Peter Rosegger
Der Gottsucher
Peter Rosegger

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Schluß

Am Vorabende des Festes war’s, als sich Wahnfred allein im Bethause befand. Er hatte sich eingeschlossen, er kauerte am Altartische und schaute mit umflorten Auge in das schwere Gebälke des Daches empor. Bisweilen knisterte, krachte es im frischen Holze, sonst war alles still. Wahnfred starrte wie ein Träumender – irr und wirr – zu den sieben Rundfensterlein hinauf, von welchen das Tageslicht jetzt in blassen Strömen das Innere durchzog. Er murmelte die Worte: »Siehe, Er kommt aus den Wolken. Sehen werden sie, die ihn durchstochen haben, und wehklagen werden die Ge-schlechter der Erde. Sein Angesicht strahlt wie die Sonne. Seine Augen sind wie Feuerflammen. In seiner Hand hält er sieben Sterne. Aus seinem Munde geht ein zweischneidiges Schwert. Er ist der Anfang und das Ende. Ich fürchte mich nicht, ich habe des Todes und der Hölle Schlüssel ...«

Dann stand er auf, kletterte auf Wandleisten bis zum Gebälk empor, wo er eine Kette aus Stroh befestigte, die er niederhängen ließ bis zum Altare, wie sonst die Ampelschnur niedergeht. Die Kette war breit und leicht geflochten und Wahnfred sagte zu ihr:

»Du bist die heilige Jakobsleiter, auf der wir zum Himmel steigen – Morgen! – Morgen werden die Siegel gebrochen sein, wie ein zugerolltes Buch wird die Erde verschwinden ....«

Er zuckte zusammen und erwachte. Es war ihm gewesen, als hätte er einen Ruf vernommen: »Wahnfred, was willst Du beginnen?«

Er fragte laut: »Hat mich wer gerufen? Die Rechenschaft gebe ich gern. Wir sind verworfen. Jeder Athemzug, den wir thun, wird zum Laster. Niemand als der große Gott hemmt unseren Sturz in die Hölle.

Gott, so umfassen wir Dich. Ich habe den Fluch gezeichnet, ich werde ihn löschen, das ewige Feuer mit irdischem löschen, das Land von uns befreien. –

Der Skorpion, den man in einem Feuerringe gefangen hält, tödtet sich selbst .... Sie werden sagen, wir sind wahnsinnig geworden, aber sie werden nicht sagen können, wir wären in der Finsterniß untergegangen. Wir haben erkannt, daß wir das Böse sind und haben uns vertilgt. Das ist unser Sieg.«

Als er das Blockhaus verließ, war er heiter. Er fühlte den Sommer außer sich, in sich. Er war am Ziele, endlich, endlich! Sein müdes Haupt ruhte am Busen Gottes. –

In der darauffolgenden Nacht, die wie ein Zugbrücklein von Heute auf das Morgen führt, schritten drei Männer durch das thauschimmernde Thal der Trach und riefen folgenden Sang:

»Licht Sonnenwenden ist da!
Der heilige Tag.
Wacht auf zum ersten Stundenschlag.
Herab von den Himmeln,
Herauf von der Erden
Die lieben Gäste erscheinen werden.
Feuer und Licht hat Gott gemacht,
Erwacht! Erwacht!«

Da wurde es lebendig in den Hütten und Höhlen. Aber sie konnten sich nicht mehr wie einst versammeln auf dem grünen, eichenumstandenen Anger, unter dessen Rasen ihre Todten ruhten. Der Anger war überwuchert von Nesseln und Dorngesträuche. In neuen Tagen hatten sie ihre Todten verscharrt zunächst dort, wo sie starben. Wer über Wiesen, Matten und durch die Wälder strich, der konnte manchen Fleck sehen, wo die kahle Erde lag und ein Stab darauf stak. So war Trawies ein großer Friedhof geworden, aber die Gräber verwuchsen rasch, die Stäbe sanken bald in ds Gras und die Verstorbenen waren spurlos dahin.

So war jetzt Niemand, der den Ruf that: »Mein Vater, ich wecke Dich, die Sonnenwend’ ist da!«

Nach Branntwein aber schrien die aus dem Schlaf geweckten Gesellen, darunter wohl auch der Bauer Isidor, der Jäger vom Trasank, der Stoßnickel und Ursula, die Giftmischerin. In Lumpen gehüllte Weiber schleppten sie mit, aber nicht mehr gegen die Wildwiesen, sondern dem Johannesberge zu, wo heute Kirchweih war. Auch Musikanten waren da, doch ihre Instrumente krähten heiser oder schrien grell und schrill; selbst die Saiten und Pfeifen klagten es, daß alle, alle Harmonie von Trawies gewichen sei. Die Fackeln fuhren im Thale wie Irrlichter hin und Herr und strebten im Zickzack dem Johannesberge zu.

Wohl fehlte etwas, das sonst diesen Morgen belebt hatte, dessen Abgang jedoch heute kaum bemerkt wurde. Das heitere Völklein der Kinder war nicht da. Zu Trawies gab es keine Kinder mehr. Die wenigen, die da umherliefen, es waren kleine Strolche.

»Die Kinder,« hatte Wahnfred einmal gesagt, »sind ein Geschenk Gottes; aus der Sünde entstehen sie nicht.«

Die Wenigen, die geboren wurden, verdarben und starben in ihrem zartesten Alter.

»Ein Zeichen,« meinten Einige, »daß der jüngste Tag nicht mehr weit ist.«

Und Wahnfred hatte gesagt: »Das ist die göttliche Gerechtigkeit. Sollen die Kinder denn in der Schuld der Väter mit zugrunde gehen? Daran, daß er zu Trawies die Männer entmannt und die Weiber entweibt, daran erkenne ich Ihn wieder.«

Nun gingen sie dem neuen Tempel zu.

»Sonst stoßt uns der finstere Herr aus Trawies,« spottete der Eine.

»Und die lichten Herren draußen, die stoßen uns wieder herein,« versetzte der Andere.

»Na höret einmal, es wird schon wieder ungemüthlich. Dahier soll Eins knien, draußen soll Eins hängen, ‘s ist ein Teufel wie der andere.«

»Seid froh, daß wir wieder einen Herrgott haben!«

»Der Sackra will nicht brennen!« Rief ein Weiterer und schleuderte seine rauchende Lunte zu Boden.

»O, er wird Dich schon brennen, Du alter Sünder!«

»Ein Sünder, meinst? Schau, das giebt mit wieder ein rechtes Ansehen. Es war bös die Jahre her, daß es in ganz Trawies keinen Sünder gab.«

»Ich glaub’s. Lauter Räuber und Halunken.«

»Ist auch schöner, aber nur hübsch fromm dabei sein.«

Ähnliche Gespräche führten sie unterwegs.

Einen stillen Waldpfad hatte sich Erlefried erwählt. Er bestieg mit seiner Sela den Berg vom Gestade aus. Da begegneten sie Keinem, da waren sie allein. – Selbst der Bart war nicht mit ihnen, der hatte sich zum Sandhock und zum Tropper gesellt, um mit ihnen die Einrichtung des neuen Gottesdienstes zu besprechen. So sehr er anfangs und selbst noch bei dem Gottsleichnamsfeste der neuen Lehre entgegen war, heute stimmte er dafür. Er sah den günstigen Einfluß. Die Leute von Trawies gehörten zu jenem Mückengezücht, welches gern die Flammen sucht und umgaukelt. Und das war ein unendlicher Vortheil, sie um einen Mittelpunkt zu versammeln, sie zu beherrschen.

Der Bart hatte in der Zeit des Unheils durch Arbeit und Rechtschaffenheit sein Gewissen zu besänftigen gesucht. Nun, da er alt wurde, da er in Trawies wieder einen Drang nach Überirdischem erwachen und sich selbst davon erfaßt sah, nun hörte er plötzlich in seinem Inneren die Stimme: »Bart vom Tärn, Du warst auch dabei!« Er war dabei gewesen in der Rabenkirche, da sie den Mord geplant, er war dabei gewesen im Hause des Weißbucher, da sie den Mörder verleugnet. Er war der Hauptschuldigen Einer, auch für ihn ist dazumal in der Kirche ein Kopf vom Rumpfe gefallen.

Als die Leute sich auf der Höhe um das Haus versammelten, ging über dem Trasank der Morgenstern auf. Sie, von ihren Fackeln geblendet, sahen ihn nicht. Sie johlten wie eine Rotte von wilden Buben und trieben sich balgend, lachend und fluchend durcheinander. Die ruhigsten von ihnen waren die Taschendiebe und von den Feueranbetern die Glühendsten waren jene fahlfarbenen Gesellen, welche den Weibern nachhuschten. An den Branntweinbänken wurden Ehen geschlossen und Todtschläge geschworen.

Der Bart verwies Einigen das tolle Trinken.

»Das Brennwasser willst uns neiden!« schrie einer der Wildesten, »alter Gotteslästerer, man soll dich würgen! Im Branntwein ist der Herrgott drin, siehst Du?« Er goß den Zuber auf das Brett aus, warf einen brennenden Span drein und die Flüssigkeit lohte in blauer Flamme auf.

Die Waaren zahlten sie seit Langem schon durch Tausch. Für Branntwein: Wildpret, für Vögel: Fische, für Kümmel: Essig, für Waldnüsse: Käse, für Wurzeln: Beeren, für Wolle: Häute, für Bänder: Nägeln u. s. w. Dabei gab’s Zank und streit in Fülle und Mancher pries die Zeit, da Trawies seinen Pfarrherrn hatte, nur weil es dazumal auch Schinderlinge gegeben. Es gab deren noch, aber Keiner wollte sie nehmen, man durchlöcherte die Münzen und trug sie als Schmuck an den Hälsen, und der Liebende bag als Dank einen Schinderling und die Geliebte schleuderte ihm das Geldstück ins Gesicht und forderte Fleisch und Branntwein.

Ähnlich trieb sich’s auch heute bei dieser Kirchweih auf dem Johannesberg, zur Stunde, da das Bethaus im blassen Scheine des werdenden Tages stand.

Da wurde das Treiben plötzlich unterbrochen. Wahnfred, von mehreren alten Männern begleitet, stieg von seinem Hause herab und trug das Heiligthum – das Ahnfeuer.

Allsogleich schlug in der Menge die Stimmung um. An der Stelle der Ausgelassenheit trat die Bigotterie mit ihren Schwärmereien und fanatischen Ausschreitungen. Man fiel aufs Angesicht nieder und streckte die Arme aus, Weiber geriethen in Verzückung, denn sie hatten getrunken. Sie kreischten dem Feuer Bittgesänge zu, die im Lärm der Hinundherwogenden wie der Schrei des Schiffbrüchigen im Orkan erstickten. – Zwei Männer mit langen Stäben gruben in der Menge eine Gasse, und durch dieselbe zog Wahnfred im Paltrock, an seine Brust gelehnt das in einer Laterne brennende Ämplein. Der matte Schein desselben streifte die verwitterten und verwilderten Gesichter der Knienden und kämpfte mit dem Morgenroth. So zog Wahnfred in den Tempel ein und hinter ihm drängte sich stoßend, schlagend, lachend und fluchend die Menge nach, bis der Letzte drinnen war. Und als der Letzte drinnen war, fiel das Pförtlein krachend ins Schloß. An den inneren Wänden zuckte das Roth des Ahnfeuers, das dem Altar zugetragen wurde. Und als das Ahnfeuer am Altar war, schlug aus demselben ein Flämmchen an die niederhängende Strohkette ....

 

 

Erlefried und Sela waren durch den Wald und immer durch den Wald gegangen. Sie hatten keine Fackel, sie führten sich an der Hand, sie sagten kein Wort. Erst als sie auf einem freien Platz gekommen waren, wo der Morgenstern über ganz anderen Baumwipfeln stand, als er hätte stehen sollen, bekannte Erlefried, er hätte den Weg verfehlt. Das Mädchen vertraute ihm. Sie dachte an jenen Sonnenwendmorgen vor Jahren, da sie mitsammen als Kinder zur Wildwiesen hinangestiegen. Auch damals hatten sie sich verirrt und kamen in die Dornen. Damals wußte der kleine Erlefried so schöne Märchen zu erzählen. Das hat sich geändert. Je größer und schöner, desto schweigsamer ist er geworden. Heute sagt er gar nichts mehr.

Viel zu weit links waren sie gekommen, und zur rechten Hand hatten sie nur die aufsteigenden Felsen. So dachten sie nicht mehr an den Johannesberg, sondern gingen immer weiter, immer vorwärts. – Eines folgte dem Anderen, Keines wußte wohin.

Die Bäume standen im Morgenroth, die Vöglein sangen in heller Lust. Der pfad zog wieder thalwärts und verlor sich allmählich im Struppwerk. Der Jüngling und die Jungfrau waren ganz allein, nur die Vöglein waren mit ihnen überall. Sie schritten still zwischen dem Gestämme hin, sie kamen ins Brombeerlaub, sie traten auf das kraut der Einbeere, sie schreckten manche Eidechse auf unter ihren Füßen. Sie wanden sich durch Haselnußgesträuch, immer üppiger rankte, wölbte sich das Gebüsch um die zwei jungen Menschen – endlich vermag unser Blick ihnen nicht mehr zu folgen.

Von diesem Waldgang sagte der Chronist: »Und sie dergestalt selbander gewest seynd, haben sie nit anders vermeinet, denn sie wären in der Himmlischen Freid.«

Vergebens horchen wir nach ihren Schritten, warten vergebens auf ihre Umkehr. Und wie wir so horchen, da geht etwas sonderbares durch die Luft. Es ist, als wenn Saiten gespannt wären über die Höhen von Fels zu Wald und plötzlich fahre eine unsichtbare Hand wild in die Saiten. So schrillt es lang getragen und gebrochen seltsam durch die Luft, dann ist alles still. – Ein paar Spechte schießen planlos im Gewipfel um und kreischen.

Tief in der Schlucht, wo ein bemooster Weg gegen das Haus des Firnerhans hinausführt, kamen die zwei jungen Menschen aus dem Dickicht wieder hervor. Ihre Gesichter waren rosig erblüht, ihre Herzen zitterten leise, zitterten selig nach, als hätten sie ihn gesehen, der von Ewigkeit zu Ewigkeit seinen Kindern die Freude giebt. Sie schwiegen noch immer. Sela schlug ihre Augen nieder auf das graue Moos; Erlefried hob das seine – feucht und glühend wie es war – gegen den Himmel und wunderte sich, daß die Sonne schon so hoch stand und daß sie heute so roth war. Über dem Gipfel des Johannesberges lag eine finstere Wolke, die mit ihren rothbraunen Rändern weit über den Himmel hin und als blazender Schleier an der oberen Trach, wo die Kirche stand, in das Thal niedersank.

Als sie weiter unten in die Lichtung gekommen waren, sahen sie, daß die Wolke dicht und schwer, sich selbst beschattend, aus der Spitze des Johannesberges aufstieg, als wäre dort ein Vulkan ausgebrochen.

Erlefried wurde blaß. Er sah auf der Höhe kein Haus.

Einer von Allen, die hinaufgestiegen waren zum Berge des Johannes, um die Sonnenwende und das Feuerfest zu begehen, ist zurückgekehrt. Im Erzählen dessen, was er geschaut, hat ihn der Wahnsinn erfaßt. Seine Spur ist bald verloren gegangen.

Erlefried und Sela sind geflohen, so weit sie ihre Füße haben getragen. Auf fernen Auen, wo kein trüber Rauch die Sonne umhüllte, haben sie ein neues Leben angefangen.

In einer schwülen Sommernacht desselben Jahres kam vom Niedergange her ein mächtiger Sturm. Er wühlte auf dem Berge die Asche empor und streute sie hin über die grünen menschenleeren Wälder von Trawies.

Der noch heute bestehende Galgen von Schattenberg besteht aus drei aus Bruchsteinen gemauerten, nach oben sich etwas verjüngenden Rundsäulen mit Mörtelputz, an den Enden abgefallen. H. c. 600; U.: c. 380 (Brusthöhe); Abstand der Säulen: 380.

E.: Krauß I, S. 235, 238: Die im Volk noch lebendige Tradition berichtet, daß die an der Ermordung des Pfarrers Melchior Lang (1493) acht Hauptschuldigen an diesem eigens zu diesem Zweck errichteten Galgen justifiziert wurden. Peter Rosegger hat in seinem Roman »Der Gottsucher« die damaligen Ereignisse ausführlich behandelt.

Gottfried Gidaly, 2002


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