Wilhelm Scharrelmann
Katen im Teufelsmoor
Wilhelm Scharrelmann

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Der Bauer und die Magd

In der Gegend, aus der ich erzähle, hat einmal ein armer Torfbauer gewohnt, der hat sieben Kinder gehabt, eins immer noch kleiner und unbedarfter als das andere, und da er dabei seit Jahr und Tag Witwer gewesen ist, hat er allen sieben zugleich Vater und Mutter sein müssen. Weil aber ein Mensch nicht alles kann, hätte er trotz seiner Armut gern wieder eine Frau genommen, hat auch oft genug nach links und rechts gesehen, um eine zu finden, die er hätte fragen können. Aber da ist nicht eine gewesen, von der er hätte annehmen 31 können, daß sie willens gewesen wäre, seine Kinder zu versorgen und zu ihm in seine ärmliche Kate zu ziehen, und eine Magd ins Haus zu nehmen, wäre ihm ewig zu teuer gewesen.

Nun hat eine halbe Wegstunde weit von seinem Hause ein Mädchen gedient, sanft und gut, die er um sein Leben gern zur Frau gehabt hätte. Er hat sie aber nicht fragen mögen und sich nicht einmal getraut, ernstlich an sie zu denken. Denn wenn sie auch nicht besonders schön von Angesicht und nur eine arme Magd gewesen ist, hat er doch gemeint, daß sie ihn auslachen und stehen lassen werden, wenn er jemals hätte so verwegen sein wollen, sie zu fragen.

Als er nun in den Tagen vor Weihnachten mit seinem letzten Schiff voll Torf zur Stadt gefahren ist, um seinen Kindern zu den Festtagen wenigstens satt Brot auf den Tisch legen zu können, hat das älteste seiner Kinder, ein Mädchen von gut neun Jahren, nachdem es seine Geschwister hungrig zu Bett gebracht und auf den Morgen vertröstet hat, sein Umschlagtüchlein genommen und ist zum Hause und ins Moor hinaus gewandert, ob es nicht irgendeine Hilfe fände und eine mitleidige Seele ihm ein Brot für seine Geschwister schenken werde. Wenn es dabei auch keine Furcht gekannt hat und der Weg ihm trotz der Dunkelheit zuerst vertraut genug gewesen ist, hat es sich zuletzt doch verirrt und nicht mehr gewußt, wohin es sich hat wenden sollen. Als es nun stehenbleibt und nicht weiß, was es tun soll, um sich wieder zurecht zu finden, sieht es auf dem Schiffgraben, an den es gelangt ist, ein Torfboot näherkommen, kann aber, vor dem Lichtschein der 32 Laterne darin, nicht recht erkennen, wer es ist, der es führt, meint, daß es sein Vater ist, der unerwartet früh von der Stadt zurückkommt, und läuft ihm in Freude entgegen. Als es aber näherkommt, erkennt es, daß es ein Fremder ist, der da so schweigend und gespenstisch auf es zutreibt, erschrickt und will schnell in das Dunkel zurück. Der Fremde aber ruft die Kleine, so eigen in Wort und Stimme, daß sie sich nicht zu rühren wagt, steigt zugleich aus, leuchtet ihr mit seiner Laterne ins Gesicht und fragt sie, ob sie nicht die kleine Anne Tölken ist aus der Kate drüben am Stau?

»Ja«, antwortete sie, »das bin ich«, und ist nicht wenig froh, daß der Fremde sie kennt und darum aus der Gegend sein muß, und wird nach wenigen Worten so vertraut, daß sie alle Furcht vergißt, auf seine Fragen ganz offen antwortet und ihm erzählt, daß sie ihre kleinen Geschwister heute ungegessen habe schlafen legen müssen, auch wie sauer es ihr Vater habe, seine sieben mutterlosen Kinder groß zu kriegen.

»Hm«, brummt der Fremde da und pliert über sie hinweg ins Dunkle, als müsse er über etwas nachdenken.

»Komm«, sagt er dann. »Wir wollen einmal fragen gehen, ob nicht in den Häusern drüben jemand schon zum Feste gebacken hat«, nimmt die Kleine an die Hand, geht mit ihr zu der nächsten Warf hinauf – dort hat alles schon in tiefem Schlaf gelegen – klopft an das Fenster, hinter dem die Magd schläft, und ruft:

»Margret, wullt du nich upstahn?
Söben lütte Kinner willt ünnergahn!« 33

Sogleich antwortet es aus der Kammer:

»Söben lütte Kinner sind mi to veel,
söben lütte Kinner kriegt sacht ehr Deel!«

Da geht der Fremde mit der Kleinen zum nächsten Hause, klopft auch hier wieder ans Fenster und ruft:

»Aleid, wullt du nich upstahn?
Söben lütte Kinner willt ünnergahn!«

bekommt aber dieselbe Antwort wie das erstemal:

»Söben lütte Kinner sind mi to veel,
söben lütte Kinner kriegt sacht ehr Deel!«

Also müssen sie wieder weiter, und der Fremde geht mit der Kleinen zum dritten Hause:

»Marie, wullt du nich upstahn?
Söben lütte Kinner willt ünnergahn!«

Da hören sie, daß jemand drinnen ans Fenster kommt und herausruft:

»Ünnergahn, dat schüllt se nich,
leet se ok alle Welt in Stich!«

Als der Fremde mit der Kleinen nun vor die Tür tritt, kommt die Gerufene schon aus dem Hause, und wenn sie auch noch verwirrt ist von Traum und Nacht und nicht weiß, was sie tun soll, hat sie doch im Vorbeigehen ein Rosinenbrot, wie es zu der Zeit zu Weihnachten in den Häusern gebacken wurde, mit herausgebracht, als müsse das so sein, und reicht es dem Kinde. Als aber dabei der Kleinen der Schein der Laterne ins Gesicht fällt und sie 34 erkennt, daß es niemand anders als die kleine Anna Tölken ist aus dem Hause am Stau, wird sie rot und blaß, will das Kind mit einem Worte trösten und nach Hause schicken und sagt:

»Büst du dat, lütt Anna? Gah hen man, min Kind,
so hell schient de Maon, un lies geiht de Wind!«

Denn sie ist es gewesen, die der Vater der Kleinen am liebsten zur Frau genommen hätte, und wenn ihr auch niemand jemals ein Wort darüber gesagt hat, hat sie es doch im stillen gewußt und ihm an den Augen abgesehen.

Der Fremde dagegen ist in demselben Augenblick verschwunden, so daß sie mit der Kleinen allein unter dem sternflimmernden Nachthimmel steht und das Kind nun doch im Ernst nicht hat allein gehen lassen mögen. Als sie aber mit ihm geht und vor das Haus der Kleinen kommt, ist der Bauer gerade aus der Stadt zurückgekommen und will schon davon, um seine Älteste zu suchen. Wie nun der Schein des Feuers vom Herde durch die offene Tür auf die beiden fällt, die ihm entgegenkommen, erschrickt er, wie vorhin die Magd, weiß nicht, was er tun und sagen soll, und stottert:

»Bliw buten, Marie, bliw buten, min Deern –
söben lütte Kinner, wer pleegt de woll geern?«

Da antwortet ihm die Magd, und ihr ist, als könnte sie nicht ein einziges Wort anders sagen:

»Din Kinner, Jan Tölken, up Hei un up Stroh –
stund nich ok de Krippen in Bethlehem so?« 35

und geht an ihm vorbei mit der Kleinen ins Haus, als gehöre sie dahin.

Da ist über den Bauern eine so große Freude gekommen, daß er mit der Mütze in der Hand hinter ihr ins Haus gegangen ist, als schritte ein Wesen aus einer anderen Welt vor ihm auf. Über ein Jahr aber ist die Magd seine Frau geworden und seinen Kindern eine Mutter, wie er sie treuer nicht hätte finden können.

 

Der Backofen

Nicht weit von einer altersschwachen, verlassenen Torfbauernkate stand ein ebenso alter Backofen. Die Jahre hatten beiden bereits gehörig zugesetzt, aber was den Backofen betraf, so hatte er einen breiten Buckel und zum Überfluß eine gehörige Schicht Moorerde darauf, ließ den Regen von sich ablaufen und den Sturm über sich hingehen, und wenn der Winter ihn auch unter Schnee begrub, schmückte ihn der Sommer dafür mit Glockenblumen, Weidenröschen und Taubnesseln. Oh, er stand da gut vor den alten Fuhren und Erlen, und niemand störte ihn, wenn er in stillen Stunden von den Schwarzbroten träumte, die in seinem Leibe gar geworden waren, damals, als er noch jünger war und Feuer im Leibe hatte, Schwarzbrote, so schwer wie Ammerländer Schinken und süß und würzig zugleich.

Neben ihm ging ein Graben unter Erlen und Vogelbeerbäumen ins Moor hinaus, und zuweilen kamen ein paar Enten den Graben herab, schnabelten in den Wasserlinsen und steckten die Schwänze 36 in die Höhe. Das war unterhaltend und kostete nichts.

Im Winter war es allerdings um so einsamer um ihn. Seine einzige Gesellschaft war dann die alte verlassene Kate. Glaubt nicht, daß sie nichts zu erzählen gewußt hätte . . . Oh, sie hatte Geschichten erlebt, kann ich euch sagen! Sie war nur zu verschlossen in ihrem Wesen und die Entfernung zwischen ihr und dem alten Backofen zu weit. Dazu wurde das Brombeergestrüpp zwischen ihnen mit jedem Jahre höher und höher, so daß sie sich zuletzt kaum noch zu erblicken vermochten, so dicht war es geworden.

»Büst du noch dor?« pflegte der Backofen von da ab an jedem Morgen zu ihr hinüber zu rufen und freute sich, wenn er sich überzeugt hatte, daß sie noch stand. War sie doch mit den Jahren mächtig wackelig und hinfällig geworden, und niemand konnte wissen, wie lange sie es noch machen würde.

Eines Tages war denn auch das Unglück da. Es begann in einer Nacht, in der kein Mensch einen Hund hätte vor die Tür jagen mögen. Der Wind heulte wie ein hungriger Wolf, sprang über das Moor und stieß so ungestüm an die alte Kate, daß sie in allen Fugen erzitterte. Aber je hartnäckiger sich die Alte wehrte, desto ärgerlicher wurde er, und als er ihr nicht anders beizukommen vermochte, begann er sie Stück für Stück abzubrechen und arbeitete großzügiger dabei als ein Unternehmer. »Runner mit de Plüunen«, rief er, riß ihr die alte Haube vom Kopfe und warf sie in den Graben, stieß die morsche Tür aus ihren Hängen und 37 drückte die eine Wand ein, daß sie mit einem Krach zu Boden stürzte und gleich die zweite dabei mit sich nahm . . .

Als der Backofen am andern Morgen wie gewöhnlich sein: »Büst du noch doör?« aus den Brombeeren zu ihr hinüber rief, bekam er keine Antwort mehr. Die alte Kate war hinüber.

Ja, nun wurde es erst richtig einsam um ihn. Sie waren zusammen alt geworden, die alte Kate und er, und nun war er allein übriggeblieben, und als ihn der nächste Sommer reichlicher als je vorher mit blauen Glockenblumen und zarten Weidenröschen schmückte, daß er wie ein verspäteter Hochzeiter dastand, wurde er seiner Tage doch nicht mehr recht froh. Selbst die Enten, die vorbei kamen und lustig auf dem Kopfe standen, heiterten ihn nicht auf. Dazu hatte ihn das Brombeergestrüpp nun so dicht eingesponnen, daß er nicht einmal mehr in den Graben zu gucken vermochte. Es war zum tiefsinnig werden!

Nein, da waren doch früher andere Zeiten gewesen. Alle acht Tage war die junge Gesch-Margret, die Frau des alten Hinnerk Tietjen, zu ihm herüber gekommen, hatte Torf und Reisig in ihn hineingestopft und angezündet, daß ihm nach ein paar Minuten schon die helle Glut aus dem Maule gequollen und er wie ein Feuerfresser dagestanden war, bis sie nach ein paar Stunden die weichen Schwarzbrotlaibe in ihn hineingeschoben und er dann stundenlang warm und duftend, zufrieden und satt unter den Föhren gestanden und ihm erst der Nachtwind die heiße Kehle wieder gekühlt hatte. 38

Gesch-Margret! Wenn er an sie dachte, wurde ihm heute noch warm dabei.

Mit 23 Jahren war sie als Magd zu dem alten Tietjen ins Haus gekommen, und ein paar Jahre später hatte der Alte sie geheiratet. An einem Herbsttage, an dem die Vogelbeeren wie glühende Korallen an den Bäumen hingen, war die Hochzeit gewesen. Am Tage vorher hatte der Backofen ein paar Butterkuchen in seinem Leibe gar zu machen gehabt, wie niemals wieder. In der alten Kate war während der ganzen Nacht die Ziehharmonika gegangen, und die sieben Hochzeitsgäste, die dagewesen waren, hatten bis zum Morgengrauen gejuchheit, getrunken und gesungen, als wäre der Tag für Gesch-Margret der schönste ihres Lebens.

Aber darüber hätten die alte Kate und der Backofen mehr zu erzählen gewußt, und Glück und Freude sahen anders aus, als sie in Gesch-Margrets Gesicht geschrieben standen. Aber die alte Kate hatte darüber geschwiegen wie ein Grab und war doch ein Weibsbild gewesen. Sollte er etwa geschwätziger sein als sie?

Hinterher war es freilich doch unter die Leute gekommen, – aber die Leute reden bekanntlich viel, und ihn, der besser Bescheid wußte, fragte niemand. Gut, er drängte sich nicht auf, bewahre. Das wäre das letzte gewesen. Zudem – hatte er nicht selber Feuer im Leibe gehabt und wußte, wie es einem dabei zumute war?

Aber was nützten alle Betrachtungen? Um es kurz zu sagen: Es war nicht gut gegangen mit den beiden da drüben in der alten Kate, und ihre Wände hatten mehr Tränen gesehen und Seufzer gehört, 39 als die Hochzeit vermuten ließ. Aber das geht häufiger so, als manche junge Braut meint, und sie kann noch von Glück sagen, wenn es dabei sein Bewenden hat. Denn bei Gesch-Margret war noch etwas hinzugekommen, was ihr die Nächte länger gemacht hatte, als sie wohl sind, wenn alles richtig im Hause ist, und die kargen Wintertage mit dem jähzornigen und alternden Mann waren auch keine Kurzweil gewesen . . . Das Schlimmste aber war, daß sie ihren Liebsten aus ihren Mädchentagen nicht vergessen konnte, der sie nicht hatte nehmen dürfen, weil es seine Mutter nicht hatte dulden wollen. Bis Gesch-Margret eines Tages ihr Herzeleid nicht mehr hatte ertragen können und mit ihm und ihrem Kinde auf und davon gegangen war . . .

Neben dem alten Backofen hatten sie sich verabredet, die beiden. Oh, er hatte jedes Wort gehört und wußte Bescheid. In der Nacht vor Johanni war es gewesen, als ihr Mann am Abend bezecht nach Hause gekommen und Gesch-Margret in seiner Trunkenheit beschimpft und geschlagen hatte, daß ihr das Gesicht wie Feuer gebrannt und das Herz doppelt schwer gewesen war von dem Jammer ihrer Tage.

Acht Tage später war sie dann um Mitternacht leise aus der alten Kate getreten, ihr einziges Kind im Arm, und wieder hatte ihr Liebster bei dem alten Backofen auf sie gewartet und war mit ihr davongegangen in die Welt . . .

Ja, das waren Geschichten . . . und der Backofen konnte sagen, daß er dabei gewesen war.

Aber Hinnerk Tietjen war recht geschehen, das mußte man sagen, und es war eigentlich ein 40 Wunder, daß Gesch-Margret nicht schon früher von ihm gegangen war. Darum wußte er auch wohl hinterher nichts, als seinen Gram in der Flasche zu ersäufen. Haus und Hof verfielen darüber, bis es eines Tages mit ihm aus gewesen war, so gründlich, wie es nur mit einem Menschen aus sein kann.

Hatte er vielleicht selber Hand an sich gelegt und nicht abwarten wollen, bis er gerufen wurde? Jawohl, auf dem düsteren alten Heuboden, dicht unter dem verwitterten Strohdach hatte er gehangen, bis man ihn nach langen Wochen endlich fand . . .

Die alte Kate aber hatte niemand wieder beziehen wollen, und Jahr auf Jahr war so dahin gegangen, bis es auch mit ihr zu Ende war und der Wind sie hinwegräumte. Vielleicht, daß eines Tages jemand kam und eine neue auf dem Platze erbaute, auf dem die alte gestanden? Aber große Hoffnung hatte der Backofen nicht, wenn er ehrlich sein wollte. Selbst der Moorgraben begann mit jedem Jahr mehr zuzuwachsen, und was ihn selber betraf, so hatte er mehr Sprünge und Risse im Leibe, als selbst einem Backofen gut sein kann. Das machte der Frost im Winter, und so gut der Alte Glut und Feuer vertrug, so wenig stand er sich mit der Nässe und dem beißenden Winterwind. Aber schließlich war es gleich, ob er noch eine Reihe von Jahren dastand oder nicht, gab es doch nichts, das ewig währte auf dieser Erde, und da machte selbst ein Backofen keine Ausnahme und hätte man ihn aus noch so festen Steinen erbaut. Immerhin, bis dahin hatte es noch Zeit, und es war schön, so unter den alten Fuhren zu stehen und seinen 41 Erinnerungen nachzuhängen. Denn er konnte sagen, er hatte etwas erlebt, und wenn er nun auch längst zum Einsiedler geworden war, so hatte er doch eine Zeit gehabt, in der er Feuer im Leibe gehabt und selbst im Alter mehr erlebt hatte, als ein Hans-Obenhin annehmen mochte, der zufällig des Weges kam und achtlos über ihn hinwegsah, seht ihr wohl!

 

Die kluge Katze

Vor Zeiten hat mal eine alte Frau im Teufelsmoor gelebt, Kattenlena genannt, die hat eine Katze besessen, die klüger gewesen ist als alle Tiere im Dorfe. Hatte sie nach Katzenart einmal einen Streifzug durch Garten und Feld gemacht und ihre Verwandten besucht und kam dann wieder nach Hause und die Frau fragte sie: »Na, hebbt ji ok gode Unnerholung hat?« so antwortete die Katze und jeder, der wollte, konnte es deutlich verstehen: »'t weer man flau!«

»Och, dat is ja schad. Wo sind ji denn west?«
    »Up Katten Au!«
»Weeren denn ok Suldaten dor?«
»Jau!«
»Wat harrn se denn för 'ne Montierung an?«
    »Blau!«
»Hebbt se ok wat to eten kregen?«
    »Jau!«
»Wat denn?«
    »Kabeljau!«

Man muß sagen, daß es eine kluge Katze war. 42

Nun ist mal im Dorfe eine Hochzeit gewesen, und Kattenlena ist auch eingeladen worden. Wie sie hinkommt, sieht sie, daß ihr die Katze nachgelaufen ist, wird böse und sagt zu ihr: »Gah na Hus, ole Katt!« Die Katze hat aber nicht gehorchen wollen, ist in die Geschirrkammer gelaufen und hat sich dort unter den Tisch gesetzt, um zu guter Zeit ein paar der Schüsseln abzulecken, die man hereingetragen hat.

Als nun die Hochzeitsfeier recht in Gang gekommen war und die Musikanten auf der Diele spielten, daß sich die Balken unter der Decke bogen, ist es der Katze unter ihrem Tisch allmählich zu ungemütlich geworden und sie ist auf die Diele hinausgelaufen, hat aber von den jungen Leuten nur Tritte mit den Stiefelabsätzen gekriegt. Am Hochzeitstage hat ja der Braut keine Katze über den Weg laufen sollen. Darüber ist das Tier zuletzt in die Stube geflüchtet und von dort in die Kammer. Da ist es dunkel gewesen und so einsam und still, daß sie die Mäuse im Bettstroh hat piepen hören können, und das ist ja für eine Katze die schönste Musik, die zu denken ist.

Wie nun der Tanz zu Ende ist und auch die letzten Gäste nach Hause gegangen sind, kommt die alte Großmutter herein, die in der Kammer ihr Bett hat, und will schlafen gehen. Die ist so geizig gewesen, daß sie sich eher einen Finger abgebissen hätte, als auch nur einen Groschen auszugeben, wo es nicht bitter nötig gewesen ist. In dieser Nacht aber ist sie so vergnügt wie noch an keinem Tage, hat immer nur ihre Hände gerieben und vor sich hingemurmelt: »Söbenhunnert Daler! Söbenhunnert Daler!« Damit hat sie die Mitgift gemeint, welche 43 die junge Frau ins Haus gebracht hat. Da antwortet ihr die Katze unter dem Bett:

»Stimmt dat ok sau?«

Da ist die Alte mißtrauisch geworden, ob sie sich vielleicht auch versehen hat, und ist noch einmal in die Stube zurückgegangen und hat das Geld nachgezählt, das ihr Sohn von dem Brautvater bekommen hat.

Als sie damit zu Ende ist, trumpft sie auf und sagt:

»Mi bedrögen to laten, bin ick to slau!«

Antwortet die Katze:

»Nee, Moder, wat sind ji doch enmal genau!«

Da ist die Alte zufrieden und geht zu Bett, kann sich aber auch da noch nicht lassen vor Freude und fängt von neuem an zu murmeln:

»Söbenhunnert Daler, söbenhunnert Daler, akrat un genau!«

Mahnt die Katze unter der Bettstelle:

»Nimm se mit to Bett, denn hest du din Rauh.«

Darüber wird die Alte ärgerlich, springt aus den Kissen und jagt die Katze zur Tür hinaus.

Die huscht über die Diele und klettert auf die Hille. Darunter hat die Magd ihr Bett, sitzt noch, flicht ihre Zöpfe für die Nacht ein und singt dazu:

»De Wind, de gung week, un de Nacht weer so lau –«

Schreit die Katze von der Hille:

»Bi Nacht sind al' ol' Katten grau!«

Da greift die Magd nach einem Besen und jagt die Katze ebenfalls davon. Die springt an ihr vorbei und durch die Tür, die nur angelehnt gestanden hat, in die Kammer der Brautleute hinein. 44

Benommen und dumpf von Tanz und Feier, sind beide noch nicht schlafen gegangen, und die Braut hat Tränen in den Augen, denn sie hat den ganzen Abend an den anderen denken müssen, den sie in Wahrheit geliebt hat und nicht hat nehmen dürfen, weil er nur ein armer Knecht gewesen ist, und muß an den Abschied denken, den er von ihr genommen, preßt die Hände aufs Herz und denkt:

»Wie hett he mi küßt dor günnen bi 'n Stau!«

Antwortet die Katze:

»Un hest em verraen noch vor Dag un vor Dau!«

Da schrickt sie zusammen, sagt zu ihrem Manne, daß sie der Katze noch zu trinken geben will, damit niemand auf ihrer Hochzeit durstig geblieben sei, und geht über die Diele in die Milchkammer. Wie sie hineintritt, sieht sie im Schein des Vollmonds einen Schatten am Fenster, und es wird ihr so schwach darüber in den Knien, daß sie sich an die Wand lehnen muß, deckt die Hand vor die Augen und flüstert:

»Weerst du dat, min Lars, und sturwst du so gau?«

Antwortet die Katze und ihre Augen funkeln:

»Kiek man hinut, he hangt all in'n Tau!«

Da kommt ein Entsetzen über sie, und ein Schauder läuft über ihre jungen Schultern.

Als sie nun wieder über die Diele kommt und der helle Mond scheint durch die Fensterruten, sieht sie auf dem Tisch im Unterschlag noch die Kerzen stehen, die auf ihrem Traualtar gebrannt haben. Da zuckt ein Gedanke in ihr auf, und sie geht hin und zündet die Lichtstümpfe wieder an und steht so eine Weile und nimmt die beiden Leuchter in die Hände und weiß selber nicht, soll sie oder soll sie nicht? 45

Da hört sie wieder die Stimme der Katze, die schreit:

»Wat besinnst du di veel? Man tau, man tau!
Is genog up'n Balken, Stroh un ok Hau!«

Da wendet sie sich und kann nicht anders, läuft über die Diele und wirft mit einem Schwung die brennenden Kerzen in das lose Stroh, das auf der Hille liegt, so daß im nächsten Augenblick schon der helle Feuerschein durch das Haus fliegt.

Da ruft die Magd aus ihrer Kammer:

»Wat strahlt dör de Ritzen so geel un so blau?«

Schreit die Katze:

»Dat Für schient so geel, un de Rook is so blau!«

Da stürzt auch die Alte aus der Kammer, hat die Mitgift der jungen Frau in die Schürze gerafft und ruft in ihrer Angst:

»Söbenhunnert Daler, ick tellt se genau!«

Antwortet die Katze:

»Verrekent hest di doch, nu sühst du et jau!«

Aber erst, als alle heil aus dem Hause sind, die Alte, der Mann und die Magd, fällt ihnen ein, daß die junge Frau noch drinnen sein muß in der lodernden Glut. Aber niemand hat sich vor dem Qualm und der fliegenden Hitze noch einmal hineingewagt – und keiner hat die Vermißte wiedergesehen.

Die Katze aber saß am anderen Morgen mit versengtem Haar neben der Brandstelle beim Soth, und als Kattenlena kam, die mit ihr zu reden verstand, und sie fragte: »Wo bleew blot de Fru, ol' Kattemau?« antwortete die Katze:

»Nu wees doch man still – se hett ehre Rauh!« 46

 

Der Mann im Mond

Im Teufelsmoor hat mal ein Torfbauer gewohnt, der hat Pierken geheißen, ein etwas gewalttätiger und aufgebrachter Mann, wenn er einmal ein Glas über den Durst getrunken gehabt hat. Der ist mal auf eine Kindtaufe geladen worden, und als er nach einer fröhlichen Nacht endlich nach Hause will, kann er den Weg nicht recht finden und biestert zwischen den Gräben und Kuhlen im Moore herum, als wäre er zum erstenmal in der Gegend.

Da begegnet ihm zuletzt der Mond, hat Mitleid mit ihm und sagt: »Hier mal her, ick bring di na Hus!«

Pierken, der so mißtrauisch gewesen ist wie alle Torfbauern, guckt ihn verächtlich von der Seite an und sagt: »Wat büst du för een?«

»Dat sühst du ja«, antwortet der Mond und will ihn an die Hand nehmen.

»Lat mi los!« begehrt Pierken da auf. »Mit di will ick nicks to dohn hebben!«

»Worum denn nich?« fragt der Mond und wundert sich.

»Du büst ut de Stadt, du, hol mi man nich för dumm! Heest du nich Müllerstedt?«

»So ungefähr«, sagt der Mond und muß lachen.

»Sühst woll?« triumphiert Pierken da. Dann sei er das auch gewesen, dem er vor kurzem ein Fuder Torf geliefert und der ihm hinterher einen ganzen Taler abgezogen habe, weil ihm der Torf mit einmal nicht trocken genug gewesen sei. »Du büst'n ganz gewöhnlichen Europäer för mi, weest dat?« 47 schreit er in dem Ärger, der wieder in ihm hochkommt, und greift nach einem Torfbrocken, um ihn »Müllerstedt« an den Kopf zu werfen.

Da denkt der Mond: »Nun, wenn du mit mir nichts zu tun haben willst, dann such deinen Weg nur allein«, klappt seine Laterne zu und läßt den guten Pierken im Düstern sitzen.

Der will sich in seiner Wut nicht merken lassen, daß ihm das etwas ausmacht, rennt stierköpfig weiter und stürzt denn auch kopfüber in eine Moorkuhle.

Darüber ist ihm nun kein kleiner Schreck in die Knochen gefahren, kann auch lange nicht wieder aufs Trockene kommen und arbeitet sich ab wie ein Toller.

Das hat dem Mond ja nun doch leid getan. Er kehrt darum noch einmal wieder um, hilft Pierken heraus und sagt ihm, daß sie sich nun um den Torf nicht mehr streiten wollen und er sein Recht haben soll.

»Is good, ick bün keen Krakeeler!« antwortet Pierken und ist durch die Abkühlung und die freundlichen Worte nun so lenksam wie ein Kind, hält es aber in dem nassen Zeuge nicht länger aus, beginnt darum kurzerhand sich auszuziehen und steht nun da, wie ihn der liebe Gott und das Moor geschaffen haben und klappert mit den Zähnen.

»Kumm, haol di nich de Influenza«, sagt der Mond und gibt ihm seinen Mantel.

Wie sie nun ein Stück Wegs weitergegangen sind, kommt Pierken-Mutter den beiden entgegen, erkennt ihren Mann nicht, weil er ja den Mantel 48 des Mondes an hat, und fragt die beiden: »Hebbt ji usen Vatter nich sehn? Dat is nu bold Dag, und he is immer noch nich to Hus!«

»Ja«, schreit Pierken da, »gah man sacht hen, Moder! He sitt dor günnen an'n Weg und angelt Poggen!« und reibt sich vor Vergnügen die Hände, daß er nun noch eher nach Hause kommt als seine Frau.

»Wat kannst du eenmol lögen!« sagt der Mond und schüttelt den Kopf.

»Ja, Jung«, kräht Pierken vergnügt, »dat mußt könen, anners speelt se koppheister mit di!«

Als der Mond ihn nun glücklich nach Hause hat, fällt Pierken der Handel mit dem Torf wieder ein.

»Wo is dat nu«, fragt er, »hest du Geld bi di?«

»Mehr als genog«, antwortet der Mond, nimmt seinen Sack von der Schulter und setzt ihn mit einem Schwung auf den Boden.

Pierken guckt ihn an und ist sprachlos vor Erstaunen, aber auch so mißtrauisch wie immer und sagt: »Mak mal erst up!«

Da tüdert der Mond seinen Sack auf und schüttet den ganzen Inhalt in die Stube, daß der sandbestreute Fußboden nur so von Silber blänkert.

»Dunnerwär!« ruft Pierken. Er hat »Müllerstedt« ja immer für einen reichen Mann gehalten, aber soviel Geld hat er ihm nun doch nicht zugetraut.

»Ick heb ook veel nödig«, sagt der Mond. »Ick mak'n Reis' um de Eer, weest woll.«

»Nimm mi mit!« sagt Pierken-Vatter.

O nein, die Reise daure länger, als Pierken wohl meint, und wenn er jetzt so mir nichts dir nichts 49 davonginge, werde seine Frau gewiß untröstlich sein, meint der Mond.

»Hähä!« lacht Pierken, seine Frau werde gewiß nicht traurig darüber werden, dafür wolle er wohl einstehen.

Da läßt ihn der Mond in den großen Sack steigen, den er seit Olims Zeiten auf dem Rücken trägt, bindet ihn Pierken unter dem Halse zu, damit er nicht herausfällt, nimmt den Sack mit einem Schwung wieder huckepack und steigt wieder zum Himmel hinauf . . .

Seitdem sitzt Pierken-Vatter im Mond und macht die weite Reise mit, die der Mond am Himmel macht. Wenn ihr hinaufguckt, könnt ihr ihn sehen, wie er den Kopf aus dem Sack steckt und dem Mond neugierig über die Schulter guckt. Denn von da oben aus gibt es für ihn mehr zu sehen, als ihm beim Torfstechen im Teufelsmoor jemals vor Augen gekommen ist, kann ich euch sagen.

 

Das Butterfaß

Da ist mal eine Bauersfrau gewesen, die hätte Haus und Hof darum gegeben, wenn sie nur ein Kind bekommen hätte. Aber ein Jahr nach dem andern ist hingegangen, und keines hat ihr den sehnlichsten Wunsch ihres Lebens erfüllt, so daß sie zuletzt alle Hoffnung aufgegeben und sich seufzend und vergrämt in das Unabänderliche zu schicken versucht hat.

Eines Tages nun, gegen den Herbst hin, – es ist schon nahe am Abend gewesen – steht sie noch auf 50 der Diele am Butterfaß und will kirnen. Aber so fleißig sie auch ist, und so unablässig sie den Stößer auf- und niederbewegt, will es nicht buttern. Da geht sie an den Herd, holt sich ein wenig warmes Wasser, schüttet es ins Butterfaß und denkt, nun wird es schon gehen. Aber soviel Mühe sie sich auch gibt, es will und will nicht buttern.

Bald darauf kommt ihr Mann vom Felde herein, sieht sie stehen und weinen und muß lächeln, als er hört, daß es nur wegen des Ärgers ist, den ihr diesmal das Buttern bereitet.

»Wenn es weiter nichts ist«, sagt er und stellt sich selber ans Butterfaß. So unermüdlich er aber auch die Arme rührt, geht es ihm nicht anders damit, so daß er zuletzt ungehalten wird und sagt: »Entweder hast du zuviel warmes Wasser zur Sahne gegossen oder die Kühe sind verhext! Da soll der Teufel buttern!«

Darüber kommt die Mutter der Frau, die trotz ihrer Jahre noch immer das Regiment im Hause behalten hat, vom Kartoffelroden herein, schilt, daß alle beide nichts Rechtes verstünden, und stellt sich selbst ans Butterfaß. Wie sie nun steht und sich quält und doch nicht nachgeben will, fällt ihr ein alter Zauberspruch wieder ein, den sie als Kind von ihrer Großmutter gehört hat, denkt, vielleicht hilft es, wenn sie ihn sagt, und ruft, ärgerlich und verdrossen wie sie ist:

»Botter, Botter, Botterfatt,
buten drög un binnen natt,
Rumpedumpe, Holt un Steel,
botter wenig oder veel!« 51

erschrickt aber nicht wenig, als sogleich nach ihren Worten Rumpedumpe hinter dem Herde erscheint, ein Kerlchen nicht größer als ein Holzschuh, ein spitzes Hütchen auf dem moorbraunen Schädel. Es sieht alle drei aus schillernden Augen verkniffen und böse an und antwortet mit dünner und quäkender Stimme:

»Beckmanns Moder, wat röppst du mi?
Een Kind steiht buten, wat kennt ji't ni?«

und ist wieder davon, als hätte ihn der blaue Rauch über dem Herde verschluckt.

Da stehen sie nun alle drei, mögen sich gegenseitig nicht ins Auge blicken, und sind so betroffen, daß sie nicht wissen, was sie reden oder tun sollen. Haben sie doch alle drei gut gewußt, welches Kind Rumpedumpe gemeint, und daß der Mann aus der Zeit vor seiner Ehe ein Kind mit einer landfremden armen Magd gehabt hat, es aber selbst nach dem Tode der jungen Mutter nicht hat ins Haus nehmen dürfen, weil die Alte das nicht hat dulden wollen. Ja, er hat das Kind nicht einmal erwähnen dürfen, und alle drei haben es totgeschwiegen, als wäre es nie geboren.

Wie sie noch stehen und keines von ihnen aufzublicken wagt, faßt sich die Frau als erste ein Herz, nimmt den Stößer im Butterfaß und denkt, nun soll er auch ausdrücklich sagen, daß er niemand anders als Hinnerks Kind gemeint hat, beginnt wieder zu buttern und ruft gleichfalls:

»Botter, Botter, Botterfatt,
buten drög un binnen natt, 52
Rumpedumpe, Holt und Steel,
botter wenig oder veel!«

Wirklich erscheint der Kleine von neuem, antwortet aber diesmal:

»Beckmanns Trina, wat röppst du mi?
Ick weet'n Kind, dat weent na di!«

Aber die Frau gibt auch diesmal noch nicht nach – bis ihr Mann ans Butterfaß geht und den Spruch wiederholt, wie er ihn vorhin von der Alten gehört hat:

»Botter, Botter, Botterfatt,
buten drög un binnen natt,
Rumpedumpe, Holt und Steel,
botter wenig oder veel!«

Richtig taucht der Kleine zum drittenmal auf, ruft aber diesmal, noch ärgerlicher als vorher:

»Beckmanns Hinnerk, wat röppst du mi?
Din Kind steiht buten – wat haolst du't ni?«

Nun ist für niemand ein Zweifel mehr, und der Kleine hat ausgesprochen, was die Frau seit langem gedacht und sich ersehnt hat, und hat auch als erste den Mut, es offen vor der Alten auszusprechen, tritt darum zu ihrem Mann und sagt: »Dat mag nu gahn, as dat will!« und wenn ihre Mutter in ihrer Härte noch immer nicht damit einverstanden ist, daß die Kleine ins Haus kommt, so will sie lieber mit ihm von Haus und Hof gehen, als noch länger nachgeben, daß das Kind ohne seinen Vater und ihre Pflege bleibt. Ja, sie will die Kleine, die 53 ihre Mutter am ersten Tage ihres Lebens verlor, als eigen annehmen und sie halten, als hätte sie sie selber geboren, und will den sehen, der ihr darein redet!

Da merkt die Alte ja, daß sie ihre Macht über ihre Tochter verloren hat, der Mann aber fällt seiner Frau vor Freude um den Hals und geht am nächsten Morgen mit ihr in die Stadt, das Kind zu holen.

Von dem Tage an hat alles im Hause einen besseren Gang genommen als vorher, und auch mit dem Buttern hat es nie wieder Schwierigkeiten gehabt.

 

Wie das Teufelsmoor zu seinem Namen gekommen ist

Vor langen Zeiten war einmal einer der Gehilfen, die in der höllischen Welt beschäftigt werden, unbotmäßig gewesen und hatte des Teufels Großmutter beleidigt. Da das zu dem Schlimmsten gehört, was sich dort unten jemand zu schulden kommen lassen kann, die üblichen Strafen im Reiche des ewigen Feuers und der qualmenden Dünste den dienstbaren Geistern des Teufels aber nichts anzuhaben vermögen und man nichts Ärgeres auszudenken wußte, verurteilte man den Übeltäter, zur Abkühlung seines Übermutes ein Jahr lang zu einem Torfbauern im Teufelsmoor in Dienst zu gehen. Man schnitt ihm darum kurzerhand Schwanz, Hörner und Klauen ab, zog ihm einen alten Knechtskittel und eine englischlederne Hose an und beförderte ihn mit einem Tritt nach oben. 54

Da stand er nun wenige Augenblicke später im dunkelsten Moor und blinzelte noch verdutzt in die Sonne, als er sich vom Teufel selber, der sich in die Gestalt eines Viehhändlers verwandelt hatte, beim Ohr genommen und vor eine einsam gelegene Kate gestubbst sah, wo sein Herr und Meister so herrisch an die Tür pochte, als hätte er hier das Kommando.

»Sucht Er nicht schon lange einen Knecht?« redete er den Torfbauer an, der aus seinem Sonntagsnachmittagsschlaf geschreckt in der Tür erschien. »Hier hat er einen! Erspare er ihm keine Arbeit und lasse er ihn sich sputen! Zu verdienen braucht er nichts, die Seinen können es sich leisten, und es liegt ihnen nur daran, den Burschen einmal gehörig in Zucht genommen zu sehen, damit ihm nicht so bald das Fell wieder jucke!« gab dem Sünder einen Stoß, daß er ins Haus flog, und ging davon.

Der Bauer, verblüfft über die Art, wie ihm da ein Knecht ins Haus befördert wurde, freute sich nicht wenig, unvermutet zu einer so billigen Hilfe gekommen zu sein, wies dem Neuen seine Schlafstelle hinter dem Pferdestall an und nahm ihn am anderen Morgen gleich mit aufs Feld. Dort unterwies er ihn, wie man die nasse Torferde gräbt, auf dem Boden ausbreitet und mit den Füßen knetet, hinterher zu Soden sticht und in der Sonne trocknet.

Wenn der Bursche zu der sauren Arbeit auch kein freundliches Gesicht machte, griff er doch, anstellig wie alle Teufel sind, bald gehorsam zu, kam auch besser damit zurecht, als sich der Bauer zuerst gedacht 55 hatte, nur daß ihm, als einem Sohne des ewigen Feuers, die Nässe unter seinen Sohlen einen Schauder nach dem anderen über den Buckel jagte. Der Bauer ahnte freilich nicht im mindesten, was für ein Geist ihm da ins Haus geraten war. Er wunderte sich nur, daß dem roten Gesell, wenn er ein paar Augenblicke lang auf einem Flecke stand, ein leiser Dampf unter den Füßen emporzuquellen begann, von denen der eine einem Pferdefuß verzweifelt ähnlich sah. Mißtrauisch und im höchsten Maße verwundert sah der Bauer dem zu. Als er aber merkte, daß der Knecht seine Arbeit bald so geschickt verrichtete, als habe er sein Lebtag nichts anderes getan als Torf gegraben, tröstete er sich damit, daß man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul sehe, und schwieg.

Dem armen Teufel wurde freilich mit jedem Tage deutlicher, warum man ihn zur Strafe hierher ins Moor gesteckt habe und wieviel einfacher und leichter es gewesen war, in seiner höllischen Heimat um die Pfannen mit siedendem Öl und Pech zu tanzen. Unter der schweren und ungewohnten Arbeit begann sich sein Rücken schon nach Wochen wie ein Säbel zu krümmen, und abends hatte er das Gefühl, durch eine Walkmühle gekommen zu sein. Da er aber ganz gut wußte, daß er in der Hölle sobald noch nicht wieder auf Gnade rechnen könne, blieb ihm nichts anderes, als sich in das Unabänderliche zu schicken.

Zuletzt kam ihm ein Umstand zu Hilfe, den er bei aller Schläue nicht hätte ergrübeln können. Es gab nämlich gerade in dem Jahre einen Sommer, wie 56 man ihn seit langer Zeit nicht mehr erlebt hatte, und die Sonne brannte wochenlang mit solcher Glut herab, daß selbst das Moor darunter auszudörren begann und seine oberste Decke von bräunlichem Moostorf wie trockener Zündschwamm unter den sengenden Sonnenstrahlen lag. Der Bauer rieb sich vergnügt die Hände. So gut und schnell hatte er noch in keinem Jahre seinen Torf trocken bekommen. Aber seine Freude verwandelte sich in Schrecken, als er eines Tages unter den Füßen seines merkwürdigen Knechtes statt der gewohnten Dampfwölkchen nunmehr wirkliche Feuerflämmchen emporzüngeln sah.

»Wat is dat?« rief der Bauer entsetzt und schrie dem Knechte zu, die Flammen auszutreten. So gehorsam der Teufel nun auch umherzuspringen begann, machte er es doch nur schlimmer damit, so daß, wohin er auch treten mochte, der Boden nur stärker in Brand geriet und ein so beizender Rauch die Gegend zu überziehen begann, daß sich selbst die Sonne darüber verfinsterte.

Verzweifelt über das vermeintliche Unglück, das ihm da widerfuhr, jagte der wütende Bauer den funkensprühenden Knecht davon, und atmete erst wieder auf, als am Abend ein herabrauschender Regen den schwelenden Brand wieder löschte. Er erstaunte aber nicht wenig, als er nach einigen Wochen bemerkte, daß eine Lage Buchweizenkörner, die ihm nach dem Brande aus einem schadhaften Sacke in die noch warme Asche gefallen waren, so üppig zu wachsen begannen, wie er es auf seinen armseligen und sauren Feldern noch nie gesehen hatte. Im 57 Nachdenken darüber konnte er sich zuerst keinen rechten Vers darauf machen, bis ihm zuletzt doch so etwas wie ein Licht aufging. Kurz entschlossen bestellte er, ohne große Vorbereitungen weiter dafür zu treffen, die ganze abgebrannte Fläche mit Buchweizen und hatte eine Ernte, daß von allen Moorhöfen der Gegend die Leute kamen, um das Wunder anzustaunen. Im nächsten Sommer konnten seine Nachbarn kaum die Zeit abwarten, das Moor ein wenig abgetrocknet zu sehen, um nun ebenfalls das eine oder andere Stück ihrer Felder abzubrennen und so zu düngen . . .

So ist das Moorbrennen entstanden, und wenn die Leute im Moor heute diesen alten Brauch auch nicht mehr ausüben und bessere Wege wissen, ihre Böden fruchtbar zu machen, war das Moorbrennen doch der erste Schritt dazu.

Dem armen Teufel aber war nichts anderes übriggeblieben, als wieder dahin zu gehen, woher er gekommen war, und da er dort immer von neuem versicherte, genügend bestraft zu sein, und ewige Besserung versprach, nahm man ihn zuletzt, wenn auch immer noch widerwillig und knurrend, wieder auf. Des Teufels Großmutter freilich, unversöhnlicher als der Teufel selbst, bestand darauf, daß ihr der Sünder, solange es dazu reichen werde, zur weiteren Buße jede Nacht eine Kiepe Torf im Moore steche und in ihre Küche schaffe, wo auch die nassesten Torfbrocken in wenigen Minuten so pulvertrocken sind, wie man sie nur wünschen kann!

Das Moor aber heißt heute noch das Teufelsmoor. 58

 

Mittsommernacht im Teufelsmoor

Ein Abend kommt über die Wiesen, nur eben spürbar erst und noch blaß vom letzten Licht des sonnenheißen Tages. Aber nun im Osten eine Wolkenwand heraufsteigt, dunkel und lastend wie ein Alptraum, erscheint das Grün der Wiesen nur leuchtender, die Farben des Flusses und der Gräben nur kräftiger und die Dämmerung farbiger, als glühten die Dinge in dieser Stunde von innen auf und strömten alles Licht, das sie am Tage in sich sogen, in sanften Wellen wieder aus.

Im Fährhaus ist man beschäftigt wie in einem Bienenstock. Die Musikanten sind schon da, und leise wird die Pauke angeschlagen. Abendfreude und Erwartung erfüllen Haus und Garten. Unter den Bäumen hängen schon Papierlaternen, leuchtend bunt, wie übergroße Früchte. Leise schaukelnd bergen sie die Flammen ihrer dünnen Kerzen vor dem Abendwind.

Trumm, trumm – die Pauke wieder. Wie ein Pferd, das ungeduldig mit den Hufen klopft.

Am Schanktisch, den man im Garten aufgeschlagen hat, klirren Gläser, Teller, Krüge. Ein Junge aus dem Dorfe, den man in einen weißen Kittel steckte und zum Kellner machte, irrt kopflos wie ein gescheuchter Hahn von Tisch zu Tisch.

Nun meldet sich die Teufelsgeige auch, brummt drohend auf und ist so ungeduldig wie die Pauke.

Auf dem Flusse kommen die letzten Boote von der Stadt herauf, langsam, mit schon gerefften Segeln, große, träge Schwäne. Ein Motorboot drängt 59 hinter ihnen her und schiebt sich dann, als lohne es die Mühe nicht zu halten, wieder in die Wiesenstille.

Jetzt, in der neugeschenkten Ruhe, geht die Dämmerung wie eine Wunderblume auf und liegt in mildem Blau auf Fluß und Wiesen, indes die Lampions in märchenhaftem Schimmer gelb und rot erblühen. Leise schaukeln sie im Dämmerlicht der hohen Pappeln, die, schwer über Haus und Fluß geneigt, die vollen Sommerkronen in den Himmel türmen.

Noch immer will der Wind nicht ganz zur Ruhe gehen, und baumelnd schwanken die Papierlaternen, bis eine, allzu stark bewegt, in Flammen aufgeht, eine gelbe Fackel in der blauen Luft. Ein Mädchen kreischt an einem Tische auf, als ihr die Aschenfetzen auf das weiße Tanzkleid rieseln.

Im selben Augenblick setzt die Kapelle ein. Die ersten Paare treten an. Man tanzt auf einem Bretterboden, den man auf die Wiese beim Hause legte.

Wieder geht ein Lampion in Flammen auf, ein dritter folgt, und gleich darauf ein vierter . . . Aber dann vergißt der Wind sein Spiel und legt sich hinter der großen strohgedeckten Scheune schlafen.

Die Musik ist unermüdlich. Tanz folgt auf Tanz. Das Bandoneon quäkt, die Teufelsgeige brummt, das Schlagzeug mischt sich hell und herrisch ein.

Beim »treuen Husaren« singt alles mit. Aber er liebt sein Mädchen schon nicht mehr ein halbes Jahr. Ein Vierteljahr tut es auch. »Ein viertel Jahr und noch viel mehr –«

Heuduft weht von den Wiesen herüber, und groß und schweigend über kleinem Lärm steht nun die 60 Nacht, mondlichtdurchflossen, rührt nur zuweilen mit leiser Hand die Pappeln an.

Ein paar Segler benutzen die Stunde und nehmen abseits von den Tanzenden im Fluß ein Bad. Aus dunklem Wasser leuchten wohlig entspannte Glieder, und Mondlicht rieselt über nasse Schultern.

Leise klirren die Ketten der fremden Boote, indes ein paar Torfschiffe, schwarz geteert und wie gespenstisch große Urwelttiere, in dumpfem Schlaf am Ufer liegen.

Auf dem Bretterboden drüben ein neuer Tanz, das Schlagzeug jetzt in einem Tempo, das den Atem nimmt. »Die Liebe hat kein Ende mehr . . .«

Die Papierlaternen haben weniger Bestand. Noch immer flammt hin und wieder eine auf, weht flackernd in die Nacht hinaus, indes die anderen allmählich still in sich verlöschen. Keiner achtet noch darauf. Augen und Sinne haben anderes zu tun.

Entfernt von den Tanzenden sitzt ein Liebespaar im Dunkel. Knecht und Magd, die arbeitsmüden Hände schlaff im Schoß. Strohblond der Mädchenscheitel. In den Augen der beiden brennt ein zehrendes Verlangen . . . Aber sie sind im Arbeitszeug, beide, und von den Heuhaufen, die sie in ihre Torfboote luden, vorhin beim ersten Klange der Musik über die Wiesen gekommen. Nun trauen sie sich nicht näher hinzu und sitzen fremd und still von weitem.

Im Westen flossen Himmel, Fluß und Wiesen längst ineinander. Der letzte Schein des Abendrots verrann. Nur im Norden bleibt ein heller Streif am Himmel, ein letztes Leuchten des vergangenen Tages, zugleich ein Gruß dem neuen schon . . . Mittsommernacht! 61

 


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