Peter Rosegger
Der Gottsucher
Peter Rosegger

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Vorwort

Werden und Vergehen des Dorfes und seiner Gemeinschaften sind ein immer wiederkehrendes Thema in den Werken Peter Roseggers. Wir finden es im Waldschulmeister, im Ewigen Licht, in Jakob der Letzte und vielfältig in Erzählungen und Geschichten. Es läßt ihn von früher Jugend an die grunderfahrung des sozialen Miteinander der Menschen als spannungsreiche und dynamische Lebensprozesse nicht los. Es mag dafür auslösend gewesen sein, daß er sein eigenes Dasein in eine historische Epoche des Wandels des Dorfes, des Bauernsterbens, des Versinkens der alten brauchtumsgebundenen agrarischen Kultur eingebunden sah. Mit hoher Feinfühligkeit empfand Rosegger das Heraufkommen des noch ungesicherten Industriezeitalters mit neuen Lebensformen im Bannkreis seiner steirischen Bergheimat. Seine Stimme ist eine der ersten in der Beschreibung und Deutung solchen Geschehens, für das wir Nachgeborenen heute nach mehr als hundert Jahren freilich alle Symptome und Folgerungen wertend zu benennen wissen.

»Der Gottsucher« erscheint dem Leser zunächst als ein historischer Roman, doch knüpft er nur äußerlich an ein Ereignis der steirischen Geschichte an, das sich genau lokalisieren läßt. Für den jungen Rosegger ist es auf Wanderfahrten zum beeindruckenden Erlebnis geworden. Das obersteirische Dorf Tragöß war anno 1493 Schauplatz einer grausigen Bluttat: Der Pfarrer Melchior lang – im Gegensatz zu Roseggers Charakterisierung des Paters Franciscus ein sittenstrenger Priester – wurde von aufrührerischen Bauern der eigenen Gemeinde im Gotteshaus ermordet. Bis heute ist sein eingeschlagener Schädel in der Kirche verwahrt, und auf einem etwa zeitgenössischen spätgotischen Tafelbild kündet eine lateinischen Inschrift davon, daß Melchior Lang »voll Eifer den Samen des göttlichen Wortes gesät und voll Kraft die Untaten der lasterhaften Einwohner gerügt« habe. Auch die großartige Gebirgsszenerie um Dorf und Kirche von Trawies (gleich Tragöß) an den Südabhängen des Hochschwab-Massivs und seiner Vorberge erschien Rosegger als rechter Rahmen für seine Erzählung.

Jede Dichtung hat autobiographische Wurzeln und muß auch aus der persönlichen Lebenssituation des Autors verstanden werden. Mit dem »Gottsucher« löst sich Rosegger von der noch unbefangenen Gläubigkeit seiner Kindheit und Jugend. Die gleichsam naive Religiosität sollte wohl für sein ganzes Leben bestimmend und befruchtend bleiben als gute Gabe von Elternhaus und Umwelt der Waldheimat. Nun aber tritt in seinen Mannesjahren die Ausweitung einer persönlich geprägten und kritisch reflektierten Religiosität zum Grundton seines Kinderglaubens hinzu; das Innewerden von Schuld und Verstrickung im Bösen, Gefährdung des Guten, Erlösungssehnsucht, Suche nach Sinngebung für alles Sein und Tun, eine persönliche Lebensethik und die Gewißheit der Ewigkeit der Seele im Fortleben nach dem Tode. Solche Denk- und Stimmungsbereiche wird der Leser im Spiegel des poetischen Werkes erkennen. »Der Gottsucher« bedeutet im Schaffen Roseggers eine gewisse Zäsur. In den folgenden Jahren wird die Darstellungsweise konkreter und realistischer, wenn auch der Autor der fabulierende Geschichtenerzähler bleibt, der bilderreich zu illustrieren versteh. Der Realität des politischen Geschehens und geistigen Lebens rückt er immer näher, wie die oft harten und polemischen Stellungnahmen zu Zeit und Umwelt im »Heingarten« zeigen oder schon der nächste Roman »Jakob der Letzte«, der auf »Der Gottsucher« folgt. Auch sieht sich Rosegger von kritikern heftig angegriffen, besonders von seiten wenig profilierter Vertreter des politischen Katholizismus jener Jahre. Er muß sich verteidigen und gewinnt dadurch selbst an Profil.

Manches höchst zeitbedingte Denkschema, das heute verblaßt ist, hat im »Gottsucher« seinen Niederschlag gefunden. Wir vermögen den vorchristlich-mythischen Herkünften unserer Volkskultur nicht mehr das Stimmungsbild einer Germanen-Illusion, der Richard-Wagner-Theatralik oder einer ideologischen Romantik beizugeben. Auch Rosegger sah das Problem eigentlich tiefer und schiebt im Werke zunehmend die Kulissen beiseite. Uns heutigen Lesern wird das Buch vielfach zum Dokument seiner Zeit und legt dennoch Bleibendes dar.

Nach dem Vorabdruck in Fortsetzungen in der Zeitschrift »Der Heimgarten« und noch vor Erscheinen der Buchausgabe 1883 wurde in Roseggers Monatsblatt eine Rezension von Dr. J. Hofer eingerückt. Da heißt es, der Schreiber habe den Dichter der Waldheimat und des Waldschulmeisters im Gottsucher nicht wiedererkannt. Er sei auch sonst nicht gerade ein begeisterter Anhänger Roseggers. Es kätten ihn aber drei Hauptgedanken im Buche beeindruckt: das Ahnfeuer als Symbol der Tradition und des Schicksals von Trawies, die Sühne der Schuld und die Folgerichtigkeit des Untergangs einer Dorfgemeinde ohne religiösen Kult und göttliche Führung. Das historische Bild des Buches sei nicht so wichtig, wohl aber der sittliche Gehalt und die psychologische Richtigkeit. Über alle Irrwege und Sündenschuld schwebe doch die Idee der Gerechtigkeit. Ein Roman sei das Buch eigentlich nicht zu nennen, es genüge den Kriterien dieser Gattung nicht. Es sei aber eine gute Dorfgeschichte größeren Stils.

Jener Rezensent Dr. J. Hofer war kein anderer als Peter Rosegger selbst.

Hubert Lendl



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