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Anhang

Beispiel einer Katechese

Exempel der gewöhnlichen katechetischen Methode

»Wir sind, mein lieber Fritz, stehengeblieben bei der Gefälligkeit. Was ist denn die Gefälligkeit?«

Fritz stockt.

Lehrer: »Besinne dich doch! Was ist denn die Gefälligkeit?«

Fritz: »Wenn man gefällig ist.«

L.: »Recht, wenn man gefällig ist. Wenn man gefällig ist, da hat man die Gefälligkeit. Aber was ist denn die Gefälligkeit selbst? Es ist eine Bemühung –«

Fr.: »Es ist eine Bemühung –«

L.: »Sich in allen billigen Dingen –«

Fr.: »Sich in allen billigen Dingen –«

L.: »Es ist eine Bemühung, sich in allen billigen Dingen nach anderer Willen zu richten. Was ist also die Gefälligkeit?«

Fr.: »Es ist eine Bemühung, sich in allen Dingen –«

L.: »Nicht in allen Dingen, in allen billigen Dingen nach anderer Menschen Willen zu richten. Noch einmal. Was ist die Gefälligkeit?«

Fr.: »Sie ist eine Bemühung ...«

L.: »Nach wessen seinem Willen muß man sich also richten?«

Fr.: »Nach anderer Menschen Willen.«

L.: »In allen Dingen?«

Fr.: »Nein, in billigen Dingen.«

L.: »Hat man Nutzen davon?«

Fr.: »Ja.«

L.: »Erwirbt man sich dadurch Freunde?«

Fr.: »Ja.«

L.: »Siehe also, was Gefälligkeit für eine schöne Tugend ist!«

Exempel der anderen Methode

L.: »Ei, wie so freundlich, mein Fritz? Es hat gewiß ein klein Geschenk gegeben.«

Fr.: »Nein, wirklich nicht.«

L.: »Nun, da ist doch wenigstens ein Sommervogel ausgekrochen. Ja. ja! ich denke, ich habe es erraten.«

Fr.: »Ein Sommervogel? gewiß nicht, die Püppchen liegen noch alle in guter Ruhe.«

L.: »Da möchte ich doch wirklich wissen, warum Fritz so vergnügt ist.«

Fr.: »Ich will es Ihnen nur sagen; die Mutter hat mir erlaubt, diesen Abend bei Karln zu gehen.«

L.: »Drum! ich dachte ja wohl, daß es so etwas sein müßte. Aber warum kommt denn Karl nicht zu dir? Du bist ja erst vor kurzem bei ihm gewesen.«

Fr.: »Ja, er ist unpäßlich. Er darf nicht ausgehen.«

L.: »Unpäßlich? der arme Karl! wenn er nur nicht etwa gar stirbt.«

Fr.: »Warum denn nicht gar? Karl wird auch nicht sterben.«

L.: »Der kleine Ludewig ist doch auch gestorben, das weißt du ja.«

Fr.: »Ah! Machen Sie mir doch nicht Angst!«

L.: »Ich will dir gar nicht Angst machen. Aber wenn nun Karl stürbe, was wolltest du wohl anfangen?«

Fr.: »Er wird auch nicht sterben.«

L.: »Wir wollen es nicht hoffen. Wenn er aber stürbe?«

Fr.: »Da gäbe ich mich in meinem Leben nicht zufrieden.«

L.: »Da würdest du wohl den ganzen Tag auf deiner Stube bleiben?«

Fr.: »Das wäre mir unmöglich, da müßte ich bei den kleinen Alexander gehen.«

(Das war der Satz, den ich haben wollte: der Mensch kann ohne Freund nicht recht glücklich sein.)

L.: »Nun, da würdest du Karl bald vergessen.«

Fr.: »In meinem Leben nicht.«

L.: »Alexander ist doch ein guter Knabe.«

Fr.: »Das ist wahr. Aber – Karl! Karl! In der ganzen Welt gefällt es mir nicht so wie bei ihm.«

L.: »Da möchte ich doch nur wissen, warum es dir bei Karl ebenso gefiele.«

Fr.: »Ja, Karl hat hübsche Spielsachen. Wenn Sie es nur sehen sollten! Eine ganze Schachtel voll bleierne Soldaten – ein Damenbrett – eine Armbrust – ein –«

L.: »Der arme Alexander! warum kauft ihm doch sein Vater nicht auch solches Spielwerk?«

Fr.: »Er hat des Zeuges genug. Er hat noch mehr als Karl.«

L.: »Da hast du also Karl wohl seines Spielwerkes wegen nicht lieb?«

Fr.: »Freilich.«

L.: »Und warum hängst du denn so an ihm?«

Fr.: »Ich weiß es selber nicht. Vielleicht, weil er mir allemal etwas Gutes vorsetzt.«

L.: »Das tut aber Alexander wohl auch?«

Fr.: »Das ist wahr. Er brachte mir letzthin einen ganzen Teller voll Feigen. So etwas Delikates habe ich bei Karl nicht bekommen.«

L.: »Und bist ihm doch so gut?«

Fr.: »Ach, es ist ein gar guter Junge. Wenn ich zu ihm komme, so läuft er mir entgegen und fragt: Nun, mein lieber Fritze, was wollen wir denn spielen? im Damenbrette? kegeln? nach dem Vogel schießen? sag nur, was du am liebsten spielst!«

L.: »Tut denn das Alexander nicht?«

Fr.: »Ach der! der will, ich soll allemal mit ihm im Damenbrette spielen. Und wenn ich das nicht tue, so hängt er das Maul.«

(Nun sind wir auf den Fleck gekommen.)

L.: »Nach wessen Willen richtet sich Karl, nach seinem oder deinem Willen?«

Fr.: »Nach meinem Willen.«

L.: »Wann macht man sich also beliebt, wenn man seinem eigenen Kopfe in allen Stücken folgt, oder wenn man sich nach anderer Willen richtet?«

Fr.: »Wenn man sich nach anderer Willen richtet.«

(Wieder ein Satz.)

L.: »Das ist Gefälligkeit, mein lieber Fritze, wenn man sich bemüht, sich nach anderer Willen zu richten. Ist das nun wohl etwas Gutes?«

Fr.: »Ei freilich.«

L.: »Wozu nützt es denn?«

Fr.: »Man macht sich dadurch bei anderen beliebt.«

(Wieder einen Schritt näher!)

L.: »Also wird sich Fritz künftig wohl bemühen, sich nach anderer Willen zu richten?«

Fr.: »Ja, das will ich wirklich tun.«

L.: »Aber, wie kam es denn, daß Alexander ohnlängst so böse von dir ging?«

Fr.: »Ei, er wollte mich bereden, ich sollte von meiner Mutter Weinstöcken Trauben abschneiden und ihm geben, das wollte ich nicht tun.«

L.: »Und gestern war er ja auch mißvergnügt.«

Fr.: »Freilich! denken Sie nur, er verlangte, ich sollte ihm den kleinen Atlas schenken, den mir meine Mutter gekauft hat.«

L.: »Und warum hast du ihm denn nicht ein paar Trauben abgeschnitten?«

Fr.: »Das wäre ja unrecht gewesen. Da hätte ich ja gestohlen.«

L.: »Aber den Atlas hättest du ihm ja geben können. Der gehörte dir ja zu.«

Fr.: »Woraus hätte ich denn die Geographie lernen sollen?«

L.: »Du hast recht getan. Worin muß man sich denn also nach anderer Willen richten? In billigen oder unbilligen Dingen?«

Fr.: »In billigen Dingen.«

*

Noch einige Fragen – und Fritze hat auch den Begriff von Billigkeit. Ich breche aber hier ab, um des Raumes zu schonen, und überlasse es jedem prüfenden Leser zur eigenen Überlegung, welche von beiden Methoden den Vorzug habe.

Aber von dieser Methode Gebrauch zu machen, ist mit vielen Schwierigkeiten verknüpft. Und dies ist wohl die Ursache, warum man bei dem Unterrichte in Schulen so wenige Spuren davon bemerkt.

Ich fühle mich zu schwach, alle die Schwierigkeiten wegzuräumen; aber doch wage ich es, einige Vorschläge zu tun, die dieselben wenigstens vermindern können.

1. Der Lehrer muß notwendig die Kunst besitzen, sich das völlige Zutrauen seiner Lehrlinge zu erwerben ... Er muß es so weit zu bringen suchen, daß die Kinder mit ihm von ihren bleiernen Soldaten, ihren Kegeln, Damenbrette, Armbrust u. dgl. sich ebenso offenherzig wie mit ihresgleichen besprechen.

2. Man muß sich an die Kindersprache gewöhnen und nach und nach lernen, sich über die wichtigsten Gegenstände ebenso sinnlich wie über ein Geschäft, das aus dem Kreise der kindlichen Wirksamkeit herausgenommen ist, zu besprechen.

3. Man muß das große Talent sich zu erwerben suchen, mit seinen Gedanken immer gegenwärtig zu sein, so, daß man seinen Plan, nach dem man handeln will, immer übersehen, immer neue Vorteile, den verlangten Satz abzulocken, erfinden und jede erteilte Antwort benutzen kann. Wer dieses Talent sich nicht erwerben kann und mit seinen Gedanken immer auswärts ist, der kann ein würdiger brauchbarer Mann, kann ein Genie sein, aber zum sokratischen Unterrichte hat er keine Fähigkeit.

4. Man darf nie ohne Vorbereitung in den Kreis seiner Lehrlinge treten. Man muß zuvor den Plan entwerfen, nach dem man ihnen beikommen will. Man muß sich mit ihrer ganzen Lage, mit ihrer ganzen Geschichte wohl bekannt machen, um in derselben immer den Stoff zur Unterredung zu finden. Denn wenn der Lehrmeister mit Fritzens Zuneigung gegen Karl unbekannt ist, wenn er Karls Charakter nicht kennt, so kann er unmöglich mit Fritzen das vorhin gesetzte Gespräch anstellen.

5. Vorzüglich muß man erst in seinen Gedanken den Punkt festsetzen, von dem man ausgehen und das Gespräch anfangen will. In voriger Unterredung nahm der Lehrer von dem Abendbesuche, den sein Zögling abstatten sollte, Gelegenheit, ein Gespräch anzufangen. Ein aufmerksamer Lehrer kann immer ähnliche Begebenheiten finden, von welchen er zur Unterredung Veranlassung nimmt und den Schüler dahin bringt, wohin er ihn haben will. Eine merkwürdige Begebenheit, die sich in der Stadt zugetragen hat, ein neuer Auftritt in der Natur, ein kleiner Vorfall, der sich bei einem seiner Schüler zugetragen hat, eine Geschichte, die ihm wie von ungefähr beifällt, ein biblischer Spruch – dies sind ja lauter Dinge, die benutzt werden und zu vertrauten Unterredungen reichen Stoff geben können.

6. Man muß lernen, auch die ungeschickteste Antwort zu benutzen und durch Vorlegung neuer Fragen dem Kinde zur Erkenntnis seines Irrtums zu verhelfen. Denn wenn man bei jeder ungeschicklichen Antwort dem Kinde bittere Verweise gibt, so wird es scheu und redet nicht mehr nach seiner Empfindung.


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