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Der Kampf bei der Aufnahme selbst

Wenn alle Schwierigkeiten, die sich der Aufnahmemöglichkeit, mit andern Worten dem Hineingelangen in das Aufnahmefeld, entgegengestellt haben, überwunden sind, so ist damit noch lange nicht gesagt, daß die ersehnten Aufnahmen auch gelingen. Eine gestellte Gruppe, die gern bereit ist, sich aufnehmen zu lassen, zu photographieren, ist natürlich, wenn das elektrische Licht einigermaßen gut ist, nicht schwer, obgleich auch dabei durch eine plötzliche Kopf-, Körper- oder Handbewegung das Bild verdorben werden kann. Denn wenn es sich nicht um ganz helles Scheinwerferlicht handelt, kommt man mit Momentaufnahmen nicht aus. Eine Zeitaufnahme von einer halben bis zu einer ganzen Sekunde ist hier erforderlich, und wer sich gerade in diesem Augenblick bewegt, bekommt auf dem Bild zwei Gesichter, drei Nasen oder zehn Hände.

Aber an solchen gestellten Gruppen hat ja niemand außer den direkt Beteiligten eine Freude. Es sei denn, daß außergewöhnlich prominente Persönlichkeiten oder solche, deren bloßes Nebeneinanderstehen pikant ist oder sonst zum Nachdenken anregt, auf dem Bilde zu sehen sind.

Andererseits kann eine Aufnahme selbst ganz gleichgültiger Personen die gesamte Öffentlichkeit interessieren, wenn nur der Gesichtsausdruck, die Körperhaltung oder sonst etwas an dem Bilde unterhaltend, belehrend oder belustigend wirkt. Das Bild eines herzhaft gähnenden Menschen, eines zum Niesen ansetzenden, eines im Smoking mitten in einer Tanzgesellschaft fest eingeschlafenen, eines geheimnisvoll ins Ohr flüsternden, findet bei Zeitschriften und Zeitungen leichter Anklang als die beste Portraitaufnahme irgendeines Prominenten. Diese Art von Aufnahmen konnten bis zu der Erfindung der lichtstarken Kamera nur im Freien gemacht werden, auf Rennbahnen, bei festlichen Veranstaltungen, Grundsteinlegungen usw. Aber auch dort bot sich wenig Gelegenheit dazu, denn in diesen Fällen beschäftigten sich die Menschen meistens mehr mit dem Gegenstand der Veranstaltung als miteinander, wobei natürlich nicht bestritten werden kann, daß der Gesichtsausdruck der Sportenthusiasten in gewissen Momenten, bei Fußballkämpfen und anderen Veranstaltungen, interessante Aufnahmen liefern kann. Das eigentliche Innenleben des zivilisierten Europäers spielt sich aber doch in geschlossenen Räumen ab, und dort ist die normale Kamera unbrauchbar.

Die Tätigkeit des Bildberichterstatters, der darauf ausgeht, Situationsbilder und interessante Gesichtsausdrücke, auf die Platte zu bringen, besteht nun in einem unaufhörlichen, raubtierartigen Lauern. Wie ein Jäger auf dem Anstand, wartet er geduldig, um zum Schuß zu kommen. Und wie das Glück des Jägers mancherlei Zufälligkeiten unterworfen ist, so hat auch der Bildberichterstatter bei der Aufnahme selbst mit allen erdenklichen Widerwärtigkeiten zu rechnen. Seine größten Feinde sind die allen andern Menschen so nützlichen und unentbehrlichen Kellner. Ihr Beruf bringt es mit sich, daß sie fast ununterbrochen hin und her laufen müssen, wobei sie immerzu in den von der Kamera »bestrichenen« Raum hineingeraten. Gehen sie hinter den zu photographierenden Personen vorbei, so rufen sie eine lange weiße Fläche auf dem Bilde hervor, gehen sie zwischen Kamera und Objekt hindurch, dann verderben sie das Bild ganz und gar. Ja, sogar ganz außerhalb des Bildfeldes können sie Schaden anrichten. So besteht in den Logen des Marmorsaals im Berliner Zoo, also gerade dort, wo die Prominenten des Presseballs und anderer Höhepunkte der Saison zu sitzen pflegen, der Fußbodenbelag aus lose genagelten Brettern von 8 bis 10 Meter Länge. Steht nun das für die Aufnahme unerläßliche Stativ mit einem seiner Füße auf dem Ende eines solchen Brettes und läuft im Augenblick der Aufnahme ein Kellner über das andere Ende dieser Diele, dann wippt das Stativ, und die Aufnahme ist verdorben. Der Photograph muß also hier nicht nur seine Opfer beobachten, sondern gleichzeitig die ganze Umgebung, und da kann es manchmal unendlich lange dauern, bis eine gute Aufnahme gelingt. Die Hitze des Ballsaals veranlaßt viele Damen, sich mit Fächern oder Speisekarten Luft zuzufächeln. Bittet man sie, einen Augenblick damit aufzuhören, falls dies überhaupt im Lärm der Tanzmusik möglich ist, so bekommen sie durch das Bewußtsein, photographiert werden zu sollen, einen starren Gesichtsausdruck, ein sogenanntes Photographiergesicht, das keineswegs für die Brauchbarkeit der Aufnahme förderlich ist. Da heißt es dann abwarten, bis das Fächeln von selbst aufhört. Aber in der Zwischenzeit ist wieder ein Kellner an den Tisch herangekommen, um Sekt einzugießen, Speisen zu reichen, Teller wegzunehmen, Bestellungen oder Rechnungen aufzuschreiben, und die ganze Situation hat sich nun meist zu ihrem Schaden verändert. Eine besondere Eigenschaft der Kellner ist auch noch die, daß sie sich gern bei einer Aufnahme dazustellen und dadurch die Aufmerksamkeit der zu photographierenden Persönlichkeiten, die noch gar nicht von der Aufnahme wußten, erregen, und wenn das einmal geschehen ist, ist es kaum mehr möglich, eine gute Aufnahme zu machen. Auch andere Personen stellen sich gern zu Gruppen von Prominenten. Dadurch wird die Tätigkeit des Bildberichterstatters außerordentlich erschwert. Es gibt Fälle, in denen man um eine gestellte Aufnahme nicht herumkommen kann, weil man die gesuchten Opfer gerade beim Promenieren mitten im Saal antrifft und nicht weiß, ob man sie nachher noch einmal an irgendeinem Tisch sehen wird. Dann bleibt nichts anderes übrig, als sie zu bitten, daß sie für einen kurzen Augenblick stehen bleiben. Viele tun es gern, manche aber haben Bedenken und müssen erst dazu überredet werden. Das sind meistens diejenigen, die für die Veröffentlichung am interessantesten sind. Aber kaum sind sie stehen geblieben, dann kristallisiert sich auch schon ein Rahmen von Personen um sie herum, die den größten Wert darauf legen, mit auf dem Bilde zu erscheinen. Und wenn das den Prominenten nicht paßt, dann ergreifen sie die Flucht und der Photograph hat das Nachsehen. Am liebsten würde ich in solchen Fällen die betreffenden Personen als ehemaliger Jurist fragen: »Haben Sie Zustellungsvollmacht?« Aber man kann ja niemand böse sein, denn woher soll er wissen, daß er durch seine Gegenwart die Aufnahme unmöglich gemacht hat. Überhaupt heißt es bei dieser Art Aufnahmen ganz besonders »die Ruhe behalten«! Das Gedränge und Geschiebe, die Hitze des Ballsaales, der manchmal ohrenzerreißende Lärm der Saxophone, die ständige Angst, durch unwichtige Gefälligkeitsaufnahmen gute Gelegenheiten für wichtigere Dinge zu verpassen, erzeugen bereits eine gewisse Nervosität, die mit aller Gewalt zu unterdrücken das ständige Bestreben des gequälten Bildberichterstatters sein muß. Es gibt natürlich auch Fälle, wo die Nerven versagen und die Gefahr, aus der Rolle zu fallen, in bedenkliche Nähe gerückt wird.

So erging es mir einmal auf dem Bankett zur Feier der Eröffnung der Berliner Sezession. Dort stellte sich noch die Notwendigkeit heraus, eine Gesamtaufnahme der Sezessionsprominenten zu machen. Es kam nur ein Saal dafür in Betracht, in dem das Licht besser als in den andern Räumen war, denn wenn man zehn bis zwölf Personen in einer Reihe photographiert und sie wegen der zu geringen möglichen Entfernung der Kamera nur aus schräger Richtung aufnehmen kann, so muß man die Blendenöffnung des Objektivs verringern, um die nötige Tiefenschärfe zu erzielen, und dementsprechend länger belichten. In diesem Fall war, da die Gruppe sich immer mehr vergrößerte, besonders lange Zeit für die Aufnahme erforderlich; denn je mehr Menschen dazukamen, desto weiter mußte ich zurücktreten, was immer wieder ein neues Einstellen der Entfernung erforderlich machte. Außerdem war der Saal Durchgangssaal, und immer wieder mußten durchlaufende Personen berücksichtigt oder abgebremst werden. Nachdem alles endlich soweit war, daß die Aufnahme vonstatten gehen konnte, bewegten sich immer noch einige Damen, die um Stillhalten gebeten werden mußten. In diesem Augenblick stand plötzlich ein Herr neben mir und sagte: »Na, nu knipsen Sie doch schon endlich!« Ich hatte wirklich gerade in dem Augenblick belichten wollen, war aber durch die Bemerkung daran gehindert worden, und inzwischen war die ganze Situation schon wieder verändert. Ich war so wütend darüber, daß ich dem Herrn den Drahtauslöser zureichte und sagte: »Bitte, wollen Sie die Aufnahme machen?« Er wich etwas betroffen zurück und antwortete: »Ich kann ja gar nicht photographieren«, worauf ich mich nicht enthalten konnte, zu sagen: » Na, dann bitte ich Sie, mich doch nicht zu stören!« Einige Wochen später wurde ich demselben Herrn im Vorzimmer einer großen Redaktion vorgestellt, wobei er sagte: »Wir kennen uns doch schon. Sie haben mich ja neulich auf dem Sezessionsball so angepfiffen!«

Dieser Fall ist ziemlich harmlos verlaufen. Aber ein weniger angenehmes Erlebnis hatte ich einmal in der Berliner Philharmonie. Der weltberühmte spanische Cellist Pablo Casals hatte mich gebeten, ihn während des einzigen Konzertes, das er in Berlin gab, beim Spiel zu photographieren. Es gelang mir auch eine Aufnahme, ohne daß das Publikum das Geringste davon merkte. Nach Beendigung des Konzerts war der Applaus so stürmisch, daß ich es für richtig hielt, auch das beifallklatschende Publikum aufzunehmen. Ich erklomm daher schnell vom Künstlerzimmer aus die höchsten Stufen des Podiums, um von da aus die Aufnahme zu machen. In diesem Augenblick kehrte Pablo Casals unerwartet aus dem Künstlerzimmer zurück und begann sofort, eine Zugabe zu spielen. Ich konnte nun nicht mehr von meinem Platz verschwinden, ohne durch meine Bewegung die Zuhörer und durch das Knarren der Podiumsstufen den Künstler beim Spiel zu stören. Daher blieb ich wie angewurzelt stehen, bis die Zugabe zu Ende war. Sofort darauf stürzte ein Herr wütend auf mich los, schrie mich an: »Wie kommen Sie dazu, den berühmtesten Künstler der Welt beim Spiel zu stören! Das ist eine Unverschämtheit!« Wegen dieses Ausdrucks verlange ich von ihm, daß er mir seinen Namen nannte, er weigerte sich aber. Ich würde schon von ihm hören, er würde gerichtliche Schritte gegen mich unternehmen. Das ist aber bisher nicht erfolgt, auch nicht, als das Bild von Pablo Casals als ganze Seite in der »Dame« erschien. Ich führe diese Beispiele nur an, um zu zeigen, daß die Arbeit des Bildberichterstatters nicht immer ein restloses Vergnügen ist.

Es kann sogar noch schlimmer kommen. Auf dem letzten Presseball saß ich einige Minuten mit Bekannten an einem Tisch in deren Loge, als Richard Tauber kam und mich über die Brüstung hinweg bat, in seine gegenüberliegende Loge zu kommen und ihn dort mit Henny Porten zu photographieren. Dort fand ich folgende Situation vor. Er saß mit Henny in der Loge, und eine dichte Menschenmenge staute sich, Autogramme heischend, davor. Vom Saal aus war also nichts zu machen. Ich mußte demnach in die Loge hineingehen, und da auch Sima und als aufsichtsführendes Organ – der Erlös der Autogramme war ja für die Winterhilfe bestimmt – Rechtsanwalt Dr. Dr. Frey dabei waren, so hatte die aufzunehmende Gesellschaft eine solche Breite, daß ich fünf Meter Abstand nehmen und dazu hinter einen Tisch treten mußte, an dem ein einzelner älterer ordengeschmückter Herr saß. Der Bildausschnitt konnte nur gut werden, wenn ich von diesem einen Punkt aus über den Kopf des Herrn hinweg die Gruppe aufnahm. Als Entfernung, Blende und Richtung genau eingestellt waren, hob ich doch mit Rücksicht auf das schlechte Licht und die zu verwendende kleine Blende die Hand, um zu erreichen, daß meine Opfer nicht allzu heftige Bewegungen machten. In diesem Augenblick, als alles aufnahmebereit war, kam ein Ehepaar auf den ordengeschmückten Herrn zu, um ihn zu begrüßen. Er erhob sich natürlich und stand nun genau vor meinem Objektiv.

Ich sagte mir, daß diese Begrüßung nicht länger als eine Minute dauern würde, und wartete ab. Aber das Gespräch zog sich ungemein in die Länge, und da ich es der Winterhilfe gegenüber nicht verantworten zu können glaubte, daß während dieser langen Zeit der ganze Autogrammverkehr ins Stocken geriet, so beugte ich mich über den Tisch hinweg und sagte: »Verzeihung, mein Herr, dürfte ich Sie vielleicht bitten, ein klein wenig zur Seite zu treten? Ich mache hier gerade eine Aufnahme«, worauf der Herr mich entrüstet anfuhr: »Ich denke gar nicht daran, ich bleibe hier stehen. Den ganzen Abend ist der Tauber photographiert wurden, ich will jetzt endlich meine Ruhe haben.« Die Logik leuchtete mir zwar ein, aber anderseits konnte ich doch Henny Porten, Sima, Tauber und Rechtsanwalt Frey nicht bis zum Montag früh in abwartender Haltung lassen. Durch Achselzucken gab ich Tauber und Dr. Frey zu verstehen, daß hier vorläufig nichts zu machen sei, denn der ordengeschmückte Herr verharrte auf seinem Standpunkt: »Hier stehe ich, ich kann zwar anders, aber nu' gerade nicht. Amen!« Erst als ich zum Schein mein Stativ einen halben Meter zur Seite rückte, bequemte er sich, sich wieder hinzusetzen, und nun konnte die Aufnahme vom Stapel laufen.

Aber auch dieser Vorfall war noch harmlos im Vergleich zu einem Erlebnis, das ich einmal mit Dr. Schacht gehabt habe. Ich war in die Reichsbank gekommen, um die Sitzung des Generalrats zu photographieren, in der Dr. Schacht sein Amt als Reichsbankpräsident niederlegen wollte. Er sagte aber: »Herr Doktor, ich möchte Sie bitten, hier nicht zu photographieren, die Lage ist viel zu ernst.« Ich sah nicht recht ein, inwiefern eine bildliche Darstellung einer immerhin für die Geschichte der Reichsbank bedeutsamen Sitzung den Ernst der Lage beeinträchtigen sollte, und blieb zunächst während der Sitzung im Vorraum, in der Hoffnung, daß Dr. Schacht nach der Sitzung etwas zugänglicher sein würde. Da inzwischen noch zwei Kollegen gekommen waren, hatte ich noch weniger Grund, das Feld zu räumen. Als die Sitzung zu Ende war, kam Dr. Schacht aus dem Versammlungssaal, sah mich hinter meiner Kamera stehen, ging auf mich los und sagte: »Herr Doktor, wenn Sie hier photographieren, schlage ich Ihnen den Apparat kaputt!« Sein Gesicht war nur zwanzig Zentimeter von dem meinigen entfernt, aber wir blickten uns doch nicht direkt, sondern durch den Newton-Sucher meiner Kamera an, der sich genau in unserer Augenhöhe befand. Dadurch entstand eine gewisse Komik der Situation, so, wie wenn zwei Kampfhähne sich starr in die Augen sehen, und Dr. Schacht ließ von mir ab.

Zu den Schwierigkeiten bei der Aufnahme selbst gehören vor allen Dingen die Bewegungen der Opfer. Die schon erwähnte verhältnismäßig lange Belichtungszeit von einer halben bis zu einer ganzen Sekunde bei gewöhnlichem elektrischen Licht erfordert einen vollkommenen Stillstand des Aufnahmeobjekts. Jede Bewegung ruft Verwischungen und Verwackelungen hervor, ja eine starke Kopfbewegung kann sogar zur Folge haben, daß das Opfer auf dem Bilde kopflos erscheint. Wenn zwei Personen sich unterhalten, ist es gewöhnlich so, daß der zuhörende Teil unbewußt stillhält, während der Sprechende seine Worte mit Kopf- oder Handbewegungen begleitet. Die Aufnahme erfolgt in solchen Fällen am besten in dem Augenblick, wenn der Sprechende einen Satz gerade vollendet und der bisher Zuhörende seine Antwort noch nicht formuliert hat. Je nach dem Temperament der Gesprächsführer kann die Aufnahme verhältnismäßig leicht, schwer oder vollkommen unmöglich sein. Wenn drei Personen sich zusammen unterhalten, hören gewöhnlich zwei stillhaltend zu, während der dritte spricht. Die Aufnahme ist durchschnittlich nicht viel schwerer als bei zwei Personen zu bewerkstelligen. Sobald sich aber eine größere Gruppe von Personen unterhält, wächst die Schwierigkeit der Aufnahme rapide. Hier müssen manchmal schon Zufälle helfen, damit nicht eine oder mehrere Personen unscharf auf dem Bilde erscheinen.

Redner sind verhältnismäßig leichter zu photographieren, weil es sich bei ihnen nur jedesmal um eine Person handelt, die beobachtet werden muß. Aber Redner, die von einem Manuskript ablesen, bereiten damit dem Photographen ungeheure Schwierigkeiten. Nicht nur, weil sie pausenlos, sozusagen am laufenden Band, sprechen und daher in dauernder Bewegung sind, sondern auch, weil beim Herunterblicken auf das Manuskript ihr Gesicht vollkommen überschattet ist. Man sollte nun annehmen, daß die heftig gestikulierenden Redner der romanischen Nationen (wie Franzosen und Italiener) schwerer zu photographieren sein müßten als die ruhigen Deutschen. Das Gegenteil ist der Fall. Die meisten Deutschen sprechen zwar ruhig, aber dabei kontinuierlich, und wenn sie auch nicht scharfe Bewegungen machen, so bewegen sie doch dauernd den Mund und damit den ganzen Kopf. Anders die Franzosen, sie sprechen abgehackt unter Verwendung rhetorischer Effekte, deren Wirkung sie häufig nach jedem Satz erst abzuwarten scheinen. Sie schleudern ihre Hand mit ausgestrecktem Finger drohend in die Luft, aber dort bleibt sie auch eine ganze Sekunde stehen, so daß man in diesem Moment in aller Gemütsruhe photographieren kann. Sie schlagen beide Hände auf die Brust, aber da lassen sie sie auch eine ganze Sekunde liegen; sie quetschen mit geballten Fäusten das zu erläuternde Problem aus sich heraus, aber in dieser gequälten Stellung bleiben sie nun wieder eine ganze Sekunde stehen. Auch in unseren Parlamenten kommt heftiges Gestikulieren vor. Aber hier handelt es sich meistens nicht um erklärende, sozusagen den Inhalt der Rede »handgreiflich« machende Gesten, sondern mehr um ein wütendes Fuchteln und Auf-das-Rednerpult-Trommeln, das für den Photographen keine reine Freude bedeutet.

Unter den technischen Schwierigkeiten, die sich bei manchen Aufnahmen einstellen, muß auch noch der Zigarrenrauch erwähnt werden. Wie schon oben bemerkt, ist das Photographieren bei Banketten manchmal unerwünscht, es wird aber für die Zeit nach dem Bankett gestattet. Eine Tasse Kaffee wirkt nicht so aufreizend wie ein Glas Sekt. Dennoch ist es ein Nachteil für die Güte der Aufnahme. Beim Beginn eines Banketts ist die Luft noch klar. Vom zweiten Gang ab wird sie schon undurchsichtiger durch den Zigarrenrauch, und nachher bei der Tasse Kaffee ist der Dunst häufig schon so dicht, daß nur verschwommene Bilder herauskommen. Das direkt vor der Linse aufsteigende Rauchwölkchen aus einer Zigarre kann eine Aufnahme vollkommen unmöglich machen, und manche gute Aufnahme geht dadurch verloren. Ist der Rauch vorbei, so ist auch die Situation vorbei.

Eine große Rolle spielt dann noch das Pech bei der Aufnahme. Man kann in einem Theater sämtliche Beleuchtungsober- und -unterinspektoren der Reihe nach gebeten haben, bei Beendigung der großen Pause mit dem Ausschalten des Lichts noch einige Sekunden zu warten, bis das Publikum seine Plätze eingenommen hat, immer und immer wieder wird doch jemand da sein, der das Licht zu früh auslöscht, während das Publikum noch da mit beschäftigt ist, seine Plätze aufzusuchen. Man kann sämtliche Kapellmeister bitten, eine ganz kurze Tanzpause eintreten zu lassen, damit irgendein bestimmter Tisch vom Parkett aus photographiert werden kann, immer wieder wird die Musik doch schon einsetzen, bevor die Aufnahme gelungen ist. Man kann, wenn man die Absicht hat, ein schönes Gesamtbild der wogenden Menge der Tanzpaare auf die Platte zu bringen, mit dem Beleuchter zehnmal verabreden, daß er für einige Sekunden reines, weißes Licht auf die Tanzenden hinabfluten läßt, immer wieder wird die Musik schon dann aufhören, wenn das für photographische Zwecke vollkommen unbrauchbare rote oder grüne Licht noch den Saal erfüllt. Man kann allgemein mit größter Wahrscheinlichkeit darauf rechnen, daß diejenigen Personen, auf die es bei der Begebenheit am meisten ankommt, sich gerade in die dunkelste Ecke des am schlechtesten beleuchteten Zimmers zurückziehen. Gegen all diese Widrigkeiten des Schicksals gibt es nur eine wirksame Waffe, eine gehörige Dosis Skeptizismus. Kommst du schon mit der vorgefaßten Meinung an Ort und Stelle, daß dir die meisten Aufnahmen nicht gelingen werden, so ist die Freude über jede doch gelungene Aufnahme desto größer, und was du »Schicht auf Glas« besitzt, kannst du getrost nach Hause tragen.


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