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Die Beschau

Als in den früheren Jahrhunderten die Juden noch in eigenen Stadtvierteln im Ghetto eingeschlossen lebten, eingeschlossen und von der Christenheit abgeschlossen, da beschäftigten sich die geistig gebildeten Judenjünglinge unter Anweisung der gelehrten Rabbi und Talmudweisen mit dem vertieften Talmudlesen und -lernen, sie saßen von Früh bis in die Nacht hinter ihren Bibeln und Talmudbänden, wie all die Jahrhunderte lang ihre Ahnen gesessen in Demut und Bewunderung all des Hohen, in den Büchern Niedergelegten, das immer wieder Gott, seinen auserwählten Weisen und Königen galt und wurden alt bei ihrem Lernen, sie wurden allmählig selbst gelehrte Lehrer und gründeten in mannbarem Alter ihre eigene Ehe, damit auch sie Kinder bekämen und sie erziehen könnten zu Schriftgelehrten und Gottverehrern. Diese ihre Heiraten aber hatten nichts mit der Liebe zu tun, ihre Eltern und Verwandten suchten für sie ein passendes Mädchen aus, sie stimmten auf einer »Beschau«, einer Brautschau, der Wahl zu, die jungen Ehefrauen wirtschafteten nun in ihrer ärmlichen Wohnung, sie wurden Mütter und nun lernten sie dankbar die Liebe kennen, denn die jüdische Liebe war immer die Liebe der Eltern zu ihren Kindern, Liebe der Kinder zu ihren Eltern. Die Ehen verliefen meist in Ordnung und pflichtgemäß nach all den Gesetzen, welche die Gesetzgeber der Vergangenheit aufgestellt hatten.

Dadurch erhielt sich das jüdische Volk trotz all seiner Leiden, alle Verfolgungen konnten sie nicht ausrotten, weil die Israeliten zueinander hielten als Kinder eines Stammes, immer enger beieinander stehend, je schwerer die Unterdrückung auf ihnen lastete.

So ist wohl die seltsame Tatsache zu erklären, daß in all den Schriften der Juden so wenig von Liebe und Leidenschaft der beiden Geschlechter geschrieben ist, daß kein werbendes Liebeslied darin aufbewahrt ist, bis auf das Hohe Lied, das ein Dichter gesungen, indes die anderen Bände der Bibel weise und fromme Geschichtschreiber aufgezeichnet haben, Tatsachensammler und Gottverehrer gesteigerten Empfindens und erhabener Sprachbegabung, in deren Gesängen das Volk aufbewahrt fand, was schlummernd auch in seinem Herzen der Erweckung harrte. Darum fühlten die Talmudweisen das Hohe Lied bei all ihrer Sprachbewunderung fast als eine Störung der heiligen Schrift, sie forschten als Gelehrte so lange in seinen Sätzen, bis sie erkannten, daß die liebeglühenden Liedzeilen nur scheinbar die Liebe des Mannes zur Erwählten verkündeten, daß auch das Hohe Lied in übertragenem Sinne zu fassen sei und daß es den glühenden Rausch eines Gottsuchers und Gottfinders bedeute, keusch in seiner scheinbaren Unkeuschheit, fromm und heilig in Ewigkeit.

In dem Lehrzimmer des Rabbi Menascheh im Prager Ghetto, das der Gemeinde gehörte und neben dem Tempel und Friedhof stand, saßen die Schriftlernenden an den langen Tischen, der Rabbi las ihnen immer wieder einen Satz aus der Thora vor und leitete die Hin- und Widerrede über die Weisheit der eben gehörten Schriftsätze durch einen Vortrag ein, darin er ähnliche Aussprüche aus der Bibel anführte, darin er talmudische Aufzeichnungen heranzog, die Erklärungen der Stelle brachten, dann fragte er die Schüler nach dem tieferen Sinne der vorgetragenen Weisheit, sie beschauten scheinbar die einzelnen Worte von allen Seiten, ob sie ihren Kenntnissen aus der Sprachlehre entsprächen oder aber merkwürdige Abweichungen von den Regeln der Wortfügung aufwiesen und es war der Ehrgeiz jedes einzelnen Schülers, sich möglichst eingehend an der Forschung zu beteiligen. Der Rabbi, ein etwa fünfzigjähriger Mann von tiefgründiger Gelehrsamkeit, hörte die Fragen kopfnickend an, er erhob die Hände mit gestrecktem Zeigefinger und bezeichnete also einen der älteren Schüler, daß er zuerst die Beantwortung der Frage übernehme, darnach schaute er sich im Kreise um, ob ein anderer noch dazu sprechen wolle, und zum Schlusse breitete er vor den Lauschenden sein eigenes Wissen aus, immer wieder ein aufgeschlagenes Buch, die Bibel oder einen Talmudband um den Tisch schickend, daß die Schüler sich von der Richtigkeit der Angaben überzeugen.

Nach einigen Stunden der gelehrten Arbeit brachte dann die Gattin des Rabbi einen Imbiß für ihren Mann, die Schüler packten ihre mitgebrachten Speisevorräte aus, und so erholten sich die Forscher und sammelten neue Kräfte für die folgenden Stunden. Mutter Sarah sprach kaum je ein Wort, sie traute sich nicht, den Blick zu heben, sie flüsterte höchstens ein paar rasche Worte ihrem Mann ins Ohr, wenn eine Botschaft des Gemeindevorstehers über eine Hochzeits- oder Beerdigungspredigt auszurichten war. Dann verschwand sie wieder in der Küche, darin ihre beiden Töchter ihr behilflich waren. Den Töchtern schilderte sie dann immer wieder, wie königlich Vater Menascheh die Reden der Schüler leite und beherrsche, sie wußte genau, welche Jünglinge und Männer im Saale lernten, Vater erzählte ihr ja immer, wenn ein neuer Schüler eingetreten war und wo er sitze, er teilte ihr mit, welche Weisheiten sie heute besprochen hatten, und freute sich der Blicke Sarahs, die ihm mit angehaltenem Atem lauschte, wie sie auch im Tempel in der Frauenabteilung in staunender Hingebung den Worten des Gatten folgte, wenn er von der Kanzel herab eine Festrede hielt, deren Sinn sie freilich wegen der Weisheit, davon sie überfloß, kaum verstand.

»Hör dir ihn an, Rifke!« flüsterte sie dann in ihrem Stolze der jüngeren Tochter zu. »Was sagst du dazu, Eva? Hast du schon jemals so reden gehört?«

Da drückte Rifke der Mutter warm die Hand, Eva nickte bejahend vor sich hin, aber sie schaute gleich wieder verstohlen in die Männerabteilung hinunter, wo unter den Schülern ihres Vaters auch David stand, der Sohn des Vorstehers, in seinem Seidenkittel, der trotz seiner andächtigen Vertiefung in die Worte des Rabbi seitlich über sein Gebetbuch einen untertänigen Blick zu Eva hinaufschickte, einen Blick der Anbetung, der zwischen den eben noch in Frömmigkeitserregung geschlossenen Lidern gen Himmel strebte und auf diesem Weg Eva streifte, die ihn verstand.

 

II.

Das Geheimnis, das die verbannten und zwischen den anderen Völkern der Erde zerstreuten Juden lebensfähig erhalten hat, das ihren Glauben und seine seltsamen, jüdischen Glaubensformeln bewahrt, die Beschneidung, die im tiefsten Grunde den Schöpfer lästert, die Speisevorschriften, die einmal in Asien ärztliche Vorbeugungsmaßregeln waren, alle die Festtagsformeln, die im Altertum das Anbetungsbedürfnis eines trostsuchenden Hirtenvolkes vorgeschrieben hat, das Geheimnis, das Juden von Bildung und offenem Blick unter den nordischen Völkern morgenländisch erhielt und erhält, es ist in einem Worte zusammenzufassen, in dem Worte Elternverehrung, makellose Verehrung der Eltern und alles dessen, was sie für gut und richtig angesehen, was sie als anbetungswürdig und heilig verehrt haben, weil ihre Eltern es ebenfalls als unumstößlich wahr überliefert bekamen. Die Kinder werden in den Aeußerlichkeiten des Glaubens erzogen, wie die Eltern sie gelernt haben, ein Urteil über die überkommenen Glaubenssätze gilt als Verbrechen und so liegt in ihrer Befolgung eine gemütvolle Geistesträgheit, die auftauchende Zweifel sofort durch den Gedanken verscheucht: meine geliebten, braven Eltern haben es so gehalten, ich will sie nicht kränken und wenn sie nicht mehr leben, will ich ihre Gräber nicht entheiligen durch meinen Zweifel, durch meine Abkehr von ihrem Glauben. Das Geheimnis des Judentums heißt Pietät.

Eva und Rifke standen als Helferinnen neben der Mutter in der Küche, sie saßen häkelnd oder wäscheausbessernd neben ihr und horchten auf ihre liebe, gute Stimme, die immer wieder von den Tugenden des weisen Vaters erzählte, von seiner schönen Zufriedenheit und Genügsamkeit, sie luden ihre Freundinnen aus der Schulzeit zu sich und die Mutter überwachte die Unterhaltungen und Gespräche, wie auch die Mütter der Freundinnen, zu denen sie geladen waren, taten.

Da war es wohl die weltabgekehrte Frömmigkeit des gelehrten Rabbi Menascheh, daß gerade seine erstgeborene, Eva, zwar selbstverständlich rein und jungfräulich bei der Mutter stand, daß aber trotzdem ein Etwas sie anders machte als die Schwester und die anderen Judenmädchen, eine Art Ungeduld und Sehnsucht, eine hüpfende Geschäftigkeit und Heiterkeit, ein Bedürfnis, vor dem Spiegel sich zuzuwinken, die Haare zu ordnen und farbige Bänder hineinzuflechten, die freilich ein ernster Blick der Mutter verschwinden ließ.

»Vater«, flüsterte dann Mutter Sarah zu Vater Menascheh, »schau dir Eva an, sie macht mir Sorgen; sie ist fast so eitel wie ein Christenmädel, sie ist ja sonst brav und fleißig, aber anders ist sie, Rachel ist doch auch hübsch, aber sie weiß nichts davon, Eva weiß es«.

Da lächelte der Rabbi, er hatte vorhin, als er ins Zimmer getreten war, Freude empfunden, als er seine Kinder gesehen hatte und Eva hatte ihm so schelmisch zugewinkt, daß er ihr am liebsten einen Kuß gegeben hätte.

»Was willst du nur, Mutterleben«, sagte er darum, »gut ist sie, kochen kann sie, was willst du noch mehr? Und hübsch ist sie auch. Mir gefällt sie. Mach dir keine Sorgen!«

Unter den talmudbeflissenen Schülern war also seit einiger Zeit David, der Sohn des angesehenen und wohlhabenden Gemeindevorstehers, der den Leuten im Ghetto schon viel Kopfzerbrechen gemacht hatte, fast so viel wie seinem Vater Lederhändler. Der hatte ihn, als seinen Aeltesten, zum Teilnehmer und Erben seines großen Geschäftes bestimmt, hatte ihn aus der niedrigen Schule zu einem anderen Kaufmann in die Lehre gegeben und dort einige Jahre gelassen, obgleich der dem Vorsteher immer wieder darüber geklagt hatte, daß David ein merkwürdiger Junge sei, wie er noch keinen bei sich gehabt habe, so gar nicht für den Erwerb veranlagt. Als Schmeichelei hatte er immer wieder hinzugefügt, der Sohn des großen Kaufmanns habe es eben nicht nötig, wie die anderen Lehrjungen hinter dem Erwerbe herzusein, er sei zu nobel und er finde ihn stets wieder im Hofe hinter dem Laden mit dem Buche in der Hand, irgendeinem Gebetbuche oder einer Bibel, und wenn er ihm mit einem Auftrage wegschicke, so komme er lange nicht zurück, die anderen Lehrjungen erzählten ihm, daß er mit einem anderen Buben zusammenkomme, der auch so ein merkwürdiger Junge sei und mit dem er dann gescheite und gelehrte Sachen bespreche; nur daß der andere ein armer Bub sei, der neben seiner Klugheit auch voll geriebener Schlauheit stecke. Wenn dann der Vater seinen David vornahm, ihm ins Gewissen zu reden, dann weinte der Junge.

»Wenn ich nicht anders kann! Ich muß! Das ist doch nichts Schlechtes, wenn ich lern'!«

Nach ein paar Jahren nahm ihn der Vater in seine Schreibstube, David zeichnete die Buchstaben und Ziffern auf, wie ihm gesagt wurde, aber eine selbständige Rechnung konnte er nicht fertig bekommen, einen Geschäftsbrief zu schreiben war er außerstande; wenn jedoch einer der Schriftgelehrten oder Rabbi Menascheh zu dem Vorsteher kamen, da war das ein Festtag für David, er sprach mit ihnen mit glücklichen Augen, er fragte den Rabbi nach irgendeiner Stelle aus seiner letzten Predigt und zeigte sich so unterrichtet, daß der Rabbi dem Vorsteher immer wieder seine Freude über den jungen Mann ausdrückte, der ganz gewiß einmal ein Gelehrter und vorzüglicher Gemeindevorsteher sein werde.

Was soll ich mit dem Burschen machen? quälte sich der Vater; er schickte ihn in die Hauptstadt, daß er in die Welt komme. Er hatte dort einen besonders tüchtigen Geschäftsfreund, dem schrieb er einen Brief, daß er sich Davids annehme und einen brauchbaren Menschen aus ihm mache. Der versuchte es ein Jahr lang, David gehörig einzuspannen und in seinem Geschäft zu verwenden, aber die Scheu und das Einsamkeitsbedürfnis war aus dem Menschen nicht zu vertreiben, so daß er endlich den braven, aber untauglichen David in eine Handelsschule schickte, daß er dort ordentlich schreiben und Geldverwaltung lerne; nicht etwa, weil er nicht sparsam oder ein Verschwender war, er lebte bescheiden und ganz ohne Lust an Vergnügungen, nicht einmal auf bessere Kleidung hielt er, er ging in die Schule und lernte ganz ordentlich seine Aufgaben, seine Schrift wurde flüssig und deutlich, nur selbständig konnte er nichts durchführen, auch dann nicht, als er die Schule gut erledigt hatte.

Nun nahm der Vater den Zweiundzwanzigjährigen wieder in sein Geschäft zurück, in dem der jüngere Bruder Davids schon tüchtig schaltete und im Abwickeln der Geschäfte einen Unternehmungsgeist und eine Klugheit bewies, daß der Vater ihn manchmal mahnen mußte, sich nicht für gar zu gescheit und die Kundschaft für zu dumm zu halten.

»Vater«, sagte nach einigen Monaten der Jüngere, »Ich hab' doch David sehr gern, er schreibt alles ordentlich, wie man ihm sagt, aber ein Geschäft kann er nicht führen. Er ist ein geborener Rebbe. Gebt ihn zu Rabbi Menascheh, dort wird er was taugen.«

Darüber erschrak der Vater sehr, er schaute seinen Sohn lange und mißtrauisch an, der aber verstand den Blick des geliebten Vaters.

»Ich will ihn nicht verdrängen, so soll mir Gott helfen, Vater! Bin ich so?«

Der Vater senkte den Blick, er überlegte wochenlang hin und her, er besprach es mit seiner Frau und beriet sich mit allen möglichen angesehenen Leuten aus dem Vorstand der Gemeinde und endlich, endlich rief er seine beiden Söhne und teilte David mit, was der Bruder für einen Vorschlag über Davids künftiges Leben gemacht habe. Da schaute der sich nach allen Seiten im Zimmer um, ob er wirklich recht gehört habe, er konnte es nicht für möglich halten, dann aber umarmte er seinen Bruder.

»Vater«, sagte er, »warum ist die Mutter nicht dabei, daß sie mir sagt, ob ich euch nicht kränke? Das ist doch mein einziger Wunsch, zu lernen! Ich danke dir, Vater, wenn du das erlaubst. Es macht mich glücklich!«

Er eilte zur Mutter hinauf in die Wohnung, er kam mit ihr zurück und küßte sie mit Tränen in den Augen. Und schon am nächsten Tage war er bei Rabbi Menascheh in der Talmudschule. Seither waren zwei Jahre vergangen, Schüler und Lehrer waren zufrieden und der Vater Vorsteher hatte sich damit abgefunden, daß sein mißratener Sohn in der Talmudthoraschule so gut geriet.

Damals, als der Sohn des reichen, angesehenen Vorstehers in die Schule ihres Vaters eingetreten war, da hatte Eva die Ohren gespitzt, wenn der Vater am Abend den Namen David nannte und der Mutter erzählte, wie bescheiden und aufmerksam der neue Schüler sei, wie er gewiß auch zu Hause daran arbeite, alles das nachzuholen, worin ihm die Anderen natürlich schon voraus waren, sie hätte gar zu gern einmal David gesehen, von dem ihre Freundinnen so viel Merkwürdiges erzählten, der kaum zu glauben, lieber Talmud lernte, statt ein reicher Lederhändler zu werden, der also für die Vorstellung der Judenmädchen ein seltsamer Narr war, der sich noch dazu nie um ein Mädchen kümmerte und über den selbst von seinen Schwestern nichts zu erfahren war, als daß er immer und immer hinter seinen dicken Büchern sitze.

Eva hatte versucht, ihn aus dem kleinen Zimmer zu erschauen, dessen Fenster auf die Gasse blickte, er war aber kaum von den anderen zu unterscheiden, er trug einen Kaftan und war nur vielleicht etwas größer als sie, sein Rücken war gekrümmt und er hob niemals den Kopf. Einmal, als die Mutter nicht zuhause war und der Gemeindediener eine wichtige Meldung für den Vater auszurichten hatte, da hatte sie nur rasch in den Spiegel geschaut und ihre Löckchen geordnet, dann war sie schüchtern und doch neugierig in den Saal getreten, sie hatte die Blicke gesenkt und doch schnell um den langen Tisch geschickt, all die anderen Schüler hatten sie rasch angeschaut, David aber las eben eine Stelle aus der Bibel vor und nahm sie wohl gar nicht wahr. Da hatte sie dem Vater ihre Meldung ins Ohr geflüstert und war rasch hinausgeschlüpft, bei der Tür noch einen Blick zurücksendend, der die erstaunten Augen des verwundert aufblickenden David streifte.

»Mutter«, meldete sie dann der Zurückgekehrten, ich war drin, Gott, wie beneid' ich dich, daß du täglich hineingehen kannst! Wie sitzt unser geliebter Vater großmächtig zwischen den Lernenden, wie schön ist unser Vater, wie ein Prophet! Wie alle auf seine Worte horchen! Das hab' ich ja natürlich nicht gesehen, aber gefühlt hab' ich es, so stille war die Luft neben den Worten des Vaters, so wie Samstag im Tempel! Ich möchte gern wieder einmal hineindürfen!«

Daraus wurde in den nächsten Monaten nichts. Der graue Herbst lag auf dem Ghetto und der weiße Schnee machte es nur dunkler. Der große Ofen im Saale fraß zu viel Kohle und Holz, da übersiedelte die Schule hinüber ins Gemeindehaus und die Mutter brachte dem Vater das Essen über die Gasse.

Die ersten Tage des Mai waren noch unsicher, ob sie schon lächeln dürften – die Schule war schon im April wieder in den großen Saal zurückgekehrt – da lachte die Sonne auf Stadt und Ghetto herunter. Es war Frühling.

 

III.

Naturempfindung und Schönheitssinn ist für eingesperrte, arme, gedrückte Menschen etwas ganz Unbekanntes, aber auch für Ghettojuden nie Empfundenes. Die freuen sich, wenn das Frühjahr wieder kommt, daß der Winter zu Ende geht, daß in den Öfen nicht mehr geheizt werden muß, sie hängen die Familienerbstücke, die Pelze, auf den Boden und nehmen ihre leichteren Röcke, und die Mädchen sind fröhlich über den Wechsel ihrer Kleider, die sie wieder jung machen, über die Abende, die ihnen gestatten, mit den anderen Mädchen zusammenzukommen und in Gruppen durch die engen Gäßchen und auf dem kleinen Platz vor dem jüdischen Rathaus zu wandeln, Wintereindrücke zu tauschen und über Veränderungen im Ghetto zu sprechen. Mutter und Töchter bei Rabbi Menascheh haben die Küchenfenster offen stehen, die gehen auf den jüdischen Friedhof hinaus und eine frische und kräftige Luft kommt vom Rasen und den alten Bäumen des Bes Chajim, des Hauses des Lebens, des Friedhofs. Das ist der einzige Garten im Ghetto, das einzige Grün im Judenviertel. Ob nun der Gartenduft Evas Sinne berauscht hat, ob ein verirrter Hauch aus der Christenstadt durch das offene Fenster geschlüpft ist und just Eva verwirrt, ein Sehnen zieht in ihre Brust ein, daß sie beide Hände gegen ihr unruhiges Herz pressen muß, ein Frühlingsrausch, wie einem Christenmädchen, indes Rifke gesund und teilnahmslos neben ihr beim Küchentisch steht und Erdäpfel für das Abendessen schält; Eva atmet tief ein.

»Das ist eine Luft!« sagt sie, »ganz betrunken macht sie einen!«

»Was heißt, betrunken macht sie einen?« wundert sich Rifke. »Bist du schon einmal betrunken gewesen, daß du weißt, wie einem ist, der zu viel getrunken hat?«

Eva aber schaut mit großen Augen über den Friedhof gegen den klaren Vollmond am Himmel empor, der ihre Sehnsucht, Sehnsucht nach etwas ganz Fremdem, Unbekanntem nur noch größer macht. Sie steht beim offenen Fenster, einen Arm emporgeschlagen, ihr Herz klopft fast feierlich in ihrer Brust, sie verläßt die Küche und steigt die halbdunkle Stiege hinunter in das Vorhaus, von dem die Tür in den Friedhof führt. Da ist oben just die Schule aus, die Männer und Jünglinge steigen die Treppe hinunter. Eva steht versteckt im Treppendunkel, David kommt verträumt als letzter hinter den anderen, die schon auf die Gasse hinausgetreten sind. Da kann Eva sich nicht mehr zurückhalten, sie steht neben David und faßt ihn beim Ärmel.

»David«, sagt sie, »hast du den Bes Chajim im Mondlicht gesehen? Er ist schön wie kein anderer Ort im Ghetto. Ich will dir ihn zeigen.«

Sie hat die Türe geöffnet und den Willenlosen in das Silberflimmern des träumenden Gartens des Friedens geführt. Weißer, duftender Flieder steht wie wintervergessen im Schneelicht des Mondes, weißer, junger, duftender Flieder, auf einem Blütenbaum sitzt eine Nachtigall, die gewiß nicht weiß, daß sie, auf einen Friedhof und gar auf einen Judenfriedhof geraten ist und die ihr sehnsüchtiges Lied singt nur für sich und nicht für jemand, der sie höre.

Eva aber hat sie gehört, sie lauscht ihr und ist ihr dankbar für ihren Gesang, sie kann doch wenigstens den stummen David fragen, ob er die Nachtigall auch höre.

Da sieht er Eva fassungslos in das mondscheinbestrahlte Gesicht, er schaut ihre leuchtenden Augen, leuchtend vor innerem Jubel und leuchtend im Mondenlicht. Sie haben jetzt in der Thoraschule eben das Hohe Lied Salomos begonnen, er weiß nicht, was er dem Mädchen antworten soll, es muß doch etwas Besonderes, Ausgesuchtes sein, da sagt er die Verse her, die sie heute gelernt haben:

»Der Winter ist vergangen, der Regen ist weg und dahin, die Blumen sind hervorgekommen im Lande, der Lenz ist hergekommen und die Turteltaube läßt sich hören in unserem Lande.«

Sagt Eva: »Ist das die Turteltaube, die so schön schluchzt in den Zweigen? Ich weiß es nicht, woher sollte ich es wissen? Wenn du sagst, es ist die Turteltaube, so will ich es glauben. Ich habe noch nie achtgegeben auf den Sang eines Vogels im Garten bis heute. Warum habt ihr niemals die Fenster offen im Saale, wo ihr lernt? Die Luft ist doch jetzt so süß!«

Da schüttelt David ganz erstaunt den Kopf: »Wie sollen offen stehen die Fenster in unserer Schule? Wir sitzen doch ganz fern vom Lärm der Gasse und lesen in den heiligen Büchern und das ist unser Glück.«

»Jetzt aber am Abend nach der Schule, fühlst du nicht das Glück, das hier in der Luft ist, im Mondschein und in dem schönen Garten?«

»Das ist kein Garten, wie die Gärten um die Häuser der Christen. Das ist der Totengarten und heißt doch Bes Chajim, der Garten des Lebens, wie geschrieben steht.«

Da sagte Eva wie aus einem Traume: »Der Garten des Todes, kann er nicht auch werden ein Garten des Lebens?« Ihre Augen schauten traurig in die Augen Davids, der kaum zu atmen wagte. »Denk' nach darüber, David. Ich führe dich jetzt wieder zurück, daß du nach Hause gehst; ich muß hinauf, daß sie nicht wissen, wo ich gewesen bin. Wenn du wieder mit mir in den Garten treten willst, brauchst du bloß hinter deinen Genossen zurückzubleiben beim Treppenniedersteigen. Ich will dich erwarten.«

Sie hatte die Linke Davids erfaßt, er fühlte ihre weichen Finger und folgte ihr stumm durch die Türe. In dieser Nacht hat er nicht geschlafen, er hat immer wieder, das Hohe Lied Salomos gelesen, nicht wie in der Talmudschule, nein, wie ein junger Mensch, der sich ans Herz greifen muß, weil etwas Neues, Schönes in sein Leben getreten ist; und weil das Hohe Lied so schön davon singt, wenn auch der Rabbi Menascheh es so ganz anders, so kalt und nüchtern erklärt.

 

IV.

Die nächsten Abende kamen sie nicht zusammen. Denn es war erst Freitagabend und Gottesdienst im Tempel, dann kam der Sabbat und David stand unter den Talmudschülern und verrichtete sein Gebet; er stand an die Wand gelehnt und schaute während der Predigt verstohlen zu Eva empor und merkte erst heute, daß sie schöner war als seine Schwestern und die anderen Mädchen, die er jemals gesehen hatte. Sie lächelte ihm zu und roch dabei an einer Blume, die sie in der Hand hielt, um sich darüber beugen und hinabschauen zu können, einer Blume, die sie gewiß im Friedhofsgarten gepflückt hatte und die ihn an den schönen Abend gemahnen sollte, kein anderes Mädchen, keine andere Frau hatte eine Blume in der Hand.

In den nächsten Wochen aber nahm Eva ihn doch wieder in den Bes Chajim, sie sprachen miteinander alles Mögliche, Eva schlug ihm vor, er möge erst nach Hause gehen zum Abendessen und dann zurückkommen, sie habe schon mit Rifke besprochen, daß sie zusammen nach dem Abendbrot in die Gasse gehen wollten, sie werde dort Rifke den Freundinnen lassen und zu ihm rückkehren in den Friedhof im Mondenscheine.

Dagegen hatte er nichts einzuwenden, also waren sie im Sommer öfter und länger zusammengekommen, Eva hatte wieder ihr munteres Plaudern und Lachen zurückgerufen, sie hatte den Unselbständigen nach dem jüdischen Sprichwort: »Zieh' mich, ich geh' gern«, »Ziehmich« genannt.

»Werden wir uns morgen wiedersehen, Ziehmich?« fragte sie ihn, wenn sie ihn in den Hausflur zurückgeleitete, da sie Rifke holen mußte. Sie saßen auch unter dem alten Kastanienbaum, der vom Küchenfenster nicht zu sehen war, er sprach von der letzten Predigt des Rabbi Menascheh oder von einer schweren Stelle aus dem Talmud, und es freute ihn, ihr berichten zu können, daß er sie gut habe erklären können. »Ich freue mich mit dir, Ziehmich«, sagte sie dann und reichte ihm die Hand hin. Er nahm sie und erwiderte den Druck, sie ließ sie in seiner Rechten liegen, obgleich er nicht wußte, was er mit ihr anfangen solle. Sie überlegte den Tag über, welchen Gesprächstoff sie für den Abend vorbereiten sollte, sie fragte ihn nach seinen Brüdern und Schwestern und erzählte ihm von ihrer guten Mutter und der braven Rifke; und da es Sommer war und seine Turteltaube so ganz besonders zärtlich durch den schwülen Garten sang, da rückte sie ganz nahe an David heran, daß er seinen Arm zwischen ihnen hinter der Bank herunterhängen lassen mußte, sie wußte selbst nicht, wieso sich diese Frage auf ihre Lippen drängte:

»Hast du schon einmal geküßt, Ziehmich?« fragte sie plötzlich und versteckte dabei ihr Köpfchen an seiner Brust, Und da er verwirrt schwieg und bloß mit dem Kopfe »Nein!« andeutete, da hob sie ihr Köpfchen zu ihm empor und schaute ihn innig an, so daß er sagte:

»Wen soll ich denn geküßt haben außer der Mutter? Du hast doch auch noch nicht geküßt?« fragte er dann, plötzlich mutig geworden und ohne eine Antwort zu erwarten.

Sie wollte den Kopf von seiner Brust lösen, da schlang er seinen Arm um sie, er drückte sie an sich. »Darf ich?« fragte er, er wußte nicht, ob er seine Lippen auf ihren Mund drückte, oder ob sie ihm den Kuß gab, er zitterte unter ihrem Kusse, und dann sagte er, mit großen Augen in den Mondschein schauend neben Evas Köpfchen hin die Zeile aus dem Hohen Liede:

»Deine Lippen, meine Braut, sind wie triefender Honigseim.«

Sie ließ die Worte sich dem Mondschein vermählen und verklingen, ihr Herz hüpfte in ihrer Brust in glücklicher Erregung, sie wußte wohl nicht, daß er die Worte Salomos nachgesprochen hatte. Da umschlang sie den bebenden David mit beiden Armen, küßte ihn glühend und sprach:

»Deine Braut nennst du mich, Ziehmichel, deine Braut? So soll ich dein Weib werden, David, auserwählt von dir unter den Töchtern Israels?«

Da mußte sich David erst besinnen, was Eva mit ihrer Frage meinte, er hatte die Zeile aus dem Hohen Liede so wie in der Talmudschule in seiner Freude darüber gesagt, eine Belegstelle für den Kuß zu wissen, er wiederholte darum den Satz; Deine Lippen, meine Braut, sind wie triefender Honigseim. »Ja,« setzte er dann hinzu, »meine Braut und einmal mein Weib, wenn meine Eltern es erlauben werden!«

»Die werden es dir schon erlauben, wenn du erst ein Mann sein wirst, deinen Willen durchzusetzen!« Eva stand vor ihm, ihre Augen funkelten, sie wußte, daß sie David zum Manne machen, daß sie siegen werde.

»Bes Chajim, Haus des Lebens!« sagte sie glücklich und breitete die Arme aus als Dank für den Garten, der ihr Glück schaffen geholfen, der ihr junges Glück miterlebte.

Die Spätsommerabende, die sie dann noch miteinander verbrachten, waren schon wirkliche Liebesabende, Eva schlüpfte munter vor David zum Kastanienbaum, sie brachte es fertig, daß er ihr nachhastete, um sie zu fangen, sie entwand sich ihm, wenn er sie umarmen wollte, denn Eva fühlte ganz gut, daß er immer erst ein Hindernis beseitigen mußte, wenn er nicht bloß aus Gewohnheit und Ordnungssinn sie Abend für Abend umarmen und küssen sollte; er war nun einmal so hölzern.

Einmal brachte er Eva als Geschenk ein schönes Gebetbuch für Frauen mit, sie dankte ihm mit einem langen innigen Kusse, aber sagte ihm gleich, daß sie es jetzt noch nicht in den Tempel werde mitnehmen können, ihre Eltern und Rifke wüßten ja noch nichts von ihren Liebesabenden.

»Ich möchte es aber so gerne in deiner Hand sehen, wenn du im Tempel bist«, meinte er. Er sann nach, plötzlich fiel ihm ein, seine Schwester könne ihm das Buch für Eva geschenkt haben, der wolle er sich anvertrauen. Das geschah denn auch und nach ein paar Abenden ging Eva wieder mit Rifke auf dem Platz vor dem jüdischen Rathaus und dort war auch Ruth, die Schwester Davids, sie sprachen miteinander, Ruth habe sich schon ausgedacht, daß sie Eva danken wolle, weil ihr Bruder bei Rabbi Menascheh so zufrieden sei und darum wolle sie Eva ein Andenken geben. Eva solle sie besuchen. Das meldete diese zu Hause, Vater Menascheh war ganz stolz darauf, welche Ehre ihm zuteil würde, daß seine Tochter zum Herrn Vorsteher eingeladen wurde. Als dann Eva nach ein paar Tagen das schöne Gebetbuch nach Hause gebracht hatte, nahm er seinen Schüler David beiseite und dankte ihm in Evas Namen, die ihm doch nicht selbst danken könne. Da schämte sich David freilich einen Augenblick, daß er seinen verehrten Lehrer so betrüge, aber ein glückliches Gefühl wärmte ihm dabei das Herz.

»Ich hab' Ihnen zu danken«, antwortete er darum, »alles hab' ich Ihnen zu danken!«

Menascheh freute sich, daß er der lieben Mutter Sarah davon erzählen konnte und daß auch sie sich freute über die Auszeichnung, die Eva zuteil geworden. Denn sie hatte sich die Monate her immer wieder Sorgen gemacht über Evas Wesen, aber davon dem Vater zu sagen, traute sie sich nicht, da er sie schon damals ausgelacht hatte, als sie mit Eva nicht einverstanden war.

 

V.

Die ersten Winterwochen hatten Vater und Mutter viel Geheimes zu besprechen, das die Töchter nicht mitanhören durften; die mußten entweder in der Küche bleiben oder durften Freundinnen besuchen. Einmal fanden sie, nach Hause zurückkommend, den Gemeindediener bei den Eltern sitzen. Den Grund für das seltsame Wesen der Eltern erfuhren sie denn auch nach kurzer Zeit: der Gemeindediener befaßte sich auch mit dem Vermitteln von Eheschließungen, er führte Buch über die heiratsfähigen Mädchen und ehereifen Jünglinge und Männer der Gemeinde und so hatte er dem Rabbi Menascheh den etwa 30jährigen Sohn eines Gutspächters vorgeschlagen, dessen Eltern die königliche Erlaubnis hatten, in der Nähe Prags eine Wirtschaft zu führen. Er war dem Vater Menascheh bekannt, da er zu den großen Feiertagen mit seinen Eltern in den Tempel zu kommen pflegte, er war gesund und wohlhabend. Die Gespräche mit dem Gemeindediener beschäftigten sich hauptsächlich mit der Feststellung der Vermögensumstände auf beiden Seiten und mit der Frage der Aussichten des jungen Schlojme auf Uebernahme des Gutes. Der Vermittler hatte sich aufgeschrieben, wieviel Mitgift Eva zu erwarten habe, daß sie eine reichliche Ausstattung an Wäsche und Kleidern bekommen und daß sie eine gute Hausfrau sein werde; sie war doch die Tochter ihrer Mutter und die kannte jeder als Muster von Wirtschaftssinn und Tüchtigkeit.

Davon verständigte der Gemeindediener die Familie des ehebeflissenen Schlojme, sie war mit der Wahl der Rabbinerstochter einverstanden, da sie alle schon dringend die Verheiratung ihres Sohnes wünschten. In der zweitnächsten Woche wollten sie also in die Stadt kommen »auf Beschau«. Mutter Sarah machte die Tage vorher ganz besonders feine Kuchen und briet Gänse und Hühner, sodaß die Töchter immer wieder fragten, ob der Vater ein Fest feiern werde, für wen sie denn alle die feinen Leckerbissen bereite. Da verriet denn die Mutter einen Tag vor der Beschau den Mädchen, was Eva bevorstehe, der Vater nahm Eva an diesem Abend zu sich und schilderte ihr die Verhältnisse des Auserwählten. Eva zuckte zusammen, als sie so plötzlich vor eine beschlossene Tatsache gestellt wurde, gegen die es keinen Widerspruch gab.

»Muß ich denn schon heiraten?« weinte sie vor sich hin, »muß ich denn schon von euch weg, ich bin doch so glücklich zuhause! Und gar aufs Land hinaus, wo ich euch, wo ich die Mutter nicht mehr neben mir haben werde?«

Rabbi Menascheh legte seine Priesterhand auf das Haupt seiner Tochter: »Sei froh, daß wir eine so gute Partie für dich haben aussuchen können, Schlojme wird einmal das Gut übernehmen und du wirst die Wirtschaft führen dürfen, das ist doch ein Glück für eine Rabbinerstochter. Groß, stark und gesund ist er. Kennst du in nicht?«

»Gesehen hab' ich ihn«, antwortete Eva, »gesehen aber nicht gesprochen. Moische Zwieback ist verwandt mit ihm, bei seinen Eltern übernachten sie immer, wenn sie zu den Feiertagen hereinkommen.«

Die Mutter trat zu ihnen: »Dein schönes neues Kleid wirst du morgen zum erstenmal anziehen, ich borge dir meine schöne Kette, daß du dich damit schmückst.«

Da umarmte Eva ihre liebe Mutter: »Ich möchte so gern bei dir zuhause bleiben dürfen, Mutter, meine liebe, gute Mutter!«

»Laß' nur gut sein!« sagte die Mutter. »Der liebe Gott wird alles zum guten wenden, fürcht' dich nicht mein liebes Kind!«

Eva schlüpfte nach dem Abendessen aus der Küche weg, wo Rifke der Mutter noch zur Hand ging. Sie mußte doch David davon sagen, was ihnen bevorstand. Der starrte sie fassungslos mit offenem Munde an.

»Du sollst heiraten?« kam es dann über seine Lippen. »Hast du denn deinen Eltern nicht gesagt, daß ich dich heiraten will?«

Und wie die jiddische Sprache so gern mit einer Frage antwortet, sagte Eva:

»Hast du deinen Eltern gesagt, daß du mich heiraten willst?«

»Wie werde ich ihnen das sagen?« zweifelte David vor sich hin. »Eva mein Geliebtes, laß' morgen die Tür zum Bes Chajim offen, ich will von unten hinaufschauen, Gott soll geben, daß nichts daraus wird!«

Da tat ihr der arme, gute, ungeschickte Ziehmich wirklich leid, sie drückte ihm einen Kuß auf die Lippen.

»Ich lasse die Tür angelehnt«, sagte sie. »Was kann uns das nützen, wenn du unten stehst und ich hab' oben Beschau!« Und damit verschwand sie.

 

VI.

Am nächsten Tag schloß Rabbi Menascheh die Schule um zwei Stunden früher als sonst. »Ihr werdet vielleicht schon morgen erfahren, warum ich heute schon so bald mit dem Lernen aufhören muß. Das Versäumte werden wir morgen nachholen!«

David schlug die Augen nieder, er wollte sich nicht verraten, daß er den Grund des früheren Schulschlusses wisse, er preßte die Zähne aufeinander, daß ihm kein Seufzer entweiche und drückte sich zwischen den anderen Schülern zur Türe hinaus.

Mutter Sarah brachte dann ihrem Manne sein Festgewand, sie hatte den beiden Töchtern schon ihre feinen Kleider anziehen geholfen und ging jetzt selbst daran, sich gut zu kleiden.

Es dauerte gar nicht lang, da kamen die Eltern Schlojmes und wurden in dem großen Saale begrüßt, der Rabbi führte mit ihnen ein längeres Gespräch, er lobte die guten Eigenschaften seiner Tochter, er fragte nach den Tugenden Schlojmes und was er gelernt habe, die Gäste erzählten ihm, was sie Gutes zu berichten wußten, wie tüchtig in der Wirtschaft, wie sparsam und ordentlich als der Sohn sei, wie sie bei der Wahl einer Frau für den, mit Frauen ungeschickten Schlojme nicht so sehr auf die Mitgift schauen, das hätten sie Gott sei Dank nicht nötig, als daß es ein braves, häuslich erzogenes Mädchen sei, das genug Ernst besitze, sich draußen auf dem Hofe einzuleben, worin die Mutter Schlojmes sie unterstützen würde. Dann kam Frau Sarah, die den Speisetisch noch geprüft hatte, sie mischte sich in das Familiengespräch und führte dann Eva und Rifke in den Saal, stolz darauf, wie hübsch und nobel die beiden Mädchen in ihren schönen Kleidern aussahen. Eva hatte die Blicke niedergeschlagen und Rifke stand neben ihr, verlegen und überflüssig. Endlich kam auch Schlojme die Treppen herauf, er war ein großer Mensch mit kräftigen Gliedern, ungeschickt in seinen Bewegungen und gar in seinen Worten, mit denen er sich grinsend einführte, der richtige »Kracher« vom Lande. Er wußte nicht recht zu antworten, als Eva gescheit und schlau das Gespräch auf Moische Zwiebacks, auf seines Verwandten Tochter brachte, mit der sie gut bekannt sei. Sie flocht manches heitere Wort in ihre Reden und freute sich, daß ihr Vater sie durch Blicke ermunterte und seine Freude über ihr kluges Verhalten durch Kopfnicken ausdrückte. Er ließ dann wohl auch den Blick auf Rifke ruhen, die schweigsam neben ihrer Schwester stand, er warf auch ihr einen anerkennenden Blick zu, der aber mehr ihren runden Formen galt, die von den Juden immer bevorzugt wurden und die ihr gewiß auch einen Mann verschaffen würden.

Schlojme war von seiner Mutter vorbereitet worden, wovon er reden solle, er hatte draußen im Dorfe von dem Schullehrer in der Landessprache nicht nur sprechen, sondern auch lesen gelernt, worauf er sich nicht wenig einbildete, sogar der Pfarrer sprach manchmal mit ihm, nicht nur, wenn Schlojme ihm Geschenke, Speisen und Obst brachte, auch sonst, wenn er zum Beispiel für eine Predigt eine Stelle aus der Bibel brauchte, die ihm Schlojme dann aussuchte.

Indes hatte Mutter Sarah die Suppe aufgetragen, Vater Menascheh hatte die Gäste in das Zimmer geführt, die Männer bedeckten die Köpfe und der Rabbi sprach das Tischgebet, dann setzte man sich zu Tische.

Schlojme ließ bald schnalzend und schlürfend merken, daß ihm die Suppe gut schmecke, und später als er den knusprigen Gansschenkel wie eine Flöte vor dem Munde hielt und abknabberte, fühlte er sich schon sehr behaglich, er fragte Eva, ob sie selbst so gut backen und kochen könne.

»Rifke und ich haben das von unserer guten Mutter gelernt«, lachte Eva, dann wie aus Trotz fügte sie hinzu: »Aber Rifke kann noch besser kochen als ich! Nicht wahr, Mutterl, du sagst mir immer in der Küche, ich soll mir achtgeben, wie Rifke kocht, die kann alles besser wie ich.«

Da fühlte Schlojme, daß er jetzt auch etwas sagen müsse. Ein breites Grinsen lag um seine Lippen: »Das merkt man ihr auch, unberufen, an, daß sie sich gut auf Essen versteht!« Er ließ dabei wie vergleichend die Blicke über den zierlichen Körper Eva's und die Rundungen Rifkes gleiten, sein Vater lachte ebenso grob wie sein Sohn dazu, und nur die Mutter lenkte das Gespräch auf einen anderen Stoff.

Als nach dem Braten die fettriefende, wohlriechende Mehlspeise herumgereicht war, da schwieg die Unterhaltung, die hingegebene Beschäftigung des Kauens hätte einen Hereintretenden gar nicht auf den Gedanken gebracht, daß die um den Tisch Versammelten zu solch einer wichtigen Entscheidung zusammengekommen waren. Endlich fragte Schlojmes Mutter ihren Sohn: »Was sagst du, ist das gut?«

»Ob das gut ist«, antwortete Schlojme, dann aber, um zu zeigen, daß er wisse, worauf es im Leben ankommt, fügte er seine tiefste Weisheit bei: »Nur daß man nicht immer so noble Sachen essen kann! Eine junge Frau muß zuerst die Wochentagsspeisen kochen können. Das Leben besteht aus Wochentagen!«

»Laß' gut sein«, wehrte seine Mutter ab. »Wer so gut braten und backen kann, kann auch gut kochen!«

Mutter Sarah winkte dann den beiden Mädchen, daß sie abtragen und das Obst bringen mögen. Die Pause benützten die Eltern, um ihre Freude über die prächtigen Rabbinerstöchter auszudrücken.

»Nun, was meinst du, Schlojme?« fragte die Mutter ihren Sohn. »Gefällt sie dir? Willst du sie heiraten?«

»Sehr gut gefällt sie mir!« antwortete der Sohn. »Gott soll uns beistehen!« Allgemeine Zufriedenheit füllte das Zimmer, die Männer lehnten sich behaglich in ihre Sessel und die beiden Mütter hatten sich sehr viel zu erzählen.

Die Mädchen brachten dann das Obst und reichten es den Gästen. Eva hatte in der Küche Rifke umarmt und geküßt: »Du wirst mich heute nicht verlassen, ich bitte dich um Gotteswillen, tu heute, was ich von dir will. Du weißt doch, sie werden mich später in unser Zimmer einsperren, da bleib' bei mir! Ich werde es schon geschickt einrichten!«

Da hatte Rifke Eva geküßt. »Mein liebes Schwesterl«, sagte sie unter Tränen, »du weist doch, wie lieb ich dich hab'!«

Nun saßen sie wieder neben Schlojme, der von den Obstbäumen draußen auf dem Gute erzählte, wie viel sie davon der nächsten Gemeinde abliefern mußten, wie viel sie verkauften und wie viel die Mutter für den Haushalt behalte, er berichtete, wie weit die nächsten Juden wohnten und daß manchmal die Familie des mehrere Stunden entfernten jüdischen Gutspächters zu ihnen käme, die aber keine Tochter hätten. »Die hätten mir gern eine Verwandte angehängt!« sagte er, mit lautem Lachen sich auf den Schenkel schlagend, »die war schon bei mir auf Beschau!«

Seine Mutter erschrak über die Worte Schlojmes, der Vater aber begleitete sein Lachen:

»Daß muß ich ihnen erzählen, Rabbileben. Eva und Rifke werden dir, Schlojme, ihr Zimmer zeigen, geh' mit ihnen!«

Als die jungen Leute sich entfernt hatten, sagte er: »Siehst du, Mutter, er war' im Stand gewesen, die Beschau von Josel zu erzählen! Das ist nichts für die Ohren der Mädchen. Also, Josel ist das Geschwisterkind von Amschel Beck, unserem Gutsnachbar, und sie haben einmal einen Besuch mit Josel bei uns gemacht, daß sie sich kennen lernen, sie Schlojme und Schlojme sie. Wir haben Mittag gegessen und dann ist Josel, Amschels Frau und Schlojme durch unser Haus gegangen, haben sich alles sehr genau angeschaut, ob alles in Ordnung ist, denn Josel hat doch zeigen wollen, daß sie sich auf einem Hof gut auskennt, und ihre Tante hat sehen wollen, was für Vorräte wir haben, damit sie die Mitgift abschätzen könne, die sie Josel mitgeben müssen. Wie sie dann in den Stall gekommen waren und haben sich unser Vieh angeschaut, hat Josel auf den Speicher hinaufgezeigt, zu dem eine Treppe hinaufführt, und hat gesagt:

»Komm hinauf, wir wollen uns doch ansehen, was sie noch im Speicher oben für Vorräte haben!«

Schlojme hat gesagt: »Ich werde nicht stören, ich bleib' unten.«

Und so sind Tante und Josel die Treppe hinaufgestiegen und haben sich oben umgeschaut. Da gibt's auf einmal einen Krach, am Boden des Speichers ist eine Lucke mit Brettern geschlossen, auf die ist Josel getreten, ein Schrei, die Lucke springt auf und auf einmal hängt Josel mit nackten Beinen und noch höher hinauf nackt in der Lucke, ihre Röcke waren nach oben geschlagen und haben sie zurückgehalten, daß sie nicht heruntergefallen ist.

Da hat Schlojme hinaufgeschaut: »Jetzt bin ich auf Beschau« hat er gelacht und ist die Treppe hinaufgestiegen und hat Josel, die sich an dem Rand der Lucke festgehalten hat, in die Höhe gezogen. »Jetzt war ich auf Beschau!« hat er gelacht.

Josel aber hat die Hände vor ihr Gesicht gehalten und hat sich geschämt. Sie sind gleich darnach weggefahren!

Er hatte die Geschichte schon fünfzigmal erzählt, aber er freute sich beim einundfünfzigstenmal wieder darüber. Mutter Sarah hatte die Hand der anderen Mutter in ihrer Hand und schaute in ihren Schoß nieder und Vater Menascheh fühlte unbehaglich die Verpflichtung, das laute Lachen seines Gastes mit einem Lächeln zu begleiten. Er war froh, daß gleich darnach die jungen Leute zurückkamen.

Mutter Sarah goß jetzt aus der Flasche Wein in die Becher, die wurden herumgereicht und Rabbi Menascheh erhob sich und hielt eine Ansprache, in der er über die jüdische Ehe sprach; über die Würde der Hausfrau und die Verantwortung zweier junger Leute, die einander die Hände zum Bunde reichen. Der Trinkspruch war mit schönen Bibelstellen geschmückt und floß ohne Stockung von den Lippen des gelehrten Redners. Nun ging er auf die wichtigste Tugend einer Frau ein, die ihren Mann glücklich machen wolle, auf die Geduld. So erklärte er die Sitte, die ihm Ghetto damals bei jeder Beschau eingehalten wurde, daß die zu Erwählende in ihre Kammer eingesperrt wurde, in welcher auf dem Tische ein verwirrter großer Knäuel Garn lag, durch dessen Entwirrung und Aufspulung sie beweisen mußte, daß sie Geduld habe und daß sie in entsprechend kurzer Zeit imstande sei, den Knäuel Garn wieder in Ordnung zu bringen, das Brautgarn, daraus sie in den Wochen des Brautstandes ihr Brauthemd fertigstellen sollte. »Habt ihr alles vorbereitet?« fragte er.

»Alles ist vorbereitet!« nickte die Mutter, Schlojme bestätigte das, er habe ein Bündel verwirrten Garns, groß wie eine Gans, auf dem Tische im Mädchenzimmer liegen gesehen. Nun erhoben sich alle, sie nahmen einen Schluck Weins aus den Bechern und dann führten sie Eva in ihr Gemach, Mutter Sarah küßte die Tochter zum Segen, Rifke stellte die Sessel etwas umständlich an den Tisch, die beiden Frauen und die Männer zogen sich zurück, nachdem sie Rifke aufgetragen hatten, Eva in ihrem Zimmer einzusperren. Die hielt Rifke an ihrem Rocke zurück, daß sie bei ihr bleibe. Eva lauschte auf den Gang hinaus, ob alle wieder im Zimmer angelangt seien, dann drückte sie Rifke in den Sessel.

»Du mußt für mich den Knäuel entwirren!« sagte sie flehend, »ich werde zur Zeit wieder oben sein!« Schon war sie bei der Türe, sie trat hinaus und schon drehte sie den Schlüssel im Schlosse. Rifke schaute ihr ängstlich nach, dann aber setzte sie sich gehorsam im Sessel zurecht und begann ihre Arbeit.

 

VII.

Eva stand noch einen Augenblick in dem dunklen Flur, ihre Augen waren flehend zum Himmel gehoben, ihre Linke preßte sich an ihr pochendes Herz, dann tastete sie sich gegen die Treppe, sie faßte das Treppengeländer und in tastenden Sprüngen war sie unten bei der Türe zum Friedhof und schon lag sie in den Armen Davids, der unter dem schneebedeckten Kastanienbaum gestanden war, den Blick fassungslos zum Küchenfenster gerichtet, und der, ohne sich darüber klar zu sein, klingende Verse des Hohen Liedes vor sich hingemurmelt hatte, dem dabei so unsäglich eng um die Brust war vor Sehnsucht, seine Eva zu umarmen und nie, nie wieder los zu lassen.

»Mein muß sie bleiben, mein! Ich lasse sie nicht los! Wenn sie nur schon da wäre! Warum hab' ich nur nicht gestern schon den Rabbi Menascheh gebeten, er soll mir sie geben. Wenn sie nicht mehr herkommt, was mache ich dann?« Er schlug sich an die Stirn, er reckte sich empor, als wäre er jetzt endlich zum Manne erwacht. Da lag Eva an seinem Herzen.

»David«, sagte sie, »jetzt Entweder – Oder! Der Vater hat schon den Segensspruch gesprochen, ich sitze jetzt oben in meiner Kammer beim verwirrten Knäuel, sie werden bald die Türe aufmachen wollen und schauen, ob ich die Probe bestanden habe. Ich aber hab' Rifke eingesperrt und die entwickelt das Brautgarn; so bin ich zu dir gesprungen. Willst du mich oder willst du mich nicht? Jetzt mußt du dich entscheiden!«

Da senkte David beschämt und dankbar seinen Kopf auf die Schulter Evas, er konnte nicht sprechen, Tränen liefen ihm über die Wangen, er preßte seine geliebte Eva noch wärmer an sich und atmete tief auf:

»Kein Mensch kann dich mir entreißen!« rief er laut in die klare Winternacht, in deren glitzerndem Schnee die Hollerbüsche wieder weiß zu blühen schienen, »mein bist du, Eva, mein Geliebtes, ewig mein!«

Er breitete seinen Mantel um die Geliebte, die selbst nicht wußte, ob sie vor Glück oder vor Frost bebte.

»Wir gehen jetzt zwischen den Gräbern, Bes Chajim wird uns segnen, Bes Chajim, das Haus des Lebens!«

Sie gingen zwischen den niedrigen Grabhügeln im Mondenschein dahin, die Lippen Davids sprachen die Gräbersegensprüche und Eva geleitete ihn von den alten, verfallenden Hügeln zu den kaum zugeschütteten, sie berechnete dabei klug, ob Rifke schon mit der Knäuelspulung fertig sein könne.

Sie lauschte in die weiße Friedhofsstille, aus dem Hause hörte sie Stimmen. Eva zog David an der Hand zur Friedhofstür:

»Willst du jetzt mit mir hinaufgehen, willst du bei meinen Eltern um mich werben?«

Da hörte sie oben just Mutter Sarah rufen: »Rifke, mein Kind, wo ist Eva? Wie kommst du da hinein? Hast du das Knäuel in Ordnung gebracht? Wo ist Eva?«

Rabbi Menascheh schaute sich fassungslos um, er trat zu Schlojme, der mit seinem einfältigsten Grinsen die Lage enträtseln wollte, sein Vater schüttelte ungläubig den Kopf: »Was sind das für verrückte Sachen?« fragte er seine Frau, die stirnrunzelnd auf die Türe starrte. »Verstehst du das?«

»Wie kann ich das versteh'n?« antwortete sie. »Rifke, sag', bist du die Braut? Wo ist Eva?«

Da reckte sich Schlojme in die Höhe: »Mir gefällt sie besser als Eva, die ist mir zu schlank und zu witzig. Ich nehm' Rifke, die wird mein. Reb Menascheh, gebt mir Rifke, wir passen zueinander.«

In diesem Augenblick, bevor noch Vater Menascheh antworten konnte, kam Eva mit David an der Hand die Treppe herauf, die Mutter hatte ihr gleich den Schlüssel aus der Hand gezogen und Rifke befreit, Eva stellte David vor den Vater und sagte:

»Vater, geliebter Vater, sei nicht böse mit mir, wir haben einander lieb, schau dir David an, Mutter, er will mich haben, er hat auf mich gewartet. Mutter, liebes Mutterl, wirst du mir verzeih'n, wirst du David verzeih'n, er hat mich wirklich lieb?«

Sie beugte den Nacken vor der Mutter und David neben ihr folgte ihr, er beugte gleich ihr den Kopf. Da flehten die Augen Mutter Sarahs zu ihrem Manne hinüber: Darf ich, Vater, erlaubst du mir es?

Der schaute sich um, was die Eltern Schlojmes zu all dem meinten. Die standen neben ihrem Sohne, der Rifke umarmt hatte, und der jetzt, ganz zufrieden mit seiner Beschau, rief: »Wir passen sicher zueinander, Rifke, mein Gold! Du bist brav und gesund und ordentlich.«

Da hob Rabbi Menascheh die Arme gegen den Himmel: »Segne sie, großer Vater im Himmel! Gib uns deinen Segen!«

Mutter Sarah führte Eva und David, die Mutter Schlojmes ihren Sohn und Rifke Vater Menascheh zu, er ließ die Arme sinken und umarmte beide Paare:

»So haben wir mit einer Beschau zwei Ehen geschlossen. David, werden deine Eltern einverstanden sein?«

»Ich hole sie gleich. Sie werden ja sagen, sie werden doch sehen, daß ich glücklich bin. Und Eva wird mich begleiten. Gib uns, mein verehrter Rabbi Menascheh, deinen Segen mit. Wir werden bald wieder bei euch sein \«

Rabbi Menascheh zog Eva zu sich empor: »Mutter, leg' ihr den Pelz um die Schultern! So geht!«

Da fragte die Mutter Schlojmes: »Was wird aber aus dem Knäuel?«

»Was soll daraus werden?« sagte der Sohn ganz stolz. »Rifke ist tüchtig für zwei. Sie hat für sich und für Eva das Knäuel aufgespult. Meine liebe, brave Rifke!«

 


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