George Sand
Lavinia – Pauline – Kora
George Sand

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Lavinia

Eine alte Geschichte.

Brief.

»Dürfte es nicht angebracht sein, Lionel, da Sie sich verheirathen, uns gegenseitig unsere Briefe und Portraits zurückzugeben? Da der Zufall uns einander nahe bringt, und wir heute nach zehn Jahren himmelweiter Trennung nur wenige Meilen von einander entfernt sind, ist es leicht. Sie kommen zuweilen nach Saint-Sauveur, hat man mir erzählt – ich verweile wenigstens acht Tage dort und hoffe demnach, daß Sie sich im Laufe der nächsten Woche mit dem von mir zurückgeforderten Paquet hier einfinden werden. Ich wohne im Haus Estabanette am Fuße des Wasserfalls. Schicken Sie die mit der Botschaft beauftragte Person dorthin; sie wird Ihnen ein ähnliches Paquet zurückbringen, das ich für Sie zum Austausch bereit halte.«

Antwort.

»Madame!

»Das Paquet, welches ich Ihnen übersenden soll, liegt mit Ihrer Adresse versehen, hier versiegelt. Da ich sehe, daß Sie nicht bezweifelten, es würde an dem Tage und dem Orte, an dem die Rückforderung Ihnen beliebte, mir zu Händen sein, bin ich Ihnen sicherlich zu Dank verpflichtet.

»Aber muß ich es denn persönlich nach Saint-Sauveur bringen, Madame, um es dann den Händen eines Dritten anzuvertrauen, der es Ihnen zustellen soll? Wäre es nicht einfacher, mich nicht an Ihrem Wohnsitze der Aufregung, Ihnen so nahe zu sein, auszusetzen, da Sie mir das Glück einer Zusammenkunft bei dieser Gelegenheit nicht zu bewilligen gedenken? Wäre es nicht besser, das Paquet einem Boten anzuvertrauen, von dem ich sicher bin, daß er es nach Saint-Sauveur bringt? Ich erwarte daraufhin Ihre Befehle, Madame. Wie sie auch seien, ich werde mich ihnen blindlings unterwerfen.«

Brief.

»Daß meine Briefe zufällig in diesem Augenblick Ihnen zu Händen wären, Lionel, wußte ich, da mein Cousin Henry mir sagte, er habe Sie in Bagnères gesehen und diesen Umstand von Ihnen erfahren. Es freut mich sehr, daß Henry, der, wie alle Schwätzer, ein wenig lügt, mich nicht getäuscht hat. Das Paquet selbst nach Saint-Sauveur zu bringen, bat ich Sie, weil dergleichen Botschaften in von Schleichhändlern unsicher gemachten Gebirgen nicht leichtsinnig einer Gefahr ausgesetzt werden dürfen; denn diese Schmuggler nehmen alles, was ihnen unter die Hände kommt. Da ich Sie kenne als einen Mann, der anvertrautes Gut wacker zu vertheidigen weiß, kann ich nichts Besseres zu meiner Beruhigung thun, als Sie selbst zum Bürgen für das machen, was mich interessirt. Eine Zusammenkunft bot ich Ihnen nicht an, da ich Ihnen dadurch den schon an sich peinlichen Weg, den ich von Ihnen verlangte, noch unangenehmer zu machen fürchtete. Da Sie aber mit Leidwesen an diese Zusammenkunft zu denken scheinen, bin ich es Ihnen schuldig und bewillige Ihnen diese schwache Entschädigung. Und da ich nicht wünsche, daß Sie dem Warten kostbare Zeit opfern, will ich Ihnen für diesen Fall den Tag bestimmen, damit Sie mich nicht abwesend finden. Seien Sie also am 15. Abends 9 Uhr in Saint-Sauveur. Warten Sie bei mir zu Hause auf mich und lassen Sie mich durch meine Negerin benachrichtigen. Ich werde sofort erscheinen. Das Paquet wird bereit liegen. – Adieu.«

Sir Lionel wurde von der Ankunft dieses zweiten Billets unangenehm berührt. Es überrumpelte ihn gerade bei dem Project zu einer Reise nach Luchon, wobei die schöne Miß Ellis, seine Verlobte, sehr auf seine Begleitung rechnete. Der Ausflug mußte entzückend werden. In den Bädern gelingen die Lustfahrten beinahe stets, weil sie so rasch einander folgen, daß man nicht Zeit hat, sie vorzubereiten, weil das Leben hastig, lebhaft, unvorhergesehen vorüberbraust, und weil das beständige Hinzukommen neuer Gefährten den geringsten Kleinigkeiten einer Festlichkeit den Charakter des Unvorhergesehenen verleiht.

Sir Lionel amüsirte sich also in den Bädern der Pyrenäen, so weit es für einen guten Engländer schicklich ist, sich überhaupt zu amüsiren. Zudem war er ganz leidlich in den üppigen Wuchs und die erquickliche Mitgift der Miß Ellis verliebt, und seine Fahnenflucht angesichts eines Schauritts von so außerordentlicher Bedeutung (Fräulein Ellis hatte einen sehr schönen Navarreser Apfelschimmel aus Tarbes kommen lassen, den sie an der Spitze der Caravane glänzen lassen wollte) konnte seinen Heirathsprojecten verderblich werden. Sir Lionels Lage war gleichwol eine schwierige, denn er war ein Mann von feinstem Ehrgefühl. Daher suchte er seinen Freund Sir Henry auf, um ihn von dem Gewissensfall in Kenntniß zu setzen.

Um aber den jovialen Henry zu ernster Aufmerksamkeit zu zwingen, begann er, mit ihm zu zanken.

»Sie leichtsinniger Schwätzer!« schrie er ihn gleich beim Eintreten an. »Es verlohnte sich wol der Mühe, Ihrer Cousine mitzutheilen, daß ihre Briefe in meinen Händen wären! Nie haben Sie ein verfängliches Wort auf der Zunge behalten können! Sie sind gerade wie ein Gießbach, der eben soviel ausströmt, als er einnimmt, wie einer jener unverschloßnen Vasen, die die Statuen der Flußgötter und Najaden schmücken: der Guß, der sie durchströmt, nimmt sich nicht zum Ruhen Zeit« – – –

»Sehr gut, Lionel!« rief der junge Mann. »Ich sehe Sie gern in einem Anfall von Wuth: das macht Sie poetisch. In diesem Augenblick sind Sie selbst ein Gießbach, ein Fluß von Metaphern, ein Strom der Beredsamkeit, ein Meer von Allegorien« – –

»Ha! es handelt sich jetzt wol um einen Scherz!« schrie Lionel wüthend. »Wir reiten nicht nach Luchon!«

»›Wir reiten nicht nach Luchon – wer hat das gesagt?‹«

»Wir reiten nicht dorthin, Sie und ich! Das sage ich Ihnen!«

»›Sprechen Sie Ihrerseits soviel Sie wollen, ich für mein Theil bin Ihr sehr ergebener Diener.‹«

»Ich gehe nicht dorthin und folglich auch Sie nicht. Sie haben einen Fehler begangen, Henry, den müssen Sie wieder gut machen. Sie haben mir eine abscheuliche Unannehmlichkeit auf den Hals geladen – nun fordert Ihr Gewissen, daß Sie mir sie tragen helfen. Sie diniren mit mir in Saint-Sauveur.«

»›Der Teufel hole mich, wenn ich's thue!‹« rief Henry. »›Seit gestern Abend bin ich närrisch in die kleine Bordeauxerin verliebt, über die ich mich noch gestern Morgen lustig machte. Ich reite nach Luchon, da sie dahin reitet. Sie wird meinen Yorkshire besteigen, und Ihr großes Habichtsgesicht, Miß Margaret Ellis, wird vor Eifersucht bersten.‹«

»Hören Sie, Henry,« sagte Lionel mit ernster Miene. »Sie sind mein Freund?«

»›Ohne Frage! Das ist bekannt. Es ist unnütz, in diesem Augenblick der Freundschaft wegen in Rührung zu zerfließen. Mir ahnt, daß dieser feierliche Eingang mich veranlassen soll‹« – –

»Hören Sie mich an, sage ich Ihnen, Henry. Sie sind mein Freund, Sie freuen sich über die glücklichen Ereignisse meines Lebens, und ich denke, Sie würden es sich nicht leichthin verzeihen, wenn Sie mir einen Nachtheil, ein wirkliches Unheil zugefügt hätten?«

»›Nein, auf Ehre nicht! Aber warum handelt es sich denn?‹«

»Nun, Sie machen möglichen Falls meine Heirath zu Wasser, Henry.«

»›Gehen Sie doch! Nur weil ich meiner Cousine sagte, Sie wären im Besitz ihrer Briefe, und weil dieselbe sie von Ihnen zurückverlangt? Welchen Einfluß kann Lady Lavinia nach zehnjährigem, gegenseitigen Vergessen auf Ihr Leben ausüben? Sind Sie so dünkelhaft, daß Sie meinen, sie habe sich über Ihre Untreue nicht getröstet? Zum Teufel, Lionel, das ist zu gewissenhaft! Das Uebel ist nicht so groß! Glauben Sie nur, es ist nicht ohne Heilmittel gewesen‹« – –

Henry zupfte bei diesen Worten nachlässig an seiner Cravatte und warf einen Blick in den Spiegel, zwei Bewegungen, die in der heiligen Sprache der Pantomime leicht zu deuten sind.

Diese Lection über Bescheidenheit aus dem Munde eines Menschen, der noch eitler war, als er, erzürnte Sir Lionel.

»Ich werde mir nie eine Bemerkung über Lady Lavinia erlauben,« sagte er, indem er seinen Unmuth zu unterdrücken strebte. »Das Gefühl verletzter Eitelkeit wird mich nie bewegen, den Ruf einer Frau zu beflecken, selbst wenn ich nie Liebe zu dieser Frau empfunden hätte.«

»›Das ist durchaus bei mir der Fall,‹« entgegnete Sir Henry leichtsinnig. »›Ich habe sie nie geliebt und bin nie auf die eifersüchtig gewesen, welche sie besser zu behandeln wußte als mich. Ueberdies habe ich gegen die Tugend meiner glorreichen Cousine nichts einzuwenden – nie habe ich sie ernstlich zu erschüttern versucht‹« – –

»Henry, Sie haben ihr diese Gnade widerfahren lassen? Da muß sie Ihnen wirklich dankbar sein!«

»›Nun genug, Lionel! Wovon reden wir, was wollten Sie mir sagen? Gestern schienen Sie gegen die Erinnerung an Ihre erste Liebe sehr wenig pietätvoll zu sein: rückhaltslos lagen Sie vor der strahlenden Miß Ellis anbetend auf den Knieen. Wenn's beliebt – wo bleiben Sie heute damit? Betreffs der Vergangenheit scheinen Sie keine Vernunft anzunehmen und reden da von einem Ritt nach Saint-Sauveur, anstatt nach Luchon! Laßt sehen, wen lieben Sie jetzt? Wen wollen Sie heirathen?‹«

»Ich heirathe Miß Margaret, wenn's Gott und Ihnen gefällt.«

»›Mir?‹«

»Ja, Sie können mich retten. Da, lesen Sie das neue Billet, das mir Ihre Cousine schreibt. – Haben Sie? – Sehr gut! Sie sehen, ich muß mich jetzt zwischen Luchon und Saint-Sauveur, zwischen einer zu erobernden und einer zu tröstenden Frau entscheiden.«

»›Holla, Sie Narr!‹« rief Henry. »›Hundert Mal habe ich Ihnen erzählt, meine Cousine sei frisch wie eine Blume, schön wie ein Engel, munter wie ein Vogel, lustig, heiter und gesund, elegant, coquet – wenn diese Dame trostlos ist, will ich mein ganzes Leben unter der Last eines gleichen Schmerzes verseufzen.‹«

»Machen Sie sich keine Hoffnung, Henry, mich zu ärgern, Ihre Mittheilung macht mich vielmehr glücklich. Aber können Sie mir diesenfalls die sonderbare Laune deuten, die Lady Lavinia veranlaßt, mir ein Rendezvous zu geben?«

»›O Sie Erznarr!‹« rief Henry. »›Sehen Sie denn nicht, daß das Ihre Schuld ist? Lavinia, wünschte diese Zusammenkunft nicht im mindesten – dessen bin ich sicher. Denn als ich mit ihr von Ihnen sprach, als ich sie fragte, ob nicht auf dem Wege von Saint-Sauveur nach Bagnères beim Nahen einer Gruppe von Cavalieren, unter denen auch Sie sich befinden könnten, ihr Herz zuweilen schneller schlüge, antwortete sie mir mit schläfriger Miene: »Wahrhaftig! mein Herz pochte vielleicht, begegnete ich ihm« – – und ein reizendes Gähnen modulirte das letzte Wort ihrer Phrase. Beißen Sie sich nicht auf die Lippen, Lionel, es war ein so zartes, so frisches Gähnen aus schönem Frauenmund, so harmonisch, daß es artig und schmeichelhaft schien, so lang gezogen, daß es die tiefste Apathie, die herzlichste Gleichgültigkeit ausdrückte. – Sie aber, anstatt aus dieser guten Stimmung Nutzen zu ziehen, Sie können der Neigung zum Phrasenmachen nicht widerstehen. Treu dem ewigen Pathos der in Ungnade gefallenen Liebhaber, affectiren Sie, obgleich über diese Ungnade entzückt, den elegischen Ton, das tragische Genre; Sie scheinen die Unmöglichkeit, sie wiederzusehen, zu beklagen, anstatt ihr offen und ehrlich zu sagen, daß Sie ihr eben deshalb außerordentlich dankbar seien.'«

»Dergleichen Ungezogenheiten kann man sich nicht zu Schulden kommen lassen. Wie konnte ich ahnen, daß sie einige müßige Worte, die in diesem Falle die Schicklichkeit mir abnöthigte, im Ernst nehmen würde?«

»,O, ich kenne Lavinia. Das ist eine Bosheit in ihrer Manier.'«

»Unsterbliche Frauenbosheit! Doch nein! Lavinia war die sanfteste und am wenigsten spottsüchtige von allen. Ich weiß, sie hat nicht mehr Lust zu dieser Zusammenkunft als ich. Halt, lieber Henry, retten Sie uns beide vor dieser Strafe: nehmen Sie das Paquet, eilen Sie nach Saint-Sauveur, bemühen Sie sich, alles zu ordnen, geben Sie ihr zu verstehen, daß ich unmöglich« – –

»Miß Ellis am Vorabende Ihrer Hochzeit verlassen darf, nicht wahr? – Ein netter Grund, den man einer Nebenbuhlerin angeben könnte! Unmöglich, mein Lieber! Sie haben die Suppe eingebrockt, nun müssen Sie sie auslöffeln. Wenn man die Dummheit begeht, zehn Jahre lang die Briefe und das Portrait einer Frau aufzubewahren, wenn man unbesonnen genug ist, sich gegen einen Schwätzer wie mich damit zu rühmen, wenn man die Tollheit besitzt, mit kaltem Blute einem Scheidebrief Geist und Empfindung einzuhauchen, so muß man auch die Folgen über sich ergehen lassen. So lange die Briefe in Ihren Händen sind, können Sie Lady Lavinia nichts verweigern, und welche Art des Verkehrs Sie Ihnen auch vorschreibt, Sie sind ihr unterworfen, bis der feierliche Schritt gethan ist. Auf, Lionel, lassen Sie Ihren Pony satteln und gehen wir! Denn ich begleite Sie. Ich bin ein wenig schuld an alle dem, Sie sehen, daß ich nicht lache, nun es sich um's Wiedergutmachen handelt. Vorwärts!«'

Lionel hatte gehofft, Henry würde ein anderes Mittel finden, um ihn aus der Verlegenheit zu ziehen. Mit der geheimen Empfindung unwillkürlichen Widerstandes gegen den Rathschluß der Notwendigkeit blieb er bestürzt, unbeweglich an seinem Platze. Am Ende jedoch erhob er sich mit über der Brust gekreuzten Armen, traurig und in sein Schicksal ergeben. Im Punkte der Liebe war Sir Lionel ein vollkommener Held. War auch sein Herz in mehr als einem Falle eidvergessen gewesen, nie war sein äußeres Benehmen vom Codex der seinen Lebensart abgewichen, nie hatte ihm eine Frau ein Abirren von jener zartsinnigen, großherzigen Willfährigkeit, dem besten Zeichen, das ein wohl erzogener Mann einer zürnenden Frau für das Erblassen seiner Leidenschaft geben kann, zum Vorwurf machen können. Mit dem Bewußtsein einer peinlichen Treue gegen diese Regeln beruhigte der schöne Sir Lionel sein Gewissen über die Leiden, die für andere mit seinen Triumphen verbunden waren.

»›Halt! ein Mittel!‹« rief endlich Henry und sprang ebenfalls auf. »›Die Klatschgesellschaft unserer schönen Landsmänninnen ist hier maßgebend. Miß Ellis und ihre Schwester Anna sind die bedeutendsten Mächte im Rathe der Amazonen. Man muß es von Margaret erlangen, daß der auf morgen festgesetzte Ausflug um einen Tag verschoben wird. Ein Tag hier zu Lande, das ist viel, ich weiß es, aber man muß es durchsetzen, ein ernstes Hinderniß zum Vorwand nehmen und noch in dieser Nacht nach Saint-Sauveur aufbrechen. Wir kommen dort am Nachmittag an, ruhen uns bis zum Abend aus, um 9 Uhr, während des Rendezvous, lasse ich die Pferde satteln, und um 10 Uhr (ich glaube, daß zum Austausch zweier Briefpackete nicht mehr als eine Stunde nöthig) sitzen wir wieder auf; wir reiten die ganze Nacht durch, kommen mit Sonnenaufgang hier an, treffen die schöne Margaret auf ihrem edeln Rosse paradirend, meine hübsche, kleine Madame Bernos meinen Yorkshire tummelnd, wechseln die Stiefeln und die Pferde, und staubbedeckt, marschermüdet, liebeskrank, bleich und interessant folgen wir unfern Dulcineen durch Berg und Thal. Wenn solcher Eifer nicht belohnt wird, verdienen alle Frauen zum warnenden Exempel gehangen zu werden. Vorwärts, bist du fertig?‹«

Dankdurchdrungen warf sich Lionel in Henry's Arme. – Nach einer Viertelstunde kehrte dieser zurück. »›Laß uns aufbrechen,‹« sagte er, »›es ist alles abgemacht, die Fahrt nach Luchon wird bis zum 16. verschoben. Aber es hat Mühe gekostet. Miß Ellis war argwöhnisch. Sie weiß, daß meine Cousine in Saint-Sauveur ist und hegt eine schreckliche Abneigung gegen sie, weil sie die Tollheiten kennt, die du früher Lavinia's wegen angestellt hast. Doch ich habe geschickt den Argwohn abgelenkt. Ich sagte, du wärest entsetzlich krank, und ich hätte dich soeben gezwungen, dich zu Bett zu legen‹« – –

»Gerechter Gott! eine neue Thorheit, um mich in's Unglück zu stürzen!«

»›Nein, nein, keineswegs! Dick wird deinem Kopfkissen eine Nachtmütze aufstülpen, es der Länge lang in dein Bett legen und beim Hausmädchen drei Terrinen Krankensuppe bestellen. Vor allen Dingen aber wird er den Zimmerschlüssel in die Tasche stecken und sich mit verdrießlichem Gesicht und wildem Blick an die Thür postiren. Und dann hab' ich ihm auf die Seele gebunden, niemand eintreten zu lassen und jeden durchzuprügeln, der es versuchen sollte, mit Gewalt den Eintritt zu erzwingen – und wäre es Miß Margaret selbst. Ah sieh, da ist er ja und wärmt dein Bett mit der Wärmflasche. Famos! er hat ein ausgezeichnetes Gesicht – traurig will er aussehen und sieht dumm aus. Laß uns durch die Thür hinausschlüpfen, die zur Schlucht führt. Jack wird unsere Pferde an den Ausgang des Thales führen, als ob er sie ausritte; an der Lonniobrücke treffen wir mit ihm zusammen. Marsch, auf den Weg! und der Gott der Liebe mag uns schützen!« –

Eilig durchsprengten sie den Raum, der die beiden Bergketten trennt, und mäßigten die Gangart erst in dem engen, dunkeln Hohlweg, der sich zwischen Pierrefitte und Luz hinzieht. Unstreitig ist dies eine der wild-romantischsten, charakteristischsten Partien in den Pyrenäen. Alles nimmt dort ein düsteres Aussehen an. Die Berge drängen sich eng aneinander, dazwischen zwängt sich der Gave hindurch und grollt dumpf unter den von wildem Wein und Felsklippen gebildeten Bogengängen dahin. Die schwarzen Felshänge sind mit Schlingpflanzen bedeckt, deren kräftiges Grün auf den entferntern Flächen in bläuliche Tinten und gegen die Gipfel zu in einen grauweißen Ton übergeht. Das Wasser des Bergstroms erhält dadurch einen bald hellgrünen, bald mattblauen, schieferfarbenen Glanz, wie man ihn am Meerwasser bemerkt.

Große Marmorbrücken wölben sich in einem einzigen Bogen über Abstürze hinweg von einer Seite der Bergkette zur andern. Nichts ist imposanter, als die Bauart und die Lage dieser Brücken, die in der Luft schweben und sich in der klaren, feuchten Atmosphäre baden, welche nur widerwillig in's Thal zu sinken scheint. Auf einen Raum von vier MeilenEs ist hier stets von französischen Meilen (1 = 4,6 Kilometer) die Rede. Der Uebers läuft die Straße sieben Mal von einer Seite der Schlucht zur andern. Als unsere beiden Reisenden die siebente Brücke passirten, erblickten sie im Grunde des Schlundes, der sich allmählich vor ihnen erweiterte, das entzückende Luzer Thal, das die Glutpfeile der aufgehenden Sonne überfluteten. Die Höhe der Berge gestattete den Strahlen der Morgensonne nicht, bis zu ihnen zu dringen. In den Stauden am Bache ließ die Wasseramsel ihren leisen Klageruf ertönen. Das schäumende, kalte Wasser zerriß mühsam den Nebelschleier, der auf ihm lagerte. An den Gipfeln blitzten nur spärlich einige Lichtstrahlen über die Zacken der Felsen und das hangende Astwerk der Waldreben hin. Aber mitten in dieser wild-düstern Umgebung, hinter den gewaltigen Felsmassen, die, hart und starr, den beliebten Gemälden Salvators glichen, schwamm das schöne Thal, vom strahlenden Morgenroth übergossen, in einem Meer von Licht und glich einer goldenen Platte in einem Rahmen aus schwarzem Marmor.

»Wie schön ist das!« rief Henry, »und wie bedaure ich Sie, Lionel, daß Sie verliebt sind. Sie sind unempfindlich gegen all diese Schönheit und meinen, der herrlichste Sonnenstrahl wiege ein Lächeln Miß Margaret Ellis nicht auf.«

»Gestehen Sie, Henry, daß Miß Margaret die schönste Person der drei Königreiche ist.«

»Gewiß, theoretisch betrachtet, ist sie eine Schönheit sonder Tadel. Aber gerade das mache ich ihr zum Vorwurf: ich wollte, sie wäre weniger vollkommen, weniger majestätisch, weniger klassisch. Hundert Mal lieber nähme ich meine Cousine, ließe mir Gott zwischen beiden die Wahl!«

»Gehen Sie doch, Henry, Sie denken nicht daran,« sagte Lionel lächelnd. »Der Familienstolz macht Sie blind. Nach dem Urtheil aller, die Augen im Kopfe haben, ist Lady Lavinia von mehr als problematischer Schönheit. Und ich, der ich sie in der ganzen Frische der Jugend gekannt habe, ich kann Sie versichern, daß zwischen beiden ein Vergleich nie thunlich« – –

»Schon gut! Aber wieviel Anmuth und Lieblichkeit bei Lavinia! Diese feurigen Augen, dies schöne Haar, diese kleinen Füße!«

Lionel unterhielt sich ewige Zeit damit, die Bewunderung Henry's für seine Cousine zu bekämpfen. Aber während er sich ein Vergnügen daraus machte, die Schönheit zu rühmen, die er liebte, schmeichelte es einer versteckten Empfindung seiner Eitelkeit, auch jene wieder zu Ehren bringen zu hören, die er geliebt hatte. Es war das freilich nur eine Anwandlung der Selbstgefälligkeit, denn in Wirklichkeit hatte die arme Lavinia dies Herz, das die Erfolge frühzeitig verdorben hatten, nie besessen. Es ist vielleicht ein großes Unglück für einen Mann, sich zu früh zu einer glänzenden Stellung berufen zu finden. Die blinde Vorliebe der Frauen, die blöde Eifersucht gewöhnlicher Rivalen genügt, um dem Urtheil eines Neulings eine falsche Richtung zu geben und einen ungeübten Geist zu verderben.

Weil Lionel das Glück des Geliebtwerdens zu wohl kennen gelernt, hatte er die Kraft seines Gemüths durch Zersplitterung erschöpft; weil er die Leidenschaften zu früh genossen, hatte er sich zu einer innigen Neigung unfähig gemacht. Unter schönen, männlichen Zügen, unter dem Ausdruck einer jugendlich kräftigen Gesichtsbildung verbarg er das kalte, verbrauchte Herz eines Greises.

»Nun, Lionel, sagen Sie mir, warum haben Sie Lavinia Buenafè, durch Ihr Verschulden jetzt Lady Blake, nicht geheirathet? Denn obgleich ich kein Tugendheld und durchaus aufgelegt bin, unter den Privilegien unseres Geschlechts vor allem das göttliche Recht des freien Beliebens zu respectiren, so kann ich doch, wenn ich es überlege, Ihr Benehmen nicht recht billigen. Nachdem Sie ihr zwei Jahre den Hof gemacht, nachdem Sie sie compromittirt haben, soweit eine junge Dame zu compromittiren ist (was im glücklichen Albion keine durchaus leichte Sache ist), nachdem sie Ihretwegen die besten Partien ausgeschlagen hat, verlassen Sie sie, um hinter einer italienischen Sängerin herzulaufen, die wahrlich einer solchen Missethat nicht werth war. Laßt sehen, war Lavinia nicht geistreich und hübsch? war sie nicht die Tochter eines portugiesischen Banquiers, der freilich Jude, aber auch reich war? wurden Sie von ihr nicht bis zum Wahnsinn geliebt?«

»He, Freund, eben darüber beklage ich mich: sie liebte mich viel zu sehr, als daß ich sie hätte zur Frau nehmen können. Nach der Meinung jedes verständigen Mannes muß eine Gattin eine sanfte, friedliche Gefährtin, Engländerin bis auf den Grund der Seele sein; wenig empfänglich für die Liebe und unfähig zur Eifersucht, muß sie den Schlummer lieben und einen ziemlich starken Mißbrauch mit dem schwarzen Thee treiben, um ihre Eigenschaften in einem der Ehe angemessenen Gleichgewicht zu erhalten. Mit dieser Portugiesin mit dem Feuerherzen, dem lebhaften Temperament, der frühzeitigen Gewohnheit des Reifens, den ungezwungenen Manieren, den freien Ideen, mit all den gefährlichen Gedanken, die eine Frau, welche die Welt durchstreift, in sich aufnimmt, wäre ich der unglücklichste, wenn nicht lächerlichste Ehemann geworden. Fünfzehn Monate lang täuschte ich mich über das unvermeidliche Unglück, das diese Liebe mir bereiten mußte. Ich war damals so jung, zweiundzwanzig Jahre! – erinnern Sie sich dessen, Henry, und verdammen Sie mich nicht. Endlich öffnete ich die Augen gerade in dem Augenblick, als ich die großartige Dummheit begehen wollte, eine Frau zu heirathen, die mich wahnsinnig liebte – – ich hielt am Rand des Abgrundes inne und ergriff die Flucht, um nicht meiner Schwäche zu unterliegen.«

»Heuchler!« sagte Henry. »Lavinia hat mir die Geschichte ganz anders erzählt. Es scheint, Sie waren schon lange vor jenem fühllosen Entschluß, der Sie nach Italien führte, der armen Jüdin überdrüssig und ließen sie grausamer Weise fühlen, daß Sie sich bei ihr langweilten. O, wenn Lavinia das erzählt, macht sie keine Phrasen, das versichere ich Sie. Sie gesteht das eigene Unglück und Ihre Herzlosigkeit mit einer Treuherzigkeit und Einfachheit, Wie ich sie niemals bei einer andern Frau gefunden habe. Sie hat so eine eigene Manier »am Ende langweilte ich ihn« zu sagen – wahrhaftig, Lionel, hätten Sie diese Worte von ihr gehört, mit dem Ausdruck offenherziger Trauer, den sie hineinzulegen versteht, ich wette, Sie würden Gewissensbisse empfinden.«

»Habe ich deren etwa nicht gehabt?« rief Lionel. »Das eben ist's, was uns eine Frau noch ferner verleidet: alles was wir nach unsern Rücktritt ihretwegen erdulden. Da sind die tausend kleinen Plagen, mit denen die Erinnerung uns verfolgt, die Stimme der Gesellschaft, die Rache und Anathema schreit, das Gewissen, das uns schreckt und quält, die leichten, sanften, und doch so grausamen Vorwürfe, die die arme Verlassene durch das hundertzüngige Gerücht uns zusendet. Sehen Sie, Henry, ich kenne nichts Langweiligeres und Traurigeres als das Gewerbe eines Don Juan.«

»Wem wollen Sie das einreden!« entgegnete Henry in neckendem Tone und machte dabei jene Geste ironischer Prahlerei, die ihm so gut stand. Doch sein Gefährte geruhte nicht, zu lächeln, und ritt langsam weiter, indem er dem Pferd den Zügel und seinen müden Blick auf dem entzückenden Gemälde umherschweifen ließ, welches das Thal zu ihren Füßen entrollte.

Luz ist eine kleine Stadt, die ungefähr eine Meile von Saint-Sauveur entfernt liegt. Unsere Stutzer machten dort Halt. Nichts konnte Lionel bewegen, bis zu Lady Lavinias Wohnort zu reiten. Er setzte sich in einem Gasthause fest und warf sich in Erwartung der für das Stelldichein bestimmten Stunde aufs Bett.

Obgleich das Klima hier weit weniger warm ist, als im Bigorrathale, war doch der Tag drückend heiß. Sir Lionel, auf dem schlechten Wirthshausbett hingestreckt, empfand etwas Fieber und schlief unter dem Summen der Insecten, die über seinem Kopfe in der glühenden Atmosphäre hin- und herschossen, nur mit Mühe ein. Sein lebhafterer und sorgloserer Gefährte durchschritt das Thal, besuchte die Nachbarschaft, überwachte den Durchzug der Cavalcaden auf der Straße nach Gavarni, grüßte die schönen Ladies, die er an den Fenstern oder auf den Wegen erblickte, warf den jungen Französinnen, für die er eine entschiedene Vorliebe besaß, feurige Blicke zu und kehrte endlich bei Einbruch der Nacht zu Lionel zurück.

»Heda! Aufgestanden!« rief er und fuhr dabei unter die wollenen Bettvorhänge, »die Stunde des Stelldicheins ist da!«

»Schon?« sagte Lionel, der Dank der Abendkühle friedlich zu schlummern begann, »was ist denn die Uhr, Henry?«

Henry erwiderte in pathetischem Tone:

»At the close of the day, when the hamlet is still,
And nought but the torrent is heard upon the hill« – –

Um Sonnenuntergang, wenn es im Dörfchen schweigt,
Und nur des Baches Rauschen auf zum Hügel steigt. Der Uebers.

»Um Himmels willen, verschonen Sie mich mit Ihren Citaten, Henry! Ich sehe wohl, daß die Nacht herabsinkt, daß die Stille zunimmt, daß das Murmeln des Baches klangvoller und reiner zu uns herübertönt – aber Lady Lavinia erwartet mich erst um 9 Uhr. Vielleicht kann ich noch ein wenig schlafen.«

»Nein, keine Minute mehr, Lionel! Wir müssen uns zu Fuß nach Saint-Sauveur begeben, denn ich habe schon heut' Morgen die Pferde dahin führen lassen; die armen Thiere sind ziemlich abgetrieben, und zudem bleibt ihnen noch ein gutes Stück zu thun. Vorwärts, kleiden Sie sich an! So ist's gut! Um 10 Uhr bin ich an Lady Lavinias Thür, führe Ihnen Ihren Renner vor und überreiche Ihnen die Zügel, gerade wie unser großer William an der Pforte des Theaters, als er zum Jockeydienst erniedrigt war, der große Mann. Vorwärts Lionel, hier Ihr Mantelsack, eine weiße Cravatte und Bartpomade. Ruhig doch! Gott, diese Nachlässigkeit! Diese Apathie! Woran denken Sie denn, Bester? Sich einer Frau, die man nicht mehr liebt, in schlechter Toilette zu präsentiren, ist ein ungeheurer Fehler. Bedenken Sie doch, daß man, um ihr die Größe des Verlustes fühlbar zu machen, gerade mit allen Vorzügen vor ihr erscheinen muß! – Schnell, schnell! Arrangiren Sie Ihre Haartour noch sorgsamer, als wenn es sich darum handelte, mit Miß Margaret den Ball zu eröffnen. – So! – Lassen Sie sich noch etwas abbürsten. – Wie! sollten Sie gar ein Flacon mit Hyazinthenessenz zum Parfümiren Ihres seidenen Taschentuches vergessen haben? Das wäre unverzeihlich! Gott sei Dank, hier ist's. Nun vorwärts, Lionel, Sie duften, Sie strahlen – gehen Sie. Bedenken Sie, daß es eine Ehrensache für Sie ist, Thränen zu entlocken, da Sie heute Abend zum letzten Mal in Lady Lavinia's Gesichtskreis erscheinen.«

Beim Gange durch das weitläufig gebaute Saint-Sauveur, das aus höchstens fünfzig Häusern besteht, waren sie erstaunt, weder auf der Straße noch an den Fenstern eine Person der feinern Welt zu bemerken. Doch diese Seltsamkeit fand ihre Erklärung, als sie an den Fenstern eines Erdgeschosses vorüberkamen, aus dem die mißtönenden Klänge einer Fiedel, eines Flageolets und eines Hackebretts, jenes Instrumentes, das zwischen dem französischen Tambourin und der spanischen Guitarre die Mitte hält, hervorschollen. Der Lärm und der Staub belehrten unsere Reisenden, daß der Ball begonnen habe, und daß die vorhandene elegante Welt der französischen, spanischen und englischen Aristokratie in einem einfachen Saale, dessen weiß getünchte Wände Buchsbaum- und Thymianguirlanden schmückten, versammelt war und sich nach dem Klange des abscheulichsten Charivaris, das je die Ohren zerriß und den Tact falsch markirte, im Tanze drehte.

Mehrere Gruppen von Badegästen, die eine weniger glänzende Stellung oder eine gründlicher ruinirte Gesundheit der activen Theilnahme an der Soirée beraubte, drängten sich an den Fenstern durcheinander, um über die Schultern der Vornstehenden einen neidisch oder ironisch neugierigen Blick in den Saal zu werfen und lobende oder tadelnde Bemerkungen auszutauschen, wobei sie auf den Schlag der Dorfuhr warteten, die jeden Kranken bei Strafe des Verlustes sämmtlicher wohlthätigen Folgen des Mineralwassers ins Bett treibt.

Gerade als unsere beiden Reisenden an dieser Gruppe vorübergingen, entstand unter dem Haufen ein Wogen gegen die Fensteröffnungen hin, und Henry, der sich unter die Neugierigen zu drängen suchte, hörte folgende Worte:

»Jetzt tritt die schöne Jüdin Lavinia Blake zum Tanze an. Man sagt, sie sei die beste Tänzerin in ganz Europa.«

»He, kommen Sie her, Lionel!« rief der junge Baronnet. »Schauen Sie, wie geschmackvoll gekleidet und wie reizend meine Cousine ist.«

Lionel aber zupfte ihn am Arme und zog ihn mißmuthig und ungeduldig vom Fenster fort, ohne auch nur einen Blick nach dieser Seite zu werfen.

»Weiter, weiter,« sagte er, »wir sind nicht hierher gekommen, um dem Tanze zuzusehen.«

Er konnte sich jedoch nicht so schnell entfernen, als daß nicht eine andere Bemerkung, die zufällig in seiner Nähe fiel, sein Ohr erreicht hätte.

»Ah!« sagte man, »der schöne Graf von Morangy tanzt mit ihr.«

»Thun Sie mir die Liebe und sagen Sie mir, wer anders sonst noch es sein könnte,« erwiederte eine zweite Stimme.

»Man sagt, er verliere darüber den Kopf,« fiel ein dritter ein. »Er hat ihretwegen schon drei Pferde und ich weiß nicht wieviel Jockeys zu Schanden gehetzt.«

Die Eigenliebe ist ein so seltsamer Berather, daß wir ihretwegen hundertmal des Tages in den schönsten Widerspruch mit uns selbst gerathen. Thatsächlich war Lionel entzückt, Lady Lavinia durch eine neue Neigung beschäftigt und in einem Verhältniß zu sehen, das ihre beiderseitige Unabhängigkeit sicherte. Und dennoch schienen ihm diese öffentlichen Triumphe, die der verlassenen Frau Vergessenheit des Vergangenen gewähren konnten, eine Art Beleidigung für ihn, die er nur mühsam verschluckte.

Henry, der die Oertlichkeit kannte, führte ihn an das Ende des Dorfes zu dem Hause, das seine Cousine bewohnte. Dort verließ er ihn.

Das Haus lag ein wenig von den andern entfernt. Auf der einen Seite lehnte es sich an den Fels, auf der andern beherrschte es die Schlucht. Nur drei Schritte davon stürzte der Bach mit donnerndem Getöse in die Felsrinne, so daß das Haus, das so zu sagen in dies erfrischende, wilde Geräusch eingehüllt war, vom Sturz des Wassers erschüttert und bereit schien, sich mit ihm in die Tiefe zu stürzen. Es war eine der pittoreskesten Lagen, die man wählen konnte, und Lionel erkannte an diesem Umstande den romantischen und etwas bizarren Geschmack der Lady Lavinia wieder.

Eine alte Negerin öffnete ihm die Thür eines kleinen Salons im Erdgeschoß. Kaum fiel der Lichtschein auf ihr glänzendes, schwieliges Gesicht, als Lionel ein Ausruf der Ueberraschung entschlüpfte. Es war Pepa, Lavinia's alte Amme, dieselbe, die Lionel zwei Jahre lang täglich bei seiner Vielgeliebten gesehen hatte. Da er auf eine Gemüthsbewegung nicht vorbereitet war, verwirrte der unerwartete Anblick der Alten, der ihm die Vergangenheit in's Gedächtniß zurückrief, auf kurze Zeit all seine Gedanken. Beinahe wäre er ihr um den Hals gefallen, hätte sie beinahe wie in den Tagen der feurigen Jugend Mutter genannt und sie wie eine würdige Dienerin, eine alte Freundin umarmt, doch Pepa wich drei Schritte zurück und betrachtete Lionels erregtes Wesen mit verdutzter Miene. Sie erkannte ihn nicht wieder.

– Ich habe mich also sehr verändert? – dachte er.

»Ich bin die Person, die Lady Lavinia zu sich befohlen hat,« sagte er dann verwirrt. »Hat sie es Ihnen nicht gesagt?«

»O doch, Mylord« entgegnete die Negerin. »Mylady ist auf dem Ball; sie befahl mir, ihr ihren Fächer zu bringen, sobald ein Herr Einlaß begehre. Bleiben Sie hier, ich eile, sie zu benachrichtigen« – –

Die Alte begann den Fächer zu suchen. Er lag auf der Kante eines Marmortischchens im Bereich von Sir Lionel's Hand. Er nahm ihn auf, um ihn der Alten zuzustellen; der feine Duft desselben haftete noch an seinen Fingern, als sie schon hinausgegangen war.

Dies Parfum wirkte wie ein Zauber auf ihn ein. Seine Nerven durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag, der bis in's Herz drang und es erschütterte. Es war Lavinia's Lieblingsparfum: die Essenz eines aromatischen, in Indien wachsenden Krautes, mit der sie vormals ihre Kleider und Handgeräthe zu durchtränken pflegte. Dies Patchouli war eine ganze Welt voll Erinnerungen, ein ganzes Liebesleben: es war ein Theil der ersten Frau, die er geliebt hatte. Sein Blick umflorte sich, seine Pulse pochten heftig. Vor ihm schien eine Wolke zu lagern und in dieser ein braunes, zartes, sechszehnjähriges Mädchen, so feurig und doch so sanft: die Jüdin Lavinia, seine erste Liebe. Schnellfüßig wie ein Hirsch sah er sie vorüberfliegen, wie sie Haideblumen pflückte, das wildreiche Blachfeld seiner Forsten durchstreifte, ihr schwarzes Rößlein durch die Sümpfe spornte – lachlustig, feurig, phantastisch wie Diana Bernow oder die heitern Feen der grünen Insel.

Bald aber schämte er sich dieser Schwäche, indem er an den Ueberdruß dachte, der diese Liebe und all die andern vernichtet hatte. Mit trübsinnig-philosophischem Blick schaute er zurück auf die zehn prosaisch vernünftigen Jahre, die ihn schieden von jener Zeit der Schäferspiele und der Poesie; dann beschwor er die Zukunft herauf, den parlamentarischen Ruhm und den Prunk des politischen Lebens in der Gestalt der Miß Margaret Ellis, die er selbst in der Form ihrer Mitgift anbetete, und zuletzt begann er in dem Zimmer, wo er sich befand, auf und ab zu schreiten und schaute dabei um sich mit dem sceptischen Blicke eines vernünftig gewordenen Liebhabers und eines dreißigjährigen Mannes, der nach einer Stellung im gesellschaftlichen Leben ringt. –

Man wohnt einfach in den Bädern der Pyrenäen, aber Dank den Lawinen und den Sturzbächen, die in jedem Winter die Wohnsitze verwüsten, sieht man in jedem Frühling die Verzierungen und das Mobiliar sich erneuern oder verjüngen. Das Häuschen, welches Lavinia gemiethet hatte, war aus unbehauenen Steinen erbaut und innen ganz mit harzigem Holze getäfelt. Dies weiß gestrichene Holz hatte den Glanz und die Frische des Stucks. Eine in Spanien geflochtene und in verschiedenen Farben schattirte Binsenmatte diente als Teppich. Blendend weiße Basin-Vorhänge fingen den schwankenden Schatten der Tannen auf, deren dunkles Nadelwerk der Nachtwind im flüssigen Mondenlichte schüttelte. Kleine, lackirte Gefäße aus Olivenholz waren mit den schönsten Blumen des Gebirges angefüllt. Lavinia hatte sie in den abgelegensten Thälern und auf den höchsten Gipfeln selbst gepflückt: diese Belladonnen mit der korallenrothen Blumenkrone, dies Eisenkraut mit dem himmelblauen Helmschmuck und dem giftgeschwängerten Kelche, diese weiß und rothen Nelken mit den feingezackten Blättern, dies bleiche Seifenkraut, diese wie Musselin durchsichtigen und ebenso gefalteten Glockenblumen, diesen purpurrothen Baldrian, all diese wilden Töchter der Einsamkeit, die so frisch und duftig blühen, daß sich die Gemse scheut, sie im Laufe mit den Hufen zu berühren und zu knicken, und daß das Wasser der dem Jäger unbekannten Quellen mit seinem lässigen, stillen Strome sie kaum zur Erde beugt.

Dies weiße, duftende Stübchen war wirklich und wie unbewußt zu einem Rendezvous geschaffen; doch daneben schien es auch das Allerheiligste einer reinen, jungfräulichen Liebe. Die Kerzen verbreiteten einen schwachen Schimmer, die Blumen schienen schamhaft ihre Kelche vor dem Licht zu schließen, kein Frauengewand, keine Spur absichtlicher Coquetterie zeigte sich auf den Möbeln, nur ein verwelkter Veilchenstrauß und ein zerrißner weißer Handschuh lagen neben einander auf dem Kamine. Lionel, von einer unwiderstehlichen Bewegung fortgerissen, nahm den Handschuh und zerknitterte ihn zwischen den Händen – die krampfhafte, kalte Umarmung bei einem letzten Abschied. Er hob das duftlose Bouquet auf, betrachtete es einen Augenblick, machte eine bittere Anspielung auf die Blumen, aus denen es bestand, und warf es mit Ungestüm weit von sich. Hatte Lavinia diesen Strauß absichtlich dort hingelegt, damit ihr alter Liebhaber einen Commentar dazu mache?

Lionel näherte sich dem Fenster und schob die Vorhänge auseinander, um durch den Anblick der freien Natur die üble Laune zu dämpfen, die sich seiner mehr und mehr bemächtigte. Das Schauspiel war zauberhaft. Das auf dem Felsen ruhende Haus diente einer gigantischen, senkrecht aufsteigenden Bergwand, deren Fuß die Gave bespülte, als Bastei. Rechts stürzte mit furchtbarem Getöse der Cataract herab, links neigte sich ein dichtes Tannengehölz über den Abgrund, in der Ferne breitete sich das mondbeglänzte Thal in unbestimmten Umrissen aus. Ein großer, wilder Lorbeerbaum, der in einem Felsspalt wurzelte, schlug mit seinen länglichen Blättern gegen das Fenstersims, und der Wind, der mit denselben spielte, schien geheimnißvolle Worte zu flüstern.

Während Lionel in diesen Anblick versunken war, trat Lavinia ein. Das Rauschen des Baches und des Windes hinderten ihn, sie zu hören. Mehrere Minuten blieb sie hinter ihm stehen, ohne Zweifel bemüht, sich zu sammeln und vielleicht sich fragend, ob das dort der Mann sei, den sie so sehr geliebt; denn in diesem Moment natürlicher Rührung glaubte Lavinia trotz aller Vorbereitung zu träumen. Sie gedachte der Zeit, wo es sie unmöglich gedünkt hatte, Sir Lionel wiederzusehen, ohne vor Zorn und Schmerz todt umzusinken. Und nun stand sie da, sanft, ruhig, vielleicht gleichgültig – –

Lionel wandte sich mechanisch um und erblickte sie. Ein Schrei entschlüpfte ihm, er hatte sie nicht erwartet. Dann machte er, beschämt über diese Unschicklichkeit und durch das, was er empfand, verwirrt, eine heftige Anstrengung, um einen correcten, tadellosen Gruß an Lavinia zu richten.

Doch gegen seinen Willen lähmte eine unerwartete Bestürzung, eine unbezwingliche Aufregung seinen erfinderischen, leichtfertigen Geist, diesen so gelehrigen, schmiegsamen Geist, der immer bereit war, sich liebenswürdig und ohne Rückhalt hinzugeben und zum Gebrauch des ersten besten von Hand zu Hand zu gehen wie das Gold. Diesmal schwieg der rebellische Geist und verharrte fassungslos in der Betrachtung Lavinia's.

So schön sie wiederzufinden, hatte er nicht erwartet. Als er sie verließ, war sie sehr leidend und entstellt. Damals hatten die Thränen ihre Wangen gefurcht, der Kummer ihre Gestalt verzehrt, ihr Auge war erloschen, ihre Hand trocken, ihre Toilette vernachlässigt. Unkluger Weise hatte sie sich damals selbst verunstaltet, die arme Lavinia, ohne zu bedenken, daß der Kummer nur das Herz der Frau verschönert, und daß die meisten Männer der Frau bereitwillig die Seele absprechen würden, wie es ein gewisses Concil italienischer Prälaten that.

Jetzt aber stand Lavinia im vollen Glanze jener Nachblüte der Schönheit, deren die Frauen sich erfreuen, wenn nicht die Jugendzeit ihnen unheilbare Herzenswunden geschlagen. Noch immer war sie die schlanke, hagere Portugiesin mit dem etwas bronzefarbenen Teint und dem etwas scharf geschnittenen Profil, aber ihre Erscheinung und ihre Manieren hatten ganz die Grazie und einschmeichelnde Anmuth der Französinnen angenommen. Eine unveränderlich feste Gesundheit hatte ihrer bräunlichen Hautfarbe ein sammetweiches Aussehen verliehen. Ihr zarter Körper hatte die Geschmeidigkeit und blühende Lebendigkeit wiedererlangt. Ihr Haar, das sie vormals abgeschnitten, um damit der Liebe ein Opfer zu bringen, hing jetzt in ganzer Fülle dichtgelockt über der klaren, faltenlosen Stirn. Ihre Toilette bestand aus einer Robe indischen Musselins und einem Büschel weißen Haidekrauts im Haar, das im Thale selbst gepflückt war. Es gibt kein reizenderes Gewächs, als die weiße Haide: beim Anblick der zarten, schwanken Zweige im schwarzen Haar Lavinia's hätte man meinen können, es wären Trauben wirklicher Perlen. Ein ausgezeichneter Geschmack hatte zu Rath gesessen bei dieser Haartracht und dieser einfachen Toilette, in der die erfinderische Coquetterie der Frau sich enthüllte, indem sie sie zu verhüllen schien.

Nie hatte Lionel Lavinia so verführerisch gesehen. Nur noch einen Moment – und er wäre vor ihr niedergesunken und hätte sie um Verzeihung gebeten. Doch das ruhige Lächeln, das er auf ihrem Antlitz bemerkte, erfüllte ihn von neuem mit der nöthigen Bitterkeit, um die Zusammenkunft mit allen Zeichen stolzer Würde zu bestehen.

Aus Mangel an einer passenden Redensart zog er ein sorglich versiegeltes Päckchen aus dem Busen und sagte, indem er es auf den Tisch legte, mit fester Stimme:

»Madame, Sie sehen, Ihr Sklave ist gehorsam – kann ich annehmen, daß mir mit diesem Tage meine Freiheit zurückgegeben ist?«

»›Es scheint mir‹« entgegnete ihm Lavinia mit melancholisch-heitrer Miene, »›daß bis jetzt Ihre Freiheit nicht allzusehr beschränkt war, Sir Lionel. Haben Sie wirklich während dieser ganzen Zeit in meinen Fesseln geschmachtet? Ich gestehe, daß ich mir damit nicht geschmeichelt habe.«

»O Madame! ich beschwöre Sie, spotten Sie nicht! Ist dieser Augenblick nicht ein beklagenswerter?«

»Das ist eine alte Tradition, eine abgemachte Lösung, ein unvermeidlicher Moment bei allen Liebesgeschichten,« erwiederte sie. »Ja, wenn man beim Schreiben von der künftigen Notwendigkeit, mißtrauisch das Geschriebene einander wieder entreißen zu müssen, durchdrungen wäre – – aber man denkt nicht daran. Mit zwanzig Jahren schreibt man voll der tief wurzelnden, arglosen Meinung, man habe unverbrüchliche Schwüre ausgetauscht: mitleidig lächelt man bei dem Gedanken an das prosaische Ende der im Erlöschen begriffenen Leidenschaften. Hochmüthig glaubt man, man werde allein unter allen eine Ausnahme bilden von dem starren Gesetz der menschlichen Unbeständigkeit! – ein edler Irrthum, ein glücklicher Selbstbetrug, aus dem die Stärke und die Illusionen der Jugend entspringen! Ist's nicht so, Lionel?«

Lionel blieb starr und stumm. Diese traurig-gelassene Sprache, obgleich aus Lavinia's Munde so natürlich, dünkte ihn eine unglaubliche Widersinnigkeit, denn nie hatte er Lavinia so gesehen: er kannte sie, wie sie, ein schwaches Kind, sich blindlings allen Irrungen des Lebens hingab, sich vertrauensselig allen Stürmen der Leidenschaft überlieferte – hatte er doch, als er sie, die Schmerzgebrochene, verlassen, noch gehört, wie sie dem Urheber ihres Unglücks ewige Treue schwor.

Doch sie dergestalt das Todesurtheil über alle Träume der Vergangenheit aussprechen zu hören, war peinlich und schrecklich. Diese Frau, die sich selbst überlebte und sich nicht scheute, ihrem Leben die Todtenrede zu halten, bot ein tief trauriges Schauspiel, das Lionel nicht ohne Schmerz betrachten konnte. Er fand keine Antwort. Wol wußte er besser als irgend jemand, was man in solchem Falle alles sagen konnte, aber er hatte nicht den Muth, Lavinia bei diesem Selbstmord zu unterstützen.

Da er in seiner Verwirrung das Packet mit den Briefen zwischen den Händen zerknitterte, sagte sie:

»›Sie kennen mich gut genug, oder vielmehr, Sie erinnern sich meiner gut genug, als daß Sie nicht wüßten, daß ich nicht aus Rücksichten der Klugheit, die den Frauen einfallen, wenn ihre Liebe erloschen ist, diese Zeugen einer alten Liebe reclamire. Hegten Sie solchen Argwohn, so dürfte die Erinnerung daran, daß ich diese Zeugen zehn Jahre lang in Ihren Händen ließ, ohne an die Rückforderung zu denken, zu meiner Rechtfertigung genügen. Nie würde ich mich dazu entschlossen haben, wenn nicht die Ruhe einer andern Frau durch das Dasein dieser Papiere in Frage gestellt würde.‹«

Lionel sah Lavinia fest an und lauerte auf das geringste Zeichen von Groll oder Kummer, das der Gedanke an Margaret Ellis bei ihr erzeugen möchte, aber es war ihm unmöglich, in ihrem Blick oder ihrer Stimme die geringste Erregung wahrzunehmen, Lavinia schien jetzt unverwundlich.

Ist diese Frage zu Stein oder zu Eis geworden? – fragte er sich.

»Sie sind großmüthig,« sagte er halb bewundernd, halb ironisch, »wenn das der einzige Beweggrund ist.«

»›Und welchen andern könnte ich haben, Sir Lionel? Wollen Sie mir das gefälligst erklären?‹«

»Ich könnte annehmen, Madame – wenn ich Lust hätte, Ihren Edelmuth zu läugnen, was Gott verhüte! – daß persönliche Motive Sie zu dem Wunsche veranlassen, wieder in den Besitz dieser Briefe und dieses Portraits zu gelangen?«

»›Das hieße sich ein wenig spät entscheiden!'« erwiderte Lavinia lachend. »,Sicherlich würden Sie starke Gewissensbisse empfinden, wenn ich Ihnen erklärte, daß ich bis heute mit dem Anschaffen »persönlicher Motive« (so lautet Ihr Ausdruck) gewartet hätte, nicht wahr?'«

»Madame, Sie setzen mich in große Verlegenheit,« versetzte Lionel und sprach diese Worte mit zwangloser Geläufigkeit, denn nun befand er sich auf seinem Terrain. Vorwürfe hatte er erwartet und war auf den Angriff vorbereitet. Doch dieser Vortheil ward ihm nicht, der Gegner änderte sogleich die Stellung.

»›Doch fürchten Sie nicht, theurer Lionel,‹« sagte sie mit einem Lächeln voller Herzensgüte, das Lionel, der in ihr nur die leidenschaftliche Frau kennen gelernt hatte, noch nicht an ihr kannte, »›Fürchten Sie nicht, daß ich die Gelegenheit mißbrauche. Mit den Jahren ist mir auch der Verstand gekommen, und seit langem habe ich recht gut eingesehen, daß Sie mir gegenüber schuldlos sind. Ich selbst bin schuldig gegen mich, gegen die Gesellschaft, vielleicht auch gegen Sie. Denn unter zwei so jugendlichen Liebesleuten, wie wir es waren, sollte die Frau die Führerin des Mannes sein. Anstatt ihn auf die Irrwege einer verfehlten, unmöglichen Laufbahn zu leiten, sollte sie ihn dadurch, daß sie ihn an sich fesselt, der Welt erhalten. Ich aber, ich wußte nichts zur rechten Zeit zu thun. Ich habe Ihnen auf Ihrem Lebenswege tausend Hindernisse bereitet, ich war die unfreiwillige, aber unbesonnene Ursache fortwährender schlimmer Gerüchte, die Sie verfolgten, ich hatte den furchtbaren Schmerz, Ihre Tage durch Rächer bedroht zu sehen, die ich verläugnete, die sich aber dessenungeachtet gegen Sie erhoben, ich war die Qual Ihrer Jugend, der Fluch Ihres Mannesalters. Verzeihen Sie mir, ich habe das Böse, das ich Ihnen anthat, schwer gesühnt.‹«

Lionel fiel aus einem Erstaunen in das andere. Wie ein Angeklagter, der sich mit Widerstreben auf das Armesünderbänkchen setzt, war er gekommen, und nun behandelte man ihn wie einen Richter, dessen Barmherzigkeit man in Demuth anruft. Lionel besaß von Natur ein gutes Herz, nur der Hauch der weltlichen Eitelkeit hatte es in der Blüte geknickt, und Lavinia's Edelmuth rührte ihn um so tiefer, da er nicht darauf vorbereitet war. Bezwungen von der Schönheit des Charakters, der sich ihm enthüllte, neigte er das Haupt und beugte die Knie.

»Madame, ich hatte Sie nie verstanden,« sagte er mit bebender Stimme, »ich kannte Ihren Werth nicht, ich war Ihrer unwürdig und schäme mich dessen.«

»Sagen Sie das nicht, Lionel,« erwiderte sie und reichte ihm die Hand, um ihn aufzuheben. »Als Sie mich kannten, war ich nicht, was ich heute bin. Wenn die Vergangenheit zurückgerufen werden könnte, wenn ich heute die Huldigungen eines Mannes empfinge, der eine Stellung in der Welt bekleidet wie Sie« – – –

– Heuchlerin! dachte Lionel. Der Graf von Morangy, der eleganteste unter den Herrn von Stande, betet sie an. –

»Wenn ich,« fuhr sie ohne Anmaßung fort, »über das äußere, öffentliche Leben eines geliebten Mannes zu entscheiden hätte, so würde ich vielleicht sein Glück, anstatt es zu vernichten zu suchen, zu mehren verstehen.«

– Soll das ein Antrag sein? – fragte sich Lionel verblüfft.

Und in seiner Verwirrung preßte er Lavinia's Hand feurig an seine Lippen. Gleichzeitig warf er einen Blick auf diese Hand, die merkwürdig weiß und zierlich war. Denn die Hände jüngerer Damen sind oft roth und geschwollen, erst später werden sie weiß, verlängern sich und nehmen zierlichere Proportionen an.

Je länger er sie betrachtete und ihr zuhörte, desto mehr erstaunte er, Vorzüge an ihr zu entdecken, die sie erst neu erworben hatte. Unter anderm sprach sie jetzt das Englische mit größter Reinheit und ohne den fremden Accent und die incorrecten Ausdrücke, über die Lionel vormals unbarmherzig gespottet hatte, und das verlieh ihrer Redeweise und ihrer Aussprache eine feine, anmuthende Eigenthümlichkeit. Vielleicht hatte sich das Starre und etwas Unbändige ihres Charakters nur tiefer in das Innere ihrer Seele zurückgezogen, aber ihr Aeußeres verrieth nichts davon. Weniger heftig, weniger absonderlich, vielleicht weniger romantisch, als sie je gewesen, war sie jetzt in Lionel's Augen bei weitem verführerischer: sie war mehr seinen Ideen und der Welt gemäß.

Was soll ich weiter sagen? Nach einer einstündigen Unterhaltung hatte Lionel die zehn Jahre vergessen, die ihn von Lavinia schieden, oder vielmehr: er hatte sein ganzes Leben vergessen. Er glaubte sich bei einer neuen Frau, die er zum ersten Mal liebe, denn die Vergangenheit rief ihm Lavinia als trübsinnig, eifersüchtig, anspruchsvoll in's Gedächtniß, vor allem aber zeigte sie Lionel in seinen eigenen Augen als schuldig. Doch Lavinia begriff, was die Erinnerung Peinliches für ihn haben mußte, und war zartfühlend genug, nur mit Vorsicht daran zu rühren.

Sie schilderten sich gegenseitig das Leben, das sie seit ihrer Trennung geführt hatten. Mit der Unparteilichkeit einer Schwester befragte ihn Lavinia über seine neue Liebe. Sie rühmte Miß Ellis' Schönheit und unterrichtete sich mit Interesse und Wohlwollen über ihren Charakter und die Vortheile, die eine solche Heirath ihrem alten Freunde bringen mußte. Sie ihrerseits erzählte in häufig abschweifender, aber anziehender und feiner Weise von ihren Reisen, ihren Freunden, ihrer Heirath mit einem alten Lord, ihrer Wittwenschaft und dem Gebrauche, den sie nun von ihrem Vermögen und ihrer Freiheit machte. Es lag wol ein wenig Ironie in allem, was sie sagte: indem sie sich ganz der Gewalt der Vernunft unterwarf, empfand sie doch ein wenig Groll gegen diese heroische Macht und verrieth ihn unter der Form des Scherzes. Doch Zartgefühl und Nachsicht thronten herrlich in dieser frühzeitig geknickten Seele und gaben ihr das Gepräge einer Erhabenheit, die sie weit über alle andern erhob.

Mehr als eine Stunde war verflossen. Lionel zählte die Minuten nicht, er überließ sich den neuen Eindrücken mit jenem jähen, unstäten Feuer, das die letzte Kraft abgenutzter Herzen bildet. Durch alle erdenklichen Andeutungen suchte er das Gespräch zu beleben und Lavinia zu bewegen, ihm den wahren Zustand ihres Herzens zu enthüllen. Aber seine Anstrengungen waren vergeblich, die Frau war behender und geschickter als er. So oft er auch eine Fiber ihres Gemüths erfaßt zu haben glaubte, es blieb ihm nicht mehr in der Hand als ein Härchen. Sobald er ihr inneres Sein festzuhalten und zu umklammern hoffte, um es zu analysiren, entglitt ihm das Phantom wie ein Hauch und verflüchtigte sich ungreifbar wie die Luft.

Plötzlich wurde stark geklopft. Das Rauschen des Baches, das alles übertönte, hatte die ersten Schläge gegen die Thüre unhörbar gemacht, und man wiederholte sie nun mit Ungeduld. Lady Lavinia fuhr zusammen.

»Das ist Henry, der mich benachrichtigen will,« sagte Sir Lionel. »Doch wenn Sie geruhen, mir noch einige Augenblicke zu schenken, will ich ihm sagen, daß er warten soll. Darf ich auf diese Gunst rechnen, Madame?«

Lionel bereitete sich vor, hartnäckig auf seiner Bitte zu bestehen, als Pepa eilig eintrat.

»Der Herr Graf von Morangy will mit aller Gewalt Zutritt haben,« sagte sie auf Portugiesisch zu ihrer Herrin. »Er ist draußen – hört auf nichts« – –

»›Mein Gott, er ist schrecklich eifersüchtig‹« rief Lavinia offenherzig auf Englisch. »›Was soll ich mit Ihnen anfangen, Lionel?‹«

Lionel stand wie vom Blitz getroffen.

»›Lassen Sie ihn eintreten,‹« sagte Lavinia hastig zu der Negerin. »›Und Sie,‹« wandte sie sich an Lionel, »›Sie treten auf den Balcon. Das Wetter ist prächtig, Sie können sich wol fünf Minuten gedulden, um mir einen Dienst zu erweisen.‹«

Und hastig drängte sie ihn auf den Balcon. Dann ließ sie den wollenen Vorhang zufallen und wandte sich dem eintretenden Grafen zu.

»›Was bedeutet der Lärm, den Sie machen?‹« redete sie ihn ungezwungen an. »›Das ist ja ein wahrer Einbruch.‹«

»O, verzeihen Sie mir, Madame!« rief der Graf von Morangy. »Fußfällig flehe ich um Gnade. Da ich Sie plötzlich mit Pepa den Ball verlassen sah, glaubte ich, Sie wären erkrankt. Ich war so erschreckt – Sie sind in den letzten Tagen umpäßlich gewesen. Gott! verzeihen Sie mir, Lavinia, ich bin toll, närrisch – aber ich liebe Sie so sehr, daß ich nicht mehr weiß, was ich thue!« – –

Während der Graf sprach, überließ sich Lionel, nachdem er sich kaum von seiner Ueberraschung erholt, einem heftigen Wuthanfall.

– Unverschämtes Weib! dachte er. Sie wagt gar, mich zu bitten, ihrem tête-à-tête mit ihrem Geliebten beizuwohnen. Ha! wenn das eine vorbedachte Rache, eine absichtliche Beleidigung ist, mag man sich vor mir hüten! Doch welche Thorheit! Aerger zeigen, hieße ihr einen Triumph bereiten – – Frisch auf! sehen wir uns die Liebesscene mit der Kaltblütigkeit eines wahren Philosophen an. –

Er neigte sich zu der Fensteröffnung und wagte die Ritze zwischen den beiden Hälften des Vorhanges mit dem Knopfe seiner Reitpeitsche zu erweitern. So konnte er sehen und hören.

Der Graf von Morangy war einer der schönsten Männer Frankreichs, blond, stattlich, mit einem mehr schönen als ausdrucksvollem Gesicht, vortrefflich frisirt, ein Stutzer vom Kopf bis zu den Füßen. Seine Stimme klang sanft und weich; er schnarrte etwas beim Sprechen. Sein Auge war groß, aber glanzlos, der Mund fein und spöttisch, die Hände weiß wie die einer Frau und der Fuß mit tadelloser Vollendung bestiefelt. In Lionels Augen war er der furchtbarste Rival, den man überhaupt haben konnte, ein Gegner, seiner würdig vom Scheitel bis zur Zehe.

Der Graf sprach französisch, und Lavinia antwortete ihm in dieser Sprache, die sie ebenso gut wie die englische beherrschte. Ein weiteres Talent Lavinia's! – Mit merkwürdigem Wohlgefallen lauschte sie den Schmeichelworten des schönen, aristokratischen Stutzers. Der Graf wagte zwei oder drei leidenschaftliche Phrasen, die Lionel gegen die Regeln des guten Geschmacks und der dramatischen Convenienz zu verstoßen schienen. Lavinia zürnte darüber nicht, in ihrem Lächeln war kaum etwas Spott zu bemerken. Sie drängte den Grafen, zuerst zum Balle zurückzukehren, indem sie ihm sagte, es würde nicht schicklich sein, wenn sie mit ihm zusammen einträte. Er jedoch beharrte hartnäckig bei seiner Absicht, sie bis an die Thür zu führen, und schwor, er würde erst eine Viertelstunde nach ihr eintreten. Während des Gesprächs ergriff er die Hände Lady Blake's, die sie ihm mit nachlässiger, aufmunternder Gedankenlosigkeit überließ.

Sir Lionel riß die Geduld.

– Ich bin ein rechter Narr, sagte er am Ende, daß ich geduldig dieser Mystification zuschaue, wenn ich mich entfernen kann – – –

Er trat an den Rand des Balcons. Aber der Balcon war verschlossen, und unterhalb desselben zeigte sich ein Felsgesims, das nicht gerade einem Fußsteig ähnlich sah. Nichtsdestoweniger wagte Lionel muthig die Balustrade zu übersteigen und auf dieser Felsleiste einige Schritte vorwärts zu thun. Doch bald war er gezwungen, anzuhalten – die Leiste verlor sich plötzlich gerade bei dem Cataract, und eine Gemse hätte Bedenken getragen, einen Schritt weiter zu gehen. Im selben Augenblick zeigte der am Himmel aufsteigende Mond Lionel die Tiefe des Schlundes, von dem ihn nur wenige Zoll des Gesteins trennten. Er war genöthigt, die Augen zu schließen, um dem Schwindel, der ihn befiel, zu widerstehen, und mußte mühsam zum Balcon zurückkehren. Als es ihm gelungen war, die Balustrade wieder zu überklettern, und er nun den schmalen Raum zwischen sich und dem Abgrund überblickte, hielt er sich für den glücklichsten der Sterblichen, sollte er auch den erreichten Zufluchtsort um den Triumph seines Rivalen erkaufen. Geduldig mußte er sich also darin ergeben, die sentimentalen Tiraden des Grafen von Morangy anzuhören.

»Madame,« sagte dieser, »zu lange verstellen Sie sich gegen mich. Es ist undenkbar, daß Sie nicht wüßten, wie sehr ich Sie liebe, und ich finde es grausam, daß Sie mich behandeln, als gälte es eine jener Launen, die in einem Tage entstehen und vergehen. Meine Liebe zu Ihnen ist ein Gefühl für das ganze Leben, und wenn Sie den Schwur, Ihnen dies Leben zu weihen, annehmen, Madame, so werden Sie sehen, daß auch ein Weltmann alle Achtung vor der Convenienz verlieren und sich der Herrschaft der kalten Vernunft entziehen kann. O, treiben Sie mich nicht zur Verzweiflung oder fürchten Sie die Folgen derselben!«

»›Sie wünschen also, daß ich mich bestimmt erkläre?‹« erwiderte Lavinia. »›Wohlan! ich werde es thun. Kennen Sie meine Geschichte, mein Herr?‹«

»Ja, Madame, ich weiß alles. Ich weiß, daß ein Elender, den ich für den erbärmlichsten unter den Menschen halte, Sie schmählich getäuscht und verlassen hat. Und die Theilnahme, die Ihr Unglück mir einflößt, erhöht meine Liebe. Nur große Seelen sind verdammt, Schlachtopfer der Menschen und der Meinung zu werden.«

»›Nun wohl, mein Herr,‹« fuhr Lavinia fort, »›so erfahren Sie denn, daß ich es verstanden habe, aus dieser harten Lehre meines Schicksals Nutzen zu ziehen, erfahren Sie, daß ich heute gegen mein eigenes Herz und gegen das anderer auf der Hut bin. Ich weiß, daß es nicht immer in der Macht des Mannes steht, seine Schwüre zu halten, und daß er betrügt, sobald er sein Ziel erreicht. Hoffen Sie also nicht, mein Herr, mich zu erweichen. Wenn Sie im Ernst reden, hier meine Antwort: Ich bin unverwundlich! Die wegen ihrer jugendlichen Fehltritte so viel verschriene Frau ist mit einem festern Walle als der Tugend, sie ist mit dem Mißtrauen umpanzert!‹«

»Ach, Sie verstehen mich nicht, Madame,« rief der Graf und warf sich ihr zu Füßen. »Ich sei verflucht, wenn ich je daran dachte, aus Ihrem Unglück die Hoffnung auf ein Opfer herzuleiten, das Ihr Stolz verdammt« – –

»›Sind Sie wirklich überzeugt, nie daran gedacht zu haben?‹« fragte Lavinia mit trübem Lächeln.

»Wohlan denn, ich will offen sein,« sagte Herr von Morangy in solchem Tone der Wahrheit, daß die Art und Weise des großen Herrn ganz darunter verschwand. »Vielleicht hegte ich, ehe ich Sie wirklich kennen lernte, diesen Gedanken, den ich jetzt mit Abscheu zurückweise. Verstellung vor Ihnen, Lavinia, ist unmöglich! Sie unterjochen den Willen, Sie würden die List vereiteln, Sie erzwingen Anbetung. Und ich schwöre, seit ich weiß, wer Sie sind, war meine Liebe Ihrer würdig. Hören Sie mich an, Madame, und lassen Sie mich zu Ihren Füßen dem Urteilsspruch über mein Dasein entgegensehen. Meine ganze Zukunft will ich mit unlöslichen Banden an die Ihre fesseln. Einen, wie ich zu hoffen wage, geachteten Namen und ein glänzendes Vermögen, auf das ich, Sie wissen es, nicht eitel bin, lege ich Ihnen zu Füßen, und zugleich eine Seele, die Sie anbetet, ein Herz, das nur für Sie schlägt.«

»›Sie tragen mir also in allem Ernste eine Heirath an?‹« sagte Lavinia, ohne eine den Grafen kränkende Ueberraschung zu zeigen. »›Gut denn, mein Herr, ich danke Ihnen für dies Zeichen Ihrer Achtung und Zuneigung.‹«

Und sie reichte ihm herzlich die Hand.

»Gott sei gelobt! Sie nimmt es an!« rief der Graf und bedeckte ihre Hand mit Küssen.

»›Noch nicht, mein Herr,‹« sagte Lavinia. »›Ich bitte um Bedenkzeit.‹«

»O! – Doch ich darf hoffen?«

»›Ich weiß nicht – rechnen Sie aber auf meine Dankbarkeit. Nun adieu. Kehren Sie in den Ballsaal zurück, ich verlange es. In einer Minute bin auch ich dort.‹«

Der Graf küßte leidenschaftlich den Saum ihrer Schärpe und ging. Sobald er die Thür hinter sich geschlossen hatte, schob Lionel den Vorhang vollständig auseinander und hielt sich bereit, von Lady Blake die Erlaubniß zum Wiedereintritt zu empfangen. Doch Lady Blake saß auf dem Sopha und wandte dem Fenster den Rücken zu. Lionel sah ihr Gesicht im gegenüberhängenden Spiegel. Sie starrte in brütender, nachdenklicher Stellung auf den Boden. In tiefes Sinnen verloren, hatte sie Lionel vollständig vergessen, und der Aufschrei der Ueberraschung, der ihr entschlüpfte, als dieser mitten ins Zimmer sprang, war das offenbare Eingeständniß ihrer schnöden Vergeßlichkeit.

Lionel war blaß vor Aerger, bezwang sich aber.

»Sie werden einräumen, Madame,« sagte er, »daß ich Ihre neue Liebe respectirt habe. Es bedurfte großer Selbstverläugnung meinerseits, mich – vielleicht absichtlich – beschimpfen zu hören und gelassen in meinem Versteck zu bleiben.«

»›Absichtlich?‹« wiederholte Lavinia und sah ihn mit strenger Miene an. »›Was erkühnen Sie sich, von mir zu denken, mein Herr? Ist das Ihre Vorstellung von mir, so entfernen Sie sich.‹«

»Nein, nein, das sind nicht meine Gedanken,« erwiderte Lionel, indem er ihr näher trat und erregt ihre Hand ergriff. »Beachten Sie nicht, was ich sagte. Ich bin so verwirrt – – Auch rechneten Sie gewiß auf meinen Verstand, als Sie mich einer solchen Scene beiwohnen ließen.«

»›Auf Ihren Verstand, Lionel? Ich verstehe das Wort nicht. Sie wollen sagen, ich habe auf Ihre Gleichgiltigkeit gerechnet?‹«

»Spotten Sie über mich, soviel Sie wollen, seien Sie grausam, treten Sie mich mit Füßen! Sie haben das Recht dazu! – – Aber ich bin sehr unglücklich!« – –

Er war tief bewegt. Lavinia glaubte, er spiele Comödie, oder that, als ob sie es glaubte.

»›Kommen wir damit zu Ende,‹« sagte sie und erhob sich. »›Sie hätten beherzigen sollen, was Sie mich dem Grafen von Morangy erwiedern hörten. Und dennoch verletzt mich die Liebe dieses Mannes nicht. – Leben Sie wohl, Lionel. Scheiden wir für immer, aber ohne Groll. Hier Ihr Portrait und Ihre Briefe – – Auf und lassen Sie meine Hand los, ich muß zum Ball zurück.‹«

»Um mit Herrn von Morangy zu tanzen, nicht wahr?« entgegnete Lionel, indem er zornig sein Bild auf den Boden warf und es mit dem Absatz zertrat.

»›Erwägen Sie doch,‹« sagte Lavinia etwas bleich, aber ruhig, »›der Graf von Morangy bietet mir eine Stellung und eine Ehrenrettung vor der Welt. Die Verbindung mit einem alten Lord hat nie recht den schnöden Flecken weggewaschen, der stets an einer verrathenen Frau haftet. Aber ein junger, reicher, adeliger, beneideter und von den Frauen geliebter Mann – das ist etwas anders! Das ist der Ueberlegung werth, Lionel, und ich bin sehr erfreut, daß ich den Grafen bis jetzt geschont habe. Schon lange errieth ich seine ernstgemeinte Absicht.‹«

»O Weiber, die Eitelkeit stirbt bei euch nie!« rief Lionel erboßt, als sie das Zimmer verlassen hatte.

Er kehrte zu Henry in das Gasthaus zurück. Dieser erwartete ihn mit Ungeduld.

»Die Hölle über Sie, Lionel!« schrie er. »Eine gute Stunde erwarte ich Sie hier im Sattel. Was! zwei Stunden zu einer solchen Zusammenkunft! Vorwärts, aufs Pferd! Unterwegs werden Sie mir das erzählen.«

»Gute Nacht, Henry. Sagen Sie Miß Margaret, das Kopfkissen, das an meiner Stelle im Bett liegt, befinde sich sehr übel.‹«

»Himmel und Erde! was höre ich!« rief Henry. »Sie wollen nicht mit nach Luchon?«

»›Ein ander Mal. Jetzt bleibe ich hier.‹«

»Aber das ist undenkbar. Sie träumen. Sollten Sie sich nicht etwa mit Lady Blake ausgesöhnt haben?«

»›Nicht, daß ich wüßte, im Gegentheil! Doch ich bin müde, ich habe den Spleen und den Rheumatismus. Ich bleibe.‹«

Henry fiel aus den Wolken. Er erschöpfte seine ganze Beredsamkeit, um Lionel zum Fortreiten zu bewegen. Da er aber kein Glück damit hatte, stieg er vom Pferde und warf dem Stallknecht die Zügel zu.

»Gut denn!« rief er, »wenn die Sache so steht, bleibe ich ebenfalls. Die Sache kommt mir so schnurrig vor, daß ich bis zu Ende Zeuge sein will. Zum Teufel mit den Liebschaften in Bagnères und den Reiseprojecten! Mein würdiger Freund Sir Lionel Bridgemont macht sich lächerlich, ich werde der aufmerksame, eifrige Zuschauer bei dem Drama sein.«

Lionel hätte alles in der Welt darum gegeben, hätte er sich diesen leichtsinnigen, schwatzhaften Wächter vom Halse schaffen können. Doch es war unmöglich.

»›Da Sie entschlossen sind, mir zu folgen,‹« sagte er, »›so theile ich Ihnen mit, daß ich zum Balle gehe.‹«

»Zum Ball? Gut! Der Tanz ist ein ausgezeichnetes Mittel gegen den Spleen und das Gliederreißen.« – –

Lavinia tanzte mit Herrn von Morangy. Nie hatte Lionel sie tanzen sehen. Als sie nach England gekommen war, kannte sie nur den Bolero, und niemals hatte sie sich erlaubt, ihn unter dem sittenstrengen Himmel Großbritanniens zu tanzen. Seitdem hatte sie unsere Contretänze erlernt und übertrug auf sie die wollustathmende Grazie der Spanierinnen im Verein mit einem Hauche englischer Prüderie, die den kühnen Schwung derselben mäßigte. Man stieg auf die Bänke, um sie tanzen zu sehen. Der Graf von Morangy war siegestrunken. Lionel stand fassungslos unter der Menge.

Das Männerherz ist so voll Eitelkeit! Er litt schwer, als er die, welche so lange von ihm beherrscht, von seiner Liebe umklaftert worden war, die vordem nur ihm allein gehört, so daß die Welt es nicht gewagt haben würde, sie aus seinen Armen zurückzufordern, als er sie jetzt frei, stolz, von Huldigungen umrauscht vor sich sah, wie jeder Blick ihr eine Sühne oder einen Ersatz für das Vergangene bot. Als sie an ihren Platz zurückkehrte, glitt Lionel in dem Augenblick, wo der Graf abgehalten wurde, gewandt in ihre Nähe und hob den Fächer auf, den sie eben hatte fallen lassen. Lavinia erwartete nicht, ihn dort zu sehen. Ein leiser Schrei entschlüpfte ihr, und sie ward merklich bleich.

»Mein Gott,« redete sie ihn an, »ich glaubte Sie auf dem Wege nach Bagnères.«

»›Fürchten Sie nichts, Madame‹« erwiderte er leise, »›ich werde Sie bei dem Grafen von Morangy nicht compromittiren.‹«

Lange konnte er sich indessen nicht bezwingen und kam bald zurück, um sie zum Tanze aufzufordern.

Sie nahm es an.

»Muß ich nicht auch den Herrn Grafen um Erlaubniß bitten?« fragte er. –

Der Ball dauerte bis zum Morgen. Lady Lavinia war sicher, daß ein Ball so lange dauere, als sie dort blieb. Begünstigt durch die Verwirrung, die sich allmählich mit dem Vorrücken der Nacht bei einem Feste einschleicht, konnte Lionel oft mit ihr reden. Diese Nacht verdrehte ihm vollends den Kopf. Von Lady Blake's Reizen berauscht, durch die Nebenbuhlerschaft des Grafen angefeuert, über die Huldigungen der Menge, die sich jeden Augenblick zwischen sie und ihn drängte, erzürnt, bemühte er sich hartnäckig, mit aller Gewalt die erloschene Leidenschaft wieder zu beleben; und so lebhaft ließ die Eigenliebe ihn ihren Stachel fühlen, daß er den Ball im Zustande unbeschreiblicher Liebesnarrheit verließ.

Vergeblich suchte er zu schlafen. Henry, der allen Frauen den Hof gemacht und alle Contretänze getanzt hatte, schnarchte aus Leibeskräften. Sobald er erwachte, rieb er sich die Augen und sagte:

»Nun, Lionel, beim leibhaftigen Gott! das ist eine reizende Geschichte, Ihre Aussöhnung mit meiner Cousine. Denn hoffen Sie nicht, mich zu täuschen, ich kenne jetzt das Geheimniß. Als wir in den Saal traten, war Lavinia traurig und tanzte mit zerstreuter Miene, doch sobald sie Sie erblickte, belebte sich ihr Auge, klärte sich ihre Stirn. Sie war wonnetrunken, als Ihr im Walzer sie wie eine Feder durch die Menge wirbeltet. Glücklicher Lionel! in Luchon eine schöne Braut und schöne Mitgift, in Bagnères eine schöne Geliebte und einen großen Triumph!«

»›Lassen Sie mich mit Ihren Faseleien in Ruhe!‹« sagte Lionel übellaunig. –

Henry war zuerst mit dem Ankleiden fertig. Er ging fort, um zu sehen, was es Neues gäbe, und kam unter dem gewohnten Mordlärm bald zurück.

»O Gott, Henry,« sagte sein Freund zu ihm, »werden Sie denn nie diese dröhnende Stimme und die schrecklichen Gesten sich abgewöhnen? Man sollte meinen, Sie kämen immer geradewegs von der Hasenjagd und hielten die Leute, mit denen Sie reden, für losgekoppelte Leithunde.«

»›Aufgesessen! Aufgesessen!‹« schrie Henry. »›Lady Lavinia Blake sitzt zu Roß und reitet nach Gèdres mit noch zehn andern jungen Närrinnen und wer weiß wieviel Jungfernknechten, der Graf von Morangy voran – was, wohl gemerkt, nicht besagen soll, er sei auch bei ihr allen andern voran!«

»Ruhig, Hanswurst!« schrie Lionel. »Allerdings in den Sattel und fort!«

Die Cavalcade hatte einen Vorsprung gewonnen. Die Straße nach Gèdres ist ein steiler Pfad, eine in den Fels gehauene Treppe, die am Abgrunde entlang läuft und den Pferden tausend Schwierigkeiten, den Menschen tausend Gefahren bietet. Lionel setzte sein Pferd in gestreckten Galopp. Henry glaubte, sein Freund sei toll, aber da er bedachte, die Ehre gebiete, nicht zurückzubleiben, sprengte er ihm nach. Ihre Ankunft war ein abenteuerlicher Zwischenfall für die Caravane. Lavinia zitterte beim Anblick dieser beiden Tollköpfe, die am Rande des furchtbaren Schlundes daherbrausten. Als sie Lionel und ihren Cousin erkannte, erbleichte sie und wäre beinahe vom Pferde gesunken. Der Graf von Morangy merkte etwas und ließ sie nicht mehr aus den Augen. Er war eifersüchtig.

Das war ein Sporn mehr für Lionel. Den ganzen Tag über kämpfte er hartnäckig um den geringsten Blick Lavinia's. Die Schwierigkeit, mit ihr zu reden, der lebhafte Ritt, die Gemütsbewegung, die der großartige Anblick der Landschaft, die sie durchzogen, hervorrief, der geschickte und stets liebenswürdige Widerstand Lady Blake's, ihre Gewandtheit beim Reiten, ihre Kühnheit, ihre Anmuth, der stets poetische und doch immer natürliche Ausdruck ihrer Empfindungen – das alles versetzte Lionel vollends in Schwärmerei. Es war ein recht mühevoller Tag für die arme Dame, die von zwei Liebhabern belagert, zwischen beiden das Gleichgewicht erhalten wollte. Dankbar begrüßte sie daher ihren Cousin und seine tollen Schwänke, als er sein Pferd zwischen sie und ihre beiden Anbeter drängte.

Beim Anbruch der Nacht bedeckte sich der Himmel mit Wolken. Ein ernstliches Unwetter war im Anzuge. Die Cavalcade verdoppelte den Schritt, aber sie war noch mehr als eine Meile von Saint-Sauveur entfernt, als der Sturm losbrach. Die Dunkelheit wurde undurchdringlich, die Pferde scheuten, das des Grafen von Morangy ging mit ihm durch. Der kleine Trupp löste sich, und es bedurfte aller Anstrengungen der Führer, die ihn zu Fuß begleiteten, um zu verhindern, daß nicht ernstliche Unfälle den so heiter begonnenen Tag zu einem traurigen Abschluß brächten.

Lionel, in der furchtbaren Dunkelheit verloren, gezwungen, am Felsen entlang zu gehen und das Pferd am Zügel zu führen, aus Besorgniß, es könne sich mit ihm in den Abgrund stürzen, war von lebhafter Unruhe beherrscht. Trotz aller Anstrengungen hatte er Lavinia verloren und suchte sie seit einer Viertelstunde mit peinlicher Unruhe, als ein Blitz ihm eine Frauengestalt zeigte, die etwas oberhalb des Weges auf einem Felsblock saß. Er stand still, lauschte und erkannte Lady Blake's Stimme. Doch es war ein Mann bei ihr – das konnte nur Herr von Morangy sein. Lionel verfluchte ihn vom Grund der Seele, und entschlossen, zum wenigsten das Glück dieses Nebenbuhlers zu stören, kletterte er so gut es ging auf das Paar zu. Welche Freude, als er Henry neben seiner Cousine erkannte! Dieser räumte ihm als gutherziger, selbstloser Genoß seinen Platz ein und entfernte sich sogar, um die Pferde in Obhut zu nehmen.

Nichts ist so feierlich, so herrlich, als das Tosen des Ungewitters im Gebirge. Die mächtige Stimme des Donners verdoppelt sich und wiederhallt in der Tiefe der Schlünde, über die er hinwegrollt, und der Wind, der die weiten Tannenwälder peitscht und an den Fels drückt wie ein Gewand an den Körper des Menschen, verfängt sich in den Schluchten und stößt dort tiefe Klagelaute aus, so schrill und langgezogen wie Seufzer. Lavinia, in den Anblick des imposanten Schauspiels versunken, lauschte auf das Rollen in den erschütterten Bergen und harrte auf einen neuen Blitzstrahl, der sein bläuliches Licht über die Landschaft ergösse. Als er ihr Lionel ihr zur Seite an der Stelle, die soeben noch Henry eingenommen hatte, zeigte, fuhr sie zusammen. Lionel glaubte, das Gewitter erschrecke sie und ergriff ihre Hand, um sie zu beruhigen. Ein neuer Blitz zeigte ihm Lavinia mit auf das Knie gestütztem Ellenbogen und in die Hand gesenktem Kinn, wie sie mit begeistertem Blick den grimmen Kampf der in Aufruhr gerathenen Elemente überschaute. »O, wie schön ist das!« rief sie ihm zu, »wie feurig und doch so sanft ist dieser bläuliche Wetterstrahl! Haben Sie die Felszacken gesehen, strahlend wie Saphire, und den blauschimmernden Hintergrund, auf dem die schneebedeckten Gipfel sich wie riesige Gespenster in ihren Leichentüchern abheben? Haben Sie auch bemerkt, wie bei diesem schnellen Wechsel von Licht und Dunkel alles sich zu bewegen und zu regen scheint, als ob die Berge wankten und zusammenstürzen wollten?«

»›Ich sehe hier nur Sie, Lavinia‹« erwiderte er ihr ungestüm, »›ich höre nur Ihre Stimme, athme nur Ihren Hauch, empfinde nichts anderes als Ihre Nähe. Wissen Sie, daß ich Sie wahnsinnig liebe? Ja, Sie wissen es! Sie haben es heute wol bemerkt, haben es vielleicht gewollt – triumphiren Sie, wenn dem so ist! Die Stirn im Staube, liege ich zu Ihren Füßen und bitte Sie um Verzeihung, um Vergessen des Vergangenen. Ja, ich fordere die Zukunft von Ihnen, fordere sie mit aller Leidenschaft, und Sie müssen sie mir gewähren, Lavinia! Denn glühend sehne ich mich nach Ihnen, ich habe Rechte auf Sie‹« – –

»Rechte?« entgegnete Lavinia und zog ihre Hand zurück.

»›Ist das nicht ein Recht, ein furchtbares Recht, das Böse, das ich dir angethan, Lavinia? Und da du es mir zugestandest, um dein Leben zu zerstören – darfst du es mir jetzt entziehen, wo ich wieder gut machen und mein Verbrechen sühnen will?‹«

Man weiß, was ein Mann in solchem Falle alles sagen kann. Lionel war beredter, als ich es an seiner Stelle sein könnte. Er hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, und da er bezweifelte, Lady Blake's Widerstand auf andere Weise zu überwinden und wohl sah, daß er, wenn er hinter den Liebesbeweisen seines Rivalen zurückblieb, diesem einen zu greifbaren Vortheil einräume, so erhob er sich zu gleicher Selbstverläugnung: er bot Lady Lavinia seinen Namen und sein Vermögen.

»Woran denken Sie!« sagte diese ergriffen. »Sie würden auf Miß Ellis verzichten, jetzt, da sie mit Ihnen verlobt, da der Hochzeitstag bestimmt ist?«

»›Ich werde es thun‹« entgegnete er. »›Ich werde eine That begehen, die die Welt schmählich und strafbar finden wird. Vielleicht muß ich sie mit meinem Blute sühnen, aber ich bin zu allem bereit, um Sie zu erringen. Denn die größte Schuld meines Lebens ist die, daß ich Sie verkannt habe, und meine erste Pflicht ist, zu Ihnen zurückzukehren. O reden Sie, Lavinia! Geben Sie mir das Glück zurück, das ich mit Ihnen verlor! Heute werde ich es zu schätzen und zu erhalten wissen. Denn auch ich bin verändert: ich bin nicht mehr der ehrgeizige, ruhelose Mann, den die unbekannte Zukunft mit trügerischen Bildern quälte. Heute kenne ich das Leben und weiß, was die Welt mit ihrem falschen Glanze werth ist. Ich weiß, daß keiner meiner Triumphe einen Ihrer Blicke aufwiegt. Stets floh mich das Trugbild des Glücks, das ich verfolgte, bis zu dem Tage, wo es mich zu Ihnen zurückbringt. O, Lavinia, kehre auch du zu mir zurück! Wer wird dich lieben wie ich? Wer wird wie ich die Größe, die Nachsicht, die Güte deiner Seele erkennen?‹«

Lavinia schwieg, aber ihr Herz pochte so heftig, daß Lionel es bemerkte. Ihre Hand zitterte in der seinen, und Sie versuchte nicht, sie zurückzuziehen, ebensowenig als eine Flechte ihres Haares, die der Wind gelöst hatte, und die Lionel mit Küssen bedeckte. Sie fühlten den Regen nicht, der in großen, vereinzelten Tropfen herabfiel. Der Wind hatte sich gelegt, der Himmel klärte sich etwas auf, und der Graf von Morangy kam zu Ihnen, so schnell sein hinkendes, hufeisenberaubtes Pferd, das ihn beim Sturze gegen einen Felsblock beinahe getödtet hätte, es erlaubte.

Lavinia bemerkte ihn endlich und entriß sich heftig Lionels leidenschaftlichem Feuer. Dieser, wüthend über den widrigen Zufall, aber voll Hoffnung und Liebe, half ihr wieder aufs Pferd und begleitete sie bis an die Thür ihres Hauses. Dort sagte sie mit gesenkter Stimme: »Lionel, Sie haben mir Anerbietungen gemacht, deren ganzen Werth ich fühle. Ich kann darauf nicht antworten, ohne reiflich überlegt zu haben« – –

»O Gott! Dieselbe Antwort gaben Sie Herrn von Morangy!‹«

»Nein, nein, nicht dieselbe,« antwortete sie bewegt. »Doch Ihre Anwesenheit könnte zu lächerlichen Gerüchten Anlaß geben. Wenn Sie mich wirklich lieben, Lionel, werden Sie mir Gehorsam schwören.«

»›Ich schwöre bei Gott und Ihnen!‹«

»Gut denn! Reiten Sie sofort ab und kehren Sie nach Bagnères zurück. Ich meinerseits schwöre Ihnen, daß Sie binnen achtundvierzig Stunden meine Antwort empfangen werden.«

»›Aber großer Gott, was soll ich während dieser Ewigkeit beginnen?‹«

»Hoffen Sie!« sagte Lavinia und schloß hastig die Thür hinter sich, als ob sie zuviel zu sagen fürchte.

Lionel hoffte in der That. Das Wort Lavinia's und die Argumente seiner Eitelkeit waren ihm Grund genug.

»Sie thun Unrecht, die Partie aufzugeben,« sagte Henry unterwegs. »Lavinia fing an, weich zu werden. Auf Ehre, bei dieser Gelegenheit sind Sie mir unbegreiflich, Lionel. Wenn es nicht etwa blos geschehen ist, um nicht Morangy im Besitz des Schlachtfeldes zu lassen – – – Ha! Sie sind verliebter in Miß Ellis, als ich dachte!«

Lionel war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als daß er auf diese Worte geachtet hätte. Die von Lavinia ihm bestimmte Zeit verbrachte er auf seinem verschlossenen Zimmer, ließ sich für krank halten und geruhte nicht einmal, Sir Henry zu enttäuschen, der sich in Vermuthungen über dies Benehmen verlor. Endlich traf der Brief ein. Hier ist er:

»Weder der eine noch der andere! Wenn Sie diesen Brief empfangen, wenn Herr von Morangy, den ich nach Tarbes geschickt habe, dort meine Antwort erhält, werde ich weit von Ihnen beiden entfernt sein. Ich werde abreisen, abreisen für immer, auf ewig für Sie und für ihn verloren.

»Sie bieten mir Namen, Stand, Vermögen, Sie glauben, eine glänzende Stellung in der Welt sei eine große Versuchung für eine Frau. O nein, nicht für die, die es kennt und verachtet, wie ich es thue. Aber deuten Sie deshalb nicht, Lionel, daß ich das Anerbieten, das Sie mir gemacht, eine glänzende Heirath aufzugeben und sich für immer an mich zu fesseln, geringschätze.

»Sie haben eingesehen, wie schwer es die Eigenliebe einer Frau trifft, verlassen zu werden, haben erkannt, wie ehrenvoll es für sie ist, einen Treulosen wieder zu ihren Füßen zurückzuführen, und wollten mich durch diesen Triumph für alles, was ich gelitten, entschädigen. Auch schenke ich Ihnen meine ganze Achtung und würde Ihnen jetzt das Vergangene verzeihen, wenn es nicht schon längst geschehen wäre.

»Aber erkennen Sie, Lionel, daß es nicht in Ihrer Gewalt liegt, das Unheil wieder gut zu machen. Das steht in keines Menschen Macht! Der Schlag, den ich empfing, ist tödtlich. Für immer hat er die Fähigkeit, zu lieben, in mir vernichtet. Er hat die Flamme der Jugendträume ausgelöscht, das Leben erscheint mir in trübem, düstern Licht.

»Doch ich klage das Geschick nicht an: es mußte so kommen, früher oder später. Wir leben alle, um zu altern und jede unserer Freuden durch die Enttäuschung zerstört zu sehen. Es ist wahr, ich bin jung enttäuscht worden, und das Bedürfniß, zu lieben, hat lange die Fähigkeit, zu glauben, überlebt. Lange und oft habe ich gegen meine Jugend wie gegen einen erbitterten Feind gekämpft – immer ist es mir gelungen, ihn zu besiegen.

»Und glauben Sie, dieser letzte Kampf gegen Sie, dieser Widerstand gegen die Anerbietungen, die Sie mir machen, sei nicht recht hart und schwer? Jetzt, da die Flucht mich vor der Gefahr einer Niederlage schützt, jetzt kann ich es sagen: ich liebe Sie noch immer, ich fühle es. Das Bild des ersten Mannes, den man geliebt, verwischt sich nie gänzlich. Es scheint verschwunden, man schlummert ein und vergißt die Leiden, die man erduldet – aber das Götzenbild der Vergangenheit steige herauf, das alte Idol erscheine wieder, und wir sind von neuem bereit, vor ihm das Knie zu beugen. Flieh', entweiche, Phantom und Traum! Du bist nur ein Schemen, wenn ich dir zu folgen wagte, würdest du mich wieder zwischen die Klippen locken und mich dort todesmatt und gebrochen verlassen. Entweiche, ich glaube nicht mehr an dich! – Ich weiß, Lionel, daß Sie die Zukunft nicht in der Gewalt haben, und daß, wenn heute Ihr Mund wahrhaftig ist, die Schwachheit Ihres Herzens ihn zwingt, morgen zu lügen.

»Doch warum sollte ich Sie anklagen, daß Sie so sind? Sind wir nicht alle schwach und unbeständig? War ich selbst nicht ruhig und kalt, als ich gestern mit Ihnen zusammentraf? war ich nicht überzeugt, ich könnte Sie nicht lieben? Hatte ich nicht die Bewerbung des Grafen von Morangy ermuthigt? – Und habe ich nicht am Abend, als Sie neben mir auf dem Felsen saßen, als Sie unter Sturm und Regen so leidenschaftlich zu mir sprachen, habe ich da nicht empfunden, wie meine Seele zerfloß und weich ward? O, wenn ich daran denke – – das war Ihre Stimme aus den verflossenen Zeiten, das Ihre Leidenschaft aus den alten Tagen, das waren Sie ganz, Sie, meine erste Liebe, meine Jugend, die ich auf einmal wiederfand!

»Und jetzt nun, da ich ruhig bin, fühle ich mich zum Sterben traurig. Denn ich erwache und erinnere mich, im Dunkel des Lebens einen lichten Traum gehabt zu haben.

»Adieu, Lionel. Wenn Ihr Verlangen, mich zu heiraten, wie ich vermuthe, bis zum Augenblick der Verwirklichung probehaltig gewesen wäre (und vielleicht schon jetzt empfinden Sie, daß ich wol im Rechte sein mag, indem ich Sie abweise), wären Sie unter dem Druck einer solchen Verbindung unglücklich gewesen. Sie würden gesehen haben, wie die Welt, die immer undankbar und mit dem Lob für unsere guten Thaten geizig ist, die Ihre als eine Pflichterfüllung betrachtet und Ihnen den Triumph, den Sie vielleicht davon erwarteten, verweigert haben würde. Sie würden alsdann, da Sie die Bewunderung, auf die Sie rechneten, nicht erlangten, Ihre Selbstzufriedenheit eingebüßt haben. Wer weiß! ich selbst vielleicht hätte das Schöne Ihrer Rückkehr gar zu bald vergessen und Ihre neuerstandene Liebe wie eine Genugthuung angenommen, die Sie Ihrer Ehre schuldig waren. Nein, beflecken wir diese liebestrunkne, trauliche Stunde nicht, die wir an jenem Abend genossen – bewahren wir die Erinnerung daran, aber suchen wir Sie nicht zu erneuern.

»In Betreff des Grafen von Morangy hegen Sie keine selbstsüchtige Befürchtung: ich habe ihn nie geliebt. Er ist einer jener Unfähigen, die (selbst mit meiner Hilfe nicht!) mein todtes Herz nicht zum Pochen bringen konnten. Ich möchte ihn keineswegs zum Gatten. Ein Mann von seinem Range verkauft den Schutz, den er gewährt, stets zu theuer: er läßt es fühlen! Und dann hasse ich die Heirath, hasse alle Männer, alle dauernden Verbindungen, die Schwüre, die Projecte, die durch Contracte und Verträge im Voraus geordnete Zukunft, über die das Schicksal stets sich lustig macht. Ich liebe nur noch das Reisen, das Träumen, die Einsamkeit, den Lärm der Welt, um sie zu durchstreifen und darüber zu lachen, dann die Poesie, um die Vergangenheit zu ertragen, und Gott, um auf die Zukunft zu hoffen.«

Sir Lionel Bridgemont empfand zuerst eine tiefe Demüthigung seiner Eigenliebe. Denn zum Troste des Lesers, der zuviel Theilnahme für ihn hegen möchte, muß gesagt werden, daß er in den achtundvierzig Stunden sehr viel Reflexionen angestellt hatte. Zuerst wollte er zu Pferde steigen, Lady Blake folgen, ihren Widerstand besiegen und über ihre kalte Vernunft triumphiren. Doch dann bedachte er, daß sie fest bei ihrer Weigerung beharren, Miß Ellis aber während dieser Zeit sich durch sein Benehmen beleidigt fühlen und die Verbindung mit ihm zurückweisen könne – – Er blieb.

»Frisch auf!« sagte Henry am nächsten Tage zu ihm, als er ihn Miß Margarets Hand küssen sah, ein Versöhnungszeichen, das sie ihm erst nach einem ziemlich lebhaften Streit wegen seiner Abwesenheit gewährte, »frisch auf, im nächsten Jahre haben wir einen Sitz im Parlamente.«


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