Peter Rosegger
Die Schriften des Waldschulmeisters
Peter Rosegger

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Bei den Waldteufeln

In dieser Wildnis gibt es Gewerbe, von denen ich keine Ahnung habe. Buchstäblich von der Erde, von dem Gestein heraus graben die Leute ihr Brot. Und von den Bäumen schaben sie es herab, und aus dem all-lebendigen Ameishaufen wühlen sie es hervor, und aus ungenießbaren Früchten zwingen sie es durch die hundertfältigen Mittel ihrer Schlauheit. Daß der Mensch doch so alles zu finden und zu nützen weiß! Hat er aber schon alles gefunden und genützt? Und die Bedürfnisse, sind sie schon dagewesen, ehe die Mittel gefunden worden, oder sind sie die Folgen der errungenen Dinge? – Wäre das letztere der Fall, ich hielte die tausenderlei Errungenschaften für keinen Gewinn.

Die verkommenen oder verwegenen »Waldteufel« stehen mit den Menschenscharen draußen in engerer Verbindung, als man meint und als sie es vielleicht ahnen mögen. Na doch, sie wissen es gar wohl. Da ist gleich der Wurzner. Seine Lodenkutte geht ihm schier bis zu den Waden hinab; sein Hut ist ein wahres Familiendach, das aber stellenweise schon durchlöchert ist und bricht. Schon von weitem kennt man ihn. Da oben im Gestein klettert er umher und wühlt mit seinem krummen Stecheisen die Speikwurzel hervor. Dabei brummt er denn gar zuweilen sein schlecht Liedel:

»Wan ih speikgrobn tua
Auf der Olm, do herobn,
Do denk ih gern auf d'Weibaleut.
Darots es, wo da Speik hinkimmt?
In's Türknlond für d'Weibaleut,
Damit s' an bessern Gruchn kriagn,
Im Türknlond, de Weibaleut!«

Ich weiß es noch nicht, ob es wahr ist, daß Speik von hier in die Türkei wandert. Aber sie glauben es und so ist es ihnen so viel als wahr. Dieses stolze Bewußtsein des Wurzners, daß er die Frauenwelt des Morgenlandes in einen besseren Geruch bringe, wird angefochten.

Dort auf der Felswand steht ein alter Gefährte, der hört das Lied; er häkelt die Messinghäftchen seines Wamses auf und öffnet seinen Mund:

»Wanst ollaweil auf die türkischn
Weibaleut denkst,
Du Lotter, do hot's an Fodn.
Geh gwürz dih liaba selba
Mit Speik auf der Olm,
Kon da nit schodn.«

So necken sie sich, und das ist ihre harmlose Seite. Aber der Waldteufel hat seinen Pferdefuß. Der rechte Waldmensch hat einen doppelläufigen Kugelstutzen; der eine Lauf heißt »Gemsennot«, der andere »Jägertod«. Könnt' er schreiben, mit seinem krummen Messer hätte er diese Namen in den Stahl gegraben; aber er merkt sich's im Kopf, das von Gemsennot und Jägertod.

Längst hätt' er das Graben aufgegeben und wollt' ganz dem Wildern leben, aber er vermeint, unter den Steinen und Wurzeln einmal einen vergrabenen Schatz zu finden. Schatzgraben, Gold und Edelstein unter der Erde, das hat er im Märchen gehört und kann es nimmermehr vergessen.

Gold und Edelstein unter der Erde! Schatzgraben! – Das Märchen hat recht; der Wurzelgräber hat recht; der Ackersmann hat recht; der Bergknappe hat recht. Aber der Schatzgräber hat nicht recht.

Meine Wirtschafterin sagt, das traurigste Schatzgraben sei ihr gewesen, als sie vorzeit ihren Schatz begraben.

Das acht' ich, daß ich den Wurzner oder den Pechschaber oder den Ameiswühler nicht beleidige. So Leute heben gar mit dem Wettermachen an, daß all des Teufels ist. Blitz und Hagel kann die Wälder vernichten weit und breit. Darum in den Alpengegenden die vielen schweren Gewitter, weil dahier die Wettermacher daheim. Wie sie es aber anfangen, daß die Nebel aufsteigen aus den Schrunden und Wetterlöchern, daß die Taustäubchen zu Wasser verdichten daß die Tropfen zu Eiskörnern erstarren, daß die Eiskörner zu Schloßen sich kochen, daß aus den Wolken das Feuer sprüht, daß die flammenden Wurfspieße der Blitze hinsausen durch die Nacht und daß die ungeheuren Rollen der Donner sich wälzen, bis endlich alles niederbricht zu den zitternden Menschen und Tieren der Erde – wie sie das anfangen, das soll ein tiefes Geheimnis der wilden Gesellen sein; ich habe es bislang nicht zu erfahren vermögen.

Eines ist gewiß. Der Bauer der vorderen Gegenden hat eine Art Ehrfurcht vor den Wildlingen im Gebirge und liefert ihnen oft Lebensmittel gegen geringes Entgelt; es ist doch allfort besser, im Beutel kein Gewinn als auf dem Felde Schaden.

Wahrhaftig, das ist ein verhängnisvoller Wahn dieser Menschen, daß sie durch eigenes Wollen und eigene Kraft Dinge zu wirken vermeinen, von denen die Schöpfung den menschlichen Witz ausgeschlossen hat; und daß sie dagegen Dinge verabsäumen, in denen sie durch eigenes Wollen und eigene Kraft Großes hervorzubringen vermöchten. – Es ist jedoch draußen, wo die Macht- und Geistesstolzen wohnen, auch nicht besser, nur daß dort andere und schädlichere Irrtümer sind, denn sie werden mit bedeutenderen Mitteln und in größerem Maße begangen als hier. – Glorreich, o Menschheit, sind deine Fortschritte, aber in deinen ungeheuerlichen Vorurteilen bist du noch immer ein sehr erbärmlich Ding.

Da oben hinter dem Bergrücken ist eine umwaldete Talmulde, die sie die Wolfsgrube nennen. Vor kurzem bin ich in dieser Wolfsgrube gewesen. Ich komme eben zurecht, wie sie einen Mann begraben, der weder Wurzner noch Ameiswühler noch Pechschaber noch Branntweinbrenner noch ein Wilderer gewesen war. Aber der allermerkwürdigste Waldteufel. Die Sache hab' ich teils selbst erfahren, teils ist sie mir erzählt und verbürgt worden.

Gearbeitet hat er gar nichts. Das ist einer gewesen, der sich durch Essen sein Brot erworben hat. Sie haben ihn allerwärts den »Fresser« genannt; einen anderen Namen, halt ich, hat er gar nicht gehabt. Das soll ein ganz verkommener Mensch gewesen sein, aber gewaltig stark am Leibe. Sein Haupthaar ist durch Schweiß und Harz zu einem unlöslichen Filz verworren gewesen; da hat er keines Hutes bedurft. Sein Bart ist gewesen wie aus verdorrten Fichtennadeln so stachelig; seine mächtigbreite Brust wie übersponnen mit zehnfachem Spinnenweb; da hat er den Brustlatz erspart. An seinen wuchtigen Füßen hat sich eine völlige Hornhaut gebildet; da ist ihm das Schuhwerk überflüssig gewesen. Eine wüste Erscheinung! Ich bin ihm noch vor einigen Tagen im Winkel begegnet. Hebt, wie er mich sieht, eine Handvoll Sand vom Boden auf und will den Sand verschlingen, wenn ich ihm eine kleine Gabe dafür wollt' reichen. – Oft ist er hinaus auf die umliegenden Dörfer auf Kirchtage gegangen, hat den Leuten was vorgefressen. Nicht Werg und Bänder und derlei Dinge, wie es sonst Taschenspieler tun, hat er verschlungen, sondern Tuchstücke, Leder und Glasscherben. Selbst Schuhnägel, und sie mögen noch so rostig gewesen sein, hat er verzehrt. Gerne hat er einen alten Stiefel oder Filzhut zerrissen, die Fetzen mit Essig und Öl bereitet und gegessen. Das hat ihm Geld eingebracht, und sein Beutel wie sein Magen haben wohl verdaut. Unsereinem tät so ein Essen nicht taugen, hat der Rüpel gesagt, freilich wohl, ein Schnäpslein muß dazu sein, das beißt im Magen auch die Kieselsteine klein. – Jahr und Tag hat er's getrieben, aber ein End' nimmt's mit allem, und der Ostersonntag hat nicht viel größere Läng' wie der Karfreitag. Just beim Schnäpslein ist er gesessen in Kranabethannes' Hütte und hat in seinem Übermut gesagt: »Kiefel (kaue) dein Schwarzbrot nur selber, Hannes, ich trink' den Branntwein und beiß' das Gläselein dazu,« – Ist jetzund vom finsteren Herdwinkel ein alter Wurzner hervorgekrochen: »'s schwarz' Brot willst verachten? du!« Darauf der Fresser: »Geh her, Wurzner, dich fress' ich mitsamt deiner Krax (Rückentrage)!« Hat der Alte ein Würzlein hervorgezogen: »Da tät ich wohl was haben, großer Herr, das ist noch ein wenig stärker wie du!« – »Her damit!« schreit der Fresser, errafft das Würzlein und steckt es in seinen Schlund. – »Bist hin!« hat der Alte gekichert, ist davon in den Wald. – Steht nicht lang an, springt der Fresser auf und hinaus auf den Anger. Dort stürzt er nieder und ist tot über und über. Da haben wir's wohl gewußt, was das Ding bedeutet. Den alten Wurzner hat kein Mensch gekannt – der Teufel ist's gewesen.

Halb Tat, halb Mär, so hat es der Leute Aberglauben aufgefaßt und mir erzählt. Sie haben den Mann auch nicht hinausgetragen auf den Holdenschlager Kirchhof. Im Moorboden der Wolfsgrube, wo nur die Binsengarbe wuchert und ihre Glockenfähnlein wiegt, haben sie eine Grube gemacht. In dichtes Fichtengeäste haben sie den Mann geschlungen, mit einer Stange haben sie ihn an das Grab gewälzt, bis er hinabgekollert.

Zur selbigen Stund' ist eine kleine Schar von Betern über die Moorheide und durch die Wolfsgrube gezogen. Sie waren in einem Kare des Hochgebirgsstockes gewesen, wo ein Kreuz stehen soll im Gestein. Diese kleine Schar ist an der Grube stehengeblieben und hat laut für den Toten ein Vaterunser gesprochen. Da hat jählings eine braune Kohlenbrennerin das Wort ergriffen und in ihrer Art ausgerufen: »Ihr Hascher, dem hilft euer fromm Gebet just so viel, wie dem Fisch im Wasser ein trocken Pfaidlein tät nutzen. Der ist schon dort, wo die Hühner hin pissen, das ist ja der Glasscherbenfresser!«

»Nachher gilt das heilig Vaterunser für unsern Viehstand daheim!« sagen die Beter und gehen davon

Ein einziger Mann, ein blasser, schwarzlockiger, niedergebeugter und seltsam hastender Mann ist noch stehengeblieben an der Grube, hat hinabgestarrt, hat eine Scholle auf den Leichnam im Reiserkleide geworfen, hat in der Runde umhergeblickt und die Worte gesagt: »Mit Erden werden sie ihn doch bedecken. Seines guten Magens wegen wird ihn der Teufel nicht geholt haben; und etwan ist sein Herz nicht schlechter gewesen als sein Magen.«

So die Grabrede. Und hierauf kommen ein paar Männer und scharren Erdreich in die Grube.

Ich bin später mit dem gebeugten, blassen Mann, den sie den Einspanig nennen, wieder zusammengekommen. Da habe ich an ihn die Frage getan: »Was ist das mit dem Glasscherbenfresser? Das ist doch eine märchenhafte Geschichte.«

»Märchenhaft ist das ganze Waldland«, spricht der blasse Mann. »Und der Aberglauben ist dieser Leute geistiges Leben.«

Nach diesen Worten hat er sich gewendet und ist emsig von hinnen geholpert.

Wie, Alter, bist nicht auch du selber ein Sohn des Waldlandes? Bist wahrhaftig seltsam und märchenhaft genug. – Den Einspanig, den Einsamen nennen sie ihn, sonst wissen sie schier nichts von ihm zu sagen. –

Auch mit den Pechern hab' ich schon Bekanntschaft gemacht. Der Pecher, das ist schon auch ein wunderlicher Geselle. Man riecht ihn schon von weitem, und man sieht ihn glitzern durch das Dickicht. Die Hacke glitzert, mit der er das Harz von den Bäumen schabt; die Steigeisen glitzern, mit welchen er an den glatten Stämmen emporklettert wie eine Waldkatze, um den Baum auch an seiner Höhe abzuernten oder, wenn keine Ernte ist, zu verwunden, auf daß für künftig das Harz hervorquelle. Und die Lederhose glitzert, und der mit Pech völlig überzogene Lodenspenzer glitzert, und die Scheide des langen Messers an den Lenden glitzert, und letztlich das Glutauge. Wenn eine Blüte oder eine niederfallende Tannennadel ihn streift, so bleibt sie kleben an seinem Arm, an seinen Haaren, an seinem Bart. Wenn eine Fliege herumtanzt oder ein Falter oder eine Spinne – das Tierchen bleibt kleben an dem Manne; und bunt besetzt ist sein Kleid mit kleinen Wesen aus dem Pflanzen- und Tierreiche, wenn er in Wald- und Abenddunkel heim in seine Klause kehrt. Der Pecher verwundet die Bäume arg und bringt sie zuletzt ums Leben. Der Urwald ist dem Untergang verfallen. Die alten Tannen und Fichten sind durch den Pecher zu Krüppeln geworden; jetzt strecken sie ihre langen Arme nach ihm aus, möchten den Todfeind am liebsten erschlagen.

Aus dem Harze bereitet der Pecher durch das Verfahren des Abdunstens das Terpentin und andere Öle, wie sie in den Waldgegenden gegen allerhand Krankheiten und Gebrechen in großen Mengen verwendet werden. Ich habe schon mehrmals zugesehen auf so einer Brennstelle, wie die schwarze Masse kocht und brodelt, bis sie in geschlossene Tonbehälter kommt, aus welchen ihr zu gewinnender Gehalt durch Röhren in die Zuber und Flaschen übergezogen wird. Mit diesen Zubern und Flaschen in einem großen Korbe geht nun der Mann hausieren. Der Holzschläger kauft Pechöl gegen jegliche Verletzung, die er sich in seinen Kämpfen mit dem Walde zuzieht. Der Kohlenbrenner kauft Pechöl gegen Brandwunden; der Kohlenführer für sein Roß; der Branntweinbrenner für sein Fäßlein. Der Wurzner kauft gegen Verrenkungen und gegen Bauchgrimmen, das er sich durch seine meist ungekochte Nahrung zuzieht. Das Kleinbäuerlein weiter draußen kauft Pechöl für sein ganzes Haus und Vieh, gegen alle bösen Zustände.

Du Pechölmann! Mir nagt seit lang schon im Herzen ein kleinwinzig Käferlein – wär's nicht zu tilgen mit deinem gallbitteren Öl? –

In des Pechers Klause darf man sich nicht niedersetzen, man bliebe kleben. Und gleich kämen die kleinen, ungewaschenen und zerzausten Rangen heran und krabbelten empor und ritten gar auf den Nacken und man käme ihrer nicht mehr los. – Das sind die lebendigen Sünden der Alten, sagt meine Haushälterin. – Besser lebendige als wie tote, sage ich.

Des Pechers Wohnung ist einfach genug. Unterhalb der nackte Erdboden, oberhalb das schieferige Baumrindendach, seithalb die Wand aus rohen Stämmen gezimmert und mit Moos verstopft. Der holperige Steinherd ist gleich als Tisch eingerichtet. Unter der Bettstatt ist die Vorratskammer für Erdäpfel, Schwämme und Holzbirnen. Der wurmstichige Kleiderschrank ist das Allerheiligste des Hauses, er bewahrt die geweihten Andenken der Voreltern, das Taufangebinde der Kinder und den Wettermantel des Pechers, wenn er nicht am Leibe ist. Die Fenster haben kaum so viel Glas, daß, wie die Leut' sagen, der »Fresser« sich daran hätte satt essen können. »Lappen und Strohpapier sind auch so gut wie Spiegelscheiben, wenn einer kein sauberes Gesicht durchgucken lassen kann«, meint der Pecher. Wohl, der weiß von Spiegelscheiben was, der ist nicht allfort im Wald gewesen. Gar weit, weit in der Wienerstadt etwan ist er wachgestanden vor Spiegelscheiben – hat ihm nicht gefallen, ist durchgegangen, ist eingefangen worden, ist spießrutengelaufen, ist wieder durchgegangen und in die Wildnis herein – läßt sich nicht mehr fangen.

Hinter dem Schrank hängt das Schießgewehr. Tritt einmal der herrschaftliche Jäger ins Haus und sieht er's, so ist's gut – eine Waffe muß sein, im Wald gibt es Wölfe.

Sieht er's nicht, so ist's besser.

Bei des Pechers Hauswirtin ist's auch so; sieht man sie, so muß man bedenken, daß im vierzigsten Jahr bei niemandem ein neuer Frühling mehr anbricht, daß, wie das Sprichwort sagt, am Halse ein Kropf besser ist als ein Loch, daß einäugig noch nicht blind, und daß ein wenig säbelbeinig weder Schande noch Prahlerei ist. Sieht man sie nicht, so ist's besser.

Wie ich aber schon wahrgenommen hab', bleibt an manchem Pecher zuweilen auch ein junges Weib kleben. Viele Landmädchen sind um ein gut Teil anders wie die Stadtfräulein.

Die Stadtfräulein haben es zumeist nicht ungern, wenn ihre Liebhaber recht schön weiß und zart und schlank und gefügig sind und zärtlich wie Tauben. Die Landdirnen wieder mögen einen, der recht derb und rauh und struppig und eckig und wild ist. Wenn eine die Wahl hat zwischen einem, der ihr schäkernd die Strümpferln stopfet, und einem andern, der sie anwettert mit jedem Wort – so nimmt sie den Wetterer.

Sie hat ihn ja doch im Sack. Wie geht das Lied, das der Pecher gern singt?

»Fürs Pech hon ih mei Hackel,
Fürs Haserl mei Bix;
Für'n Jager a por dicke Fäust,
Fürs Mensch hon ih nix.

Nix is ollszweng, hot's gsogt,
Hot mih ba da Tür ausgjogt;
Hiazt geh ih und prügl an Jager o,
Daß ih an Unterholtin ho.«

Mag sein, daß nicht viel Schönes dran ist, indes wer einmal so ein Lied singt, der tut dem Jäger nichts. Wer mit finsteren Gedanken umgeht, der singt kein heiter Lied.

Unter den Waldteufeln der Gehobeltste, der Geschmeidigste und meines Ermessens der Gefährlichste ist der Branntweiner. Er trägt ein feineres Tuch wie die andern und schneidet allwöchentlich seinen Bart. Er trägt allerwege so ein Fläschlein mit sich herum, mit dem er vertraulich jedem aufwartet, der ihm in den Weg kommt. »Du«, sagt er zum Wurzner, zum Pecher, wenn es heißer Sommer ist, »du, ein kühl, frisch Tröpfel hätt' ich da!« Und wenn es kalter Winter ist: »Du, los (horch) auf, das höllisch Feuer hätt ich da!« Wer trinkt, der ist ihm verfallen, der kommt ihm in die Schenke.

Der Branntweiner erntet zweimal. Fürs erste von den Ebereschen die roten Beeren, von den Hagebutten, Wacholdersträuchern, vom Heidekraut, von allem, was hier Früchte hervorbringt. Der Branntweiner glaubt an den Geist der Natur, der in allen Geschöpfen lebt, und beschwört ihn hervor aus den Früchten des Waldes, und – wie jener Zauberer im Märchen – hinein in die Flasche; – flugs den Stöpsel darauf, daß er gefangen ist. Seine Brennerei ist ein förmlicher Zauberkreis unter dem hohen, finsteren Tann, ein Kreis, wie ihn auch die Spinne zieht und einwebt. Bald sind ein paar Fliegen da und zappeln im Netze. Die Waldleute, wie sie herum- und ihren Geschäften nachgehen, zuletzt aber klebenbleiben in der Schenke – das sind der zweibeinigen Spinne die Fliegen, an denen der Branntweiner nun seine zweite Ernte hält.

Jedes Weib rät dem Mann, er möge nicht den Weg über den Tann nehmen, der sei so finster und uneben, er sei auch weiter als jeder andere. Der Mann sieht's ein, hat auch gar nichts auf dem Tann zu tun, aber – 's ist eben ein wandelbar Ding, die Gesundheit – wie er so hinschreitet, da empfindet er jählings ein Drücken in der Gurgel, ein Grimmen im Bauch – ein schlimmes Grimmen, schier wie die Magengicht. Pechöl hat er keines bei sich, da weiß er nur noch ein Mittel und – er nimmt den Weg über den Tann. – »Das erste Gläschen« – sagt der Rüpel – »lindert den Schmerz; das zweite macht warm ums Herz, das dritte macht noch wärmer; das vierte macht den Beutel nicht mehr ärmer; das fünfte tut erst die Glieder spannen; bei dem sechsten wackeln schon die Tannen; bei dem siebenten geht es glühheiß durch den Leib; bei dem achten verlangt sich's nach dem Weib.«

Heimwärts wankend aber flucht der gute Mann über das »schlechte« Weib, daß es ihm in diesem schaudervollen Nebel mit keinem Licht entgegenkommt; und wenn er endlich, den Hut tief und schief in die Stirne gedrückt, zur Hütte hereintorkelt, so weiß das Weib schon, was es geschlagen hat und was es noch schlagen könnte, wenn es sich nicht beeilte, sofort auf den Dachboden oder anderswohin zu entkommen.

Mich närrischen Jungen stimmen meine Entdeckungsreisen heiterer, als ich's je vermeint hätte. Es liegt ein traurig Geschick über diesem Völklein, aber dieses Geschick macht zuweilen ein unsäglich spaßhaftes Gesicht. Ich halte diese Waldleute auch nicht für so verdorben. Verwahrlost und ungeschlacht sind sie. Es ließe sich vielleicht was aus ihnen machen; – nur Sauerteig muß dazukommen, daß sie aus ihrer Versunkenheit einmal auflockern.

Aussterben wird das Geschlecht nicht so leicht. Gerade in dem feuchten, dunklen Waldboden gedeihen die kleinen Rangen wie die Pilze. Die Jungen gehen den Weg der Alten und tragen die Wurzelkrampe oder den Hirtenstab oder die Pechhacke oder die Holzaxt.

Beim Pfarrer draußen in Holdenschlag ist bekannt, daß die Waldkinder lauter Mädchen sind. Die Knaben werden zumeist getauft mit dem Wasser des Waldes; sie sind in kein Pfarrbuch geschrieben, auf daß Sie vergessen bleiben draußen im Kreisamte und im Verzeichnisse der Wehrpflichtigen. Die Männer hier sagen, die Landesregierung und was dazu gehöre koste ihnen mehr, als sie ihnen wert wäre, und sie verzichten darauf. Das lasse ich gelten, aber die Regierung verzichtet nicht auf die gesunden Winkelstegerleute.

Die Mädchen, werden sie ein wenig flügge, gehen bald auch ins Ameisen- und Wurzelgraben, ins Kräutersammeln, und sie wissen für alles Absatz, und sie pflücken die Erdbeeren und die Hagebutten- und die Wacholderfrüchte für den Branntwein. Und die Jungen, denen noch das Höschen nicht trocken wird den ganzen Tag, helfen schon auch den Branntwein trinken.

Vor einiger Zeit habe ich einer Kinderschar zugesehen. Sie spielen unter Lärchenbäumen. Die niedergefallenen Lärchzapfen sind ihre Hirsche und Rehe, denen sie grünes Reisig vorlegen zum Fressen. Andere laufen umher und spielen hinter Gebüsch »Verstecken«, »Salzhalten«, »Geier austreiben«, »Himmel- und Höllfahren«, und wie sie die Schalkheiten und Leibesbewegungen alle heißen. – Man sieht ihnen gerne zu; sie sind zwar alle halbnackt, haben wohlgebildete und gesunde Glieder, und ihre Spiele sind so kindlich heiter, wie ich anderwärts noch nie Kinder spielen gesehen habe. – Hier ist die verwundbare Stelle des »Waldteufels«, der am Ende ein gehörnter Siegfried ist!

Ich habe den Kleinen unter den Lärchen fortwegs zugelächelt, aber sie haben mich kaum angeblickt; nur daß sich die Jüngsten vor mir gefürchtet. Nach einer Weile hab' ich es versucht, mich in ihre Spiele zu mengen; wie sich da die meisten gleich verblüfft zurückgezogen haben! Nur wenige geben sich mit mir ab; wie ich aber von diesen wenigen im Wettlaufen und Haschen einige Male überlistet werde, da kommen auch die anderen wieder herbei. Und bald bin ich in dem tollschwirrenden Kreise dieser jungen Menschen ein guter und gern gesehener Bekannter. Ich schwätz' ihnen manches vor, noch öfter aber lasse ich mir von ihnen erzählen. Ich gehe zu den Kindern in die Schule, um die Schulmeisterei zu lernen.

Von oben durch einen Strick zur Höhe ziehen lassen sich die Waldleute nicht; wer sie für die Höhe gewinnen will, der muß ganz zu ihnen niedersteigen, muß sie Arm in Arm und wohl auf weiten Umwegen emporführen.


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