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Elftes Buch

Man hat mir wegen dem Schenkungsakt strengste Verschwiegenheit versprochen, aber schon heut redete mich Vetter Orléans in Gegenwart seiner neuen Frau, der Pfälzerin, daraufhin an.

»Er habe mich immer selbstlos geliebt,« sagte er mit einer Miene, als ob er wahrhaftig an seine Worte glaube, »aber ich hätte ihm von je alle andern vorgezogen. Sogar den Bastarden gäbe ich nun vor ihm den Vorrang.« Dabei kratzte er sich an der Wade, denn irgendwo juckt's ihn immer.

»Übrigens«, setzte er mit schlecht verhehltem Hohn hinzu, »wünsche er mir aufrichtig, daß ich meine Absichten erreiche, daß man mir halte, was man mir versprochen und daß ich in Zukunft mehr Freude erlebe als in der Vergangenheit.«

Ich merkte nur zu gut, daß mir seine Worte das Gegenteil von all dem prophezeiten, und die Augen, die die liebreizende Elisabethe Charlotte dazu machte, schienen mir erst recht unheilverkündend.

* * *

Der König hat mir erlaubt, auch Herrn von Lauzun eine Schenkung zu machen. Ich ließ Lauzun meine Besitzung Châtellerault nebst mehreren benachbarten Domänen vorschlagen, merkte aber bald, daß ihm dieses Anerbieten mißfiel, daß er das Herzogtum Saint-Fargeau vorziehe. Dessen Domänen sind augenblicklich für zwanzigtausend Livres verpachtet. Ich fügte noch das Baronat Thiers in der Auvergne hinzu, das eine der schönsten Herrschaften dieser Provinz ist und achttausend Livres Einkünfte trägt nebst zehntausend Livres aus Salzzöllen und anderen Gefällen.

Herr von Lauzun äußerte nur ein geringes Vergnügen deswegen.

Seine Majestät versichert mich täglich Ihrer Dankbarkeit und Freundschaft. Von Herrn von Lauzun aber ist keine Rede.

Wie lange man mich noch warten lassen will?

Wenn die Gräfin von Montespan den einen Tag etwas verspricht, am nächsten nimmt sie's wieder zurück.

»Ihr müßt Euch nicht zu viel erwarten,« sagte sie mir heute. »Der König wird nie einwilligen, daß Ihr Euch mit Herrn von Lauzun vermählt, wie Ihr es Euch vielleicht denkt, noch daß man ihn Herrn von Montpensier nenne. Er wird ihn zum Herzog machen, auch zum Marschall von Frankreich, und wenn Ihr Euch in aller Stille verheiraten wollt, wird er tun, als ob er nichts davon wüßte, und wird jedermann schelten, der ihm davon zu sprechen verwegen genug wäre. Mir scheint, damit könnt Ihr zufrieden sein. Niemand wird es wagen, Übles von Euch zu reden, und in Eurem Gewissen seid Ihr salviert. Die Achtung, die Euch der König erzeigen wird, wird alle bösen Mäuler verstopfen. Glaubet mir, Ihr werdet auf diese Weise tausendmal so glücklich sein, und Herr von Lauzun wird Euch um so mehr lieben. Das Geheimnisvolle hat einen besonderen Reiz.«

Wahrhaftig, ich weiß nicht, warum sie mir das alles sagte. Sie warf mir dabei manchmal einen so lauernden Blick zu. Sie glaubt sicher, nicht von rein zukünftigen Dingen gesprochen zu haben. Es ist ja unmöglich, daß gewisse Gerüchte nicht auch ihr zu Ohren gekommen sind.

Ihre ganze Rede geschah offenbar nur in der einen Absicht, mir die Wahrheit vom Gesicht abzulesen.

* * *

Ich bin außer mir. Man hat seine Charge als Hauptmann der Leibgarde dem Herzog von Luxemburg gegeben. Ich hätte das für unmöglich gehalten nach dem, was ich getan habe. Demnach will ihn der König nie mehr in seiner persönlichen Nähe haben, worauf es doch Herrn von Lauzun allein ankommt.

Ich war in aller Frühe heut bei Herrn Colbert. Er stellte sich ganz harmlos. Man habe nie geglaubt, daß Herr von Lauzun die Absicht habe, seine Charge zu behalten.

Also nicht einmal so viel habe ich erreicht.

* * *

Man muß oft mit Gewalt seine Gedanken vom Unangenehmen ablenken.

Um doch noch manchmal an etwas Freude zu haben in dieser Zeit des schmerzlichen Hangens und Bangens, habe ich ein Werk unternommen, das mich schon dadurch von Zeit zu Zeit beglückte, daß es oft Wochen und Monate hindurch alle meine Gedanken in Anspruch nahm. So nur war es mir möglich, über meine schweren Sorgen und Ängste einigermaßen hinwegzukommen.

Auch will ich nicht leugnen, daß mir dabei etwas wie ein schöner Traum aus der Zukunft her zulächelte, und daß ich meine Schöpfung unausgesetzt mit Vorstellungen in Verbindung brachte und mit schmeichlerischen Hoffnungen durchwob, die immer nur einen und denselben Namen trugen. Man wird ihn leicht erraten.

Ich habe ein Schloß gebaut. Es steht fertig da und ist meine Freude. Aber das andere, die Träume, die Hoffnungen, die Vorstellungen von Ruhe und Glück: sollten das abermals nur Lustschlösser gewesen sein?

Durch mein ganzes Leben hatte ich mir gewünscht, in der nächsten Nähe von Paris ein hübsches Haus zu besitzen. Aber jedesmal, wenn ich schon daran war, ein entsprechendes Besitztum zu erwerben, hat mir immer das und jenes dran mißfallen. Bald war es das Gebäude, bald die Gärten, bald die Lage, die mich nicht befriedigten.

Endlich entschloß ich mich zu einem Besitztum bei dem Dorfe Choisy, an den Ufern der Seine, zwei Meilen von Paris. Die Baulichkeiten kamen für mich nicht in Betracht, die Lage aber entsprach allen meinen Wünschen. Es gehörte dem Parlamentspräsidenten Gontier, der es bedrängter Umstände wegen verkaufen mußte. Ich erwarb es um vierzigtausend Livres, die ich mir durch Entäußerung eines Perlenhalsbandes verschaffte.

Aber selbst in dieser einfachen Sache ging es nicht ohne Kampf und Widerstand ab, und es ist nur gut, daß ich den Kauf festgemacht habe, ohne zuvor einer Seele etwas davon zu sagen.

Dann zeigte ich unserm hochgepriesenen Gartenkünstler Meister Le Nostre mein neues Eigentum. Es gehörte auch ein kleines Wäldchen dazu; er meinte, das müsse man erst von Grund aus niederhauen, ehe an etwas anderes zu denken sei.

Das war aber ganz und gar nicht meine Meinung. Ich liebe es, wenn ich auf dem Lande bin, zu jeder Stunde des Tages umherzuwandern und bin froh um jedes bißchen Schatten. Alte Waldbäume sind mein Entzücken.

Zum König sagte Le Nostre, ich hätte mir die schlechteste Lage ausgewählt, die man nur finden konnte. Als ich darauf selber an den Hof kam, ganz stolz auf meine Erwerbung, konnte sich der König mit Fragen nicht genugtun. Er verriet mir endlich, wie Le Nostre geurteilt habe. Ich entgegnete, Le Nostre sei ein alter Esel und ging meiner Wege.

Nun ließ ich zunächst das alte Schlößchen niederreißen, das übrigens für einen Privatmann stattlich genug gewesen war; dann machte ich zusammen mit Meister Gabriel, einem unserer besten Architekten, den Plan zum Neubau, der einstöckig sein sollte, mit zwei im Rechteck vorspringenden Flügeln, die Ecken mit je einem erhöhten Pavillon, das Ganze sehr einfach ohne alles architektonische oder skulpturale Ornament, was mir zu prätentiös erschienen wäre. Ich las in dieser Zeit alle Bücher, die von Architektur handeln.

An der Vorderseite des Schlosses ließ ich eine Terrasse und von dieser ausgehend, mehrere Alleen anlegen, deren mittelste und breiteste das Gehölze durchbricht und bis zum Ufer der Seine läuft; dergestalt, daß man, von der Terrasse her, den Fluß noch beim niedersten Wasserstand erblickt. So sehe ich auch von meinem Bette aus das Wasser und die Schiffe, die darauf vorüberziehen. Zu beiden Seiten der großen Allee ließ ich den Wald am Fluß hin unberührt; den freien Garten zierte ich mit zahlreichen Fontänen und Statuen.

Das Schloß hat nach der Hofseite eine Galerie, die ich nicht bemalen ließ, da ich den Geruch der Farbe nicht vertrage und die Arbeit sich auch zu sehr in die Länge gezogen hätte. Die Kapelle ist dagegen von Pierre Mignard ausgeschmückt, unserem besten Maler nach Meister Lebrun.

Das ganze Haus ist sehr bequem eingeteilt. In meinem Arbeitskabinett mußte mir Van der Meulen, einer der geschicktesten Künstler dieses Genres, alle Schlachten und Eroberungen des Königs im kleinen malen. Auf jedem dieser Bilder sieht man den König, und er ist überall von großer Ähnlichkeit. Über dem Kamin ist er lebensgroß als Reiter gemalt. Das Bildnis des Königs ist für mich der würdigste und ehrenvollste Schmuck von der Welt, den ich darum überall anbringen ließ, wo es nur gehen mochte.

In dem großen Speisesaal des Schlosses sind meine sämtlichen nahen Verwandten porträtiert. Da sieht man, außer meinen hochseligen Eltern, meinen Großvater, den großen König Heinrich den Vierten und ihm zur Seite Maria Medici, seine Gemahlin, dann meinen Oheim, Ludwig XIII. und seine Gemahlin Anna von Österreich, ferner meine Tanten, die Königinnen von England und Spanien nebst deren königlichen Gatten. Desgleichen trifft man hier meine Schwestern, die Großherzogin von Toskana und die Herzogin von Guise, jede mit ihrem fürstlichen Gemahl, ebenso die Bildnisse der Prinzen von Bourbon, nämlich des Herzogs von Conti und seines Bruders, des großen Condé, dazwischen jenes strenge Bild, das dem einer Nonne gleicht und das die Infantin Isabella Klara Eugenia von Österreich, Statthalterin der Niederlande darstellt. Sie hatte meiner unglücklichen Großmutter, Maria Medici, in den Tagen ihrer Ungnade ein Asyl gewährt, und verdient darum diesen Platz unter meinen nächsten Verwandten. Dem König begegnet man auch hier wieder an verschiedenen Orten, in allen Lebensaltern, in allen Kostümen, zu Pferd und in anderer Weise.

Man mag aus meinem Eingehen in all diese Einzelheiten entnehmen, daß ich dieses Schloß liebe, und das ist natürlich, denn ich betrachte es als mein eigenes Werk.

Daß ich aber gerade jetzt dazu kam, mich darüber auszulassen, daran ist Frau von Montespan schuld. Sie weiß, wie sehr mir meine Schöpfung am Herzen liegt und bringt deshalb, um mir zu gefallen, gern die Sprache darauf. So auch heute wieder. Doch könnte ich nicht sagen, daß ich ihre Rede sehr erbaulich fand.

»Der König wird nur noch darauf denken, wie er Euch angenehm sein kann,« sagte sie. »Er weiß, wie lieb Euch Choisy ist und er will Euch die Galerie daselbst und andere unvollendete Räume durch Le Brun malen lassen. Ihr sollt jeden Sommer, wenn Ihr hinauszieht, eine andere Überraschung finden: bald eine schöne Fontäne oder Statue, bald ein Zimmer mit Bilderteppichen unserer Königlichen Manufaktur, bald kostbare seltene Möbel und Spiegel. Seine Majestät hat sich vorgenommen, Euch ein kleines Versailles herzurichten.«

Die gute Dame könnte mich mit solchen Kindereien verschonen. Ein kleines Versailles kann ich mir selber verschaffen, wenn ich eines haben will. Sie weiß sehr wohl, daß ich anderes im Kopf habe.

Statt dessen dichtet sie mir Wünsche an und schmeichelt mir mit deren Erfüllung; was ich aber einzig und mit aller Kraft meiner Seele begehre, das umgeht sie, wie die Katze den heißen Brei.

Sie wissen, wie ungeduldig ich bin und stellen meine Geduld auf eine solche Probe.

Der König sieht fast täglich den Herzog von Maine, seinen geliebten Sohn. Muß ihm dieser Anblick nicht eine ewige Mahnung sein an das, was er mir versprochen hat?

* * *

Heute erhielt der Hof die Nachricht von der Einnahme Straßburgs durch Herrn von Louvois. Der König will in einem persönlichen Akt mit seiner höchsteigenen Person die Besitzergreifung dieser berühmten Stadt vor aller Welt dokumentieren. Er fragte mich, ob ich die Königin begleiten werde. Ich schlug es ihm aus.

* * *

Von Vitry-le-François aus erhielt ich vor acht Tagen vom König einen Brief, worin er mir freundlich aber bestimmt seinen Wunsch zu erkennen gab, daß die öffentliche Deklaration meiner Schenkung an den Herzog von Maine so bald als möglich vollzogen werde. Ich glaubte mich dem König nicht widersetzen zu sollen und so wurde heut mittelst Maueranschlägen, wie auch in den amtlichen Gazetten, die Erklärung meines Willens allem Volke bekannt gemacht.

* * *

Gestern ist der König hierher zurückgekehrt. Er empfing mich auf das herzlichste und versicherte mir, daß meine Willenskundgebung in bezug auf den Herzog von Maine von allen meinen Verwandten wie auch von seinem Bruder, der übrigens zum Voraus davon unterrichtet war, würdig aufgenommen worden sei.

Und wieder von Herrn von Lauzun kein Wort.

* * *

Also eine Halbheit.

Vetter Orléans hat mit seinen Zweifeln recht behalten. Ich war immer noch geneigt, sie für einen Ausfluß seiner Mißgunst gegen den Herzog von Maine zu nehmen.

Und dabei setzen sie eine Miene auf, als ob sie Wunder was getan hätten. Aber nun sehe ich es klar, die Gräfin von Montespan hat mich unglaublich hineingelegt.

Erzählen wir in der Ordnung.

Als ich heut beim König speiste, schickte sie einen Pagen und ließ mich fragen, ob ich mit ihr ausfahren wolle, das Wetter sei so schön. Ich ließ ihr antworten, ich hätte keine Lust zum Ausfahren. Sie schickte darauf den Pagen zum zweitenmal und bat mich nach Tafel auf ihr Zimmer. Sie habe mit mir zu sprechen.

»Geht immerhin,« mahnte der König, »da sie Euch etwas zu sagen hat.«

Das Herz klopfte mir heftig, mir ahnte, daß es sich diesmal um Lauzun handeln werde. Ich schickte darum nach Baraille, der sich seit einigen Tagen hier in Saint-Germain aufhält und ließ ihn bitten, unverweilt zur Gräfin Montespan zu kommen, denn ich dachte mir, es könne gut sein, wenn unsere Unterredung einen Zeugen habe.

Ich fand die Gräfin auf ihrer Chaiselongue ausgestreckt in Pantoffeln und Pudermantel.

»Ihr hattet wenig Eile, zu kommen,« empfing sie mich. »Wißt Ihr auch, daß ich eine freudige Nachricht für Euch habe? Vor wenigen Stunden hat mir der König mitgeteilt, daß er Herrn von Lauzun erlauben wolle, Pignerol zu verlassen, um bei den Warmquellen von Bourbon seiner Gesundheit zu warten.«

»Wie,« rief ich, »er kommt nicht einfach hierher, nach allem was ich getan habe?«

»Ich kenne nicht die völlige Absicht des Königs,« antwortete sie. »Ich weiß nur so viel, daß Ihr selber den Offizier wählen mögt, der ihn nach Bourbon begleite. Denn der König will, daß einstweilen der Schein der Gefangenschaft gewahrt bleibe.«

Ich konnte nicht erwidern; ich brach in heiße Tränen aus.

»Ihr seid schwer zu befriedigen,« sprach die Gräfin. »Wenn man Euch gibt, wollt Ihr noch mehr haben.«

Baraille kam, die Gräfin ließ sich ankleiden und wir fuhren nach dem Val, welches ein Garten am Ende des Parks von Saint-Germain ist, wo wir ausstiegen, um zu spazieren.

Die Montespan hatte mir noch nicht alles gesagt.

»Der König will,« begann sie wieder, »daß ich Euch nicht länger mit falschen Hoffnungen schmeichle. In Eure Verehelichung mit Lauzun, hat er mir erklärt, wird er niemals einwilligen.«

Ich brach von neuem in Weinen aus. In meiner Entrüstung konnte ich nicht länger an mich halten: »Nur darum habe ich doch meine Schenkung gemacht. Nur unter dieser Bedingung. Man hat mich unmöglich mißverstehen können.«

Ich ließ mich dergestalt von Schmerz und Verzweiflung hinreißen, daß ich der Gräfin die härtesten und häßlichsten Worte nicht ersparte.

Sie aber sagte nur immer wieder: »Ich habe Euch nichts versprochen.«

Sie hatte gut ruhig bleiben. Ich war die Übertölpelte und so ließ sie mich reden was ich wollte, indem sie wahrscheinlich in ihrem Innern über mich lachte.

Baraille sprach kein Wort; er war sehr verlegen.

Nach einiger Zeit wollte sich die Gräfin herablassen, mich zu beruhigen, sie sprach von der Notwendigkeit der Resignation und ähnlichen schönen Sachen.

Aber es gab eine Zeit, wo sie andere Reden geführt.

Später, bei der Abendtafel, dankte ich dem König demütigst, daß er die Güte haben wollte, Herrn von Lauzun die Freiheit zu schenken.

»Aber, Sire,« sprach ich entschlossen, »die Gnade ist nur eine halbe Gnade für Herrn von Lauzun, wenn Ihr ihm nicht zugleich die Wohltat gönnt, wieder vor Eurer hohen Person erscheinen zu dürfen. Das ist es, was er am sehnlichsten wünscht. Ohne diese Gunst bedeutet ihm die Freiheit nichts.«

Ich fügte hinzu, ich sei von seiner Güte gegen mich und Herrn von Lauzun so gerührt, daß ich fürchte, vor aller Welt in Tränen auszubrechen.

Darum könne ich Seiner Majestät auch nicht alles sagen, was ich auf dem Herzen habe.

Der König nickte freundlich, ohne zu antworten.

Heute morgen weckte man mich: der Hauptmann Baraille wollte mich sprechen.

Er kam bereits von Herrn von Louvois, der ihm Auftrag gegeben, sich unverzüglich nach Pignerol aufzumachen und dem Herrn von Saint-Mars den Befehl des Königs zu überbringen, den Grafen von Lauzun seiner Gesundheit wegen nach den Bädern von Bourbon zu begleiten.

Ich warf mich in die Kleider und eilte zur Gräfin von Montespan. Ich wußte, wie schlecht Lauzun sich in letzter Zeit mit Herrn von Saint-Mars vertragen hat. Ihn in dessen Bewachung zu lassen, das hieße ihm einen schlechten Gefallen tun. Die Gräfin Montespan sah das ein, sie fragte mich, ob mir Maupertuis angenehm sei. Ich war es zufrieden.

Zufällig stieß ich auf Maupertuis, als ich aus der Messe kam. Ich sagte: »Ich wünsche Euch gute Reise.«

»Wozu«, antwortete er, »und wohin?«

»Ich kann Euch nicht mehr verraten,« entgegnete ich, »aber ich freue mich sehr, daß Ihr es seid, und ich bitte Euch, ihm meine schönsten Grüße zu bringen.«

Noch am Nachmittag erhielt Maupertuis von Herrn von Louvois den Befehl, mit vier seiner Musketiere unverweilt Post nach Lyon zu nehmen, dort den Grafen von Lauzun aus den Händen des Saint-Mars zu empfangen und ihm nach den Bädern von Bourbon das Geleit zu geben.

 

Choisy, 19. August.

Seit zwei Monaten ist Lauzun in den Bädern zu Bourbon und er hat volle Freiheit mir zu schreiben, wie ich ihm.

Er schreibt mir auch fast täglich und seine Briefe reden nur von Treue und Ergebenheit. Von seinem Leben höre ich leider ganz andere Dinge.

Die Marquise von Humières besuchte mich heute hier auf ihrer Rückkehr von Bourbon. Sie war, wie ich sicher weiß, immer eine von seinen intimen Freundinnen, und sie ist auch vor zwei Monaten, als sie hörte, daß Herr von Lauzun nach Bourbon gebracht werde, sofort hingereist.

Sie erzählte mir viel von der Gesellschaft dort, vom Spiel, von Bällen, von Frau von Nogent, die ebenfalls nach Bourbon geeilt war, und mit der sie viel verkehrte. Sie wagte nicht, den Namen Lauzun auszusprechen.

Um so mehr hörte ich von anderer Seite. Danach ist Herr von Lauzun die ganze Zeit über nicht aus ihrem Hause gewichen.

Und sie ist nicht die einzige gute Freundin, die ihn besucht hat.

Auch über sein Leben in Pignerol höre ich nachträglich wenig erbauliche Dinge. Seine ewigen Zerwürfnisse mit Herrn von Saint-Mars hatten ihren letzten Grund ebenfalls im Frauenzimmer.

Die Frau von Fouquet und Fräulein von Fouquet, ihre Tochter, hatten für die letzten Jahre Erlaubnis erhalten, in Pignerol zu wohnen. Herr von Fouquet war damals schon schwer krank; er ist dieses Frühjahr gestorben. In dem Hause der genannten Damen verkehrte Lauzun täglich zusammen mit Herrn von Saint-Mars, bis Frau von Fouquet, aus Besorgnis für ihre Tochter, sich seine Besuche verbat. Frau von Fouquet ist eine strenge und fromme Dame. Von ihrer Tochter gehen andere Reden.

 

Saint-Germain, am Feste Mariä Geburt.

Der König hat eingewilligt, daß Herr von Lauzun nach Paris komme.

Der Graf soll Seine Majestät ein einziges Mal sehen und, mit Ausschluß des Hofes, leben dürfen, wo und wie es ihm beliebt.

Meine Freude, als man mir heute die Nachricht von dieser Gnade des Königs überbrachte, war nicht so groß, wie ich sie mir einst gedacht habe. Nach allem, was man sich über sein Betragen in Bourbon erzählt, muß ich fürchten, daß er hier Dummheiten macht und seine Sache verschlimmert.

Es ist mir fast bang vor seinem Kommen.

* * *

Jedermann am Hof macht mir Komplimente über die Rückkehr des Herrn von Lauzun. Also sei ich doch noch zum Ziel gelangt. Also sei meine Standhaftigkeit doch zuletzt mit Erfolg gekrönt worden.

So die andern.

Ich selber kann nicht jubeln. Kaum eine schwache Genugtuung empfinde ich. Ja, fast bekümmert harre ich diesem Wiedersehen entgegen, für das ich so große Opfer gebracht habe.

Auch unter meinen Freunden sind nicht wenige, die dieselben Befürchtungen hegen wie ich.

»Er wird sich einbilden,« sagte mir der Herzog von Montausier, »die Verhältnisse am Hof so zu finden, wie er sie verlassen hat. Das wäre eine verhängnisvolle Illusion. Der König ist noch immer sehr verstimmt auf ihn. Ihr solltet ihm raten, sich dem König zu Füßen zu werfen, da ihm Seine Majestät diese Gnade ausdrücklich gewährt, darauf aber, ohne Euch gesprochen zu haben, nach Saint-Fargeau zu gehen und dort in Geduld abzuwarten, bis ihn der König von selber ruft.«

* * *

Ich habe Herrn von Lauzun geschrieben, was mir der Herzog von Montausier geraten. Der umkehrende Kurier brachte mir eben seine Antwort: das sei ihm eine schöne Freiheit, die ihn verpflichten würde, sich von selber und ohne Gesellschaft in ein einsames Landschloß einzuschließen.

* * *

Eben meldet mir der Hauptmann Baraille, der seinem Herrn nach Bourbon entgegengefahren ist, für morgen die Ankunft des Grafen. Er will einstweilen bei meinem Kanzler Rollinde zu Paris wohnen.

Also morgen!

Und das trifft sich nun gleich recht ungeschickt; denn der König wird für morgen nach Versailles gehen ...

* * *

Eben macht mir Frau von Montespan die Mitteilung, der König habe sich gegen sie geäußert, daß er nichts dawider habe, wenn ich mich dieser Reise nach Versailles entschlagen und Lauzun hier erwarten wolle. Seine Majestät nehme an, damit meinen heimlichsten Wünschen entgegenzukommen.

Aber ich habe allen Grund, der Gräfin zu mißtrauen. Ich erklärte ihr rundweg, daß ich mit nach Versailles gehen werde.

Der Hof würde schöne Glossen darüber machen, wenn ich Herrn von Lauzun bei mir empfinge, bevor er den König gesehen hat.

* * *

Auch dieses Erlebnis habe ich hinter mir. Und bis jetzt ist, gottlob, alles besser verlaufen, als ich zuletzt zu hoffen wagte.

Nie ist der König so guter Dinge als bei seinen Ausflügen nach Versailles. Er zeigte mir von neuem den Fortgang der dortigen Arbeiten und da man wirklich nur bewundern kann, was daselbst unter seiner Anleitung ins Werk gesetzt wird, war Seine Majestät wieder den ganzen Tag von der allerbesten Laune. Nach der Tafel wurde gespielt, diesmal nicht um Geld, sondern um Kleinodien, infolgedessen wir alle mit größerem Interesse dabei waren. Erst mit Anbruch der Nacht, unter Fackelbeleuchtung, kehrten wir hierher zurück.

Ich begab mich mit der Gräfin von Montespan auf ihr Zimmer und nach kaum einer halben Stunde trat Herr von Lauzun ein, der vom König kam.

Sein Anzug war vernachlässigter, als ich ihn je gesehen habe. Er trug seinen alten Just-au-corps wie ihn der Dienst vorschreibt, denselben, den er vor seiner Verhaftung getragen. Im Dienst werden sie im Jahr zweimal erneuert. Der seinige war fast zerrissen und viel zu kurz, dazu trug er eine alte, häßliche, ganz unordentliche Perücke.

Er warf sich mir zu Füßen und suchte nach Worten des Dankes. Ich sah ihn ganz überwältigt, und ich selber stand tief erschüttert.

Die Gräfin von Montespan wollte uns in ihrem Kabinett allein lassen; es ist als ob sie es darauf abgesehen habe, alles zu tun, was mich kompromittieren könnte. Der Herzog von Montausier, der eintrat, zeigte sich vernünftiger. Er erinnerte Lauzun, daß er vor allem dem Herrn Dauphin und dessen hoher Gemahlin seine Aufwartung zu machen habe.

Ich begab mich auf mein Zimmer, innerhalb der Gemächer der Königin. Um halb zehn erschien er. Er konnte mir nicht genug sagen, wie gut er aufgenommen worden und wie dankbar er mir dafür sei. Wohl zehnmal wiederholte er, daß er es mir allein verdanke, wenn er wieder an der Sonne leben dürfe.

Ich konnte ganz zufrieden sein mit unserm Wiedersehen, das wirklich von keinem Mißklang getrübt wurde.

Hauptmann Baraille war als dritter zugegen.

Doch dauerte unser Zusammensein nur kurz, ein Lakai meldete zur Tafel und wir mußten uns trennen. Im Speisesaal kam der Dauphin mit seiner Gemahlin auf mich zu, sie sagten mir beide viel Schmeichelhaftes über Herrn von Lauzun. Ich antwortete, daß ich ihn sehr verändert gefunden; daß das aber auch nicht zu verwundern sei nach einer so langen Gefangenschaft; daß ein solches Unglück den Menschen leicht aus dem Gleichgewicht bringen könnte; daß ich den Hoheiten sehr verbunden wäre für alles Gute, was sie mir von ihm sagten.

In der Tat schien der Dauphin, der ihn früher kaum gekannt, ganz entzückt von seiner Art.

Vetter Orléans kam mir ebenfalls entgegen und machte mir sein Kompliment über das Aussehen des Herrn von Lauzun.

Nur der König ließ kein Wort verlauten.

* * *

Heute in der Frühe erkundigte ich mich zuallererst, ob Herr von Lauzun am Abend, nachdem wir uns getrennt, gleich nach Paris gegangen sei. Man sagte mir, daß er von halb elf bis Mitternacht bei Herrn von Louvois war und dann noch kurz bei Herrn Colbert.

Bei der Königin traf ich die Marquise von Maintenon – so heißt seit einem Jahre die Wittwe des weiland verkrüppelten Bettlers und Literaten Scarron – ich fragte sie, ob sie Herrn von Lauzun sehr verändert gefunden. Sie antwortete spitz: »Er hat mir nicht die Ehre erwiesen, mich zu besuchen.«

»Wohl nur deshalb,« erwiderte ich, »weil er den König bei Euch wußte.«

»Er hätte später kommen können,« entgegnete sie, »er war fast zwei Stunden bei Herrn von Louvois.«

Da hatte er sich also schon eine Feindin gemacht. Das ärgerte mich.

Ein wenig unerklärlich schien mir sein Besuch bei Herrn von Louvois, der immer sein ausgesprochener Feind war. Die Gräfin von Montespan spottete.

»Laßt ihn nur machen,« sagte sie, »er weiß vielleicht besser als Ihr, was er zu tun hat. Er scheint es sich wenigstens einzubilden. Vielleicht findet er es wünschenswert, in Zukunft weniger von Euch abhängig zu sein.«

Ich kann nicht aussprechen, wie das Wort mich traf. Doch nahm ich mich zusammen und fragte, wie der König mit ihm zufrieden war.

»Er schien es sehr,« antwortete die Gräfin. »Seine Majestät findet, er sei noch ganz der alte Schwerenöter.«

Aber ich zweifle, daß Seine Majestät sich so ausgedrückt hat.


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