Peter Rosegger
Der Gottsucher
Peter Rosegger

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Drittes Buch

Die Erlösung

Zur selben Zeit geschah es, daß an einem der späten Herbsttage eine große Verfinsterung die Menschen beunruhigte. Gegen die Mittagsstunde war es, bei heiterem Himmel, daß die Bäume an der Trach ihre Schatten verloren, daß es düster wurde über Berg und Thal, und daß die Fledermäuse den Leuten um die Köpfe flogen. Die Sonne war verloschen und hatte nur einen schimmernden Rand. Am Firmament standen Sternlein. Ganz anders waren diese Sternlein gruppirt und anders sahen sie aus, als man sie zur selben Jahreszeit in der Nacht beobachten konnte.

Einer der Ältesten zu Trawies hielt die alte Fahne noch aufrecht und erklärte, daß der höllische Drache, der die Sonne stets verfolge, nun mit ihr im Kampfe liege. Man sähe es ja, wie das schwarze Ungeheuer die Scheibe umklammert halte, während die Sonne noch ihren Flammenring über seinen Hals zu werfen trachte. Unterliege sie, so gehe die Welt zugrunde; unterliege sie nicht, so drehe es sich eine Weile noch so fort mit Tag und Nacht, mit Winter und Sommer.

Es drehe sich nicht mehr fort, sagten Andere, die Sonne werde wohl für die weite Welt noch scheinen, aber für Trawies werde sie verlöschen.

»Das ist Firlefanz,« rief es drein, »Gott läßt die Sonne scheinen über Gute und Böse.«

»Aber nicht über Gute und Verdammte.«

»Derob keck anpacken, was zu packen ist. Die Zeit ist kurz und in alle Ewigkeit geht es uns nicht mehr so gut, als wie jetzt!«

Etliche waren der Meinung, diese Nacht mitten im Tage sei nichts, als eine gewöhnliche Sonnenfinsterniß und eine solche sei unergründlich, gehe vorüber und bedeute gar nichts, als daß der Türke komme oder die Pest.

Und so traf es zu. – Die Finsterniß war nach einer Stunde ganz und gar vorbei und die Sonne schien nach wie vor und hatte nicht die geringste Wunde vom Kamp mit dem Drachen an sich. Wenige Tage später aber ging schon die Kunde: »Der Türk’ kommt!«

Das war ein Schreckenswort zu jener Zeit, und Trawies hatte aus früheren Tagen manches Denkzeichen aufzuweisen von den Greuelthaten der morgenländischen Horden. Diesmal machte die Kunde kaum einen anderen Eindruck, als den der Neugierde und der Genugthuung. Die Türken, das sind ja jetzt Bundesgenossen der Trawieser Leute.

Vom Rocken- und vom Johannesberge aus sah man in den Nächten manch seltsamen Schein fern über dem Flachland aufsteigen, und vom Trasank brachte Jemand die Nachricht herab, daß man dort oben deutlich den Brand von Neubruck und Oberkloster sehen könne.

Das war ein Jubel.

»Der Flammenring, den sie um Trawies gezogen haben, der wächst jetzt; der dehnt sich nach außen. Gebt Acht, sie werden noch zu uns kommen, die hohen Herren von Neubruck und von Oberkloster und von Altenziel, und ihre Haut verstecken in unseren Wäldern und Höhlen. Sie werden recht willkommen sein!«

Die Fäuste zuckten ihnen, da sie so sprachen, und in den Fäusten die Messer.

Die Grenzen von Trawies wurden nicht mehr bewacht.

Auf den Stelen, wo sie einst die Feuer des Bannes angezündet hatte, wuchs wieder das Gras. Die Bäume, an welchen der symbolische Strick gespannt war, grünten neu oder verdorrten auch, wie es eben war. Die umliegenden Ortschaften, so weit viele derselben auch von diesem Waldrande entfernt lagen, hatten an ihrer Markung einen Galgen errichtet als Willkomm für die Besucher aus Trawies. Und das waren nunmehr die einzigen Grenzpfähle. Wohl waren von einsichtsvollerer Seite auch Versuche gemacht worden, mit den Leuten von Trawies eine Art von freundschaftlichem Verkehr zu pflegen, den Bann still zu umgehen und so die Gemeinde allmählich wieder zur Gesellschaft heranzuziehen. Aber die Rotten in den Wäldern waren damit nicht einverstanden. Die wilde Freiheit behagte ihnen und sie trugen gar kein Verlangen nach Steuern und Robot, nach dem Kriegshandwerk, wo der Mann wohl das Leben verlieren, aber nichts gewinnen könne.

Aus Neubruck war nun ein von den Türken verscheuchter Mann vertrauensselig nach Trawies gekommen. Der erzählte was draußen vorging. Krieg in Ost und Krieg in West, und Krieg mitten in der Heimat. Heuschrecken hätten die Ernte gefressen, Osmanen hätten die Speicher geleert, die Kirchen geschändet und Städte verbrannt. Der Landesfürst läge mit den Bischöfen in Fehde, die Bischöfe riefen als ihre Verbündeten die Magyaren ins Land, und das wären neue Feinde und an Grausamkeit nicht viel geringer, als die Türken. Ferner hätten sich in den letzten Jahren Semiten eingenistet, Hausirhandel getrieben, Kinderblut getrunken und Brunnen vergiftet. Sie seien ausgewiesen worden, aber nicht gegangen, und wären nur erst die feindlichen Einfälle überdauert, dann dürfte es ein fröhlich Judenerschlagen abgeben. Trawies sei dazu eingeladen.

Ein Trawieser antwortete: »Was gehen uns die Juden an, wir erschlagen Pfaffen und Herren!«

Aber man müsse bedenken, meinte der Mann aus Neubruck, daß die Semiten eine schreckbare Seuche ins Land geschleppt und in den Brunnen großgezogen hätten. Dort und da fiele Einer um und wäre todt und würde nach kurzer Zeit schwarz und verwese. Es wären dieses Sterbens wegen schon angesteckte Häuser verbrannt und ganze Ortschaften abgesperrt worden. Einen Juden habe man dabei erwischt, da er just Gift in einen Brunnen warf; der sei zwischen zwei Hunden aufgeknüpft worden. Einen Anderen habe man durch peinliche Fragen zum Geständniß treiben wollen und ihm jede Stunde einen Zahn ausgerissen, bis er endlich mit zerstörtem Kinnbacken bekannte, daß er Hostien entweiht habe.

Mit lustigen Mienen hörten die Leute von Trawies derlei Geschichten, und als der Fremde alles erzählt hatte, was er wußte, und zur Ergötzung der Zuhörer vielleicht etwas mehr, nahmen sie ihm seinen Geldvorrath ab, seinen Mantel und seine Stiefel und luden ihn ein, mit ihnen auf die Jagd zu gehen.

Er schlich einige Tage im reifigen Waldschatten herum, nährte sich von Kraut und Preiselbeeren, legte sich in eine halbzerstörte Hütte und starb in derselben. Als man ihn fand, war er schwarz angelaufen und hatte am Körper grause Beulen.

»Den rühr’ ich nicht an!« sagten die Leute und liefen davon. Und zogen einen weiten Ring um die Hütte, ächteten den Platz, wie sie selbst geächtet waren.

Aber es war vergebens. Der schwarze Tod hatte sein Ei in Trawies gelegt und es begann in dem ungezügelten, ausschweifenden Haufen ein böses Sterben.

Aus der unteren Trach kamen anfangs die meisten Nachrichten; bald hieß es, auch im Dürrbachgraben sei die Seuche aufgetaucht. Im Trasankthale liege ebenfalls ein Todter; und von den Häusern des Rockenberges kamen die Bewohner geflohen mit dem Bericht, die Seuche sei auf dem Berge, und noch ärger als im Thale. Vor diesen Leuten flohen nun die Anderen, aber sie wußten nicht wohin, von allen Seiten kamen ihnen die Berichte und die Spuren der wilden Geißel entgegen.

Medicin hilft nicht, das wußten sie; aber durch Orakelsprüche und Amulette suchte man sich zu schützen.

Doch die Himmlischen erkannten keine fromme Meinung aus Trawies.

Dem Verstorbenen Brot auf den Mund legen, damit sich das Gift in dasselbe ziehe! So lautete ein Rath. O Gott, wer wollte sich dem Todten nahen! Mittel gab es übergenug, aber sie halfen nicht.

»Gegen die Ansteckung nichts besser, als Ziegenböcke!« riethen sich die Leute, und Jeder trachtete im Stalle eines Ziegenbockes zu schlafen und zu wohnen; tagsüber sah man die Leute mit Ziegenböcken herumgehen, und weil dieser luftreinigenden Thiere zu wenig waren, so raubte sie Einer dem Anderen; der Ziegenbock wurde zum Zeichen der Stärke seines Herrn, wurde das Pferd der Ritter von Trawies. Da geschah es, daß auch von solch minder hohem Rosse mancher Reiter zur Erde fiel und starb. Und als die Leute sahen, daß die Seuche sich steigerte, da verfielen Diese der Verzweiflung, Andere dem Stumpfsinn; noch Andere meinten, die giftige Luft könne man nur mit giftigem Wasser besiegen und thaten nicht als Branntwein trinken. Sie fielen zu Boden, sie brachen sich vielleicht den Hals; im Ganzen waren von den Trinkern Wenige, die starben, und Ursula, die Schnapsbrennerin, stieg an Ansehen, und das umso höher, als Viele sie des Bundes mit dem »Schwarzen« ziehen. Ihr Branntwein war ganz darnach.

Die Nüchternen trachteten, den letzten Rest von Ordnung noch immer aufrecht zu halten. Die Häuser und Hütten, wo Jemand an der Seuche gestorben war, wurden niedergebrannt oder verrammelt. Die Todten wurden mit langen Haken in die Grube gezerrt. Der Verkehr war fast ganz aufgehoben; Einer floh den Anderen. Unterredungen geschahen nur über Bäche oder über Feuer. Sie hatten die Erfahrung gemacht, daß das Feuer luftreinigend sei.

»Wir sollten noch einen Tärn haben zu verbrennen!« meinten sie.

»So zünden wir den Ritscher an,« riethen sie.

»Stürzen wir uns ins Feuer, ist das beste Mittel gegen Krankheiten,« lachten sie.

»Schon verdammt eng zieht uns der Teufel die Schlinge,« fluchten sie.

Und in demselben Spätherbste vollzog sich noch nicht das Ärgste. Vom Winter hoffte man, daß er das Gift in der Luft zerstören werden; er ging auch vorüber, ohne viele Opfer zu fordern. Aber als die Sonne wieder hoch stand und der Schnee thaute und die Dünste aufstiegen in weißen Frühlingsnebeln, da fing es wieder an. Jetzt rächten sich die Todten, die man im vergangenen Spätherbste nicht begraben hatte. Und als die Sonnenwendnacht kam, die man in glücklichen Tagen zu Trawies so fröhlich gegangen hatte, brannten wohl auch diesmal im Thal und auf den Höhen zahlreiche Feuer, aber sie waren vergleichbar den Wachtfeuern auf dem Kriegsfelde. Hier brannte ein Haus, in welchem der letzte Bewohner hingestorben war; dort brannte ein Reisigfeuer zwischen zwei Männern, die sich beriethen; da hatte man einen Holzstoß entzündet, an dessen Gluth sich eine ganze vor Angst bebende Familie drängt. Denn dieser Rath war vom Johannesberge den Leuten wiederholt zugekommen: Nur an das Feuer möchten sie sich halten!

»Ja,« meinte ein alter Trawieser, es war der Rocken-Paul, »das möchte ich glauben, wenn wir das Ahnfeuer noch hätten! Die Gluth vom Flammenring ist uns nicht gesund!«

Manche der von der Seuche befallenen wütheten, beteten, fluchten, verzweifelten. Andere wieder geriethen vor dem Tode in eine seltsame Verzückung, riefen aus, sie sähen den Himmel offen und feurige Leitern seien gezogen herab auf Trawies.

Und als das Sterben grassierte, da erzählte der alte Schummelzenz, daß er im Herbste, als noch alles gesund war, am Rockenbachwege Enzian geschnitten habe. Da sei von der Trach her ein Karren gefahren, worauf ein fremder Mann und ein fremdes Weib gesessen. Der Mann habe eine Sense, das Weib einen Rechen gehabt. Das Weib habe zum Manne gesprochen: »Du mähst Trawies, ich werde es rechen.« Und das Paar sei niemand Anderer, als die Pest gewesen. –

Die Chronik übermittelt uns aus dieser Schreckenszeit ein einziges Bild, das geeignet ist, unser Herz zu erheben.

Hoch im Trasankthale, hart am berge zwischen Schuttriesen, stand das Haus des Sand-Nantel. Der Nantel hatte seine Josa ohne viel Umfragens zum Weibe genommen und sie ohne viel Umschauens zum Weibe behalten. Sie mischten sich nicht in das Treiben der neuen Gemeinde, sie verstanden sich zu ernähren von dem, was zwischen den Steinen wuchs.

Und nun, eines Tages fiel der Nantel zu Boden. Mit einem Schreckrufe sprang ihm sein Weib bei, er wehrte mit den Händen ab: »Laß mich! rühr’ micht nicht an! Gehe zu den Kindern!« Und suchte sich selbst aufzuraffen.

»Was ist Dir, Mann? Wo willst Du hin?«

»Dem Wasser zu. Geh’ weg. Ich will zum frischen Wasser. Die schwarzen Flecken – ich will mich waschen.«

Der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirne und er brach auf der Stelle wieder zusammen.

Die Josa wusch die Beulen mit Wasser, gab ihm Wasser auf seine brennende Zunge, befeuchtete die trüben Augen und wich nicht von ihm.

»Hättest mich lassen.« Murmelte er, »ich wäre lieber ertrunken, in der Erde erstickt, als so – als so. Und Euch wäre ich nicht zum Gifte geworden.«

»Nein Nantel, Du wirst wieder leben.«

Er lachte heiser, dann versetzte er leise: »Ich hoffe, mein liebes Weib, wir werden Alle wieder leben. Hast Du mir noch Treu, so gehe jetzt zu den Kindern – ich will schlafen.«

Spät in der Nacht war das. Die Josa ging, und als sie nach kurzer Zeit wieder kam, um zu warten, war der Kranke nicht mehr da. Die Thür ins Freie stand offen. Sie lief hinaus, sie rief seinen Namen. Die Felsen riefen es nach. Das war eine Nacht für das arme Weib! Erst am Morgen hat sie ihn gefunden, abseits im Dickicht in einem tiefen, selbstgeschaufelten Grabe, theils mit Erde bedeckt. So hatte der Nantel in vorhinein für einen bösen Fall sich selbst das Grab gegraben und, wie die Spuren zeigten, sich selbst in dasselbe gelegt, um darin zu sterben – damit sein Leib Weib und Kind nicht vergifte.

Als ob die Treue dieses Herzens das Schicksal gerührt hätte, in der Familie des Nantel erkrankte und starb Keines mehr und sie hatten das Glück, über die Wüsten des Trasank dem unseligen Kreise zu entkommen, nachdem sie das theure Grab noch mit heißen Tränen begossen. –

Gar absonderlich ist das Blatt über den Faun von Trawies.

Ein verkommener Wicht! Die wenigen Kleider, die er auf seinem braunen, haarigen Leibe trug, waren ihm zu weit. Das schlotterte so in Fetzen daher, und darüber saß das narbige, gelbborstige, kegelspitze Haupt mit dem gierigen Mund, mit den gestutzten Ohren und den schielenden Äuglein, die gar unstet hin und her fuhren. Er wollte rasten und es graute ihm vor der Scholle, auf welcher seine nackten Füße standen; er wollte fliehen, und wußte nicht mehr wohin. In dem Schatten des Tärn war er viel herumgeschlichen; als der Wald verdorrte, kroch er in die Höhlen; als es darüber brannte, mußte er auch aus diesen fliehen. Hinaus über die Grenze? O, dort standen die Pfähle. Hinab zur Trach? Dort war das wilde Sterben.

Der kleine Baumhackel machte es wie Viele: er gab an seinem Elende Anderen die Schuld. Und er hatte Grund dazu. Er hatte nicht brandgestiftet und nicht gemordet, aber ihm ging es schlechter als Solchen, die es gethan. Er wart stets bereit gewesen, Jedem zu dienen, und Mancher hatte ihn zum Werkzeug mißbraucht und sich durch ihn bereichert. Er spähte die Beute aus, Andere raubten sie; er war die Brieftaube von einem Versteck zum anderen; dort, wo es unsicher war, lauerte er; wo es ein Schelmenstück zu vollführen gab, war er der Gesuchteste und Schlaueste. Vielerlei, was hier verschwiegen bleiben muß, hatte er in Diensten des Freiwild gethan, als dankbare Abstattung für die Zeugenschaft, die Jener ihm dazumal in Sachen des Schafdiebstahles geleistet hatte. Damals hatte den Faun der Schafdiebstahl gerettet, so stahl er noch öfters Schafe, Lämmer und Ziegen; man kann nicht wissen, wozu es gut ist. Die finstersten Kerle wählten ihn für ihre Unternehmungen zum Vertrauten und Helfershelfer. Und hatte er seinen Mann gestellt, so dankten sie ihn ab und wollten von einem Lohn nichts wissen.

Da war es vor Allen der Holzer Stom gewesen, der ihn zu seinen Plänen benutzen wollte; der herrische Holzer Stom – er brachte es nicht zu dem, was er wollte – er wurde nicht König von Trawies, aber er verstand es, auf manche Leute einen Druck zu üben. Wahnfred war ihm im Wege, und der ließ sich nicht umgehen, der genoß einen ganz besonderen Respect; einmal weil er sich vor den Leuten gern in vornehmer Ferne hielt, schroff und strenge war, und geheimnisvoll in seinem Thun und Lassen.

Der Stom hatte sich in einer Nacht mit dem kleinen Baumhackel verabredet. Der Baumhackel sollte den Wahnfred aus dem Wege schaffen. Wir haben damals das Gespräch im Schachen hinter dem Sandhockhause vernommen. Der Faun wartete auf Gelegenheit und umspähte den Schreiner, hatte aber nicht den Muth, ihm zu Leibe zu gehen. Es war lange her, da hatte er eines Tages eine fünfblätterige Kleepflanze gefunden. Er trug dieselbe heim und legte sie unter das Strohkissen seines Hauptes. Zu der nächsten Nacht, als der Baumhackel schon eingeschlafen war, kam der Teufel an sein Bett und fragte, warum er ihn durch den Fünfblätterigen gerufen habe? – Der kleine Baumhackel antwortete: »Ich bin ein braver Mann und will kein Mörder werden, darum sollst Du mir den Schreiner Wahnfred aus dem Wege schaffen.« – Hierauf der Teufel: »Was soll ich denn mit ihm machen?« – Sonach der Baumhackel: »Das geht mich nichts an. Er ist dahier zu viel.« – Sagte der Teufel: »Gut, ich schaffe ihn Euch aus den Augen, und Du verpfändest mir Deine Seele.« – »Meine Seele?« entgegnete in Angstschweiß der Faun. »Nein, die kann ich nicht, die gehört meinem lieben Jesus.« – »Die gehört schon ihm,« sagte der Teufel, »ich will dafür drei Jahre von Deinem Leben.« – »Sollst sie haben, nur nicht die besten drei.« – »Ich will die schlechtesten drei, damit Du siehst, daß ich billig bin.« – »Diese kann ich ihm geben,« dachte der Baumhackel, »denn sie sind ja schon vorbei und fürder, wenn der Stom Hauptmann ist, wird’s mir gut gehen.« – Der Teufel verschwand; der kleine Baumhackel erwachte aus seinem schweren Traume. Und kurze Zeit darauf war der Schreiner Wahnfred verschwunden – und das Haus des Feuerwart stand leer.

Zu selben Zeit war’s ja, als sich Wahnfred auf den Berg des Johannes zurückgezogen hatte. Der kleine Baumhackel aber hielt das Verschwinden des Mannes nun wirklich für ein Werk des Bösen, das er selbst verursacht, er ging zum Stom und verlangt sein »gutes Leben«.

Die Anstrengungen des Stom, die Herrschaft von Trawies an sich zu reißen, mißlangen schmählich; mit Steinwürfen gaben ihm die Leute zu verstehen, daß der Wolf nicht erschlagen worden war, um einem Wolfe Platz zu machen. Und der Stom schlug in seinem Unmuthe dem lohnbegehrenden Baumhackel die Hand ins rothe Haar und jagte ihn davon.

Da war der Baumhackel tief betrübt. Er hatte drei Jahre von seinem geliebten Leben verpfändet und sollte nichts dafür kriegen? Dann ging ja das heiße Elend sofort an – vielleicht der Jahre schlechtesten drei, und der Schwarze konnte zu jeder Stunde kommen und das Seine holen. Dann erwachte in dem kleinen Faun der Haß gegen den Stom, er verfolgte ihn, aber er stellte sich nicht vor, sondern hinter ihn. Er hetzte die Leute gegen den Stom auf, durchkreuzte seine Pläne, suchte sogar, als er ihn einmal im entlegenen Busch schlafend fand, ihn zu knebeln und so seinem Schicksale zu überlassen. Er selbst wollte keinen Mord auf dem Gewissen haben, aber der Stom müsse verhungern oder von Wölfen vertilgt werden

Als jedoch der Baumhackel eben die Schlinge zog, fuhr der Stom wie ein gereizter Tiger auf, erfaßte den Faun und knirschte zornglühend: »Jetzt, mein feines Baumhacklein, jetzt ist der Teufel um Dich da.«

Der kleine Gauch zitterte wie das Wildkraut daneben und flehte mit gerungenen Händen um Barmherzigkeit.

»Du hast mich lange genug geneckt,« sagte der Stom, »hast wie ein Wiesel nach mir gebissen und wie eine Natter nach mir gestochen. Sei doch vernünftig und ächze nicht, keinen Zahn breche ich Dir aus, nicht einmal blenden will ich Dich. Ich beweise Dir, daß der Stom sich vor dem Baumhackel nicht fürchtet, aber merken will ich Dich, daß ich Dich um so leichter erkenne, wenn wir uns wiedersehen. Komm nur her da, es geschieht dir weiter nichts.«

Er hob den zappelnden Knirps, setzte ihn zwischen seine Knie, wo er den Hals wie mit einer Zange einklemmte. Der Baumhackel starrte stumm drein, er konnte sich nicht denken, was hier geschehen sollte; als er aber sah, wie der Stom das Messer aus dem Sacke zog –

Nein, das malt sich nicht aus. Es sei nur erzählt, wie der Stom noch sagte: »Ein ärmerer Wicht, als Du bist, ist mir noch nicht vorgekommen. Und ein so königliches Geschenk habe ich noch Keinem gemacht, als ich Dir jetzt mache. Dir schenke ich das Leben. Aber Deine Ohren sind mir zu lang.«

Seit diesem Tage lief der Faun mit gestutzten Ohren umher, und so sehen wir ihn auch jetzt der Trach entlang rennen, fliehend vor der Seuche. Dem Hause des voreinstigen Waldhüters eilte er zu. Bei seinem Bruder hoffte er den Hunger zu stillen und Rast zu finden. Als er die Thür öffnete, sah er, das Haus war leer und auf der finsteren Erde lag sein Bruder. Er floh entsetzt über die Au. Auf der Au sah er seinen Feind, den Stom, dahergehen, er wich ihm aus, huschte ins nahe Dickicht. Der Stom schien auch erschöpft zu sein, er wankte auf seinen gewundenen Stock gestützt dem Hause des Waldhüters zu und trat in dasselbe. Das sah der kleine Baumhackel und jetzt fiel es ihm ein, er könne seine drei Jahre und seine zwei Ohren rächen. Mit Hast lief er durch das Gebüsch dem Hause zu, schlug die nach innen offene Thür in die Klinke und zog durch das an der Thür als Handhabe befestigte Holzband eine Stange. Der Ausgang war verschlossen.

Wiehernd vor Befriedigung lief der Baumhackel davon, während von innen des Hauses bald die Stimme der Verzweiflung erscholl und ein Gepolter anhub, das erst nach Stunden ein Ende nahm.

Der Stom wurde nicht mehr gesehen.

Der kleine Baumhackel irrte zwischen Todten und Lebendigen um und endlich trieb ihn die Noth, die immer schwerer auf ihm lastete, zum Gebete. »Wenn auch,« so dachte er, »Trawies verdammt ist, ich kann nicht mit gemeint sein. Ich habe es niemals mit den Trawiesern gehalten, ich bin zuerst gar kein Trawieser, denn mein Vater ist von den Sanköfen herüber gekommen. Umgebracht habe ich auch Niemand; in meinem Leben, Gottlob, habe ich keinen Menschen umgebracht. Meine Seele habe ich dem Teufel nicht verschrieben, und die drei Jahre, die des Teufels gewesen, sind vorbei. So stehe ich gut mit meinem himmlischen Vater. Wenn man nur in die Kirche könnte, ich möchte beten.«

Aber die Kirche von Trawies war vermauert und vernagelt. Die Fensterstäbe waren verwittert und an ihnen hinan stieg der rothe Holler; an der Wand hatte sich die Tünche losgeschält, und das Mauerwerk prickelte allmählich nieder. Das Dach war mit grünen Flechten überzogen, dort und da brachen die morschen Bretter ein. In den Ritzen und Spalten des Thurmdaches keimte Gras und allerlei Gezweige. Um den Bau war eine Wildniß von Schutt, Nesseln und Sträuchern, in welchen an warmen Sommertagen Nattern huschten.

In dem Haupte des kleinen Baumhackels war es so dumpf geworden, daß er kaum mehr wußte, was er that. Verachtet selbst von den Verächtlichen, wie ein räudiger Hund davongejagt, wo er um Unterkunft bat, kroch er jetzt den Berg zur Kirche hinan. An der einst geweihten Mauer fürchtete er sich nicht mehr vor dem Teufel, nur noch vor Einem, vor dem Stom. Wohl wußte er, der Stom war gefangen bei einem der plötzlich Verstorbenen; aber er fürchtete sich doch noch. Und als er die Mauer hinankletterte, um durch das Fenster in die Kirche zu steigen, war ihm, als klammere sich der Stom an seinen Fuß. –

 

 

Und zu jener Zeit der maßlosen Noth war es, daß die Trawieser Leute hinaufstiegen zur Wildwiesen, wo vor Zeiten das Sonnenwendfest begangen worden war.

Nicht zu Rath und Schutz kamen sie zusammen, denn sie waren rathlos und muthlos ganz und gar. Und in Keinem, wie sie da hinaufstiegen, Mann und Weib, Jung und Alt, in Keinem fand sich die Ruhe der Ergebung. In Aller Herzen zitterte die Noth des Lebens und die Angst vor dem Sterben.

Da hieß es, auf den Höhen sei die Luft gesünder. Unweit des Wasserfalls, hart am Felsen zündeten sie ein großes Feuer an, um das sie sich in einem weiten Halbkreis drängten. Einer wollte dem Anderen ausweichen und doch zog die Furcht vor dem Ungeheuerlichen, die Sehnsucht nach Freunden und Helfern Einen zum Anderen hin. Sprach Einer, so verhielt sich der Andere den Mund, oder kaute an einer Enzianwurzel. Wo irgend noch eine Mutter war, sie küßte ihr Kind nicht mehr. Vor dem grauen Hauche, der in kühler Luft aus dem athmenden Munde des Menschen geht, flohen sie. Und doch zog sich der Kreis eng und enger um das knisternde Feuer, denn das Feuer war die einzige Medicin. Wäre es möglich gewesen, sie hätten die Flammen getrunken. Als es in den Abend hineinging und die Felswand zu leuchten begann hinter dem Feuer, saßen und kauerten sie noch immer da, wie eine geängstigte, vom Wolf müdegehetzte Schafherde sich zusammendrängt. Die Meisten wußten auch nicht, wohin sie gehen sollten, sie waren heimatlos, ihr häuslicher Herd hatte kein Dach, er stand zwischen dem grauen Gestein des Trasankthales oder unter verwitterten Schirmtannen.

Jetzt schlich ein Weib herbei, so abgehärmt wie alle Anderen, aber in den Augen eine leuchtende Freude. Sie erzählte, daß sie unten am Hang Biberellwurzeln gesucht habe, und dabei wäre plötzlich so ein seltsames Klingen gewesen in der Luft, und sie hätte aufgehorcht und hätte das Läuten der Trawieser Kirchenglocken gehört.

Das Läuten der Trawieser Kirchenglocken? Da fuhren sie auf und stoben über die Höhe hin bis zum Rande, von dem man in das Thal sieht. Aber sie hörten nichts, als das Rauschen der Trach. Es war ja auch nicht möglich und so mußte das Weib wohl zugeben, daß es sich getäuscht habe.

Etliche waren dabei, die murrten, daß es hier noch Leute gäbe, welche sich von einer Kirchenglocke aufschrecken ließen. Andere freilich und vielleicht die Meisten, senkten ihr Haupt und gedachten jener Zeit, in welcher der Schmerz und die Freude des Menschen vom Thurme gegen Himmel tönte. O glückselig jene Tage, da die Kirche ihre Kinder mit süßem, trostreichem Klange in den ewigen Schlaf sang! Es war ein betrübtes Lebewohl dieser Welt, und es war ein froher Willkommsgruß vom Himmel herab.

Und jetzt, wie gräßlich ist das Sterben, wenn die Erde keinen Trost hat und die Ewigkeit keine Hoffnung! Ein kräftiger Mann, der wildesten einer unter den Waldleuten, streckte jetzt seine Arme aus gegen den funkelnden Sternenhimmel und schrie wild wie ein Ungeheuer auf der See: »Verlassen hast uns, verlassen, Du fürchterlicher Gott!«

Allmählich versammelten sie sich wieder um das Feuer und brüteten hin und murmelten Flüche und Gebete, und manchmal zuckte Einer auf, als hätte die kalte Hand eines Unsichtbaren seine Achsel berührt. Sie starrten in das Feuer, das stets neu genährt und geschürt wurde und das in Funkengarben und breiten Bändern auflohte. Der glühende Rauch wölbte sich wie ein Dach um die Heimatlosen, wie ein Dom um die Gläubigen. Sie starrten in das Feuer, als wollten sie dahinein all ihren Jammer vergraben, als wollten sie, wie jener büßende Räuberhauptmann, ihre Herzen darinnen verbrennen, daß die Seele als weiße Taube auffliege gehen Himmel.

Was ist das, dort in der Gluth? Es steigt wie aus den Flammen auf? – Die es zuerst sahen, schraken stöhnend zurück und bedeckten ihr Angesicht. Hinter dem sprühenden Feuer erhob sich, als wüchse sie aus demselben hervor, eine menschliche Gestalt, glühend im Scheine der Flammen. Auf dem Felsen stand sie – es war Wahnfred.

Finster blitzte sein Auge zwischen den langen Haaren des Hauptes und des Bartes, sein Gesicht war wie ein rothes Dreieck im schwarzen Gelocke. Ein langer dunkler Mantel bedeckte die gestalt und machte sie noch schlanker und unheimlicher. Die Hände waren geballt zu Fäusten, welche sich allmählich lösten.

»Sein Geist! sein Geist!« flüsterte die Menge und Einer suchte sich hinter dem Anderen zu verbergen.

Da rief mit mächtiger Stimme Wahnfred, der von seinem Berge Niedergestiegene und hier wie aus dem Feuer Erstandene:

»Leute von Trawies, fürchtet Euch nicht und trotzet nicht. Ich komme zu Euch und bringe Euch die Gnade Gottes.«

Das Murren und Flüstern und Wimmern verstummte. Erstaunt blickten die Einen, höhnend die Anderen über das Feuer gegen den Felsen hin, auf welchem der sonderbare Mann stand. Nichts war vernehmbar, als das Knistern der Gluth und das Rauschen des Wasserfalls, bis Wahnfred jetzt wieder seine Stimme erhob und im Ernste und in der Weihe eines Propheten so zu sprechen begann:

»Trawies! ich habe Gott gefunden. Er den keines Menschen Segen geben, keines Menschen Fluch rauben kann, sendet mich. Er ist stets bei Euch gewesen, Ihr habt ihn gesehen, aber nicht erkannt. Jede Stunde Eures Lebens ist eine Gnade von ihm; unter dem himmlischen Tage ist keine That, die sein heißer Blick nicht sieht. Ich seid schlecht geworden, weil Ihr das nicht gewußt habt; die Gegenwart Gottes macht nur den selig, der an sie glaubt, und Euch hat man verdammt, da man Euch diesen Glauben nahm. – Leute zu Trawies! Ich gebe ihn Euch wieder zurück. Es ist der alte, liebende, schreckliche Gott. Er hat Euch aufgeweckt in der Morgensonne, er hat Euch geschlagen im Wetterblitz. In der Sternennacht hat er Euch zugeschaut, von den Ampeln des Altars hat er Euch angelacht. Als Euch die Mächtigen verstoßen, hat er Euch umarmt im Flammenring, und er hat seinen Tempel gebaut im Tärn. Ihr drängt Euch jetzt um ihn und wißt, daß sein warmer Athenhauch Euch beschützt. Er ist überall, auch wo sie ihn hassen, er zuckt aus den Wolken, er springt aus dem Stein, er bricht das Eis auf dem Trasank, er weckt die Blumen der Wildwiesen vom Tode auf, er ist der ewige Schöpfer, Ernährer und Zerstörer. Er ist die Kraft und das Licht. Wenn er Euer Auge nicht geblendet hat, Ihr Leute von Trawies, so seht ihn an, er steht vor Euch in seinem Glanze, das Feuer ist sein Lein! Das Feuer ist der sichtbare Gott!«

Es ging wie ein Sturm durch die Menge, ein innerer Frühlingssturm durch starre winterliche Herzen. Die Flammen loderten still und hoch und verdeckten zeitweise die schwarze Gestalt, die hinter denselben auf dem Felsen stand.

Wahnfred ließ die aufgeregten Gemüther austoben und beben, dann hob er seinen Arm und fuhr fort:

»Falsche Propheten wollen den Menschen die Liebe und Dankbarkeit für Gott entreißen und sagen, das Feuer sei höllisch, sei das Reich des Teufels, sei die Strafe des Bösen. Einen von diesen Propheten hat Trawies getödtet, so haben sie uns verdammt, haben uns fesseln wollen mit dem Ring der Hölle, haben nicht geahnt, daß sie mit den Flammen ein Reich Gottes umgrenzen, außerhalb welchem die hoffärtige, arge Welt sich herrisch breitet, innerhalb welchem die Armen und Glücklosen durch das Feuer gereinigt werden sollen. – Leute von Trawies! Ihr habt die himmlische Gnade mißkannt. Es giebt einen Weg, der durch Rosen zur Hölle führt, den wandelt die Welt, es giebt einen Weg, der durch Elend und Jammer zur Hölle führt, und den seid Ihr gegangen. Wo steht Trawies? Es steht an der Grenze zwischen Erde und Hölle, denn es hat geraubt und gemordet, Unzucht getrieben und Unheil gestiftet überall. Wer mich heute nach dem Thale der Missethaten fragt: ich zeige auf Trawies. Weinend thue ich es und mit zitternder Hand. Man möge mir die Augen blenden, wenn ihre Thränen nicht aus Herzeleid rinnen; man möge mir den Arm abhauen, wenn er sich nicht ausstreckt, um Euch zu retten! Der Gott unserer Väter, der zu uns gekommen war in den Funken unseres Ahnfeuers, der gehütet worden war mit Treue und Frömmigkeit, wo ist er? Den Feuerwart habt Ihr sterben lassen im Elend, sein Haus habt ihr geschändet, und wenn ich Euch frage: wo ist das Feuer? Was habt Ihr Antwort? Ihr habt es verfolgt und verhöhnt und verlöschen lassen, und wollt nun, daß es Euch schütze. Wenn Ihr sagt, die Welt hätte Euch Gott genommen, so lügt Ihr. Wehr als Ihr selbst hat ihn verbannt aus dem Thale der Trach? In finsterer Nach, begleitet von einem hilflosen Kind, ist er geflohen in die Wildniß, so wie nach der Schrift das Jesukind vor Herodes floh. Ein einziger Mann hat noch gelebt in der Einsamkeit, hat gebetet und die Gottessehnsucht bewahrt im Herzen; zu diesem kam das heilige Licht, das Ahnfeuer, herangezittert, und er hat es aufgenommen, es ist die Gnade gekommen und er hat es erkannt, hat es gewahrt und angebetet und kommt nun zu Euch mit der Botschaft, daß es lebt und nicht fern ist. Ja Ihr Leute von Trawies, nun sehe ich Eure Augen leuchten, als wäre Gott in Euch. Aber ich sage Euch, noch ist er es nicht. Er der Allgegenwärtige ist dort nicht, wo die Herzen kalt sind, wo keine Freude ist und keine Hoffnung und keine Liebe. Er ist dort nicht, wo das Mißtrauen wohnt und die Furcht und die Verzweiflung. Jetzt, da Ihr in den Lüften das Schrillen der Schaufel höret, womit eine unsichtbare Hand das Grab gräbt, jetzt sind Eure Begierden gedämpft. Aber ich fürchte, daß die Flamme, welche über Eurem Haupte den Pesthauch verzehrt, nicht Eure entarteten Herzen erwärmen wird. Denn Ihr seid schlecht geworden. Und so ist es tausendmal besser, o gerechter Goot, Du lassest hinsterben, was nicht leben soll.«

»Nein,« riefen jetzt Einige der Versammelten, »leben! Leben!«

»Nur leben!« Rief die ganze Menge, und Viele stöhnten und Viele knieten vor dem Feuer nieder und begannen zu beten.

»Jetzt betet Ihr,« fuhr Wahnfred fort, und seine Stimme wurde immer heller und gewaltiger, »jetzt, da in den Häusern, wo Ihr gesündigt habt, die Leiber mancher Eurer Genossen hingestreckt liegen, wo Ihr dürstend die Quelle flieht und der Waldluft nicht mehr traut, die Ihr athmet, jetzt betet Ihr!«

Sie unterbrachen ihn, sie Flehten, von der neuen Erinnerung an die drohende Gefahr zutiefst erregt und erschüttert, um Gnade und Erbarmung, sie schworen, von nun an nach Gottes Willen leben zu wollen.

Nur Einer war darunter, der hagere Wend vom Gestade, der richtete sich auf und sagte: »Ich will auch leben, aber so lang ich nicht weiß, was Gott verlangt, verspreche ich nichts.«

Dem entgegnete Wahnfred: »Gott will daß Du lebest und neben Dir auch Andere. Sei wie das Feuer ist, wenn es Dir gefallen soll – sei warm, so wirst Du Dir und Anderen zur Freude sein.«

Dir und Anderen zur Freude! das war wie ein Märchenklang aus alten Tagen.

»Nicht allein leben wollen wir,« rief aus der Menge ein Stimme, »nicht Anderer wegen ist’s uns zu thun, es soll uns auch selber gut sein. Redlich gesagt, es lüstet uns nicht gar so arg nach Gott, aber den Himmel wollen wir haben.«

»Ja,« riefen sie im Haufen, »das ist es, den Himmel wollen wir haben!«

»Suchet zuerst das Reich Gottes und die Gerechtigkeit,« sagte Wahnfred, »dann wird Euch der Himmel von selber zu Theil.«

»Sollen wir unter Krieg, Hunger und Pestilenz suchen?« versetzte der Wend mit Hohn.

»Was gehen uns Krieg, Hunger und Seuchen an!« rief Wahnfred und hatte einen Blick, daß man hätte glauben können, er sei dem Wahnsinn verfallen. »So lange wir leben, achten wir nicht darauf, und sind wir todt, wissen wir nichts davon. Was wir sind und haben, es gehört nicht uns, so können wir es nicht verlieren. Wir genießen es, aber es liegt uns nichts d’ran. Unglücklich ist, wer begehrt, was die Welt selten oder nie giebt. Unglücklich, der sich selbst nicht genug ist, denn er wird in der Jagd nach Anderem sich selbst verspielen. Selig der Genügsame und der Begierdenlose, er wird Frieden haben und schuldlos bleiben. Was kann ihm geschehen? Er ist allmächtig, und jeder seiner Wünsche wird erfüllt, denn er will, was Gott will. – Geht hin, Ihr Leute von Trawies, kehrt mit diesem himmlischen Frieden zurück ins Thal, und Ihr werdet Euch nicht mehr vor der Seuche fürchten – eher als Ihr glaubt, wird sie vergangen sein. Ihr werdet nichts mehr hassen, nichts verspotten und nichts mehr beweinen. Aber die Augen werden Euch aufgehen, Ihr habt erfahren, was die Erde nehmen kann, und Ihr werdet sehen, was sie geben kann. Ihr werdet nicht verhungern. Ihr werdet wieder reuten und ackern; es werden Schloßen fallen auf die Felder, aber Ihr werdet nicht umkommen. Ihr werdet wieder Häuser bauen; sie können zugrunde gehen, anher ihr werdet dem ewigen Licht wieder ein Gotteshaus errichten und kommen, darin zu beten, und Kraft finden zur Geduld. – Das wilde Thier in Euch, an dem alle Flüche haften, an dem alle Laster nagen, nach dem der grimme Tod Jagd hält mit seiner Sense, das Thier schleudert heute von Euch. Menschlich steiget hinab vom Berg, daß Ihr im Thale Menschen findet.«

»Wir bleiben im Wald!« riefen jetzt mehrere Stimmen.

»Was wollt Ihr im Walde?« fragte sie Wahnfred und stieg vom Felsen nieder.

»Bleib’ oben und rede noch von Gott!« baten Einige.

»Ihr wollt’ die Stimme des Predigers wieder hören, die altbekannten, angewohnten und lange entbehrten Töne. Ich aber sage Euch, Gott ist nicht im Worte. Gott ist im Werke, und zu diesem will ich Euch führen.«

»So gehst Du mit uns?«

»Nicht ich mit Euch, Trawieser Leute, jedoch Ihr mit mir. Wehe aber,« rief Wahnfred mit gewaltiger Stimme und aus seinen finsteren Augen schoß es wie Blitzesstrahlen, so daß auch die wildesten Gesellen davor mit den Wimpern zuckten, »wehe Dem, der mir entgegen! Mit mir ist der Allmächtige. – – Steht auf, zündet die Fackeln an. Wir gehen an’s Werk.«

 

 

Und nun lautet der Bericht, daß Wahnfred die Versammlung in das Thal geführt und dort versucht habe, Ordnung, Arbeitsamkeit und Gemeinsinn zu stiften und zu fördern.

Durch seiner Worte Macht, durch die phantastischen Bilder seiner Rede, durch die Verheißungen und Drohungen, womit er auf die krankhaft erregten Seelen wirkte, gelang es ihm, daß die Todten begraben und die Sterbestädten vernichtet wurden. Er selbst war voran und scheute sich nicht, den Erkrankenden zu nahen, den Sterbenden mit Labniß und Trost beizustehen. Er war ruhelos Tag und Nacht, war Jedem Freund, Arzt und Priester – und blieb am Leben.

Für die Verstorbenen hielt Wahnfred im Walde Todtengottestdienste, indem er große Opferfeuer entzünden und an denselben alte Bußlieder singen ließ. Das vermehrte die Wehmuth des Sterbens, aber milderte die Schrecken.

Allmählich wurde die Seuche zahmer, seltener wurden die Sterbefälle, mancher Anfall ging in gewöhnlichere Krankheiten über, forderte mitunter auch noch in solchen sein Opfer, verlief aber häufiger günstig. Endlich verlosch das böse Sterben ganz.

Unter den während der Seuche Verschwundenen war auch der kleine Baumhackel. Erst in späterer Zeit, als man die alte, verfallene Kirche wieder betreten konnte, fand man am Glockenstrick ein menschliches Skelet hängen, welches für den Überrest des Fauns von Trawies gehalten wurde. –

Im Thale war es nach dem Verlöschen der Seuche ruhiger geworden, aber nur scheinbar; über die Grenze kamen immer wieder arge Geschichten. Draußen hatten sie noch lange nicht verziehen und jede Pause, die der Weltunfrieden gab, weckte von neuem den Trotz und den Haß gegen die verbannten Rotten im Walde, die freilich diesen Haß stets von neuem rechtfertigten. Wieder – und zum letztenmale – versuchte Wahnfred eine Anbahnung des Friedens.

Wie er daran denken könne! warfen ihm die Trawieser vor, ob er nicht wisse, daß die fremden Ketzer seine Lehre mitsammt dem Propheten und der Gemeinde austilgen würden? Jetzt an seiner Seite stünden sie auf festem Boden und hätten wieder einen Himmel über sich und einen vor sich – jetzt zum Kreuze kriechen? Weniger, als jemals.

Einige fingen nun an, die Felder, die seit Langem nur mehr als Weiden für Rinder, Ziegen und Schafe gedient hatten, oder gar als Unkrautwildniß dagelegen waren, wieder zu bebauen. Aber es war keine regelmäßige Arbeit möglich, sie stritten sich um die Grenzen, um die Grundstücke endlich, sie stritten sich um die Knechte und um das Samenkorn, das ohnehin auf dunklen Wegen in die Gegend gekommen war. Es fand sich kein Gesetz, das hier Recht geboten hätte, und fand sich eins – sei es auf einem alten Blatte, sei es im Haupte eines alten Mannes – so wurde es nur von Dem beachtet, dem es Recht zusprach, von dem Anderen aber verlästert und verflucht. Wahnfred, vor dem sie Achtung und eine innere Scheu hatten, war nicht immer und überall zugegen, und so entschied schließlich stets das älteste Gesetzbuch – die Faust.

Trotzdem hingen sie mit Wärme, sogar mit Leidenschaft an dem neuen Glauben vom Feuergott. Das Bedürfniß des Volkes nach religiösen Formen ist ja so groß und war zu einer Zeit, da alles Ideale fast nur im Gottescult bestand, noch viel größer als später, da die Köpfe und Sinne mit anderen Aufgaben beschäftigt wurden. Der religiöse Cultus hing damals eng zusammen mit allerlei Aberglauben, ja selbst mit dem Hexenwesen. Eines trug das Andere. Beides war das tägliche Brot der armen Seelen. Menschen, die man aus der kirchlichen Gemeinschaft stieß oder die sonstwie an derselben nicht theilnehmen konnten, verkamen gar bald, fielen einer Richtung anheim, die ihr Dasein gefährdete, schon darum, weil sie dem Scheiterhaufen zustrebte. Die keinen Gott hatten, ergaben sich dem Teufel.

Wie Wenigen gelang es, auf Grund alter Schriften, die zufällig in ihre Hände fielen, sich ein eigenes System aufzurichten, das im Einklange mit ihrem Wesen war, dem sie heimlich nachleben konnten und das sie erbaute. Aber selbst mit Solchen nahm es oft ein eigenthümliches Ende.

Wahnfred hatte in den Leuten von Trawies die volle Religionsleidenschaft zu wecken gewußt, die nun um so heftiger hervorbrach, je länger sie unbefriedigt geblieben war. Sie schwärmten jetzt für alles was leuchtete, von der Sonne herab bis zum Johanneswürmchen. Nun wußten sie, warum das Feuer so wohlthätig und fürchterlich war. Dem Feuer und der Verehrung, die für dasselbe aufgekommen war, dieser Gottesanbetung schrieben sie das Verlöschen der Seuche zu. Wie sie sonst geweihte Kreuzchen und Amulette aller Art unter ihren Kleidern mit sich getragen hatten, so gingen sie jetzt mit Lichtchen oder glimmenden Schwämmchen um. Wie sie sonst in ihren Häusern zum Gebete vor dem Hausaltar gekniet waren, so knieten sie jetzt um den Herd, schürten das Feuer und sangen. Wie sie sich sonst mit geweihtem Wasser besprengt hatten, so führten sie jetzt einen Funken gegen ihr Haupt und hielten sich für besegnet.

Etliche waren den Wahnfred angegangen, daß er an dem vom Feuerwart ihm gesandten Ahnfeuer ihre Herdflammen entzünden lasse; er hatte es verweigert. Solange sie nur einen Formgottesdienst huldigten und nicht auch ihr Leben darnach einrichteten, wären sie des heiligen Feuers nicht werth, und dasselbe sollten sie erst kennen lernen am Tage des Gerichtes, wenn die Welt zu Asche würde verbrennen.

Im waldumschatteten Hause auf dem Johannesberge glimmte fort und fort das Ämplein und Wahnfred wahrte es an geborgenster Stätte und ließ es nicht verlöschen. Er hütete es mit Angst vor Dieben. Gegen jeglichen Windhauch war es geschützt, aber eine Fliege konnte es in das Öl stoßen und dämpfen, ein Schmetterling konnte es mit seinen Flügeln ausblasen. – Sein glühendes Auge, so lange hatte es an diesem Funken getrunken, das es plötzlich auf der Welt und im Himmel nichts mehr sah als Feuer. Wie lange hatte er gegrübelt nach der Formel, um das Ungeheuer in Trawies zu beschwören! Und als er sie gefunden und ausgesprochen, war er selber in ihrem Banne. In Nebel versunken waren die Legenden und Evangelien der alten Schrift und über diesen Nebel aufgetaucht war der lodernde Flammenring; seine Seele hatte wie ein Falter die Flamme so lange umflattert, bis sie plötzlich von ihr erfaßt war ...

Und die Leute in den Thälern um Trawies, die sich zur Noth in neuen Hütten einzuleben suchten, gingen niedrigen Sinnes, frevelten an sich und Anderen und hielten dann zur Buße den Finger über die Flamme, bis sie vor Schmerz wimmerten.

Wenn die Tagen waren, daß Feld und Garten Arbeiter heischten, lagen diese auf dem Bauch um ein Feuer, das sie am Waldrande angezündet hatten, und machten sich weiters keine Sorgen. Wo Mehrere feindlich gegeneinander geriethen, da vertheidigte und schlug man sich mit Feuerbränden. Und Einen gab es dabei, der verordnete, daß, wenn er todtgeschlagen sein, man ihn nicht begraben, sondern verbrennen möge.

Das waren nicht die Schlechteren. Das ungezählte Gesindel strich und lauerte in der Gegend umher, wie vor und ehe, ihr Leben war ein Feuer ohne Wärme und ihre Thaten hat kein Lichtstrahl verklärt.

Im Trasankthale wurde ein altes Weib abgefangen, welches schon lange im Rufe einer Hexe gestanden. Es war die Kofelarztin. Sie betete die Krankheiten ab, wendete allerlei geheimnisvolle Mittel an und Viele glaubten durch sie geheilt worden zu sein. Als aber die Seuche kam und ihre Kunst gar nicht mehr anschlug und man oft sah, wie sie geheimnisvolles Wesen trieb, wurde sie verdächtig. Ein Hirt vom Traboden war der Erste, der sie eine Hexe nannte. Derselbe begann zu siechen und abzuwelken, und jetzt war es den Leuten gewiß, daß die Kofelarztin »den Teufel brauche«.

Man vertheidigte sie: Warum sollte dieses Weib nicht den Teufel brauchen? Alte Weiber sind dazu auf der Welt.

Und gar jetzt, wo ganz Trawies dem Teufel angehört! Warum soll Eins nicht tapfer darauf loshexen! Man kam zur Alten, um von ihr zu lernen, doch sie sagte, sie nehme ihre Kunst mit ins Grab.

Als nun aber der neue Glauben aufgekommen war und die Leute wieder einen Gott hatten, begannen sie gegen den Teufel feindselig zu werden. Die Alte bäumte sich noch dazu auf und lästerte den neuen Glauben als eine Ketzerei. Sie verfolgten die Hexe, fingen sie ein und schleppten sie nach Trawies, wo man sie verbrennen wollte. Schon versammelten sich die Leute zum Spectakel und trugen Holz herbei und eilten um die Wette, den Scheiterhaufen recht hoch zu bauen, während das Weiblein todtenblaß und geknebelt an einem Baumstamm kauerte und mit stieren Augen den fleißigen Leuten zuschaute. Da kam Wahnfred herbei. Er meinte anfangs, sie bauten ein Haus und freute sich der Emsigkeit seiner Trawieser. Als er aber sah, was hier geschehen sollte, gerieth er in Zorn und rief: »Ist Euer Hirn dahin? Ist die Kofelarztin eine hexe, was wollt Ihr sie in die Arme Gottes schleudern! Wollt Ihr das Feuer verunreinigen? Laßt die Alte laufen, ist sie des Teufels, so entkommt sie ihm nicht.«

Sie sahen es ein, ließen das Weib frei und leisteten dem Feuer Abbitte. –

Wahnfred hatte lange schon auf Mittel gesonnen, die Leute zu beschäftigen, ihnen eine Art von Frohndienst aufzulegen, der sie im Zaume hielt. Ihr Wahn sollte dabei sein Bundesgenosse und Zuchtmeister sein. Nun er sie beim Schichten des Scheiterhaufens gesehen hatte, kam ihm der Gedanke: Ein Tempelbau.

Die Leute von Trawies müssen ihrem Feuergott einen Tempel bauen. Das soll ein Bau werden, wie diese Berge noch keinen gesehen haben, ein festes gewaltiges Haus, aus Urwaldstämmen gezimmert, eine Burg für den Priester und Herrn, ein Hort der Gemeinde, der Kern des neuen Trawies. Aber nicht im Thale soll dieser Bau stehen, wo die Wässer graben, und wo er von der nächsten Höhe aus beherrscht werden könnte. Das alte Trawies mit seiner Kirche soll verfallen, um die Dreiwand soll eine Wildniß wuchern. Das neue Haus wird auf hohem Berge stehen und in der Sonne leuchten wie eine flammende Gesetzestafel.

Eine flammende Gesetzestafel! Sollte in dem Haupte des düsteren Wahnfred schon jetzt, da er den Tempel plante, die Ahnung gedämmert haben von dem, was da oben auf dem Berge des Johannes später geschehen ist?

Voll des Geistes, Trawies seinem Elende zu entreißen, es zu erheben, zu stärken und wieder der menschlichen Gesellschaft gerecht zu machen, stieg Wahnfred auf den Berg. Der Scheitel desselben war eine kleine felsige Fläche, die nach drei Seiten schroff abfiel. Auf dieser Fläche zeichnete er mit seinem Stabe in Sand und Erde den Grund des Baues.

 

 

Ihr blickt den Erzähler fragend an – fragend: welche Wege wird er Euch nun führen müssen? –

Es ist tiefe Nacht und zwei Flämmlein sehen wir vor uns dahinflackern. Das sind die Spuren der Gottsucher, der Himmelsucher, diesen müssen wir folgen. Den Propheten des Feuers wissen wir auf dem Berge des Johannes. Aber es ist noch ein Anderer, der seinen Gott und seinen Himmel in einem anderen Feuer sucht – in der Gluth eines liebenden Herzens.

Der Sohn des Wahnfred, der mitten in der Öde seiner Abgeschlossenheit tief innen die Leidenschaft der jungen Lust erfaßt hatte, der lebensfreudige, liebesdurstige Erlefried – was ist aus ihm geworden?

Seit jener Abendstunde, da er, einer Stimme folgend, hinangestiegen war gegen die Wände des schründigen Torfstein, an dessen Fuße sich zur Zeit der Brand erhob, war Erlefried nicht mehr gesehen worden. Ein einziger Mensch, den er fand, mit dem er war, der sah in nicht, den der war blind.

Bertha, die junge Gefangene in der Felsenhöhle, hatte oft und oft versucht, einen Ausgang, eine Erlösung zu finden; aber sie fand sich im Labyrinth der Grotten und Schachte nicht zurecht und war immer noch froh, wenn sie das an die Wand geschmiedete Lämpchen wieder schimmern sah und sie tief erschöpft niedersinken konnte auf ihr weiches Lager. Sie hatte aufgehört zu sinnen und zu grübeln, warum es so mit ihr sei, sie glaubte nicht mehr an das, was sie sah und empfand, hielt alles für eine Täuschung der Sinne und hatte sich vertraut gemacht mit dem Gedanken: die Nacht des Wahnsinns sei über sie gekommen.

»Du närrische Bertha,« so sprach sie häufig mit sich selbst, »was peinigst du dich so, du bist nur krank. Das ist der Johannesberg, und das ist das Haus und die Stube, und das ist nicht der Schreckliche Mann, das ist die gute Mutter, die dir das Bett macht und das Haar flicht. Mußt es mir nicht für Übel halten, Mutter, daß ich so ungeberdig bin, ich bin so viel krank und es kommen mir Sachen vor, daß es ein grausen ist. Diese Höhle, wenn ich mir nur die einmal aus dem Kopf schlagen kunnt, und wenn ich den fremden Menschen nicht immer an der Seiten hätt’, er grinst so, er sagt, er ist der Teufel, ich glaub’s schon, ich glaub’s. – Im Gottesnamen, ich mach’ die Augen zu, Mutter, mußt nicht weinen.«

Da war’s aber doch an jenem Tage, als der Wald zu brennen anhub, als ihr unheimlicher Wirth nicht kommen wollte und sie zu hungern begann, daß sie neuerdings nach einem Ausweg spähte. Sie trieb sich fort in den finsteren Löchern, sie kletterte und kroch, und wo der Weg aufhörte, da riß sie lockere Steine von der Wand und grub und Grub, als wollte sie sich noch tiefer in den Berg hineingraben. So trieb sie’s eine Weile, bis mit einemmale die Wand vor ihr zusammenfiel und ein greller Blitz an ihr Auge schlug. Aber nur ein einziger kurzer Strahl; derselbe Augenblick, der ihr das Tageslicht wieder gezeigt, stieß sie in die ewige Nacht – zerstörte ihre in der langen Dunkelheit geschwächten Sehnerven, machte sie blind. Sie fühlte es alsobald, wie das jetzt anders war, sie fühlte das Licht, sie athmete die klare Luft, sie empfand es: die Freiheit war da! und sie konnte nicht sehen. Es war nicht mehr die Nacht mit dem schwarzen Schatten und dem mattrothen Scheine der Lampe, es war das Grau eines undurchdringlichen Nebels, in welchem eine Weile noch bunte Sternchen kreisten und sich der plötzliche Strahl noch nachspielte in mannigfaltigen Formen, bis allmählich alles verschwamm und alles verdämmerte und nichts mehr war als grau und grau.

Bertha schmiegte sich an den Felsen, denn sie hatte mit ihrem Fuße einen Abhang getastet, sie klammerte sich an einen Stein und rief um Hilfe.

Das war der Schrei, den Erlefried am Teufelssteine vernommen hatte.

Er glaubte, Sela, die ihn im Walde verlassen, werde ihm nun zugeführt und rufe ihn; er war sehr erstaunt, als er hoch am Felsenhang das fremde, blasse, dürftig gekleidete Mädchen sah. Als sie seine Schritte hörte, rief sie nicht mehr, kauerte bewegungslos da.

Der Abend war schon dunkel und am Himmel glühten Sterne. Erlefried sah nicht empor. Er strebte mit ausgebreiteten Armen dem Weibe zu.

Lange währte es freilich nicht, so wurde ihm klar, welch ein elendes Wesen ihm wimmernd in die Arme gesunken war. Abgezehrt bis zum Tode, blind, wahnwitzig war sie – so hatte er dieses Mädchen gefunden.

Sie weinte, als sie seine junge warme Hand empfand, sie klammerte sich an den schlanken, behendigen Leib, sie betete laut und sie redete von Dingen, die er nicht verstand.

Er geleitete sie mit Mühe den wüsten Steig hinab zu Thale. Als sie am Bette des Baches standen und er im vertrockneten Sand nach Wasser späht, um sie zu laben, sah er auf der Wand des Torfstein den rothen Schein, der nun Nächte lang auf dem-selben schimmern sollte, sah die finsteren Wirbel des Rauches himmelan fahren. Fliehen, fliehen! mit Noth entkam er und rettete das Mädchen für den Augenblick. Zwischen den kahlen Stämmen wankten sie fort, Erlefried schleppte sie. Das aufstrebende Feuer warf ihnen durch das Gehölze manches Streiflicht vor die Füße. Aber als der Wald finsterer wurde und ringsum die stille Nacht war, da ließ der junge Mann seine Last auf das Moos gleiten.

Regungslos, athemlos lag sie da. War sie ohnmächtig? War sie todt? – Nun kniete er neben ihr und das heißersehnte Weib lag vor ihm. Wo aber war seine glühende Begierde nach einem Kuß! Eiskalt wehte es ihn an, eiskalt bis ans Herz. Eine andere Wärme jedoch begann da drinnen, wo Gluth und Kälte gekämpft hatte, zu thauen, und der Thau schimmerte in des Jünglings Auge. Er beugte sich über das Wesen und am Frauenmunde suchte er nun nicht den Kuß, sondern die Spur des Lebens, den Athemzug.

Sie athmete. In den Erl- und Haselnußgebüschen brach er Zweige und hüllte damit die Schlummernde ein. Zwei Schritte von ihr legte auch er sich hin und wachte, und sann nach, bei wem er wohl wache, wie das war und wie das werden sollte. Endlich kam er mit sich überein: Das ist das Spiel des Bösen; der Teufel hält Wort; aber er ist falsch, nun höhnt er mich. Für solchen Lohn, als da jammervoll und im Bettelgewand liegt, wär’ mir meine arme Seele nicht feil gewesen. Gieb mir sie zurück, Höllenhund, meine Seele will ich wieder haben!

Das Mädchen stöhnte und schlief. Erlefried wollte beten und konnte nicht. Wohl stammelte er die Worte seines Abendsegens, wo aber waren seine Gedanken? Beim Teufel. Das Gebet war todt wie ein Gerippe, seelenlos – die Seele war einem Anderen verschrieben. – Auf seiner Stirne stand der Schweiß, ein Frosthauch ging durch seinen Leib.

Dann wendete sich Erlefried auf die andere Seite und dachte, aber recht für sich und im innersten Winkel des Herzens, daß es der lauernde Satan ja nicht sollte vernehmen können: Du betrügst mich und ich betrüge Dich wieder. Ich bin noch nicht Dein, das bin ich erst zum Trawieser Gottleichnamstag, wenn Neumond ist. – Na gute Nacht und laß mich in Ruh. –

Was böses Gewissen! Das junge Blut hatte nichts Böses gethan, es sank bald in einen gesunden Schlaf.

Stundenlang war Frieden, da weckte ihn ein seltsames Krachen und Brausen auf. Erlefried sprang empor, hörte es, sah es: rother, wogender Schein ringsum – das Feuer war da. Es war kaum noch Zeit, das Mädchen aus seinem Schlafe zu reißen; sich zu besinnen aber, ob es nicht besser wäre, dieses Teufelsspiel hier liegen zu lassen und allein zu fliehen, dazu war gar nicht mehr Zeit. Weder an Gott noch Teufel denkend, zog er die Taumelnde mit sich fort, da über ihren Häuptern die Funken flogen.

Sie entkamen der Gluth, aber nicht der Noth. Tagelang irrte Erlefried rast- und rathlos mit dem blinden Mädchen umher. Hunger bei Tag und Frost bei der Nacht waren ihre Genossen. Erlefried sah an dem Mädchen nun nichts Anderes mehr, als ein sieches, elendes Wesen, das er nicht verlassen konnte. Wohin aber mit ihr sich wenden? In Trawies durfte er sich nicht zeigen, er wußte auch, daß man dort alles suchen dürfe, nur nicht Hilfe. Sollte er in das Haus des Bart zurückkehren? Der Bart wird ihn fragen, woher er diese Begleiterin habe, Sela wird ihn fragen, wieso er zu diesem Geschöpfe gekommen sei? Kann er sich verantworten? Wird es nicht an seiner Stirne stehen, so wie sein Name blutig auf dem Felsklotz in der Wildniß steht, wie weit es mit ihm gekommen ist. Er kann der Geliebten nicht mehr ins Auge blicken, er kann nicht mehr zurück in das Haus seines Nährvaters. Soll er sich im Walde herumtreiben, sich und seine Genossin mit wilden Früchten nähren? Der Wald brennt und alles Lebendige, das noch in ihm ist, flieht. Kann er den Flammenring überschreiten und bettelnd durch das Land ziehen? Draußen drohen die Pfähle. Und doch, wenn er will, er kann’s, nur verlassen kann er das Mädchen nicht, das er auf so seltsame Weise gefunden hat.

Es ist ihm eine harte Last, das leugnet er sich nicht.

Mancher der das paar schwerfällig dahinwandeln sieht, oder wortlos sitzen auf einem gestürzten Strunk, denkt sich allerlei, nur nicht das Richtige. Daß sie Bruder und Schwester sein könnten, daran denkt Keiner – es wäre ein langweiliger Gedanke.

Das Mädchen hatte den Erlefried gefragt, wer er sei.

»Ich heiße Erlefried und bin des Schreiners Wahnfred Sohn,« antwortete der Jüngling rasch und freute sich, daß sie redete.

»Des Schreiners vom Gestade?« lispelte sie nachdenkend, »das ist ja Der, welcher den Pfarrer umgebracht hat. Und Du bist sein Sohn Erlefried?«

»Der bin ich.«

»Bist Du es wirklich?« Sie befühlte seine Hand, sie betastete seinen Leib. »Bist Du es wirklich?«

»Ich bin’s; weshalb sollte ich’s nicht sein?«

Hierauf antwortete die Blinde: »Ich habe es ja geahnt, daß ich gestorben bin.«

»Ich lebe, so wie Du lebst – in der anderen Welt.«

So sprach sie, dann schwieg sie stundenlang und brütete und ließ sich willenlos von ihm leiten. Er war nun überzeugt, daß sie dem Irrsinne verfallen, und jetzt wuchs sein Mitleid.

In einer verlassenen Hirtenklause des Birstling hatten sie sich niedergelassen und der Jüngling sammelte Brombeeren, Preiselbeeren und andere Waldfrüchte, die er zu kochen wußte.

Als Bertha das Herdfeuer fühlte, begann sie zu weinen. Auf seine liebevolle Frage nach der Ursache antwortete sie, daß sie an ihre Mutter denke. »Wir müssen ihr ja begegnen, sie ist schon lange da. Wenn Du sie siehst, so führe mich zu ihr.«

Und nach einer Weile fragte sie: »Weißt Du, was mit Deinem Vater geschehen ist?«

»Der lebt auf dem Johannesberg.«

»So!« Rief das Mädchen und richtete sich auf, »dann hat er auch meine Mutter umgebracht. Sie hat auf dem Johannesberg gewohnt. O, Ihr seid Mörderleute. Erlefried, geh und laß mich allein! Bin ich denn verdammt, daß ich mit Euch muß sein!«

Und einmal, während sie aß, lachte sie auf und rief: »Ich will mich hell verwundern, daß hier Vieles noch so ist, wie es dort gewesen. Hast denn auch Du Hunger? Willst auch Du noch essen und trinken? Schau, und bist lang schon gestorben.«

»Wer hat Dir gesagt, daß ich gestorben bin?«

»Das haben die Trawieser Leut’ gesagt, und daß Dich beim Bart vom Tärn die Räuber hätten erschlagen.«

Nun freilich war ihm wenigstens ein Theil ihrer wunderlichen Worte klar. Allmählich offenbarte aich ihm diese arme Seele ganz. Ja, sie bildete sich in ihrem Wahne nichts Anderes ein, als daß sie im Fegefeuer sei, und er vermochte es nicht, sie zu erleuchten.

Dann athmete sie doch wieder auf und griff mit ihren Händen in die Luft hinein und murmelte: »Ja, das ist ganz wieder, wie das süße Leben. Wüßte ich nur, ob ich das Sterben noch vor mir habe!«

Er wußte es. Nur das wußte er nicht, ob er sie erfreuen oder betrüben würde, wenn er ihr die Wahrheit sagte. Und weiß auch kein Mensch, wie es besser wäre, den Tod vor oder hinter sich zu haben.

»Du mußt jung und schön sein,« hauchte sie ihm einmal zu, »ich möchte nur wissen ob dahier in der anderen Welt das Liebhaben auch Sünde ist.«

»Traurig, wenn’s keine wär’,« bemerkte der Bursche und spielte mit einer Kohle, »nicht sündig – nicht lustig.«

»Du hast auf der Welt gewiß eine Liebste gehabt?«

»Kind, ich habe sie noch,« antwortete er, »und will sie erst recht haben.«

Darauf schwieg sie, schwieg und weinte die ganze Nacht. Erst gegen Morgen wurde sie still und Erlefried, der auf seinem Lager aus Heidekraut eine peinvolle Beklemmung empfunden, konnte nun schlafen. Als er erwachte, lag die durch die offene Thür fallende Sonnentafel auf seinem Bette. ‘s ist heller Tag, wie ganz anders schaut jetzt wieder die Welt aus, als in der schweren finsteren Nacht! Die Bangniß ist weg, der Kummer verschwunden.

Des blinden Mädchens Ruhestätte war leer. Hat sie sich hinausgetastet und sitzt auf dem Stein, um im freien Morgen des Leidens zu vergessen? – Erlefried erhob sich und trat aus der Hütte. Aber das Mädchen sah er nicht. Im thauigen Grase folgte er den Spuren menschlicher Tritte, sie führten im unregelmäßigen Zickzack zwischen Bäumen hin, an Büschen vorbei und endeten an einem schroffen Abhang.

Tief im Grunde lag sie – auf blutigen Steinen.

Es ist nicht offenbar, wie die unglückliche Bertha den Tod gefunden. Hat sie ihn gesucht? Dann muß sie an jenem Morgen bei Vernunft gewesen sein, denn in ihrem Wahne hatte sie ja schon in der anderen Welt gelebt. Wollte sie, die Blinde, vor Erlefried fliehen, weil sie ihn haßte oder – liebte? und war sie auf ihrer Flucht verunglückt?

Erlefried wollte laufen, so weit ihn die Füße trugen, so unheimlich war ihm. Als er sie berührt hatte und sah, wie sie starr und kalt war, vermochte er keinen Blick mehr auf ihr Angesicht zu werfen. Er riß Fichtenäste ab, im Birstling waren sie noch grün und buschig, und bedeckte mit denselben den Leichnam, bis nichts mehr zu sehen war, als ein Hügel von Reisig auf dem Felsgrund. Dann begann er und trug Steine zusammen, so groß, als er sie zu schleppen vermochte, und baute um den grünen Hügel einen Wall und deckte ihn mit Steinen, bis ein breiter, hoher Kegel dastand, zu dessen Spitze er selbst kaum zu reichen vermochte, als er – am dritten Tage seiner Arbeit – den letzten Stein darauf legte. Das war ihr Begräbniß. Ein anderes konnte ihr Erlefried nicht geben, denn er hatte weder Spaten noch Hacken, um ihr ein Grab zu graben.

Und als er diese Gruft vollendet steckte er als stilles Bekenntniß, daß er weder sich noch die Todte als verloren betrachte, ein hölzernes Kreuzlein auf die Pyramide, und der erste Beter, der vor diesem Kreuze kniete, war er selbst. Es hatte sich in die Tiefe seines Herzens Angst eingenistet seit jenem Abende, da er Blutstropfen auf den grauen Stein fließne ließ; aber das Kreuz war immer noch seine Zuversicht und sein Vertrauen.

Dann verließ Erlefried die Todtenhütte im Birstlingwald und kehrte nie mehr zu ihr zurück. Die jüngsten der Bäume, die damals in diesem Walde sproßten, sind heute als der Urstämme älteste im Vermodern, aber unter einem Felshange ist noch der Steinhügel mit Rasen und Schlingpflanzen überwachsen zu finden, unter welchen eines der unseligsten, unschuldigsten Opfer des verworfenen Trawies begraben liegt.

Erlefried wandelte im Wald dahin. Die Rauchschichte über dem Tärn war endlich vergangen. Leute, die ihm begegneten, hatten bestürzte Gesichter und erzählten, daß in Trawies der Spaß jetzt aufgehört habe. Sie erzählten vom großen Sterben.

Ob die Seuche auch auf die Höhen des Bart am Tärn gedrungen sei?

Das Haus des Bart stehe leer, berichtete man ihm, die Inwohner seihen geflohen.

Jetzt war das letzte Band gerissen. Erlefried sprang über die Grenze, den Flammenring geheißen, hinaus, ging gelassen an den Henkerspfählen vorbei, die an der Markung der Ortschaften und Schlösser standen, und sprach in den Häusern zu. Er bat um Wegzehrung und fragte überall an, welchen Rath man ihm geben könne in Bezug auf Trawies. Er sei nämlich auf dem Wege nach Trawies.

Was er dort suche?

Er sei von dort gebürtig, sei aber in seiner frühen Kindheit durch einen Vetter, der Priester gewesen, nach Neukloster gebracht worden und die Zeit her dort Laienbruder gewesen. Aber sein unglückseliger Heimatsort, was man von ihm höre, dauere ihn gar sehr, er könne es nicht glauben, daß die Trawieser Leute so sehr entmenscht geworden, und seine Absicht wäre, zu gehen, um die Dinge zu untersuchen und vielleicht eine Vermittlung und Rettung anzubahnen für das, was noch zu retten wäre.

Man rieth ihm entschieden ab. Trawies sei eine Räuber- und Mörderhöhle, da lasse sich gar nichts machen, als auf der Hut zu sein, daß Keiner hervorbreche, des Weiteren aber ruhig abzuwarten, bis sich die Rotten und Banden gegenseitig selbst vertilgt hätten. Vielleicht auch übernehme es ein Größerer, der gottlosen Brut noch eher, als man glaube, ein Ende zu machen.

Mit anscheinendem Widerwillen gab dann der schlaue Bursche seinen Plan, nach Trawies vorzudringen, stets auf, indem er anscheinend den Rückweg antrat, während er doch immer vorwärts kam hinaus ins Land, wo sich die Gefahr, als Trawieser erkannt und gerichtet zu werden, mit jedem Tag verringerte.

Endlich war er auf der Ebene und die Berge seines Waldlandes standen nun in fernen, blauen Zacken. In einem großen Meierhofe fand er Platz als Knecht, und dort verbrachte er den Winter über ein geregeltes, arbeitsames Leben.

Wie oft dachte er an Sela! Und da machte er an sich eine Erfahrung, die ihm viel zu sinnen gab, und gern hätte er wissen mögen, ob es Anderen auch so ergehe. Nur wenn sein Gram schwieg, wenn er sich zufrieden fühlte, konnte er mit heißer Sehnsucht an das Mädchen denken. War ihm weh, flog ihn die Stimmung der Trostlosigkeit an, da wollte ihm Sela’s Bild schier vergehen.

Wer frägt, ob das die rechte Liebe ist, dem sei die Antwort: Ja. Die Liebe will nur glücklich machen und Seligkeiten des Herzens verschenken. In Elend und Jammer hat sie keinen Boden und keinen ihr eigenen Wirkungskreis. Sie mag dem Geliebten das leid ab- und es auf sich nehmen, aber sie wird schwer in ihm einen Mitträger eigenen Schmerzes suchen. Das Glück wird der Liebende dem Geliebten geben; das harte und Wehe wird er in sich selbst vergraben, wird sich absondern, wird vielleicht nach dem Freunde suchen, der ihm tragen hilft. Die Liebe für sich liegt zu solcher Zeit im Winterschlafe, wie Vöglein den Winter über in hohen, blätterlosen Bäumen schlafen. Und einst, wenn Frühling wird und es wieder Freude zu verschenken giebt, wach sie auf. – Echte Liebe sucht sich nur fürs Glück Gefährten.

Der Dienstherr war mit dem flinken, fleißigen Burschen wohlzufrieden, aber dieser selbst war es mit sich nicht. Eine Unruhe war in ihm, gerade so, als ob der böse Feind in ihm Hause. Erst seit dem letztvergangenen Herbste fühlte er, daß Gott verloren war – für Trawies und für ihn selbst. Allerlei Begierden und Leidenschaften waren wach; er suchte sie nicht mehr zu bekämpfen, denn er wußte, wem er sich verschrieben. Tagsüber verfolgte ihn eine tiefe Bangigkeit, ohne daß er den Grund derselben kannte, und des Nachts schreckte er oft plötzlich vom Schlafe auf, als hätte sich eine kalte Hand an seine Brust gelegt.

Jene süßen Träume aus der Kindeszeit am Gestade, von seinen heiteren Spielen, in welchen er eine Welt gefunden, von seiner Mutter, welche ihn geleitet wie ein Engel, von seinem Vater, in dessen religiösen Gesprächen er den Himmel offen gesehen und darin in ewiger Majestät sitzend den großen heiligen Gott – diese Träume, die ihn sonst fast jede Nacht heimgesucht hatten, um dem Jüngling, dem verbannten Sohne eines verbannten Vaters, stets ein Stück jener goldenen Zeit wieder zu bringen, sie waren seit dem Tage, da er sich im Rausch der Begierde auf den grauen Stein schrieb, nicht mehr erschienen. Die Vergangenheit war ihm ein versunkenes, verlorenes Paradies. Dafür hatte etwas ganz Anderes Besitz genommen von seinen nächtlichen Stunden. Da kauerte an seinem Bett der alte Roderich mit den stechenden Augen. Anstatt den Händen hatte er Klauen und mit diesen Klauen schürte er glühende Kohlen auf einen grauen Stein, und aus der Gluth rieselten Blutstropfen hervor. Dann wieder grinste der Alte zu Erlefried auf und flüsterte ihm lüsterne Worte zu und stäubte aus den Kohlen Funken auf seine Glieder, daß diese zuckten und der Schläfer erwachte und Fiebergluth in sich empfand, daß er meinte, er müsse aufspringen und nach Genossen suchen, um den brand zu bekämpfen.

Wieder ein andersmal lag es wie ein Berg auf seiner Brust und erwachend hörte er eine laute Stimme: »Thust Du, was Du willst, Du bist mein!«

Die Leute, mit denen er war, hatten den hübschen, stillen, gutmüthigen Burschen alle gern; aber zwei Kinder waren im Meierhofe, die schlossen sich ihm nicht an, sie fürchteten sich vor ihm. Sie fühlten es, daß seine Heiterkeut eine erzwungene, sein Spiel mit ihnen ein seelenloses war. Er stierte oft so wunderlich vor sich hin, dann lachte er wieder so grell auf, dann war er wieder so blaß – er war ihnen unheimlich.

Wenn das Gesinde zu Tische oder zum Abende laut betete, daß die Stimmen wie Glockenläuten melodisch ineinander klangen, war seine Stimme gedämpft oder übermäßig laut und seine Finger klammerten sich krampfhaft aneinander. Asu der Kirche kehrte er jedesmal trübsinniger zurück, als er in dieselbe getreten war. Anfangs that ihm Glockenklang und Orgelton und der in Weihrauch mild verschleierte Kerzenschimmer unsäglich wohl. Er fühlte sich neu geboren und neu getauft. Aber als er einst am heiligen Tische kniete und der Priester auf seine Zunge die Hostie legte, da wurde es dunkel vor seinen Augen, er bedeckte sein Angesicht mit den Händen, wankte und murmelte: »Jetzt habe ich den Tod gegessen.«

Am heiligen Ostersonntage war’s, da hörte er eine Predigt von dem todten und begrabenen Heiland. »Ihr Menschen, die Ihr ihn mit Eurer Sünde getödtet und begraben habt; Ihr verlaßt die heilige Gruft und geht den Weltfreuden nach. Aber zwischen den Schätzen und der Luft dieser Welt werdet Ihr glücklos irren, werdet hungern und dürsten und nicht gesättigt sein, werdet Euch selbst verzehren, werdet verloren und verdammt sein. Selig, der noch zu seiner Stunde umkehrt zu seines Heilandes stillem Grab. Die Thränen der Reue werden tönend auf die Felsgruft fallen und den Heiligsten erwecken. Er wird auferstehen und seine Liebe und Gnade dem Menschenkinde wieder schenken. Darum, Du armer, gottloser, gottverlorener Sünder, heute, an diesem glorreichen Tage des Sieges wende Deine Wege, kehre um, und dort suche Deinen Gott, wo Du ihn verloren hast.«

Diese Worte des Predigers schlugen tief in das Gemüth des träumerischen Jünglings und er beschloß, zurückzukehren nach Trawies. Er sagte sich, daß er Antheil habe an der Schuld seiner Heimatsgemeinde, und, daß er ein treuloser Wicht sei, wenn er sich der Sühne entziehen wolle. Stets gefesselt im Wahne, dem Bösen verfallen zu sein, war er nun entschlossen, sich demselben wieder zu entringen, jenen Namen, den er auf den stein geschrieben, auszulöschen.

Andererseits hatte ihn, das Kind der Berge, Heimweh erfaßt, Heimweh, die dämonische Macht, die schon Manchen aus besseren Gehenden in die Leiden und das Elend der Heimat zurückgezogen hat. endlich hatte ihn die Sehnsucht gepackt nach dem Hause des Bart am Tärn und seinen Bewohnern, die Sehnsucht nach Sela, der lieben Verlassenen. Sie muß ihm verzeihen, sie ist sein Engel, in ihre Arme will er sich flüchten ...

Erlefried trat vor seinen Dienstherrn hin: »Habet Dank für das Gute, das mir in Eurem Haus zu Theil geworden ist. Nun will ich wieder davongehen.«

»ich weiß es wohl,« antwortete der Bauer, »aber bis zur Hochzeit wirst Du Dir bei mir doch Zeit lassen.«

»Bis zu welcher Hochzeit?«

»So! Du gestehst es heute noch nicht ein? Wollt’ mich gefreut haben, Erlefried, wenn Du mich werth gehalten hättest, daß ich Deine Sach’ nicht erst von fremden Leuten hätt erfahren müssen. Aber so seid Ihr jungen Leut’, vermeint weiß was für ein geheimniß in Euch zu hüten, dieweilen weiß es der ganze Haus. Bigott, ‘s ist viel von Dir, daß Du alle Anderen ausgestochen hast, ‘s ist viel! Vermeine schier, das kommt, weil Du im Kloster bist aufgewachsen. Donners-Junge, wie Du dahstehst! Nun, ich wünsche Dir Glück, bist jung, bist brav, bist gut genug für sie.«

Der Bursche schaute drein. Mit Mühe wurde es ihm klar, was dahinter stak. Nachbar Erhard hatte eine Tochter, die schöne Trull genannt, des Bauers einziges Kind und heiratsmäßig. Aber stolz! Sie gehörte zu Jenen, die darauf aus sind, den Männern das Herz zu brechen. Sie wußte Manchen anzuwärmen, um dann plötzlich ihren Spott wie einen eiskalten Sturzbach über ihn zu gießen. Als ihr aber Keiner mehr anbiß, sagte sie ganz laut: In der Gegend gefiele ihr Keiner! Seit Erlefried in der Gegend war, sagte sie es nicht mehr. Sie lauerte dem Burschen nach und that es so auffällig, daß alle Leute es merkten, bis auf Einen: Erlefried merkte es nicht.

Und als es ihm nun laut und deutlich gesagt wurde, die schöne Trull habe ihn lieb, wollte ihn heiraten! Da kam eine wunderliche Freude in sein Herz, er wußte nicht, was er that, er lief allsogleich ins Haus des Erhard und fragte der Trull nach.

Der Erhard war nicht mehr jung, empfing den Burschen gar freundlich und konnte nicht genug sagen, wie es ihn freue, daß der junge Knecht des Nachbars, von dem er schon so viel Braves gehört habe, sich endlich einmal in seinem Hause sehen lasse. Ja so, die Trull suche er, na, die würde sich erst recht freuen, sie sei in ihrer Kammer, er möge nur eintreten. – Die Trull war nicht mehr in den Jahren, in welchem das Mädchen unwillkürlich erröthet, wenn ein junger Mann eintritt, sie erröthete daher etwas willkürlich, aber deshalb nicht minder reizend. Auch schlug sie die Augen nieder – und schön war sie wirklich. Erlefried müßte nicht vom Teufel besessen gewesen sein, hätte er den guten und braven Gedanken, mit dem er eingetreten war, ganz rein bewahren können. Aber noch rechtzeitig dachte er daran, was er sich vorgenommen hatte, und so sagte er: »Es geht, meine liebe Jungfrau Trull, ein Reden um bei den Leuten. Sie wird gewiß auch schon davon gehört haben, und wenn es wahr sollt’ sein, daß mich die Jungfrau leiden mag, so müßt’ ich mich überaus freuen. Und müßt’ mich, meine schätzbare und schöne Jungfrau, bedanken für die gute Meinung, und daß ein Mensch wie Unsereiner, dem nichts Gutes anliegt, auf dieser lieben Welt noch Anwerth hätt’. Iust einem Menschen, wie ich bin, möchte das zu tausendmal gefreuen, daß er gar nicht wüßt’, wie er den Dank sollt’ abstatten. Ich kunnt nichts Besseres dagegenstellen, Als Aufrichtigkeit. Ich wollt’ gewiß der Rechte sein und meine Pflicht und Schuldigkeit abstatten – aber ich hab’ halt mein Herz schon verschrieben.«

Die letzten worte sagte er gar wehmüthig, man weiß nicht, hat er dabei an Sela gedacht, oder an den grauen Stein im Tärn.

Die schöne Trull war rasch aufgestanden und hatte gesagt: »Was geht mich das an? Ich kenn’ Ihn nicht. Ich werde meinen Vater rufen, wenn Er sich nicht allsogleich davontrollt!«

Der alte Erhard wußte nicht, wie ihm geschah, als Erlefried still wieder abzog; und die schöne Trull, die arme Trull! Der Chronist hat unterlassen, zu beschreiben, was sie hat leiden müssen. –

Und Erlefried wanderte. Eine Weile plagte ihn das Bewußtsein, daß er hier auf dem flachen, sonnigen fruchtbaren Lande ein Glück und eine Zukunft verscherzt habe, und daß er, weiß Gott, unendlichem Jammer entgegengehe. Aber er ging doch, es zog ihn dahin, rascher und rascher stürzte er der unseligen Heimat zu. Nun fragte er Niemanden mehr, wie man ihm wohl rathe. innerlich erbebend vernahm er Kunde von dem Grassiren des schwarzen Todes in Trawies, aber er ging unaufhaltsam vorwärts. trübe und zornig flutheten ihm vom Gebirge her die Frühlingsbäche entgegen, die Bergeshöhen blinkten noch im Schnee, aber darüber lag das unendliche Blau, mit leichten Wolkenschäumen durchzogen, und über dem Haupte des Wanderers zogen die Schwalben gleich ihm den waldigen Bergen zu.

Wohl dehnte sich dort über weite Höhungen hin eine graue, todte Fläche, auf welcher kein Baum stand, sondern hie und da gar gespenstig ein schwarzer Strunk aufragte. Das war der Tärn. Selbst das Kreuz, welches nach dem Sterben des Waldes noch lange auf der einsamen Höhe gestanden war, hatten die Stürme des letzten Winters geknickt, hingeworfen das letzte Zeichen von der christlichen Gemeinde, die einst im Frieden der Berge hier gelebt. Erlefried war manchen Tag und manche Nacht gewandert; die Tage waren lieblich, es war in den Maien; die Nächte waren finster, es war zur Neumondzeit.

Endlich hatte er die Grenze erreicht. Er stand still und schaute noch einmal in die weite Welt hinaus, noch gehörte er ihr, noch war er frei. Es war ihm zu Muthe, wie dem Selbstmörder, der am Rande des Abgrundes steht: noch einmal schaut er ins Sonnenlicht, noch einmal schreit er auf: Ich kann nicht anders! Und stürzt sich in die Tiefe.

Als Erlefried die Markung von Trawies übersprungen hatte, stieß er einen schrei aus, der war wie ein Jauchzen. Mit dem Fuß stampfte er auf die Erde, das war wieder Boden! Heißer rollte in seinen Adern das Blut. Das bange Gefühl des Verlorenseins war weg; hier wird ihn der Böse nicht mehr tückisch umlauern, im Schlaf überfallen, hier wo der Teufel daheim, mag er ihm ganz offen entgegentreten und das ist besser. Er soll ihn in Ruhe lassen, noch ist in Trawies nicht Gottsleichnam! Und wird niemals sein; so wie Wahnfred neue Wege baut, um Trawies in den Himmel zu führen, so wird’s auch sein Sohn. Erlefried will seinem Vater Genosse werden und die neue Straße zu Gott soll nicht mehr über Charfreitag und Frohnleichnam führen.

Als Erlefried vom Bergsattel, das Scharfeck genannt, gegen die Engthäler von Trawies niederstieg, hatte er zur Rechten den in jungen Maien mit üppigem Haselgebüsch überwucherten und weiter hin im dunklen Tannengrün stehenden Birstling, und zur Linken die grauen, muldigen Flächen des Tärn, über welchen das Wildwasser stellenweise tiefe Furchen und Löcher gerissen hatte.

Im Engpasse, wo der Dürrbach rieselte, waren Männer, die arbeiteten. In Trawies arbeitende Menschen! Das war ein gutes Bedeuten. Sie räumten einen alten, in den letzten Jahren durch Verschüttung und Überwucherung unfahrbar gewordenen Weg aus. Die großen Steine schafften sie seitab, die kleinen zerschlugen sie mit eisernen Schlegeln, krauten dann Erde d’rauf und überlegten alles mit Moos und Rasen. Sie waren emsig dabei, und dort, wo die Engschlucht endet und eine Wand aufsteigt, und wo hoch am Hange die Bäume überhingen, daß es in der Schlucht schier dunkel war, dort bauten sie au Steinen eine Art von Tisch.

Einer der Männer hatte sich aber abseits gestohlen und streckte im gebüsch alle Viere von sich. Diesen bemerkte Erlefried und nahte ihm. Sogleich erhob sich der Faulenzer, aber Erlefried sagte ihm, er möge sich seinetwegen nicht aus der Ruhe bringen lassen, er wolle nur fragen, was man vorhabe, daß in diesem Wildgraben ein so schöner Weg angelegt werde?

»Bist Du kein Dasiger?« Fragte der Mann.

»Ich komme von draußen.«

»So! Na, da sollt’ man Dich eigentlich todtschlagen. Wenn Unsereiner hinausgeht, so geschieht’s ihm auch. Aber neu Zeit haben wir uns Todte genug gesehen, ‘s ist kein Spaß mehr. Zu essen, wenn Du was hättest? Gieb’s willig, ich rath’ Dir’s!«

Der Jüngling theilte mit dem Gesellen sein Brot, das er im Sacke hatte.

»Ja!« Meinte der Buschmann und schluckte die Bissen, ohne sie zu kauen, »wenn wir wieder einmal so ein ordentlich Brot hätten!«

»Wenn man arbeitet, wie ich da sehe, so ist man schon auf dem rechten Weg dazu.«

»Ha, ha, ha,« lachte der Andere, »von dem, der uns da die Arbeit anmacht, verhoff’ ich mir nicht viel. Was meinst, fremder Prinz, für wen wir diesen Weg schlagen? Du rathest gar nicht? Thust ganz gescheit daran, wäre Schad’ um die Müh’. Das Possirliche ist nur, daß derselbe, für den wir diesen Weg machen, gar nicht darauf gehen wird.«

»Also fahren.«

»Das ist dir gar ein bequemer Herr! Tragen läßt er sich! Da hockt er und flunkert und frißt, frißt fort und fort, frißt unaufhörlich, nicht ein fingerlang Zeit, sag ich Dir, kann er leben, wenn er nichts zu fressen hat,«

»Was das nur für ein wunderlich Thier sein mag!«

»Das ist kein Thier, mein junger Herr! bis Du ihn erst kennst, wirst Du Respect vor ihm haben. Will dir’s sagen: es ist der neue Gott. Ja, Kind, Du großes! der neue, der brennende Herrgott ist’s. Ist kürzlich erst aufgebracht worden. Gelt, da weiß man doch wahrhaftig nicht, soll Einer lachen oder winseln.«

Erlefried hatte draußen schon vernommen, daß die Trawieser Leute Feueranbeter geworden wären. Er hatte sich anfangs vor dieser Botschaft entsetzt, bei näherem Nachdenken jedoch gefunden: Warum denn nicht? Müssen wir schon von ihm ein sichtbares Zeichen haben, so ist eins so gut wie das andere.Ja, eins ist sogar besser. Das Wasser thät’s auch, aber das Feuer thut’s anders. Wenn man sich nur auch den Teufel malen könnt, wie der Will’. – läßt sich nichts machen.

»Der alte Glaube ist nichts nutz gewesen,« bemerkte der Buschmann, »dieweilen das Feuer voreh in der Höll’ ist gewesen, thun wir’s jetzt in den Himmel. ‘s ist so besser. Wir richten uns die Höll ein, wie wir sie brauchen. Versengen läßt sich Keiner gern. Da hat er ganz Recht, unser Schreiner, nächst Zeit, verhoff’ ich, bricht er dem Teufel die Hörner ab, daß er nicht stoßen kann.«

Wäre mir nicht unlieb, dachte sich Erlefried, doch, wie es jetzt ausschaut, hat er über mich noch lange keine Gewalt.

»Mein Brot hast gegessen,« sagte der Bursche, »und ich weiß noch immer nicht, wie Euer neuer Gott zu diesem Wege kommt.«

»kannst Dir’s nicht denken?« Rief der Buschmann, »für das, daß Du von draußen kommst, hast just nicht gar viel Religion. Habt ihr herren von draußen morgen nicht Gottsleichnam? Ich denk’ wohl. Und wir herinnen auch. Desweg ist’s ja, daß wir einen Herrgott brauchen, daß wir unsere Feiertage und festbarkeiten haben. Wir thun’s aber bei der Nacht, muß ich Dir sagen, denn bei Tag hat unser Herrgott keinen Glanz. In der heutigen Nacht halten wir unser Fest. Dies Jahr trifft sich’s gar recht gut, ist die Gottsleichnamsnacht kohlrabenfinster, ganz ohne Mondschein. Der Umgang ist der Brauch, so tragen wir unseren Neuen da in den Berggraben herauf und dort auf den steinernen Tisch – die Lotter, die faulen, haben ihn noch nicht fertig – zünden wir ihn an, daß er Dir schon brennen wird, wie der Teufel. Die Weiber singen ihm Eins vor und so wird’s recht unterhaltlich werden. Du bist sicherlich auch dabei?«

Der arme Erlefried. Bei Neumond Gottsleichnam zu Trawies, und schon in dieser Nacht!

»Nein!« rief er jetzt aus, »das ist Götzendienst, das darf nicht sein!«

Der Andere blickte den aufgeregten Burschen zwinkernd an und murmelte: »O Du Häuflein Menschenfleisch, was willst den Du mit uns?«

»Ich bin verloren!« Sagte Erlefried und warf sich auf den Erdboden. Vor seiner Seele stand das grauenhafte Wahnbild, das in jenen finsteren Tagen den Menschen so verhängnisvoll angeboren oder angelebt worden war. Er wälzte sich auf dem Boden und wimmerte, daß sogar dem faulen Buschmann angst und bange wurde.

»Was hast denn so jäh?« fragte er, »schier möcht’ man vermeinen, die Pest!«

»Die Pest!« sagte Erlefried, »guter Mann, wenn es weiter nichts wäre, wie wollt’ ich meinem Gott danken.«

»O Jesu Christi, kann denn noch was Ärgeres sein?«

»Die ewige Pest, die höllische Pest! Laß mich, Laß mich fort, Du kannst mir doch nicht helfen.«

Der Andere hielt ihn aber fest am Arm und murmelte zwischen den Zähnen: »Auslaß ich Dich nicht. Jetzt möcht’ ich schon wissen, was hier dahintersteckt.«

»Gut, ich sag’ Dir’s,« stieß Erlefried hervor und wischte mit dem Ärmel die Tropfen von der Stirne, »’s ist ja weiter kein geheimniß, gehört zu Eurem Fest. In der heutigen Nacht holt mich der Teufel.«

Der Andere lachte auf, weil er das Wort für nichts weiter, als eine Redensart hielt. Aber Erlefried belehrte ihn bald eines Besseren. Er erzählte dem mit unendlicher Neugierde und auch mit Theilnahme zuhörenden Buschhocker, daß er sich mit Blut auf den Teufelsstein geschrieben, daß er den Bösen seither oft nächtlicher Weile gesehen habe, und daß nach Wort und Schwur am grauen Stein der Teufel an dem Tage, da in Trawies wieder Gottsleichnam gefeiert werden, von ihm Besitz ergreifen könne.

Der Andere faltete seine Hände über das Knie und sagte kopfschüttelnd: »Das ist bös! Das ist sehr bös!«

»Meinst,« fuhr Erlefried fort, »daß die Trawieser Leut’ meinetwegen aus Nächstenlieb’ die Prozession unterlassen würden?«

Jetzt lachte der Buschmann hell auf. »Man merkt es wohl, mein schöner Jüngling, von wannen Du kommst, die Trawieser Leut’ kennst Du nicht. Wenn sie wissen, daß es noch extra ein Spectakel giebt, halten sie die Procession doppelt so gern. So was macht ja die Feuerlichkeit noch größer.«

»Du kannst mir nicht rathen,« sagte der Bursche und wandte sich.

»Wohl nicht, nur will ich mich besinnen –«

»Laß Dein Besinnen, Dich geht’s weiter nichts an.«

»Daß Du nicht bei Laune bißt, junger Mann, das kann ich mir denken, nur mußt ein Freundeswort nicht gleich in den Wind schlagen. Und seit ich weiß, daß Dich der Teufel holen will, bin ich Dein Freund. Wir zwei, wie wir da liegen im Haselbusch, wir sollten dem schwarzen Schelm doch eine Nase drehen. Bei Deiner Jugend müßt’s ein Wunder sein, wenn Du nicht etliche Tropfen überflüssiges Blut hättest.«

»Was willst sagen?« fragte Erlefried seelenlos.

»Weil ich ein Mittel weiß. Mit Deinem Blut, sagst, hättest Du Dich am Teufelsstein unterschrieben? Ich frag’ nicht, warum, das möchte Dich jetzt leicht verdrießen, ich sag’ nur: soll die Unterschrift null und nichtig sein, so muß sie wieder mit Blut abgewaschen werden.«

»Wäre das wahr?« fragte Erlefried gespannt.

»Ich hab’s hundertmal gehört und in der Geschichte vom Räuberhauptmann ist’s auch so. Der hat eine ganze Truhen voll Messer gehabt. Und mit jedem von diesen Messern hat er einen Menschen umgebracht. Und wie der Tag kommt, daß ihn der Teufel sollt holen, nimmt er ein Messer ums andere und schneidet sich mit jedem ein Stück vom eigenen Leib, und so lang, bis er todt zusammengefallen ist. In demselben Augenblick ist aus seinem Herzen eine weiße Taube gen Himmel geflogen und der Teufel hat das leer Nachschauen gehabt. Du mein junger Herr, wie Du dastehst, schaust mir nicht aus, als ob du so viele Leut’ aus der Welt gesetzt hättest, das umgekehrte Theil schon eher, so wirst auch nicht viel Stück Fleisch von Deinem Leib schuldig sein worden. Nimm Dir einen Finger ab, wirst damit löschen genug.«

»Ich weiß, was ich thue,« sagte Erlefried, stand auf und ging davon.

Die Gedanken gewannen bei seiner phantastischen Natur rasch Gestalt. Die Rettung seiner Seele ging ihm über alles. War die Erde auch verloren, so wird er doch in einer anderen Welt seiner Sela wieder begegnen. Hienieden darf er ihr nicht mehr vor Augen treten. Selbsterlösung aus sündigen Banden! Das ist jetzt sein Gottbekenntniß, sein Weg zum Himmel. Er eilt durch den Wald, er eilt über die Steppe, er eilt dem grauen stein zu, wo sein Name steht.

Er will den Namen löschen mit Blut.

 

Auf dem grünen Waldanger liegt der Stein noch heute. Er ragt wie ein kleines Haus und hat stumpfe Ecken und verwitterte Flächen. Er konnte nicht aus der Erde herausgewachsen sein, wie sonst die Leute sagen, wenn durch allmähliches Wegschwemmen des Erdreiches Steine immer mehr bloßgelegt werden. Dieser scheint im Gegentheile immer mehr in den Grund zu wachsen, als müsse er nach dem Volksworte »vor Schand’ neun Klafter tief in die Erde sinken«.

Ursache mag er haben, sein Leumund ist darnach. Häufig begegnet man in den Alpen der Sage, daß der Teufel, dem für den Flug in den Himmel die Flügel zu sehr gestutzt worden waren, von der Erde bis ins Reich Gottes eine Stiege bauen wollte, um es wieder zu erobern. Diese Mär ging auch hier. Auf die Spitze des Trasank soll der Teufel von weit und breit das Baumaterial zusammengeschleppt haben. Als der dann baute und mit seinem Bau ins Firmament hinauf kam, war’s dort so fest gewölbt und die Sonne und die Sterne blendeten den Schwarzen derart, daß er sein Unternehmen aufgeben mußte. Darüber arg erbost, schlug er mit seiner Faust so heftig inden Bau hinein, daß die Trümmer in alle Enden flogen. Einer dieser Steine fiel dann in den Wäldern von Trawies zu Boden und wurde der Teufelsstein genannt, und trägt diesen Namen bis auf den heutigen Tag. Für Trawies hat dieser Stein aber noch obendrein grauenhafte Bedeutung gewonnen, da der Wahn herrschte, daß Jeder, der mit eigenem Blute seinen Namen auf den Stein schreibe, die Erfüllung seiner Wünsche erlangen könne, nach einer bestimmten Zeit jedoch dem Teufel verfallen sei.

Jahrhunderte lang mochte auf dem Felsblocke nichts als Moos zu sehen gewesen sein. Aber zur Zeit der Verbannung schabte man die Flechten los, grub die in den Spalten keimenden Pflanzen aus und legte die Flächen bloß. Bald waren sie bekritzelt von oben bis unten, seltsame Worte und Zeichen prangten in rostiger Farbe. Heute ist bis auf wenige dunkelrothe Spuren, die mancher Waldgänger noch für Menschenblut hält, alles weggespült.

Diesem Steine nun war unser Erlefried zugeeilt, jetzt wie vor einem Jahre.

Die Waldgegend war schon abendlich. Am Himmel zogen sich leichte Nebelbänke; es war nicht sonnig und es waren auch keine scharfen Schatten. Es war eine stille ernste Stimmung und die Baumzweige und die Farrenkräuter waren wie versteinert.

Erlefried hatte sich an einen gewaltigen Strunk gelehnt und starrte hinaus in die Welt. Er sah die Spitze des Johannisberges, zu dessen Fuß das liebe gestade lag. Er sah die Hänge des Trasank, an welchen er als Knabe flink und lustig wie eine Gemse herumgeklettert war. In jenem engen Thalkessel kiegt das kleine Trawies, wo er einst heilige Worte von Gott vernommen, und den Glockenklang und den Orgelton. Alles verklungen. Dort sag er die Höhe, hinter welcher das Haus des Bart lag und im Vordergrund ragte die kahle Kuppe, auf welcher das Kreuz gestanden, zu dem er mit Sela im vorigen Herbste gezogen war.

»O, könnte ich es noch einmal haben, mein liebes Leben,« so schluchzte der junge Mann und verhüllte sein Angesicht. »Alles leiden vom Gestade an, wo ich Kind gewesen bis zum Kreuz im Tärn, ich wollte es gern noch einmal tragen, ich bin so glücklich gewesen. O Du mein ewiger Herrgott, laß mich noch einmal anfangen, das zweitemal will ich den rechten Weg finden. Da unten kommen sie jetzt zusammen, um Dich im Fuer anzubeten. Bist Du jenes Feuer, das den zu Tode gehetzten Reiher verzehrt und aus der Asche den jungen Phönix erweckt, so bete ich mit ihnen! Ich will noch nicht Erde werden, o heiliger Gott, ich will noch nicht ins unbekannte Land, ich möchte so gern leben.«

Es war keine Antwort und allmählich ging der Tag in die Dämmerung über.

Erlefried raffte sich auf: »Es giebt keine Umkehr und keine Wahl, es muß sein.«

Mit einigen Schritten stand er vor dem Felsblock.

Er stutzte. Auf dem Steine eine Menschengestalt. Ein Mann war’s, der hatte flachsgelbe, aus einer weißen Wollenhaube an beiden Seiten des Gesichtes lang herabhängende Haare, gelbe Augenbrauen und wasserlichte Äuglein, eine lange Spitze Nase und ein spitziges Kinn. Den Mund hatte er zusammengekniffen und schmunzelte so in sich hinein. Dabei ließ er die nackten Füße – das leinerne Beinkleid war bis zu den Knien aufgewunden – über den Stein hinabgängeln. Ein Hirte mochte es sein. Er saß auf dem Fels, wo Erlefried’s Name war. Der Jüngling stand hinter einem Baum und wollte warten, bis sich der flachsgelbe Mensch entfernen würde. Aber dieser blieb sitzen und trillerte ein Liedchen ums andere und ließ die Beine hin und her baumeln.

Die verhängnisvolle Nacht zog immer höher herauf und alles dunkelte. Da war keine Zeit zu verlieren, und, wie oft genug erzählt worden, der Böse findet sich genau zur Stunde ein. Wenn er aber schon dort säße und wartete? In Jäger und Hirten verkleidet er sich gern. – Der auf dem steine trillerte:

»Lieber Freund, ich frage Dich,
– Lieber Freund, was fragst Du mich?
Sag mir, was ist Eins?
– Eins und Eins ist Gott allein,
Der da webt und der da schwebt
Im Himmel und auf Erden.«

Erlefried athmete auf. Der Teufel ist es nicht. Er trat hin und fragte den Hirten: »Was machst Du da?«

»Ich singe mein Abendgebet,« atwortete Jener gleichmüthig und trillerte weiter:

»Lieber Freund, ich frage Dich.
– Lieber Freund was fragst Du mich?
Sag mir, was ist Zwei?
– Zwei Tafeln Mosis,
Eins und Eins ist Gott allein,
Der da lebt und der da schwebt
Im Himmel und auf Erden.«

»Bist keiner von den Feueranbetern, daß Du noch das alte Lied hast?« Fragte Erlefried.

»Doch wohl, doch wohl,« antwortete der Hirt, »ich nehm’s alles durcheinander, wie’s mir just einfällt und denk’, daß ein doppelter Glauben wohl besser sein wird, als wie ein einfacher. Bei dem Lied aber sollten Zwei sein. Kannst mir helfen?«

Elrefried kannte das Lied von seiner Mutter her, es heimelte ihn an. Die Mutter hatte gesagt, dieser Gesang wäre so hochheilig, daß, wenn er auf Erden gesungen würde, die Sterne am Himmel still stünden und wie Altarkerzen leuchteten.

So konnte zu solch gefährlicher Stunde dem Burschen kaum etwas willkommener sein, als dieses Lied.

»Sing’ vor,« sagte er, »ich thu’ mit.« Der Hirt fuhr fort:

»Lieber Freund, ich frage Dich.«

Erlefried entgegnete: »Lieber Freund, was fragst Du mich?«

Der Hirt: »Sag’ mir, was ist Drei.«

Erlefried: »Drei Patriarchen.«

Beide zusammen: »Drei Patriarchen, zwei Tafeln Mosis, Eins und Eins ist Gott allein, der da lebt und der da schwebt im Himmel und auf Erden.«

Der Hirt: »Lieber Freund, ich frage Dich.«

Erlefried: »Lieber Freund, was fragst Du mich?«

Der Hirt: »Sag mir, was ist Vier?«

Elrefried: »Vier Evangelisten.«

Beide zusammen: »Vier Evangelisten, drei Patriarchen u. s. w.«

Der Hirt: »Lieber Freund, ich frage Dich.«

Erlefried: »Lieber Freund, was fragst Du mich?«

Der Hirt: »Sag mir, was ist Fünf?«

Erlefried: »Fünf Wunden Christ.«

Beide: »Fünf Wunden Christi, vier Evangelisten u.s.w.«

Der Hirt: »Lieber Freund, ich frage Dich.«

Erlefried: »Lieber Freund, was fragst Du mich?«

Der Hirt: »Sag mir, was ist Sechs?«

Erlefried: »Sechs steinern’ Wasserkrüg’, fünf Wunden Christ u. s. w.«

Der Hirt: »Lieber Freund, ich frage Dich.«

Erlefried: »Lieber Freund, was fragst Du mich?«

Der Hirt: »Sag mir, was ist Sieben?«

Erlefried: »Sieben Sacramente.«

Beide: »Sieben Sacramente, sechs steinern’ Wasserkrüg’ u.s. w.«

Der Hirt: »Lieber Freund, ich frage Dich.«

Erlefried: »Lieber Freund, was fragst Du mich?«

Der Hirt: »Sag mir, was ist Acht?«

Erlefried: »Acht Seligkeiten, sieben Sacramente u. s. w.«

Der Hirt: »Lieber Freund, ich frage Dich.«

Erlefried: »Lieber Freund, was fragst Du mich?«

Der Hirt: »Sag mir, was ist Neun?«

Erlefried: »Neun Chör’ der Engel.«

Beide: »Neun Chör, der Engel, acht Seligkeiten u. s. w.«

Der Hirt: »Lieber Freund, ich frage Dich.«

Erlefried: »Lieber Freund, was fragst Du mich?«

Der Hirt: »Sag mir, was ist Zehen?«

Erlefried: »Zehen Gebot Gottes.«

Beide zusammen: »zehen Gebot Gottes, neun Chör’ der Engel, acht Seligkeiten, sieben Sacramente, sechs steinern’ Wasserkrüg’, fünf Wunden Christi, vier Evangelisten, drei Patriarchen, zwei Tafeln Moses, Eins und Eins ist Gott allein, der da lebt und der da schwebt im Himmel und auf Erden.«

In gläubiger, weihevoller Stimmung hatten sie das alte Lied gesungen. Und nun funkelten am Himmel schon einzelne Sternlein.

»So,« sagte der Hirt, »jetzt brauchst Du später Dein Abendgebet nicht zu verrichten. Mußt aber recht fromm sein, weil Du bei dem Gesang nasse Augen ‘kriegt hast.«

»Guter Freund,« versetzte Erlefried, »wenn Du wüßtest, was es mit mir ist, Du möchtest Dich nicht wundern über meine nassen Augen. Frage nicht weiter und geh’, Du bist mir da im Weg.«

Der Hirte machte einen langen Hals und lispelte dem Jüngling zu: »Aha, Du willst Dich dem Teufel verschreiben.«

»Löschen will ich,« antwortete Erlefried und jetzt, da er zum letztenmal einen Menschen vor sich sah, stieg ihm das Herz auf die Zunge und er erzählte alles. Er erzählte, daß er der Sohn des Pfarrertödters sei, daß er, um nicht in das Treiben der Trawieser Leute hineingerissen zu werden, sich für todt habe ausgeben lassen. Und er erzählte von Sela, seiner Liebsten, erzählte von der Wallfahrt zum Kreuz im Tärn, von seinen bösen Wünschen und wie ihm Sela entflohen war, und wie er im Wahnsinne sich dem Teufel verschrieben habe.

Endlich gestand er, was in der heutigen Gottsleichnamsnacht ihm bevorstehe, was er dagegen thun müsse, und daß er gekommen sei, um sich an diesem Steine das Leben zu nehmen.

Der Hirt machte während der Erzählung ein Gesicht, als ob er wieder so in sich hineinschmunzele.

»Sind saubere Geschichten, das!« Sagte er jetzt, »und hilft Dir Dein Vater nicht?«

»Der weiß von nichts.«

»Ist ein heiliger Mann, der kann schon was für Dich thun!«

Der möchte sich am liebsten selber helfen, dachte Erlefried bei sich. »Ich weiß nur ein Mittel; wenn Du mir beistehen willst, Hirte.«

»Auf mich verlaß Dich,« rief der Flachsgelbe.

»Ich bin Isak und Du sollst Abraham sein,« sagte Erlefried und schaute unsicher zu Boden, als wollte er das weggeworfene Wort wieder aufheben.

»Ich verstehe Dich schon,« meinte der Hirt, »Du verhoffst, daß ein Engel kommt und mir den Arm fängt.«

»Ich will sterben!« rief der Bursche. »Ich muß sterben,« murmelte er tonlos nach.

»Du bist ein Narr!« Rief der Hirt und sprang vom Steine herab. Erlefried schaute blassen Gesichtes hin auf die Fläche. Von seinem Namen waren nur wenige Merkmale mehr zu sehen. »Da steht er,« sagte er und legte den Finger auf ein paar rostige Punkte.

»Das da,« versetzte der Andere, »Ei, wenn Du nicht mehr heißest, als das da, so heißest nicht viel.«

»Aber es ist Blut!«

»Mach’ keine Sachen, guter Freund, stelle Dich hin und laß warmes Wasser d’rauf – beißt alles weg.« So rieth der Hirt.

»Du hast leicht Spaß treiben,« sagte der Bursche mit traurigem Blick, »Du weißt nicht, wie mir ist.«

»Das kann ich mir denken, wie’s übel thut, wenn Einen der Teufel holen will. Giebt aber ein gutes Mittel dagegen, wundert mich nur, daß Du darauf noch nicht verfallen bist.«

»Blut,« murmelte der Jüngling.

»Hast ganz Recht, ist aber ein Unterschied, wie man’s braucht,« sagte der Hirt und machte ein wichtiges Gesicht. »Solltest Du denn noch nichts gehört haben von jenem Zauberkreis, in dem der Teufel keine Macht hat? – Deine Liebste, von der Du mir vorhin hast erzählt, wo ist sie denn?«

»Sie soll der Seuche wegen mit dem Bart in den Ritscher geflohen sein, aber wie ich gehört, leben sie Alle zurückgekehrt wieder im Haus des Bart.«

»Hast die höchste Zeit,« meinte der Flachsgelbe, dann zog er den jungen Mann etwas beiseite und flüsterte ihm in’s Ohr: »Von der Liebsten laß Dich umfangen, das ist der Zauberkreis.«

Im Auge des Jünglings zuckte ein Feuer auf, bald aber verlosch es wieder in der Traurigkeit und er machte eine abwehrende Geberde.

»Ganz im Ernst, mein Freund,« betheuerte der Hirt und seine Auge war jetzt offen und hell, schalkhaft und treuherzig zugleich; »Du, ich weiß mehr, als daß der Wald finster ist. In den Armen der liebsten – aber die einzige und rechte Liebste muß es sein.«

»Das bist Du, Sela!« Rief Erlefried aus.

»In Ihren Armen bist sicher!«

Erlefried soll in demselben Augenblicke ganz erstarrt gewesen sein. Welch ein Ausblick! Ja, jetzt stand’s in ihm auf, was er selbst oft vernommen in alten Geschichten: Wer ein treues Lieb hat, in seinen Armen kann ihm der Böse nicht bei. Rasch verbrüderte sich dieser erwachende Glaube mit seinen Sinnen. Er verließ den Stein und den Hirten, und noch eiliger, als er hierhergekommen, lief er davon.

Er verschmähte die sich schlängelnden steige, er brach durch Gestrüppe, er eilte über Bößen und Heiden, thalab, bergauf, immer gerade aus und hin gegen das Haus des Bart. Es war ja möglich, daß er es noch vor Mitternacht erreichte und ihr zu Füßen liege zur Stunde, wenn die Prozession zum Opferstein in der Schlucht gelange.

O, zu ihr, und ihr zurufen: Hilf mir, mich hat das Glück verlassen, Sela, mich hat Gott verlassen! und ihr alles sagen. Und wenn sie verzeiht, dann ist alles gut, er weiß es, dann ist er gerettet, er weiß es gewiß!

Der nächtige Himmel war übersäet von funkelnden Sternen; dem Jüngling war, als schauten alle nur auf ihn herab, ihn anfeuernd auf seinem Wettlauf, ihm leuchtend und für ihn zitternd. Die Himmlischen! sie wissen wohl, es handelt sich hier um eine Seele. Eine Sternschnuppe glitt rasch, als wollte sie ihm Wegweiser sein, in der Richtung gegen das Haus, wo Sela war, dahin.

Als Erlefried auf dem aschigen den Tärn hinanging, sah er draußen in den Wäldern des Dürrbachgrabens Lichterschein. Nicht lange, und er bemerkte auch die Fackeln. Der Zug war bereits auf dem Wege – die Procession hatte begonnen.

Erlefried beschleunigte seine Schritte und seine Angst steigerte sich. Es schien ihm kaum mehr möglich, das noch ferne Haus zur rechten Zeit zu erreichen. Dort und da standen halbverkohlte Strünke; mancher schien, als bewege er sich. Einer trat aus der Gruppe hervor und ging dem Fliehenden nach. Ganz langsam ging er ihm nach und doch schien er mit dem Eilenden gleichen Schritt zu halten.

Der Fackelzug kam immer weiter die Bergschlucht herauf; voran auf hoher Bahre loderte eine mächtige Flamme, die von zahllosen anderen umtanzt und umzingelt wurde. Dann folgte die lange Schaar von Menschen und Fackeln, theils hell schimmernd, theils vom Rauchqualm verschleiert. Weithin im Walde tönte der vielstimmige Gesang; sie sangen phantastische Worte nach alten Weisen. So wallten sie heran und immer näher kamen sie der Schlucht, in welcher der Altar stand. In der vor bösem Glauben und vor Angst aufgeregten Phantasie Erlefried’s hielt dieser sich für verloren. Er wagte es nicht mehr, umzuschauen, aber er glaubte hinter sich das Traben und Schnauben des höllischen Verfolgers zu vernehmen: Er prallte an Stock und Stein, aber er achtete es nicht, er fiel zu Boden, daß die Asche um ihn stob, er raffte sich wieder auf und oft schien es, als berühre sein Fuß den Boden kaum. Die Flächen dehnten sich weit und weiter, die Gegend, der er zustrebte, lag immer gleichmäßig in einem dunklen Streifen da.

Die Feuerprocession hatte ihr Ziel noch nicht erreicht, aber sie hielt Rast und die Fackeln kreisten in einem weiten Ring um die große Flamme, der man in harzigen Holzspänen neue Nahrung gab. Erlefried sah einen Strahl von Hoffnung. Wenn sie längere Zeit stillstanden, wenn sie noch mehrmals auf ihrem Wege anhielten – wie ja auch die kirchliche Gottsleichnams-Procession viermal Station hält – so konnte er vielleicht sein Ziel erreichen. Des Menschen Wahn ist des Menschen Schicksal, und Erlefried, keines vernünftigen Gedankens mehr fähig, nur von Phantomen umgaukelt, bildete sich ein, daß mit jenem Augenblicke, als die Schaar zum Opfertisch in der obersten Engschlucht gelange, er seinem Schicksal verfallen sei.

Er lief mit erneuter Kraft. Nur zu bald bewegte sich unten wieder der Zug und dehnte sich, und das Haus des Bart, wie weit war es noch entfernt! Dem Flüchtling graute, als er gewahr wurde, daß er erst auf jener Höhung des Tärn war, wo das Kreuz gestanden. Er mußte über eine Mulde setzen, da kam ihm der Zug unten in der Schlucht aus den Augen, und als er ihn wieder sah, war er nahe dort, wo die jähe Felswand den Enggraben abschließt. Dort stand der steinerne Tisch, er widerleuchtete schon im Scheine der nahen Fackeln.

Im lauten Pochen seines eigenen Herzens glaubte Erlefried die Schritte des Verfolgers zu vernehmen; sie kamen immer näher, seine Füße zitterten, sein Athem wollte ihm versagen. Schon war er daran, hinzustürzen, sich aufzugeben für alle Ewigkeit, da kam ihm noch der Gedanke: das Kreuz! Es ist in der Nähe, fliehe zum Kreuz.

Er lief die Kuppe vollends hinan. Dort lag der morsche Holzpfahl hingestreckt auf dem Boden. Erlefried that einen Angstschrei zum Himmel: »Wenn ich schon sie nicht kann erreichen, o Herrgott Jesu! rette mich an Deinem Kreuzesstamm!« dann fiel er hin aufs Holz, und dort blieb er mit ausgestreckten Armen bewußtlos liegen.

Ja, bei der nächtlichen Procession, da war alles dabei, was sich rühren konnte in den Waldthälern von Trawies.

Die begeisterte Lehre des zum Seher und Propheten gewordenen Mannes auf dem Johannesberge hatte Alle hingerissen. Das Feuer ist der Weltschöpfer, der Weltreiniger und der Welterlöser! das leuchtete Allen ein. Das stimmte auch mit dem alten Glauben und ist doch ein neuer, befriedigt das religiöse Bedürfnis so gut wie ein anderer, giebt Anlaß zu Festgepränge und ist nicht abhängig von dem Pfaffenthume.

Den Wahnfred hatten sie herabgeholt von seinem Berge, hatten ihm einen langen rothen Paltrock umgeworfen, und er mußte hinter der Lade, in welcher die heilige Flamme loderte, einhergehen als der hohe Priester. Vor dem Zuge gingen einige Kinder und streuten grüne Blätter und junge Blumen auf den Weg. Darüber hatte sich zu Beginn der Procession ein Streit erhoben. Der Sandhock und der Waldhüter und Andere behaupteten, diesem Zuge streue man nicht Blumen, sondern Asche. Vom Feuer komme Asche.

Aber die Gegner sagten: die Sonne sei auch ein Feuer, und von der kämen die Blumen; diese behielten Recht.

Die Anderen murrten grimmig und meinten, man müsse erst sehen, es würde noch Asche genug geben.

Sie hatten – ach wie ahnungslos – ein Prophetenwort gesprochen. Unter den mannsleiten gab es viele, die Branntweinplutzer mit sich schleppten, um sich während und nach der Andacht laben zu können. Aus diesen Gefäßen sogen sie ihre Begeisterung für das Feuer. Und es war ihnen wohl dabei.

Da es schon tagelang vorher den Anschein gewonnen hatte, als wäre mit der Aufstellung eines Gottesdienstes wieder ein besseres Denken und Trachten in die Leute gekommen, als stelle sich durch den Einfluß Wahnfred’s wieder eine gewisse Ordnung her – so verließ auch der betagte Bart sein entlegenes Berghaus und ging mit den Seinen nach Trawies, um den Gottsleichnamszug mitbegehen zu helfen. Der Alte sehnte sich, wieder einmal öffentlich zu beten und beten zu hören. Er war einer der Männer, die dem Zuge mit entblößtem Häuptern folgten.

Und bei den Weibern, aber ganz rückwärts, schlich Sela mit. Ihr gefiel das Wesen nicht, sie hätte sich am liebsten abstehlen und davonschleichen mögen, aber sie fürchtete sich vor der Nacht, ja nicht einmal die Letzte im Zuge wollte sie sein, weil es ihr vorkam, als folge demselben ein ganzes Heer von bösen Geistern. Sie ahnte wohl nicht, daß dort auf den nächtigen Höhen ein Flüchtling von inneren Dämonen gehetzt wurde.

Sela hatte das Herz so voll und konnte nicht beten. Diese ungeberdigen Flammen über ihrem Haupte brannten alle Andacht aus dem Herzen und brannten Wunden hinein. Was suchen sie, daß sie um Mitternacht mit Fackeln ausziehen? O Kind – sie suchen Einen, der Sinn und Licht in ihr Leben bringt, und wäre es auch ein Wahnsinn, und wäre es auch ein Irrlicht. Ist ihnen doch kaum anders zumuthe, als dem Mädchen, das wir in der finsteren Felsenhöhle verderben und erblinden sahen. Sie suchen Einen, dem sie grollen können ob dieser elenden Welt, von dem sie Ersatz fordern können für das jammervolle Erdenleben. Sie suchen den, der ihnen einst in drei brennenden Fackeln zum Grunde der Trach geschleudert worden war.

Viele suchen ihn mit dem schmerzlichen Sehnen des Heimwehs, rufen Namen und meinen Ihn. Und der Teufel – sagt ein altes Wort – der mag’s wohl leiden, daß Gott über die Zunge geht, wenn er darunter liegt. Wie viele sind dabei, die nicht wünschen, daß sie ihn finden, und auch nicht wünschen, daß er sie finde. Glauben sie ihn nicht, so schweigt ihr gewissen, müssen sie ihn glauben, so müssen sie auch zittern vor seinem Zorn.

Es scheint denn, sie hätten ihn wirklich noch nicht gefunden, weil sie wie planlos mit Fackeln durch den Wald ziehen.

Mit dem Gotte im Herzen der Jungfrau hatte diese Nacht weiter nichts zu schaffen. Der stand rein und still im Heiligthume. Sela hatte nur den einen Wunsch: Könnte sie diese Fackelträger hinaussenden, in die Tiefen Wälder hinaus, in die weite Welt, Den zu suchen, den sie glaubt.

So fest glaubt sie ihn, daß ihr sein Tod unmöglich dünkt, obgleich er schon viele Monate verschollen ist. Wer wiegt den Kummer, wer zählt die Zähren! In ihrem abgehärmten Antlitz ist die Spur davon zu sehen.

Und wenn ihr allzuwehe ward im Gedenken an den Verlorenen, so betet sie: »Mein Gott, ich lege dieses Anliegen in Deine Hände!« – Dann war ihr leichter.

So wollte Sela auch heute beten, aber der seltsame Zug beunruhigte sie. Und als sie endlich zum steinernen Tisch kamen, auf dem sie das Feuer stellten, und als ein phantastisches Schreien und Toben begann; als sie unter Johlen und Tollen an die Hänge kletterten, um Holz zu sammeln, und jeder die Strünke in das Feuer warf, daß es immer mehr aufsprühte und anwuchs, und als sie dann stoßend und schlagend hinzudrängten, um vom geheiligten Feuer Brände zu erhaschen, und trotz Wahnfred’s Abwehr eine Balgerei entstand, in der man mit brennenden Scheitern aufeinander losschlug, da wurde es dem Mädchen zu arg. Sie stimmte nicht ein in das Jammergeschrei der Weiber, sie lief seitab, und hinter einem Felsvorsprung, wohin kein Schein von dem wilden Feste zu fallen vermochte, setzte sie sich nieder und weinte.

Die Procession löste sich auf und ordnungslos verlief sich die Menge. Manche der Gruppen schleppten einen Verstümmelten mit sich. Wahnfred hatte sich das rothe Kleid vom Leib gerissen. Er ging ganz allein. Das Feuer auf dem Opferherde knatterte noch lange. Auf den Scherben der zerschlagenen Branntweinplutzer flackerten blaue Flämmchen wie Irrwische, die auseinandergeworfenen Brände rauchten träge und verkohlten allmählich im Sande.

Über dem Ritscher gingen bereits die drei Sterne auf, welche zur Sommerzeit den Morgen verkünden.

Der sich nach Frieden sehnende Mensch schaut gern nach den Sternen.

Nein, du Armer, ist in deinem Herzen nicht Ruh’, bei den Sternen wirst du sie nimmer finden! Das Himmelszelt ist nichts als ein Spiegel deiner Seele. Bist du einig mit dir, dann lese in den Sternen. Siehe, manche dort oben zittern und zucken in heißer Gluth, andere leuchten ruhig. Auf der blassen Straße, die nach Süden führt, wie man sagt gegen die Kirche und das Grab des heiligen Petrus, ziehen wie auf feinem Sande in Schaaren die Heerden und die Hirten mit flimmernden Laternlein. Jene kleine Reihe wieder wandelt einsam auf finsterem Grunde die Höhen des Zenith hinan. Weiter hin stehen sie groß und klein, in Gruppen zusammen, als hielten sie Rath, und wieder ein anderer stürzte sich, schnell wie der Blitz, in unendliche Tiefen hinab. Den einen Zweck verfolgen sie alle, die milden und die lodernden, die gezeichneten und die verlorenen Bewohner der Himmelskrone: sie suchen Gott.

Sie suchen das Eine, dem auch du im stillen Sehnen und in heißen Kämpfen entgegenringst ...

Der liebe Gottsleichnamsmorgen, der Tag der Fahnen und Rosen und der bekränzten Jungfrauen! Im Herzen Sela’s erwachten Erinnerungen aus der Kindeszeit. An diesem Tage tragen die Mädchen zum Bekenntnis der Jungfrauenreine einen Rosmarienzweig um das gescheitelte Haupt geschlungen, wenn sie in der Procession dem Sacramente folgen, ihm, der da »zugegen ist, als wahrer Gott und Mensch«. So ist’s auch heute noch draußen. Zu Trawies war es auch einmal so ...

Das Mädchen sann, eine unaussprechliche Sehnsucht erfüllte sie nach dem herrlichsten Feste der Christenheit. Einen jungen Lärchenzweiz brach sie und wand ihn um ihr Haupt, dann ging sie hinan die Flächen des Tärn. Da war alles kahl und ausgebrannt. Der Morgen dämmerte, sie ging der Höhe zu, um vor dem Kreuze zu beten, Vor ihren Augen weitete sich die Gegend, die Wände des Trasank standen wie Silber in den jungen Tag hinein und weit herüber vom Berge des Johannes durch Äther schimmerte der entstehende Bau. Als das Mädchen auf der Höhe des Tärn das Kreuz nicht ragen sah, meinte sie, es wäre die Gegend verfehlt; sie schaute umher, aber auf keiner Kuppe der weiten Runde stand ein Kreuz. Plötzlich that sie einen Schrei und sprang entsetzt einige Schritte seitab. Dann blieb sie stehen, rieb sich die Augen und sah zurück – sah es nochmal, was sie früher gesehen. Das Kreuz lag dort auf dem Boden und am Kreuze, ausgestreckt wie Christus, lag ein Mensch, ein wirklicher Mensch.

Ihr erster Gedanke war: da treibt Einer sein Gespött. – Aber als sie immer wieder hinschaute, sah sie: sein Gesicht ist blaß wie Stein. – Ein Verunglückter oder eine heilige Erscheinung? – Verzagt nahte sie dem Kreuze und ihr Grauen wuchs. War es doch fast, als wären Hände und Füße wirklich angeheftet, so stramm spannten sich die Glieder. Das Haupt war hingeneigt zum linken Arm, die Haare legten sich in Strähnen über das Holz. So lag er da und war vom Morgenroth beschienen.

Jetzt brach Sela lautlos zusammen auf ihre Knie. Sie hatte ihn erkannt. Ihn, den sie gesucht seit jenem Tage, da er mit ihr an diesem Kreuze gewesen. »Erlefried!« Sie stürzte auf ihn hin. –--

Vor der Erschütterung, vor dem gellenden Schrei war der bis zum Tod Erschöpfte zu sich gekommen, war erwacht.

»Sela!« sagte er leise wie in einem Traum, »meine Sela!« Und hob seinen rechten Arm vom Kreuze und umfing ihren Nacken.

Sie war einer Ohnmacht nahe. Er zog ihr Haupt zu sich nieder, er küßte sie mit Gluth, mit Andacht: »Lieber himmlischer Engel! Ich sehe Dich wieder, Du liebe Welt!« Plötzlich aber sprang er empor, mit rollenden Augen blickte er um sich, zog mit einer Hand das Mädchen an sich, schob es mit der anderen hinweg: »Sela!« rief er mit erschütternder Stimme. »Mich hat Gott verlassen.«

Sie schmiegte ihre Arme um seinen hals uns sagte mild, da ihre Lippen zitterten: »ich verlaß Dich nicht.«

 

 

Tages Licht und Lärm ist vergangen, der Himmel ist schwer umzogen, wir hören nicht mehr das Schreien der Rehe im Wald, nicht mehr das Rauschen des Wildbaches, wir hören das Ticken der ewigen Uhr, die das Leben des Menschen mißt.

Der Erzähler dieser Ereignisse gesteht es: er war der Erste, der vor all dem, was die Sagen und Aufzeichnungen über Trawies darthun, tief erstaunte. Doch mußte er sich sagen: die Zeit war damals eine andere, die Menschen waren befallen von ungeheuren Irrthümern.

Wer aber, der mitten in der Menschheit steht, hat das Recht so zu sprechen? Sind wir heute im Reinen? So wenig wie damals. Wir spotten jener Zeit, da die Leute sich abhetzten und peinigten vor dem Anblicke des leibhaftigen Teufels. Uns plagt nicht mehr der Teufel; die Phantome, von denen wir besessen sind, haben andere Namen. Wir begreifen jene Weltordnung nicht, in welcher die Kirche mit ihrem Fluche Einzelne und Gemeinschaften zerschmettern konnte und zerschmettert hat, ohne daß ihr ein menschliches Gesetz in den Arm gefallen wäre! Sehen wir heute nach – und bei der aufgeklärten Zeit wird’s nicht viel Mühe machen – ob von jenen dämonischen Vorurtheilen auch nur eins dahin ist: Religion, Forschung, Socialismus, Politik haben immer noch ihre Pfaffen, Irrlehrer und Henker, denen Hunderttausende von Menschen zum Ofper fallen.

Die menschlichen Wünsche und Leidenschaften sind heute keine anderen, als sie damals waren, nur die Mittel, sie zu befriedigen, sind gewaltiger und feiner. Das ist der Sieg. Aber Befriedigung der Wünsche ist nicht Befriedigung der Menschen; ruhelos jagen wir der »Wahrheit« nach und ihr Inhalt ist, daß wir unglücklich sind. Nur die flachen Köpfe sind es, die in Selbstgefälligkeit sich sonnen können an dem Lichte ihrer Zeit; dem Schärferblickenden weitet und vertieft sich mit seiner Erkenntniß das menschliche Elend, er sieht nichts mehr als das unselige, immer tiefer sinkende, trostlos untergehende Geschlecht. Ihm ist zumuthe, wie dem Schreiner Wahnfred in seinem verbrannten Trawies. Noch getragen von seinem nach Leben lechzenden Herzen, von seinem nach Freiheit ringenden Geist kann er’s nicht glauben, daß alles verloren sein soll, er sucht Auswege, sucht Ideale, sucht einen Gott.

Himmelsucher hat es allerwege gegeben; männiglich strebt ihn an mit allen Kräften – und wäre es auch nur der Himmel auf Erden: Alltagsmenschen suchen den Himmel; Sonntagskinder, die tiefen Herzen und auserwählten Geister suchen Gott. Sie suchen das, was sie über oder hinter dem Materiellen ahnen, sind gequält und beseligt zugleich in diesem Hinstreben zum Idealen.

Unsere Zeit besonders hat ein Volk von Gottsuchern geboren. Zwar bekreuzt sie sich vor dem Worte Gott, wie sich das Mittelalter vor dem Teufel bekreuzt hat; sie giebt ihm andere Namen und sucht ihn; sie mag ihn nicht bekennen und nicht entbehren.

Jene Generationen, die zum Bewußtsein gekommen sind, Gott verloren zu haben, sie mögen unglücklich sein, aber sie sind nicht verworfen. Sie sinken nicht mehr, sie steigen aufwärts, denn der Mensch sucht Gott oder was er darunter versteht, nicht in der Tiefe, sondern in der Höhe. Er schafft – es ist ja wahr – Gott nach seinem Ebenbilde; aber dieses Ebenbild ist der denkbar vollendetste, ein Vorbild, dessen kein Lebender und Sterbender entbehren kann.

Irrlichter und Mißverständnisse, ach wie viele! Wer jedoch, dem das eigene Herz im eigenen Widerstreite blutet und verbluten muß, erdreistet sich, hier Richter sein zu wollen! Die Wege der Suchenden sind überaus verschieden, manche sind nicht minder phantastisch, als die Pfade waren, die der Schreiner Wahnfred und sein Sohn in Trawies gewandelt. Mancher thut sich Splitter und Schrebn in die Schuhe und wankt büßend und betend am Pilgerstabe. Mancher zieht lachend, singend und tanzend seine breiten Straßen. Mancher wandelt abseits seine Pfade, irrt in den Wildnissen umher, kämpft sich mit steigender Sehnsucht fort im heißen Gestein, bis er mit verzweifeltem Blick nach den Himmelshöhen sterbend zusammenbricht.

Auf allen Straßen und auf allen Wüsten, Du magst Dich gegen Morgen wenden oder gegen Abend, gegen Mittag oder gegen Mitternacht, überall wirst Du der Gottsucher Spuren entdecken, hier ein Rosenbett, dort steinerne Tafeln, hier ein Schwert und dort ein Kreuz. Das Rufen des Derwisch auf der Moschee, das Knarren der Klappern im Wigwam, das Glockenklingen im Dome, es ist der Kinder des Leibes ewiger Nothschrei nach einem göttlichen Retter, es ist die brennende Sehnsucht nach einer Kraft, die das Thier in uns besiegt, den Geist befreit und uns die Vollendung giebt.

Eine große Menge aber ist – und wer widersteht ihrer gewaltigen, schrecklichen Lehre! – die wühlt ihren Weg durch das Thierreich, durch Pflanzen und Moder in die Erde hinein. Das sind nicht Gottsucher, sie verneinen das Ideal, sie suchen das Gegentheil. Sie wollen das Rechte, aber sie finden es nicht, sie sind auf dem Wege zur Wahrheit – blind geworden. Möge es ihnen niemals ganz gelingen, den Boden zu unterminiren, auf dessen grünen Rasen die Glücklichen wandeln, auf dessen Steppen Andere ruhelos, aber nicht trostlos den Idealen des Guten und schönen nachjagen!

Und mögen die Gottsucher heute und immerdar ihr ersehntes Anbild, ihre Erlösung an besserem Orte finden, als unser armer, sühnender, des Weges unkundiger Wahnfred sie finden mußte und gefunden hat.

Trawies muß zugrunde gehen, denn es hat keinen Gott, das heißt hier, es hat kein Vorbild und kein Gesetz. –

Auf dem Berge des Joahnnes klangen die Hämmer. Sie klangen hinaus in die weiten Wälder, in welchen der Frühling wob. Und in den Wäldern krachten und stürzten die riesigen Bäume.

Dem Wahnfred war es gelungen, die arbeitsfähigen Leute von Trawies ins Joch zu bringen. Theils war es der Aberglauben, theils das Gottbedürfnis, weswegen sie so emsig Hand an den Tempelbau legten, theils waren es die phantastischen Worte und Predigten des Schreiners, theils war es der Reiz der geregelten Arbeit selbst.

Endlich glaubten sie sich in dem neuen Bau eine Burg zu gründen, in der sie Halt hätten gegen die Welt da draußen, die sie immer mehr haßten und fürchteten. Lagen doch die Wälder von Trawies mitten im Feindeslande, nur die treuen Wüsten des Trasank waren den Verbannten ein Hort. Es verging keine Woche, daß draußen vor den Grenzen nicht Einer aus den Wäldern gelyncht wurde. Mit dem Frieden und der Ordnung, die sich draußen zur Noth wieder hergestellt hatte, war nach einem neuerlichen, aber vergeblichen Versuche, Trawies zu gewinnen, noch schärfere Gewalt gegen die Verstoßenen angeordnet worden. Nun war’s offen, man mußte und wollte sie erdrücken, ersticken, in sich selbst zugrunde gehen lassen.

Das fühlten sie, die Söhne das Waldes, und sie bäumten sich dagegen wahnsinnig auf. Sie überschritten in Rotten den Flammenring und plünderten Höfe aus und mordeten auf den Straßen.

Eines Tages kam eine Schaar von Bauern und Soldaten von der Gegend der fünf Kiefern her in der Absicht, das Räubernest an der Trach zu vertilgen. Aber die Männer von Trawies, so bestialisch sie auch selbst miteinander umzugehen pflegten, fanden sich dem gemeinsamen Feinde gegenüber rasch zusammen, und an der Dreiwand entspann sich ein wildes Gebalge und Gemetzel, in welchem Trawies Sieger blieb.

Eines anderen Tages, zur Zeit als die Seuche noch nicht ganz erloschen war, waren zwei fremde Männer in das Thal der Trach gekommen. Sie trugen lange Lodenmäntel und unter denselben allerlei Werkzeuge, denen es nicht abzusehen war, ob sie Arbeitsgeräthe oder Waffen sein sollten. Für den Nothfall wohl beides. Diese Fremden gaben an, daß sie Ärzte wären, daß sie gehört hätten, an den Hängen des Trasank wachse ein Kräutlein gegen den schwarzen Tod, und daß sie gekommen wären, dieses Kraut zu suchen. Das war den Leuten etwas sehr Interessantes. Sie bespähten die Fremden von allen Seiten, gingen ihnen aich nach und waren zuvorkommend gegen alle Wünsche, welche jene äußerten. Ärzte? Sie konnten ja auch Zauberer sein! Sie hatten ein geheimnißvolles Aussehen.

Die Fremden strichen so etliche Tage in den Gräben herum. Sprachen in den Wohnungen zu und ließen sich mit Manchem, der des Weges kam, in freundlichen Wortwechsel ein. Endlich erklärten sie, daß sie nicht gern eigenmächtig handeln möchten; sie wollten doch beim Oberhaupte der Gemeinde anfragen, ob es ihnen wohl gestattet sein, das Kräutlein zu suchen.

Beim Oberhaupte der Gemeinde? Niemand wußte recht, zu wem die Fremden zu weisen wären. Jeder erlaubte das Kraut auf eigene Faust, unter der Bedingung aber, daß er mit den Findern theilen wolle. Weil jedoch die beiden Männer immer wieder den ersten Mann von Trawies zu sprechen verlangten, so leitete man sie endlich auf den Johannesberg zu Wahnfred.

Diesem vertrauten sie nun ihre Mission. Sie wären allerdings Ärzte, aber Ärzte der Seele und seien Gesandt von dem guten Hirten, der einst selbst auf Erden gewandelt wäre, um verlorene Schäflein zu suchen. Sie seien Abgesandte der heiligen Kirche, die da nicht wolle den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe. Und sie brächten folgende Botschaft: Die Kirche entbiete den Bewohnern von Trawies noch einmal und das allerletztemal Vergebung ihrer Missethaten. Sie sei bereit, dieselben wieder in die Gemeinschaft der Gläubigen aufzunehmen, sowie ihnen auch die Milde des irdischen Gesetzes zu erwirken, wenn sie sieben ihrer größten Missethäter zur Sühne durch den Tod ausliefern wollten.

Wahnfred erwiderte, es dünke im wahrlich schon hohe Zeit, daß die Kirche es mit Güte versuche, eine von ihr so willkürlich niedergeworfene Gemeinde armer, im Vorhinein zumeist schuldloser Menschen wieder aufzurichten. Die Auslieferung von sieben Missethätern könne er nicht verbürgen, wohingegen er aber bereit sei, den Urheber all des Unheils, den Mörder des Pfarrherrn zu Trawies der Gerechtigkeit zu überantworten.

Die Gesandten entgegneten, daß dahin ihre Vollmacht nicht laute, daß es sich auch gar nicht mehr um den erschlagenen Pfarrherrn handle, welcher seinerzeit durch zwölf gefallene Häupter gesühnt worden sei, sondern vielmehr um den ungeheuren Frevel, der an Gott und Kirche begangen, und um die unzähligen Übelthaten, die seither von Trawieser Leuten verübt worden wären.

Wahnfred wendete ein, daß es eine Ungerechtigkeit sei, von so vielen Verbrechern nur sieben zu bestrafen, daß aber, wenn die Strafe an allen Übelthätern vollzogen werden sollte, in Trawies jetzt kein Mensch mehr übrig bleiben dürfte. Hierauf schilderte der Mann das Elend und den Jammer der letzten Jahre, wie die Leute in die Schuld hineingestürzt worden waren und wie sie hart genug für dieselbe büßen mußten. Dann bat er um Gnade.

Die beiden Fremden schauderten, waren aber auch gerührt von dem, was sie hier aus beredtem Munde zu hören bekamen. Sie fühlten den glühenden Geist des Zornes, der aus diesem Manne sprach, das zitternde Herz, das für unselige Menschen flehte. Aber in seinem finsteren Auge, in den wunderlichen Bildern seiner Rede war etwas, vor dem ihnen graute. Im seiner Kammer sahen sie das Lämplein brennen mitten am Tage. Sie fragten, was das bedeute? Er antwortete, das wäre das ewige Licht, welches zu Trawies in allen Nächten und Stürmen bis zu diesem Tage bewahrt worden sei.

Die priesterlichen Abgesandten dachten ans ewige Licht beim Altarssacramente, lobten den frommen Sinn des Lichtbewahrers als einen Rest der göttlichen Gnade und sprachen die Hoffnung aus, daß vielleicht endlich die heilige Kirche Gnade für Recht ergehen lassen und die armen Sünder wieder in ihre Fürsorge und Liebe aufnehmen würde.

Wahnfred legte seine Hände über die Brust und sein blasses Gesicht röthete sich vor freudiger Aufregung. Er sah im Geiste schon die Erlösung und die Wiederbegründung seiner Heimatsgemeinde im Vereine und unter dem Schutze der Gesellschaft.

Die Besprechung war aber noch nicht geschlossen, als sich vor dem Hause wüster Lärm erhob. Es war nämlich in den Leuten die Vermuthung erwacht, daß unter den langen Mänteln der beiden Fremden etwas Anderes stecken müsse, als ein Paar Kräutersammler. Allsogleich war der Argwohn da, und Einer theilte denselben dem Anderen mit. Man spürte den Fremden nach und verfolgte sie auf dem Weg zu Hause des Wahnfred und behorchte dort das Gespräch. Und als sie merkten, wo hinaus das wollte, brachen sie ins Haus und schrien wie wüthend: Verrathen und verkaufen ließen sie sich nicht und sie wollten eher hängen, als sich einer [ eingefügt aus einer anderen Ausgabe Herrschaft ergeben, deren Art von Fürsorge Trawies schon reichlich erfahren habe.

»Wir wollen keinen Herrn, der uns in die Hölle wirft.«

»Aber auch den Himmel zu vergeben hat«, wendete einer der Fremden ein.

»Wir wollen keinen, als den Himmel auf Erden und den behalten sie selber. Und daß sie den jener Welt hergeben wollen, weist nur, daß ihnen selber nicht viel daran liegen mag.«

»Ihr guten Leute,« sagte der Fremde, »euer Sehkreis ist klein. Aber wenn Ihr tausend Jahre wandert, alle Straßen der Welt abgeht, in allen Häusern einkehrt, in allen Palästen zusprecht, Ihr werdet keinen, nicht einen einzigen finden, der den Himmel auf Erden hat. Manchen würdet Ihr sehen, der lächelnd andere verdammt, während er in seinem eigenen Herzen eine peinvolle Hölle trägt. O, glaubt uns, Ihr Menschen von Trawies, wir überheben uns nicht, besser und größer sein zu wollen, als Ihr seid; aber uns obliegt – ob von Gott, ob von irdischen Gesetzen auferlegt – eine Sendung, das Auge der Menschen von ihrer Armseligkeit ab und auf ein ewiges Anbild und zukünftiges Glück zu lenken, damit sie nicht verzweifeln. Wer unserer Weisung folgt, der sieht den Himmel offen, und schon die irdischen Pfade werden ihm vom himmlischen Strahle erhellt. Wer aber trotzig den Segen der Kirche verschmäht, ihre Lehre verhöhnt, an der sich die ganze Menschheit aufrichten soll, der wird mit Recht das Elend der Ausgestoßenen tragen.«

»Stoßt ihm die Faust ins Maul!« schrie einer aus der gärenden Rotte.

»An Euch selbst sollt Ihr’s sehen!« rief der Fremde mit erhöhtem Eifer, »die Kirche hat ihre Hand von Euch gezogen, und was seid Ihr jetzt? Eine Bande von Gotteslästerern, Ehebrechern, Räubern und Mördern.«

Das war des Unglücklichen letztes Wort gewesen. Im nächsten Augenblick schon lag er hingestreckt. Sein Genosse entkam bluttriefend, soll aber die grenze des Flammenrings nicht überschritten haben. Wahnfred suchte mit Gefahr seines Lebens den wütenden Haufen zu beruhigen. Und als er in dunkler Nacht auf der Höhe den Fremden begrub, begrub er auch den letzten Rest der Hoffnung. Nun war es ihm gewiß, für Trawies gab es keine Rettung mehr von außen.

Um so entschiedener wollte er seinen Einfluß auf die verthierten Trawieser Leute behaupten, um so glühender predigte er den ewigen, furchtbaren Gott, der im Feuer den Menschen erschienen sei zur Rache – und mit noch größerem Eifer betrieb der den Bau des Bethauses.

In allen Wäldern der Runde hallten die Äxte, an manchem Vielhundertjährigen hieben sie tagelang, bis er fiel. Und dann kroch der Stamm mit hundert Füßen – denn soviel sonst seine Äste waren, soviel klebten jetzt Menschen an seinem Leibe – den Berg hinan. Die rötlich schimmernden Wände des Hauses wuchsen immer mehr aus dem Boden. Die Bäume waren nur roh behauen, fest klammerten sie sich an den Ecken ineinander. Es sollte ja eine Festung sein. Gegen Aufgang der Sonne wurde eine schmale Öffnung zum Eintritte freigelassen, hoch an den Wänden, wohin keines Menschen Haupt zu reichen vermochte, wurden sieben Fenster ausgeschnitten, die so klein waren, daß kaum eine Katze durch dieselben hätte schlüpfen können.

Wahnfred war der Baumeister. Im zweiten Jahre des Baues waren sie bei den Gleichen. Die Arbeiter die schwer genug zu zügeln waren und fortwährend miteinander im Hader lagen, verlangten nun einen Festtag. Wahnfred gewährte ihn, und sie hielten um die zahlreichen Feuer, in denen Wildpret schmorte, ihre Gelage. In solchen Stunden schlossen sie gern einen Bund der Brüderlichkeit, um ihn bald wieder wahnwitzig zu zerstören. Rohheiten, die in Worten bestanden, galten für Freundschaftsbezeigungen, weit lieber stahlen sie sich gegenseitig die besten Bissen vom Munde weg, dann kamen sie ins Handgemenge. So war bei diesem Baue mancher verunglückt. Wo sich das finstere Auge des Wahnfred zeigte, da waren sie still und arbeiteten. Der schlanke, bärtige Mann, wie er nun zwischen den Spänen und neubehauenen Holzstücken dahinschritt, selbst eine blinkende Axt in der Hand, eher geneigt scheinend, mit derselben ein Menschenhaupt, denn einen Baumstrunk zu spalten – er war unheimlich zu sehen.

Es hat ihn keiner begleitet, wenn er durch die Dickichte des Johannesberges schritt, oft durch die undurchdringlichsten Büsche, als wollte er etwas, das ihm anlag, von sich abstreifen, abfegen lassen. Es hat ihn keiner gesehen, wenn er auf dem Wildanger stand und hinabstarrte ins Thal, wo zur Rechten das Gestade lag und zur Linken Trawies mit dem blinkenden Mauerwerk der alten Kirche. Auch schaute er hinüber auf die Höhen, wo das Haus des bart lag – aber nicht oft und nicht mit Befriedigung.

Sein Sohn Erlefried war wieder erschienen, den er schon zweimal gestorben sein ließ. Als ihn – wie er hörte – die Räuber erschossen hatten, beweinte er den Sohn, den er für ein glücklicheres Leben geboren wähnte, als er selbst trug. Da es später hieß, bei einem Waldbrande wäre Erlefried zugrunde gegangen, freute er sich, daß es seinem Kind gegönnt war, ohne Schuld aus dieser Welt zu gehen. Nun lebte der Junge doch, aber lebte einem Tag entgegen, an dem er mit Trawies die Sühnung zu theilen haben würde. Und vielleicht nun mit Recht ...

Er hätte seinen Sohn gern wiedergesehen, aber es bange ihm davor. Er trug in seiner Seele das offene, kindlich-reine Antlitz des geliebten Erlefried, und dieses Bild war ihm stets Labniß und Seligkeit in seinem unseligen Leben gewesen. Nun fürchtete er, ein bleiches eingefallenes Gesicht sehen zu müssen, auf dem das Laster und das Elend steht. – Es beunruhigte ihn, daß Erlefried nicht selbst kommen wollte, um seinen Vater zu zu suchen. Sollte das eine stille Verurtheilung der That sein? Wohlan, dafür segnet er den Sohn. Er konnte aber auch Mangel an Kindesliebe sein. Dafür segnet er ihn nicht. Nein, Wahnfred will nicht segnen und nicht fluchen; leicht könnte der Himmel den Segen eines solchen Mannes verkehren und den Fluch erhören.

Ferner befremdete ihn, daß sich Erlefried nicht an dem Baue des Bethauses betheiligte. Wenn er die Arbeit flieht, was soll ihn denn schützen oder retten?

Von der Höhe des Berges nieder klangen die Balken des im Aufzuge begriffenen Dachstuhls, das Hämmern der Zimmerleute und das Schreien der Holzträger.

Wahnfred horchte den Tönen der Arbeit und Arbeiter, sie waren ihm trostreicher als Osterglocken. In dieser Richtung allein konnte Zukunft liegen, und gelänge es ihm, die Leute regelmäßig zu beschäftigen, daß sie vom Tempelbau sich auch wieder dem Feldbau zuwendeten, dann wäre viel gewonnen. Hätten sie erst nur wieder Eigenthum, so würden sie trachten, dieses zu bewahren, Ordnung zu begründen, würden die Notwendigkeit einsehen, sich wieder der Welt zu fügen und dem Lande anzuschließen.

So wurde der Mann auf dem Johannesberge noch immer zwischen Verzweiflung und Hoffnung hin und her geworfen. Rasch folgte er seinen Stimmungen. Er hatte den Segen noch nicht ausgedacht, den ehrliche Arbeit über Trawies bringen könne, und daß Arbeit allein imstande sei, den Fluch der Kirche von nun an unschädlich und des staatlichen Schutzes sich wieder würdig und theilhaftig zu machen, als das klingende Pochen oben am Bau unterbrochen wurde, hingegen sich anderer Lärm erhob.

Über den Wipfeln junger Fichten leuchtete im blauen Himmelsgrunde scharf gezeichnet das Gebälke des Dachstuhles. Rasch verließen die Arbeiter First und Giebel und stiegen nieder. Schreien, Fluchen und Poltern war vernehmbar, darunter fielen auch Schüsse. Und schon eilte ein Bote durch das Dickicht und rief nach dem Meister. Bald wußte Wahnfred, was es galt. Es galt den Bau zu schützen; Feinde waren da, ganze Haufen von Strolchen und Wegelagerern, sie wollten die neue Burg anzünden. Der Kampf wurde mit den mannigfaltigsten Waffen geführt, mit Kolben, Hacken, Gewehren, Äxten, Steinen und Stangen. Wie früher die Bäume, so purzelten jetzt die Menschen. Den Angreifern gelang es, einen brennenden Strohwisch in den Bau zu schleudern, den Verteidigern gelang es, den Brand zu ersticken. Das Geschrei war so mächtig, daß der Ruf Wahnfreds ungehört blieb.

»Nieder mit den Schanzen«, war das Feldgeschrei der Angreifer, »wir brauchen keine Zwingburg!« Aber dieses Feldgeschrei wurde immer einsilbiger und verwandelte sich in Ächzen und Stöhnen und Todesröcheln. Ein Theil entkam, ein Häuflein wurde gefangengenommen und vor den Richter gestellt. Wahnfred befragte die Gefangenen, weshalb sie gekommen wären, den Bau zu vernichten?

»Weil wir müssen«, knirschte der Wortführer.

»Wer ist der Herr, der euch zwingt?«

»Unsere linke Hand.«

»Wir hauen sie euch ab.«

»Tut es! Noch auf dem Rasen wird sie ihre Finger ausstrecken, mit denen sie den Schwur gethan hat.«

»Welchen Schwur?«

»Alles zugrund zu richten, was wir zugrund richten können.«

»O ihr Erbärmlichen, und krümmt Euch jetzt auf der Erde, wie ein Wurm, den man zertritt.«

»Zertretet uns! Tut es, Ihr gehorcht damit nur unserem Gesetz. Morgen werdet Ihr zertreten sein. Wir sind überall und sind allmächtig. Wisset Ihr, wer wir sind?«

»Bösewichter! Verbrecher!« rief Wahnfred.

»Das sind zahme Worte, Lobnamen, mit denen Ihr Euch gegenseitig schmeicheln mögt. Wir sind die Erlöser, wir sind die Kinder des ewigen Todes.«

»Wahnwitzige seid Ihr.«

»In euren blöden Augen.«

»Ihr wisset nicht, was Ihr wollt.«

»Wisset Ihr es?« rief der Gefangene. »Ihr wollt leben und seht, daß alles sterben muß, ihr wollt Lust haben und tut alles, daß Euch leid werde. Ich seid die Wahnwitzigen; wir wissen, was wir thun, wir wollen dieser Mißgeburt ein End’ machen. Alles muß aus werden. Wir haben Feuer in den Tärn geworfen, wir haben die Pest nach Trawies getragen. Uns ist die Welt vergällt, alles muß zunichte sein!«

Wahnfred wurde todtenblaß. Hier auf einmal stand’s vor ihm, das Ungeheuer, großgewachsen und entfesselt. Fürchterlich wahr, fürchterlich klar stand’s da, was er bisher wie einen Schatten in der Seele getragen hatte. Von allen Wegen, die er gesucht, soll der der rechte sein! Von allen Evangelien, die er erdacht, soll dieses das größte sein! Das größte und letzte! – Alles vernichten! ...

Wahnfred lachte. Sein Lachen erscholl in den neuen Wänden des Baues. Sein Haupt war, als wachse es noch höher aus dem Körper empor, seine langen Haare waren wie lebendig, seine hageren Hände streckte er zur Höhe, so stand er da und lachte. Die Trawieser Leute hatten schon manches Unheimliche gesehen, aber so grauenhaft wie jetzt, da ihnen Wahnfred in diesem Bilde erschien, war ihnen kaum jemals zumuthe gewesen.

Einige verhüllten ihr Gesicht und murmelten: »Ich kann ihn nicht anschauen.«

»So wird am Jüngsten Tag der Richter sein«, sagten andere.

Wahnfred hub nun, gegen die Gefangenen gewendet, an zu sprechen: »Ihr seid die Kinder des Todes und seine Henkersknechte, und seid gekommen, diesen Tempel zu zerstören?«

»Wir werden ihn zerstören«, antwortete der Vorderste in finsterem Grolle.

»Dann wißt Ihr nicht, was Ihr thut. Dann wißt Ihr nicht, daß wir diesen Tempel ja eben jener Gottheit gebaut haben, die alles zerstört. Das ist das Haus des Feuers. In diesem Tempel wird sich Trawies versammeln, um den Vernichter und Verzehrer anzubeten und ihm zu opfern. Wir halten es mit Euch, so werdet ihr mit uns halten. Das Feuer ist die Fahne, zu der wir alle schwören!«

Die »Kinder des ewigen Todes« verstanden ihn nicht, wie ihn ja keiner verstehen konnte, aber es gelüstete ihnen weiter zu leben und sie schworen zur Fahne. [ eingefügt aus einer anderen Ausgabe – Nun, die Traweiser Gemeinde hatte sich durch den Beitritt der »Kinder des ewigen Todes« erklecklich vergrößert und die Arbeiten nahmen ihrem weiteren Verlauf.

Wahnfred aber stieg nieder zu seinem Hause, dort nahm er die Lampe, in welcher das Flämmchen des Feuerwart glimmt – nahm sie zur Hand, starrte so scharf in das Lichtlein, daß dieses vor seinem Auge zu zucken und zu zittern schien und sprach; »Alle Sterne sind untergegangen, Du allein bist uns geblieben.« –

Zwei Tage vor der Sonnenwende war das Blockhaus fertig. Sie hießen es das Blockhaus, ohne daß es ein solches eigentlich war. Die Befestigungswerke fehlten; diese sollten, so sagte Wahnfred, später ringsumher entstehen. Bis dahin sollte der neue Bau nichts als ein Tempel sein, der seine Festigkeit mehr nach innen, als nach außen bekundete. Er ragte auf dem berge wie ein Castell und war weithin sichtbar. Er faßte nicht viel weniger im Raum, als die Kirchen zu Trawies. Von ferne sah er glatt und völlig fensterlos aus; das Dach stieg steil empor, die Giebelwände wurden noch erst eifrig geschmückt mit Tannenkränzen. In der Nähe besehen waren die Wände rauh und an den Ecken ragten die Köpfe der Zimmerbäume ungleichmäßig hinaus. Die Pforte, welche ins Innere führte, war schmal und mit einem wuchtigen Thore versehen, das an beiden Seiten weit vorstand und mit schweren Bändern und Schlössern wie ein Gefängnißpförtlien beschlagen war. Das Doppelschloß hatte der alte Schmied vom Thale geliefert und einen »Himmelsriegel« hineingeschmiedet, dessen Geheimniß ohne den Schlüssel weder Feind noch Bruder lösen konnte. Der Schlüssel lag in der Hand des Wahnfred. Das Innere des Baues war in Dämmerung. Die Sonnenscheiben, welche hoch zu den runden Fensterlein, hingen an den Wänden wie leuchtende Lampen. Der Fußboden war aus behauenen Baumstämmen; an der dem Pförtlein gegenüberstehenden Wand stand ein breiter steinerner Sockel als Altar. Über demselben in einer Nische war Platz für das Heiligthum. Im Gebälke das Daches ähnelte dieser Tempel einer Basilika, doch gingen die wuchtigen Balken viel zahlreicher, unregelmäßiger und formloser durcheinander, es war ein Gewirre von Hölzern, Brettern und Stangen, die bestimmt schienen, das Dach zu halten und zu stützen.

Der Bau war ohne Festgelage und Segensspruch fertig geworden. Die Feier der Einweihung sollte am Sonnenwendtage stattfinden, wozu Alle, die sich Trawieser Leute nannten und die gegen eine Aussöhnung mit Kirche und Staat stimmten, durch Wahnfred beschieden worden waren. Wer an diesem Tage auf dem Johannesberge nicht erscheine, der sei aus Trawies gestoßen. Mehrere Männer waren im Inneren des Tempels beschäftigt, mit Reisig und bunten Lappen das Gebälk zu zieren. Sie führten dabei ausgelassene Gespräche; sie freuten sich, wieder eine Kirche zu haben, weil jetzt wohl die großen Kirchweihludereien noch einmal aufkommen würden.

»Gar nichts kommt mehr auf!« rief Einer trotzig, »bei dem nicht.«

»Bei wem?«

»Beim hohen Priester Wahnfred. Der mag keine Lustigkeit leiden. Das ist ein Bitterer. Das ist Einer, vor dem man sich fürchten muß.«

»Geh, Narr, wer wird sich fürchten. Wird er uns zu arg, so spalten wir ihm den Schädel.-«

Wahnfred stieg ins Thal hinab und ging der Trach entlang; er wollte seinen Sohn Erlefried sehen. Er ging an der Dreiwand vorbei, er ging über den Platz, wo das Haus des Gallo Weißbucher gestanden war. Er kämpfte gegen Erinnerungen, die wie Nattern sein Herz umzingelten. Im Dürrbachgraben sah er plötzlich vor sich auf dem Rasen einen Menschen liegen; der lag regungslos auf dem Bauche, sein Haupt auf den Stein des Bachufers gelegt, seine Hände hingen ins rauschende Wasser. Wahnfred blieb ein paar Schritte vor diesem Körper stehen – es mußte ein noch junger Mann sein, die Füße waren nackt, die Haare waren blond und kraus. Wenn’s Erlefried wäre! Wahnfred dachte an den Erschlagenen in der Kirche. Wenn hier die Vergeltung vor ihm stünde! – Er wollte den trauten Namen rufen, er stöhnte ihn nur. In demselben Augenblicke richtete sich der Hingestreckte empor und in seiner Hand schwänzelte eine weißbauchige Forelle.

»Erlefried!« stieß Wahnfred hervor. Er war’s. In Kraft und Schönheit stand er da. Ruhig stand er da, nur warf er zum Zeichen, daß er sich des Ernstes dieser Begegnung bewußt war, den Fisch wieder in das Wasser zurück.

»Erlefried,« sagte der Wahnfred noch einmal. Der Bursche fühlte den Vorwurf, der in diesem Tone lag.

»Suchst Du mich, Vater?« fragte er.

»Der Sohn vergißt des Vaters.«

»Ich habe Deiner nicht vergessen, aber ich hätte Dich nicht gesucht.«

»Du wirst Dich am Tage der Sonnenwende auf dem Johannesberge zur neuen Gemeinde versammeln,« sagte Wahnfred.

»Ich werde fern bleiben,« versetzte Erlefried, »Ich habe was Anderes vor. Es ist mit lieb, Vater, daß ich Dir’s sagen kann: ich nehme am Sonnenwendtage ein Weib.«

Wahnfred schwieg eine Weile, dann murmelte er: »Ich habe lange geglaubt, Erlefried, Du wärest gestorben.«

»Glaube es noch, Vater, es wird Dir besser sein,« versetzte der Jüngling; »Deinen Weg kann ich nicht gehen, ich kann nicht. Ich bete für Dich, daß er Dir der rechte sei. Aber mich laß im grünen Wald und bei meinen Freuden.«

»Die Freuden im Wald, mein Sohn, die sind gefährlich. Alle, Alle will ich hervorrufen aus den Wäldern und versammeln im Schafstall.«

»Mich laß, ich will den Wald roden und Feldbau treiben. Der Bart am Tärn hat mir sein Haus gegeben, da werde ich mit meiner Sela in Frieden leben und sterben.«

Es steht nicht geschrieben, was Wahnfred darauf erwidert hat, auch nicht was er empfunden hat, als er so seinem Sohne gegenüber stand. Der Eine geht sterben, der Andere geht freien.

»Wir können nicht dafür, daß wir uns fremd geworden sind,« sagte Erlefried, »im Himmel wird’s wohl aufgeschrieben bleiben, daß wir zusammengehören. Lebe wohl, Vater!«

»Und Du willst ihm die Hand versagen, dem alten von Gott und Menschen verlassenen Mann!« rief Wahnfred, und mit einem Schrei des Schmerzes fiel er dem Burschen um den Hals. »O Kind, o mein Kind, hast denn ganz vergessen auf den armen Mann, dem Du einst sein Glück auf Erden bist gewesen! Hast vergessen auf Deine Mutter, die uns Beide so oft in den Armen hat gehalten, wie ich Dich jetzt halte, und nimmer lassen möchte, Du geliebtes Kind! O, komm mit mir, Erlefried, Du bist jung und fromm, Du hast noch gut sterben. Der Einzige unter uns Verlorenen, der gut sterben hat. Siehe, Dein Weg führt Dich jetzt so nahe an die Himmelsthür, da drinnen warten auf Dich Deine Voreltern, wartet Deine Mutter, da drinnen lebt Dein Gott. O sage nicht, Du seiest noch zu jung und wollest Dich der schönen Welt erfreuen. Kehrst du jetzt nicht ein, bald wendet sich der Weg zur Welt zurück, zur falschen Welt, führt Dich weit ab, wirst gehetzt von Deiner Begier; was Dir begegnet, ist Furcht, Angst, Schrecken, wo Du Lust wähnst, erwartet Dich der Schmerz. An Gräbern weinen, ist noch das Süßeste. Die Untreue mordet Dein Vertrauen, das Elend der Menschen mordet Deinen Glauben an Gott; Du kannst nimmer beten, nimmer weinen, alles, was Du thust, ob in Lieb’, in Haß, ob in Genuß, in Verzweiflung, es wird Dir zur Schuld. Dann wirst Du wie Einer, den die Nacht überfallen hat, diesem Weg zu suchen, auf dem Du heute stehst, aber jeder Schritt führt Dich tiefer ins Verderben. Erlefried, denk’ an Deine Seele!«

Der junge Mann blickte befremdet auf, bei dem letzten Worte fuhr’s wie ein Blitz durch sein Herz. Sein Dämon fragte ihn, on die Seele denn gerettet sei oder noch dem Bösen angehöre? Wahnfred sah ihn wankend, glühenden Auges fuhr er fort in glühender Rede:

»Und denke an sie, die Du Dir hast auserwählt. Bringe Deine Braut, sie ist wohl wie eine Blume im Schnee, sie ist wie ein Engel unter Verdammten, rette sie zu Gott. Den Himmel mach’ ihr zur Brautgabe, nur im Himmel werden die Ehen geschlossen – vergiß das nimmer, Sohn! O, laß Dich nicht bethören, die Welt ist hin, ‘s ist alles aus. Ich führe Dich, wir gehen miteinander ins himmlische Reich!«

Erlefried erkannten nun, was aus dem Manne sprach; gegenüber dem Wahne wurde er vernünftig, er suchte sich dem unheimlichen Schwärmer zu entringen. Wahnfred bebte vor Erregung, mit beiden Armen umfaßte er den Jüngling und rief: »weich’ hinweg! Hinweg, du höllischer Teufel! ich will mein Kind haben, ich laß es nicht. O, steh mir bei, du himmlisches Heer! Jhr Engel Gottes, steht mir bei.«

Ein Wahnsinniger! Erlefried raffte seine volle Kraft zusammen, schleuderte den rasenden von sich und floh davon.

Auf der Höhe blieb er stehen und blickte zurück. Er sah seinen Vater nicht. Jetzt überkam ihn ein unsägliches Weh, ein herzzermalmendes Mitleid mit dem armen Manne. Er kehrte um, daß er ihn am Bache wiederfinde und in sein Haus begleite. Er fand ihn nicht mehr dort stehen.

Traurig schritt Erlefried seines Weges, nahm sich aber vor, dem Vater zu Lieb’ zur Einweihung des Blockhauses auf den Johannesberg zu gehen. Und seiner Braut machte er den Vorschlag, ihr Hochzeitsfest mit dieser Feier zu verbinden.

»Dir zu Lieb’,« sagte Sela.

»So ist’s gut!« Sagte er, sie glückselig anblickend, »und jetzt lache und scherze wieder Eins!«

»Ich kann nicht,« hauchte sie und legte ihr Haupt an seine Brust, »mein Erlefried, mit ist so bang.«


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