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Der Kampf nach der Aufnahme

Nicht immer trifft es zu, daß man eine belichtete Platte getrost nach Hause tragen kann. Bei dem Mordprozeß Hein in Coburg hatte ich am Vormittag des ersten Verhandlungstages eine Anzahl von Aufnahmen, allerdings unter ungünstigen Lichtverhältnissen gegen das Tageslicht gemacht, ohne daß jemand etwas davon bemerkte. Sie waren nicht gut, aber es war doch wenigstens etwas. Aber am Nachmittag saß zufällig ein Gendarm neben dem Pressetisch, und dem kam es allmählich so vor, als wenn mit mir irgend etwas nicht stimmte. Plötzlich sagte er: »Sie photographieren ja hier! Das ist ja verboten!« Da ich wohlweislich eine Stunde zu spät zur Verhandlung gekommen war, war mir von diesem Verbot nichts bekannt. Ich sagte nur: »So?« und verließ auf dem kürzesten Wege den Saal, um wenigstens meine Platten in Sicherheit zu bringen. Auf der Treppe wurde ich aber von nicht weniger als fünf Gendarmen eingeholt, die mich in die Wachstube führten, wo ich zunächst verbleiben mußte. Auf meine Frage, auf wessen Veranlassung ich hier festgehalten würde, sagte man mir, der Staatsanwalt habe das so angeordnet. Ich bat um eine Unterredung mit ihm, er kam auch herunter, und nachdem ich ihm erzählt hatte, daß ich in Berlin schon in verschiedenen größeren Prozessen photographiert hat versprach er mir, mit dem Vorsitzenden darüber zu sprechen. Nach Schluß der Verhandlung kam er noch einmal zurück und sagte, der Vorsitzende fände es zwar nicht richtig, daß ich nicht vorher gefragt hätte, aber er hoffe, daß ich keinen schlechten Gebrauch von den Bildern machen würde. Also die Platten waren für diesmal gerettet, die vom Vormittag waren schon sowieso in Sicherheit. Am nächsten Tage gelang es mir, den Vorsitzenden umzustimmen, und ich erhielt nun den Platz eines inzwischen entlassenen Sachverständigen, so daß ich jetzt neben dem Staatsanwalt saß und von dort aus gute Aufnahmen in den Saal hinein machen konnte.

Für die Fälle, in denen jemand, ob mit Recht oder mit Unrecht kann dahingestellt bleiben, gegen eine schon gemachte Aufnahme protestiert und die Herausgabe der Platte verlangt, gibt es ein probates Mittel, das ich den Eidechsen abgesehen habe. Wenn solches Tier von einem seiner Feinde am Schwanz festgehalten wird, bricht er ab, und die Eidechse läuft davon. Ja die Natur hat es sogar so weise eingerichtet, daß das abgebrochene Schwanzende noch im Maul des Feindes hin und her schlägt, so daß der Anschein erweckt wird, als wäre die Eidechse noch daran. Also, setzt dir jemand stark zu wegen Herausgabe der belichteten Platte, so zögere damit erst noch eine Zeitlang und simuliere heftiges Sträuben. Dann aber opfere mit resigniertem Gesicht eine deiner Kassetten, aber natürlich eine, die eine noch unbelichtete Platte enthält. Möge der Feind sich daran totentwickeln.

Im übrigen spielt sich der Kampf nach der Aufnahme nur noch auf den Redaktionen ab. Jede Zeitschrift hat einen Redaktionsschluß. Und dieses Wort hat den schlimmsten Klang in meinem Ohr. Die Arbeit von Tagen und Nächten kann in Nichts zerfallen, wenn die Aufnahmen auch nur wenige Minuten nach Redaktionsschluß eintreffen. Auch hier richtet es das Schicksal gewöhnlich so ein, daß die bedeutendsten Ereignisse gerade am Vorabend des Redaktionsschlusses der Zeitschrift, für die die Aufnahme bestimmt ist, stattfinden. Dann muß eine volle Nacht durchgearbeitet werden, um die Bilder rechtzeitig in den Verlag gelangen zu lassen. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Ereignet sich etwas am Tage nach dem Redaktionsschluß, dann kann es häufig nicht mehr verwendet werden, denn die meisten großen Zeitschriften brauchen acht Tage für Druck und Versand, und solche Einsendungen würden dann erst nach 14 Tagen erscheinen können, also erst herauskommen, wenn das betreffende Ereignis schon längst vergessen ist. Darauf läßt sich eine Zeitschriftenredaktion nur ein, wenn es sich um ganz außergewöhnliche Bilder handelt. Zum Beispiel solche, die historischen Wert besitzen und deshalb auch 14 Tage nach dem Ereignis noch den Lesern vorgesetzt werden können.

Ein anderer Mißstand für den Photographen ist der an sich lobenswerte Ehrgeiz der Zeitschriften, ihren Lesern möglichst nur solche Sachen zu zeigen, die andere Zeitschriften nicht vorher oder gleichzeitig bringen. Hat der Bildberichterstatter das Pech, daß eine andere Zeitschrift, wenn auch nicht das gleiche, so doch nur ein ähnliches Thema oder in der bildlichen Darstellung ähnlich aussehendes Sujet behandelt hat, so kann er seine Aufnahmen resigniert nach Hause tragen. Denn keine Redaktion will sich dem Vorwurf aussetzen, daß sie einer Konkurrenzzeitschrift etwas nachgemacht hätte. So manches schöne Bild schlummert so im Archiv verborgen, weil es sozusagen unter einem Unstern geboren wurde.

Eine besondere Schwierigkeit bringen auch die internationalen Konferenzen mit sich. Sie fangen damit an, daß einige 30 Photographen von der Pressetribüne aus eine Kollektivblitzlichtaufnahme machen und sofort darauf das Feld räumen müssen. Sehr hübsch war es bei der Eröffnung der ersten Haager Konferenz, wie der holländische Außenminister nach einer kurzen Begrüßung der Konferenzteilnehmer die Worte ausrief: »Attention pour nos amis, les photographes!« Die ganze Welt erhält nun ein und dasselbe Bild von der Eröffnung der betreffenden Konferenz. Bei den Völkerbundvollversammlungen ist es sogar so, daß man ruhig ein Bild der vorhergehenden Jahre benutzen könnte, denn die Köpfe sind auf diesen Gesamtaufnahmen so klein, daß man gar nicht unterscheiden kann, wer auf dem Bild ist.

Die wirklich guten Aufnahmen kann man gewöhnlich erst nach Ablauf der ersten acht Tage machen, wenn eine vertraulichere und versöhnlichere Stimmung auf der Konferenz herrscht. Aber treffen dann diese Bilder auf der Redaktionsstube ein, so heißt es meistens: »Für uns ist der Haag erledigt« oder »Wir können doch jetzt nichts mehr vom Völkerbund bringen, nachdem sich die vorige Nummer schon damit beschäftigt hat.« Und so versinken auch diese schönen Bilder in das Grab des Archivs.

Ich mache keineswegs den Redaktionen einen Vorwurf daraus, denn sie haben ja andererseits auch recht, wenn sie sich nicht der Gefahr aussetzen wollen, ihrer Leserschaft mit Wiederholungen zu kommen. Aber zu bedauern ist das Schicksal dieser spätgeborenen Bilder doch.

So ist die Tätigkeit des Bildberichterstatters, der mehr sein will als ein bloßer Handwerker, ein steter Kampf, ein Kampf ums Bild, und wie auf der Jagd kommt er nur zur Beute, wenn er von der Leidenschaft der Bildjagd besessen ist. Ein Teil meiner Bilderbeute scheint mir trotz der dahineilenden Zeit Dauerwert zu besitzen, und so mag diese Auswahl von Personen, Augenblicken und historischen Situationen für das Gedächtnis aufbewahrt sein.


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