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Anselm Feuerbach

Was ich geworden, habe ich zunächst den modernen Franzosen vom Jahre 48, dem alten und jungen Italien, und dann allerdings auch mir selbst zu danken. Den Deutschen bleibt das Verdienst, mich immer schlecht behandelt zu haben.

Anselm Feuerbach.

 

Der Gelehrte hat keinen Begriff von der künstlerischen Anschauung ..., noch hat er insbesondere eine Vorstellung von der Ungeheuern Schärfe des Blicks und der Empfindung, welche einen echten Maler auszeichnet.

John Ruskin, Stones of Ven.

 

Im Jahre 1880 erschien ein kleines Büchlein mit dem einfachen Titel: »Ein Vermächtniss von Anselm Feuerbach«. Im Projekt Gutenberg-DE vorhanden. Re.Sein Inhalt bestand aus zweierlei Bestandtheilen: aus skizzenhaften biographischen Aufzeichnungen des Künstlers aus dem Jahre 1876 und, als Ergänzung dazu, aus Briefen und Briefstücken Feuerbachs an seine Eltern, vor allem an seine Mutter.

Das kleine Buch wurde sofort in Deutschland als einzig in seiner Art erkannt. Den wenigen Menschen mit einem wahrhaftigen Bedürfniss nach künstlerischer Bildung und künstlerischem Genuss hatten die Aesthetiker mit ihrer Schulweisheit und ihren unverdaulichen Terminologien bis jetzt immer einen Stein statt des Brotes gegeben. Sie waren darum beglückt, einmal einen Künstler selber zu hören, einen Künstler, der sich über die Kunst, als über sein Eigenstes, in leidenschaftlicher und lebendiger Farbigkeit aussprach, und der dabei eine Meisterschaft des Ausdrucks und des Stils offenbarte, um den ihn nur wenige deutsche Schriftsteller nicht zu beneiden brauchten. In solcher Form war in Deutschland seit der Rumfordischen Suppe des seligen Josef Anton Koch nicht wieder über Kunst geschrieben worden.

Und auch die Franzosen besassen damals das Tagebuch von Eugen Delacroix noch nicht, den übrigens Feuerbach an Kraft und Unmittelbarkeit der Sprache, an Wärme des Colorits, an Fülle psychologischer Offenbarungen weit übertrifft. Feuerbachs Vermächtniss giebt uns nicht nur die tiefsten Einsichten in das Wesen der Kunst, wir vernehmen darin überdies das Pochen eines Menschenherzens, wie selten in einem Buche. Seit Benvenuto Cellini hatte die künstlerische Leidenschaft keinen so starken Ausdruck im Wort je wieder gefunden. Cellinis Lebensbeschreibung enthält reichere und farbigere Bilder des äusseren Lebens; aber das innere Seelen-Martyrium eines unglücklichen Künstlers stellt in Feuerbachs Vermächtniss zum ersten Mal sich selber dar. Das kleine Büchlein war ein litterarisches Ereigniss.

* * *

Kein Künstler stand in einem so lebhaften Gegensatz zu seiner ganzen Zeit als Anselm Feuerbach. An der Unbildung des Publikums und der Bornirtheit der Kritik ist er zu Grunde gegangen.

Durch seine häusliche Erziehung kam Feuerbach von der Betrachtung der griechischen Kunst her zur Kunst. Die antike Statue aber kann nichts anderes ausdrücken wollen, als was sie eben ohne jede Unterschrift und Beschreibung ausspricht, nämlich Form und Gestalt des menschlichen Körpers. Und Feuerbach begriff, dass im erweiterten Sinn dies und nichts anderes die Aufgabe jeder bildenden Kunst ist: kein Wunder, wenn er seiner Zeit ganz unverständlich war, die von jedem Kunstwerk als wichtigstes und wesentlichstes etwas forderte, was mit der Aufgabe der bildenden Kunst nichts zu thun hat.

Feuerbach begriff und empfand sehr früh, dass die allgemeine deutsche Denkweise überhaupt der Kunst unförderlich sei. Der deutsche Künstler, schreibt er, fängt mit dem Verstand und leidlicher Phantasie an, sich einen Gegenstand zu bilden und benützt die Statue nur, um seinen Gedanken, der ihm höher dünkt als alles äusserlich Gegebene, auszudrücken. Dafür nun rächt sich die Natur, die ewig schöne, und drückt einem solchen Werk den Stempel der Unwahrheit auf. Der Grieche, der Italiener hat es umgekehrt gemacht; er weiss, dass nur in der vollkommenen Wahrheit die grösste Poesie ist. Er nimmt die Natur, fasst sie scharf ins Auge und indem er an ihr schafft und bildet, vollzieht sich das Wunder, das wir Kunstwerk nennen.

Die Worte Feuerbachs erinnern auffallend an jene Stelle in Schiller's Briefen, wo Schiller in feiner Weise den Unterschied zwischen seiner und der Goetheschen Dichternatur philosophisch ausspricht. Feuerbach aber konnte mit dieser Anschauungsweise weder die Wege eines Cornelius noch die eines Piloty gehen. Er konnte weder Ideen malen wollen ohne zu malen, noch mit einer Art von scheinbar wirklichen Gemälden sich begnügen wollen, denen doch der innerste Lebenskern, die Natur ganz und gar fehlte.

In dieser Stimmung wurde das Eingreifen seines fürstlichen Gönners, des Grossherzogs von Baden, eine wahre Rettung für Feuerbach. Er erhält den Auftrag, die »Assunta« des Tizian in Venedig zu kopiren.

Die Reise dahin, in Begleitung des jungen Scheffel, und sein Aufenthalt in der alten vornehmen Lagunenstadt enthoben ihn fürs erste allen Nöthen Leibes und der Seele. Scheffel hat die Fahrt beschrieben. Das Büchlein athmet Jugendglück und Jugendübermuth in jeder Zeile. Es waren vielleicht Feuerbachs schönste Tage. Er lebt »in einer Stimmung von Glücksgefühl, wie es nur eine junge stürmische Malerseele empfinden kann«. Dunkle Madonnen in schöner Architektur sitzend, schreibt er, umgeben von ernsten Männern und schönen Frauen in heiliger Unterredung. Immer sind drei Engelchen darunter mit Geigen und Flöten. Ich finde, dass damit alles gesagt ist, was man braucht, um schön zu leben. Und später empfand er das Jahr in Venedig wie einen glühenden Traum unbestimmter Sehnsucht, hochfliegender Pläne, enthusiastischer Hoffnungen.

Die Wirkung Venedigs auf seine Kunst ist gewaltig. Wenn Couture ihn einst von »der deutschen Spitzpinselei und dem kleinlichen deutschen Schablonenwesen, verbunden mit süsslicher Empfindsamkeit«, erlöst hat, so lernt er hier in Venedig auch die Franzosen mit anderen Augen ansehen. Von seiner französischen Spachtelmalerei hinweg gelangt er zu einer geläuterten Technik, die er sich aus der Anschauung der grossen alten Meister selbständig eroberte. Ebenso befreit er sich mit einem Ruck aus dem allgemeinen Fluch jener Zeit, welche mit allem Malen nicht sowohl etwas bilden als vielmehr etwas erzählen wollte. Er entwindet sich endgültig dem Bann der malenden Novellistik, macht sich frei vom Stoff und erkennt als höchste und einzige Aufgabe der Kunst die Form.

* * *

Ganz klar wird ihm dies allerdings erst in Rom. Er ging nicht freiwillig hin; aber die »Ewige Stadt« bestimmte für immer sein künstlerisches Schicksal und die Art seiner Entwickelung. Sein Missgeschick wurde sein Geschick. Ganz anders würde er sich in der Heimat entwickelt haben, als er sich in Rom thatsächlich herausgebildet hat. Aber die Kunstgeschichte braucht diese Wendung in Feuerbachs Leben nicht zu bedauern. Viele nordische Künstler haben in Rom Schaden genommen an ihrer Seele. Rom ist kein Boden für nordische Naturen. Aber das war Feuerbach auch nicht; wo andere sich verloren, fand er sich erst selber. Er drückt dies in seinem lapidarischen Stil so aus: In Venedig verkündigte sich das Tagesgrauen, in Florenz brach die Morgenröthe herein, in Rom aber vollzog sich das Wunder, welches man eine vollkommene Seelenwandlung und Erleuchtung nennen kann – eine »Offenbarung«.

Feuerbach ist neben Hans von Marées, der einsam nach gleichen Zielen strebte, der letzte deutsche Künstler, überhaupt der letzte moderne Künstler, für den Rom eine zweite, eine künstlerische Heimath wurde.

Wohl gab es auch nach ihm noch deutsche Maler in Rom. Aber diese suchten dort fast nur stoffliche Anregung. Die italienische Landschaft und der italienische Menschenschlag waren es hauptsächlich, was sie in Italien sich eroberten. Ihr Gewinn war etwas für die Kunst Unwesentliches. Feuerbach dagegen gewann aus der Anschauung des Südens für sich die grosse Form. Wie einem Winckelmann, wie einem Goethe ging auch ihm in Rom das Geheimniss der Form auf. Wenn die andern nichts Höheres kannten, als dem römischen Volksleben sein Lokalcostüm und seine Lokalfarbe abzugucken und in ihren Bildern glücklich nachzubilden, so dienten Feuerbach die Individualerscheinungen dieses glücklichen Volkes nur dazu, ihm die Natur zu deuten, ihm das allgemein Menschliche in seiner reinsten und vollendetsten Erscheinung zum Verständniss zu bringen.

Dies beweisen sämmtliche Werke Feuerbachs aus der römischen Zeit, sein Dante-Bild, seine Kinderfriese, vor allem aber seine erste Iphigenie.

Aber auch diese Iphigenie, wie einst die Goethe'sche, fand in Deutschland kein Verständniss. Die Deutschen waren zu sehr eingelebt in die kleine Form, in die süssliche Sentimentalität, in die ästhetische Verirrung, dass ein Bild etwas erzählen müsse. Die Iphigenie Feuerbachs konnte ihnen da unmöglich verständlich werden. Dieser Grösse der Form, die doch ganz von Realistik durchtränkt war, stand die deutsche Kritik hilflos gegenüber. Und noch weniger wurde die feine Vornehmheit des neugewonnenen Colorits begriffen.

Als Feuerbach seinen »Hafis in der Schenke« zur Ausstellung schickte, stiess man sich an der aufdringlichen Farbigkeit des Bildes. Auch seiner späteren tieferen Farbenharmonie, die er bei den Venetianern gelernt hatte, auch dem warmen goldigen Ton seiner Dante-Bilder, war niemand gerecht geworden.

In der Iphigenie nun verzichtet Feuerbach mit Bewusstsein auf diesen Reiz; sie erinnerte nicht mehr an Bordone und Palma Vechio. Unterdessen aber hatte Deutschland »sich kopfüber in den Farbentopf gestürzt«, wie Feuerbach sich ausdrückt. Und nun konnte man sich nicht genug empören über die »graue Farblosigkeit« seiner jüngsten Werke. Das Missverständniss gegenüber der Feuerbach'schen Farbengebung ging soweit, dass man später, auf einer Ausstellung zu München, sein erstes Gastmahl des Plato den Cartons einreihte.

Und doch ist Feuerbach durch nichts so sehr ein Moderner, als durch die Färbung dieses Bildes, womit er, eigentlich im Gegensatz zur Malerei der Renaissance, die Farbe zur Trägerin einer ganz bestimmten und an sich wirkenden Stimmung macht, was ja heute das einzige Problem der ganzen Malerei zu sein scheint. Colorit war für Feuerbach das vergeistigte Spiegelbild von der Gesammtheit der zerstreut umherliegenden Dinge, »ihr verklärter Abglanz in einer künstlerisch begabten poetischen Seele«. Wer das Einzelne und Zufällige zusammenträgt und so wie es ist verwendet, der war für ihn blos ein Illuminist.

Wenn man das erste Schicksal der Feuerbach'schen Werke in Deutschland ins Auge fasst, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Deutschen wieder einmal das Bedürfniss hatten, sich um jeden Preis der übrigen Welt gegenüber bloszustellen und sich in Kunstsachen als Barbaren auszuweisen. Wenn sie keinen Grund hatten, sich über ein Feuerbach'sches Bild zu empören, so machten sie sich einen. Ihre nordisch-protestantische Engherzigkeit in Fragen der Sittlichkeit unterstützte sie hierin. Das war schon in Karlsruhe bei der Ausstellung seiner »Versuchung des heiligen Antonius« zu Tage getreten, und dieselbe Wirkung that später im ganzen übrigen Deutschland sein »Unheil des Paris«.

Die halbversteckte Lüsternheit hätte man sich gefallen lassen, damals wie heute; aber gegen die unverhüllt keusche Nacktheit eines ernsten Kunstwerks schrie man Zeter. Sogar über die Gestalt eines unbekleideten Kindes empörte man sich. So das Publikum. Und die Künstler, die Kritik?

Zuerst machte man ihm, wie schon hervorgehoben, aus der Farbigkeit seiner Bilder ein Verbrechen; später verdammte man ihn als »grau und farblos«. Beidemal war er seinem Zeitalter um ein Vierteljahrhundert vorausgeeilt. Von Böcklin abgesehen, war er damals der einzige, der die Farbe als etwas anderes auffasste, als eine äusserliche Zuthat und Zierrath, der vielmehr die Farbe verstand, wie sie heute verstanden wird, als eine zweite Sprache neben der Sprache der Form, als eine Sprache, durch die uns der Künstler noch mehr sagen kann als er durch seine Formensprache allein auszusprechen vermag. In seiner Zeit konnte das niemand begreifen, weder die Cornelius-Schule, welche die Farbe verachtete, weil sie keine hatte, noch die Piloty-Schule, die die Farbe auf das Bild schmierte wie die Butter aufs Brot, als ob sie etwas Aeusserliches und Willkürliches sei und nicht eine aus dem Innern fliessende seelische Wärme.

Das aber gerade ist das Verständniss und die Auffassung unserer Zeit. Unsere Zeit hat darum die Fähigkeit erworben, der Feuerbach'schen Kunst allmählich gerecht zu werden. Feuerbach wird heute von vielen gewürdigt. Wenn jedoch Muther sagt, dass heute die Feuerbachverehrung weit übers Ziel hinausschiesse, so sehe ich davon noch immer eher das Gegentheil.

Eine weite Kluft trennt Feuerbach auch von der Kunst unserer Tage. Feuerbach war durch und durch Renaissancemensch, d. h. ein unchristlicher, ein unprotestantischer, ein undemokratischer, mit einem Wort ein unmoderner Mensch, einer, der nicht das Arme liebte, sondern das Reiche, nicht das Kleine sondern das Grosse, nicht des Niedrige, sondern das Hohe, nicht das Sklaven- und Pöbelhafte, sondern das Herrliche. Seine Kunst verlangt nach sonniger heiterer Weite, im Gegensatz zur dumpfen muffigen Enge, nach Adel des Leibes und der Seele, nach der Natur in ihrer freiesten und göttlichsten Erscheinung. Ein unüberbrückbarer Abgrund liegt zwischen der Welt Feuerbachs und der Welt jener Kunst, die da sagt, lasset die Mühseligen und Beladenen zu mir kommen, ich will sie malen; dieser Kunst, die christlich, die protestantisch, die demokratisch ist, dieser Kunst Uhde's und Liebermann's.

Oder ist das schon gar nicht mehr die Kunst von heute? Ist das nicht auch schon wieder die Kunst von gestern? Dante im Garten wandelnd, schreibt Feuerbach in Rom, sprechend mit schönen Frauen. Die jüngste Tochter Beatrice an seine Schulter gelehnt. Es wird wie ein Andante von Mozart sein ...

Ich meine so möchten heute alle malen. Wenigstens ist das die Sehnsucht von heute. In der heutigen Münchner Secession giebt Liebermann kaum den Ton an. Sein Bild, die badenden Knaben, scheint vielmehr wie durch einen Irrtum hineingekommen zu sein. Es hat darin, wenigstens unter den Deutschen, kaum mehr einen einzigen Verwandten. Auf Böcklin und Thoma ist fast diese ganze Ausstellung gestimmt. Der Einfluss dieser beiden ist einem Blinden sichtbar. Sogar der neue »Uhde« möchte gern, so scheint mir, am liebsten wie ein »alter Meister« aussehen.

Wird es kein Traum sein, fragt Feuerbach, dass jetzt meine Zeit kommt? Wenigstens ist sein Traum der Traum dieser Zeit, der Traum der Jugend.


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