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Die heilige Magdalena von Witscht

Eine dokumentierte Geschichte

1.

Als ich vor einiger Zeit einen kurzen Sommeraufenthalt in Witscht hielt, waren gerade große Manöver in der Umgegend. Täglich marschierten Truppenmassen von der nahen Stadt Ballenberg herauf, und viel gaffendes Volk sammelte sich dann an der Straße. Dabei konnte es dem zufälligen Zuschauer nicht entgehen, daß ein über dem Dorfe auf einem Hügel, dem sogenannten Kirliberg aufragendes, anscheinend noch neues und für die Gegend auffällig reiches Gebäude die Aufmerksamkeit der Krieger, besonders ihrer Führer auf sich lenkte. So neugiererregend war das Ding, daß kaum einer der Offiziere, die höchsten Spitzen und die ältesten Knasterbärte nicht ausgenommen, die Frage unterließ, was denn das da droben für ein Schloß sei. Immer und immer wieder richtete sich diese Frage an die umstehenden Landleute, 's heilige Madleneschlößle, war dann jedesmal die rätselhafte Antwort.

Damals faßte ich den ehrgeizigen Entschluß, der Geschichtschreiber der heiligen Madlene von Witscht zu werden. Die Geschichte des heiligen Josef von Witscht mußte dabei, wie es in der Natur der Sache lag, nebenherlaufen. Und so begann ich denn von Stunde an, mich in die Acta sanctorum novorum zu vertiefen.

 

2.

Im Jahre 1848 erschienen »Ambrosius Oschwalds Mystische Schrieften oder das grose Weltgericht vor und nach der zweiten Ankunft Jesu Christi auf Erden u. s. w.«, zwei Bände. Ambrosius Oschwald ist der Vorläufer der großen Heiligen von Witscht, die Vox clamantis in diserto, die vor ihr herging, um ihr die Wege zu ebnen.

Oschwald wahrsagte: Thut Buße, denn das Himmelreich ist nahe, oder um es bestimmter auszudrücken: Aufgepaßt, der Antichrist ist Fleisch geworden. Aber seine Tage sind gezählt, das Menetekel ist ihn: auf die Stirn gebrannt, und nicht mehr ferne ist der Anfang des »tausendjährigen Reiches«. Dieses »tausendjährige Reich« ist das Schlagwort Oschwalds und seiner Anhängerschaft. Der Prophet erneuerte damit in sich und seinen Jüngern jene hoffnungs- und glaubensvolle Sehnsucht der Christenheit nach einer Zeit des Friedens und der Glückseligkeit, welche man sich als die letzten tausend Jahre vor dem jüngsten Gericht dachte.

Oschwald selber war ein Asket. Wie ein zweiter Franz von Assisi, sprach er vor seinen Zuhörern in Verzückung halbe und ganze Tage lang, um zum Schlusse mit den Hungrigen eine dürre Brotkruste zu teilen und ihnen den nackten Boden zum Lager anzubieten. Aber je strenger er war, desto mehr Zulauf fand er. In allen Orten, wo er einmal pastoriert hatte, und in der ganzen Umgegend hatte er Anhänger, die, wenn er versetzt wurde, jährlich wenigstens einmal bis zu hundert Stunden weit, mühsam zu Fuß, ihm nachreisten.

Das wurde aber von den andern Geistlichen nicht gern gesehen.

Auch sprach und schrieb Oschwald gegen das unnütze leere Beichten und Kommunizieren, gegen geistlähmende und geisttötende Werke, äußerliche Übungen und ängstliche Gesetzlichkeit. Alle dergleichen Sachen hasset meine Seele, sagte er; denn dadurch kommt man zu keinem freien Geiste. Das war schon sehr schlimm, und man sieht daraus, daß der Mann nicht nur ein Prophet war, sondern auch alles Zeug zu einem richtigen Ketzer hatte, für einen katholischen Priester ein gefährliches Talent. Doch verzeihlich waren auch diese Äußerungen. Die Kirche konnte sagen und hat dies im Verlaufe ihrer Geschichte oft gethan, daß solche Lehren, wenn sie nur richtig verstanden würden, ganz die ihrigen seien.

Aber Oschwald hatte sogar die Kindlichkeit, zu verlangen, die katholischen Priester sollten in Armut leben, ihren göttlichen Beruf nicht zu gewinnbringendem Amt und Handwerk herunterwürdigen, sondern nur das Nötigste zur Erhaltung des Leibes annehmen oder noch besser mit ihrer Hände Arbeit verdienen, alle Unwürdigen aber sollten ausgestoßen werden.

Das letztere geschah ihm, und er ging nach Amerika.

 

3.

Als Oschwald dem unvollkommenen Diesseits den Rücken zu kehren beschloß, verkauften viele seiner Jünger »alles, was sie hatten« und zogen mit ihm hinweg; viele andre mußten Zurückbleiben. Unter den letzter« waren die von Ballenberg und Witscht und überhaupt jener ganzen Gegend am tiefsten gerührt, am schmerzlichsten ergriffen. Und den Propheten »erbarmte die Verlassenheit des Volkes«. Seid getrost, ich lasse euch die Magdalena zurück, sprach er feierlich.

Ähnlich hatte Christus der Herr gesprochen von dem Tröster, dem heiligen Geiste. Die Parallele war deutlich. Wie ein Lauffeuer ging das Wort durch die verschiednen Gemeinden, es war wie ein heiliges Testament. Mit einem Schlage war die Magdalena als Statthalterin des Propheten im Ozeans-Diesseits allgemein anerkannt und hieß von Stunde an die heilige Madlene, und nicht nur bei den Auserwählten. Diese nannten sie so in der Heimlichkeit des Herzens mit ehrfurchtsvollem Ernst, die Weltkinder dagegen gebrauchten den Namen laut, wenn sie dabei auch nicht die Schauer der Ehrfurcht und Anbetung der Eingeweihten empfanden. In Witscht pfiffen die Spatzen auf den Dächern den Namen, und die Kinder wußten gar keinen andern.

Wer und was war nun die Heilige, ehe sie zu dieser außerordentlichen Würde gelangte, in der sie später so Großes vollbracht hat?

Bühelfranzens Madlene hieß sie in Witscht mit ihrem profanen Namen, und der sogenannte Bühelfranz, ihr Vater, der als ein stiller, träumerischer, fast tiefsinniger Mensch geschildert wird, verstand verschiedne Künste; er war Bauer, Weber, Schuster. Dieser den Leuten von Witscht bereits merkwürdige Mann hinterließ drei noch merkwürdigere Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Am wenigsten ausgezeichnet war die Tochter Franziska, am meisten der Sohn Sebastian, der freilich im Laufe der Zeit von seiner Schwester Madlene, die er von vornherein am Geniesternhimmel weit zu überstrahlen schien, tief in den Schatten gestellt wurde. Das auffälligste Verdienst an Franziska bestand darin, daß sie nicht leicht mit andern ihres Geschlechts verwechselt werden konnte. Die Leser kennen wohl alle die drollige Geschichte von den vier Hausknechten, die sich alle vier vergeblich anstrengten, ein Licht auszublasen; sie hatten nämlich sämtlich so krumme Mäuler, daß ihr Hauch in allen Richtungen herauskam, nur nicht in gerader gegen das vorgehaltene Licht. Bühelfranzens Franziska hatte eins von diesen Mäulern, und zwar eines von den seitlichen.

Weniger einfach liegt die Sache mit Sebastian. In diesem steckte zunächst ein Jakob Böhme, denn die Tiefsinnigkeit des Vaters war in ihm vervielfacht. Er hieß im Dorfe allgemein nur der Simulorum oder Simulorem, ich denke mir, weil er ein »Simulierer« war – die Witschter haben zum geringsten Teile Latein studiert – doch wird der Name gewöhnlich anders erklärt, was später erörtert werden soll. In dem Simulorem lag aber auch ein Tielmann Riemenschneider oder wenigstens ein Veit Stoß verborgen. Ohne äußere Anleitung, nur aus dem innern Triebe heraus, schnitzte er die schönsten Bilder in Holz. Aus allerlei Klötzen, wie sie ihm gerade zur Hand waren, schnitt er mit seinem einfachen Taschenmesser Madonnen mit dem Jesuskind, und echt genial verschwenderisch mit den Schöpfungen seines Geistes und seiner Hand, beschenkte er ganz Witscht mit diesen Kunstwerken. Viele derselben sind noch hie und da sichtbar und werden von den Kindern als Puppen benutzt.

Aber der stärkste Genius Sebastians ist damit immer noch nicht bezeichnet. Auch ein Palästrina oder Bach rumorte in ihm. Wenn der Simulorem, der lang und hager war, schleppenden Ganges, die Beine lässig nachschleifend, mit einem gerade fertig gewordnen Kunstwerk durchs Dorf schleuderte, um sich einen auszusuchen, den er durch die Beschenkung mit seinem Werke glücklich machen könnte, ereignete sich hundertmal folgender seltsame Auftritt. Der Bastian blieb plötzlich stehen und winkte jemand, und wenn dieser nicht zu ihm kommen wollte, so begab sich der Prophet zum Berge. Horch! sagte er und tippte mit dem Knöchel seines Zeigefingers an seine Statue. Was hörst du? Gelt, nichts! Das ist stumm und tot, das hat keinen Klang. Und traurig ging er seines Weges, seine Beine noch schlaffer nach sich ziehend als zuvor. Daß seine Bilder so stumm und tot waren, machte ihn tief unglücklich. Auch half es ihm nichts, daß er ein Erzgießer ward, seine Statuen aus Thonerde formte und in Blei umgoß. Das war noch stummer und toter als Holz. Doch machte ihn eine Entdeckung kurze Zeit glücklich. Er formte große Thonbilder, höhlte sie sorgfältig aus und brannte sie im Backofen. Er brauchte lange, bis ihm diese Kunst so gelang, daß seine Bildungen keine Sprünge mehr bekamen. Da tippte der Simulorem wieder mit seinem Knöchel daran, und siehe, das klang! Der gute Bastian hatte nun eine kindliche Freude, aber es ging ihm wie allen seinen Kollegen. Wie jeder, der etwas schafft, war er im Augenblicke entzückt. Doch mit der Zeit fand er die eigne Leistung schwach und ungenügend. Einige Wochen lang ging der Bastian mit dem tönenden Bilde freudestrahlenden Blicks von Haus zu Haus, und jedermann mußte seine Statue nicht sowohl sehen als hören. Da, eines Tages, während er in Wonne schwamm, himmelhoch jauchzend, brachte so ein cynischer Lästerer und Gottesverächter einen alten Topf herbei, dessen nähere Bezeichnung man dem Berichterstatter erlassen möge, hielt ihn dem Bastian ans Ohr und tippte auch mit dem Zeigefinger daran. Hörst du, Simulorem, sagte er höhnisch, das tönt so gut wie deine Mutter Gottes, noch besser, du hättest dir nicht so viele Mühe zu geben brauchen. Da fuhr dem Bastian ein jäher Schreck in die Glieder, daß die tönende thönerne Muttergottes seinen Händen entfiel und in tausend Scherben zerbarst.

Wenn ihn nun jemand fragte: Wie geht's, Bastian, warum so finster? so nahm sein Gesicht einen noch trübseligem Ausdruck an. Das ist ein stumpfer Klang, antwortete er traumhaft, und die Seele zittert nicht, wenn sie ihn hört.

Dann verfiel der Simulorem wieder auf etwas andres. Was er nicht selber vermochte, nämlich tönende Gebilde zu schaffen, hatten andre gethan, und der Simulorem wurde ein Quasimodo secundus. Ganze Tage und Nächte saß er auf dem Glockenstuhle des Dorfkirchturmes. Den Glocken waren auch Muttergottesbilder eingegossen. Die betrachtete der Bastian mit heiliger Andacht. Von Zeit zu Zeit tippte er mit dem Fingerknöchel an den Glockenrand, und wenn dann, eine Welle im Ozean gleich, ein mächtig-tönendes Summen über das eherne Gebilde hinlief, erfüllte es ihn mit freudigem Schauer. Und die Dämonen seines Innern wurden allmählich so aufgeregt, daß er alle Besinnung verlor und die Glocke in Schwingung, das ganze Dorf aber in Aufruhr versetzte, wofür er öfter eingesperrt werden mußte. Er weinte dann wie ein kleines Kind und versprach, ein solches Unheil nie wieder anrichten zu wollen. Doch begegnete es ihm noch öfter, wenigstens drei- bis viermal im Jahre. Zur Strafe dafür muß er seit seinem Tode als Gespenst auf der großen Glocke rittlings sitzen von Abends an, wenn der letzte Klang des Aveläutens verklungen ist, bis zum Morgen, wenn es das Frühave läutet. Das mag kein Vergnügen für ihn sein, besonders im Winter. Da friert es ihn so sehr, daß der alte Nachtwächter Stephan Stech, wenn er am Turme vorbei geht, oft das Gerippe des Unglücklichen vor Frost klappern hört.

Als der Bastian noch lebte und im Fleische wandelte, fragte er eines Tages seinen Nachbar, den Ochsenwirt, ob der Mann mit dem Simulor nicht angekommen sei. Was soll denn das sein, dein Simulor? fragte der. Ei, wißt Ihr das nicht? antwortete er lächelnd. Simulor, das klingt, das tönt heller als Gold und Silber; wenn der Mann kommt, will ich eine Muttergottes daraus machen, und wenn es reicht, auch eine Glocke für den Kirchturm. Simulor! Geheimnisvolles Wort. Wer mag es deuten und seinen Ursprung sicher erklären? Die einen sagen, das Wort sei im Munde des Bühelfranzens Sebastian eine Weissagung gewesen, eine innerliche Offenbarung, und Simulor heiße das noch unentdeckte Metall, welches, reiner und edler als Gold, einst zur Prägung der kaiserlichen Münzen des »tausendjährigen Reiches« werde verwendet werden. Andre behaupteten, der Rentamtmann Zänkel, ein alter Schalk, habe dem guten Bastian das Wort zugeflüstert und dabei ein rechtes Märchen aufgebunden. Wie dem auch sein mag, der Bastian fragte von da an jeden Tag und jeden ihm begegnenden Menschen nach dem Manne mit dem Simulor, und noch auf dem Totenbette mit seinem letzten Hauche fragte er nach dem Manne mit dem Simulor. Der arme Simulorem!

 

4.

Wer nun meint, daß das Wesen des Simulorem deshalb hier so eingehend dargestellt worden sei, um die natürliche Grundlage, quasi die natürliche Natur im Wesen seiner heiligen Schwester daraus zu erklären, ist leider im Irrtum. Ganz im Gegenteil, diese Darstellung soll zeigen, wie unerforschlich und geheimnisvoll die Wege der Gnade sind, und wie es wahr ist, was geschrieben steht, daß der Geist weht, wo er will. Nicht der mit den günstigsten Talenten dazu ausgestattete geniale Sebastian wurde zur Heiligkeit erwählt, auch nicht die Schwester Franziska, deren krummes Maul nach menschlichen Begriffen dazu sehr förderlich hätte sein müssen, sondern die Jüngste. Sie mit rötlichen Haaren, mit rostigen Sommersprossen in dem blassen Gesicht, die Madlene – ein ganz gewöhnliches Mädchen, ein hübsches Ding, wenn man will aber von allem außerordentlichen so weit entfernt, als ihrer Zeit die noch berühmtere Heilige dieses Namens von der Keuschheit. Ein sanfter, schwärmerischer Glanz lag in ihren blaßblauen Augen. Aber dieser eine Umstand macht das Wort des Propheten: Ich lasse euch die Magdalena zurück! nicht begreiflich.

Die Wirkungen dieser Worte wurden bereits angedeutet, sie waren doppelter Art, innerlicher und äußerlicher. Innerlich, d. h. im Geiste und Denken aller Oschwaldianer, vollzogen sie sich wie ein Schlag. Gestern war Bühelfranzens Madlene noch ein Bauermädchen wie hundert andre, vielleicht ein bißchen hübscher und zarter, aber sonst nichts mehr und nichts weniger; heute war sie eine Auserwählte Gottes und seines Propheten, eine im Geist Gesalbte des Herrn.

Äußerlich ging die Metamorphose langsamer. Von Oschwalds Weggang in ein besseres Ozean-Jenseits, worauf die Magdalena zuerst anfing, sich durch reichere Kleidung und bald darauf durch feineres Essen und Trinken von ihrer Umgebung zu unterscheiden, bis zu dem Augenblicke, wo sie auf erhabenem Throne sitzend, mit dem Hermelin bekleidet, in Anwesenheit einer großen Schar von Anhängern sich vom »Heiligen Josef« feierlich die zu Frankfurt am Main, dem letzten Krönungsorte des weiland Heiligen Römischen Reiches, geschmiedete goldene Krone aufs Haupt setzen ließ, vergingen Jahrzehnte.

Diese Krönung fand wirklich statt, und bei der spätern Erbschaftsangelegenheit erregte das Diadem, für welches ein ungeheurer Preis bezahlt worden war, unter den damit beschäftigten Personen das meiste Aufsehen.

Und als was ließ die weiland Bühelfranzens Madlene sich krönen? Wer kann das wissen. Sie betrachtete sich zwar als Hauptmithelferin bei der bevorstehenden Gründung des »tausendjährigen Reiches«; aber nicht eine Frau sollte darin die höchste Würde bekleiden, sondern Papst und Kaiser. Doch vielleicht fühlte sie sich als die mystische, nur von wenigen Erleuchteten anerkannte Verwahrerin und Verweserin der Kaiserwürde in der Zeit des einstweiligen Interregnums. Vielleicht sollte die Krone auch nur ein Symbol der Aureole sein.

Die heilige Madlene hatte unterdessen ihre Sommerflecken verloren, ging auch an Werktagen in Samt und Seide und als Jungfrau in den hellsten Farben. Aber sie war nicht schöner, sondern nur dicker und fetter geworden, und dies nach und nach so sehr, daß sie kaum mehr gehen konnte und in einer Sänfte getragen werden mußte. Kein Wunder, sie arbeitete nichts, machte sich nicht allzutiefe Gedanken und aß und trank als mystisches Symbol des ganzen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Und ihre Mittel erlaubten ihr das, wenn anders diese banale Redensart in Beziehung auf so heilige Dinge gebraucht werden darf. Und das kam so.

Oschwald hatte die Armut als wesentlichste Bedingung zur Heilsvollkommenheit aufgestellt, und die heilige Madlene hielt an dieser Lehre natürlich fest. Es folgte daraus, daß die besitzenden Anhänger der Heiligen, um den Ernst ihrer Gesinnung an den Tag zu legen, alles hergeben mußten, was sie hatten. Da mochte denn die heilige Madlene ihnen zweierlei zu bedenken geben. Einmal, daß seine irdischen Güter den Armen zu geben eigentlich ein egoistisches Werk sei, weil, indem man sich selber den Weg zur Vollkommenheit öffnet, man ihn den andern damit versperrt – eine Handlungsweise, die in weniger schwerer Zeit verzeihlich und selbst von heiligen Männern als löblich erfunden werden konnte, jetzt aber unter der Herrschaft des Antichrists fast ein geistiges Verbrechen gewesen wäre. Zum andern mochte sie daran erinnern, daß auch Jesus gesagt hatte: Arme habt ihr immer unter euch! Auch ihre Anhänger führten diesen Ausspruch gern im Munde. Was derselbe im Sinne der heiligen Madlene heißen sollte, ist klar. Sie wollte sagen: Arme habt ihr immer, aber eine zur Gründung des »tausendjährigen Reichs«, des vollkommenen Reiches Christi auf Erden berufene Heilige nebst ihrem großen Zwecke kann es nur einmal geben, so lange die Welt steht, wie es nur einen Abraham, einen David, eine Mutter Gottes, einen Christus gab. Der letzte große Moment in der Geschichte des Reiches der Kinder Gottes ist angebrochen und in meiner durch die Gnade auserwählten und geheiligten Person dargestellt. Ich bin seine Fleischwerdung. Ihr habt das unschätzbare Glück, diesen großen Moment nicht nur mit zu erleben, sondern selber zur Mitwirkung berufen zu sein durch euer Gebet und euern heiligen Wandel, ja sogar durch die euerm Heiligungszweck hinderlichen irdischen Güter, deren wir, die Streiter Gottes, nicht entraten können, weil dieselben zur Wegräumung äußerlicher Hindernisse dienen.

Man muß sich die dicke, fette Person vorstellen in ihren seidnen, nicht gerade geschmackvoll farbigen Kleidern, im rotausgeschlagenen Sessel sitzend, die Schwurfinger der rechten Hand gleich einem Papste zum Segen erhoben, ihre Worte kaum hörbar aus sich herauslispelnd.

Und dazu muß man sich diese andächtigen Jünglinge und Jungfrauen, diese Frauen, Männer und Greise denken, welche alle die heilige Madlene vor kurzer Zeit als Bauernmädchen gesehen hatten und nun an ihrem nur halb verständlichen Gelispel als an unmittelbaren Aussprüchen des heiligen Geistes hingen. Man muß im Geiste diese Physiognomien sehen, den Ausdruck von Schwärmerei und ekstatischer Begeisterung, nicht ohne poetischen Anflug in einigen, die erschreckende, fast nicht mehr menschliche Blödheit in andern, die stereotyp gewordene dummfromme Betbrudermiene in den meisten, verbunden mit mehr oder weniger groben Zügen, mehr oder weniger Gutmütigkeit oder Berechnung! Wenn die Zuhörer die Idee nach der Masse und Fettheit des Fleisches, in welcher sie dieselben dargestellt sahen, bemaßen, so kann es nicht verwundern, wenn sie Respekt davor bekamen. Diese Fleischwerdung war geglückt, sie war im buchstäblichen Sinne des Wortes nicht mager ausgefallen.

Jedenfalls war es felsenfeste Überzeugung aller Gläubigen der heiligen Madlene, daß nicht Speise und Trank sie so dick gemacht habe, sondern das Prinzip oder, sagen wir lieber, das Mysterium des »tausendjährigen Reiches«, welches in ihrer Person Fleisch geworden sei, das schon vorhandene also reichlich vermehrend. Äußerungen dieses Sinnes konnte man vielfach hören.

So entwickelten sich in den Gehirnen die Ideen. Im Raume aber verliefen die Sachen folgendermaßen. Da kamen drei Jahrzehnte lang wohl täglich aus mehr als hundert Orten in Franken, Oberbaiern, Rheinbaiern und der Pfalz Madlenengläubige nach Witscht, um die Heilige zu sehen, zu hören, um Geschenke in Gold, Weihrauch und Myrrhen darzubringen. Von den dreien waren aber nur die beiden letzten reine Symbole, und nur bei ihnen war als solchen die Quantität unerheblich. Es kamen zwar keine Könige, weder aus dem Morgen- noch aus dem Abendlande. Aber viele sehr vermögende Leute, ledige und verheiratete, verkauften wörtlich alles, was sie hatten, mit Haus und Hof, um den Erlös der heiligen Madlene zu Füßen zu legen und als arme Taglöhner weiter zu leben. Eine gute Anzahl derselben muß jetzt, nachdem sie alt und gebrechlich geworden sind, von der Gemeinde Witscht erhalten werden. Es sind noch dazu keine Witschter, sondern Fremde; in Witscht selbst glaubten nur einige hysterische Jungfrauen, welche von der Welt in mehr als einer Beziehung vernachlässigt worden waren, an die heilige Madlene.

Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande. Darum mußte auch zuerst der Franzose Graf Montalembert das Leben der heiligen Elisabeth von Thüringen schreiben, während gewisse deutsche katholische Grafen mit Vorliebe nach Lourdes wallfahren; so mußte der Pariser Freigeist Sainte-Beuve, der alle Charfreitage beim Prinzen Napoleon Servelatwurst aß, in seinen Lundis eine wohlwollende, eingehende und geistreiche Besprechung über Katharina Emmerich und Clemens Brentano bringen; so haben nicht die Schweden, sondern die Deutschen einen Gustav-Adolf-Verein; so wurde Jesus nach und nach von allen Völkern des römischen Reiches anerkannt, aber niemals von seinem eignen u. s. w.

In mehr als einem Sinne mußte die heilige Madlene natürlich auch die Bewohner von Witscht interessieren, unter denen sie einst in ihrer gemeinen Weltlichkeit als ihresgleichen gewandelt und für die sie nun unnahbar geworden war. Einen gewissen Nimbus besaß sie auch für diese, selbst für die Ungläubigsten unter ihnen, hatte sie doch großen, ja außerordentlichen Erfolg, und das ist ein Ding, welches immer wirkt. Die Leute fragten sich: Was wird nun geschehen, was sollen wir noch erleben? Die Madlenianer ließen nichts verlauten, und wenn die Heilige selbst gesagt hatte, daß mit den gesammelten Mitteln »die äußerlichen Hindernisse bei Gründung des tausendjährigen Reiches weggeräumt« werden sollen, so ließ sich dabei für einen Witschter Bauer nicht viel denken.

Einstweilen sahen die Leute die immer reichlicher zufließenden Mittel zu allerlei verwendet, zu seidnen Kleidern und samtnen Mänteln, zu weichen Sofas und Polsterstühlen, zu vielen Reisen nach Frankfurt, Köln, Wien und München, überhaupt zu einem in jedem Sinne üppigen Leben, wie die ungläubigen Witschter Weltkinder meinten. Freilich waren das nur Vermutungen, niemand von ihnen allen war ja dabei. Der einzige aber, dem das außerordentliche Glück zu teil ward, war seit seiner Erhebung zu der neuen Würde für profane Witschter Weltkinder ebenso unzugänglich, vermied ebenso jede Berührung mit denselben wie die heilige Madlene selbst. Das war der heilige Josef.

Josef Hanim hieß er mit seinem bürgerlichen Namen. Ein Novellenschreiber hätte ihm keinen schönern geben können, er war in Wahrheit Hahn im Korbe. Er wohnte mit der heiligen Magdalena unter einem Dache, an seinem Arme ging sie täglich in die Messe, in seiner Begleitung reiste sie. Wie man sie nur in Samt, Seide und feinstem Rauchwerk sah, so ihn nur in Schwarz, mit hohem Hut von neuester Form. Vor seiner Beförderung zu dieser propädeutischen Würde im »tausendjährigen Reich« war Josef Hanim ein Schmied. Sein Namenspatron war Zimmermann, das ist kein allzugroßer Unterschied.

Zur Zeit seiner Erwählung mochte er am Ausgange der Zwanziger sein. Er war, was man einen schönen Mann nennt, eine Hünengestalt, aufs vorteilhafteste proportioniert, mit glänzend schwarzem, sorgfältig gepflegtem Haar, mit kühnen Augen von derselben Farbe. Die Bildung der Stirn aber und noch mehr der Kiefer deutete nicht gerade auf eine feinere geistige Konstitution, auch sein Vorleben thut dar, daß die praktischen Instinkte des Lebens in ihm vorherrschten, und sein Nachleben thut dies noch mehr. Von einem Schwärmer war keine Spur in ihm. Dafür war er ein geschickter Schmied, und das ist er noch.

Als nämlich die heilige Madlene starb, zeigte es sich, daß die Aureole des heiligen Josefs nur ein hinfälliger Reflex von der ihrigen war, kein Sonnen-, sondern nur ein Mondlicht, kein echter Heiligenschein, sondern nur ein Heiligen-Widerschein, der mit der Hinwegnahme des Ursonnenlichtes wie weggeblasen war. Der heilige Josef war nur ein Trabant.

Und heute steht er wieder in der Schmiede vor seinem Ambos, rußig, mit aufgestülpten Hemdärmeln und verdient im Schweiße seines Angesichtes sein saures Brot. Er ist in Witscht nicht mehr der heilige Josef, sondern heißt wieder, wie aus Ironie des Schicksals, Josef Hanim. Seine Vergangenheit muß ihm wie ein geträumtes Märchen vorkommen. Nichts ist ihm davon übrig geblieben. Selbst der Rosenkranz, mit dem er einst als einzigem Handwerkszeuge hantierte, ist beiseite gelegt, seitdem Josef den Hammer wieder ausgenommen, und sogar die frommen Falten, die doch stereotyp geworden schienen, hat sich der Exheilige mit bestem Erfolg aus dem Gesicht gestrichen. Er hat mit der Heiligkeit vollständig aufgeräumt, vermutlich weil er es für ein Sakrilegium hielt, seine Heiligkeit in der Schmiede rußig zu machen. Er geht sogar an Sonntagen wieder in die öffentlichen Weinstuben zu feinen Mitbürgern, die in der Zeit seiner Heiligkeit gar nicht mehr für ihn da gewesen waren; nun behandelt er sie wieder wie seinesgleichen und ist sichtlich froh, wenn die Gutmütigen thun, als sei das immer so gewesen. Auch den Witschter Dialekt, den er infolge seiner vielen Reisen mannigfach mit Hochdeutsch durchsetzt hatte, spricht er wieder ziemlich rein. Dabei sieht er nicht unglücklich aus, er ist eine praktische Natur und weiß sich in alles zu schicken. Vielleicht hält er aber seine Rolle noch nicht für ausgespielt.

Eine dritte hervorragende Persönlichkeit im Kreise dieser Heiligkeiten war der »Antiquar«, der Schriftgelehrte der Gesellschaft, der die litterarische Potenz vertrat und die Sendschreiben an die Gläubigen verfassen mußte. Er schrieb auch zwei weitere Bände zu Oschwalds »Mystischen Schriften« und zeigte in seiner antiquarischen Bude den Madlenianern die heiligen Urschriften der vier Evangelien, ein Horn vom Stier des Evangelisten Lukas, das Spinnrad der Muttergottes und andre Reliquien ähnlicher Natur. Er besaß das höchste Ansehen in der Sekte, und manche achteten seine Heiligkeit sogar höher als die der Madlene. Seine Residenz hatte er in einer großen Stadt Baierus.

 

5.

Unter den sonstigen mit der heiligen Madlene zusammenhängenden Erscheinungen erregten vor allem zwei Kinder großes Aufsehen. Diese waren auf einmal da, und niemand, wenn nicht etwa die Madlenianer, erfuhr mit Gewißheit, woher sie kamen, wohin sie gehörten. Dieser Umstand war aufregend. Dazu kam noch, daß man sie kaum sah, höchstens einmal im »Schloß«-Garten durch den Weißdornhag hindurch, auf die Gasse kamen sie nicht. Gewöhnlich blieben sie nur einige Tage, in geschlossenem Wagen fuhren sie an, womöglich bei Nacht, und ebenso reisten sie wieder ab.

Es waren zwei Knaben, wie Prinzen gekleidet und schön, mit wahrhaften Engelsköpfchen, der eine schwarz, der andre blondlockig. In Witscht war nie etwas ähnliches gesehen worden, ein weiterer Umstand, der die Phantasie reizte. Als die beiden zum erstenmale auftauchten, zählte der eine ungefähr fünf, der andre sechs Jahre. Gerüchte gingen genug über die schönen kleinen Lockenköpfe. Bald sollten sie Söhne des Antiquars, bald Kinder der jungfräulichen heiligen Madlene sein. Letzteres dachten sich einige so, daß die beiden Vermutungen auf eins hinausgekommen wären; andre brachten den heiligen Josef, wieder andre eine noch viel größere und unantastbarere Heiligkeit in Verdacht, indem sie von einer cooperatio spiritus sancti munkelten. Das letztere thaten sogar zwei sehr ungleich geartete Klassen, die gläubigsten Seelen, die frömmsten, kindlichsten Gemüter, und die losesten Spötter.

Ein so tief geheimnisvolles Dunkel aber auch die schönen Kinder in Bezug auf ihre gewöhnlichen Lebens- und Herkommensumstände umschleierte, so klar war sich alle Welt über ihr eigentlichstes Wesen. Alle Welt und jedes Kind in Witscht wußte, daß die beiden Knaben die zukünftigen Weltherrscher im »tausendjährigen Reich« seien, der Blonde als römischer Kaiser, der Schwarze als römischer Bischof oder Papst. Die Bedeutung der beiden Kinder ging demnach weit über die der heiligen Madlene selbst hinaus, und darnach wurden sie auch behandelt. Es ist also ganz selbstverständlich, daß sie, so oft sie auch in Witscht verweilten, mit keinem profanen Menschen in Berührung kamen, während sie den Madlene-Gläubigen wie die Schaubrote des alten Testaments gezeigt und nur den Vertrautesten zum Handkuß vorgeführt wurden. Als deshalb der Erzähler dieser Geschichte, der damals in einem Alter von sechs bis sieben Jahren stand, von den beiden Prinzen eines Tages heimlich in den Garten gelockt worden war, nur Blindekuh mit ihnen zu spielen, da bedeutete das kein kleines Abenteuer, und viele haben ihn sicher bereits als den vermutlichen zukünftigen Kanzler des »tausendjährigen Reichs« beneidet. Die andern Jungen drückten das sehr bezeichnend so aus, daß sie ihn eine Zeitlang den Hofkaplan der heiligen zwei Prinzen oder kurz den Hofkaplan nannten. Diese seine Ansprüche sind nun leider wie der Heiligenschein des heiligen Josefs nach menschlicher Voraussicht für immer dahin. Sic transit gloria mundi.

In der Hofhaltung der heiligen Madlene wiesen mit der Zeit gewisse Anzeichen daraus hin, daß etwas Außerordentliches im Gange sei. Auch zeigten sich die Zeitumstände darnach angethan, es war Anno sechsundsechzig. In Deutschland wurde die alt-katholische Macht, in deren Familie die Traditionen des römischen Kaisertums lagen, vom protestantischen Preußenkönig besiegt und aus Deutschland hinausgeworfen. In Italien wurde der Papst von Viktor Emanuel und Garibaldi immer mehr in die Enge getrieben. Napoleon aber spielte, halb öffentlich, halb heimlich, mit diesen dreien unter einer Decke. Europa hatte auf einmal nicht einen, sondern gleich ein halbes Dutzend eingefleischter Antichristen. Wer konnte da noch zweifeln, daß die Zeichen der Apokalypse in dem Sinne, wie Oschwald sie gedeutet hatte, erfüllt und die große Katastrophe nahe sei. Die Madlenianer sprachen damals laut die Überzeugung aus, daß wir in längstens drei bis vier Jährchen im »tausendjährigen Reich« drin sein würden. Wie merkwürdig!

Da hieß es denn handeln. Der Kirliberg war zu einem guten Teile längst angekauft; nun begann ein Graben, Schaufeln, Wühlen, Kärrnen, dann ein Mauern. Noch nie hatte Witscht eine solche Menge Volkes an einem Werke vereinigt gesehen. Und alles waren Fremde und keine bezahlten Arbeiter, sondern nur freiwillige Gläubige. Alle süddeutschen Sprachen und Nationalitäten fanden sich vertreten: Franken, Pfälzer, Schwaben, Allemannen. Es war ein solches Sprachen-, wenigstens Dialektdurcheinander, daß man kein protestantischer Pastor von Schillingstadt zu sein brauchte, um versucht zu werden, eine Anspielung auf den babylonischen Turmbau zu machen. Auch war es die sprachliche Seite nicht allein, welche dazu anreizen konnte. Das Interesse an der heiligen Madlene, welches in Witscht mit der Zeit stark abgenommen hatte, wuchs plötzlich wieder auf. Was wird nun werden? fragte sich Witscht wieder. Man wußte wohl, daß das neue Zion oder auch das neue Jerusalem aufgerichtet werden sollte. Nach einem, wie man annehmen darf, vom »Antiquar« gezeichneten Plane sollte die Stadt Gottes gebaut werden, zunächst aber die Burg. Doch mit diesen Wörtern verbanden die guten Leute von Witscht keine Vorstellungen und mußten sich einstweilen begnügen, Stein auf Stein fügen zu sehen.

Schon war der Bau in seinem Hauptkörper äußerlich so weit vorgeschritten, daß man die innerliche Ausschmückung und Ausstattung beginnen konnte. Da sah Witscht Seltsamkeiten, die seine Bewohner mehr als alles dagewesene in Erstaunen setzte. Elefanten, Affen, Kamele, Waschbären, selbst eine Art Rhinocerosse hatten die Witschter, die sich dreier Jahrmärkte erfreuen, schon gesehen, aber noch keine Münchner Maler. Besonders so geniale wie die, welche jetzt durch Vermittlung des »Antiquars« nach Witscht berufen waren, um die Burg Zion, vulgo das Heilige-Madlene-Schlößle, mit heiligen Historien auszumalen. Die Madlenenherrlichkeit war auf ihrem Gipfel.

 

6.

In der gleichen Zeit spann eine andere Frau, die gewiß nicht weniger fromm war und kaum eines geringern Heiligkeitsrufes sich erfreute, ebenso kühne und große wie phantastische Weltpläne, die merkwürdigerweise mit den Tausendjährigen-Reichsideen der heiligen Madlene von Witscht im wesentlichen auf eins hinausliefen. Dort wie hier handelte es sich um die kreuzritterliche Eroberung Europas, zunächst des protestantischen durch einen katholischen Weltherrscher mit dem Titel eines Kaisers, der Wiederherstellung der höchsten Weltherrlichkeit des Papstes und der Gründung einer neuen Ordnung der Dinge in der Welt, die darin bestand, daß wieder Papst und Kaiser die Völker beherrschen und so die zweipolige Achse bilden sollten, um welche die Welt sich drehen müßte.

Dieses mit der heiligen Madlene von Witscht kongeniale Weib hieß (wenn es der Leser nicht längst erraten hat) Kaiserin Eugenie.

Ob die beiden zueinander in diplomatische Beziehung getreten sind zu dem Zwecke, ihren gemeinsamen Plan durch gemeinsames Handeln ins Werk zu setzen, läßt sich nicht feststellen. Wenn sie es versäumten, haben sie sich gegenseitig Unrecht gethan, sie hätten sich gewiß verständigt. Streitig war nur die Nationalitätenfrage. Nach dem Plane Eugeniens konnte nur Napoleon III. oder Loulou Weltherrscher werden; in der Idee der heiligen Madlene aber mußte der weltliche Herrscher des »tausendjährigen Reiches« gleich Karl dem Großen ein Germane sein, und zwar der bekannte blonde Prinz. Dieser Differenzpunkt konnte Schwierigkeiten machen. Aber da die Deutschen in ihren idealen Weltbeglückungstheorien stets sehr wenig Wert auf ihre eigne Nationalität gelegt und deshalb nie hartnäckig auf dieselbe versessen waren, die Frommen mit ihrem Vaterland im Himmel naturgemäß noch weniger als die andern, so wäre eine Einigung der heiligen Madlene mit der heiligen, will heißen der Kaiserin Eugenie gewiß nicht allzu schwer geworden. Daß beide Teile eine solche nicht versucht haben, war vielleicht der Hauptgrund dafür, daß ihr großer Plan beiderseitig und gleichzeitig gescheitert ist.

Die Geschichte der Kaiserin Eugenie ist bekannt, die heilige Madlene war nicht weniger unglücklich. Der Verlauf des großen deutsch-französischen Krieges schlug ihr bedenklich in die Glieder, und als dann das Jahr des Heils 1871 kam und die Welt das alte »tausendjährige Reich« wirklich neu erstehen sah, ohne daß die heilige Madlene von Witscht eine Jeanne-d'Arc, der heilige Josef eine Erzengel-Michaels-Rolle dabei zu spielen bekamen, da – starb die heilige Madlene.

Es muß dahingestellt bleiben, ob dieser Nachsatz in bloß temporaler oder auch in kausaler Beziehung zu seinem Vordersätze steht. Wahrscheinlich ist, daß nichts, auch nicht die Ereignisse des Jahres 1871 den Glauben der Heiligen zu erschüttern vermochten. Sie wird in jenen Ereignissen eben einen weitern, noch von Gott zugelassenen Sieg des Antichrists gesehen haben. Die Neugründung des germanischen Kaiserreichs durch einen Protestanten konnte sie nur so auffassen, als wenn damit der Teufel den Herrn nochmals habe foppen dürfen, allerdings ein wenig stark, aber jedenfalls zum letztenmale. Und gestorben ist die heilige Madlene wohl, weil sie in ihrem eignen Fett erstickte. Begraben liegt sie unter dem Titel einer »hochseligen Jungfrau« auf dem Kirchhofe zu Witscht, gegenüber dem Kirliberge und der Burg Zion in einer mächtigen Gruft, der ersten und einzigen in Witscht. Ihr jedenfalls unverweslicher jungfräuliche, fette Leib ist von drei Särgen umschlossen gleich dem eines Monarchen. Ein hohes Mausoleum erhebt sich über ihm.

Gleichzeitig erlebte ihre Anhängerschaft eine schmerzliche Enttäuschung andrer Art. Der schwarze Prinz, der prädestinierte Papst des »tausendjährigen Reiches«, der ältere Bruder des Blonden, sollte in München seinem künftigen Berufe gemäß Theologie studieren. Er trieb statt dessen allerhand Allotria;

Leider aber die Kollegien
Ließ er gänzlich unterwegien.

Was sollte er sich auch mit dem Studium plagen, er war ja seiner Papstwürde längst sicher. Zuletzt wurde er ein vollkommener verlorener Sohn.

Und er lebt in dulci jubilo
Und in einem ewigen nubilo.

Wein und Bier und auch Likör
Trank er täglich mehr und mehr.

Auch der Liebe that er huldigen u. s. w.

Und er ging hinaus aufs Land,
Wurde ein Komödiant.

Und als Priester von der Thalia
Trieb er allerlei Skandalia.

Zog von Dorf zu Dorf herum
Und entsetzt' das Publikum.

Wer mag sich da noch in Prosa weiter schleppen, wenn eine Geschichte längst in so entzückende Verse gebracht ist! Dieser »schwarze Prinz« war einst als Kind in Witscht wie ein Wunder des Himmels angestaunt worden – o quae mutatio rerum!

Und jetzt?

Viel läßt sich nicht mehr sagen. Wie abermalige Ironie klingt es, daß die Schwester Franziska mit dem krummen Maul als Erbin die heilige Madlene überlebt hat und bis heute übriggeblieben ist.

Man wird nun vielleicht fragen, wie sich der Staat und die Kirche dem Madlenismus gegenüber verhielten, ob besonders der erstere nicht dagegen einschritt. Er hatte keine Handhabe dazu. Wegen Erpressung oder, vielmehr Erschleichung und Erlistung von Geld durch schwindelhafte Vorspiegelungen hätte nur vorgegangen werden können, wenn es jemand eingefallen wäre, sich zu beschweren. Da die Leute aber ihr Geld durchaus los sein wollten, vermochte niemand sie daran zu hindern.

Gegen die Kirche benahmen sich die Madlenianer so, daß diese nur zufrieden sein konnte. Oschwald hatte gelehrt, das viele Beichten sei ein Mißbrauch, äußerliche Religionsübungen ohne Wert; er wurde diszipliniert. Die Madlenianer beichteten hundertmal mehr als die übrigen Katholiken und sahen im Abbeten von Rosenkränzen eines der verdienstlichsten Werke des Menschen. Da legte man ihnen selbstverständlich nicht das geringste in den Weg.

In letzter Zeit wurde davon gesprochen, daß die Regierung das Magdalenenschloß ankaufen und eine Landes-Idiotenanstalt darin errichten will.

*

Wir sind am Schlusse unsrer heiligen Geschichte angekommen, mögen aber nicht den letzten Punkt setzen, ohne noch eine Bemerkung gemacht zu haben, die uns sehr am Herzen liegt.

Keine Absicht ist so rein, kein Werk so fromm und heilig, daß nicht hämische Geister mit Verdächtigungen bei der Hand wären. Auch dieser unsrer frommen Geschichtsdarstellung wird es gewiß an solchen nicht fehlen. Skandalsüchtige Menschen werden den Ernst unsers Unternehmens in Zweifel ziehen und vielleicht gar die Stirn haben, zu behaupten, wir hätten eine versteckte, symbolische Satire auf die heilige katholische Kirche schreiben wollen, wir hätten mit dem gemaßregelten Propheten Oschwald auf den Stifter, mit der heiligen Madlene in allen einzelnen Zügen ihres Lebens und Charakters auf die Kirche selbst hindeuten wollen, etwa auf deren Würdigung und gerechte Wertschätzung weltlicher Machteinflüsse und irdischer Güter, welche sie zur Erfüllung ihrer Mission so nötig hat. Ja noch viel boshaftere Anspielungen hätten wir gemacht. Wir verwahren uns feierlich gegen solche Insinuationen. Wir sind nur Legenden- oder Geschichtschreiber gewesen und haben nichts als Thatsachen berichtet, ohne jeden Nebengedanken. Ja wir sind überzeugt, daß Wohlmeinende bei unsrer Darstellung auch niemals solche bekommen können.

Geschrieben am Feste der heiligen Madlene von Witscht im Jahre XVII des leider falschen »tausendjährigen Reiches«.

 

Ende.


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