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Was muß ein Erzieher lernen?

Es ist ein Lieblingssatz der neueren Erzieher, daß die Erziehung des Kindes mit seiner Geburt anfangen müsse, und ich stimme demselben von ganzem Herzen bei. Schriebe ich nun jetzt über die Erziehung der Kinder, so müßte ich zeigen, wie Eltern, Kinderwärterinnen und alle Personen, in deren Händen sich das Kind in seinen ersten Lebensjahren befindet, sich gegen dasselbe in diesem Zeiträume verhalten müßten. Da ich aber bei Ausfertigung dieser Schrift die Erziehung der Erzieher zum Gegenstande habe, wodurch man nach dem Sprachgebrauche Personen versteht, die von den Eltern verschieden sind, und die gewöhnlich das Kind dann erst unter ihre Aufsicht bekommen, wenn es schon gehen, sprechen, sich Vorstellungen von Gegenständen der Sinnenwelt machen und darüber urteilen kann, so würde es mich zu weit von meinem Zwecke abführen, wenn ich mich auf die Behandlungsart der Kinder in ihren ersten Lebensjahren einlassen wollte.

Jetzt untersuche ich also nur, was die Person für die Erziehung des Kindes zu tun habe, welche es aus dem Schoße der Familie zur ferneren Ausbildung erhält.

Das Lebensjahr, in welchem dieses geschieht, ist bekanntlich nicht allgemein bestimmt. Mancher Erzieher erhält seine Zöglinge im fünften oder sechsten Jahre, die meisten erhalten sie später.

Hier nehme ich an, der Erzieher trete sein Amt bei fünfjährigen Zöglingen an. Da fragt es sich nun, was hat er von diesem Zeitpunkte an bei ihnen zu tun, und was muß er in dieser Rücksicht lernen?

Die Kräfte des Leibes und unter diesen vorzüglich diejenigen, deren Tätigkeit zur Erhaltung und Nahrung desselben am nötigsten sind, entwickeln sich bei den Kindern zuerst. Folglich muß der Erzieher auch verstehen, wie er die Wirksamkeit derselben oder die Gesundheit des Leibes erhalten soll.

Der Erzieher muß also verstehen, wie er seine Zöglinge gesund erhalte, wie er es verhüte, daß sie krank werden, und wie ihnen zu helfen sei, wenn da und dort in der Maschine eine Stockung entsteht; und nur bei außerordentlichen Fällen, da seine Einsichten ihn verlassen, muß er zum Arzte seine Zuflucht nehmen.

Außer den körperlichen Kräften muß nun auch der Sinnlichkeit, dem Gedächtnisse, der Einbildungskraft und dem Verstande Übung verschafft werden.

Woran sollen diese Übungen geschehen? An Gegenständen, die in die Sinne fallen. Diese müssen in großer Mannigfaltigkeit herbeigeschafft und den Kindern zur Betrachtung vorgestellt werden. Wo diese bei sechs- bis achtjährigen Kindern fehlen, da ist keine Erziehung, weil nichts da ist, woran sie ihre sich regenden Kräfte üben können. Und welches sollen diese sinnlichen Gegenstände sein? Dies müssen uns die Kinder selbst lehren. Wir müssen ihnen ablernen, welche Gegenstände am meisten geeignet sind, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wenn man ihnen dann dieselben vorzeigt, so hat man nicht nötig, sie immer zu ermahnen: gebt Achtung, liebe Kinder! Sie fühlen in sich selbst Drang zum Beobachten. Sie tun das, worauf ihr Erzieher hinarbeiten muß – sie erziehen sich selbst.

Da hat mich nun eine lange Erfahrung gelehrt, daß nichts die Aufmerksamkeit der Kinder so früh auf sich ziehe als – Tiere. Wer daran zweifelt, der beobachte die Kinder selbst, und er wird das nämliche wahrnehmen. Ihre Augen sind selten auf ihren Leib, gewöhnlich auf die Gegenstände gerichtet, mit welchen sie umgeben sind. Bringt man nun einen Sperling, eine Maus, einen Fisch oder ein anderes Tier in das Zimmer, so sehen sie von allen anderen Dingen weg und – blicken auf die Tiere. Selbst wenn man ihnen ein Bilderbuch vorlegt, so verweilen sie am längsten bei den Bildern, auf welchen Tiere vorgestellt sind. Dadurch fordern sie laut: wollt ihr die Kräfte, die sich jetzt bei uns äußern, üben, so zeigt uns Tiere!

Man fängt auch wirklich hier und da an, auf diese Forderung Rücksicht zu nehmen und die Naturgeschichte, die ehedem der Jugend ganz fremd blieb, in Schulen und Erziehungshäusern zu lehren, aber – meistenteils ganz zwecklos.

Man hält Vorlesungen über ein System der Naturgeschichte, ohne von den Erzeugnissen der Natur etwas vorzuzeigen, glaubt dadurch die Forderungen der jugendlichen Natur zu erfüllen und irrt sich.

Das Kind will seine Kräfte üben an sinnlichen Gegenständen; wie kann es dies, wenn ihm keine vorgezeigt werden? Naturgeschichte soll gelehrt werden, nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Jugend Gelegenheit zu schaffen, an der Natur verschiedene Kräfte zu üben. Dies fällt ja alles bei den naturhistorischen Vorlesungen weg. Da verhält ja das Kind sich bloß leidend und läßt den Lehrer für sich beobachten und urteilen.

Sollen die jugendlichen Kräfte an der Natur geübt werden, so müssen die Erzeugnisse derselben ihnen nach und nach zur Betrachtung vorgestellt werden, und zwar eins auf einmal, damit die Aufmerksamkeit sich besser auf dasselbe heften kann, und zwar anfänglich – ein Tier. Das Tier muß nun genau betrachtet werden nach seinen verschiedenen Teilen, ihrer Form, ihrer Farbe, ihrer Absicht; es muß nun mit einem anderen verglichen und bemerkt werden, was es mit ihm gemein habe und wodurch es von ihm unterschieden sei, es muß den Augen bisweilen entzogen und von dem Kinde beschrieben werden. Was durch die eigene Beobachtung nicht gefunden werden kann, z.B. die Nahrung, die Lebensart, der Nutzen, den es dem Ganzen schaffe, das setzt der Lehrer durch seine Erzählung hinzu.

Ich stelle z.B. zur Betrachtung einen Kanarienvogel auf. Wieviel gibt es da zu betrachten!

Ich kann die Betrachtung nun auf zweierlei Art anstellen: erstlich, indem ich meinen Kleinen vorerzähle, was ich an dem Vogel bemerke; zweitens, indem ich sie reize, denselben selbst zu betrachten. Im ersten Falle übe ich meine, im zweiten der Kinder Kräfte. Da nun nicht jenes, sondern dieses bei der Erziehung der Kinder Zweck sein soll, so muß ich sie zur eignen Betrachtung zu reizen suchen, wenn ich nicht zweckwidrig handeln will. Dies würde ungefähr auf folgende Art geschehen:

Wie heißt das Tierchen?
Warum ein Vogel?
Warum Kanarienvogel?
Welches sind seine Gliedmaßen?
Was hat er vorne am Kopfe?
Aus wie vielen Teilen besteht der Schnabel?
Was hat der Oberkiefer für eine Form?
Was steht an beiden Seiten des Oberkiefers?
Was haben die Nasenlöcher für eine Form?
Was hat der Unterkiefer für eine Form?
Welcher Kiefer ist beweglich?
Welcher unbeweglich?
Wozu braucht der Kanarienvogel seinen Schnabel?
Haben alle Kanarienvögel Schnäbel?
Ist also der Schnabel ein wesentlicher oder ein zufälliger Teil?
Was steht an beiden Seiten des Kopfes?
Wozu nützen die Augen?
Was steht über den Augen?
Wozu nützen die Augenlider?
Warum schließt dieser Vogel bisweilen die Augenlider?
Womit ist der Kopf bedeckt?
Warum?
Was haben die Federn für eine Farbe?
Haben sie diese Farbe bei allen Kanarienvögeln?
Ist diese Farbe also wesentlich oder zufällig?
Worauf steht der Kopf?

Was kann der Vogel mit dem Halse tun?
Wie heißt der obere Teil des Halses?
Und der untere?
Wie heißen die beiden Gliedmaßen an den zwei Seiten des Körpers?
Aus wieviel Teilen besteht der Flügel?
Wie heißen die Federn, mit denen die Flügel bedeckt sind?
Wie heißen die Federn an der Seite?
Welche Federn sind länger?
Aus wieviel Teilen besteht eine Schwungfeder?
Wozu braucht der Vogel die Flügel?
Wie heißen die Gliedmaßen unten am Körper?
Aus wie vielen Teilen bestehen sie?
Warum bestehen sie denn aus mehreren Teilen?
Wie heißt der obere Teil, der unmittelbar am Körper sitzt?
Wie der mittlere?
Wie der untere?
Was steht an dem untern?
Womit sind die Lenden und Schenkel bedeckt?
Womit die Beine und Zehen?
Wieviel stehen Zehen an jedem Beine?
Wieviel an beiden?
Wieviel Zehen haben zehn Kanarienvögel?
Wieviel hundert?
Sind alle Zehen gleich lang?
Welches ist der längste?
Welches der kürzeste?
Wie viele Gelenke hat jede Zehe?
Warum haben die Zehen Gelenke?
Was steht vorne an den Zehen?
Wie heißt der Teil des Vogels, an welchem alle Gliedmaßen stehen?
Wie heißt der obere Teil?
Wie der untere?
Wie heißt der Vorderteil des untern Teils?
Was für eine Farbe hat der Rücken?
Und die Brust?
Und der Bauch?
Wie heißen die Federn hinten am Rumpfe?
Wieviel sind es Schwanzfedern?
Wie heißen hier diese Federn über den Schwanzfedern?
Und diejenigen, die unter den Schwanzfedern sind?
Was ist das für eine fleischige Erhöhung über den Schwanzfedern?
Wozu nützt die Fettdrüse?

Jetzt drehe dich um, Adolf, und beschreibe mir den Kanarienvogel!

Was für ein Tier betrachteten wir gestern?

Nenne mir jeder etwas, was der Kanarienvogel mit dem Frosche gemein hat!

Nenne mir jeder etwas, wodurch der Kanarienvogel von dem Frosche unterschieden ist!

Dies ist nur ein Wink, wie der Unterricht über Gegenstände aus dem Tierreiche kann angestellt und zur Übung jugendlicher Kräfte angewendet werden. Wer ihn versteht, wird die Fragen leicht noch mehr vervielfältigen können.

Es kann z. B. den Kindern noch vieles abgefragt werden, was sie von dem Vaterlande, der Nahrung, der Pflege, dem Nutzen und dem Handel wissen, der mit Kanarienvögeln getrieben wird; was die Kinder nicht wissen, wird von dem Lehrer hinzugesetzt.

Kann es nun wohl eine bessere Übung der jugendlichen Kräfte geben als Betrachtung der Gegenstände aus dem Tierreiche? Sie hat für die Kleinen so vielen Reiz und gewöhnt sie daher leicht, ihre Aufmerksamkeit auf eine Sache eine Zeitlang zu heften; sie gewöhnt das Auge, die Dinge nicht obenhin, sondern genau anzusehen, und ein so geübtes Auge bemerkt tausend kleine Merkmale, die dem ungeübten Auge verborgen sind; die Sinnlichkeit übt sich, von den empfundenen Sachen sich richtige Vorstellungen zu machen; das Gedächtnis wird durch Auffassung der mannigfaltigen Benennungen der verschiedenen Teile des Tieres, und die Einbildungskraft durch Entwerfung eines richtigen Bildes von dem betrachteten Tiere, und der Verstand durch Beurteilung der Absichten eines Tieres und durch Aufsuchung der Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, die zwischen verschiedenen Tieren stattfindet, in Tätigkeit gesetzt.

Dies ist wohl ganz gut, wird man einwenden; aber woher sollen wir Tiere genug nehmen, um täglich eins zum Aufstellen zu haben? Daran wird es, wenn nur der gute Wille da ist, gewiß nicht fehlen. Zwar kann ich nicht voraussetzen, daß jeder Erzieher mit einem Naturalienkabinette versehen sei; aber das große Naturalienkabinett, die Natur, steht ihm doch offen! Wenn er mit seinen Zöglingen in dieser fleißig sucht, so wird er gewiß vieles finden; und wenn er mit einigen Jägern, Hirten, Bauern u. dgl. in Verbindung tritt und sie zu bewegen sucht, die Tiere, die sie in ihre Gewalt bekommen, ihm zur Aufstellung in der Lehrstunde zu leihen, so wird er über den Stoff zu seiner naturhistorischen Lehrstunde nicht dürfen verlegen sein.

Es ist diese Lehrstunde in hiesiger Anstalt gleich in den ersten Jahren ihres Daseins, da wir noch kein Naturalienkabinett hatten, täglich gegeben und täglich ein neues Tier aufgestellt worden.

Also, fragt jemand höhnisch, sollen wir den Ochsen, das Pferd, den Esel in das Lehrzimmer führen und den Kindern zur Betrachtung aufstellen?

Diese Frage verdient keine Antwort, da jeder Vernünftige gleich darauf verfallen wird, daß man die Kinder auch zu den Tieren führen kann, welche ihnen zuzuführen unschicklich sein würde. Man kann sie nach allen ihren Teilen und unterscheidenden Merkmalen betrachten und dann in das Lehrzimmer zurückkehren, um über den betrachteten Gegenstand eine Unterredung anzustellen.

Woher sollen wir aber, fragt man weiter, die ausländischen Tiere bekommen?

Von Zeit zu Zeit werden ausländische Tiere zur Schau herumgeführt, die man dann mit seinen Zöglingen betrachten kann. Dies sind freilich nur wenige; es wird aber nichts schaden, wenn sie auch einen großen Teil derselben nie zu sehen bekommen. Der Zweck des Unterrichts in der Naturgeschichte soll ja bei Kindern nicht die Erlernung derselben sein, sondern – Übung ihrer Kräfte, wozu die naheliegende Natur hinlänglichen Stoff darbietet.

Um sich gegen Mangel desselben ganz zu sichern, muß man mit dem Unterrichte in der Tierkunde den Unterricht in der Pflanzenkunde verbinden und diesen vorzüglich im Sommer, jenen im Winter treiben.

Diese Unterweisung kommt im wesentlichen mit dem Unterrichte in der Tierkunde überein. Der Hauptzweck ist – Kraftübung der Kinder. Das Mittel dazu ist Aufstellung einer Pflanze zum eignen Betrachten derselben.

Würde dieser Unterricht nun in Landschulen gegeben, deren Schüler sich wahrscheinlich in ihrer Gegend ansiedeln werden, so könnte man ja wohl mit den deutschen Benennungen der Pflanzen, die in dieser Gegend gewöhnlich sind, auskommen; erteilt man denselben aber Kindern, welche wahrscheinlich reisen und sich in verschiedenen Ländern niederlassen werden, so ist es besser, sie sogleich zu gewöhnen, die Pflanzen mit den Linnéischen lateinischen Namen zu benennen.

Dies ist für Kinder zu schwer, sagt ihr. Ich sage aber, es ist nicht zu schwer. Sechs- bis achtjährige Kinder, Mädchen sowohl als Knaben, die ein halbes Jahr in meiner Anstalt in der Pflanzenkunde Unterricht erhalten haben, kennen beinahe alle Pflanzen, die in hiesiger Gegend wachsen, wissen sie Linnéisch zu benennen und freuen sich nicht wenig darüber, daß sie es können.

Freilich ist das Behalten der lateinischen und griechischen Benennungen anfänglich etwas schwer, aber eben deswegen ist es eine herrliche Gedächtnisübung. Ein Kind, das ein paar tausend solche Namen gemerkt hat, wird leicht Wörter der Wissenschaften und fremden Sprachen auffassen, zu deren Erlernung es bestimmt ist.

Da die Linnéischen Benennungen von allen europäischen gebildeten Völkern angenommen sind, so ist es denen, die sie gefaßt haben, hernach auch möglich, sich in allen Weltgegenden über die Pflanzenkunde verständlich auszudrücken und, wenn sie in der Folge dieselbe weiter fortsetzen wollten, die Kunstsprache zu verstehen.

Da die Zahl der Pflanzen sehr groß und öftere Wiederholung nötig ist, wenn die Namen derselben behalten werden sollen, so ist es nötig, daß außer der Pflanze, die man in der Lehrstunde zur Betrachtung aufstellt, noch mehrere hingelegt und ihre Namen hergesagt werden.

Man tut wohl, wenn man diesen Unterricht in zwei Kurse einteilt. Im ersten wird der Bau der Pflanze, der sogleich in die Augen fällt, die Wurzel und ihre Form, der Stengel, die Blätter nach ihrer Form, Farbe und ihrem Stande, die Blattansätze, die Gabeln, die Blüten, ihre Form, ihr Stand, Kelch, Blumenkrone, Same, Frucht betrachtet; im zweiten aber wird dies alles wiederholt, und nun werden auch die Befruchtungswerkzeuge untersucht und der Pflanze die Klasse und Ordnung angewiesen, in die sie gehört.

Man wird leicht begreifen, wie unsäglich mannigfaltig die Übungen sind, die den Augen, dem Gefühle, dem Gedächtnisse, der Einbildungskraft und dem Verstande der Kinder bei dieser Gelegenheit können verschafft werden.

Um dies begreiflich zu machen, denke ich mir jetzt eine Klasse von Knaben, welcher im ersten Kursus Unterricht erteilt und welcher Galeopsis ladanum Hohlzahn zur Betrachtung vorgestellt wird:

Wie heißt diese Pflanze? – Galeopsis ladanum.
Was bemerkst du am Stengel? – Er ist holzig.
Ferner? – Gestreift.
Ferner? – Ästig.
Wie stehen die Äste? – Einander gegenüber.
Was steht an den Ästen? – Blätter.
Was für eine Farbe haben sie? – Grün.
Was für eine Form? – Lanzettförmig.
Was bemerkst du noch mehr an den Blättern? – Sie sind gezähnt.
Sonst nichts? – Gestielt.
Wie stehen sie? – Einander gegenüber.
Wie steht's mit den Blüten? – Sie sind rachenförmig.
Wie stehen sie? – Wirtelförmig.
Was bemerkst du an dem Kelche? – Er ist fünfmal gezähnt.
Bemerkst du nichts an den Zähnen? – Sie haben Grannen.

Jetzt drehe dich um und beschreibe mir Galeopsis ladanum! – Galeopsis ladanum hat einen holzigen, gestreiften, ästigen Stengel. Die Äste stehen einander gegenüber. Die Blätter sind grün, lanzettförmig, gezähnt, gestielt, stehen einander gegenüber, die Blüten sind rachenförmig und stehen wirtelförmig; der Kelch ist fünfzähnig, und die Zähne haben Grannen.

Gestern betrachteten wir Atropa Belladonna, Tollkirsche. worin sind beide Pflanzen einander ähnlich? worin unähnlich? usw.

Nun werden die Namen aller Pflanzen, die auf dem Tische liegen, von demjenigen Schüler, der von der Pflanzenkunde die meisten Kenntnisse hat, laut und deutlich ausgesprochen und von der ganzen Versammlung laut nachgesprochen. Ferner wird von dem Lehrer eine Pflanze nach der andern genannt, und die Kinder müssen die genannten heraussuchen. Zur Abwechselung kann man auch einem Kinde leise den Namen einer Pflanze ins Ohr sagen, und die übrigen müssen erraten, welche es gewesen sei. Dadurch werden sie gereizt, die Namen immer zu wiederholen, ohne daß diese einförmige Beschäftigung sie ermüde.

Diese Übungen können noch sehr vervielfältigt werden. Zum Beispiel kann man bisweilen die Kinder auffordern, daß sie die vorgelegte Pflanzenreihe genau ansehen, sich umkehren und dann eine Anzahl in der Ordnung hersagen, wie sie daliegen. Eine herrliche Übung der Einbildungskraft und des Gedächtnisses! Ich habe bisweilen achtjährige Kinder in meiner Anstalt vierzig Pflanzen in der Ordnung, in welcher sie auf dem Tische lagen, mit weggewandtem Gesichte hersagen hören. Oder man kann die ganze Klasse die Hände auf den Rücken legen lassen, jedem Kinde ein Blatt von einer Pflanze darein legen und sie durch das Gefühl erraten lassen, von welcher Pflanze es sei usw.

Im zweiten Kursus können alle diese Übungen wiederholt und nun auch die Befruchtungswerkzeuge, die Merkmale der Klasse und Ordnung, zu welcher die Pflanze gehört, aufgesucht werden. Um die Kinder in der Klassifizierung zu üben, kann man bisweilen den Namen einer Pflanze auf ein Papier schreiben, das Papier umwenden und die Kinder reizen, die Pflanze, deren Namen man aufgeschrieben hat, durch die Klassifizierung zu erraten.

Diese Methode ist höchst einfach, hat für die jungen Leute vielen Reiz und ist eine vortreffliche Verstandesübung.

Welche Freude für Fritz, daß er durch so wenige Fragen aus den vielen hundert Pflanzen, die ihm bekannt sind, diese einzige, deren Namen ich mir niedergeschrieben hatte, sogleich herausfinden konnte.

So wie nun die Betrachtung der Natur und Kunst als Erziehungsmittel gebraucht werden soll, so muß man sich bemühen, allem übrigen Unterrichte eine solche Form zu geben, daß dadurch dieser Zweck befördert, die Kräfte geübt, die Kinder erzogen werden.

Auf ähnliche Art, wie bei Betrachtung der Natur und Kunst, muß auch bei dem übrigen ersten Unterrichte alles zur Anschauung, wo nicht zur äußerlichen, doch zur innerlichen gebracht werden. Bei dem Sprachunterrichte z.B. muß man anfänglich lauter solche Bücher gebrauchen, bei deren Lesung nur Vorstellungen in der jungen Seele erregt werden, die sie entweder selbst durch die Anschauung bekommen hat und sie also leicht wieder hervorbringen kann oder die doch mit denselben in Verwandtschaft stehen. Benennungen von übersinnlichen Gegenständen dürfen darin gar nicht vorkommen. Töne, mit denen das Kind nicht sogleich eine Vorstellung verbinden kann, haben für dasselbe keinen Reiz, es hat keine Neigung sie aufzufassen, und – wenn es sie auffaßt, so nützen sie ihm nichts, weil es dabei gar nichts oder etwas ganz Falsches denkt. Eben deswegen darf mit Kindern anfänglich noch keine Grammatik getrieben werden.

Dies wird jetzt ziemlich allgemein angenommen, indem in mehreren, in lebenden Sprachen aufgesetzten Lesebüchern für Kinder ein Bestreben sichtbar ist, die Kinder über Dinge zu unterhalten, die innerhalb ihres Gesichtskreises liegen. In der lateinischen Sprache sind solche Bücher schon seltener, und von den wenigen, welche vorhanden sind, wird nicht immer Gebrauch gemacht. Man schreitet bei dem Unterrichte in dieser Sprache zu schnell zu dem Lesen römischer Schriftsteller, wo eine Menge Wörter vorkommen, zu denen den Kindern die Vorstellung fehlt, und dies ist gewiß eine Hauptursache, warum man bei vielen so wenig Lust zur Erlernung dieser Sprache bemerkt. Eben deswegen wird es immer gewöhnlicher, diejenigen Knaben, die nicht zum Studieren bestimmt sind, von Erlernung dieser Sprache loszuzählen. Ich kann dies nicht billigen. Mehrere europäische Sprachen sind doch aus dieser entstanden und werden leichter gelernt, wenn man in jener einen guten Grund gelegt hat; überdies ist sie nun einmal so allgemein, daß man nicht leicht ein Buch in neueren Sprachen lesen kann, in welchem sich nicht hier und da Brocken davon befänden, welche Lesern, die damit ganz unbekannt sind, immer Steine des Anstoßes sein müssen. Dadurch wird es notwendig, daß den gebildeten Ständen diese Sprache nicht ganz fremd sein darf. Hätte der Erzieher so viel Kenntnis der lateinischen Sprache, daß er über die aufgestellten Gegenstände der Natur und Kunst, über merkwürdige Vorfälle in der Familie, kurz über Dinge, die den Kindern anschaulich wurden, im leichten, aber echten Latein Aufsätze niederschreiben könnte, sie den Kindern vorläse, von ihnen laut nachsprechen und in das Deutsche übersetzen ließe, so würde er davon großen Nutzen verspüren. Es würde den Kindern Vergnügen machen, sie würden eine Menge lateinische Wörter behalten, mit einigen Eigenheiten der Sprache bekannt werden und bei dem künftigen Lesen der lateinischen Schriftsteller weniger Schwierigkeiten finden.

Schriebe ich ein Buch über die Erziehung der Kinder, so müßte ich mich noch über den ganzen Unterricht ausbreiten, den Kinder erhalten sollen; da ich aber von der Erziehung der Erzieher handle, so ist dies Wenige genug, ihnen einen sehr bedeutenden Wink zu geben, was junge Männer, die sich der Erziehung widmen, eigentlich zu erlernen haben.

Wenn ich, liebe Freunde, sehe, wie bei weitem die meisten von euch sich zu ihrer Bestimmung vorbereiten, so kann ich nicht anders, als euch und die armen Kleinen, die eurer Aufsicht anvertraut werden, bemitleiden. Ihr lernt die alten Sprachen, etwas Geographie, Geschichte und Mathematik, höchstens etwas Französisch und Musik, hört einen philosophischen und theologischen Kursus und glaubt nun, euch zu Erziehern gebildet zu haben.

Wenn man euch nun den Franz, Robert, Stephan, fünfjährige Knaben, zur Erziehung übergibt, was wollt ihr denn mit ihnen anfangen? Was von aller eurer Gelehrsamkeit könnt ihr denn in diesem euren Wirkungskreise benutzen? Fast gar nichts. Diese Kleinen hängen noch ganz an der sichtbaren Welt, durch deren Betrachtung sich ihr edlerer Teil entwickeln und für übersinnliche Vorstellungen Empfänglichkeit erwerben soll, und ihr – seid in der sichtbaren Welt Fremdlinge. Die Dinge, die euch täglich umgeben, sind euch unbekannt, und ihr wißt von vielen nicht einmal den Namen anzugeben. Da geht ihr dann mit euren Kleinen durch die Natur wie ein Landmann durch die Dresdner Bildergalerie. Ei, sehen Sie, sagt Robert, den Vogel, der hier auf dem Aste sitzt! Wie heißt er? – Ich kenne ihn nicht, ist die Antwort. Freudig kommt Franz gehüpft mit einer Blume in der Hand und fragt: Kennen Sie diese Blume? Es erfolgt die nämliche Antwort.

Nun geht es in die Lehrstunde. Blumen und alles, was die Kinder aus der sichtbaren Welt aufgerafft haben, wird ihnen weggenommen, der Trieb nach Anschauung, der bei ihnen so stark ist, wird erstickt; ihr gebt ihnen statt Blumen Bücher in die Hände und stellt ihnen statt Sachen Zeichen der Sachen auf, zu deren Erlernung sie keine Lust besitzen. Da verbreitet sich denn über die Verbindung, in welcher ihr so glücklich leben könntet, Mißvergnügen; die Kinder können einen Mann nicht liebgewinnen, der sie nicht auf eine ihnen angenehme Art zu unterhalten weiß, und ihr betrachtet eure Kinder mit Mißfallen, bei denen ihr mit eurem Unterrichte wenig oder gar nichts bewirkt.

Folgt also, Freunde, dem Rate eines alten Erziehers und macht euch mehr mit der sichtbaren Welt bekannt, nach der Anweisung, die ihr im folgenden Abschnitte finden werdet.

Jetzt denke ich mir nun einen Erzieher, der sich nach meinem Wunsche bildet, in dem Kreise seiner Zöglinge. Einen Gegenstand nach dem anderen, aus dem Tier- und Pflanzenreiche und den Werkstätten der menschlichen Kunst stellt er ihnen vor, fesselt ihre Aufmerksamkeit daran, unterhält sich mit ihnen darüber auf eine für beide Teile sehr angenehme Art, übt das Empfindungsvermögen und mehrere Seelenkräfte der Kleinen und spürt davon schon in den ersten Tagen die wohltätigsten Wirkungen. Mit dieser Beschäftigung füllt er täglich ein paar Stunden aus.

Da aber jeder Tag mehr als zwei Stunden hat, so fragt es sich, was soll in den übrigen Stunden mit den Kindern vorgenommen werden? Das ist die schwere Frage, die sich nur wenige Erzieher lösen können. Unterhalten Sie mich doch, lieber Herr Richard! sagte einmal ein kleiner Junker, der von Langeweile geplagt wurde, zu seinem Hofmeister. War dieser Wunsch unbillig? Muß man den kleinen Mann nicht liebgewinnen, der einen Ekel gegen die Langeweile bezeigt?

Aber in welche Verlegenheit muß der Erzieher bei diesem so billigen und gerechten Wunsche der Kinder geraten? Kinder fünf bis sechs Stunden des Tages zu unterhalten, ist fürwahr kein leichtes und angenehmes Geschäft. Denn womit soll man die Kinder unterhalten? Mit Erzählen? Dies ist eine so angenehme als nützliche Unterhaltung, wenn man etwa eine Viertelstunde täglich darauf verwendet. Aber immer erzählen ermüdet die Kinder sowie den Erzieher. Bilder erklären? Hiermit hat es die nämliche Bewandtnis. Bücher zu lesen geben? Kinder von so zartem Alter können noch nicht lesen. Es gehört dazu nicht nur das deutliche Aussprechen der Zeichen, sondern auch das richtige Vorstellen der dadurch bezeichneten Sachen. Sie spielen lassen? Auch dies bekommen sie bald überdrüssig. Ja, wenn man sie mit Nüssen und Mandeln versieht und ihnen Karten und Würfel in die Hände gibt, so werden sie sich damit mehrere Stunden auf eine ihnen sehr angenehme Art zu unterhalten wissen; wer sieht aber nicht, daß ihnen dies ebenso nachteilig sei als Mohnsaft, dessen die Kinderwärterinnen sich oft bedienen, um die Kinder zur Ruhe zu bringen.

Merket auf! Außer dem Vermögen zu empfinden, sich vorzustellen und zu urteilen, regen sich in den Kindern noch verschiedene Kräfte, die nach Übung streben. Daher die beständige Unruhe der Kinder, die den Erziehern so lästig ist; daher die beständigen Ermahnungen: stille, Kinder, seid ruhig! die die Kinder verstimmen und die Gegenwart der Erzieher ihnen höchst lästig machen.

Schafft doch den nach Übung strebenden Kräften der Kinder hinlängliche Übung, und ihr werdet gewiß finden, daß sie sich auf eine angenehme und nützliche Art zu unterhalten wissen, euch nicht mehr lästig sein, sondern vielmehr die angenehmste Aufheiterung verschaffen werden.

Wie sollen wir, fragt ihr, dies anfangen? Dies ist nun eure eigene Sache. Wenn ihr auf die Wünsche eurer Zöglinge auf ihre tägliche Lage merkt, so werdet ihr Gelegenheit genug finden, sie zu beschäftigen.

Hier sind indes einige Winke.

In den Lehrstunden verlangt ihr, daß sie stets ruhig sein und stillesitzen sollen. Gegen diese Forderung strebt ihre ganze Natur, die durchaus regsam, zur Tätigkeit geneigt und abgeneigt ist, sich bloß leidend zu verhalten. Ihr werdet die Kinder verdrossen machen und Widerwillen gegen euch erregen, wenn ihr auf eurer Forderung zu streng besteht. Sucht sie in beständiger Tätigkeit zu erhalten, so werdet ihr beide miteinander zufrieden sein. Haltet ihnen also keine Vorlesungen, verlangt nicht von ihnen, daß sie euch bloß zuhören sollen, sondern laßt euern Vortrag eine beständige Unterredung sein, an welcher bald dieser, bald jener teilnehmen muß, laßt nach Pestalozzischer Lehrart die ganze Versammlung von Zeit zu Zeit nachsagen, was ihr ist vorgesagt worden.

Wird ein Unterricht erteilt, an welchem die Kinder nicht mit den Augen, sondern nur mit den Ohren und Sprachwerkzeugen teilnehmen, so wird das Zeichnen der Linien, Winkel und Quadrate nach Pestalozzischer Art, während des Unterrichts, ihre Hände von allen Spielereien abziehen und ihnen eine unterhaltende und nützliche Beschäftigung gewähren.

Aber außer den Lehrstunden, was sollen wir, fragt ihr, denn mit unseren Zöglingen anfangen? Höret nur auf ihre Wünsche, so werden sie euch schon selbst dazu Anleitung geben. Einmal wollen sie ein Schiffchen haben, das auf dem Bache schwimmen soll, ein andermal Knallbüchsen, Handspritzen, Bogen und Pfeile, Drachen u. dgl. Von solchen Kindereien suchen nun überweise Erzieher sie abzubringen und verleiden so ihnen und sich selbst das Leben; der wahre Erzieher freut sich aber allemal, so oft er solch einen Wunsch bei seinen Kindern bemerkt, und, ist bereit, ihnen Rat und Anweisung zu geben, wie sie sich die gewünschten Sachen selbst verfertigen können. Selbst verfertigen, sage ich.

Das Selbstverfertigen, anfänglich von allerlei Spielwerk und in der Folge von wirklich nützlichen Werkzeugen und Geräten, ist ein so nützliches und angenehmes Geschäft, daß ich es zu einer unerläßlichen Forderung an alle Anstalten, wo die Kinder zweckmäßig erzogen werden sollen, mache, daß ihnen Anleitung und Gelegenheit zum Selbstverfertigen gegeben werde.

Dazu gehört denn freilich eine Werkstatt, mancherlei Werkzeuge und Materialien und Anweisung, davon Gebrauch zu machen. Hat es der Erzieher dahin gebracht, daß seine Zöglinge nach geendigten Lehrstunden mit ihren Händen sich beschäftigen und ihre kleinen Wünsche ausführen können, so hat er gewonnen Spiel. Das schwere Geschäft, sie zu unterhalten, ist ihm abgenommen, sie unterhalten sich selbst – er ist bloß Zuschauer und Ratgeber. Der Gewinn, der für die Kinder daraus entspringt, ist unbeschreiblich groß.

Erstlich wird ihr Tätigkeitstrieb befriedigt, und allen den Ausschweifungen, die aus dem gehemmten Tätigkeitstriebe zu entspringen pflegen, ist damit auf einmal vorgebeugt. Zehn Kinder an der Werkstatt sind leichter zu lenken als drei, die nicht wissen, was sie tun sollen. Zweitens befinden sich die Kinder dabei so wohl; denn ist denn das nicht das reinste innigste Vergnügen, wenn man gewissen vorgesetzten Zwecken sich immer mehr nähern kann und sie endlich ganz erreicht? Jetzt ist das Schiff fertig, an dem die Kleinen seit einiger Zeit arbeiten, jetzt wird es vom Stapel gelassen, wird auf den Bach gebracht, auf dem es nun segeln soll. Mit welchem Frohlocken geschieht es! So etwas müßt ihr selbst gesehen haben, liebe Freunde, um euch zu überzeugen, wie ungemein wichtig es sei, Kindern Gelegenheit zu geben, selbst etwas zu verfertigen. Drittens werden dabei so viele Kräfte geübt. Der Geist, der bei der sonst üblichen Lehrart immer dressiert wird, nach fremden Vorschriften zu handeln, lebt dabei auf, faßt eigene Ideen und erfindet Mittel, sie auszuführen. Das Auge übt sich, die Größen zu messen, um jedem Teile des auszuführenden Werkes das nötige Verhältnis zum Ganzen zu geben; und die Muskeln der Hände werden auf so mannigfaltige Art geübt, daß sie hernach bei den mannigfaltigen Vorfällen des menschlichen Lebens, in den Verlegenheiten, in die man oft gerät, sich selbst zu helfen imstande sind, ohne daß sie immer nötig haben, zu fremder Hilfe ihre Zuflucht zu nehmen. Ein Mann, der seinen Händen nicht mancherlei Geschicklichkeiten in der Jugend erworben hat, ist nur ein halber Mann, weil er beständig von anderen Leuten abhängig ist. Wahrscheinlich befinden sich neun Zehnteile der Leser mit mir in diesem Falle. Diese frage ich auf ihr Gewissen, ob sie nicht viel darum gäben, wenn sie in ihrer Jugend Anweisung bekommen hätten, mit ihren Händen etwas zu verfertigen.

*

Die Einwendungen, die dagegen gemacht werden, sind mannigfaltig, und ich habe nicht Lust, mich mit Aufzählung und Widerlegung derselben aufzuhalten. Die meisten derselben werden doch daher rühren, weil die wenigsten Herren Erzieher Handarbeit gelernt haben und deswegen diese Erziehungsart verschreien und lächerlich zu machen suchen. Ein paar Einwendungen kann ich aber doch nicht mit Stillschweigen übergehen, da sie vielen Schein haben. Sie sind diese: Wenn man die Kinder mit Handarbeiten beschäftigt, so geht zu viele Zeit verloren und sie verlieren die Lust zum Erlernen der Sprachen und Wissenschaften. Dies möchte freilich wohl vielmals der Fall sein, wenn man den Kindern die freie Wahl ließe, ob sie einen schriftlichen Aufsatz verfertigen oder mit Handarbeit sich beschäftigen wollten. So meine ich es aber nicht. Nur die Freistunden sollen dazu angewendet werden. Je jünger der Zögling ist, desto mehr bedarf er Freistunden oder Stunden, in denen er von Geistesarbeiten frei ist; je mehr sich hingegen des Geistes Kräfte entwickeln, desto mannigfaltigere und anhaltendere Beschäftigungen kann man ihm geben, desto mehr mindert sich auch die Zahl der Freistunden.

Die zweite Einwendung, die man machen könnte, ist diese: Zu Handarbeiten ist doch der Gebrauch von allerlei scharfen und spitzigen Instrumenten nötig – wie leicht kann sich ein Kind damit gefährlich verwunden!

Möglich ist dies freilich. Allein der Gebrauch der scharfen Werkzeuge lehrt auch zugleich die dabei nötige Vorsicht. Und die Erfahrung – diese ist doch sicher auf meiner Seite. Hört man nicht immer von Kindern, die sich gefährlich verwundeten und die nie zur Handarbeit Anleitung bekamen? und bei meinen Zöglingen, die so mancherlei spitzige und scharfe Werkzeuge in Händen haben, ist noch nie eine gefährliche Verwundung vorgefallen.

Wenn es also schlechterdings nötig ist, den Kindern Anleitung zu geben, selbst mit ihren Händen etwas zu verfertigen, so begreift ihr von selbst, die ihr euch der Erziehung widmet, daß ihr verbunden seid, Handarbeit zu erlernen. Es gibt da keinen Ausweg. Entweder ihr müßt euch entschließen, eure Zöglinge den ganzen Tag zu unterhalten und den Tätigkeitstrieb, der sich in ihren Händen regt, zu lähmen, oder – ihr müßt euch in allerlei Handarbeiten selbst Geschicklichkeit zu erwerben suchen.

Können wir, sagt ihr vielleicht, nicht Handwerksleute annehmen, die in unserer Gegenwart den Zöglingen die nötige Anweisung geben? Versucht es, und ihr werdet dann alle die Unannehmlichkeiten selbst finden, die aus solchen Verbindungen zu entspringen pflegen. Da die Erzieher so selten sind, die in ihren Händen Geschicklichkeit besitzen, etwas zu arbeiten, so hat es mir Mühe gekostet, den Unterricht in einigen Handarbeiten in meiner Anstalt einzuführen. Jetzt lernen meine Zöglinge folgendes: Anfänglich Verfertigung von allerlei Spielereien aus Papier und Netzstricken, ferner allerlei Dinge aus Holz zu schnitzen, Korbflechten, Papparbeiten, Lackieren, Schreinern und Drechseln. Ich komme auf den wichtigsten Teil der Erziehung, auf die Gewöhnung zur Sittlichkeit oder nach gewissen richtigen Regeln zu handeln. Wo diese fehlt, hat die übrige Erziehung wenigen oder gar keinen Wert. Ich denke mir jetzt einen Jüngling, der unter den Händen seines Erziehers gesund und stark wurde, sich mancherlei Geschicklichkeiten erwarb, alle seine Geisteskräfte durch Übung entwickelte, der nun aber alle diese Vorzüge anwendet, seinen Lüsten Befriedigung zu verschaffen – was ist denn durch diese Erziehung gewonnen worden? Für ihn nichts, ihm fehlt ja die eigentliche Menschenwürde, die in der Freiheit oder in der Kraft besteht, seine Lüste zu beherrschen und nach richtigen Grundsätzen zu handeln; und glückselig wird er nie, da es für den Menschen keine andere Glückseligkeit gibt, als die aus dem Bewußtsein entspringt, seine Pflicht erfüllt öder nach richtigen Grundsätzen gehandelt zu haben. Und für die menschliche Gesellschaft tut er auch wenig. Er wird für sie nichts tun, wenn dadurch seinen Lüsten nicht Befriedigung verschafft wird, und wird dadurch Unheil stiften, wenn er damit zu seinem Zwecke kommen kann. Je mehr seine Kräfte ausgebildet sind, desto überlegener ist er anderen, desto weniger können sie ihm widerstehen, desto gefährlicher ist er für die Gesellschaft.

Was soll ich dies weitläufiger ausführen? Diese Wahrheit ist bereits fast allgemein anerkannt, und man findet sie fast in allen Büchern, die über die Erziehung geschrieben sind. Wie steht es aber mit der Befolgung? Zeigen sich nicht allenthalben moralische Ungeheuer, auf deren Unterricht und Kraftentwicklung doch viel Fleiß angewendet wurde? Man sucht die Ursache davon teils in dem Verderben der menschlichen Natur, teils in der Mangelhaftigkeit der sittlichen Grundsätze, die ihnen mitgeteilt wurden; ich hingegen glaube ihn mehr in einer fehlerhaften Behandlung des jungen Menschen gefunden zu haben. Ich will darüber mit niemandem rechten; man erlaube mir aber meine eigene, auf Erfahrung gegründete Meinung vorzutragen.

Der neugeborene Mensch kann noch nicht gehen, und das Prinzip seiner Handlungen sind seine Empfindungen. Was ihm angenehme Empfindungen verursacht, begehrt, was unangenehme Empfindungen bewirkt, das flieht er. Da ist keine Rücksicht auf Religion oder Moral sichtbar. Will man dies moralisches Verderben nennen, nun so tue man es; man erlaube mir aber dann auch, daß ich das Unvermögen zu gehen, das man an dem jungen Menschen bemerkt, das physische Verderben der menschlichen Natur nenne.

Seitdem man die Laufzäume und Gängelwagen abgeschafft hat, verliert sich das physische Verderben der Natur nach und nach, und die Kinder lernen erst gehen, dann sogar laufen und springen. Schafft die moralischen Gängelwagen und Laufzäume ab, und der moralische Mensch wird sich ebenso gut von selbst entwickeln und erst gut, dann edel zu handeln anfangen.

Und was sind denn die moralischen Gängelbänder? Die Gebote und Verbote und die künstlichen Mittel, wodurch man die Kinder an Befolgung derselben zu gewöhnen sucht.

Der Mensch hat gegen alle Gebote und Verbote, insofern sie es sind, eine natürliche Abneigung. Er will immer gern seinen eigenen Willen tun; zweifelst du daran, mein Leser, so bemerke nur selbst, was in dir vorgeht, wenn deine Freiheit durch Gebote und Verbote eingeschränkt wird. So wie bei den Kindern die Menschwerdung eintritt, wie die Geisteskräfte sich entwickeln, zeigt sich auch die Abneigung gegen Gebote und Verbote. Wenn man nun durch Gebote und Verbote und durch die damit verknüpften Strafen und Belohnungen sie zu gängeln sucht, so entsteht Unwille und Abneigung gegen den Befehlshaber, es regt sich ein Bestreben, seinen Gesetzen auszuweichen, und wenn die Verbindung mit dem Gesetzgeber aufhört, dann zeigt sich Zügellosigkeit, weil nichts mehr da ist, das verhinderte, die Wünsche, die sie zeither bei sich hegten und unterdrücken mußten, zu befriedigen.

Man lasse daher das Kind immer seinen eigenen Willen tun, so wird es gut werden.

Ihr entsetzt euch über diese Behauptung? Ihr fragt, wozu es der Erzieher bedürfe, wenn das Kind immer seinen eigenen Willen tun solle? Liebe Freunde! Leset das, was nun folgt, mit einiger Aufmerksamkeit, und ich will mich bemühen, so deutlich zu sprechen, als es mir möglich ist, so werden wir hoffentlich am Ende einander die Hände geben und miteinander eins sein.

Meine Meinung ist diese: Der Erzieher soll den Zögling dahin zu bringen suchen, daß er selbst das Gute wolle und es tue, nicht deswegen, weil es ihm von anderen geboten und das Gegenteil verboten wird, weil er von der Befolgung des Gebots Belohnung, von der Übertretung Strafe zu erwarten hat, sondern weil er es selbst will. Sind wir denn nun miteinander eins? Ich hoffe es.

Die Frage ist nur, wie man das Kind dahin bringe, daß es das Gute wolle, dies ist schwer und nicht schwer, je nachdem man es angreift.

Nach meinen Erfahrungen gehört dazu zweierlei:

1. daß man dem Kinde stets die Wahrheit sage oder ihm von seinen Pflichten die richtige Ansicht gebe;

2. daß man es dahin bringe, daß es die Wahrheit einsehe.

Hat man es dahin gebracht, so will es das Gute und bedarf nur einer kleinen Erinnerung von Zeit zu Zeit, um es von seinen Verirrungen, die freilich nicht fehlen werden, zurückzubringen.

Man sei also stets wahr in seinen Ermahnungen! Die Kinder haben für die Wahrheit einen ungemein feinen Sinn, der ihnen aber auch jede Unwahrheit bemerkbar macht. Wer also durch Unwahrheit seine Zöglinge zum Guten zu lenken sucht, wird gewiß sein Ziel verfehlen. Schreie nicht, mein Kind! sagte einst eine Mutter, als sie ihr weinendes Kind durch das Feld führte, es sind Mäuse hier im Acker, die kommen hervor, wenn sie dich schreien hören, und beißen dich. Wer sieht nicht das Unvernünftige und Unwahre dieser Vorstellung? Das Kind schwieg ein paar Augenblicke. Da ihm aber dann wieder ein paar Schreie entfuhren und keine Maus sich zeigte, so schrie es weit stärker als zuvor.

Handeln denn die Erzieher aber vernünftiger, die ihren Zöglingen von der Erfüllung der Pflichten Folgen versprechen, die höchst zufällig sind, und wegen Verletzung derselben ihnen Strafen drohen, die so selten sich einfinden, als ein weinendes Kind von einer Maus gebissen wird? Fallen nicht ferner diejenigen Erzieher in eben diesen Fehler, die ihren Zöglingen manches zur Pflicht machen, wozu sie doch nicht verbunden sind? Müssen sie denn nicht lauter falsche Gründe anführen, um ihre Forderungen zu beschönigen? Willst du z.B. deinen lügenhaften Zögling dahin bringen, daß er die Wahrheit rede, so kannst du sagen, auf eine Lüge gehört eine Maulschelle, und es ihm auch sogleich fühlbar machen. Was wirst du damit ausrichten? Er wird gegen dich erbittert werden, aber die Neigung zur Unwahrheit wird bleiben.

Oder du kannst sagen, wer lügt, der stiehlt, und wenn du so zu lügen fortfährst, so wirst du ein Dieb und kommst an den Galgen. Ist denn dies wahr?

Oder du kannst etwas nachdrücklich sagen: Kind! Wenn du lügst, so glaubt man dir nicht mehr. Dies wäre für dich ein großes Unglück.

Dies ist wahr, und daß es wahr sei, begreift das Kind leicht.

Aber wenn man ihm die Verbindlichkeit, sich aller Bewegungen im Freien zu enthalten und acht Stunden täglich stillezusitzen, begreiflich machen will, wie soll man dies anfangen, ohne die Unwahrheit zu reden? Und wie kann man einem Kinde zumuten, zu glauben, was nicht wahr ist, und danach zu handeln?

Wenn man Kindern die Wahrheit begreiflich machen will, nach welcher sie handeln sollen, so vergesse man ja nicht, wen man vor sich habe – nicht Menschen, sondern Geschöpfe, die im Stande der Menschwerdung sich befinden, bei denen die Vernunft noch klein ist. Alle langen zusammenhängenden Ermahnungen, alle abstrakten Grundsätze, die nur mit der Vernunft können gefaßt werden, sind unwirksam. Die Kinder verstehen nichts davon.

Sie haben aber eine Nachahmungsbegierde, die sie geneigt macht, alles, was ihnen an anderen gefällt, nachzutun Diese muß in Anspruch genommen werden. Man muß ihnen in wahren oder erdichteten Erzählungen von der Handlungsart, zu welcher man sie bringen will, Muster vorstellen und sie so lebhaft schildern, daß sie glauben, dieselben vor sich stehen zu sehen, und so gefällig, daß in ihnen der Entschluß entsteht, ebenso zu handeln. Dabei muß man sich hüten, die Anwendung geradezu auf sie zu machen und sie zu ermahnen, ebenso zu handeln. Denn die Kinder sollen ihren eigenen Willen tun. Wenn man sie nun die Anwendung auf sich selbst machen läßt, und sie fassen dann selbst den Entschluß, so zu handeln, so tun sie ihren eigenen Willen.

Ich habe von der Wirksamkeit dieser Art des Unterrichts sehr viele Erfahrungen gemacht. Oft, nicht immer, aber oft, wenn ich eben recht aufgelegt war, in meiner Erklärung meines ersten Unterrichts in der Sittenlehre meinen Zöglingen ein gewisses Muster recht anschaulich darzustellen, umschlossen sie mich am Ende der Lehrstunde und baten: O Vater! Laß uns doch auch so handeln!

Die Kinder haben ferner Verstand, der auffaßt, was ihm anschaulich dargestellt wird. Dieser muß ebenfalls in Anspruch genommen werden. Man muß ihnen die Verbindlichkeit, so und nicht anders zu handeln, so anschaulich als möglich zu machen suchen. Sobald sie dieselbe gefaßt haben, ist auch gewiß der Entschluß da, danach zu handeln.

Dazu gehört eine eigene Gewandtheit, die nur durch Übung erlangt werden kann. Zu allen Zeiten ist man nicht aufgelegt dazu, und da tut man besser, daß man seinen Vortrag so lange verschiebt, bis man sich dazu aufgelegt fühlt. Dann kann man aber auch Wunder tun.

Von den vielen Erfahrungen, die ich in dieser Rücksicht gemacht habe, will ich nur eine anführen, die ich neuerlich zu machen Gelegenheit hatte. Vor einiger Zeit riß bei meinen Pflegesöhnen die üble Gewohnheit ein, daß sie immer die Schlüssel zu ihren Schränken und Kisten verloren. Da sie einen gefälligen Schlosser zur Seite hatten, der ihnen sogleich drei Schlüssel auf einmal verfertigte, so legten sie auf dieselben gar keinen Wert mehr. Ich konnte ihnen deswegen scharfe Verweise geben, konnte auf das Schlüsselverlieren eine große Strafe setzen und noch mancherlei tun, das nichts gewirkt haben würde. Aber eben deswegen, weil ich vorhersah, daß dies alles nichts helfen würde, tat ich lieber gar nichts und ließ sie eine Zeit lang Schlüssel verlieren, soviel sie wollten. Endlich fiel mir ein, wie ich ihnen die Verbindlichkeit, ihre Schlüssel in acht zu nehmen, anschaulich machen könnte.

Als sie daher einmal in Reih und Glied vor mir standen, hielt ich einen Schlüssel in die Höhe und sagte: Jetzt gebt Achtung! Jetzt, liebe Freunde, will ich eine Vorlesung halten über – den Schlüssel. Die Materie, aus welcher der Schlüssel besteht, ist gewöhnlich Eisen. In Ansehung seiner Form bemerken wir diesen Teil, der heißt Kamm, und diesen, der ist das Rohr, und diesen, das ist der Griff.

Dies habt ihr freilich alles lange schon gewußt, jetzt will ich euch aber noch etwas sagen, was wenigstens zwei Drittteilen von euch unbekannt war, nämlich was eigentlich ein Schlüssel ist. Hättet ihr dies gewußt, so würdet ihr gewiß auf eure Schlüssel einen größeren Wert gelegt haben.

Achtung! (Die folgenden Worte wurden langsam und mit großem Nachdrucke gesprochen.) Ein Schlüssel ist das Mittel, das Behältnis, zu dem er gehört, zu öffnen. Wenn ich also den Schlüssel zu meinem Schranke verliere, so bekommt der Finder das Mittel in die Hände, meinen Schrank zu öffnen. Verliere ich viele Schlüssel, so erhalten die Domestiken, die Handwerksleute, die Tagelöhner, die Bettler, die in unsere Häuser kommen, nach und nach Mittel, den Schrank zu öffnen. In diesem Falle täte ich besser, wenn ich ihn gar nicht mehr verschlösse, da ersparte ich mir doch die Mühe des Auf- und Zuschließens. Das Zuschließen wäre ja doch vergeblich. Daß es möglich sei, seinen Schlüssel nicht zu verlieren, dies beweist der Schlüssel, den ich hier in der Hand habe, den ich im Jahr 1766 verfertigen ließ, der also nun beinahe vierzig Jahre alt ist.

Mit diesen Worten trat ich ab und überließ die Versammlung ihrem eigenen Nachdenken.

Der Erfolg davon war, daß das Schlüsselverlieren sogleich aufhörte, und daß nunmehr seit zwei Monaten von meinen Pflegesöhnen kein einziger nötig gehabt hat, sich einen neuen Schlüssel verfertigen zu lassen.

Und worin liegt denn die Zauberkraft, die dies bewirkte?

1. Darin, daß ich durch den sonderbaren Eingang zu meiner Rede aller Erwartung spannte und sie zur Aufmerksamkeit brachte. Was hätten die triftigsten Vorstellungen vermocht, wenn man nicht darauf aufmerksam gewesen wäre?

2. Daß ich den Wert der Schlüssel und die Verbindlichkeit, sie zu bewahren, recht anschaulich machte.

3. Daß ich sie dadurch dahin brachte, daß sie die Verbindlichkeit, ihre Schlüssel zu bewahren, begriffen und sich selbst entschlossen, dies zu tun.

Ich hielt diesen Vortrag öffentlich, weil er einen Fehler betraf, der fast allgemein war.

Man hüte sich ein Gleiches zu tun, wenn man ein einzelnes Kind zur Erfüllung einer Pflicht oder Ablegung eines Fehlers bringen will. Man wird dabei seinen Zweck gewiß verfehlen, denn die Wirkung öffentlicher Ermahnungen, die eine gewisse Person betreffen, ist allemal Beschämung, wodurch eine Art von Betäubung hervorgebracht wird, die den Ermahnten unfähig macht, aufzumerken; sehr oft wird dadurch auch Erbitterung gegen den Ermahner bewirkt, die den Vorsatz erzeugt, die Ermahnung nicht zu befolgen.

Die Kinder haben ferner Sinnlichkeit, die man auch benutzen muß. Dies geschieht, wenn man durch Ton und Mienen das ausdrückt, was man sagen will. Da ich hiervon schon oben gesprochen habe, so ist es überflüssig, darüber weitläufiger zu reden. Ich bemerke nur dies noch, daß es ungemein wichtig sei, durch Ton und Miene auf Kinder zu wirken, die Vernunftgründe noch nicht fassen können. Wer dies versteht, der richtet durch einen Blick, ein Wort, die Beifall oder Mißfallen ausdrücken, mehr aus als ein anderer durch eine lange Gottesverehrung.

Die Einwendungen, die gegen diese Erziehungsart werden gemacht werden, sehe ich voraus und übergehe sie mit Stillschweigen, weil sie jeder Denkende leicht selbst widerlegen kann.

Nur eine kann ich nicht unerörtert lassen.

Der Mensch, wird man sagen, muß gehorchen lernen, wenn er in die menschliche Gesellschaft passen soll. Was soll aus der Gesellschaft werden, wenn man ihr Glieder zuzieht, die gewöhnt sind, keinen anderen als ihren eigenen Willen zu tun?

*

Liebe Freunde! Ereifert euch nicht zu sehr! Haben sich denn diejenigen, die so erzogen wurden, durch Insubordination ausgezeichnet? Und wenn es von Hunderten einer tat, was beweist dieses? Man suche doch junge Leute zu überzeugen (und wie leicht ist dies), daß es Pflicht sei, die Vorschriften derer zu befolgen, die ihnen vorgesetzt sind, und sie dahin zu bringen, daß sie es sich selbst zum Gesetz machen, dies zu tun, so ist es ja gut. Sie werden dann immer geneigt sein, die Vorschriften ihrer Vorgesetzten zu befolgen, ohne daß es nötig ist, ihnen in jedem einzelnen Falle die Gründe davon anzugeben.

Freilich setze ich voraus, daß ein vernünftiger Erzieher seinen Zögling nicht willkürlich behandle, daß er ihm keine Vorschriften gebe, die nicht auf wahren Gründen beruhen; freilich muß ich zugeben, daß der Zögling künftig wahrscheinlich in Lagen kommen werde, wo er willkürlich und unvernünftig behandelt wird. Was ist dann aber dabei zu tun? Sollen wir das Kind vielleicht unvernünftig behandeln, damit es an die unvernünftige Behandlung, die seiner in der Zukunft wartet, gewöhnt werde? Dies wäre doch wirklich eine sonderbare Forderung!

Man bereite es darauf vor, man zeige ihm in Beispielen, welch willkürliche Behandlung sich oft der Mensch gefallen lassen müsse, und mache ihm die Verbindlichkeit begreiflich, sich derselben zu unterwerfen, solange man von dem willkürlichen Behandler abhängig ist und er nicht eine Handlungsart von uns verlangt, die wir für unrecht halten.

Wollt ihr, meine jungen Freunde, euch also der Erziehung widmen, so müßt ihr notwendig lernen, den Kindern die praktischen Wahrheiten so anschaulich zu machen, daß sie dieselben aufnehmen, sich die Befolgung derselben zum Gesetz machen und so ihren eigenen Willen tun. Gewöhnt ihr sie bloß, durch allerlei Künsteleien euren Willen zu tun, so ist ihre ganze Moralität eine Windmühle, die stillesteht, sobald sie von einer Anhöhe ins Tal gesetzt wird, auf welches der Wind nicht wirken kann. Wollt ihr ihnen die Wahrheit vorpredigen, ohne euch darum zu kümmern, ob sie dieselbe fassen, so erzieht ihr Kinder, an denen, wie ihr zu sagen pflegt, Hopfen und Malz verloren ist, bei denen kein Zureden, kein Ermahnen etwas hilft, von denen ihr klagt, daß ihr immer tauben Ohren predigt. Die Ursache davon liegt nicht in ihren Ohren, sondern in eurer leisen Sprache, weil ihr nicht so sprechen gelernt habt, daß es durch die Ohren in die Seele dringt.

Statt also euch die Köpfe über das oberste Moralprinzip zu zerbrechen, lernt nur die allgemein anerkannten praktischen Wahrheiten den Kindern recht faßlich und annehmlich zu machen.

Der Gewinn, der daraus entspringt, ist groß – sehr groß. Sobald das Kind das Gute selbst will, so erzieht es sich selbst, und fünfzig Kinder, die das Gute wollen, sind leichter zu lenken als ein einziges, dem es noch nie eingefallen ist, gut zu werden. Sobald ein Kind eine Sprache lernen will, so lernt es sie, und in einer einzigen Lehrstunde, die ihm darin gegeben wird, kommt es weiter als ein anderes, das diese Sprache nicht erlernen will und vom Morgen bis zum Abend darin Unterricht bekommt.

Ist der Zeitpunkt da, wo sich bei jungen Leuten Empfänglichkeit für das Übersinnliche zeigt, so muß man nun den praktischen Wahrheiten, die man sie lehrte, eine höhere Sanktion dadurch geben, daß man sie zu überzeugen sucht, daß dieselben Gottes Wille sind. Dabei kommt denn aber freilich wieder viel auf den Vortrag des Lehrers an. Er muß so zuversichtlich und eindringlich zu sprechen wissen, daß die Zuhörer überzeugt werden, daß er selbst alles, was er sagt, von ganzem Herzen glaube, er muß die Wahrheit mit solchen Gründen zu unterstützen wissen, daß ihnen kein Zweifel dagegen übrigbleibt.


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