Ferdinand von Saar
Gedichte
Ferdinand von Saar

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Der neue Vorort

          Ganz erstaunlich! Noch im Vorjahr
    War hier bloß ein wüster Anger –
Und nun hat sich drauf erhoben –
    Seh' ich recht? – ein ganzer Stadtteil!

An den neuen Häusern freilich
    Sind geborsten schon die Mauern,
Mörtelnaß sind noch die Zimmer –
    Doch bewohnt in Überfülle.

Selbst in allen Kellerräumen
    Wimmelt's wie in einem Pferche;
Männlich, weiblich durcheinander –
    Und vor allem viele Kinder.

Zwar an Skrofeln und Rachitis
    Leiden sie, die lieben Kleinen,
Und die Mütter sind anämisch –
    Doch das Volk, es propagiert sich.

Seine Nahrung auch bezieht es
    Aus den Buden in der Runde;
Sind verfälscht die Lebensmittel –
    Chemisch weisen sie auf Fortschritt.

Eine Schule auch gewahr' ich,
    Irr' ich nicht, im got'schen Stile,
Wo hochweise Lehrer lehren
    Und hyster'sche Lehrerinnen.

Das Geschlecht, das hier emporwächst,
    Wird dereinst die Welt regieren
Und Gesetze wird es schaffen,
    Die ans Ziel die Menschheit bringen.

Wohl bekomm' es! Ich indessen
    Tröste mich, daß ich schon alt bin,
Und mit schauderndem Behagen
    Denk' ich: nun, nach mir die Sintflut!

 


 


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