George Sand
Lavinia – Pauline – Kora
George Sand

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5.

Die erste Person, welche der sinnlosen Liebe Pauline's inne wurde, war Madame S. ... Mit dem Instinkte des Mutterherzens hatte sie den Plan und die Taktik Montgenays' geahnt und errathen. Sie war nie von seiner erheuchelten Gleichgültigkeit getäuscht worden und stets ihm gegenüber auf der Hut geblieben, was Montgenays zu der Aeußerung veranlagte, Madame S ... sei, wie alle Mütter von Künstlerinnen, eine beschränkte, unliebenswürdige Frau, die sich über die geistige Entwicklung ihrer Tochter ärgere. Als er Pauline den Hof machte, befürchtete Madame S..., von ihrer Besorgniß fortgerissen, daß diese List Erfolg haben könnte und Laurentia sich gekränkt fühlen möchte, von einem Manne à la mode nicht bemerkt worden zu sein. Allerdings hätte sie Laurentia eines so kleinlichen Gefühls nicht für fähig halten sollen, aber Madame S... besaß trotz ihrer wahrhaft überlegenen Lebensklugheit doch all die kindische Furcht einer Mutter, die bei der geringsten Gefahr über die Maßen erschrickt. Sie fürchtete den Moment, in welchem Laurentia die von Montgenays eingefädelte Intrigue bemerken würde, und anstatt daher die Klugheit und Liebe ihrer Tochter bei Pauline zu Hilfe zu rufen, versuchte sie nur, Pauline über ihre Täuschung zu belehren und über ihre Unklugheit aufzuklären.

Aber trotz der warmen Zuneigung und des Zartsinns, womit sie Pauline zu enttäuschen suchte, wurde sie übel empfangen. Pauline war wonnetrunken: man hätte ihr eher das Leben als den Dünkel, angebetet zu werden, nehmen können. Die etwas schroffe Art und Weise, in welcher sie die Warnungen der Madame S... zurückwies, erbitterte diese ein wenig. Es fielen Worte, aus denen einerseits das Bewußtsein der Inferiorität Pauline's, andererseits der Stolz des über Laurentia errungenen Triumphes hervorleuchtete. Erschrocken über das, was sie gesagt hatte, vertraute Pauline es Montgenays an, der sich voller Freude einbildete, Madame S... sei in diesem Falle nur die Vertraute und das Echo des Verdrusses Laurentia's gewesen. Er glaubte seinem Ziele nahe zu sein, und wie ein Spieler, der seinen Einsatz verdoppelt, verdoppelte er seine Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit gegen Pauline. Schon hatte er gewagt, ihr das erbärmliche Blendwerk einer Liebe vorzuspiegeln, die er nicht empfand. Sie hatte sich gestellt, als glaube sie nicht daran. Aber sie glaubte nur zu sehr daran, die Unglückliche! Obgleich sie sich wacker vertheidigt hatte, war Montgenays doch sicher, ihr ganzes inneres Wesen bis in die tiefsten Tiefen erschüttert zu haben. Den Rest seines Sieges verschmähte er und wartete, um ihn vollständig an sich zu reißen oder ihn aufzugeben, ob Laurentia sich dafür oder dagegen aussprechen würde.

In ihre Studien vertieft und gezwungen, nahezu den ganzen Tag, morgens zu den Proben, abends zu den Vorstellungen, im Theater zuzubringen, konnte Laurentia die Fortschritte, die Montgenays in der Achtung Pauline's machte, nicht verfolgen. Sie wurde daher eines Abends von der Erregtheit befremdet, mit der das junge Mädchen Lavallée, dem alten Schauspieler zuhörte, einem Mann von Geist, der Laurentia zur Zeit ihres ersten Auftretens als Beschützer und gewissermaßen als Gewährsmann gedient hatte, als er den Charakter und den Geist Montgenays' einer strengen Kritik unterzog. Er erklärte ihn für gewöhnlich unter allen gewöhnlichen Menschen, und als Laurentia wenigstens die Eigenschaften seines Herzens in Schutz nahm, rief Lavallée aus:

»Ich weiß allerdings sehr gut, daß mir in diesem Punkte alle Welt widersprechen wird, denn alle Welt will ihm wohl. Aber wissen Sie, warum alle Welt ihn liebt? Weil er kein Bösewicht ist!«

»Das scheint mir doch etwas,« sagte Pauline mit Absicht, zudem sie dem alten Komödianten, der der beste Mensch von der Welt war und die Anspielung nicht auf sich bezog, einen scharfen Blick zuschleuderte.

»Es ist weniger als nichts,« entgegnete er. »Denn er ist nicht gut, und eben deshalb liebe ich ihn nicht, wenn Sie es wissen wollen. Man hat nichts zu hoffen und alles zu fürchten von einem Menschen, der weder gut noch böse ist.«

Mehrere Stimmen erhoben sich, um Montgenays zu vertheidigen, und darunter vor allen die Laurentia's. Sie konnte ihn jedoch nicht entschuldigen, als Lavallée mit Beweisen darthat, daß Montgenays keinen wirklichen Freund besitze, und man nie bei ihm jene Erregtheit sittlicher Entrüstung bemerkt habe, die ein edelsinniges, hochherziges Gemüth bekundet. Da konnte Pauline sich nicht länger beherrschen und sagte zu Laurentia, sie selbst verdiene mehr als Jemand den Vorwurf Lavallée's, da sie einen ihrer zuverlässigsten und ergebensten Freunde ohne Unwillen und Schmerz mit Beschuldigungen überhäufen lasse. Während dieses befremdenden Ausfalls bebte Pauline und zerbrach ihre Sticknadel. Ihre Aufregung war so auffallend, daß einen Augenblick lang Stillschweigen eintrat, und alle Augen sich mit Ueberraschung auf sie richteten. Jetzt sah sie ihre Uebereilung ein und versuchte, sie wieder gut zu machen, indem sie im Allgemeinen die Art und Weise der Gesellschaft bei solchen Angelegenheiten tadelte.

»Es ist eine betrübende Erscheinung hier,« sagte sie, »daß man mit der größten Gleichgiltigkeit Leute verlästern und schmähen hört, die einen Augenblick später zu empfangen und ihnen die Hand zu drücken man sich trotzdem nicht scheut. Ich, eine Kleinstädterin ohne Lebensart, besitze keine Bildung, aber ich kann mich nicht an diesen Gebrauch gewöhnen ... Jetzt müssen Sie mir Recht geben, Herr Lavallée, denn ich befinde mich gerade in dem Zustande sittlicher Entrüstung, dessen Mangel Sie Herrn Montgenays zum Vorwurf machen.«

Während sie diese Worte sprach, bemühte sich Pauline, ihrer Freundin zuzulächeln, um den Eindruck dessen, was sie gesagt hatte, zu mildern, und das gelang ihr in der That bei Jedermann, nur nicht bei Laurentia, deren besorgter, durchdringender Blick eine Thräne am Rande ihrer Wimpern entdeckte.

Lavallée gab Pauline Recht, und das bot ihm Gelegenheit, mit bemerkenswertem Talent eine Stelle aus dem »Misanthropen«Vgl. Molière, der Misanthrop, Univ.-Bibl. Nr. 394. D. Uebers. über den Freund des Menschengeschlechts vorzutragen. Er hatte die Manier Fleury's bei dieser Rolle, die er dergestalt liebte, daß er sich mit dem Charakter Alcest's mehr identificirte, als eigentlich in seiner Natur lag. Das geschieht den Künstlern oft: zur Hälfte führt der Instinkt sie zu einen: Typus, den sie mit Vorliebe darstellen, und der Erfolg, den sie gelegentlich dieser Schöpfung ernten, vollendet dann die andere Hälfte der Charakterausgleichung. Und so wird die Kunst, die der Abdruck des Lebens ist, oft das Leben selbst.

Als Laurentia am Abend mit der Freundin allein war, befragte sie dieselbe mit jener Offenheit, die mir wahre Zuneigung verleihen kann. Sie wurde überrascht von der Verschlossenheit und einer gewissen Scheu, die sich in den Antworten Pauline's zeigte, und beunruhigte sich am Ende darüber.

»Höre, theure Pauline,« sagte sie beim Weggehen, »all die Mühe, die du dir gibst, um mir zu beweisen, daß du ihn nicht liebst, läßt mich befürchten, daß du ihn wirklich liebst. Ich sage nicht, daß mich das betrübt, denn ich halte Montgenays deiner Achtung werth, aber ich weiß nicht, ob er dich liebt, und dessen möchte ich sicher sein. Wenn es der Fall wäre, hätte er es mir sagen müssen, scheint mir, ehe er sich mit dir darüber verständigte. Denn ich bin deine Mutter! Die Kenntniß, die ich vom Leben und seinen Abgründen habe, gibt mir das Recht und legt mir die Pflicht auf, dich zu leiten und nöthigenfalls zu belehren. Ich bitte dich daher, höre nicht auf die glatten Worte eines Mannes, ehe du mich nicht zu Rathe gezogen hast. Mir liegt es ob, zuerst in dem Herzen zu lesen, das sich dir darbietet, denn ich bin ruhig, und ich glaube nicht, daß man, wenn es sich um Pauline, um die Person handelt, die ich nach meiner Mutter und meinen Schwestern am meisten in der Welt liebe, daß man dann schlau genug sein kann, mich zu täuschen.«

Diese sanften Worte verwundeten Pauline in tiefster Seele. Es schien ihr, als wolle sich Laurentia über sie erheben, indem sie sich das Recht anmaßte, ihr Leben zu lenken. Pauline konnte jene Zeit nicht vergessen, wo Laurentia ihr verloren und erniedrigt erschienen war, und wo ihre hochmüthigen Gebete wie das des Pharisäers zu Gott emporstiegen und um ein wenig Erbarmen für die vor die Pforte des Tempels Verwiesene, für die Excommunicirte flehten. Ueberdies hatte Laurentia sie verwöhnt, wie man ein Kind verwöhnt: durch zu viel Zärtlichkeit und Liebe. Allzu oft hatte die Schauspielerin in ihren Briefen wiederholt, daß Pauline ihr vor Augen stehe, wie ein Engel des Lichts und der Reinheit, dessen himmlisches Bild sie vor jedem übeln Gedanken bewahre. In Folge dessen hatte sich Pauline gewöhnt, wie eine Madonna vor Laurentia zu stehen, und jetzt nun eine mütterliche Warnung von ihr zu erhalten, dünkte sie eine Schmach. Sie wurde dadurch so gedemüthigt und sogar erzürnt, daß sie nicht schlafen konnte. Am nächsten Morgen jedoch unterdrückte sie dies ungerechte Gefühl und dankte der Freundin herzlich für ihre zarte Besorgniß. Ihr aber ihre Empfindungen für Montgenays zu gestehen, dazu konnte sie sich nicht entschließen.

Doch einmal erweckt, schlief die Fürsorge Laurentia's nicht wieder ein. Sie hatte eine Unterredung mit ihrer Mutter, warf ihr vor, daß dieselbe sie nicht früher in Kenntniß gesetzt habe von dem, was sie errathen zu haben glaubte, und beobachtete, während sie Pauline's Mißtrauen, das sie für einen Ausfluß übermäßiger jungfräulicher Scheu hielt, schonte, alle Schritte Montgenays'. Es bedurfte nur weniger Tage, um sie zu überzeugen, daß Madame S ... richtig gesehen hatte: drei Tage nach dem ersten Auftauchen ihres Argwohns erlangte sie die Gewißheit, welche sie suchte. Sie überraschte Pauline und Montgenays bei einem sehr lebhaften Tête-a-Tête, stellte sich jedoch, als bemerke sie die Verwirrung Pauline's nicht und ließ noch am selben Abend Montgenays zu sich in ihr Arbeitszimmer kommen, wo sie ihn folgendermaßen anredete:

»Montgenays, ich hielt Sie für meinen Freund und habe Ihnen dennoch einen großen Mangel an Freundschaft vorzuwerfen. Sie lieben Pauline und haben mir ein Geheimniß daraus gemacht. Sie machen ihr den Hof und haben mich nicht gebeten, es Ihnen zu gestatten.«

Sie sprach diese Worte ein wenig bewegt, denn im Innern tadelte sie Montgenays sehr ernstlich, und der geheimnißvolle Weg, den er eingeschlagen hatte, ließ sie für Pauline fürchten. Montgenays wünschte diesen vorwurfsvollen Ton einer persönlichen Empfindlichkeit beimessen zu können. Er gab sich eine undurchdringliche Haltung und beschloß, sich in der Defensive zu halten, bis der Groll und Aerger den er bei Laurentia voraussetzte, zum Ausbruch käme. Er läugnete seine Liebe zu Pauline, aber mit berechneter Ungeschicklichkeit und in der Absicht, Laurentia mehr und mehr in Unruhe zu versetzen.

Dieser Mangel an Offenherzigkeit beunruhigte sie auch in der That, aber immer nur Pauline's wegen, und ohne daß sie nur ein einziges Mal auf den Gedanken gekommen wäre, ihre eigene Person mit dieser Intrigue in Verbindung zu bringen.

Montgenays, so sehr er auch Mann von Welt war, beging doch die Thorheit, sich in dieser Beziehung zu täuschen, und wagte in dem Momente, wo er endlich den Zorn und die Eifersucht Laurentia's erweckt zu haben glaubte, den Theatercoup, den er lange vorher ausgesonnen hatte: er gestand ihr, daß seine Neigung zu Pauline nur eine Finte, eine verzweifelte, vielleicht zwecklose Anstrengung wäre, um einen tiefen Kummer in seinem Innern zu betäuben, um sich von einer unglücklichen Leidenschaft zu heilen ... Ein niederschmetternder Blick Laurentia's gebot ihm in dem Augenblicke Halt, wo er sich verderben und Pauline retten wollte. Er glaubte, der Moment sei noch nicht gekommen, und sparte seinen Haupteffect für eine günstigere Gelegenheit auf. Von den eindringlichen Fragen Laurentia's in die Enge getrieben verschanzte er sich hinter tausend nichtssagende Redensarten und erfand mit Hilfe von abgebrochenen Sätzen und bedeutungsvollen Pausen einen Roman. Er stellte sich, als glaube er nicht an Pauline's Liebe zu ihm, und zog sich am Ende zurück, ohne seinerseits eine Versicherung seiner Liebe zu ihr oder seine Einwilligung, sie über das Gegentheil aufzuklären, gegeben und ohne Laurentia's Vertrauen wieder gekräftigt und befestigt zu haben; bei alledem aber hatte er ihr kein Recht und keinen Grund gegeben, ihn zu verdammen.

Wenn Montgenays ungeschickt genug war, um den Erfolg eines Unternehmens zweifelhaft zu machen, so war er andererseits doch wieder geschickt genug, ihm auch wieder aufzuhelfen. Er gehörte zu jenen ränkevollen, kindischen Köpfen, die von Combination zu Combination sich mit äußerster Mühe und Kunstfertigkeit ein jämmerliches Fiasco bereiten. Mehrere Wochen lang wußte er Laurentia in vollständiger Ungewißheit zu lassen. Sie hatte ihn nie für einen Laffen gehalten und glaubte nicht, daß er erbärmlich und niederträchtig sei. Sie sah die Liebe und den Schmerz Pauline's und wünschte so sehr, sie glücklich zu sehen, daß sie nicht wagte, sie durch Entfernung Montgenays' vor Gefahr zu schützen.

»Nein, er machte mir keine unverschämte Andeutung, als er sagte, seine Unschlüssigkeit sei die Folge einer unglücklichen Liebe,« sagte sie zu ihrer Mutter. »Ich glaubte selbst, er habe diesen Gedanken gehegt, aber das wäre zu abscheulich. Ich halte ihn für einen Mann von Ehre. Stets hat er mir nur eine ehrerbietige, zartsinnige Zuneigung gezeigt. Es kann ihm nicht plötzlich in den Kopf gekommen sein, gleichzeitig mit mir zu spielen und meine Freundin zu beleidigen. Er würde mich auch nicht für so einfältig halten, daß ich mich von ihm überlisten ließe.«

»Ich glaube, er ist zu allem fähig,« entgegnete Madame S... »Frag Lavallée, was er dazu meint, theile ihm mit, was geschieht – er ist ein sicherer, scharfsichtiger und ergebener Mann.«

»Das weiß ich wol,« erwiderte Laurentia, »aber ich kann nicht über ein Geheimniß verfügen, das Pauline mir nicht anvertrauen will; man ist nicht berechtigt, ein so zartes Geheimniß zu verrathen, wenn man es absichtlich erlauscht hat. Pauline würde bis auf den Tod darunter leiden und mir, stolz wie sie ist, ihr Lebelang nicht verzeihen. Zudem besitzt Lavallée eine übermäßige Voreingenommenheit: er verabscheut Montgenays und würde ihn nicht mit Unparteilichkeit beurtheilen. Bedenken Sie, wie weh wir Pauline thun würden, wenn wir uns täuschen! Liebt Montgenays sie wirklich – und warum sollte er nicht? Sie ist schön, klug, gebildet! – so vernichten wir ihre Zukunft, wenn wir einen Mann von ihr entfernen, der sie heirathen und ihr in der Gesellschaft eine Stellung geben kann, nach der sie sicherlich verlangt, denn es schmerzt sie, uns ihre Existenz zu schulden, wie Sie wol wissen. Ihre Stellung berührt sie schmerzlicher, als sie zugestehen mag: sie strebt nach Unabhängigkeit, und nur das Glück allein kann ihr dieselbe verschaffen.«

»Und wenn er sie nicht heirathet!« entgegnete Madame S... »Ich meinestheils glaube, daß er gar nicht daran denkt.«

»Und ich meinestheils kann nicht glauben, daß ein Mann wie er so niederträchtig und verrückt sei, um anzunehmen, er werde auf andere Weise in den Besitz Pauline's gelangen,« rief Laurentia.

»Nun, wenn du das glaubst,« erwiderte die Mutter, »so versuche sie zu trennen, verschließ ihm die Thür: das wird ihn zwingen, sich zu erklären. Sei versichert, daß er, wenn er sie liebt, alle Hindernisse zu beseitigen und seine Liebe durch ehrenhafte Anerbietungen zu beweisen wissen wird.«

»Aber er hat vielleicht die Wahrheit gesagt,« wandte Laurentia ein, »als er sich einer schlecht geheilten Leidenschaft beschuldigte, die ihn noch immer verhindert, sich auszusprechen. Erlebt man dergleichen nicht alle Tage? Jahrelang schwankt oft ein Mann zwischen zwei Frauen, deren eine ihn durch ihre Koketterie an sich fesselt, während die andere ihn durch ihre Milde und Güte anzieht, unentschlossen hin und her. Am Ende aber tritt doch der Moment ein, wo die schlechte Leidenschaft der guten weicht, wo dem Geiste die Mängel der undankbaren Geliebten und die Vorzüge der edelsinnigen Freundin klar werden. Wenn wir heute den armen Montgenays zur Entscheidung drängen, wenn wir ihm das Messer an die Kehle setzen und das Kaufgeld in die Hand drücken, wird er, und wäre es nur aus Aerger, auf Pauline verzichten, die vielleicht aus Kummer stirbt, und zu den Füßen einer Arglistigen zurückkehren, die sein Herz brechen oder abtödten wird, während er dagegen, wenn wir die Sache mit ein wenig Geduld und Delicatesse angreifen, indem er Pauline täglich sieht, täglich mit der andern Frau vergleicht, erkennen wird, daß sie allein seiner Liebe würdig ist; dann wird er sie auch in offener Weise bevorzugen. Was haben wir bei dieser Probe zu fürchten? Etwa, daß Pauline sich ernstlich in ihn verliebe? Das ist bereits geschehen. Daß sie sich von ihm auf Abwege führen lasse? Das ist unmöglich. Er ist nicht der Mann, um sie zu versuchen, und sie nicht die Frau, um sich von ihm verführen zu lassen.«

Diese Gründe erschütterten die Meinung der Madame S... ein wenig. Sie bewog nur ihre Tochter, die Tête-à-Têtes, welche ihr Ausgehen und ihre Beschäftigung zwischen Pauline und Montgenays zu sehr erleichterten und begünstigten, verhindern zu helfen. Man kam überein, daß Laurentia ihre Freundin öfter mit sich ins Theater führen sollte, denn man mußte natürlicherweise glauben, daß die Schwierigkeit, mit ihr zu reden, Montgenays Eifer verdoppeln würde, während die Freiheit, sie zu sehen, seine Bewunderung nähren mußte.

Es war jedoch eine äußerst schwierige Aufgabe, Pauline zum Ausgehen zu bewegen. Sie verschanzte sich hinter einer Schweigsamkeit, die Laurentia peinlich war, denn sie war nun gezwungen, mit ihr ein kindisches Spiel zu spielen, indem sie ihr Gründe vorführte, von denen sie selbst nicht glaubte, daß Pauline dadurch getäuscht werden könnte. Sie stellte ihr vor, daß ihre Gesundheit durch die beständigen Mühen der Führung des Haushalts erschüttert wäre, und daß sie der Bewegung, der Zerstreuung bedürfe. Man ließ ihr sogar durch einen Arzt eine weniger eingezogene Lebensweise anrathen. Aber alle Versuche scheiterten an dem passiven Widerstande, der die Kraft kalter Charaktere ausmacht. Endlich verfiel Laurentia darauf, von ihrer Freundin als einen Dienst zu fordern, daß sie ihr im Theater beim An- und Umkleiden behilflich sei. Die Kammerfrau wäre ungeschickt, sagte man, Madame S... leidend und von den Strapazen dieses bewegten Lebens zu sehr angegriffen; nur die zarte Sorgfalt einer Freundin könne die täglichen Anstrengungen, welche die Kunst erforderte, mildern. Pauline, in ihren letzten Verschanzungen angegriffen und überdies durch einen Rest von Freundschaft und Ergebenheit bewogen, gab nun endlich, aber mit geheimem Widerstreben nach. Täglich die Triumphe Laurentia's in der Nähe zu beobachten, war eine Pein, an die sie sich nicht hatte gewöhnen können, und jetzt wurde diese Pein noch brennender und heftiger. Seit Montgenays Hoffnung zu haben glaubte, bei der Schauspielerin zum Ziele zu gelangen, ließ er zuweilen wider seinen Willen seine Geringschätzung und Verachtung gegen die Kleinstädterin durchblicken. Pauline aber wollte nicht klar sehen, entsetzt verschloß sie die Augen vor der Wahrheit. Doch ohne daß sie davon wußte, waren Trübsinn und Eifersucht in ihre Seele eingezogen.


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