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David von Michelangelo

I.

In den Kämpfen, die in dem Italien des 15. Jahrhunderts zwischen den Städten, zwischen Rom und Florenz, den Adeligen untereinander und zwischen ihnen und den Päpsten wüteten und die nicht nur Menschenblut und Land verwüsteten, die viel Geld verbrauchten und Ausrüstungsgegenstände für Söldner und Volksheere in großen Maßen nötig machten, hatten sich manche findige Kaufleute, und unter ihnen auch mancher Jude, so verachtet und verhaßt er sonst in seinem jämmerlichen Ghetto leben mochte, große Vermögen erworben. In Rom lebten die Juden am Titusbogen in dem gar nicht in die klassisch vornehme Stadt passenden düsteren und dumpfen Winkel beim Fischmarkt, in den sie einst besiegt und verhöhnt aus dem ihnen genommenen Jerusalem als Sklaven herübergebracht worden waren, ein Jahrtausend lang ohne Erlaubnis, sich in der Stadt sehen zu lassen, am Fischmarkt und am Monte Giordano, wo sich im Laufe der Jahrhunderte die etwas wohlhabenderen Juden ansiedelten in der weniger stickigen Luft als unten beim Tiber, und hier hatte auch Simone Goa seine Jugend verlebt, der Sohn eines Hausierers, der um 1450 die Dörfer und kleinen Marktflecken um Rom abgehamstert hatte, den Bauern in steter Angst vor den Bütteln Leder, Wolle, Linnen und Kleider in seinem Rucksack hinausschleppend. Er hatte sich sein Leben lang geplagt und geschunden, von den Bauern geschimpft und geschlagen, aber er hatte sich doch im Laufe der Jahre ein gutes Stück Geld erspart und schlau eine Gelegenheit wahrgenommen, um sich von einem jüdischen Schuldner ein Häuschen am Monte Giordano zu verschaffen, darin er einen offenen Laden mit Wolle und Kleidern einrichtete. In dem hatte nun sein Sohn Simone von seinem Vater manchen Kniff erlernt, er ging mit den anderen Kindern in die Judenschule, um die Bibel, aber auch italienisch sprechen und schreiben zu lernen, und so durfte er es sogar wagen, manchmal auf Umwegen in die Stadt hineinzugehen und sich dort umzuschauen, was in der Zeit des vornehmen Papstes Paul des Zweiten kein gar so großes Verbrechen war.

Simone hatte später natürlich bei den Korsorennen, die Papst Paul, der Venetianer, den Römern als neues Karnevalsvergnügen spendete, bei den Rennen um die Palii, den Preis aus Seidenstoffen, bei welchem hinter Pferden, Eseln und Büffeln Juden gehetzt und mit Peitschen getrieben wurden, mitlaufen müssen, das Volk jubelte und brüllte vor Vergnügen, wenn die halbnackten Juden, gewohnt, gebückt einherzukriechen, nun plötzlich flinke Wettläufer sein sollten, Simones Vater war am ersten der acht Tage dauernden Rennen zusammengebrochen und liegen gelassen worden, indes Simone weiter gepeitscht wurde, der Papst stand lachend auf dem Balkon und freute sich, daß die Römer solche Freude an seinem Geschenk hatten. Als Simone am Abend mit den anderen Juden wieder in ihr Ghetto zurückgetrieben wurde, fand er den Vater erschöpft und mit gebrochenem Fuße auf dem Lager stöhnen, aber an einem der nächsten Tage hatte er einen Preis errungen und legte den feinen Seidenstoff seinem Vater aufs Bett, der ihn trotz seiner Schmerzen zwischen den Fingern abschätzte und zufrieden war; er lispelte den Preis und schlief dann ein.

Nach einigen Wochen saß der Vater mit eingepacktem Fuße im Laden, Simone bediente die kleinen Judenhändler, die sich für ihre Hausierfahrten bei ihnen mit Stoffen versorgten, und so ging es einige Jahre weiter. Als der Vater dann gestorben war, übernahm selbstverständlich Simone das Geschäft, er war zum Manne herangereift und hatte die ihm von seiner geliebten Mutter und Verwandten zugeführte wohlhabende Mirjam geheiratet, die Tochter eines reich gewordenen Fischhändlers aus dem unteren Viertel, die ihm außer ihrer guten Ausstattung auch ein ansehnliches Stück Geld mitgebracht hatte. Da hatte Goa denn nicht lange gezögert, er hatte sein Geschäft vergrößert, hatte durch Bestechungen und Versprechen von Gewinnanteilen mehrere Wollweber in der Stadt gewonnen, durch Berufung des jüdischen Leibarztes des Papstes zur Entbindung seiner Frau und fürstliche Belohnung desselben den geheimen Zutritt zu einem Kardinal gefunden, dem er die Versorgung der päpstlichen Soldaten mit Kleidern angetragen und so vorteilhaft geschildert hatte, daß er, natürlich unter dem Deckmantel eines rasch gewonnenen christlichen Wollwebers, bald die Lieferung der Söldnerkleider zugewiesen bekam. Er machte nun oft Reisen durchs Land, um mit anderen Wollweberzünften in Verbindung zu treten, namentlich mit der angesehenen und einflußreichen Wollweberzunft in Florenz, sodaß sein Geschäft bald das angesehenste im Ghetto zu Rom, aber auch darüber hinaus geworden war. Er hatte einen Bruder Mirjams, einen gut veranlagten, ordentlichen Menschen, in seinen Laden aufgenommen, daß er die kleine Kundschaft bediene und auch während seiner Abwesenheit die Geschäfte mit den römischen Lieferern und Käufern besorge, er war natürlich zu den großen Feiertagen immer zuhause, um sich an dem Heranwachsen seiner Töchter Rahel und Lea zu freuen, sich von seiner kleinen, vertrockneten Mutter bewundern und von seinem Weibe lieben zu lassen, er war vornehm gekleidet und sorgte dafür, daß auch Mirjam schöne Gewänder und reichen Schmuck trug und daß die Kinder gut erzogen wurden.

Als ihm seine Frau noch einen Buben, Samuele, schenkte, duldete er nicht, daß sie ihn selbst an die Brust nahm, er ließ für ihn eine Amme vom Lande besorgen, wie die reichen Bürger, was großen Unwillen im Ghetto erregte. Nur seine Mutter blieb in ihren Ansprüchen das Weib ihres dahingeschiedenen Mannes, sie besuchte, von einer Dienerin geleitet, täglich sein Grab und weinte dann, zurückgekehrt, darüber, daß er den Aufstieg seines Sohnes nicht mehr hatte erleben können.

»Mein goldener Simone, ganz sein guter, seliger Vater! Gott soll ihn nur gesund erhalten, daß ihm die Feinde nichts Böses antun und ihn, Mirjam und seine lieben Kinder, Gott soll sie bewahren, nicht demütigen!«

Sie saß noch immer im Laden, ihr Kopf sank immer wieder auf die Brust nieder und so war sie eines Tages eingeschlafen, um nicht wieder zu erwachen.

 

II.

Die geschäftliche Ueberlegenheit Simone Goas, gepaart mit seiner klugen Einsicht in die politischen Ereignisse der Zeit hatten in ihm schon in den letzten Lebensjahren des Papstes Sixtus IV. und gar in den ersten Jahren der Herrschaft des ruchlosen, frevelhaften Papstes Alexander VI., geborenen Borgia, den Plan reifen lassen, Rom zu verlassen und nach Florenz zu übersiedeln. Rom war eine Brutstätte aller Laster, der Papst bot den Römern ein gern nachgeahmtes Vorbild aller Verkommenheit, jeden sündhaften Frevels, und die Juden im Ghetto waren immer das selbstverständliche Ablenkungsziel des Blutdursts und der Raubgier für das niedrige Volk, das hinter dem Titusbogen seine furchtbaren Gräuel als Unterhaltungen übte. In Florenz, wohin Goa mit seinen Angehörigen übersiedeln wollte, waren ja auch immerwährende Kämpfe zwischen den Medici, ihren Anhängern und ihren Feinden, den Pazzi, es waren dort aber trotzdem gesittete, demokratische Verhältnisse und die Kämpfe waren städtische Volkskämpfe um Macht und Vermögen. Beide Parteien hatten zur Sicherung ihrer Gelder in Rom Zweigstellen ihrer Banken errichtet, in denen Simone Goa sich großen Einfluß verschafft hatte, da die Zunft der Ciompi, der Wollweber, auch hier die größten Reichtümer sichergestellt hatte. Im Jahre 1489 war Savonarola, der begeisterte und begeisternde Volksführer, in Florenz verbrannt worden, die Erregung des Volkes und seine Begeisterung für die Errichtung eines Volksstaates war nach dem Tode des großen Führers kleinlich geworden, die reichen Bürger hatten die Macht in Händen, reiche Juden durften auch in der Stadt wohnen und so hatte Simone bei einem Besuche in Florenz einen kleinen Palast erworben, der mitten in einem großen Garten, von hohen Mauern umgeben, in einer der dunklen Gassen, angrenzend an die innere Stadt stand und den er als Wohnung einrichten ließ, indes sein mächtiges Geschäft und Lager bei den anderen Häusern der Wollweberzunft untergebracht wurde.

Er war in den letzten Jahren mit zunehmendem Reichtum auch behäbiger geworden, seine Töchter Rahel und Lea waren schlanke, schöne Mädchen mit dunklem Haar und feurigen Augen, Rahel war ein bildungsbeflissenes, träumerisches Wesen, Lea munter und lebensfreudig, Samuele hatte viel gelernt und nahm die Lebensvorteile, die der Reichtum seines Vaters ihm bot, als selbstverständlich hin, bei den Erzählungen der Mutter von den kleinen Anfängen des Hauses Goa lächelnd und ihnen lauschend, wie Kinder zuhören, wenn ihnen die Mutter Märchen erzählt. Vater mußte dem Vierzehnjährigen oft von dem Korsorennen berichten, bei dem er den Preis erworben hatte, er wollte nicht von dem ersten Tage, an dem der Großvater hingestürzt war und sich den Todeskeim geholt hatte, erfahren, denn dem Vater zitterte dabei immer die Stimme, Rahel streichelte ihm dann die Hand und der Bub bat ihn, nicht davon zu sprechen, nur von seinem Wettrennen mit den Pferden und Büffeln und er sprang dem Vater an den Hals, wenn er den Augenblick schilderte, wie er am Ziele angekommen war und das vornehme Seidentuch bekommen hatte. Er schmollte nur, daß Vater das Tuch nicht aufbewahrt, sondern verkauft hatte, er konnte gar nicht begreifen, wie man so schacherisch mit einem so ehrenreichen Siegesbeweis umgehen könnte; Vater nahm irgend ein Seidentuch, das an der Wand über dem Diwan zum Schmucke aufgehängt war, zwischen die Finger und sagte: »Stell' dir vor, das ist der Palio von damals, ist es nicht einerlei? Der kostet noch mehr!«

Um jene Zeit veranlaßte der Vater einen anderen jüdischen Kaufmann, seinen gleichaltrigen Sohn aus der Judenschule zu nehmen und beide Jungen von einem christlichen Lehrer unterrichten zu lassen. Der kam nun regelmäßig in das Haus Goas und lehrte die Buben lateinisch lesen, er weihte sie in die Geheimnisse der Geschichte ein und sprach von Kunst und Wissenschaft mit ihnen, als ob sie Christenkinder wären. Rahel, die ja schon in Rom allerlei gelernt hatte, saß während des Unterrichtes im Nebenzimmer, sie schrieb allerhand Wissenswertes, besonders aber die Ausführungen des Lehrers über Kunst, auf und half dann Samuele bei den Aufgaben, die er für den nächsten Tag zu erledigen hatte. Daß der Junge bald ein ausgezeichneter Rechner würde, hatte der Vater erwartet.

Die Gesellschaften, die im Hause Simone Goas veranstaltet wurden, waren bald unter den florentinischen Juden sehr begehrt. Selbstverständlich kamen da nur die wohlhabenden Judenfamilien zusammen, sie speisten die vorzüglich zubereiteten Gerichte, Frau Mirjam war eine treffliche Köchin und hatte schon Tage vorher die Speisen bestimmt; sie stand in der Küche und überwachte die Köchinnen, Lea half ihr dabei, indes Rahel die Ausschmückung der Räume besorgte, sich vom Kantor des Tempels gute Sänger oder Sängerinnen aus dem Chore verschaffen ließ und selbst Gedichte auswendig lernte, um sie den Gästen vorzutragen. Vater Simone hatte seine Geschäftsfreunde mit ihren Angehörigen eingeladen, er freute sich über den Glanz der Tafel, er war zufrieden, daß sie die Vornehmheit der Villa und den Reichtum der Räume lobten, er saß nach dem Essen mit ihnen in Geschäftsgespräche vertieft, indessen die Frauen und Mädchen den Sängern lauschten und die Vortragskunst Rahels priesen. Bei späteren Gesellschaften überraschten auch Lea und Samuele die Versammelten durch einen Reigentanz, den sie in einem anderen reichen Judenhause mit Herzklopfen hatten vorführen gesehen und den sie ohne Wissen der Eltern im Garten geübt hatten. Zwischen den Mädchen aus den verschiedenen Familien hatten sich bald Freundschaften entwickelt und Samuele hatte zu seinem mitlernenden Freund bald eine Menge anderer Jungen gefunden, mit denen er im eigenen wie in den Gärten der anderen seine Bubenspiele trieb, herumtollte und über die Lehrer schimpfte.

Rahel hatte eine Freundin, Eva, die etwas älter war als sie und die gleich ihr eine große Sehnsucht nach allem Schönen erfüllte. Mit der ging sie manchmal in der Dämmerung verschleiert in die Stadt auf die Piazza della Signoria, zum Palazzo Vecchio, sie bewunderten diese Burg mit dem schlanken Turm, sie trauten sich in den Säulenhof, sie erbebten vor Begeisterung vor der Loggia dei Lanzi mit den herrlichen Bildwerken, sie gingen zu dem Palazzo degli Uffizi und sprachen kein Wort, sie drückten sich in den Schatten und atmeten auf, wenn sie wieder zu Hause angelangt waren. Dort aber umarmten sie einander, Tränen liefen über ihre Wangen über all die Schönheit, die sie genossen hatten und sie nahmen wohl eines der schweren Bücher, um sich vom Wohlklang eines Sonetts beruhigen zu lassen.

Daß rasch reich gewordene Menschen, die ihren Reichtum eigener Tüchtigkeit danken, den Wunsch haben, ihre Schätze, die Veränderung ihrer Lage dem anderen Volk zu zeigen, ist eine uralte Erfahrung; daß reich gewordene Juden, die schon als arme Ghettojuden verachtet und verhaßt dahinleben – auch wenn die Ghettomauern fallen, leben sie im Ghetto weiter – im Bedürfnis, ihren Wohlstand zur Schau zu stellen, umso verhaßter und verspotteter werden, ist noch bekannter. Aber die uralte Bildung ihres vor vielen, vielen Jahrhunderten versklavten Volkes wacht in den Urenkeln, wenn sie von der Not des Tages befreit sind, bald wieder auf, ihr Stammvolk war einst geistig hoch entwickelt gewesen, nun wünscht sich in den Urenkeln das geistige Erbe zu betätigen, sie werden Sammler auf allen Kunstgebieten, sie schnitten ihre Häuser mit Kunstwerken, wenn sie deren Schönheitswert auch nicht verstehen, sie haben Freude daran, ihre Kinder zu gebildeten Menschen zu erziehen, die Söhne haben in ihrem späteren Jünglingsalter außer dem Ernste ihres Berufslernens etwas philosophisch Nachdenkliches und die Töchter sind züchtig und lebenstüchtig und ihre Begeisterung für alles Schöne und Bedeutende ist ehrlich und dankerfüllt. Das große Glück angeborener, schlichter Naturfreude mangelt der Mehrheit der Juden, auch dieser Mangel ist wahrscheinlich eine Erbschaft ihrer Ahnen, die im gelobten Lande kaum von eindrucksvoller Landschaft umgeben waren, und dann in den entsetzlich dunklen Ghettos, im Jammer ihrer tausendjährigen Bannung in Elend und Not weder Zeit noch Gelegenheit und gestillten Hunger hatten, Schönheit zu empfinden. Hell leuchtender Frühling und Ghettodunkel! Wer dürfte euch in einem Atem nennen!

Simone und Mirjam Goa waren reich gewordene Ghettojuden, die Kinder waren schon im Wohlstand aufgewachsen und Rahel trug in ihrem Herzen sogar die Sehnsucht nach allem Schönen dieser Erde.

 

III.

Michelangelo Buonarotti, der Sohn eines kleinen Beamten, Schützling des Mediceers Lorenzo Magnifico, hatte vor dem Sturze Pieros, des Nachfolgers Lorenzos, Florenz verlassen, da er die gewiß bevorstehenden Wirren fürchtete, und sich in Rom niedergelassen. Er hatte sich, so jung er war, durch seinen leuchtertragenden Engel, seinen Johann der Täufer und den schlafenden Cupido schon großen Ruhm und Ansehn erworben, er ließ sich, aus ärmlichen Verhältnissen entstammt, seine Arbeiten stets möglich gut bezahlen und hatte sich sogar verleiten lassen, den Cupido für einige Zeit in der Erde zu vergraben, damit er das Aussehen einer antiken Ausgrabung erhalte und besseren Gewinn bringe; in Rom hatte er herrliche Kunstwerke geschaffen, den trunkenen Bacchus, die Madonna mit dem toten Christus, die erhabene Pietá, die als die Arbeit eines so jungen Künstlers für alle Zeiten ein Wunderwerk bleiben wird, er war dann im Jahre 1500 nach Florenz zurückgekehrt, wo ihn eine ganze Menge künstlerischer Aufträge erwartete. Die ließ er aber alle liegen, da ihm die Konsuln der Wollweberzunft, der Besitzerin der Kirche Santa Maria del Fiore, den neun Ellen hohen Marmorblock, den die Zunft vor vielen Jahren aus Carrara zur Ausmeißelung eines Propheten hatte kommen lassen, überwiesen, an den sich bisher kein Künstler herangetraut hatte. Da loderte der Ehrgeiz Michelangelos empor, er sah deutlich die Jünglingsgestalt des David, die in dem Steine verborgen war, vor seinen Augen, sein Meißel, der sie aus ihrer harten Hülle erlösen sollte, brannte in seiner Hand, ein Jubel erfüllte sein Herz: er schloß mit den Vorstehern der Wollweberzunft einen Vertrag ab, der ihm einen Monatsgehalt während der Arbeitszeit und einen entsprechend würdigen Ehrenlohn nach der Vollendung des Werkes sicherstellte.

Damals beschlossen die Konsuln bei einer Zusammenkunft, den reichen Juden Goa zur Mitbezahlung des Werkes heranzuziehen, er sei ja durch die ihm gewährte Erlaubnis, außerhalb der Zunft Wollweber zu sein, ohnehin genug bevorzugt, nun aber meißle Michelangelo aus dem Block einen David und der sei ein jüdischer Prophet gewesen, für den der reiche Jude sein Scherflein beitragen müsse. Zwei Konsuln hatten sich nach einigem Zögern dazu hergegeben, den Juden aufzusuchen, um ihm den Wunsch der Vorsteherschaft vorzutragen. Das war ein Tag, von dem die Judengemeinde noch lange sprach, das war niemals dagewesen, daß so vornehme Bürger über die Schwelle eines Judenhauses getreten waren, Simone war ganz verwirrt durch die große Auszeichnung und erklärte in seinem, wie er annahm, gewähltesten Italienisch, daß schon die Ehre, die ihm die Herren Konsuln durch ihren Besuch erwiesen, genügend sei, ihn zu veranlassen, alles beizusteuern, was sie von ihm verlangen würden. Die Herren schauten sich in dem großen Zimmer um, darein sie geführt worden waren, sie rühmten dem Juden sein schönes Haus, die ausländischen Teppiche, die Goa in Rom vorteilhaft erworben hatte, die Seidenschleifen an den Wänden und die prächtigen Lehnstühle, von denen er gern erzählte, daß er sie aus dem Nachlasse seines römischen Wohltäters, des Kardinals, gekauft habe. Er wollte den Herren Wein anbieten, doch den lehnten sie ab und verließen befriedigt von dem Erfolge ihres Besuches das Haus, darin Mirjam, umgeben von ihren Kindern, ihren Mann umarmte, ihn Samuele als Vorbild pries, indeß die Töchter in stummer Bewunderung daneben standen und gespannt lauschten, was Vater über den Zweck des Besuches erzählte. Die Freunde Goas kamen ihn in den nächsten Tagen beglückwünschen, die Freundinnen Mirjams ließen sich, ein wenig neidisch, den Besuch der Konsuln schildern und die Eltern Evas, deren Bruder Leone im Geschäft seines Vaters als tüchtiger, geschäftlich begabter Mitarbeiter tätig war, brachten dem Freunde Simone ganz christlich ein Ehrengeschenk, eine Statuette Bertoldos, des gewesenen Lehrers Michelangelos, die in dem Empfangssaale aufgestellt werden sollte. Sie wußten, warum sie dies taten: ihre Absicht war längst, Leone mit Rahel zu verheiraten, deren reiche Mitgift ihrem Geschäfte einen großen Aufschwung versprach.

Leone war leider von der Natur arg vernachlässigt, er hatte einen krummen Rücken und ein vergrämtes Judengesicht, seine Tüchtigkeit im Geschäft hatte aber, das wußten sie, auf Goa starken Eindruck gemacht und ihn veranlaßt, seinen Samuele in ihr Geschäft eintreten zu lassen, damit er unter Leones Leitung ernster und ehrgeiziger werde, Rahel bewunderte die Statuette, sie war ganz glücklich darüber, daß sie nun auch ein Kunstwerk in ihrem Hause besaßen, sie stand in der Folgezeit mit ihrer Freundin Eva immer wieder vor dem schönen Engel, O, wie gern hätten sie so ein Kunstwerk entstehen sehen, wie gern hätten sie Michelangelo bei der Arbeit an seinem David bestaunt, welche Kunst, welches Glück mußte es sein, aus einem harten Steine eine lebendige Menschengestalt entstehen zu lassen! Sie hatten gehört, daß der David eine Jünglingsgestalt werden solle, sie konnten sich als Jüdinnen David nur als König, als purpurumwallten, weisen König David vorstellen, sie tuschelten einander verschämt ins Ohr, daß Michelangelo ihn ganz nackt schuf, den König David nackt wie einen griechischen Gott! Eva meinte überlegen, ein Christ könne doch nicht wissen, wer David gewesen sei, Rahel aber sagte tiefsinnig, die Christen ließen doch auch ihren Jesus nackt am Kreuze hangen, das sei bei ihnen Nachahmung der griechischen und römischen Bildwerke.

Als etwa ein Jahr vorübergegangen war, traten die Eltern Evas an die Eltern Goa mit ihrem Vorschlage heran, Leone und Rahel ein Paar werden zu lassen. Sie waren bald handelseins, Mutter Mirjam war wohl bei der Vorstellung erschrocken, daß sie ihrer Tochter von dem Entschlusse der Männer Mitteilung machen müsse, sie traute sich aber nicht, ein Wort des Widerspruchs zu sagen, gut versorgt, das wußte sie, werde ihre Tochter gewiß sein, sie kannte ja die Hausführung bei den Eltern Evas. Simone aber war ihnen sehr verpflichtet, weil sie in den anderthalb Jahren Samuele so weit gebracht hatten, daß er ein ordentlicher, ernsterer Mensch geworden war, aus dem sicher ein richtiger, tüchtiger Kaufmann werden mußte.

In einer großen Gesellschaft wurde die Verlobung gefeiert, Rahel hatte den Abend vorher erfahren, daß sie Leone heiraten werde, sie hatte in der Nacht viel geweint und sich gehärmt, sie wußte selbst nicht warum, sie hatte mit sich gesprochen und sich gefragt, was für einen Bräutigam sie sich denn gewünscht habe, Leone war doch ein braver, guter, gebildeter Jude, sie hatte sich gescholten, daß sie bei dieser ernsten, von den guten Eltern reiflich überlegten Entscheidung vielleicht sündhaften Stimmen ihrer Träume horchen wollte, und so trat sie denn morgens mit niedergeschlagenen Augen bleich an den Vater heran, um ihm für die Wahl ihres Bräutigams zu danken. Als Eva kam und ihre künftige Schwägerin glücklich küßte, erwiderte sie die Umarmung herzlich. »Wir werden immer gute Freundinnen bleiben«, sagte sie.

So verlief denn auch die Verlobungsfeier dem Reichtum der beiden Häuser entsprechend. Der Rabbi hielt eine inhaltsvolle Rede, der Vater sprach, ein gedungener Spaßmacher hatte allerhand witzige, jedenfalls oft vorgebrachte Einfälle zu einer Ansprache vereinigt, deren witzigster der war, daß die Verlobung ein Irrtum sei, da Leone doch unbedingt für Lea bestimmt sei, er gebe aber doch die Einwilligung, da durch die Verbindung Rahel Leone statt Leone Lea Florenz vor einer Löwenbrut geschützt sei!

Leone saß schüchtern neben Rahel, er drückte ihr nur bebend die Hand, er konnte es nicht glauben, daß dieses schöne Mädchen sein werden solle, mit dem er ein eigenes Haus führen werde.

Die Armen vor dem Hause, Juden und Christen, wurden reich beschenkt; man war zufrieden.

 

IV.

Florenz war erfüllt von allerlei Gerüchten über den ungeheueren David des Michelangelo, der seiner Vollendung entgegenging, der herrlicher sei als je ein Kunstwerk einem Künstler gelungen, unter den Künstlern und namentlich unter den Künstlern hatten sich Anhänger und Gegner des jungen Meisters gebildet, über die Höhe des nackten David schwirrten allerlei unglaubliche Gerüchte durch die Menge, Cronaca hatte ein Gerüst erfunden, darin der mächtige Marmorkoloß in hanfenen Seilen schwebend auf Rollbalken aus der Werkstatt Michelangelos auf den Rathausplatz gezogen werden sollte. Die Konsuln der Wollweberzunft brauchten wieder Geld für die Bezahlung des Künstlers nach Vollendung seines Werkes und für das Fest, das bei der Aufstellung des David in höchstem Glanze gefeiert werden sollte. Da traten sie wieder an den Juden Simone Goa heran, der indessen mit seinem römischen Geschäfte, mit verschiedenen klugen Ausnützungen der Geldverhältnisse bei der römischen Bankabteilung der Zunft und mit den Franzosen neue Reichtümer gesammelt hatte, und der jetzt schon weniger demütig den Wunsch der Konsuln erfüllte. Er verlangte, daß Michelangelo von den großen Beiträgen erfahre, die er bei Bezahlung seiner Forderungen gern und willig beigesteuert habe, ja er erbat sich sogar den Vorzug, den David, der ja noch nicht ganz vollendet war, besichtigen zu dürfen. Den ersten Wunsch, dem Meister von seiner Kunstbegeisterung zu berichten, versprachen die Herren zu erfüllen, den anderen wollten sie Michelangelo vortragen: seine Gewährung meinten sie lächelnd, hänge von der Laune des stolzen, eigensinnigen, Einsamkeit liebenden Künstlers ab.

Welcher günstige Zufall Michelangelo den ihm als unerhörte Frechheit eines Juden vorgetragenen Wunsch Goas erfüllen ließ, wer könnte das wissen. Genug, Simone erschien eines Tages, geleitet von einem Diener der Zunft vor der Werkstätte Michelangelos, der Diener hatte den Auftrag, dem Juden immer wieder Schweigsamkeit und stumme Bewunderung des Künstlers zu empfehlen, er hatte ihn anmelden lassen und nun stand Goa vor dem großen David, er wußte nichts mit dem Eindruck anzufangen, den dieser nackte Marmorjüngling auf ihn ausübte, er stand gebückt und niedergedrückt vor dieser jubelnden Schlankheit, er blinzelte nur so von unten hinauf, »die Schleuder« lispelten seine Lippen, als ob er stolz darauf sei, sie zu erkennen, er bewegte die Hände gegen seine Brust und schüttelte den Kopf als Ausdruck höchster Bewunderung. Michelangelo schaute ihm lächelnd zu und fragte: »Zufrieden?« – Da nickte Simone lebhaft, er hob die Rechte hoch über den Kopf und wies mit der Linken auf die Lippen, die er nicht öffnen dürfe. Michelangelo aber lachte, der Jude machte ihm Spaß: »Sprich nur, Jude«, sagte er »bist du mit dem David zufrieden? Hast du etwas daran auszusetzen?«

Goa machte erst übertrieben ablehnende Handbewegungen, dann schaute er nochmals die Jünglingsgestalt Davids empor, der Meister arbeitete eben zwischen den Schenkelbeugen der Statue, an dem herrlichen Epheublatt, das die Scham deckt.

»Großer, erhabener Meister«, sagte der Jude, er konnte es nicht unterdrücken, »großer Meister, David war ein Jude, in den Büchern Moses steht es geschrieben, daß jeder Jude muß beschnitten sein, vielleicht, daß der große Meister das nicht weiß! Darum bin ich so vermessen, es zu sagen.«

Da lachte Michelangelo auf, wie selten in seinem Leben.

»Fürchte dich nicht«, lachte er, »ich meißle jetzt das Epheublatt. Drunter ist er ganz nach deinem Gesetze beschnitten!«

Er war heiter, er stieg vom Gerüst herab und trat zu dem Juden. Da reckte sich der in die Höhe, als er den berühmten Künstler so leutselig sah; ein Gedanke war in seinem Hirn aufgeblitzt.

»Großer Meister wissen, wie kunstbegeistert ich bin, die Herren Konsuln von der Zunft haben es Euer Gnaden wohl gemeldet. Ich wage die kühnste Bitte vorzutragen, die je ein Jude geäußert hat. Wenn ich auch so einen David haben könnte, kleiner, aus Marmor oder nicht aus Marmor, nur von der auserwählten Hand des großen Meisters, den ganz Italien rühmt und ehrt, ich möchte dafür zahlen, was Euer Gnaden befehlen. Meine Tochter wird heiraten, ich habe ein Haus mit einem großen Garten, darin wird sie wohnen, sie ist sehr für Künste, werfen Euer Gnaden mich niedrigen Juden nicht heraus, weil ich es gewagt habe, so eine Bitte vorzutragen! Ich wäre stolz darauf, wenn es auch gegen unser Gesetz ist, großer, erhabener Meister!«

Aber Michelangelo war in erstaunlich guter Laune, irgend etwas an den Juden mochte ihm gefallen.

»Wann willst du den David haben?«

»In zwei Monaten,« antwortete der Jude, »vor der Hochzeit meiner Tochter.«

»Gut,« lachte Michelangelo, »du sollst ihn haben.« Er hatte ja noch einen Entwurf für einen David in der Werkstatt, den er, nach Bestellung einer Broncenachbildung des David von Donatello für den Herzog von Nemours, auf eigene Faust und eigene Eingebung begonnen, aber nicht vollendet hatte. Er verlangte fünfzig Golddukaten, er wolle dafür auch seinen besten Gehilfen mit der Aufstellung am richtigen Platze beauftragen.

»Den zahle ich dann gern noch besonders,« meinte Simone Goa großartig. Er bat Michelangelo noch um die Niederschrift eines Vertrages, daß er auf dieses herrliche Hochzeitsgeschenk für seine Tochter zur richtigen Stunde rechnen könne, er ging beglückt über seinen neuen Erfolg, nachdem er Michelangelo hatte schwören müssen, nichts von seiner Erwerbung eines Michelangelowerkes verlauten zu lassen, nach Hause. Mirjam aber erzählte er, leuchtend von Glück und Einbildung, von seiner Erwerbung. Die schüttelte ein wenig einfältig den Kopf, sie gönnte Simone ja seinen Stolz, aber sie konnte es doch nicht unterdrücken, zu sagen: »Bist du auch schon so verrückt wie die anderen? Für solche Sachen gibst du dein schwerverdientes Geld aus!« – »Hätt ich's nicht tät ich's nicht!« sagte Simone. »Es wird mir nur nützen!«

 

V.

Am 15. Mai 1504 war der in jedem Betracht übermenschliche David aus der Kunstwerkstatt Michelangelos herausgeholt worden, es bedurfte vier volle Tage der Anstrengung von 40 starken Männern, um das Standbild auf dem Turmwagen des Cronaca durch die Straßen von Florenz auf den Platz zu bringen, die Feinde des Michelangelo hätten in der Nacht Steine nach dem David geworfen, er mußte bei Tag und bei Nacht unter Wacheaufsicht stehen, der Riese David, um nicht von dem häßlichen Neidgewürm beschädigt zu werden. Am 18. Mai fand das prunkvolle Fest der Aufstellung des David statt, ganz Florenz feierte das Freudenfest und die mächtige Zunft der Wollweber heimste reichen Dank und Ehren ein, die ihr auch gebührten.

Die Juden waren an diesem Tage natürlich umso ängstlicher in ihren Wohnungen geblieben, da der trunkene Pöbel sonst gewiß an ihnen seine ihm selbst unbegreifliche Erregung ausgelassen hätte. Michelangelo war gepriesen, bewundert und der größte Künstler Italiens und der Erde genannt worden, er war von allen den Reden angewidert und doch bewußtbefriedigt und hatte sich in seine Werkstatt zurückgezogen.

Einen Monat später sollte die Hochzeit im Hause Goa stattfinden. Rahel war die Woche vorher zu ihren Schwiegereitern übersiedelt, indes Leone bei den Goas wohnte; der Teil des Gartens, in dem der Sockel für den kleineren David Michelangelos schon errichtet war, war abgeschlossen, und durch Bretterverschläge unbetretbar gemacht worden, nun war auch der Gehilfe des großen Meisters dagewesen und hatte die Aufstellung des nackten Bildwerkes geleitet, die schöne, lebensgroße Jünglingsgestalt stand auf dem Sockel, Mutter Mirjam war voller Ungeduld, daß die Arbeiter endlich aus dem Hause wegkämen, nachdem sie die Bretterverschalung entfernt hätten, in wenigen Tagen sollte doch die Hochzeit gefeiert werden, da mußte Haus und Garten festlich hergerichtet sein, Simone hatte über den nackten David noch einen langen, weiten Ueberwurf, wie einen Gebetmantel, werfen lassen, der ihn den Blicken seiner Angehörigen verhüllte, der Garten war wieder in Ordnung. Leone hatte sich keine Gedanken über die Arbeiten im Garten gemacht, es waren sicher Vorbereitungen für die Hochzeit, er war heute wieder nach Hause zurückgekehrt und Samuele hatte seine Schwester Rahel, die morgen heiraten sollte, heimgebracht, sie war blaß und erregt und lag immer wieder an der Brust ihrer geliebten Mutter. Sie bat nach dem Abendmahl bald in ihr Zimmer gehen und allein sein zu dürfen.

 

VI.

Es war eine helle, klare und doch schwüle Mondscheinjuninacht, Rahel hatte sich entkleidet, hatte die Fenster ihres Gemaches geschlossen, als ob das Zimmer dadurch kühler werden könnte, hatte die Fenster bald wieder geöffnet, ging im Zimmer auf und nieder, saß dann beim Tische und versuchte ein Sonett in dem schönen Buche zu lesen, das Eva ihrer geliebten Schwägerin geschenkt hatte, sie las, aber wußte gar nicht, daß sie las, sie schlug das Buch wieder zu, sie stand, die Rechte an dem Fensterrahmen emporgeschlagen, an dem in den Garten schauenden Fenster und blickte zu dem sternglitzernden blauen Himmel empor, morgen war ihr Hochzeitstag, morgen in dieser Stunde ...

Sie warf sich auf ihr Bett, sie lag dort, wer weiß wie lange, und starrte vor sich hin, die Stille im Hause, das Schweigen der Stadt, der lautlose Frieden der Nacht beklemmten ihre Brust, sie drückte ihre Hände gegen ihr erregtes Herz, sie stand wieder auf, sie konnte nicht länger im Zimmer bleiben, sie schlüpfte in die Pantoffel, warf den Schlafrock um, sie tastete die Treppen hinab, die Tür in den Garten stand offen, ein Lüftchen bewegte die träumende Luft, da atmete sie tief auf, dort im Rasen, sie rieb sich die Lider, was stand dort im Garten? Träumte sie, war es ein Spuck, einer von den Truggeistern, an die die Christen glauben? Sie stand zitternd an den Türpfosten gelehnt, nein, sie sah ganz deutlich einen Sockel und darauf hoch aufgerichtet, unbeweglich und scharf umrissen eine Gestalt in einen weißen Mantel gehüllt, sie träumte nicht, ein Kopf hob sich über den Mantel, sie sprach ein Gebet, sie rief Gott als Zeugen an, die Gestalt rührte sich nicht, da trat sie von der Tür in den Garten, die unendliche Sehnsucht der Mondnacht zitterte in ihr, ihr Fuß hatte den Rasen betreten und nun schritt sie zögernd auf das Bildwerk zu, sie sank an den Sockel, sie dachte gar nicht daran, wieso dieses Denkmal in den Garten gekommen sein mochte, es stand so selbstverständlich in dem Flimmern dieser leuchtenden Mondnacht, da erhob sie sich, sie tastete nach den Säumen des Mantels, der die Gestalt umhüllte, sie breitete sie auseinander, da stand ein herrlicher, nackter Jüngling auf dem Sockel, ausschreitend und doch wunderbar auf dem festen sehnigen Knöchel des anderen Fußes im Gleichgewicht, die Beine strebten so unglaublich leicht nach oben, von dem Boden empor und darüber hob sich der geschmeidige Jünglingskörper, die breite und doch so schlanke Brust, aufrecht, kraftvoll und doch sanft gewölbt, atemholend die Rippen dehnend, sie trat zurück, um über den sich wieder schließenden Mantel den kräftigen Hals und darüber den edlen, lockenumwallten, unsagbar schönen Jünglingskopf anzustaunen, der mit seinen weit offenen, mutigen und doch so gütigen Augen vor sich hin ach!, über sie hinweg ins Weite blickte.

Sie schaute zu dem schönen Haupte empor, sie trat, immer wie flehend den Blick nach oben, wieder an den Sockel heran, den Mantel über der Jünglingsgestalt öffnend, ein Jubel füllte ihr Herz einen Augenblick lang, eine Erfüllung, dann aber stöhnte sie tief auf, die Gestalt Leones, des für sie Erwählten, des Unglücklichen, kraftlos Gekrümmten, Schönheitsverlassenen, den sie morgen umarmen mußte, stand vor ihren Blicken, sie wollte aufschrein in wirrer Verzweiflung, sie scheuchte mit einer raschen Kopfbewegung das traurige Bild von sich, sie schaute noch einmal sehnsüchtig den weißen, schlanken, schönen Jünglingskörper empor, dann ließ sie die Mantelenden los, sie wandte sich von dem Kunstwerke, sie floh mit leeren, trockenen Augen über den Rasen, sie stolperte die Treppe empor und warf sich vernichtet auf ihr Lager.

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Ihr staunt, daß hier diese Erzählung endet? Daß nichts mehr berichtet wird von dem weiteren Leben des Simone und Samuele Goa, des Ehepaars Leone und Rahel und all der Uebrigen? Sie waren Juden und blieben Juden, was auch der Haß und die Verachtung der Andersgläubigen mit ihnen aufspielte.

Eine halbverschollene Ghettosage berichtet, daß Michelangelo, der Insichgekehrte, sein Leben lang eine Vorliebe für Simone Goa bewahrte, daß er ihn öfter besucht und dabei Rahel und die flinke, neckische Lea kennen gelernt habe, und daß er sogar ihre Gestalten, die Rahel und Lea, für ewige Zeiten in den beiden Frauengestalten verkörpert habe, die später in den beiden Nischen neben dem erhabenen Moses auf dem Grabmal des Papstes Giulio aufgestellt wurden. Judenmärchen!

Sicher ist nur, daß die Statue des »kleineren David« nach wenigen Jahren aus dem Garten des Goa entfernt wurde, ob sie nach Frankreich kam, ob sie in Florenz blieb oder sonstwohin verkauft wurde, ist nicht nachweisbar.

Vergeßt diese inhaltsleere Judengeschichte! Aber einige Augenblicke lang hat ein seltsames, unregelmäßiges, entstelltes Menschengesicht mit kleinen, grauen Augen aus ihr herausgeschaut, ein kärgliches Gefäß für den wertvollsten, erhabensten Inhalt, das Angesicht Michelangelos.

Und dieser heilige Name stehe am Schlusse unserer Erzählung: Michelangelo.


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