die Wipfel
Derb und kräftig, – Äste knarren –
Zweige fallen – und ein feiner
Nadelregen prasselt nieder.
Doch die Tannen nahmen seine
Huld'gung sehr ungnädig an,
Aus den Wipfeln tönt die Antwort,
Ein Geschimpf schier war's zu nennen:
»Unmanierlicher Geselle!
Wollen heut nichts von Euch wissen
Und bedauern, daß die feinsten
Herrn die gröbsten Diener haben.
Packt Euch weiter in die Alpen,
Dort sucht Nüsse Euch zu knacken,
Dort stehn kahle Felsenwände,
Unterhaltet Euch mit denen!«

Während also Sturm und Tannen
Sonderbaren Zwiespruch hielten,
Tönet Hufschlag – mühsam suchet
Durch den schneeverdeckten Waldpfad
Sich ein Reitersmann den Ausweg.
Lustig flatterte im Winde
Ihm der lange graue Mantel,
Flatterten die blonden Locken,
Und vom aufgekrempten Hute
Nickte keck die Reiherfeder.
Um die Lippen zog der erste
Flaum des Barts sich, den die Damen
Schätzen, denn er gibt die Kunde,
Daß sein Träger zwar ein Mann, doch
Seine Küsse nicht verwunden.
Der jedoch schien zarte Mündlein
Noch nicht viel berührt zu haben,
Und als wie zum Spotte macht' ihn
Schnee und Reif schier weiß erglänzen.
Aus den blauen Augen flammte
Glut und Milde, sinn'ger Ernst ihm,
Und es brauchte nicht des langen
Korbbewehrten Rauferdegens,
Der vom schwarzen Wehrgehänge
Schier hinab zum Boden streift', um
Anzudeuten, daß die Faust ihn
Ritterlich zu führen wisse.
Um das zugeknöpfte Reitwams
Schlang ein Band sich, dran hing glänzend
Die vergüldete Trompete.
Vor Schneeflocken sie zu schützen,
Schlug er oft um sie den Mantel;
Aber wenn der Wind sich drein fing,
Daß sie schrill anhub zu tönen,
Dann umspielte seinen Mund ein
Sonderbar wehmütig Lächeln. –

Schweigsam durch des Waldes Dickicht
Ritt er fürbaß, oftmals schweiften
Seine Blicke, so wie eines,
Der zum erstenmal, ein fremder
Wandersmann, den Weg erspähte.
Rauh der Pfad – das Rößlein wollte
Oft im Schnee versinken oder
Im Geäst der wildverschlungnen
Tannenwurzeln strauchelnd stürzen.
Und der Reiter dachte brummend:
»'s ist mitunter doch langweilig,
Einsam durch die Welt zu ziehen:
Fälle gibt's und Tannenwälder,
Wo der Mensch sich sehnt zum Menschen.
Seit ich Abschied heut genommen
Von den Mönchen zu St. Blasien,
Wurde leer und öd die Straße.
Da und dort noch ein versprengter
Landmann, der im Schneegestöber
Kaum den Gruß zu bieten wußte;
Dann noch ein paar schwarze Raben,
Die mit heiserem Gekrächze
Zankten um 'nen toten Maulwurf;
Aber seit zwei Stunden hatt' ich
Nicht die Ehre, nur ein einzig
Lebend Wesen anzuschaun.
Und in diesem Waldesbanne,
Wo die schneeverhüllten Tannen
Wie in Leichentüchern dastehn,
Ritt es besser sich selbander.
Wären's Schelmen und Zigeuner,
Wären's selber jene beiden
Sehr verdächtigen Kumpane,
Die den alten Rittersmann einst
Durch die Waldesnacht begleitet
Und ihm bald als Tod und Teufel
Schnöd ins Angesicht gegrinst:
Lieber wollt' mit ihnen reiten
Oder raufen oder ihnen
Eins aufspielen, als alleine
Weiter durch die Tannen traben!«

Alles nimmt ein End' hienieden,
Auch das Reiten durch die Wälder.
Lichter wurd' es um die Stämme,
Schneegewölk und Sturm verzog sich,
Und der blaue Himmel schaute
Freundlich in das Tannendunkel.
So dem Bergmann aufwärts fahrend,
Glänzt an Schachtes End' ein fernes
Sternlein; – 's ist das Licht des Tages,
Und er grüßt's mit frohem Jauchzen,
Auch des Reitermannes Antlitz
Wurde hell und freundlicher,
Bald erreichet war der Waldrand,
Und der Blick, der in der Enge
Lang unheimlich war begangen,
Schweifte fröhlich in die Weite.

Hei! wie schön lag Wald und Feld da,
Grüne Wiese, – enges Tälchen –
Strohdachhütten, nieder, moosig,
Und des Dorfs bescheiden Kirchlein.
Unten tief, wo dunkle Wälder
Sich zur Ebne niederstrecken,
Wand, ein langer Silberstreifen,
Sich der Rhein gen Westen hin,
Weither von der Insel glänzen
Mauerzinnen, hohe Häuser
Und des Münsters Kirchturmpaar.
Aber jenseits, weit in grauer
Duft'ger Fern zum Himmel ragen
Schneebeglänzt die Bergesriesen
Des helvetischen Nachbarlands.
Und soweit des blassen Forschers
Wang' sich rötet und das Aug' flammt,
Wenn ein schöpf'rischer Gedanke
Urgewaltig ihn durchzuckt hat:
Also glühn im Abendgolde
Fern der Alpen eis'ge Häupter.
(Träumen sie vom Schmerz der alten
Mutter Erde in der Stunde,
Da sie ihrem Schoß entstiegen?)

Ab vom Pferde stieg der Reiter,
Band's an einen Tannenstumpf an,
Schaute lang die Pracht der Landschaft,
Sprach kein Wort, doch warf er grüßend
Seinen Spitzhut in die Lüfte
Und begann auf der Trompete
Ein vergnüglich Lied zu blasen.
Grüßend klang es nach dem Rheine,
Grüßend klang des nach den Alpen,
Heiter bald und bald beweglich,
Ernst als wie ein frommes Beten,
Bald auch wieder scherzend schalkhaft.
Und trari – trara – so hallte
Beifallspendend ihm das Echo
Aus dem Waldesgrund herüber.
Schön zwar war's in Berg und Tale,
Aber schön auch, ihn zu schauen,
Wie er, an sein Roß gelehnet,
In dem Schnee anmutig dastand:
Da und dort ein Sonnenstrahl auf
Mann und auf Trompete blitzend –
Hinter ihm die finstern Tannen.
Drüben in dem Wiesengrunde
Blieb der Klang nicht unvernommen!
Dort erging sich just der würd'ge
Pfarrherr aus dem nahen Dörflein.
Prüfend schaut er auf die Schneelast,
Die, schon schmelzend, mit dem Schwalle
Des Gewässers rings der Wiesen
Jungem Gras Verderben drohte.
Und er sann in hilfbereitem
Sinne auf zweckmäß'ge Abwehr.
Um ihn sprang mit frohem Bellen
Zottig, weiß, ein Rüdenpaar.

Ihr dort, die im Dunst der Städte
Mauern trennen und Gedanken
Von real einfachem Leben,
Zuckt die Achseln, denn mein Sang will
Freudig einen Kranz hier winden
Für den Pfarrherrn auf dem Lande.
Schlicht sein Leben – wo des Dorfes
Feldmark aufhört, waren auch die
Grenzen seiner Wirksamkeit.
Drauß im Dreißigjähr'gen Kriege
Schlugen sie zur Ehre Gottes
Sich die Schädel ein, ihm hatten
Längst die stillen Schwarzwaldtannen
Friede ins Gemüt gerauscht.
Spinnweb lag auf seinen Büchern,
Und zu zweifeln steht, ob aus dem
Schwarm des theolog'schen Haders
Er nur eine Schrift gelesen.
Überhaupt war's mit Dogmatik
Und des Wissens schwerem Rüstzeug
Spärlich sehr bei ihm bestellt.
Aber wo's in der Gemeiner
Einen Span galt auszugleichen,
Wo die Nachbarn hämisch stritten,
Wo der Dämon böser Zwietracht
Ehe stört' und Kindestreue,
Wo des Tages Not und Elend
Schwer den armen Mann bedrückte
Und die hilfbedürft'ge Seele
Sich nach Trost und Zuspruch sehnte,
Da, als Friedensbote, kam der
Alte Herr einhergeschritten,
Wußt' für jeden aus dem Schatze
Reichen Herzens Rat und Labsal.
Und wenn drauß in ferner Hütte
Einer auf dem Sterbelager
Mit dem Tod den harten Kampf rang,
Da – um Mitternacht – zu jeder
Stund', wo's an die Pforte klopfte,
– Ob auch Sturm den Pfad verwehte –
Klomm er unverzagt zum Kranken,
Spendet ihm den letzten Segen.
Einsam stand er selbst im Leben,
Seine nächsten Freunde waren
Die zwei Hunde vom Sankt Bernhard
Und sein Lohn: oft nahte schüchtern
Ihm ein Kind, und ehrerbietig
Küßte es die greise Hand ihm;
Oft auch um ein totes Antlitz
Zuckte dankbar noch ein Lächeln,
Das dem alten Pfarrherrn galt.

Unbemerkt kam nun der Alte
Längs des Waldessaums geschritten
Zum Trompeter, dessen letzte
Klänge in die Ferne hallten;
Klopft ihm freundlich auf die Schulter:
»Gott zum Gruß, mein junger Herre,
Habt ein wacker Stück geblasen!
Seit die kaiserlichen Reiter
Den Feldwebel hier begruben,
Den bei Rheinfeld eine schwed'sche
Feldschlang' tief ins Herz gebissen,
Und dem toten Kameraden
Die Reveill' zum Abschied bliesen:
Hört' ich nimmer hier im Walde
– Und 's ist lang schon – solche Töne.
Nur die Orgel weiß zu spielen
Kümmerlich mein Organist:
Drum verwunder' ich mich billig,
Solchen Orpheus hier zu treffen;
Wollt Ihr unserm Waldgetiere,
Dachs und Fuchs und Hirsch und Rehen,
Einen Ohrenschmaus bereiten?
Oder war's ein Zeichen, wie das
Hifthorn des verirrten Jägers?
Ihr seid fremd, ich seh's am Zuschnitt
Des Kolletts, am langen Degen;
Weit ist's nach dem Städtlein unten
Und der Weg kaum praktikabel.
Schaut, schon ziehn des Rheines Nebel
Sich herauf zu unsern Wäldern,
Und es scheint mir sehr geraten,
Daß Ihr Obdach bei mir nehmet;
Dort im Tale steht mein Pfarrhaus,
Einfach ist's – doch Roß und Reiter
Finden leidlich Unterkunft.«

Sprach der Reiter: »Fremd in fremdem
Lande steh' ich und hab' wirklich
Noch nicht näher reflektieret,
Wo ich heute Nachtruh halte.
Nöt'genfalls zwar schläft ein freies
Herz auch gut im freien Walde,
Doch solch freundlich Anerbieten
Nehm' ich dankbar an – ich folg' Euch.«

Losband er das Roß vom Tannstumpf,
Führt' es sorgsam an dem Zügel,
Und es schritten Pfarr' und Reiter
Nach dem Dorf wie alte Freunde
In des Abends Dämmerung.

Dort am Pfarrhausfenster stand die
Schaffnerin und sah's bedenklich;
Traurig hob sie ihre Hände,
Traurig nahm sie eine Prise:
»Heil'ge Agnes, heil'ge Agnes,
Steh mir bei in meinen Nöten!
– Schleppt mein allzugütiger Herre
Mir schon wieder einen Gast her;
Wie wird der in Küch' und Keller
Greuliche Verwüstung bringen!
Nun ade – ihr Bachforellen,
Die dem Herrn Dekan von Wehr ich
Für den Sonntag aufgesparet,
Nun ade, du frischer Schinken!
Ja, mir ahnet, auch die alte
Gluckhenn' muß ihr Leben lassen,
Und den schönen Sommerhafer
Frißt das schwarze fremde Rößlein.«


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