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Arnold Böcklin

In meiner grossen Angegriffenheit war es mir, als sähe ich Musik mit den Augen, anstatt sie mit den Ohren zu hören. Der Wohllaut des Colorits hüllte mir die Sinne ein.

Anselm Feuerbach.

 

Ich habe diesen Sommer einmal, ganz unerwartet, eine ausserordentliche Kunstfreude erlebt, ein seltenes Glück. Das war im Johanniterhospital zu Brügge. Gerade in einem Spital erwartet man sonst Eindrücke anderer Art. Die Ueberraschung war um so grösser. In diesem Spital, das ein ganzes weitläufiges Stadtviertel einnimmt, giebt es ein massig grosses Zimmer und in diesem Zimmer befinden sich ungefähr sieben Werke von Hans Memling. Die Eindrücke, die ein künstlerisches Empfinden in diesem beschränkten Raum empfängt, gehören wohl zu den höchsten Erhebungen der Seele, die ein Mensch erleben kann.

Ich hätte damals nicht gedacht, dass ich etwas Aehnliches so bald wieder erfahren würde. Denn die modernen Ausstellungen, die man allerdings häufig genug erleben kann, gehören zu den zweifelhaftesten künstlerischen Genüssen. Man denke an die beiden grössten Ausstellungen dieses Herbstes, an die zu Brüssel und an die zu Berlin. Das Mittelmässige, ja das Schundmässige solcher Ansammlungen, solcher ungeheuren Jahrmarktsbuden wirkt geradezu ertödtend. Und man wird nicht erbaut, man wird ungeduldig; man wird giftig. Man vergisst die Noth, die Seelennoth des einzelnen Künstlers und das Wort, das Anselm Feuerbach zitirt: Jedes Thierchen hat sein Pläsirchen. Man denkt, vielleicht sehr ungerecht, die Leute könnten auch was Gescheidteres thun als malen! Denn wenn auch die Ueberproduktion nicht grösser ist und die gemeine Mittelmässigkeit kaum einen weitern Raum einnimmt in der Malerei als in der Litteratur: so wirken doch beide in der Malerei viel aufdringlicher. Ein Buch braucht man ja nicht aufzumachen. Und man macht es meistens nicht auf. Aber Bilder werden einem vor die Augen gestellt, die massenhaften, die man nicht sehen möchte, neben den wenigen, die man sehen möchte. Und dann hat man, im besten Fall, einen Seufzer: Wo kommen all die Bilder hin! Selbst in den vornehmsten Galerien siegt oft genug das Gefühl der Ermüdung über das der Erhebung.

Aber das glückliche Erlebniss zu Brügge hat sich für mich dennoch sehr rasch wiederholt.

Basel und Brügge haben manches Gemeinsame in ihrem Charakter. Die Bedeutung der beiden Städte liegt in ihrer Vergangenheit. Doch das ist das Geringste, worin sie verwandt sind. Die beiden Städte haben besonders das gemein, dass sie, wiewohl im Innersten deutsch, nicht nur mit der Zeit ausserhalb des politischen Deutschland zu liegen kamen, sondern sie wandten sich auch, wenigstens in einzelnen Klassen ihrer Bevölkerung, direkt vom Deutschthum hinweg dem Fremden zu. Sie glaubten sich, wie es bei Deutschen schon oft vorgekommen ist, wahlverwandt zu fühlen mit dem Fremden. Aber kein Mensch kann aus seiner Haut und wenn er den besten Willen dazu hat. Auch die Vlamen zu Brügge und die Alemannen zu Basel konnten und können es nicht. Wo die beiden Städte geistig produktiv waren, waren ihre Leistungen die Früchte des deutschen Geistes und der deutschen Kultur. Das gilt von den Brüdern van Eyck und Hans Memling so gut wie von Hans Holbein und Arnold Böcklin.

Solches bewies im vollsten Maasse die Baseler Ausstellung (1897). Und wer es nicht mit eigenen Augen zu sehen im Stande war, der brauchte nur hinzuhören, was z. B. die Franzosen dazu sagten, die meistens zahlreich vertreten waren. Ich nannte einmal Böcklin, einem Pariser gegenüber, unsern Puvis de Chavannes. Der Mann sah mich einfach mitleidig an. Ich suchte ihm zu erklären, wie ich's meinte. Die Beiden seien ja die grössten Gegensätze, der eine von verblüffender koloristischer Wucht, der andere von der zartesten leisesten Gedämpftheit. Aber einzig ebenbürtig ständen beide in der heutigen Welt nebeneinander durch die tiefinnerliche Gewalt ihrer Farbensprache, die so bedeutend und persönlich sei, wie bei keinem dritten Künstler des Jahrhunderts. Dieser Auffassung schien der Pariser wohl beizustimmen. Aber als er mir von Basel aus schrieb, »ich war bei Böcklin und wenn ich noch öfter zu ihm ginge, möchte er mich zu sich bekehren« – so klang das mehr höflich als überzeugt.

Und so hat sogar Gabriel Monod, der tiefer als irgend ein Franzose in das Verständniss der deutschen Kultur eingedrungen ist, von Böcklin gesagt, son colorit est de pure phantaisie et tout de chic.

Die Kunst ist eben das nationalste, was es giebt, und es ist gar nicht zu begreifen, wie sonst gescheidte Leute das gerade Gegentheil behaupten konnten. Es geht den Franzosen auch mit Dürer nicht viel anders als mit Böcklin. Und wenn sie Holbein in weiterem Umfang anerkennen, so verfehlen sie nicht, nebenbei merken zu lassen, dass sie gerade die vornehmsten Tugenden dieses Meisters nicht als deutsche Tugenden ansehen. Und das thun ganz andere Leute als jener Professor aus Douai, mit dem ich mich neulich in Brüssel unterhielt. Das war ein Lehrer der romanischen Philologie, die er natürlich in Heidelberg, Jena und Berlin studirt hatte. Er behauptete, wir Deutschen hätten eigentlich keine Prosa. Ich wagte Goethe zu nennen. Ah, Goethe, rief er, ce n'est pas un Allemand à vrai dire!

Dabei wollen wir nicht vergessen, uns bei dieser Gelegenheit auch an der eigenen Nase zu fassen.

Erwähnt wurde bereits jener Akademie-Professor, der vor einer Böcklin'schen Landschaft von dem Rasen sagte, das sei doch kein Rasen, das sei anlackirtes Zinkblech. Mit demselben Erzieher der jungen Künstlerschaft stand ich eines Tages vor der wunderbaren Meeresvision, die heute in der neuen Pinakothek hängt. Der Professor deutete auf das Meerweib im Vordergrunde, dieses ganz überwältigende Elementarwesen; er meinte: das ist doch keine Nereide; das ist eine deutsche Professorsfrau, ein weiblicher Philister.

Wer dieses Bild gesehen hat, kann es doch aber in Ewigkeit nicht mehr vergessen. Das ist ein solch helles Aufjauchzen der reinen Lust, wie es noch selten in einem deutschen Kunstwerke ausgedrückt worden ist, der laute Triumphschrei eines herrlichen Kraftmenschen, der die Düsterheit des deutschen Himmels aus sich selbst heraus überwunden hat. Für den akademischen Lehrer war die Farbe dieses Bildes von einer geradezu kindischen Uebertreibung.

Heute hat wohl niemand mehr den Muth, so zu reden, nicht einmal ein Professor. Wir sind eben unterdessen fast ein wenig – Nachwelt geworden. Das wollen wir nicht vergessen. Für die Nachwelt ist es oft »keine Kunst«, Anerkennung zu zollen, oft nicht einmal ein Verdienst. Das wollen wir nicht vergessen bei all den Tiraden, die in letzter Zeit auf Böcklin losgelassen worden sind, vielsagenden und nichtssagenden, und die beide oft genug dieselbe Wirkung haben mochten.

* * *

Eine hervorragende Zeitschrift hat vor Kurzem bei den verschiedenartigsten Künstlern eine Umfrage gehalten, die den Zweck verfolgte, dem künstlerischen Schaffen sozusagen auf die Schliche zu kommen. Es ist, wie nicht anders zu erwarten stand, wenig dabei herausgekommen. Böcklin hat selber sich über seine »Methode« nicht geäussert. Dafür haben andere Beachtenswerthes über ihn mitgetheilt. Die Mittheilungen bezogen sich durchwegs auf Böcklin's Jugend. Hier eine aus der letzten Zeit:

Es ist erst einige Sommer her. Böcklin kam, von Florenz aus, zu einem jungen Freund und Künstler nach Forte di Marmi. Ungefähr 14 Tage blieb er an dem Ort. Und was trieb er? Er liess Drachen steigen ... Böcklin hat sich nämlich immer damit beschäftigt, eine Flugmaschine zu erfinden. Ein Freund von mir besuchte in München den jungen Bohle, das geniale Frankfurter Kind. Er traf ihn, wie er ein grosses Schiff baute. Kinder müssen gespielt haben, sagte er. Auch Künstler müssen gespielt haben. Die ganze Kunst ist nichts anderes – was sogar der »alte Chinese« herausgebracht hat, wie Nietzsche sich liebenswürdig ausdrückt. Solche Künstler nehmen sich die Freiheit, auch mit der Natur zu spielen, im höchsten Sinn des Wortes, als Schöpfer. Sie sind nur in beschränkter Weise von der Natur abhängig. In ihrer besten Laune stellen sie sich über die Natur. Sie brauchen ihre »Eindrücke« nicht mühsam zusammenzulesen und schwarz auf Weiss nach Hause zu tragen. Diese kommen ihnen ungesucht. Und ungewollt, und in der Hauptsache unbewusst, werden sie in ihnen zur künstlerischen That.

Wenn einer erst in dem Augenblick nach Rom geht, wo er ein Buch über Rom schreiben will, von dem sollte man meinen, er könne wohl ein Gelehrter, aber niemals ein Künstler sein. Ein Künstler, sollte man meinen, könne erst dann ein Buch schreiben, ein Bild malen wollen, wenn er bereits »empfangen« hat, wenn ihm bereits ungesucht und ungewollt Eindrücke zugeflossen sind und ihn befruchtet haben, dass es aus seinem Innern heraus nach Entbindung ringt mit Nothwendigkeit.

Wenn aber jener Notizensammler trotzdem ein Künstler sein sollte, jedenfalls ist er keiner in der Art Böcklins. Also Böcklin ist kein Kopist. Also Böcklin ist kein Naturalist. Das war eine der vornehmsten Wirkungen dieser Baseler Ausstellung, sie rief dem Stumpfesten vernehmlich zu: Gegen diese Kunst ist der Naturalismus ... man wird das Wort errathen. Und darin lag eine hauptsächliche Bedeutung dieser Ausstellung. Sie kam im richtigen Augenblick. Die Geister sind heute endlich wieder in der Verfassung, die Lehre zu hören und zu beherzigen, die diese Ausstellung so farbig und freudig verkündete. In so wundervoller Sprache, in so wundervoller Musik vielmehr wurde diese Lehre hier verkündet, dass Jeder sie gern hören musste, auch der, dem sie nichts Neues war.

Eine besondere Abtheilung umfasste die erhaltenen Jugendwerke des Künstlers. Die waren rührend anzusehen. Der jeweilige Inhaber wird sich aber wohl nicht einbilden, einen »Böcklin« zu besitzen. Das wäre naiv. In der Ausstellung aber waren diese Dinger sehr interessant, wenn sie auch nur die gemeine Weisheit des Volkes beweisen: dass kein Meister vom Himmel fällt, oder mit anderen Worten, dass es auch für einen grossen Künstler gar nicht so einfach ist, sich selber zu entdecken.


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