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Das Lied von Sulamith

I

Ja, das waren Zeiten voller Leben und Bewegung! Geschah nicht das eine, so konnte man sicherlich eines andern Geschehnisses gewärtig sein.

Das große Wunder begab sich, daß der Herr die Herzen einander zulenkte wie die Bächlein: drei Kirchengemeinschaften schlossen sich zusammen. Und so wurde die Vereinigte Kirche gestiftet. Die meisten, die der neugebildeten Kirchenkorporation beitraten, waren sich darin einig, daß dies das Größte sei, was sich bisher unter den Norwegern in Amerika ereignet hatte. Die Zeitungen waren voll davon; die Geistlichen taten des Ereignisses in der Predigt Erwähnung; fromme Gemüter dankten dem Herrn innig für die Segnung, die er damit über sein Volk ausgegossen hatte.

St. Lucas und Bethel gehörten von jetzt ab derselben Kirchengemeinschaft an, blieben jedoch auch fürderhin noch getrennt. Pastor Gabrielsen rieb sich die Hände und strahlte, wenn er sich mit den Leuten unterhielt. Da könnten sie sehen, wie es gehe, wenn die Menschen so recht von Herzen das Gute wollten! Es werde gar nicht lange dauern, bis auch die Haugianer Hans Nielsen Hauge, norweg. Sektenstifter. und die Synode Glieder der Bruderkette wären, einem solchen Pfingsten des Herrn könne niemand widerstehen – sie würden's ja sehen. Wenn erst die Kirchengemeinschaft zur englischen Predigt übergehe und eine vollkommen amerikanische Kirche werde, dann –. »Laßt den Bethelleuten nur Zeit zur Besinnung! Ich glaube fest daran, daß wir die Freude erleben, auch hier das Gute siegen zu sehen.«

Große politische Begebenheiten trafen um denselben Zeitpunkt ein. In demselben Jahr, in dem Peders Haupt von Priesterhand berührt wurde, verleibte die Union sich Süddakota, Norddakota, Montana und Washington als Staaten ein; das Jahr darauf Wyoming und Idaho. Da schwammen jetzt sechs neugezimmerte Staaten unter der westlichen Sonne! Die Teilung des Territoriums hatte kein besonderes Aufsehen oder gar Widerstand erregt. Es hatte schon seit langem festgestanden, daß sie unvermeidlich war; die Leute hatten sich müde daran geschwätzt, und jetzt gab es hier anderes zu bedenken.

Aus dem Westen drang neue, große Kunde. In Montana sollte die Landschaft weit schöner sein als hier und der Boden so fruchtbar, daß der Weizen, sobald er den Geruch von dieser Ackerkrume auch nur spürte, anfinge in den Säcken zu wachsen, – geradezu unheimlich. Ein Winter, der nicht der Rede wert war, und im Sommer auch nicht einmal eine Andeutung von Zyklon. Und gleich hinter Montana lag Washington. Gefiel es einem nicht in Montana, so konnte er dorthin wandern; denn dort war es nun genau wie in Norwegen – Meer und Gebirge, Fisch und alles, ja, und überdies auch noch Obst! So etwas von Land war noch nie dagewesen! Und wie war es dagegen hier in den beiden Dakotas? Hier wimmelte es von alten Steifböcken, die nichts erstrebten und noch weniger begriffen, so daß einer sich nicht einmal recht rühren durfte – mocht sich der Satan hier noch weiter abrackern! Nicht wenige, zumeist junges Volk, legten das Steuer nach Westen um und fuhren los; bisweilen begann wohl auch einer der Veteranen, der hier an der sauern Pfeife sog und schlechtgelaunt war, weil die Gicht ihn trotz allen äußerlichen und innerlichen Gebrauchs von Linimentum nie in Ruhe lassen wollte, frische Luft zu wittern. Und dann rührte er sich und krabbelte herum und guckte so lange in den Abendhimmel, bis er merkwürdig phantastische Gebilde vor sich sah – zumal wenn die Sonne groß und träumend in die Prärie sank; unversehens hatte solch alter Kauz sich dann Reisegesellschaft verschafft – hier sei für einen armen Teufel ja doch nichts zu holen!

Ja, es ereignete sich genug Neues unter der Sonne, über das man schwätzen konnte, wenn der Nachbar den Nachbarn traf. So wurden die Leute in der Spring-Creek-Siedlung zum Beispiel plötzlich von der Heiratsseuche befallen.

In dem Frühjahr, in dem Süddakota Staat geworden war, kam eine Schwester von Mrs. Sam Solum von Minnesota her, um sich die Herrlichkeit anzuschauen. Sie hieß Randi und war eine behende und lustige Dirn, die sich gern dort aufhielt, wo die Leut lachten, denn da konnte sie mitlachen. Auf einer Geselligkeit drüben im Tallaksen-Schulhaus wollte es der Zufall, daß Ole Holm ihren Korb kaufte. Das war der Anfang der Narrheit. Ehe der Sommer noch recht weit gediehen war, fuhren Ole und Randi zum Pastor und ließen sich trauen.

Sie hatten nur die Zeugen mit und feierten keine Hochzeit. Darum fanden die Junggesellen der Nachbarschaft, sie seien um ein Vergnügen betrogen worden, auf das sie berechtigten Anspruch hätten; in der Nacht versammelten sie sich um das Brauthaus und veranstalteten mit Waschzubern und Kellen einen derartigen Höllenspektakel, daß der Bräutigam zu ihnen hinausgehen und einen tüchtigen Batzen für ein Fäßchen bluten mußte; dann erst trat Ruhe ein, so daß er sich zu Bett begeben konnte.

Die Leute hätten gern gewußt, wie Beret Holm diesen Stoß wohl verwand; denn die Sache war reichlich schnell vor sich gegangen; und der Tratsch wurde nur noch ärger, weil Ole bei dem Schwager wohnen blieb: und das liege an der Randi! Schon am Tage nach der Hochzeit sei sie bei der Schwiegermutter zu Besuch gewesen, um sich sogleich überall umzuschauen. Es sei hier doch gar zu still; und es werde ihr auch nicht gerade der Willkomm bereitet, den sie als Schwiegertochter erwarten dürfe, hatte die Randi gefunden. Und ebensowenig werde der dem Sohn zuteil. Beret Holm habe kaum zehn Worte an das junge Paar verloren. Daß aber die Schwiegermutter ihr nicht einmal Glück habe wünschen können, das, meinte Randi, sei geradezu eine Schmach! Auf dem Heimweg hatte sie in Tränen aufgelöst beteuert, sie werde jenes Haus nicht mehr betreten. Ole hatte ihr lächelnd den Arm um den Hals gelegt: sie kenne die Mutter halt nicht, oh nein! Das sei alles zu jäh auf sie eingestürmt, sie werde schon noch all right, wenn sie nur erst Zeit gehabt, sich zu besinnen! – – Sie brauchten sich an derlei jetzt nicht zu kehren. – – Er wolle gern in einer Rasenhütte wohnen, wenn nur sie bei ihm sei!

Aber er hatte sich fröhlicher gestellt, als er war.

Ole blieb beim Sam wohnen. Sie kauften sich eine Dreschmaschine und gingen den ganzen Herbst über auf den umliegenden Farmen dreschen. Im nächsten Frühjahr jedoch takelte ein jeder seinen Planwagen auf, lud ihn voll, hieß sein Weib hinaufklettern und verzog nach Westen.

Zu Weihnacht darauf hielten Sörine und Tambour-Ola Hochzeit. In aller Stille. Nur die nächsten Nachbarn waren geladen. Beret Holm kam und half bei den Mittagvorbereitungen, ging aber zeitig heim; sie hatte das ganze Jahr über gekränkelt, wenn auch nicht so schlimm, daß sie nicht ihre volle Arbeit hätte verrichten können. Als Hochzeitsgeschenk überreichte sie Sörine ein Tuch, das sie selber gestrickt hatte; ein Staatsstück war es, zu dessen Herstellung sie zwei Jahre lang gebraucht hatte. Sörine vermochte kaum ihren Dank dafür vorzubringen. Sie hatte solch ein Tuch zugleich mit Beret angefangen; anfänglich hatten sie beide um die Wette gestrickt, dann aber hatte Sörine es aufgegeben, weil sie nicht imstande war, an den Abenden wachzubleiben. Ihr Tuch war noch nicht zur Hälfte fertig. Und jetzt beschenkte Beret sie mit dem ihren! Hätte sie Beret nicht besser gekannt, hätte sie glauben müssen, die tue das, um sie zu demütigen.

Im Mai des nächsten Jahres kam die dritte Hochzeit an die Reihe, da führte der Große-Hans die Sofie heim. Leute, die in solchen Dingen stets genau Bescheid wußten, berechneten, daß dies doch recht überraschend komme, und merkten sich das Datum. Der Hans hätte doch wirklich auch warten können, bis sie bei der Beret mit der Frühjahrsbestellung fertig waren; – im Monat Mai feiere man nur dann Hochzeit, wenn es durchaus geboten sei!

Die Hochzeit wurde bei Sörine gefeiert. Viel Gäste waren zugegen, aber wenig Fröhlichkeit. Versuchte sich einer damit, dann gelang es ihm nicht, und ein anderer lachte gezwungen. Dies war die erste Hochzeit in der Nachbarschaft, auf der den Gästen nicht einmal ein einziges Glas Bier angeboten wurde. Der Bräutigam habe es so gewünscht, hieß es. Tönset'n war darüber so tödlich beleidigt, daß er schnurstracks heim und zu Bett ging. Daß die Söhne vom Per Hansen solche Knauserläuse werden könnten, hätte er, weiß Gott, niemals geglaubt, – freilich, die Schwiegermütter, die doch wüßten, was sich bei anständigem Volk schicke, die seien auch nicht ein Haar besser! Als er bis gegen Abend gelegen hatte, stand er wieder auf und ging zum Hochzeitshof zurück; es war ihm inzwischen eingefallen, daß er eine Flasche stehen hatte, von der Kjersti nichts wußte – die nahm er mit.

Sommerüber wohnte das junge Paar bei Beret; gleich nach der Weizenernte aber zogen sie drüben beim Sam ein, wo die Häuser jetzt leer standen. Im Vorfrühling nämlich hatten der Große-Hans und der Sam viel miteinander verkehrt. Da hatte der Sam ihm die Farm angeboten, so wie sie stand, mit Gebäuden und Werkzeug und Vieh, wogegen Hans sie drei Jahre lang so bewirtschaften solle, als sei sie sein Eigentum; alle Erträge während der Zeit sollten Hans gehören, dafür solle er die Steuern entrichten und alles instand halten; komme der Sam nicht nach Ablauf der drei Jahre zurück, so solle Hans das Vorkaufsrecht haben – als Kaufpreis wurden 12 Dollar per Acre festgesetzt. Dieses Angebot war so offensichtlich günstig, daß der andere mit tausend Freuden einwilligte. Vor Sams Abreise waren die beiden noch zur Stadt gefahren und hatten die Angelegenheit rechtlich und vertraglich festgelegt.

Von diesem Handel erfuhr die Beret erst geraume Zeit später. An einem naßkalten Märztage, als der Große-Hans in der Scheune beim Reinigen des Saatweizens war, kam sie dazu, um sich davon zu überzeugen, ob er ihn auch gründlich säuberte. Im vorigen Sommer hatte sich mehr Unkraut unter dem Weizen gezeigt als gewöhnlich, und das, glaubte sie, wäre nur daher gekommen, daß die Buben sich im Frühjahr nicht Zeit genug beim Fächeln Fächeln = maschinelles Getreidereinigen mittels rotierender Siebe. gelassen hätten; heute mußte sie doch einmal nachsehen, ob die Mühle auch arbeitete, wie sie sollte. Der Große-Hans war darüber nicht gerade erfreut – soviel Vertrauen hätte sie ihm schon schenken dürfen! Er setzte sich auf die Kornlade. Und dann erzählte er ihr von seinem Kontrakt mit Sam. Langsam und umständlich, wie es seine Art war, wenn ihm etwas Ernstes bevorstand. Beret hatte eins von den Sieben aus der Mühle genommen, hielt es vors Licht, untersuchte es und setzte es sorgsam wieder ein; sie schenkte ihm keinen Blick und schwieg.

Sie nimmt es gewiß schwer, das habe ich im voraus gewußt, dachte er. Sonderbar, daß sie nicht einsehen kann, daß ein erwachsener Bursch einmal selbständig werden muß? Hätte sie dem Ole von Anfang an mehr Raum gelassen, hätte der wohl kaum letztes Jahr so über die Stränge geschlagen, und wäre nicht in die weite Welt hineinkutschiert auf Teufel komm raus! – – Übrigens hat sie keinen Grund, deswegen gekränkt zu sein. Ich habe ungemein Wichtiges auf eigne Hand entschieden und weiß, daß ich ein fabelhaftes Geschäft dabei gemacht habe – ist das etwa ein Grund zu grollen?

Er stand auf und schüttete Weizen auf die Mühle, setzte sie aber noch nicht in Gang.

Beret stand in der Tür und schaute hinaus. Nach einer Weile begann sie:

– Habe er vor, noch dies Jahr zu heiraten?

– Er und die Sofie hätten davon gesprochen, – jawohl.

– Und wann? Beret sprach immer noch in die Luft hinein.

– Im Mai werde es wohl einmal soweit sein, sagte er und faßte nach der Kurbel.

– Im Mai?

– So wenigstens hätten sie es sich gedacht.

Beret mußte sich vor jeder Frage erst lange besinnen.

– Eilte es denn gar so grausam?

– Oh, nicht gerade das!

– Könnten sie nicht bis zum Herbst damit warten?

– Nein. – Dem Großen-Hans fiel dies Nein sehr schwer.

Beret wartete ab, bis er die Mühle geleert hatte; und dann fragte sie – und jetzt war ihre Stimme leer und klanglos:

– Hätten sie vor, dann gleich hinüberzuziehen?

Damit habe es gute Weile, sagte der Große-Hans zögernd und bückte sich in die Lade nach neuem Weizen. – – Er habe sich entschlossen, für den Sommer einen Knecht zu dingen; zur Ernte brauchten sie dann wohl außer dem Knecht noch Hilfe, aber da fände sich immer Rat. – – Sie dürfe nicht glauben, daß er nicht daheim bei der Wirtschaft und Arbeit helfen werde, weil er selbst eine Farm übernommen habe!

Ob sie sich diesen letzten Zusatz noch angehört hatte, wußte er nicht sicher; denn als er sich wieder aufrichtete, war sie gegangen. –

Als der Große-Hans umzog, wußten etliche zu erzählen, er tue es, weil Frau und Schwiegermutter nicht allzu gut miteinander auskämen.

Ob das nun seine Richtigkeit hatte oder nicht, jedenfalls lag Sofie in der ersten Woche des November im Kindbett und kam mit einem Buben nieder, der in der Taufe ›nach den beiden Großvätern‹ den Namen Henry Percival erhielt. Beim Tauffest ließ dann Tönset'n jene Bemerkung fallen: jetzt komme es hier so dick mit Hochzeiten und Kindelbier, daß er und seine Bäuerin bald der Gemeinde zur Last fallen würden, wenn sie die alle mitmachen wollten. »Liebe Leute – wär ich nicht so saudumm gewesen, mein Amt niederzulegen, dann hätt ich jetzt mit dem Trauen steinreich werden können! – – Aber das sag ich dir, Sörina, wenn's auch bei dir ein Knäblein wird, dann benenne du ihn nach mir – denn das wird er keineswegs zu bereuen haben!«

Beret war an dem Tage in der Kirche, kam aber nicht zum Tauffest hinterher. Daheim war sie ungewöhnlich gesprächig bei Tisch und laut, kam von einem aufs andere und lachte dazwischen, als ertrüge sie nicht, daß Stille in der Stube herrsche. Peder und die Schwester mußten sie anschauen – was war denn jetzt wieder verkehrt? Als sie vom Tisch aufstanden, fragte sie nach dem zweiten Namen, den der Hans dem Buben gegeben, sie höre so schlecht – könnten sie ihr den wohl sagen? Annemarie gab ihn der Mutter an. Da sprach Beret noch lauter und verbreitete sich darüber: Percival? War es so? Was bedeute denn das? Das war doch kein gebräuchlicher Menschenname? Nach wem könnt der sein?

»Kannst du denn nicht begreifen, daß der nach Vater ist?« sagte Peder aufgebracht.

»Darüber muß ich wirklich lachen! Nach Vater? Ich mein, du schwätzest! Dein Bruder hat doch wohl so viel Witz, daß er sich nicht dazu hergibt, tote Leut zu Narren zu machen – das weißt du doch auch! Was, meinst du, hätte der Vater dazu wohl gesagt? – – Ich kann nicht begreifen, wie es dem Hans einfallen kann, einem norwegischen Buben einen solchen Namen zu geben!«

Peder mochte sich nicht in eine Auseinandersetzung mit ihr einlassen und ging hinaus, die Pferde zu besorgen. Aber mit der Annemarie redete die Mutter noch weiter wegen des Namens: – sei es auch gewiß, daß sie sich nicht verhört habe? Ja, nun dann sei das etwas, worauf die Sofie verfallen sei. Der Hans hätte sich niemals dazu hergegeben, mit dem Namen seines Vaters Scherz zu treiben, das glaube sie nicht.

Seither nahm sie den Namen des Enkelsohnes nicht in den Mund. Peder und die Schwester besuchten den Bruder oft; Beret blieb daheim. »Mit mir hat es Zeit bis zu einem andern Mal. Einer muß daheim bleiben. Ihr könnt von mir grüßen.« Wenn sie heimkamen, erkundigte sie sich eingehend, wie es drüben stehe, und fragte vor allem nach dem Kind, aber der Name kam ihr nicht über die Lippen.

 

II

St. Lucas mußte anerkennen, daß die Pfennige, die die Gemeinde zu einem Pferd samt neuem Wagen für ihren Pastor zusammengehamstert hatte, nicht zum Fenster hinausgeworfen waren. Hatte sein Vorgänger sich gleich jenem Patriarchen Jakob friedlich in seinem Zelte aufgehalten, so lag Pastor Gabrielsen ständig auf der Landstraße. Die Bäuerinnen waren niemals recht sicher davor, sein froh lächelndes Gesicht auf dem Hof erscheinen zu sehen, ausgenommen am Sonntagvormittag, wenn er auf der Kanzel stand. Aber andererseits war er auch durchaus nicht anspruchsvoll; ein Kuchenbissen und ein Glas Milch zur Bewirtung, einen Eimer Rahm oder einen Batzen Butter als Gabe für daheim, und sein Gesicht strahlte wie der klare Tag, wenn er wieder von dannen fuhr.

Bei Pastor Gabrielsen war es Dogma, daß ein Geistlicher, wenn er die Menschen für das Gute gewinnen wolle, auf die Straßen und Gassen hinaus, ihre Lebensbedingungen teilen und herzliche Anteilnahme spüren lassen müsse. Die Predigt sei Nebensache. Und er hatte in der Tat eine ganz besondere Begabung, mit den Leuten umzugehen. Widersprach ihm jemand und kam etwa mit Sticheleien, so nahm er es mit der größten Ruhe hin. Die Propheten seien gesteinigt worden – Kleinigkeit heutzutage, dem Herrn zu dienen! Ein wenig Sonnenschein hinterließ er überall, hatte es auch bei seinem Kommen noch so finster ausgesehen.

Zu Beret Holm schaute er oft hinein, wenn ihn sein Weg vorbeiführte. Niemals fuhr er von ihr weg, ohne etwas im Wagen mitzuführen. Niemand wußte so gut wie er, was für eine freigebige Frau Mrs. Holm war. Durch ihre anfängliche Kühle gegen ihn ließ er sich nicht weiter anfechten; er wußte deren Ursprung, und er hütete sich, das Thema wieder zu berühren. Diese Sache renkte sich mit der Zeit schon von selber ein – er kannte die Jugend! Ärgerlich war es aber doch, zu sehen, daß kluge Leute sich so dumm einrichteten: hätten die Norweger gleich bei ihrem Kommen die Landessprache in ihrer Kirche eingeführt, dann hätte die Arbeit sich weit fruchtbarer gestalten können, und dieser ganze unglückselige Zwist wäre vielleicht vermieden worden.

Wie gerade die Sprachenfrage die Jungen von den Älteren trennte, dafür hatte er hier im Hause das beste Beispiel. Die beiden Kinder sprachen stets Englisch mit ihm. Und doch gab es in der ganzen Gemeinde keinen klügeren Kopf als den der Beret Holm, davon war er fest überzeugt. Je besser er sie kennenlernte, desto größere Freude hatte er an ihrem Verstand, denn der war ungewöhnlich. Sie konnte bisweilen nur wenige Worte sagen, ganz ruhig, und sogleich stand ein Bild vor einem, das weithin Licht warf. Und wie hatte sie diese Farm in die Höhe gebracht! Man hatte ihm erzählt, daß sie besser gestellt sei als irgendwer sonst in der Gemeinde. Und niemand steuerte so reichlich wie sie zu den verschiedenen Aufgaben der Kirche bei, das konnte er am besten bezeugen.

Und ihre Kenntnis von Gottes Wort war geradezu phänomenal. Er fand es nur sonderbar, daß das Christentum ihr das schwere Gemüt nicht erleichtere, und er versuchte ihr auf jede mögliche Weise nahezubringen, welche Schönheit und Freude in der wahren Gotteskindschaft liege.

Jedesmal, wenn er auf diesen Gegenstand zu sprechen kam, pflegte Beret zu verstummen. Obwohl sie sich sowenig dazu äußerte, hatte er oft den Eindruck, als höre sie ihm nur mit Nachsicht zu, etwa wie jemandem, der von Dingen redet, die er nicht versteht, und dem man deshalb also ganz vergeblich widersprechen würde.

So, als er einmal mit ihr vom Wesen der Freude im Christentum sprach, bemerkte sie ruhig, fast als denke sie laut: wolle einer wissen, wie ein Weg beschaffen sei, müsse er einen fragen, der mit dem Weg vertraut sei. – – Das Lamm müsse sich auf die Knie legen, um zu saugen, das habe sie gesehen!

Der Pastor strich sich eine Weile den Bart, und dann fragte er freundlich, ob sie denn nicht auch gesehen habe, wie das Lamm hinterher munter springe und tanze.

Oh gewiß, gab Beret in demselben Ton zurück, in dem er gefragt, das habe sie gesehen, aber was meine er, sei es das Tanzen oder die Milch, die dem Lamm Wachstum und Stärke verleihe?

Damit verließ sie ihn. Der Pastor mußte sich fragen, ob sie sein Christentum in Zweifel ziehe.

Außer diesen Ermunterungen für Beret Holm und den Gaben für all die Münder daheim – sein Gehalt langte bei weitem nicht aus – hatte Pastor Gabrielsen noch eine weitere feste Absicht mit seinen Besuchen: noch nie hatte die Kirche eine so goldene Stunde gehabt wie jetzt; es galt nur, für den Weinberg die rechten Arbeiter zu finden, und hier wohnte der junge Mann, den er sich zum Nachfolger im Amte erkoren hatte; die Mutter besaß reichlich die Mittel, ihn während der Studienjahre zu unterstützen, mit Gottes Hilfe also würde es glücken.

Obwohl er alles sonnenklar vor sich sah, hatten sich im letzten Jahr doch wiederholt Wolken vor seine helle Zuversicht gelegt. Seit der Konfirmation kam er an Peder nicht mehr so recht heran; war er bei Holms zu Besuch, hielt der Bub sich zurück; blieb er zu Tisch, kam Peder entweder nicht herein oder saß schweigend dabei, beeilte sich beim Essen und drückte sich sogleich; beim Abschied ließ sich Peder nicht blicken. Anfänglich hatte er es nicht weiter beachtet – die Jugend bedurfte der Zeit, um auszugären. Aber dann war Peder immer seltener in den Bibelstunden zu sehen gewesen; im letzten Jahr hatte er überhaupt nicht mehr teilgenommen. Eines Sonntags hatte der Pastor Beret mit ihren beiden Kindern zu sich zu Tisch gebeten, aber Peder war weggeblieben, er habe woanders hingemußt, hatte die Mutter berichtet. Was den Pastor jedoch am meisten beunruhigte, war, daß der Klatsch sich jetzt ab und zu mit dem Jungen beschäftigte. Der scheine ein wilder Gesell zu werden, im Reden wie im Tun; er sei in einer Kneipe gesehen worden, und bei einem Biergelage bei den Tallaksenbuben habe er mehr getrunken, als ihm dienlich gewesen; großen Krakeel habe es dort gegeben, der fast in Schlägerei ausgeartet wäre, und der Anlaß sei Peder gewesen.

Bei Pastor Gabrielsens regem Verkehr kam ihm das meiste von dem zu Ohren, was alle Welt unter sich erörterte, also auch der Skandal bei den Tallaksenbuben. Dieses Geschehnis betrübte ihn aufrichtig, und er war sogleich entschlossen, sowohl mit der Mutter wie mit Peder zu sprechen. Dann aber unterließ er es doch: vor der Mutter die Sache zu erwähnen, brachte er nicht übers Herz: denn gesetzt den Fall, sie wüßte nichts? – Und Peder traf er nicht an, als er zu Holms kam.

Aber das Gerede hatte den alten Tönset'n mit der Geschichte in Verbindung gebracht, fiel jetzt dem Pastor ein. Wenn er also dorthin führe, würde er vermutlich hinter die gesamte Wahrheit kommen! Gesagt, getan! Und da stellte sich denn heraus, daß alles nicht so schlimm gewesen war. Peder wurde schließlich sogar in eine gewisse heroische Beleuchtung gerückt. – – Ja, das sei also so zugegangen, berichtete Tönset'n dramatisch, daß einer von diesen großschnäuzigen Tallaksenbuben damit angefangen habe, Peder aufzuziehen, weil er beim Pastor so gut angeschrieben stehe und selbst Pastor werden solle, und ob es wahr sei, was der Pastor erzähle, daß Peder die ganze Bibel auswendig wisse? Und da, ja schau, – da habe Peder halt seinen Glauben verteidigen müssen! – – So ungefähr habe es angefangen. Denn Peder, der habe gemeint, was ja auch wahr sei, daß er werden könne, was er wolle, ohne erst jemanden darum um Erlaubnis zu fragen; und da sei dann das eine Wort zum andern gekommen. Aber – eine Rauferei – nein, so könne er das keineswegs nennen, und von Besoffenheit sei nun vollends nicht die Rede gewesen. Garstig von den Leuten, so etwas herumzutratschen! Du lieber Himmel, fragte Tönset'n mit überzeugter Innerlichkeit, wie könne die wohl entstehen von nur einem winzigen Pony-Fäßchen! – – Tönset'n vergaß allerdings zu erwähnen, daß dem Bier recht kräftig Whisky beigemengt worden war, und da der Pastor von diesem Nebenumstand nicht unterrichtet war, beruhigte er sich dabei, daß die ganze Geschichte übermäßig aufgebauscht worden sei. Er erging sich noch eine Weile kameradschaftlich darüber, wie häßlich derartige Gelage doch seien, und Tönset'n pflichtete ihm darin völlig bei. Der Pastor fuhr erheblich erleichterten Gemüts wieder ab.

Das war im letzten Herbst gewesen, und in diesem Frühjahr hatte es für Pastor Gabrielsen anderes zu bedenken gegeben. Die Gemeinde Bethel berief, ohne sich mit ihm oder anderen zu beratschlagen, einen blutjungen Geistlichen namens Michael Bakken von der Haugeschen Synode, einen Mann von schönem Äußeren und so gewinnendem Wesen, daß die Leut ihn bereits gern hatten, wenn er sie mit Handschlag begrüßte. Er war unverheiratet und hatte mithin reichlich Zeit für Hausbesuche weit und breit; bald befuhr er die Landstraße ebenso eifrig wie sein Amtsbruder Gabrielsen.

Aber Pastor Bakken bevorzugte vor allem die Arbeit unter der Jugend. Ganz unglaublich, was er hierin erreichte. Bald hatte er einen Jugendbund gegründet, der seine Versammlungen zu den gleichen Stunden abhielt, wie Gabrielsen seine Bibelstunden. Das Programm bestritten die jungen Leute selber: einige sangen, jemand las vor, andere deklamierten irgendein Gedicht aus der Schulzeit; der Pastor hielt eine kurze Ansprache über ›große Männer und bemerkenswerte Begebenheiten aus Amerikas Geschichte‹ – auf norwegisch; hinterher gab es Erfrischungen und ein wenig ›christlich gesinnten Tanz‹, wie es in den Statuten hieß. Bald hatte Pastor Bakken auch einen Chor zusammen, der jedesmal auftrat. Und damit kam erst richtiger Schwung in die Sache. Wer hätte geglaubt, daß sich unter dem Jungvolk so viele Begabungen fänden!

Diese Zusammenkünfte waren sogleich beliebt. Daß nicht nur die Jugend von Bethel sie schätzte, darüber brauchte Pastor Gabrielsen sich nicht erst bei andern Bescheid zu holen: das las er von der Versammlung ab, die in seinen Bibelstunden vor ihm saß; die Älteren kamen nach wie vor, unter den Jüngeren jedoch lichtete es sich bedenklich. Müde und mutlos kam er von diesen Stunden heim: er wußte nicht, wie er dem Übel zu Leibe rücken könne.

Nicht aber, als ob man ihm keinen Bescheid ins Haus gebracht hätte! Erst dieser Tage hatte eine bekümmerte Bäuerin ihm anvertraut: jetzt beginne die Sünde so recht überhand zu nehmen! Der Bub von der Mrs. Holm, der Pastor werden solle, der singe jetzt mit im Bethelchor. Aber daß das allein Religion sei, die ihn hinzöge, das glaube sie für ihr Teil nicht, – das sei eher des Nils Nilsen Miriam! Der Pastor habe vielleicht gehört, daß Peder sie früh und spät spazieren fahre? Nicht abzusehen, wie das ablaufen werde – Pastor Bakken gehe selbst auf Freiersfüßen bei der Miriam, – auch das habe der Pastor vielleicht noch nicht gehört?

Die Frau sah so bekümmert aus, daß Pastor Gabrielsen sie trösten mußte: das sei des Lebens Gang bei der Jugend, und eine Tochter vom Nils Nilsen könne der Herrgott schon noch immer in eine Pastorsfrau umschaffen, der habe noch schwierigere Dinge zustande gebracht!

Die Frau fand das leichtfertig geredet von ihm, der der Hirte sein sollte. –

Aber Gabrielsens Freude über diese Mitteilung stand keineswegs in gradem Verhältnis zu seinem Lächeln. Um keinen Preis durfte der Bub jetzt, in dieser gefährlichen Zeit seiner Entwicklung, auf Mädelgedanken kommen! Gabrielsen sah jetzt deutlich, wie dumm er es angefangen, daß er Mrs. Holm nicht letzten Herbst dazu beredet hatte, Peder auf die höhere Schule zu schicken. Bereits am nächsten Nachmittag fuhr er hinüber zur Farm.

Er traf Beret allein im Pumpenhaus, wo sie beim Abrahmen war, grüßte und ging gerad auf sein Ziel los: was habe sie für diesen Herbst mit Peder vor? Jetzt müsse Ernst gemacht werden, er wolle sogleich an die Schule schreiben und um Peders Aufnahme ersuchen – was meine sie dazu?

Zunächst sagte Beret nichts. Auf einem Wandbrett stand ein Galloneneimer Gallone = amerik. Flüssigkeitsmaß = 4,54 l., sie füllte ihn mit frischem Rahm und reichte ihm den, – für seine Leut bei ihm daheim.

Der Pastor dankte lächelnd für das Geschenk. Deshalb sei er jedoch heute nicht gekommen! Habe sie mit Peder ernstlich wegen des Eintritts in die höhere Schule gesprochen?

Nein, das könne sie nicht gerad behaupten.

Ja, aber halte sie das denn nicht für ihre Pflicht? fragte er freundlich. Der Junge sei jetzt in dem Alter, in dem es für ihn gefährlich werden könne, wenn er unter gleichaltrigen Kameraden zu Hause bleibe.

Sei es draußen weniger gefährlich?

Ja, unbedingt! Der Pastor geriet in Eifer: gar keine Frage! Es sei merkwürdig, welchen Einfluß christlich gesinnte Lehrer auf junge Gemüter auszuüben vermöchten, und das sei gerade der Einfluß, dessen Peder bedürfe, um zum geistlichen Beruf so recht heranzureifen!

Beret setzte sich auf den Rand des Wasserbehälters. Sie sah abgearbeitet und müde aus; sie war in den letzten Jahren sichtlich gealtert, fand der Pastor, und er spürte sofort den Wunsch, ihr etwas Treffliches zu sagen, fand jedoch nicht die richtigen Worte – wie schon des öftern, wenn sie ihn so angeschaut hatte.

Was sie wolle, mache dabei wohl kaum etwas aus. Bitterkeit klang aus ihren Worten. – – Als sie dann weitersprach, sah sie dem Pastor gerade in die Augen:

Wenn es des Herrgotts Wille sei, daß der Peder geistlich werde, dann stelle sich dazu wohl noch Rat ein. Sie habe bemerkt, daß, wenn das Ei auch noch so hart sei, das Kücken doch einen Weg hinausfinde, wenn die Zeit erst gekommen sei. Per sei erwachsen, er solle tun, was ihm gut scheine.

Beret schwieg und begann ihre Schürze in Falten zu legen. Der Pastor merkte, daß ihr noch mehr das Herz beschwerte. Als sie die Falten wieder glatt gestrichen hatte, hub sie an:

Im Farmerblatt stehe, daß die Kirchengesellschaften jetzt darangingen, Altersheime zu errichten. Es sei dort ja zwar wohl für ein altes Wurm immerhin erträglich, obwohl – ein ganzer Stall nur von hinfälligen Kühen voll, der biete weder große Freude, noch sonderlich viel Schönheit! – Beret legte auf diese beiden Worte, die er ihr gegenüber so oft im Munde geführt, besonderen Nachdruck. – – Übrigens erscheine ihr das eine recht eigentümliche Art, Barmherzigkeit zu üben. Wenn die Alten nicht mehr könnten und nur noch im Wege seien, dann heiße es, sie schleunigst in eine Anstalt abschieben. Sie losreißen von allem, was sie ihr Lebelang verwaltet und liebgewonnen hätten. Steuere man jährlich einige Cents bei, so habe man Barmherzigkeit geübt! Ob Jesus das wohl mit Barmherzigsein gemeint habe?

Beret schwieg, sah zu Boden und fing wieder an, Falten zu pressen.

Der Pastor legte ihr eingehend und milde dar: nein, so habe er's nicht gemeint – sie brauche die Farm doch deshalb noch nicht zu verkaufen, weil der Peder zum Seminar reise; der Hans könne ja herüberziehen; und wie wär's denn mit dem andern Sohn draußen in Montana? – – Und überdies dürften sie auch die Erzählung Jesu von der Hochzeit des Königssohnes nicht vergessen, fügte er ernst hinzu.

Beret erhob sich schnell, setzte ein paar Eimer zusammen und schickte sich an, zu gehen. In der Tür kehrte sie sich erregt nach ihm um:

»Bisweilen will es mich bedünken, als ob ihr Pastoren vielerlei Ungereimtheit über Dinge daherredet, auf die ihr euch nicht sonderlich versteht. – – Hättet ihr die Menschen wirklich lieb, so ginget ihr wohl kaum so zu Werke!« – – Sie sah hinaus und schwieg. Lange Zeit. Als sie wieder begann, war sie ruhiger:

»Du kannst jetzt hineingehen und warten; der Per kommt bald heim, dann magst du mit ihm reden.«

Damit verließ sie ihn.

Der Pastor sah ihr verwirrt nach, strich sich den Bart in die Höhe und stopfte ihn in den Mund. – – Jetzt ereiferte sich Mrs. Holm über Dinge, die sie nicht begriff! Er mußte sich ihrer doch wohl noch mehr annehmen, sie zurechtweisen, unterrichten; denn sie irrte, – sie war zu sehr befangen im Alten und in ihrem eigenen Kram; darum erschienen ihr die Dinge alle widersinnig. Ja, ja! Mit etlichen von diesen alten Norwegern hatte man bisweilen so recht seine Last. – – Was bedeutete wohl diese Farm im Vergleich zu dem, daß aus dem Jungen ein Geistlicher werden konnte? So wenig begriff sie Gottes Willen, trotz ihres großen Scharfsinns!

– – –

Peder arbeitete und schaffte wie ein Mann. Beret und Annemarie hatten das Melken und die übrige Wirtschaft bis auf die Pferde besorgt; die Sonne wollte im Westen in die Prärie sinken; unmerklich lagerte sich der Abenddunst um den Hof.

Peder summte ein Lied, als er vom Feld kam, er ritt auf dem einen der Pferde und führte das andere am Zügel; daß Gäste da waren, gewahrte er erst, als er beim Maschinenhaus den Wagen erblickte – da unterbrach er sein Lied, und drückte sich den Strohhut tiefer ins Gesicht, um es besser zu verbergen.

Der Pastor kam ihm über die Hofreite entgegen und begrüßte ihn mit überströmender Freundlichkeit, fragte, wie es mit dem Mais stehe und ob er nicht einen Mietknecht zur Hilfe haben müsse.

Peder antwortete nur einsilbig; es klang freundlich, aber ausweichend, als wolle er verhindern, daß der Fragen zu viele würden. Er machte sich sogleich ans Besorgen der Pferde, tränkte sie, führte sie in den Stall, schirrte ab. Der Pastor wich derweil nicht von seiner Seite. Als Peder schließlich fertig war und im Stallgang stand, begann der Pastor und legte alle ihm zu Gebote stehende Herzlichkeit hinein:

»Heute abend bin ich hergekommen, um ernste Dinge mit dir zu besprechen.«

»All right.« Peder sah weg und wartete ab.

»Wollen's bis nach Tisch lassen, deine Mutter hat mich zum Nachtessen gebeten.«

Er müsse heute abend fort, sagte Peder und blieb stehen.

»Gehst du oft des Abends aus?« Der Pastor trat ein paar Schritt näher.

Der Bub lachte verlegen.

»Ja, siehst du,« fuhr der Pastor fort, »es handelt sich darum, daß ich um deinetwillen an die Schule schreiben und um Aufnahme für dich ersuchen will; im Herbst müßtest du anfangen.« Die Stimme klang überzeugend freundlich.

»Eilt es damit gar so sehr?« Peder vergaß sich und sprach Norwegisch.

»Ganz gewiß!« – der Pastor erwiderte auf englisch –. »Daran ist gar kein Zweifel. Je länger du hier im Hause bleibst, desto unklarer wirst du dir über deinen Entschluß, das sehe ich deutlich; denn du bindest dich an allerlei Dinge; schließlich scheint es dir unmöglich, dich von alledem zu lösen: – wenn du die Hand an den Pflug legst, so darfst du nicht zurücksehen; Jesus selber hat das gesagt und hat gewußt, was er sagte.«

Es falle ihm gerad ein, daß er auf den Heuboden müsse nach Heu für die Rösser. Und Peder ließ den Pastor stehen. Und als das besorgt war, da mußten die Pferde Hafer bekommen. Er arbeitete rüstig, und es ging ihm schnell von der Hand. Doch als er mit allem fertig war, wartete der Pastor noch immer im Gang auf ihn.

»Wir wollen lieber hinein,« meinte Peder, »die Mutter wartet mit dem Essen.«

»Laß das Essen warten,« antwortete der Pastor, »heute abend muß ich mit dir sprechen. Denn wisse, es ist für mich eine Herzenssache. – – Ich glaube zu verstehen, wie dir zumute ist; andere Dinge wollen sich dir in den Weg schieben, und du meinst, du fühlest dich nicht berufen; aber das ist nur deshalb, weil du nicht weißt, wie schön und groß der geistliche Beruf ist. Wie herrlich, alle Menschen zu lehren, gut zu sein! Und gut müssen sie werden, weil Güte Gottes wahrstes Wesen ist. Besinnst du dich nicht, wie oft wir beide vom Wesen Gottes gesprochen haben? Das war eitel Freude für mich, – du verstandest so gut. Ich weiß, daß du zum Geistlichen berufen bist!« Der Pastor erwärmte sich immer heftiger an seiner eigenen Beredtheit über das Gute und die Menschen, und wie wichtig es sei, daß sie Gottes Güte kennenlernten, und schloß sodann: »Nimm deine eigene Mutter: könnte sie seine Güte besser verstehen, so würde die Sorge um das Diesseits nicht ganz so schwer auf ihr lasten.«

Peder hatte sich den Strohhut abgenommen und klopfte sich damit das Hosenbein:

»Muß mich halt eilen,« sagte er ruhig, »jetzt müssen wir hinein!« Wieder sprach er Norwegisch, und das wunderte den Pastor.

»Ja, dann schreibe ich also ans Seminar; ich kenne dessen Leiter gut; ich versichere dir, daß auch du ihn schätzen lernen wirst!«

»Wollen abwarten. Ich kann die Mutter jetzt nicht verlassen!« Peder eilte am Pastor vorbei hinaus. Auf der Hofreite wartete er, bis der andere ihn einholte.

Der Pastor nahm das Gespräch wieder auf, jetzt ernster und bestimmter:

»Ich habe lange mit deiner Mutter darüber gesprochen; ich solle mit dir selber reden, hat sie gesagt.«

Peder sputete sich, der Pastor hielt Schritt:

»Wenn ich sie recht verstehe, so hat sie nichts dagegen, daß du Pastor wirst, ja – ich bin mir dessen sogar sicher, und in den nächsten Tagen gehe ich zu deinem Bruder und bitte ihn herüberzuziehen, sobald du abreisest.«

»Das, glaube ich, lässest du besser bleiben!« sagte Peder leise.

»Warum denn? Er ist der nächste dazu, einzuspringen; du mußt jetzt beginnen, dich auf die Arbeit vorzubereiten, zu der Gott dich berufen hat; dein Bruder muß die Farm hier übernehmen und für deine Mutter in ihren alten Tagen sorgen, so dienen wir nach beiden Seiten dem Guten!« versicherte der Pastor fröhlich.

»Ich sag, was ich gesagt hab: in das hier misch dich nicht ein!« gab Peder hart zurück und schritt so schnell aus, daß der Pastor nicht mitkonnte.

Beret erwartete sie im Vorraum, sie müßten sogleich kommen, das Essen werde schon kalt.

Peder bat, nicht auf ihn zu warten, und ging sogleich nach oben, wusch sich, blieb lange; als er herunterkam, war er in Sonntagskleidern.

Die Mutter sah auf: »Willst du heut abend weg?«

»Ja.« Peder setzte sich und griff zu.

Bei Tisch drohte das Gespräch ganz einzuschlafen. Peder merkte es und begann, sich langsam mit dem Pastor über alltägliche Dinge zu unterhalten, erkundigte sich, was die Leute rings auf der Prärie betrieben.

Und darüber gab der Pastor bereitwillig Auskunft: – – vielerlei sei jetzt im Werden; sein Amtsbruder, Pastor Bakken, scheine es zu verstehen, die Leute in Bewegung zu setzen. Der Pastor spielte mit dem Messer und lachte leise. Plötzlich sah er Peder ins Gesicht und sagte scherzend:

»Wie ich höre, singst auch du jetzt drüben im Chor mit; ich kann nicht gerade behaupten, daß ich das gern sehe; ich finde, ich habe das Vorrecht auf dich. Ja, ich meine nicht, daß du damit an und für sich etwas verkehrt machst, denn es muß einmal zwischen denen und uns eine gegenseitige Verständigung angebahnt werden – das wird deine Aufgabe sein, wenn du erst Pastor bist. Und vorher, als Student, kommst du in den Sommerferien nach Hause und hältst Schule – dann kümmerst du dich um das Singen bei uns; ich habe das auf dem Seminar nicht gelernt, wahrscheinlich, weil ich zu spät dazu gekommen bin.«

Peders sonnverbrannte Haut färbte sich merklich dunkler unter der Blutwelle, die darüber hinwegspülte.

» Hier wird das wohl kaum sein!« sagte er tief und Funken sprühend, traute sich aber nicht, dem Pastor ins Gesicht zu sehen.

»Ja, aber kannst du dir etwas denken, was besser paßte und angemessener wäre?« fuhr der Pastor treuherzig fort. »Ich habe mir erzählen lassen, dein Vater sei einer der Führer gewesen, als der Grundstein zu dem irdischen Reich hier draußen gelegt wurde; denke dir, wenn nun sein Sohn ein Pionier des Geistes würde und mit Gottes Hilfe dies Reich herrlich ausbaute? Die große Gemeinschaft der Liebe auf Erden – denn das ist der Sinn der Kirche Gottes – hat noch nie so große Möglichkeiten gesehen wie heute, darum eben kommt alles darauf an, die rechten Männer dafür zu finden – und ich glaube zuversichtlich, daß das gelingen wird!« Der Pastor strahlte förmlich in fröhlichem Glauben.

Beret sah auf: redete der da jetzt so zum Scherz, oder hatte er nicht besseren Verstand? Ein seltsames Lächeln spielte in ihren Zügen, fast hätte sie etwas gesagt.

Ohne ein Wort stand Peder vom Tisch auf und wollte gehen.

Auch der Pastor erhob sich, trat auf ihn zu und gab ihm die Hand:

»Ich lasse dich nicht los! Auch ich habe einstmals Widerstand geleistet. Nichts habe ich später so bitter bereut, und dir will ich diesen Kummer ersparen!« Er schüttelte Peders Hand kräftig und hielt sie fest.

»Ja, es schaut ganz so aus!« sagte Peder, und jetzt lachte auch er.

»Nächsten Sonntag nach dem Gottesdienst,« fuhr der Pastor fort, »sollt ihr uns besuchen; meine Frau hat es mir aufgetragen mit einem schönen Gruß, und da darfst du es nicht so machen wie das letzte Mal, sonst komme ich und hole dich!« Der Pastor lachte herzlich; jetzt endlich ließ er Peders Hand fahren.

 

III

Peder besaß eine Stute, Dolly hieß sie, ein schönes Tier, das er sehr liebte und das er verwöhnt hatte, seit es auf die Farm gekommen war; so gut Freund waren sie, daß sie angetrabt kam, sobald sie ihn pfeifen hörte, ihm das Maul auf die Schulter legte und gestreichelt werden wollte. Letztes Frühjahr hatte er sie zugefahren, aber weder die Mutter noch die Schwester wagten es vorläufig, mit ihr zu fahren, weil sie so feurig und schnellfüßig war.

Heute abend hatte er ihr im Handumdrehen das Geschirr übergeworfen. Während er vorspannte, ließ er das Haus nicht aus den Augen – jetzt wollte er sich nicht länger aufhalten lassen! Er ließ sich aber doch noch Zeit, das Wagenverdeck ganz zurückzuschlagen; es war so artig, sich den Wind ums Gesicht streichen zu lassen, wenn es schnell ging; das wirkte wie ein Bad – und heute abend brauchte er's.

Peder warf sich in den Wagen und fuhr ab. In seinem Kopf wogte ein sonderbares Durcheinander – Unruhe, unklare Gedanken, helle, jagende Gefühle. Ein Wagen ratterte da vorn auf dem Weg; der Lärm störte ihn; er zog dem Pferd eins über und sauste vorbei. – – So so, Dolly, ruhig, ruhig; sie ist uns noch nicht davon, das glaube ich nicht. – – Das Pferd ging in Trab über, Peder reckte sich.

– Sonderbar, daß man ihm niemals rechte Ruhe ließ? Was wollten die bloß von ihm? Er und ›ein Pionier des Geistes‹! Peder lachte laut vor sich hin: wartet, auch aus mir wird noch mal ein Kerl!

Um ruhiger überlegen zu können, zwang er jetzt das Pferd in Schritt.

– Die Leut sahen nicht über ihre eigene Nase hinaus. Auch Gabrielsen nicht. – Ja, der war so beinahe der Dümmste! Was wußte denn der groß von all dem, was hier herum träumte und zum Leben erweckt werden wollte? Der – ein Familienvater mit elf Kindern und einem roten Bart! – – Peder lachte übermütig: was der Pastor da von Gott gefaselt, das reimte sich übrigens keineswegs; er, Peder, wollte es übernehmen, ihn vollständig in die Enge zu treiben – ja, hatte er es nicht schon getan? – – ›Die Menschen zu lehren, gut zu sein‹, das schmeckte ekelhaft süßlich. Und was bedeutete es im Grunde? Die Leut dazu zu bekommen, hübsch daheim zu sitzen und die Daumen zu drehen! Sein lebelang jahraus, jahrein mit Leuten von Dingen sprechen, auf die man sich selber nicht recht verstand! War das etwa Manneswerk? – – – Gesetzt den Fall, alle Mannsleut würden wie Gabrielsen: wäre das Leben dann etwa lustig? – – »Ja, jetzt schick dich ein wenig, mein Schatz!«

Peder pfiff dem Pferd zu, das sogleich zu traben begann. Die Geschwindigkeit beflügelte seinen Mut.

Nein, er würde sich nicht dazu hergeben, die ganze Prärie auf den Kopf zu stellen! Die Leut beim Nacken zu nehmen und sie dazu zwingen, zu singen, – ja, dazu hätt er Lust! Denn Gott war Kraft – – nja – und außerdem jenes Andere! – – Peder verlor sich in Träumereien. – – So, also sie redeten über ihn? Sie waren beim Pastor gewesen? Und jetzt wollte Gabrielsen ihn auf die Schule bringen und einen Geistlichen aus ihm machen, um ihn zu retten? Wollen's einmal abwarten! ›Freies Volk in freiem Land,‹ sagte Tönset'n immer!

Peder kam die Gegenwart darüber zu Bewußtsein, daß Dolly friedlich dahinzottelte; er versetzte ihr eins mit der Peitsche, und jetzt ging es im Galopp, so daß er aufpassen mußte. Das starke Leben, das er mit sich durch das Dunkel sausen fühlte, erfüllte ihn mit Kraft und verwandelte seinen Mut in Kühnheit.

Eine Weile darauf hielt er vor Nils Nilsens Tür, sprang, den Zügel in der Hand, die Treppenstufen hinauf und klopfte. Ein halbwüchsiger Bub machte auf und blieb, in die Spalte geklemmt, stehen: sobald er erkannte, wen er vor sich hatte, kam er herausgeschlüpft und klinkte hinter sich ein.

»Ist Miriam schon weg?«

»Nein.«

»Du, Gabriel, geh hinein und grüß sie von mir; dann darfst du auch mit mir dreschen, wenn ich mir eine Maschine anschaffe!«

»Willst du dir eine kaufen?«

»Möglich. Eil dich jetzt!« Peder klopfte dem Buben auf die Schulter und sprang wieder in den Wagen; auf der Hofreite etwas abseits hielt er und wartete.

Bald darauf kam Miriam heraus, wünschte leise guten Abend und stieg ein.

Peder wickelte ihr die Decke gut um die Knie und wollte sogleich die Gelegenheit wahrnehmen, ein wenig zu liebkosen; Miriam schob seine Hand beiseite; Peder lachte und unterließ es.

»Du kommst spät heut abend,« sagte Miriam.

»Oh ja,« Peder dehnte die Worte, seine Stimme klang beschwert von Kraft. »Ich habe viel zu betreuen, will ich dir sagen!«

»Du solltest dir einen Knecht mieten.«

»So, sollt ich das?« fragte er neckend. »Da schafft ich mir lieber ein Mädel an!« Er versuchte, den Arm um ihren Hals zu schmuggeln, es entstand ein Kampf, er wollte diesmal nicht nachgeben, und sie war stark; das Pferd hörte die Unruhe im Dunkeln hinter sich und wurde selber unruhig; hätte Peder nicht die Zügel fest in die Hand genommen und ihm gut zugeredet, es wäre mit ihnen durchgegangen.

Miriam sprach weiter, so, als sei das Zwischenspiel nicht gewesen:

»Dann brauchtest du nicht so hart zu arbeiten.«

»Pö, arbeiten!«

Sie merkte aus seinem Ton, daß er verletzt war; sie drehte sich ihm zu und legte ihm die Hand auf den Arm, die Stimme klang weich und innig:

»Bist jetzt wieder bös?«

»Bös – wer hat denn das gesagt?« Und um sie davon zu überzeugen, daß sie es nicht vermöchte, ihn böse zu machen, fügte er gleichgültig hinzu: »Es ist eine Kleinigkeit, eine Farm zu bewirtschaften!«

»Was hat dich denn sonst heut so aufgehalten?«

»Was mich aufgehalten hat?«

»Ja?« Miriam sah ihn an, Peder fühlte, wie herzlich sie bestrebt war, alles wieder gutzumachen.

»Ich soll Pastor werden, wenn du's denn durchaus wissen mußt!«

Sie antwortete erst nach einer Weile:

»Mit derlei darfst du nicht Scherz treiben,« und jetzt war sie ernst.

»Sollt ich am End lieber weinen?«

Miriam schwieg.

»Und jetzt bist du bös!«

»Wenn du so nichtsnutzig bist?«

»Ist es nichtsnutzig, daß einer Pastor werden soll?« Peder gewann allmählich seine gute Laune zurück.

»Du machst bloß Spaß, und das ist häßlich – bei solchen Dingen!« Tiefer Ernst sprach aus Miriams Worten. Peder merkte, wie sehr ihr seine Art und Weise mißfiel, und sogleich erwachte wieder der Ärger in ihm.

»Jetzt will ich dir etwas sagen,« begann er und stellte sich gleichgültig: »Die Pfaffen sind dumm!«

Darüber mußte Miriam lachen: »Du denkst an Gabrielsen!«

»Durchaus nicht! Ich spreche von eurem Pastor!«

»Der ist tüchtig!« sagte Miriam mit Wärme.

»Hö! tüchtig! Ist er am End gar wieder bei dir gewesen?«

»Ja,« antwortete sie leise und aus tiefstem Herzen.

»Dann wird wohl bald aus dir eine Pastorsfrau?«

»Du bist heut abend gräßlich!«

»Gräßlich? Wart erst ab, bis ich ihn tüchtig versohlt hab!«

»Bist du nicht nett, so laß ich mich heut abend von ihm nach Hause bringen.« In ihren Worten lag etwas Träumendes, mehr Ernst als Neckerei.

»Bitt schön!«

Peder peitschte aufs Pferd los und fuhr so schnell, daß Miriam sich den Hut festhalten mußte. –

Die Chorprobe bei John Baardsen war in vollem Gange. Vierstimmiger Gesang und die Töne eines Harmoniums drangen durch die offenen Fenster ins Freie. Bisweilen kurze Pausen, in denen Pastor Bakkens Anleitung zu hören war. Er war sehr bei der Sache und sprach laut; ab und zu sang er ihnen eine Zeile vor, um das Tempo anzugeben. Auf der Hofreite stand eine Gruppe junger Leute; einige hatten die eigne Schwester, andere die Schwester eines andern hergebracht.

Peder war Miriam beim Aussteigen behilflich. Sie wartete hinterher noch einen Augenblick auf ihn; keiner der beiden sagte etwas; er machte sich ans Ausspannen.

»Kann ich heut mit dir heimfahren?« fragte sie leise, als fiele ihr das Reden nicht leicht.

»Wenn ich niemanden find, den ich lieber hab!« Peder hörte selbst, das hätte er nicht sagen dürfen! Aber nun mochte es dabei bleiben, – er hatte nicht die Absicht, von irgend jemandem viel Wesens zu machen!

Miriam ging ihres Weges.

Dicht an der Hauswand waren John Baardsen und einer der Jungburschen so eifrig bemüht, Eiscreme zum Gefrieren zu bringen, daß ihnen der Schweiß heruntertroff. Peder kam dazu und begann mit John zu plaudern, von der Arbeit, von den Ernteaussichten und, was es Neues gebe. John hegte seit langem den Plan, kommenden Herbst einen Windmotor aufzustellen, und benutzte die Gelegenheit, sich mit Peder über dessen Erfahrungen zu unterhalten. Peder erbot sich, die Eismaschine eine Weile zu drehen. Sie unterhielten sich eifrig. Mrs. Baardsen kam sich erkundigen, ob das Eis nicht bald fertig sei, und da hatte es auch gerade die richtige Beschaffenheit. – So, dann könnten sie gleich anbieten, denn der Kaffee sei fertig.

Im Haus verebbte der Gesang. Kaffee, Kuchen und Fruchteis wurden herumgereicht. Der Chor blieb hartnäckig in der ›großen Stube‹, ebenso der Pastor; er saß neben Miriam, plauderte aber ungezwungen und munter mit allen.

Die Jungburschen, die nicht Sänger waren, hatten sich im Vorraum niedergelassen. Die meisten saßen, ein paar standen, Peder lehnte gegen das Fenstersims, schaute ab und zu ins Zimmer; nach einer Weile setzte auch er sich. Er beteiligte sich wenig an der Unterhaltung. Die jungen Leute verhandelten wegen des Vierten-Juli-Festes in der nächsten Woche und neckten einander wegen der Mädel, die jeder dazu auffordern werde. Und das gab viel Heiterkeit ab, denn alle beteuerten hoch und heilig, daß sie sich gar nichts aus Mädchen machten und zum allerwenigsten aus der, die genannt worden war.

Als der Chor seine Übungen wieder aufnahm, fragte Tom Hove den Peder, ob er denn heute abend nicht mitsinge. – Nein, er sei heiser, antwortete Peder gleichgültig. Und damit entfesselte er alle Foppereien von neuem. Tom wunderte sich, wo diese Heiserkeit wohl herrühre. Wüßten sie schon, daß der Pastor jetzt so oft zu Nilsen gehe? Und der Pastor, der habe Pferd und Wagen, und alles fein und neu. Der Mond habe diesen Sommer so hübsch geschienen! Die Miriam, ja, die sei wie zur Pastorsfrau geschaffen – nicht gesagt, daß sie hier geduldig abwarten werde, bis der Peder auch einmal so weit sei! – – –

Peder wurde ärgerlich über Toms Hänselei und brachte es nicht über sich, mit den andern mitzulachen. »Du bist entsetzlich dumm, Tom, aber du kannst ja wohl nichts dafür, da ist also nichts zu machen!« – Er stand auf und ging auf die Hofreite hinunter. – – Wäre er noch länger im Vorraum geblieben, er hätte den Tom verprügeln müssen.

Und jetzt kam John Baardsen zu Peder heraus. Da sei noch etwas wegen der Windmühle, worüber er gern Bescheid hätte. – – Wolle Peder sich nicht mit ihm zusammen den Platz ansehen, wo er sie aufzustellen beabsichtige?

So schlenderten sie denn miteinander davon, und John hatte viel zu bereden. – – Glaube Peder, daß diese Stelle passe? Hier habe er also vor, die Mühle aufzustellen. Er überlege sich, ob es nicht angehe, es so einzurichten, daß die Mühle auch zugleich den Schleifstein drehe. Was meine Peder dazu? Eine Mühle, die vom Wind getrieben wurde, müßte doch viel fertig bringen! Er habe auch an eine Säge gedacht, denn das mit dem Holz sei eine mühselige Plackerei; aber er wisse nicht, wohin mit all dem Sägemehl; das werde ihm den Hof verdrecken. – – »Streu das unter die Schweine,« riet Peder, »dann sparst du dir das Stroh.« Das war ein so kluger Rat, daß John stehen blieb und lächelte – nein, darauf sei er wirklich noch nicht gekommen.

John schwätzte und fragte und hielt Peder auf. Die Gesangsübung war vorbei – der erste Wagen fuhr davon! Aber der alte John erwies ihm solche Aufmerksamkeit, daß Peder ihn nicht gut stehen lassen konnte. – – Und jetzt fragte er Peder, wie ihm Pastor Bakken gefalle? Ja, sei der nicht ein rechter Pastor? Der Herr habe es diesmal wirklich für sie zum besten gewandt! So freundlich und in jeder Weise leutselig und so sehr für Norwegisch eingenommen – an diesem jungen Mann erlebe man eine wahre Freude!

Von der Hofreite schallte lautes Gelächter herüber; ein Wagen nach dem andern fuhr jetzt davon. Jetzt aber war John bei dem Thema, das für ihn unerschöpflich war. Und dann mußte er einen Vergleich zwischen Pastor Bakken und Pastor Isaksen anstellen, und das verleitete ihn dazu, von damals zu berichten, als er zu Pastor Isaksen gegangen war, um sich aus der Gemeinde abzumelden. Und nun erst geriet John in die richtige Begeisterung. – Peder stand wie auf Kohlen. Konnte er mitten in der Erzählung davongehen?

Die jungen Mädchen waren in den Vorraum hinausgetreten, und jetzt standen sie dort mit verschlungenen Armen in einer dichten Schar. Ein Wagen fuhr vor, und sogleich wurde es eine weniger; darauf kam der nächste, und wieder ging es so, – es sah aus, als wenn Weinbeeren von ihrer Traube gepflückt werden.

Zuletzt blieb Miriam allein zurück und schaute ins Dunkel.

Es kam keiner mehr. Wo blieb er nur? Sie umfaßte einen Pfosten, als suche sie Halt.

Jetzt löste sich ein Wagen aus dem Dunkel und hielt vor dem Vorraum. Das war der Pastor. Als er hinausgegangen war, um anzuspannen, hatte er den Wirt nicht finden können und wollte sich jetzt geziemend verabschieden. Er sah Miriam stehen und reichte ihr die Hand. Wolle sie ihm die Ehre erweisen, sich von ihm nach Hause fahren zu lassen? Sie brauche doch wirklich nicht zu Fuß zu gehen, er habe denselben Weg! Der Pastor redete geschwind und leise, es lag etwas Eindringliches und Bittendes in seinem Ton.

Miriam sah sich um, sagte kein Wort, und dann fuhr sie mit ihm.

Als sie aber ein Stück des Weges zurückgelegt hatten, kam ihnen ein Pferd im schnellsten Trab nachgejagt, ein Mann sprach barsch in die Finsternis hinein; der eine Wagen wich zur Seite, der andre sauste vorbei – fast wären die beiden Fuhrwerke ineinander gefahren – und verschwand wie ein schwarzer Wollbausch im Dunkel. Gleich darauf war auch das Geräusch verhallt.

»– Wer kann da wohl so ungehörig vorbeigefahren sein?« wunderte sich der Pastor.

Miriam hatte sich, so gut es irgend ging, in die andere Ecke des Wagens gepreßt. Sie sagte nichts.

 

IV

In dieser Woche pflügte Peder täglich in den Maisfeldern; gleich nach fünf Uhr morgens war er bei der Arbeit, wechselte die Pferde einmal in der Schichtmitte und gönnte sich über Mittag nur die allernötigste Rast. Die Mutter fand, er treibe es unsinnig; sie deutete an, daß sie den andern Pflug nehmen und ihm beim Pflügen helfen wolle; aber davon wollte er nichts hören. Sie hatten darüber sogar ein wenig miteinander Streit:

Sie könne das durchaus nicht einsehen; im Haus gingen zwei erwachsene Menschen herum, die Pferde ständen untätig im Stall – – sie brauchten die Schicht nicht so lang auszudehnen, warum solle er sich abrackern, wenn es nicht erforderlich wär?

Peder wies sie ab: er sehe bei keinem der Nachbarn Weiberleut auf den Feldern. Und hätten sie's hier etwa geringer?

Es war mit ihm jetzt nicht leicht rechten, wo er so wortkarg war und sich so arg zurückhielt. Bei den Mahlzeiten schwieg er. Ob er kam oder ging, er sagte nichts. Oben in seiner Kammer war er bis tief in die Nacht hinein beschäftigt, ehe er sich legte. – – Er grübelt wohl über das nach, wozu der Gabrielsen ihn haben will, dachte die Mutter.

Am Samstag machte Peder erst Feierabend, als es so dunkel geworden war, daß er die Ackerstreifen nicht mehr erkennen konnte. Es hatte sich am Nachmittag bewölkt und zu regnen gedroht, hatte sich aber doch bis zum Abend gehalten; jetzt begann es zu stäuben.

Daheim hatten sie lange mit dem Essen gewartet. Die Mutter konnte gar nicht begreifen, was er sich dabei dachte, daß er nicht Schluß machte. Sie konnte sich nicht beruhigen, ging ein Stück hinaus, um zu sehen, wo er blieb. Als sie zurückkam, war er beim Ausspannen, war plauderlustig und schien in guter Stimmung. Er glaube, er werde in der nächsten Woche mit den Maisfeldern fertig, sagte er, – selbst wenn er sich Mittwoch einen Feiertag gönne und zum Vierten-Juli-Fest fahre.

Ist das der Grund, warum er sich so geplagt hat? dachte Beret – alle Besorgnis verließ sie –: dann ist er ein umsichtiger Bursch.

Heut abend ließ er sich gut Zeit zum Essen. Er blieb auch hinterher sitzen, streckte und reckte sich und besprach mit der Mutter, daß sie später im Jahr einen Knecht dingen müßten, hier sei noch genug zu tun, sie müßten mehr Neuland aufbrechen. Bei Joe Lund halte sich ein flinker Neukömmling auf, er treffe ihn gewiß auf dem Fest am Mittwoch. Gefiele der ihnen, so könnten sie ihn behalten, bis sie im Herbst mit der Maisernte fertig seien – der Hans habe genug bei sich zu tun. Peder sprach lange darüber; die Mutter überlegte seine Vorschläge und hatte keine Einwendungen zu machen.

Endlich stand er auf, bat die Schwester, ihm saubere Wechselwäsche vorzusuchen, nahm diese und ein Handtuch und ging hinaus.

Draußen war es inzwischen stockfinster geworden; der Regen fiel dichter, aber so still und fein wie vorher. Peder befühlte ihn, während er über die Hofreite schritt.

Er wanderte in den Kuhstall. Gleich neben der Tür stand ein großer Zuber, den hatte er mittags mit Wasser gefüllt, jetzt zog er sich aus und ließ sich hineingleiten, stöhnte und ächzte laut, je höher das Wasser um ihn stieg. Er plantschte lange darin herum.

Hinterher stellte er sich auf die Schwelle und rieb sich mit dem Handtuch ab, bis er ordentlich trocken und warm war. Ein wohliges Gefühl durchrieselte ihn. Er streckte die Arme vor, um den Regen zu kosten: der fühlte sich warm und weich an wie feinstes Öl. Er sog sich die Lungen voll und lief hinaus. Während des Laufens beklopfte er sich mit der flachen Hand. Der Regen erwies sich wärmer als das Wasser im Zuber, – wenn er doch bloß etwas dichter fiele! Peder guckte in die Höh; die Finsternis hing wie ein Gewölbe über ihm; unter dessen Decke zog etwas dichtes Flockiges, aus dem es warm herabtröpfelte.

Peder lief in den Stall zurück und rubbelte sich wieder tüchtig trocken. Dann warf er sich ein trockenes Kleidungsstück über die Schulter und setzte sich auf einen Schemel in die Stalltür. Draußen fiel der Regen in schweren Tropfen, und die Kühle, die aus all der Feuchtigkeit aufstieg, ließ ihn doch ein wenig frostschauern. Peder zog sich an und setzte sich, um zu lauschen.

– – Wenn es morgen richtig gösse, könnten sie nicht hinüberfahren. Dann wäre er Gabrielsen los! Er lächelte vor sich hin: er durfte diesmal nicht, wie damals im letzten Sommer, mit der Ausrede kommen, daß er zur Schwägerin gebeten sei. – – Zwar würde das nicht gar zu unwahr sein, da sie ihn ja aufgefordert hatte, hereinzuschauen, sooft er Zeit hatte.

Peder starrte ins Dunkel und in all das Wispern und Raunen da draußen. – – Seltsam, daß er nie in Ruhe gelassen wurde? Die mochten sich an die eigene Nase zupfen! Morgen wollte er Gabrielsen geradheraus sagen, in der Sache werde er selber entscheiden, wenn es erst mal soweit wäre … Es eilte nicht damit, nein, es eilte durchaus nicht damit! Prächtig übrigens war das Farmen. Jetzt wollte er akkurat den Neukömmling mieten, ein Stück Neuland roden und zum Sommer einen Mordsfang mit Flachs tun. Die sollten mal einen sehen, der sich aufs Farmen verstand! –

Peder blieb. Der Regen sprühte und plauderte. Die Gedanken spielten sich in eine große Zukunft hinein, voller Wunder und voller Geheimnis. – Machtvolle Sonne und klarer erhabener Tag wölbten sich darüber.

– – Die Norweger waren jetzt drauf und dran, sich auch mit Politik zu befassen. Wahrhaftig, es war an der Zeit! Da hatten sie seit ihrer Ankunft hierzulande herumgetrudelt, miteinander um rechten oder unrechten Glauben gehadert und nichts anderes vor sich gesehen als dies. – – Daß sich drei Kirchengesellschaften zusammenschlossen, war das etwa solch großen Aufhebens wert? Und nun zankte sich höchstwahrscheinlich die neue Kirchengemeinschaft mit allen übrigen weiter? Sah ganz danach aus! – – Dieser Knute Nelson Knute Nelson = bedeutender amerikanischer Staatsmann norwegischer Herkunft. drüben in Minnesota, der mußte ein tüchtiger Kerl sein. – – Nun, was die andern fertig brachten, das konnte er, Peder, wohl auch noch zuwege bringen. Lincoln war in einem Blockhaus aufgewachsen!

– – Pastor? Nein, bedank mich schön! Die Pfaffen waren nicht die Bohne besser als andere Leut. Was hatten die Pfaffen anderes getan, als die Menschen untereinander in Streit gesetzt? In ihrer Gegend karriolten jetzt zwei auf den Prärien herum, – wurde es darum besser bei ihnen? Ja, wüßten die wenigstens noch, weshalb sie fuhren, hätten sie nur ein großes Ziel gehabt!

Peder hörte den Regen nicht mehr. Der Mißmut der letzten Tage zog sich um ihn zusammen und lastete wie Finsternis auf ihm. – – Da kutschierte nun dieser Bakken herum, dehnte und schnurrte und schmiegte sich gerad wie ein Kater und schwätzte Norwegisch mit den alten Leuten, bloß um sie für sich zu gewinnen! – – Nja, den Seitensprung, den sollte die Miriam heimgezahlt kriegen, aber sicher! Nicht als ob er sich was daraus machte, – aber daß sie nicht hatte warten können! – sie hatte ja doch gewußt, daß er kommen würde. – – Warum hatte sie denn nicht nach ihm ausgeschaut? Sie mußte ihn und John doch haben reden hören – sie standen ja schließlich nicht allzu weit weg? – – Bald bekam wohl Gabrielsen auch darüber Bescheid von den alten Weibern!

Es fröstelte Peder, er sprang auf. Hatte es sich abgekühlt? – So bald! – Vielleicht zog trotz alledem noch ein tüchtiger Landregen herauf? – –

Die Mutter saß am Tisch und las; sie sah auf, als er hereintrat.

»Hast heut abend lange gebadet?«

»Muß halt morgen zum Pastor!«

Sie lächelte darüber: »Ich mein, es wird regnen?«

»Das sollt mir nicht zuwider sein!«

»Das darfst du nicht sagen. Er will nur dein Gutes. Jetzt leg dich sogleich, du brauchst Ruh!«

Peder antwortete nichts, ging aber sogleich nach oben und steckte die Lampe an.

In einem Spind bewahrte er viele Bücher auf. Seit der Einsegnung hatte er begonnen, sich welche anzuschaffen. Oft, wenn er nicht zu müde war, las er bis in die tiefe Nacht. Letzten Winter hatte er eine Zeitlang geradezu gebüffelt.

Peder guckte ins Spind und holte sich ein mächtiges Ungeheuer von einem Buch heraus: Shakespeares sämtliche Werke in einem Band, eine Erwerbung des letzten Winters. Er hatte sich sofort über die Stücke hergemacht, die er dem Titel nach kannte. Und weil er Hamlet am meisten hatte nennen hören, so hatte er damit angefangen. Er war noch nicht weit gekommen, als er das Stück enttäuscht liegen ließ; das schlich so träge dahin, war voller Worte und Ausdrücke, wie er sie bisher nicht gekannt; Gruseln hauchte ihn aus den dunklen Bildern an, und ein wunderlich trauriges Singen. Darauf versuchte er's mit den Lustspielen; und da ging es besser; in den derben Scherzen wartete das Lachen. – – Mag sein, daß ich mir mit dem andern nicht genug Zeit gelassen? überlegte er, packte die Dramen von neuem an und kam sehr allmählich hinein. – – Merkwürdige Bilder! Die Menschen stürzten sich in die Liebe, den Haß, die Sünde, sie töteten und mordeten, das Schwert saß locker in der Scheide, Pfützen heißen Blutes überall. Den Bildern entstieg ein wehes Lied – immer gleich hoffnungslos – ein Lied, das ihm bekannt vorkam, dessen er sich aber nicht ganz zu entsinnen vermochte.

Heute abend nahm er Hamlet vor, blätterte darin und las alle Monologe; denn die hatte er sich besonders angemerkt. Er kannte die meisten auswendig. Diese kühle Gelassenheit, aus der das Schluchzen tränenreich tropfte, erleichterte ihm seine eigene Beschwerde. Nach einer Weile tat er das Buch beiseite und nahm sich die englische Bibel vor, die immer auf dem Tisch lag; es war ein Stück aus dem Alten Testament, das er sich heute abend ansehen mußte. – – Es wurde spät, ehe er schlafen ging. Draußen regnete es noch immer; er lauschte den Tropfen auf dem Dach, bis er einschlief. – – Vielleicht, daß er Gabrielsen morgen entging!

– – –

Am nächsten Tage nichts als Gold und tiefblaue Unendlichkeit. Blanker konnte der Himmel nicht sein. Im Nordwesten waren von dem Großreinemachen in der letzten Nacht noch ein paar Fetzen hängen geblieben.

Peder hatte soeben das Pferd in den Pfarrhofstall eingestellt, stand jetzt im Tor und sah hinaus. Die Mutter und die Schwester waren ins Haus gegangen; ein paar Männer aus der Filialgemeinde, die Amtliches zu erledigen hatten, saßen im Sprechzimmer.

– Was für ein Ochs bin ich, daß ich nicht zu Haus blieb, dachte Peder. Was soll ich hier bloß? Bin ich nicht mein eigener Herr? Hätt rundweg nein sagen sollen und mir das hier ersparen.

Er sah beim Holzschuppen einen Buben spielen und ging zu ihm hin.

»Wie heißt du denn?«

»Kenneth Le Roy Gabrielsen.« – – Das Kerlchen, vierjährig, goldhaarig und so blond wie alles im Hause Gabrielsen, war ganz in sein Spiel vertieft, schien sich aber darüber zu freuen, daß er jemanden zum Schwätzen bekam. – – »Schau, da hast du alle meine Rösser!«

Die Wand entlang waren Holzscheite schräg aufgestellt; zwischen ihnen standen Schuhe jeden Alters, jeder Größe und Form, jeder mit einem Bindfaden an einem Nagel in der Wand festgebunden; Peder zählte die Schuh und bekam im ganzen dreizehn heraus.

»Großartig, wie viele Pferde du hast!«

»Oh freilich,« meinte das Jungchen vergnügt, »ich hab mächtig viele!« Er hockte sich hin und ließ Erde in die Schuhe hinein rinnen.

»Was tust du denn jetzt?«

»Geb ihnen Hafer zu fressen!«

»Wie heißen denn die Pferde? Haben die auch Namen?«

»Freilich haben die Namen! Jetzt hör nur zu.« Der Bub stand auf und zeigte mit dem Finger: »King, Dan, Prince, Fox, Jim, Maggy, Jumbo, Dick.« Aber der Finger lief schneller, als er die Namen vorzubringen vermochte, er kam aus der Reihe und mußte wieder von vorne anfangen. Ganz links stand der größte Schuh, altersgebräunt, mit schiefem, vertragenem Absatz. Peder verstand den Namen nicht ordentlich, bückte sich etwas und fragte leise, wie denn dies Roß heiße.

»Sieg,« antwortete der Knirps und machte sich daran, es mit Hafer zu versorgen.

Peder nahm ihn fest bei der Achsel: »Was sagst du?«

»Sieg,« wiederholte der Bub und sah auf. »Papa kennt einen Mann, der so heißt. – Das ist norwegisch. Der ist unser Staatsgaul und mächtig hinter Hafer her – der ist so stark, daß er das ganze Haus da wegziehen kann!«

»Sieg nennst du den Gaul?«

»Ja doch!« Plötzlich sprang der kleine Kerl auf und hängte sich an Peders Hand.

»Komm mit, gehen wir tränken; das macht solch'n Spaß; dann können wir nämlich reiten, Else hat heute nicht Zeit!«

»Else? – Ist etwa die auf den Namen gekommen?« fragte Peder leise und schielte zu den Fenstern hinauf, vor denen sie jetzt standen.

»Nein, Papa! Er kennt einen Mann – – Else fand das hübsch; sie sagte, wir sollten den Namen nehmen. Findest du ihn denn nicht schön?«

Peder bekam nicht Zeit, sich mit dem Problem näher zu beschäftigen, denn im Augenblick öffnete sich die Küchentür, und die soeben im Gespräch erörterte Else trat auf die Treppe und sah sich suchend nach ihnen um. Sobald der Kleine sie erblickte, steuerte er auf sie los, wollte Peder mit sich ziehen, fand aber, der gehe zu langsam, und rannte ihm davon. Er mußte ihr etwas so Wichtiges anvertrauen: dieser fremde Mann da wolle gar nicht glauben, daß der Staatsgaul Sieg heiße! Könne sie sich so etwas denken!

Peder wußte nicht, wo er vor Verlegenheit mit sich hinsollte.

Else sah ihn zu Tode erschrocken an, schlug die Hände zusammen: »So etwas hab ich doch noch nicht erlebt!«

Sie kam die Stufen herunter und faßte Peders Hand, die ganze Gestalt bat lieb um Nachsicht. Die Hand mußte sie behalten, bis sie ihm erklärt hatte, wie alles zusammenhing: er dürfe es nur nicht übelnehmen, es sei alles ihre Schuld! Der Kenneth habe nichts als Pferde im Kopf; schließlich wäre ihnen kein Name mehr eingefallen, und Papa habe vorgeschlagen, den fraglichen Gaul nach irgendeinem Bekannten zu benennen, – nach jemandem, den sie gern hätten – – mehrere Namen hätten sie sich überlegt – ja und dann – –!

Else ließ Peders Hand los; eine Haarsträhne war entwischt und hatte sich übers Ohr gelegt; jetzt richtete sie sich auf und guckte Peder an, während sie das Haar zurückstrich. Sie trug ein blaues Kleid, das all das Goldene an ihr umrahmte.

Der Name sei schön, gab sie mit unverstellter Bewunderung zu, – er sei doch nicht ärgerlich deswegen? Alles sei ihre Schuld!

Peder glaubte zu fühlen, wie eine warme weiche Hand ihn streichelte. – – Nein, wenn das so zusammenhänge –! Nur gut, daß sie einen Namen gefunden, der zu gebrauchen war. – Habe auch sie Pferde gern?

»Ja, sehr!« versicherte sie. Wenn sie einmal reich sein werde, wollte sie sich das allerschönste Pferd der Welt kaufen und dann nur fahren, fahren!

»Wohin?« wollte Peder wissen.

»Ans Ende der Welt!«

»Dann kannst du mit mir kommen!« versicherte Peder überzeugend, »denn dahin will auch ich!« Und beide lachten einander in die Augen.

Das Mittagessen verlief angenehmer, als Peder sich's gedacht. Die Kinder aßen in der Küche, die Erwachsenen im Eßzimmer. Die beiden Fremden hatten nicht abreisen dürfen, ehe sie nicht mit zu Mittag gegessen, und die hatten mit dem Pastor so viel zu bereden, daß Peder ungeschoren blieb.

Else wartete sowohl in der Stube wie in der Küche auf. Peder beobachtete sie und hatte dabei mancherlei zu überlegen.

Nach dem Essen schlenderte er draußen allein auf dem Hofe herum; Kenneth Le Roy mußte sich zu einem Mittagsschlummer bequemen, ehe er wieder zu seinen Pferden durfte. Peder hätte gern gewußt, ob die Mutter nicht bald fertig sei. Ob er nicht am Ende das Pferd schon aus dem Stall holte und vorspannte? Nun, das eilte nicht – noch nicht.

Else kam heraus und ging in den Holzschuppen nach Kleinholz. Er ging ihr langsam nach und plauderte mit ihr, während sie hinkniete und sich die Scheite auf den Arm legte. – Er erwog, ob er sich nicht anbieten solle, ihr die Arbeit abzunehmen. Sie war jedoch so flink, daß er davon Abstand nahm; und überdies half gewiß auch Annemarie in der Küche beim Aufwaschen.

Else trug das Holz hinein und kam gleich darauf mit einem Eimer heraus. Er erinnerte sich, wie sie damals darum gerauft hatten, wer den Eimer tragen dürfe; sie mußte wohl das gleiche denken, denn jetzt wartete sie am Brunnen auf ihn, lachte voller Spitzbüberei und reichte ihm den Eimer.

Aber als er den voll gepumpt hatte, stellte er ihn hinter sich, so daß sie nicht herankonnte, und fragte, ob sie nicht die Absicht habe, kommenden Mittwoch am Vierte-Juli-Fest teilzunehmen.

Das wisse sie noch nicht; sie glaube es aber nicht; Papa mache sich nichts daraus, hinzufahren.

Gesetzt aber den Fall, daß einer sie bitte, mitzukommen?

Das geschähe wohl kaum. Else schaute zu Boden und wandte den Kopf ab.

Wenn es nun aber doch geschähe? fragte Peder leise mit einem tiefen Klingen in der Stimme.

Else drehte sich ihm errötend zu:

»Meinst du dich?«

»Akkurat!« nickte Peder.

»Dann glaube ich sicher, daß ich darf,« sagte sie, so verschämt errötend, daß er geradezu Mitleid mit ihr bekam, den Eimer nahm und ihn die Treppe hinauf trug. Als sie ihm den abnahm, getraute sie sich nicht, Peder anzusehen, und das, fand dieser, sei merkwürdig; er hätte ihr gern noch mehr sagen wollen, mußte es aber bleiben lassen – vielleicht ergab sich später eine bessere Gelegenheit.

Bald darauf kam die Mutter heraus und sagte, jetzt dürften sie wohl fahren.

 

V

Der Pastor spazierte auf der Hofreite auf und ab; er hatte augenscheinlich auf Peder gewartet. Keine Spur eines Lächelns heute, nur ernste Bedenklichkeit. Es sei dies das erstemal, bedeutete er Peder bekümmert, daß er Else ohne väterliche Obhut aus dem Nest fliegen lasse. Sonderbar sei's mit ihr, das solle Peder ihm glauben. Sie habe sich nie um andere Vergnügen gekümmert als die Pflege ihrer kleinen Geschwister, – die seien ihre Puppen gewesen, – ja, und zu anderm Spielzeug hätten ihre Eltern ja auch nicht die Mittel gehabt – – ein ungewöhnlich liebes Kind. – – Doch jetzt kam Else heraus, und der Pastor konnte gerade noch hinzufügen:

»Behüt sie mir gut!«

Peder säumte nicht damit, wegzukommen. –

Heute hatte Else ein dunkelgelbes Kleid an: die ganze Gestalt strahlte in einem Licht, das ihn blendete, er getraute sich kaum, zu ihr hinzusehen. Das Märchen von ›Goldlocke‹ kam ihm in den Sinn – und neben ihm saß sie! Gern hätte er sie gefragt, ob sie das Märchen kenne, wagte es aber nicht. Es war viel zu hell zum Reden!

Er mußte ihr doch wohl zeigen, wie schnellfüßig sein Pferd war und wie fein es ihm gehorchte. Er pfiff trillernd, berührte das Fell leicht mit der Peitsche, und sogleich sauste ihnen die Luft um die Ohren. Der Tag nahm sie beide warm ans Herz, sie flogen dahin in goldenem Licht. Zu beiden Seiten des Weges kam ihnen lichtgrüner Acker sich neigend entgegen. Keines der beiden sprach. Zwischen ihnen lag voller Geheimnis das Schweigen.

Als Dolly nach einer Weile fand, es sei jetzt genug mit der Hetze, und langsamer zu traben begann, fühlten sie sich beide erfrischt wie nach einem Bad.

»Jetzt geht's bis ans Ende der Welt!« sagte Peder und schaute sie verstohlen an.

»Und ich bin mit dabei!«

»Ja, und du bist mit dabei!«

Dieser Wortwechsel gab dem Schweigen solch reiche Schwere, daß keiner von ihnen daran zu rühren wagte.

In dem Wäldchen, in dem das Fest stattfand, wimmelte es bereits von Menschen. Dort, wo das eigentliche Festprogramm sich abspielen sollte, war eine große Bretterdiele gelegt, mit Tribüne und Flaggen an der einen Seite. In den Bäumen rings um die Diele hingen allerlei Fahnen und Laternen in prächtigen Farben; die sollten heute abend zum Tanze leuchten. Und da war ja wahrhaftig auch die Musikkapelle! Ihre Mitglieder versammelten sich bereits auf der Tribüne; sie trugen rote Uniform mit goldenen Tressen und nahmen sich höchst stattlich aus. Überall in der Runde standen Zelte und Verkaufsstände aller Art: Zigarren, Limonaden, Fruchteis, Feuerwerkskörper, Stöckchen aus spanischem Rohr mit Fähnchen und Wimpeln wurden feilgeboten. Peder kaufte zwei Fahnenstöcke und überreichte Else den einen.

Artisten und Gaukler hatten sich eingestellt und zusammengeschart wie die Geier um den Kadaver. Einer hatte einen sinnreich konstruierten Apparat aufgestellt, zu dessen Erprobung er die Leute einlud; sie sollten mit einem Ungeheuer von einem Holzhammer auf einen Block schlagen. Jeder Schlag nur 10 Cent! Ein Weltwunder diese Maschine! Schlug einer bloß hart genug zu, dann kam eine entzückende kleine Puppe mit einem Dollarzettel im Arm aus einem Loch unter dem Gipfel herausgeschwebt. Dicht gedrängte Männerscharen – – meist Jungburschen – warteten begierig darauf, heranzukommen und ihre Kräfte zu versuchen. Heute fühlten sie in sich einen ungestümen Drang zu Heldenleistungen: wartet bloß ab, ich werd dies Teufelswerk schon in tausend Stücke schlagen! – – – Dicht daneben befand sich eine Schießbude; vielerlei seltsame Geschöpfe flogen da eine Wand entlang; aber das war ja bei weitem nicht so merkwürdig und zog auch dementsprechend nicht so.

Peder und Else gingen umher und beguckten sich alles.

Drüben zwischen den Bäumen, etwas abseits und sorgsam verborgen, stand ein braunes Zelt. »Nur für Männer!« hieß es warnend an seiner Spitze. Auf einem Tisch vor dem Zelt stampfte ein braunroter feister Kerl herum und verkündete mit heiserer Stimme, daß er im Zeltinnern die allermerkwürdigste Merkwürdigkeit der Welt beherberge, nämlich Abessiniens Perle; sie sei vom Geiste der Weissagung beseelt und könne jedem seine Zukünftige zeigen. Assyriens König habe eigens für sie ein Schiff hergeschickt, – auf Wunsch des Prinzen und Thronerben; kein unverheirateter Mann könne es verantworten, diese seltene Gelegenheit ungenutzt vorüberzulassen; denn heute, noch vor Anbruch der Nacht, sage Abessiniens Perle Amerika für alle Zeiten Lebewohl!

Der und jener trabte hinein, blieb eine Weile drin und grinste, wenn er wieder herauskam: Abessiniens Perle war nichts Merkwürdigeres als ein dickes altes Weib, das unanständige Reden führte und Whisky zu einem Dollar die Flasche verkaufte. Die gesamte Zeltausstattung bestand aus einem Tisch, auf dessen Platte sie Pik-Dame und Herz-Dame aufgenagelt hatte. Auf jedem der beiden Kartenblätter stand eine volle Flasche; der Käufer entschied selbst über sein Schicksal – für ewig und unwiderruflich, darauf schwor das Weib – je nachdem, ob er Herz oder Pik wählte. Die Verantwortung müsse er selber auf sich nehmen.

Das Prächtigste von allem war aber doch das Karussell! Auf keinem Vierte-Juli-Fest hatte es bisher solch eine Herrlichkeit gegeben. Else wußte gar nicht, was das war. Sie sah stattliche Pferde und prächtige Wagen sich im Ring bewegen, so schnell, daß es gar nicht zu glauben war, und sie klatschte in die Hände vor Wonne. Peder ging es nicht viel anders, er kaufte Fahrkarten, und dann fuhren sie in märchenhaften Wagen und ritten auf goldmähnigen Rossen dahin und stimmten jubelnd in die allgemeine Freude ein. – Es war wie ein Traum.

Else und Peder mischten sich jetzt wieder in das Getümmel und ließen sich vom Strom mitführen. Wurde der zu heftig, dann klammerte sie sich an ihn. Frohe Feststimmung, das Brausen eines Meeres, das in Freude wogte. Die ungezwungene Sorglosigkeit, die sie rings um sich spürten, ließ auch ihre eigene Stimmung tiefer erglühen. Else bewegte sich wie ein Kind, das plötzlich in die Welt des Märchens hineingeraten ist; sie wußte: hier wimmelte es von Trollen und Hexen und allerhand Ungeheuern; aber auch der Prinz war da, und eine Mondnacht mit freundlichgesinnten Alben, die ihren Reigen tanzten, kam – so merkwürdig und schön war alles!

Peder konnte es nicht lassen zu fragen:

Hatte sie schon früher einmal das Vierte-Juli-Fest mitgemacht?

Ja, als sie noch ganz klein gewesen; das sei so lange her, daß sie sich auf nichts mehr besinne – Mutter habe ihr davon erzählt; sie habe Angst bekommen, die Mutter habe es mit ihr an dem Tage beschwerlich gehabt, zuletzt sei sie eingeschlafen.

Peder fühlte inniges Mitleid mit ihr: allzu kurzweilig war ihr Leben bisher nicht gewesen. Merkwürdig, daß sie es fertig brachte, stets so fröhlich zu sein? Er mußte sie darüber befragen.

Was täte sie denn, wenn sie sich vergnügen wolle?

Else verstand die Frage nicht.

Ja, wenn sie doch niemals ausgehe und niemals irgend etwas geschenkt bekomme?

Oh, das meine er! Sie habe massig Vergnügen zu Haus, er dürfe sich nichts anderes einbilden! Else geriet in Eifer und erzählte von den kleinen Geschwistern, bei denen allen sie Vorsehung spielen mußte; da war zum Beispiel Kenneth Le Roy mit seinen Pferden – bisweilen ritten sie auf denen – – weit weg, ach so weit weg, bis ans Ende der Welt! Und dann Mimmie mit all den Puppen, die sie, Else, für das Kind machen mußte; am schlimmsten aber sei es mit Vernon! Als der noch klein gewesen, habe es für den nichts anderes als Schiffe und Boote gegeben, – darauf habe sie sich nicht verstanden, und Papa habe niemals Zeit gehabt. – – Plötzlich unterbrach sie sich: wie es heute wohl daheim gehen mochte, da sie nun nicht nach allem sehen konnte?

So etwas ist mir doch noch nicht vorgekommen! dachte Peder. Das also ist ihr tägliches Tun und Treiben, und dabei kann sie so fröhlich sein!

Gehe sie denn niemals aus?

Oh ja, gewiß, jeden zweiten Sonntag zur Kirche, – dann lasse Papa sie kutschieren!

Komme sie denn nie in die Stadt?

Nein! Else schüttelte den Kopf. Denn sie könne ja doch nicht alles das kaufen, was sie eigentlich nötig hätten.

Peder mußte sie unablässig anschauen; sie schien ihm das Merkwürdigste zu sein, was er bisher gesehen hatte.

Bisweilen wurden sie mitten in der schönsten Unterhaltung unterbrochen. Er traf Bekannte, die er begrüßen mußte. Einige von ihnen musterten Else. Einmal wurde auch Else von drei jungen Mädchen begrüßt, die sich untergefaßt hielten. Peder kannte sie nicht, und da stellte Else sie ihm sogleich vor. Er schämte sich tüchtig: das hatte er bei seinen Bekannten ganz vergessen.

Es war bereits weit über Mittag. Peder ging mit ihr an einen Stand mit Eßwaren und bestellte sich von allem etwas.

Else wehrte ab. Sie sei gar nicht hungrig und wolle nichts haben – – höchstens ein wenig Pastete und Kaffee.

Selbstverständlich müsse sie einen Bissen essen! meinte Peder. Habe er ihrem Vater nicht versprochen, gut für sie zu sorgen? Er bestellte auch für sie eine volle Portion. Aber er hatte kein Glück damit; sie stocherte nur in dem Essen herum. – – Ist der Grund vielleicht der, daß sie zu fein ist und hier nichts essen mag? fragte sich Peder und fand, sie werde dadurch nur noch merkwürdiger.

Noch ehe sie fertig waren, begann das eigentliche Festprogramm. Die Musik fing an, sie begaben sich schleunigst hin und erwischten gerade noch zwei Sitzplätze, aber weit hinten.

Peder nahm den Hut ab – was sollte er heut mit einem Hut? Er mußte auch durchaus den Takt treten! Die strahlenden Uniformen, die kräftigen Farben ringsum, die brausenden Töne – und sie neben ihm, ein einziges Lächeln, weil sie so froh war: das alles machte ihn wie trunken vor Kraftgefühl, – er spürte Lust herumzugehen und die ganze Welt an die Brust zu drücken, sie sich auf den Arm zu setzen und mit ihr zu spielen. – – Wie dumm, daß sie sich nicht weiter vorn einen Platz ausgesucht hatten!

Die Festrede hielt ein Rechtsanwalt aus Sioux-Falls. Der Mann verfügte über eine gewaltige Stimme, von der er Gebrauch machte, daß ihm der Schweiß troff. Er erging sich in schwülstiger Rhetorik über die Männer der Revolution, den Freiheitskrieg und jene Tage, da ein paar arme Kolonisten an der Küste des Atlantik sich gegen ein gewaltiges Weltreich auflehnten und damit unvergängliche Geschichte schufen.

Peder folgte ihm eine Weile begeistert, kriegte es dann aber satt: der kam ja gar nicht vom Fleck! War das eine Kost, die man Leuten in einer solchen Stunde bieten durfte! Sah der denn nicht die Zukunft und alles, was hier zum Greifen nahe vor ihnen lag? Das andere war gering, verglichen mit dem, was kommen würde! – – Ehe er es sich versah, war er mitten darin, einen strahlenden Zug von Gedanken vorüberziehen zu sehen; ein leichtes Beben durchlief ihn – er selber stand oben auf der Tribüne, über ihm flatterten die Fahnen, er sah den Jubel in Tausenden von Augen, die nur vorwärts dachten, nicht zurückschauten, immer weiter vorwärts; immer tiefer und froher blickten sie ihn an, weil er ihnen jetzt ihre geheime Hoffnung deutete. – Die Revolutionen der Vergangenheit hätten nur dazu gedient, die Kräfte für die künftigen frei zu machen, sagte er dem Volk. Wo der Fortschritt sich neue Bahn bräche, da sei eine Umwälzung unvermeidlich. Er hörte die Worte deutlich und spürte, wie er sie vortragen mußte; Revolutionen bedeuteten den Siegesmarsch des Fortschritts zu dem Ziel, zu dem überirdisch hehren Ziele. Es sollte wirklich einst eine Zeit kommen, da jeder großdenkende Mann wie ein unumschränkter Herrscher gestellt wäre, weil er ein freier Mann war und ein König. – – Keine Regierung, keine Gesetze, – alles geschaffen in Gemeinsamkeit mit andern, die auch Willen hatten und nur in die Zukunft schauten. Ein Bild aus einem sehr alten Buch stand vor ihm, von einem tausendjährigen Reich. – – Niemals gelangten die Menschen dadurch dorthin, daß sie an dem Alten festhielten; »das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu worden!« murmelte er auf norwegisch.

Peder kam wieder zur nüchternen Besinnung, als Else ihn beim Arm faßte und ihm ins Gesicht starrte.

Was sei denn nur? forschte sie. Sie bat so ängstlich, und das rührte ihn. Ja, sagte sie, er habe so seltsam ausgesehen, habe die Hände geballt und mit sich selber gesprochen.

Peder stand errötend auf. »Komm, wir wollen gehen. Es lohnt nicht, dem hier zuzuhören!«

Aber sie wollte ihn nicht so leichten Kaufes davonlassen. Was sei mit ihm nur gewesen? Er könne sich gar nicht denken, wie bös er ausgesehen hätte!

»Oh, nichts weiter!« versicherte er, wirr und geheimnisvoll. – – »Schau, ich dachte nur daran,« er blieb stehen und gestand ihr leise: »wie es sein würde, wenn ich selber diese Rede hielte!« –

Sie schlenderten an andern Paaren vorbei. Peder machte dabei eine interessante Entdeckung: dort standen Pastor Bakken und Miriam, er beschützte sie mit einem Schirm, obgleich hier im Wald weder die Sonne lästig schien, noch an Regen zu denken war. Peder konnte nicht anders: er ging dicht vorbei, nickte Miriam zu: jetzt komme bestimmt bald der Regen! – lachte und ging weiter.

Burschen und junge Mädchen standen paarweis oder auch in kleinen Gruppen umher, und gaben sich den Anschein, als hörten sie dem Programm zu; ein Teil hatte sich auch in die Wagen verkrochen und kehrte sich wenig daran, daß die Sonne noch hoch am Himmel stand; Peder mußte sich eingestehen: vorläufig gab es noch Leute, die mutiger waren als er.

Als er und Else durch den ganzen Wald hindurchspaziert waren und wieder zurückkamen, bestellte er in einer Bude Fruchteis. Sie freute sich darüber. Plötzlich jedoch befiel sie Besorgnis, und sie zögerte, sah ihn an und fragte ihn kindlich treuherzig, ob er auch Geld genug habe, all das zu spendieren?

Peder lachte herzlich über so viel Unschuld. Und um ihr zu zeigen, wie reichlich er mit Geld versehen sei, bestellte er sich noch eine Portion für sie beide zusammen und eine Flasche Limonade für Else allein. Sie hätte ja den ganzen Tag noch nichts genossen, sie werde zu einem Nichts abmagern, ehe sie ans Ende der Welt gekommen wären, und es sei keineswegs ausgemacht, daß sie dort Speise und Trank vorfänden!

Sie vergnügten sich herzlich an diesem Spaß. Er hätte gern noch manches andere von jener Reise gesagt, aber das ging hier nicht gut, wo unausgesetzt Leute vorbeikamen. Und jetzt war das Festprogramm zu Ende, und die Menge begann herbeizuströmen; überall ließen die Buben Frösche in die Luft krachen.

Sie gingen von der Ice-cream-Bude weg. Noch größeres Getümmel. Die Bretterdiele wurde zum Tanz geräumt. Von den Älteren bereiteten sich einige zur Heimfahrt vor. Laute Stimmen, barsche Rufe hier und dort. Der Tag ging zu Ende. Die Sonne guckte bereits schräg durch die Baumkronen. Die Wärme wurde drückend.

»Komm, wir wollen uns ein Plätzchen suchen, wo wir ein wenig plauschen können!« schlug Peder vor.

»Müssen wir nicht bald fahren?« seufzte Else und kam mit.

Es ging zum Rand des Wäldchens, – weit weg, schien es ihnen; schließlich hörten sie vom Festtrubel nur noch ein fernes Brausen und das Krachen der Frösche.

Auf Windbruch, der sich gegen einen Baum stützte, setzte sich Else zurecht; hier war es kühl und angenehm, die Abendbrise wehte aus Osten herbei – am Waldrand türmte sie sich hoch, faßte in die Baumkronen und zauste sie.

Else lehnte sich gegen den Stamm. »Ich glaub, ich nehme den Hut ab.« Sie sah ihn an, als bitte sie um Erlaubnis.

Peder blieb stehen. Eine wilde Freude erfüllte ihn, wirbelte ihn empor; er vermochte es nicht, sich neben sie zu setzen. – – »Jetzt sind wir am Ende der Welt, und hier bin ich König, mußt du wissen! Und ich befehle dir, daß du nie wieder einen Hut aufsetzest – dein Haar ist so schön. – – Ich habe ein Gesetz verkünden lassen, daß du von jetzt ab ›Goldlocke‹ heißen sollst, – wer dich fürderhin anders nennt, der soll des Todes sterben!«

Else hatte die Augen geschlossen. Lange blieb sie stumm. Von einer seltsamen Mattigkeit umfangen, lächelte sie. Endlich sagte sie still:

»Erzähl mir noch mehr davon, wie es am Ende der Welt zugeht!«

Peder setzte sich neben sie:

»Wie es am Ende der Welt zugeht?«

»Ja – – erzähl mir von allem!«

»Dann bekommst du Angst!«

»Ist es dort so schlimm?«

»Nein, herrlich ist es! Da ringen starke Männer um das, woran sie glauben!«

Peder brach ein Stück Borke vom Stamm und schleuderte es fort.

»Bist du dort König?«

»Jaha,« nickte er, »dort bin ich der König!«

»Dann mußt du deinen Mannen das verbieten – – das ist böse, – das ist sündig!«

»Herrlich ist es, wenn einer Großes erstrebt!«

Else schwieg eine Weile. Dann fragte sie träumerisch – die Augen noch immer geschlossen, sie sprach wie im Schlaf, über den Worten lagen Schleier:

»Sind denn Gottes Engel nicht auch an der Welt Ende?«

Da mußte Peder lachen:

»Hab nicht Zeit gehabt, nachzusehen!« Er brach wieder ein Stück Borke los und schleuderte es mit aller Kraft von sich. »Mit denen gibt sich wohl die Prinzessin ab, – das wird deine Aufgabe sein!«

Else mußte jetzt in ihrem Traum etwas ausnehmend Schönes zu Gesicht bekommen haben; Lächeln lag über ihren Zügen, ihre Stimme klang fester:

»Ich bekomme dann ein großes Krankenhaus, das allergrößte der Welt – – dort versammle ich die Armen und Verkommenen, die leiden und es schlecht haben, und bin zu allen, allen gut!«

»Auch gegen mich?« Peder griff ungestüm nach der Hand in ihrem Schoß, – die fühlte sich so kalt und leblos an. Und da faßte er fester zu – –: »Friert dich etwa?«

»Nein! Tu das nicht.«

»Warum nicht?«

»Gottes Engel – –.«

Else sprang auf und schickte sich an zu gehen. Sie guckte sich nicht um. Dann blieb sie stehen und setzte sich den Hut auf. Wartete, ohne sich nach ihm umzusehen, mit hängendem Kopf, wie jemand, der von Schande niedergebeugt ist.

 

VI

Peder säumte lange. Als er endlich herankam, sprach sie in derselben abwesenden Art:

»Jetzt müssen wir fahren – es ist schon spät!«

Aber Peder schien das nicht zu hören; er ging schweigend und verschlossen neben ihr her; den Hut hatte er sich schief in die Stirn gedrückt, so daß sein Gesicht für sie verschattet war.

Es begann zu dunkeln. Die Sonne senkte sich erhaben auf die Prärie. Die bunten Laternen warfen ein mattes, vielfarbiges Licht auf die tanzenden Paare unter ihnen; die Menge hatte sich etwas gelichtet – verjüngt, weil so viele der Älteren abgefahren waren; einige Gruppen begannen beim Schwätzen zu lärmen, dann und wann ertönte aus dem Halbdunkel das Johlen Betrunkener; dagegen ließ sich von den wenigen Paaren, die noch herumspazierten, kein Laut vernehmen.

Peder steuerte auf die Tanzdiele zu; Else folgte ihm; keiner von ihnen redete. Als er den Platz erreicht hatte, stieg er trotzig hinauf, ohne sich nach ihr umzusehen. Sie blieb unten stehen, unsicher, zögernd, wie ein geprügelter Hund, der nicht weiß, ob er mit darf. Dann schlich sie furchtsam hinterher.

»Tanzest du?« flüsterte sie ängstlich.

»Oh gewiß!« Peder sagte es mit großem Nachdruck. Und als habe er den Worten noch nicht genug Inhalt gegeben, fügte er gleichgültig hinzu: »Und du?«

Else schüttelte den Kopf. Er sah es nicht; denn jetzt trat er den Takt, die Augen verfolgten leuchtend die tanzenden Paare. Peder atmete tief:

»Hier geht's flott, – hier haben die Leut nicht Furcht davor, sich zu vergnügen!« sagte er laut.

Ein Paar kam dicht an ihm vorbei, Peder klatschte in die Hände und rief sie an; sie erblickten ihn, entwanden sich dem Ring, kamen heran und grüßten, – die braunen Augen des Mädchens suchten freudig die seinen.

»Heut abend sollst du mit mir tanzen, Peder Holm!« rief sie.

»Wer behauptet das?« empfing er sie.

»Ich – und jetzt entkommst du mir nicht!« Das Mädel schüttelte ihm tüchtig die Hand, wie um ihm zu versichern, daß sie es ernst meine.

Peder ließ die Hand nicht los, sondern sah zugleich dem jungen Burschen ins Gesicht und rief lustig:

»Hier scheint's heut abend an Mädeln zu fehlen, daß du mit deiner eignen Schwester tanzen mußt!«

»Oh durchaus nicht!« versicherte der junge Bursch lachend. »Wir sind nur nicht genug Mannsleut, und die Susie will halt keiner. Was faulenzest denn du da herum? Tun dir die Beine weh?«

Sommerwetter wehte um die beiden. Der Bub war barhäuptig; Schweißperlen längs des Haaransatzes glitzerten um die Wette mit den braunen Augen und dem lachlustigen Gesicht. Dem Mädchen dagegen schien nicht die Spur warm zu sein, die ganze Gestalt atmete frohe Gesundheit, die auf mehr begierig war.

Peder sah vom Bruder zur Schwester, eine nervöse Unruhe war über ihn gekommen; der Fuß trat einen lustigen Takt. – – »Großartig, daß ihr endlich da seid! Womit habt ihr denn den ganzen Nachmittag verzettelt, daß ihr erst so spät kommt?« Er hatte jetzt die Hand des Bruders gefaßt und schüttelte sie herzlich. Aber da besann er sich darauf, daß er in Begleitung war, wandte sich um und stellte Else Gabrielsen der Susie Doheny und ihrem Bruder Charley vor.

Die Musik begann wieder aufzuspielen. Charley verbeugte sich vor Else:

Wolle sie mit ihm tanzen?

Nein! Else schüttelte den Kopf und starrte zu Boden.

Susie hatte nicht Zeit, lange zu warten, nahm den Bruder beim Arm und schwenkte ihn herum. »Dich will niemand – komm jetzt, diese Polka, die muß ich tanzen!« Sie nickte Peder über die Schulter des Bruders hinweg zu: »Werden uns wiedersehen!«

Else stieg von der Bretterdiele herunter und flüsterte ängstlich:

»Jetzt muß ich heim!«

Peder überlegte einen Augenblick. Ihre große Hilflosigkeit und Angst rührten ihn: hier hatte ein Kind vor seinem eigenen Schatten Furcht bekommen und wollte vor ihm weglaufen!

»Werd dich schon gut heimbringen, hab du nur keine Sorge darum!« Er ging ihr langsam nach.

Sie hatten noch nicht viele Schritte getan, als sie von einer erregten Volksmenge aufgehalten wurden, die hin und her wogte und aufbrandete wie Sturmwellen gegen einen Felsen – Rufen, Gejohle von Betrunkenen, Flüche, die übelsten Verwünschungen und rohesten Scheltworte, dazwischen kreischendes Gelächter, das Klatschen einer Faust gegen ein Gesicht, und ein Mann sank um, die ganze Gesellschaft war in kochendem Aufruhr. Else klammerte sich entsetzt an Peder, der sich vorgedrängt hatte, um zu sehen, was es gebe, – – sie waren eingefangen worden wie Späne in einem reißenden Strudel, wurden herumgewirbelt und drohten, verschlungen zu werden.

Der Krawall hatte in der Nähe des mystischen Apparates mit den Eingeweiden voll der neckischen Püppchen begonnen. Viele hatten im Laufe des Tages ihre Kräfte an ihm erprobt, jedoch stets nur mit dem Ergebnis, daß sie um ein Zehncentstück nach dem andern gerupft wurden. Lloyd Bolgen hatte aus lauter Dickschädlichkeit mehr Silberlinge als irgendein andrer zugesetzt. Er brütete Rache, begab sich schließlich zu Abessiniens Perle ins Zelt, wo er den Dollar bezahlte und Pik-Dame wählte. Die Flasche steckte er in die Tasche, entfernte sich und stolperte herum, um zu schauen, wer heute noch hier wäre. Er stieß zunächst auf Dennis O'Hara, sodann auf einen blonden Riesen aus Telemark mit Namen Tor Helgesen. Beide lud er ein. Lloyd war mit ihnen zusammen beim Dreschen gewesen und war ganz sicher, daß es auf der ganzen weiten Prärie keine zwei stärkeren Kerle gab. Nachdem er ihnen ein paar Runden spendiert hatte, gestand er den beiden mit schöner Offenheit, daß er sich oft und häufig den Kopf zerbrochen habe, ob wohl Dennis stärker sei als Tor, oder Tor eine bessere Faust habe als Dennis. Da stehe nun dieser merkwürdige Apparat und halte die Leute zum Narren; wenn sie ihm jetzt die Gefälligkeit erweisen wollten, sich an dem zu versuchen, so würde er für den ganzen Spaß aufkommen!

Dafür finde sich wohl immer Rat, meinte Dennis; er habe bereits zweimal zugeschlagen und nichts dagegen, es noch ein paarmal zu probieren.

Trotz seines gewaltigen Körpers und seiner Riesenkräfte war Tor eine gutmütige Seele. Nur hatte er die seltsame Eigenheit, daß Branntwein ihn so überaus erheiterte. Hatte er etwa drei Schnäpse gehoben, so sang er jedem, der ihm zuhören wollte, Telemarkweisen vor, und nahm er darauf den vierten zu sich, so scherte er sich den Kuckuck um Zuhörer. Denn dann erfaßte ihn ein schier unbändiger Drang, seiner Freude Luft zu machen.

Nachdem sich die beiden Kämpen sowohl lange wie auch reichlich an Abessiniens Tropfen gelabt hatten, waren sie beide bereit, sich ihrer Aufgabe zu widmen, Tor so herzensvergnügt, daß er es zuerst versuchen mußte. Er spuckte sich in die Pranken, schwang den Hammer und hieb damit auf den Eisenzapfen, richtete sich auf und sah nach der Wirkung. Da aber nichts weiter geschah, rief er Lloyd singend zu: wenn der noch einen weitern Dime Dime = silbernes Zehncentstück. riskieren wolle, so werde er dieses Teufelsgestell in tausend Stücke schmettern! – Lloyd bezahlte, und Tor holte wiederum aus; diesmal schlug er daneben und traf genau vor den Zapfen. – Dennoch ereignete sich das Wunder: Eine Puppe kam herausgehüpft und hatte – wahrhaftig! – den Dollarzettel bei sich. Aber Tor war nicht angeheiterter, als daß er sich nicht bewußt gewesen wäre, wie die Sache vor sich gegangen war.

»Und jetzt platsch du drauf, Dennis,« Tor reichte ihm den Hammer, »dann werden wir sehen, was der Eiris taugt!«

Viele Männer standen ringsum, mehr noch kamen hinzu; das Hurragebrüll und Tors Gelächter hatten weithin gezündet. Dennis schlug zu – einmal, zweimal, wurde wütend und hieb, daß die Erde schütterte. Aber keine Puppe zeigte sich. Da fuhr ein guter Geist in Tor; er führte den Dennis zwischen die Bäume und flüsterte ihm geheimnisvolle Worte ins Ohr, kam dann zurück und bezahlte diesmal selbst für Dennis.

Der Irländer stellte sich in Positur und schlug auf die Stelle, die ihm Tor gewiesen hatte – die Puppe sprang sofort heraus.

Tor war augenblicklich an seiner Seite und klopfte ihm auf die Schulter:

»Hol dir gleich noch eine, solang die Wut noch in dir sitzt; wir tun hier einen großen Wurf!«

Dennis, nicht faul, kam der Aufforderung nach, und wieder lag da ein Püppchen.

Aber da begriff auch der Eigentümer des Apparates, was die Uhr geschlagen hatte. Als jetzt Tor wieder ausholen wollte, schob ihn der Mann zur Seite und wollte ihm den Hammer entwinden.

»Wie! Was fällt dir ein?« rief Tor, entriß ihm das Werkzeug und warf es Dennis zu:

»Klaub du nur all die Puppen heraus, die da sind, derweil ich dies Wickelkind beaufsichtige!«

Aber jetzt geschah etwas: der Mann steckte zwei Finger in den Mund und pfiff gellend; dann stürzte er sich auf Tor.

Tor empfing ihn mit Nachsicht, legte ihm den Arm um den Leib und warf ihn sich auf den Rücken.

»So, Mannsleut, nehmt jetzt die Maschine, und dann fahren wir's ganze Gelump aufs Rathaus!«

Das Getümmel um die beiden wurde stürmisch. Der Wächter von der Pforte zu Abessiniens Perle hatte den Pfiff gehört und kam angesetzt, ebenso der Mann vom Schießstand – einer kam von einer Krambude, zwei vom Karussell – alle fünf versuchten ins Zentrum vorzudringen und schlugen wie wahnsinnig um sich, Männer brüllten auf und sanken um. In der Mitte des Sturmknotens stakte sich Tor mit dem Puppenmann auf der Schulter vorwärts, Dennis und ein paar andere drängten mit dem Apparat hinterher – nicht einmal die Laterne hatten sie vergessen, die in dem Baum darüber gehangen hatte: an die hatte Lloyd Bolgen gedacht.

Wie die wilde Jagd wälzte es sich johlend und fluchend durch den Wald. Als es Peder endlich gelang, sich mit Else durchzupuffen, war sie einer Ohnmacht nahe; sie stützte sich auf ihn; ihr Kopf sank an seine Schulter; ihr Atem flackerte wie ein Licht im Wind und drohte zu verlöschen. Peder legte ihr den Arm um die Schulter, es war alles so ärgerlich, er versuchte sie zu trösten: »Tor Helgesen und Dennis O'Hara verprügeln ja bloß diese Gauner, – gar kein Grund zu Angst, wie du dir denken kannst!«

Seine Stimme weckte sie zum Bewußtsein: »Komm! Komm bloß!« flüsterte sie und war fast von Sinnen vor Entsetzen, faßte ihn am Arm und zog ihn mit sich fort; die Angst gab ihr etwas Gespenstisches, sie glitt dahin wie ein Schatten.

Peder wurde es unbehaglich zumute, und fast wäre über ihn selber Angst gekommen; eiligst schaffte er sie in den Wagen, band das Pferd los und fuhr davon.

Auf der Landstraße und weit genug von dem Wäldchen entfernt, daß aller Lärm verstummt war, wollte er sehen, wie es mit ihr stehe; da saß sie in die eine Wagenecke gepreßt in hysterischem Weinen. Er zog die Zügel an. – – So kann ich unmöglich mit ihr heimkommen! überlegte er. Das muß doch wohl bald vorübergehen? Soviel ich weiß, hat ihr niemand ein Leid getan? Er überlegte, was er ihr zur Beruhigung sagen könne, gab es aber auf, denn es fiel ihm nichts ein. Um alles in der Welt hätte er nicht gewagt, sie anzurühren.

Er hörte das Schluchzen, und es machte ihn herzlich verdrießlich. – Entweder bin ich närrisch oder sie!

Das Weinen ließ allmählich nach. Schließlich drang kein Laut mehr aus der Ecke; und das, fand er, war fast noch schlimmer – denn wenn er jetzt etwas sagte, fing sie am Ende wieder von vorn an. In seiner unerträglichen Ratlosigkeit fiel ihm nichts anderes ein, als auf das Pferd loszupeitschen und so schnell zu fahren wie nur möglich.

Der Pastor kam zum Willkomm heraus. Und jetzt war seine Stimmung wolkenloser, als sie heut morgen bei der Abfahrt gewesen. – – Sie seien lange geblieben: hätten sie sich gut unterhalten? Wie stehe es denn mit seinem Elsekind? Kenneth und Vernon hätten sie so sehr vermißt, versicherte er ihr eifrig, als er ihr aus dem Wagen half. Sobald sie im Haus waren, wandte er sich an Peder:

»Ja und jetzt, mein lieber Freund, machen wir Ernst mit der Schule! Ich habe an den Schulleiter geschrieben; binde dein Pferd eine Weile an und komm herein, dann lese ich dir den Brief vor!«

»Nein,« sagte Peder hart, »aus mir wird kein Pastor!«

»Sag das nicht, Peder Holm, – sag das nicht!« – – Pastor Gabrielsen ereiferte sich so, daß er den Rand des Wagens losließ und den Bart umfaßte.

Peder wünschte kurz gute Nacht und versetzte dem Pferd eins mit der Peitsche. – Jetzt hieß es sich sputen, wenn er noch zeitig genug zu einem Tänzchen kommen wollte! – – Er pfiff dem Pferd lang und eindringlich zu.

 

VII

Spätherbst und gut Wetter. Ein bräunlicher Mond trieb Nacht um Nacht in einem unermeßlichen Meer von kupfergrünem Licht. Der Abend war herrlicher noch als der Tag: er trug Träume in junge Herzen. Doch die Dämmerbrise konnte nicht verstehen, was denn eigentlich im Wege sei: jedesmal, wenn sie in einem Maisfeld verweilte, um mit den Blättern zu kosen, raschelte es dürr und scheppernd – nichts Schmiegsames mehr war darin, das sich wand und reckte und Märchen hören wollte von Liebe. Der Nachtwind seufzte melancholisch und machte sich weiter auf die Suche.

Im Murphy-Schulzimmer waren mehrere Menschen versammelt. Größtenteils Jungvolk. Es hatte sich nämlich der Brauch eingebürgert, daß der Lehrer jedes Jahr eine Aufführung mit Vorträgen, Gesang und kurzen Lustspielen veranstaltete, zu der die ganze Siedlung eingeladen wurde. Diese Veranstaltungen hatten den merkwürdigen Namen Exhibitions Exhibition = Ausstellung; hier also: Aufführung. erhalten. Die Mitwirkenden wurden aus der erwachsenen Jugend gewählt, die sich in ihrer Schulzeit durch guten Vortrag einen Namen erworben hatte. Aber nicht selten fühlte auch einer der älteren Generation sich so stark berufen, daß er Wert darauf legte mitzutun; Tönset'n zum Beispiel hatte oft daran teilgenommen und rechnete sich zu den Veteranen der Kunst; aus diesem Grunde saß er auch heute abend unter den Versammelten – die Zusammenkunft war anberaumt worden, um die diesjährigen Mitspieler zu bestimmen. Daß sie so früh im Herbst angesetzt worden war, hatte ein gewisses Aufsehen erregt; vielleicht lag das daran, daß der Lehrer erst vor kurzem hergekommen und mit der Ortssitte noch nicht recht vertraut war.

Er hieß Ted Gilbert und hatte sich durch den Eifer und die Energie, mit der er seiner Arbeit oblag, ein gewisses Ansehen erworben. Und er war von norwegischem Ursprung. Aber das hatten die Irländer bei seiner Anstellung nicht gewußt. Der Name seines Vaters hatte ursprünglich Knut Gilbertsen gelautet; als der Vater dann nach Amerika gekommen war, hatte er kurz entschlossen die letzte Silbe abgehackt, um den Namen bequemer zu gestalten; an dem Taufnamen des Sohnes, Theodor, hatte eine Lehrerin Anstoß genommen und ihn in Ted abgewandelt. Dieser Namensstumpf paßte übrigens ganz vortrefflich zu der vierschrötigen Gestalt, die unablässig redete und keinen Augenblick stillstehen konnte.

Heute abend überraschte er alle mit seinem Plan. Als alle anwesend waren, trat er vor und teilte mit, daß er bereits von diesen Aufführungen, die jedes Jahr hier stattfänden, gehört habe. Eine ausgezeichnete Idee. Geradezu glänzend. Er wolle die Sitte überall, wo er hinkomme, persönlich empfehlen – es gelte eben, die Leute zu beschäftigen, dann verfielen sie nicht auf anderen Schabernack. Und dies Jahr wollten sie also den Rekord aufstellen! Anstatt mit vielerlei Verschiedenem auf dem Programm herumzufackeln, wollten sie ein ganzes Schauspiel aufführen, eins, das über die besten Bühnen des Landes gegangen sei. Was meinten sie dazu? Der Plan habe den Vorzug, daß sie, falls sie Beifall fänden, das Stück auch in allen andern Schulen der Siedlung spielen könnten, vielleicht sogar auch noch in den nächsten Kleinstädten, und berühmt würden über das ganze Land. – – Nun, darüber könnten sie ja aber später noch reden. Jetzt wäre dafür nicht Zeit, denn jetzt wollten sie sogleich mit den Proben anfangen; wenn sie zum Erntedankfest fertig würden, dann wären sie allen andern Schulen voraus. Nun, wie fänden sie das? Und jetzt brauche er also 9 Männer und 5 Frauen – Neger und Weiße, Zigeuner und hochvornehme Gentlemen, Schurken und Helden; es setze Überfälle und Schlägerei mit Pistolen und Blut! Ted Gilberts lachende Augen flogen über die Versammlung, denn jetzt mußte er eine Weile verschnaufen.

»Ist hier jemand mit Namen Syvert Tönset'n zugegen?« Er guckte auf einen Zettel und sprach den Namen langsam aus. »Wenn dem so ist, so bitte ich den Betreffenden, so gut zu sein und aufzustehen.«

Tönset'n erhob sich mit großer Würde.

Der Lehrer sprang vom Podium und auf ihn zu und begrüßte ihn herzlich: »Mein Name ist Ted Gilbert; für dich habe ich hier eine Rolle, die dir gefallen wird. Sei du jetzt so freundlich und hilf mir; du bist hier von alters her gut bekannt!« Ted nahm Tönset'n beim Arm und führte ihn aufs Podium. »Tu mir jetzt den Gefallen und bezeichne mir die Namen von denen, die du für die Brauchbarsten hältst, dann können wir gleich loslegen!«

Großes Gaudium in der Versammlung, alle hielten die Hände hoch, viele riefen: »Denk an mich!«

Tönset'n beachtete all diese Narreteien nicht; er musterte, wählte und lehnte ab, nannte Namen, die Ted eiligst an die Wandtafel schrieb. Da aber waren es ihrer nicht mehr als zehn, die vor Tönset'ns kritischen Augen Gnade gefunden hatten – er selbst war der elfte.

Nun, meinte Ted, dabei könnten sie es bewenden lassen, obwohl er eigentlich noch weitere drei brauchte; die könne er jedoch unter seinen ältesten Schülern auswählen, und zur Not könne er auch selber eine der Rollen übernehmen – er kenne das Stück auswendig!

Ted drehte sich wieder zur Wandtafel und begann eine zweite Namenliste aufzuschreiben; er begleitete dies Geschäft mit Erklärungen:

Hier seien die Rollen: Tante Barmherzigkeit, ein Negerweib, das so überaus freundlich und herzensgut sei; keine Schwierigkeit, Irländer und Norweger in Neger zu verwandeln, wenn man bloß die richtige schwarze Anstrichfarbe verwende; der Erzschurke heiße Dick Langley, schöner junger Mann nach dem Äußern, aber ein ganz durchtriebener Halunke – er mache gleichzeitig zwei Mädchen seinen Antrag – nicht leicht, ihn zu spielen; und dann Louva, ein Findelkind, die Heldin – die Rolle müsse die flotteste und hübscheste Dirn auf der Prärie übernehmen; Oberst Farnham, ein vornehmer Herr, er habe selber den Farnham gespielt und könne es schließlich noch einmal tun; dann kommen Bub Craft, herzensgut, aber schlechte Manieren – gleichfalls sterblich verliebt in Louva; und schließlich der Held – Will Spriggs heiße der, schwierige Rolle, müßten es sich reiflich überlegen, wie sie die besetzten. – Well, sie wollten zusehen; »Und hier,« Ted sah Tönset'n an und schrieb den Namen hin, »dieser Peleg Pucker, der gerissene Hausierer, der so amüsierlich zu reden versteht, der ist geradezu für dich geschaffen, Syvert Tönset'n!«

Tönset'n nickte selbstbewußt: Kleinigkeit für ihn, einen Hausierer zu spielen!

Endlich hatte Ted alle Namen aufgeschrieben und jede der 14 Rollen erklärt. Aus dem Pult holte er jetzt einen Packen uneingebundener Bücher hervor, verteilte sie an die, die Tönset'n ihm angegeben hatte, und ersuchte sie, nach vorn zu kommen und sich in die vordersten Pulte zu setzen. Und jetzt begann die erste Leseprobe.

Das Stück ›Louva, das Armenhauskind‹ war ein kurzer Fünfakter von rührender Melodramatik. Von der ersten Szene ab kämpften Tugend und Liebe einen heißen Kampf auf Leben und Tod gegen Schurken und Ränke; allerdings küßte die Heldin sowohl im zweiten wie im vierten Akt, dies geschah jedoch in allen Züchten und Ehren; alle Schurken bekamen zu guter Letzt ihre wohlverdiente Abfuhr, aber – ach und weh! – gerade als der Vorhang sich langsam zum letzten Male senkte, verblich die Heldin in den Armen des Helden. Daß das Mädel, das bisher weder irgendwelche Symptome einer geschwächten Gesundheit aufgewiesen, noch Beeinträchtigungen irgendwelcher Art erlitten hatte, dann ganz schlicht mir nichts, dir nichts starb, das störte niemand; denn das gestaltete den Schluß so ergreifend. Tönset'n strömte über von Begeisterung und mußte hinterher durchaus noch eine private Sitzung mit Ted anschließen – ein so junger und unerfahrener Mann bedurfte der Anleitung!

Peder gehörte zu den von Tönset'n auserwählten Zehn. Er las noch am gleichen Abend vorm Schlafengehen das Stück ganz durch und nahm es am nächsten Tage während der kurzen Mittagsrast wieder vor. Es gefiel ihm. Und welch ein Spaß, mitzutun! Dennoch konnte er sich nicht recht schlüssig werden. Beim Nachtessen erzählte er der Mutter von dem Plan des neuen Lehrers. Der habe eine ganz fabelhafte Aufführung vor – – der sei gewiß ein flinker Mann. Wisse sie schon, daß der Norweger sei?

Habe Peder vor, mitzutun? Beret schien sich nicht sonderlich dafür zu interessieren.

Peder strich sich eine Scheibe Brot und betrachtete es eingehend: dessen sei er nicht sicher; der Lehrer habe ihn zwar aufgefordert; er wolle es sich jedoch zuvor erst ansehen. – – Er wisse nicht, ob er Zeit habe.

Kurz darauf hatte er sich umgezogen und befand sich auf dem Wege zum Schulhaus – das Buch mußte er doch wenigstens zurückbringen!

Heute abend waren nicht ganz so viele anwesend wie neulich. Aber bei seinem Eintritt stand Susie Doheny mit dem Buch in der Hand auf dem Podium. Sie war gestern abend nicht dabei gewesen.

Ted war viel zu beschäftigt mit ihr, als daß er mehr als ein flüchtiges Kopfnicken für Peder übrig gehabt hätte.

»Laß uns jetzt sehen, ob du zu sterben verstehst,« rief er, »im letzten Akt mußt du sterben, du gibst in den Armen des Geliebten deinen Geist auf. Zeige uns jetzt einmal, wie du das anstellen willst – her mit einem, der sie beim Sterben in den Armen hält!«

Susie hauchte den Geist nach allen Regeln der Kunst aus, die Zuschauer fanden das höchst vergnüglich; Ted rieb sich strahlend die Hände, ganz wie ein echter Theaterchef, der einen Star entdeckt hat. – – Famos, die Heldin war gefunden!

Den Helden wählte Ted auf die Weise, daß er die etwa in Betracht Kommenden sich neben Susie aufstellen ließ, um zu sehen, wer am besten zu ihr passe. Kaum hatte er Peder versucht, als seine Begeisterung überquoll mit: »Da stehen ja sowohl Louva wie auch Will Spriggs vor euch – ausgezeichnet! Großartig! Wir werden eine Aufführung zustande bringen, wie sie in dieser Gegend noch nicht dagewesen ist – das kann ich, glaube ich, versprechen!«

Peder sah zu Boden und lachte gezwungen. – – Er wisse nicht, ob er Zeit habe. Warum nicht lieber Charley den Helden sein lassen? Der und Susie könnten miteinander so gut zu Hause üben?

»Ausgeschlossen, ganz ausgeschlossen!« erklärte Ted bestimmt. »Wie unnatürlich zwischen Bruder und Schwester! Keiner von den beiden könnte die rechte Zärtlichkeit hineinlegen, und die Illusion geht allen flöten, die die beiden kennen. – – Zeit, sagst du? Du kannst diese Rolle bequem in zwei Nächten lernen!«

Peder widersprach nicht mehr, er wagte es nicht. Neben ihm stand Susie und schaute ihn an – sie hätte glauben können, daß er um ihretwillen ablehne.

Und damit begannen die Proben zu ›Louva, dem Armenhauskind‹.

 

VIII

Peder konnte bereits den größten Teil des Stückes auswendig. Und dazu ging es ihm so, daß alles für ihn Wirklichkeit wurde, sobald er sich dem Spiel hingab. Susie war das namenlose Findelkind, zu dem er Liebe genährt, solange er hatte denken können, und das er jetzt retten mußte; finstere Mächte waren an der Arbeit, sie ihm zu entreißen, er mußte sich mit allen Kräften wehren; sein eigenes Erleben verschmolz mit der Handlung des Stückes zu einer Einheit.

Sie kamen zu der Liebesszene im zweiten Akt. Die Gegenwart der andern ließ ihn vor Verschämtheit erröten, aber sie schüchterte ihn nicht ein. Er umfaßte Louva, wie das Buch es vorschrieb, und zog sie an sich. Susie gab rot und lächelnd nach. Als sie ihm den Mund bietet, öffnet sie die Augen und versenkt den Blick in den seinen; das Bräunliche brennt in weichem Licht, und im selben Nu weiß Peder, daß sie unlöslich miteinander verbunden sind – sie ist es, die sein Herz immer gesucht hat.

Zimmer und Menschen traten zurück, wurden unwirklich, waren eigentlich nicht vorhanden. Jubel erbrauste in ihm; er mußte etwas tun, um dem Raum zu schaffen, und daher warf er sich mit ganzer Seele ins Spiel. Er war der Träger des Stückes; sogar in den Szenen, in denen er nicht auf der Bühne war, hing alles von ihm ab. Und als am Schluß Susie in seinen Armen verschied, da fühlte er deutlicher, als tausend Worte es hätten sagen können: hier wünschte sich Susie auch zu sterben!

Hinterher sahen beide einander ganz verwirrt an; sprechen konnten sie nicht, aber sie begegnete ihm mit einem scheuen Lächeln. Beim Aufbruch nach der Probe stieg sie zu ihm in den Wagen, so selbstverständlich, als hätten sie von Urbeginn zueinander gehört.

Das schläfrige Licht des Herbstmondes floß still über alle Prärien dahin und umflutete auch sie beide. Aus der einen Meile zwischen dem Murphy-Schulhaus und Dohenys Farm wurden viele, und doch schien ihnen der Weg viel zu kurz.

Anfänglich schwiegen sie in überirdischer Glückseligkeit. Dann aber – wie es nun auch zugehen mochte – legte sein Arm sich nach einer Weile um ihre Schultern. Und sie entzog sich ihm nicht; ja, es war sogar, als habe sie darauf gewartet; denn sie schmiegte sich sogleich in seinen Arm, zutraulich und zuversichtlich – nur diesen Arm gab's in der ganzen Welt – und dann lachte sie leise und mit dumpfem Laut. Peders Augen wurden feucht; weinte er? Er war dessen nicht ganz sicher. Er wischte sich die Augen und merkte, daß sie naß waren. Aber dann stellte sich sein Sprachvermögen wieder ein, und er sagte bebend:

»Nie soll jemand dich mir nehmen dürfen!« Es klang wie ein Eid, den er ihr schwur.

»Das darfst du nie geschehen lassen, – es ist so gut bei dir!«

Peder zügelte das Pferd und zog sie eng in die Arme, – trank und trank und konnte seinen Durst nicht löschen.

Endlich gewannen sie so viel Ruhe zurück, daß sie miteinander sprechen konnten.

Aber vor lauter Eifer und Freude kamen sie damit nicht recht weit; der eine fiel dem andern ins Wort; sie glichen zwei fröhlichen Kindern, die beim Spiel beide gleichzeitig plappern. Wenn der eine erzählte, fiel dem andern etwas ein, was er unbedingt sofort anbringen mußte, und dann war das wieder so fabelhaft interessant, daß es Ausgangspunkt für etwas Neues wurde. – Nein, das war schier ohne Ende; und es konnte ja auch gar nicht anders sein, denn noch nie hatten zwei Menschen Ähnliches erlebt! – Obgleich Peder nicht vor drei Uhr in der Frühe heimkam, konnte er kein Auge zutun wegen all der wichtigen Dinge, die er vergessen hatte ihr zu sagen.

An den nächsten Abenden, an denen sie einander nicht wiederhaben sollten, blieb er lange auf und schrieb ihr. Wenn er es dann hinterher gelesen hatte, zerriß er die Bogen: das war alles bei weitem nicht schön und wahr genug! Die Worte nahmen sich so kalt aus; bei denen müßte sie glauben, er habe sie gar nicht richtig lieb! Eines Abends, als es ihm so gar nicht gelingen wollte, begann er hinzuschreiben, was jener König einstens Sulamith vorgesungen hatte; als er das dann besah, glaubte er, das gehe an; denn darin waren die Erhabenheit und alle Holdseligkeit des Lebens zugleich einbeschlossen.

Tagsüber jedoch sang er vor sich hin und wußte nicht darum. Jedwedes Lebewesen, das ihm begegnete, mußte er liebkosen.

»Du bist so voller Mutwillen,« sagte die Mutter eines Tages, als er Dolly in der Box streichelte und ihr leise etwas vorsummte.

»Bin halt vergnügt, daß wir den Mais hinter uns gebracht haben – solltest auch singen, du, das ist gut für die Brust!« – – Sollte er nicht singen, wenn doch alle Prärien weitum und jegliches Leben auf ihnen strahlten und sangen? – – Was hatte der Pastor doch von Gottes Güte gesagt?

Hinter der Freude war jedoch der Ernst nicht müßig, – konnte nur nicht recht dazu. Peder fühlte Unruhe beim Anblick der Mutter. Er erinnerte sich jenes Abends vor der Einsegnung und ihrer Worte. Aber Susies Bild wich auch jetzt nicht von ihm, und da zerrann all das andere. – – In der ganzen weiten Welt gab es nur noch zwei Menschen, nur ihn und Susie! – – Die Mutter mußte bedenken, daß auch er ein Recht aufs Leben hatte.

Und das war gewiß: jetzt war er ein erwachsener Mann. Von jetzt ab steuerte er seinen eigenen Kurs. – Hatten nicht beide Brüder das gleiche getan? – Seinethalben mochten die Weiberleut davon denken, was immer sie wollten! – – Ein paar Worte aus einem alte Trutzlied, das die Mutter ihn, als er noch ein Bub gewesen, gezwungen hatte zu lernen, kamen ihm in den Sinn: »Und wenn die Welt voll Teufel war und wollt uns gar verschlingen.« Peder summte die Strophen vor sich hin: – – Ja, in dem da war Sinn und Verstand!

Als sie jedoch in der nächsten Nacht zusammenkamen, fragte er Susie, was sie wohl glaube, daß ihr Vater dazu sagen werde.

»Das weiß ich nicht.« Sie klammerte sich fester an ihn, wie um Schutz zu suchen. »Vater ist gut; schlimmer wird es mit dem Pfarrer!«

»Mit dem Priester?« rief Peder. »Was redst du!«

»Ich bin katholisch.«

»Und ich Lutheraner!«

»Ja, das bist du!«

Peder lachte übermütig:

»Vor dem Herrgott sind wir beide Menschen!«

Das schien Susie so klug gesagt, daß sie ihn dafür küssen mußte.

»Und deine Mutter?«

»Mutter? Wir müssen immer, immer gut zu ihr sein!« sagte Peder ernst.

»Ich hab darin gute Übung von der Urgroßmutter her!« versicherte ihm Susie und begann zu erzählen, wie sie die Ahne in ihrem letzten Lebensjahr hatte pflegen und warten müssen, und als Peder zu wissen bekam, daß sie der Alten sogar auch die Pfeife hatte anschmauchen müssen, da fegte eine Hand alle dunklen Wolken weg – – nicht schwer für Susie, mit der Mutter recht umzugehen!

»Zum Frühling heiraten wir!« sagte er zum Dank und streichelte ihr die Hand.

»Zum Frühling?« – Susie umfaßte die liebkosenden Finger. – »Bis dahin ist's lange Zeit!«

»Aber schau, es kann nur im Frühling sein – – wenn der Winter vergangen ist, der Regen weg und dahin, wenn die Blumen hervorgekommen sind im Lande, wenn die Zeit der Lieder kommt und die Turteltaube sich hören läßt in unserm Lande!«

»Wie schön du das sagst – sag es noch einmal!«

»Wart ab, bis wir am Ende der Welt sind, da bekommst du viel Schöneres zu hören!«

»Wollen wir bis ans Ende der Welt?«

»Ja, bis dahin wollen wir!«

»Will lieber bei dir sein!«

Peder mußte das Pferd anhalten, um ihr recht herzlich für diese Worte zu danken.

Sie dehnten die Nächte, solang sie es sich nur getrauten, und doch schien ihnen die Trennung mit jedem Male schwerer. Die Zeit reichte ja doch bei weitem nicht hin, sich wirklich gründlich auszusprechen.

 

IX

Beret saß des Abends allein – nach dem Nachtessen eine Weile in der Küche, darauf lange noch in der Kammer. Sie fuhr nicht selber zu Besuch, und wenig Menschen kamen um diese Jahreszeit zum Hofe. Seit Sörine geheiratet hatte, schaute sie nur selten hier oben herein. Kjersti klagte über wehe Füße, graute sich vor dem Stück bergauf und hielt sich lieber im Haus. Der Große-Hans war vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf den Beinen und hatte nur noch Sinn für die Farm, – in diesem Jahr hatte er sie eingelöst.

Und mitten in der Maisernte war Annemarie nach Montana gereist, um Bruder Ole zu besuchen. Beret hatte ihr selber zugeredet. Dieser Tage war ein Brief von dem Mädchen gekommen, in dem sie anfragte, ob sie nicht bis nach Weihnachten bleiben dürfe. Dem Ole gehe es gut; er habe im Herbst einen gewaltigen Ernteertrag gehabt. Und jetzt sei auch was Kleines bei Randi angekommen, so daß die der Hilfe bedürfe. Es sei ein Bub, und was für ein Prachtkerl! Sie hätten ihn Randolph Osborne genannt. Ole beabsichtige im Frühjahr zu bauen. Es sei hier draußen ungemein schön.

Beret las den Brief mehrere Male, ehe sie ihn in den Brustlatz steckte. Am Abend, als sie wieder allein war, nahm sie ihn nochmals vor. Es stand nicht viel darin, dennoch konnte sie nicht recht damit fertig werden. Jener Name war's! – – Ehe sie sich spät in der Nacht hinlegte, hob sie den Brief in der Schachtel auf, in der sie das Geld liegen hatte. Am nächsten Tag erwähnte sie vor Peder, daß ein paar Worte von Annemarie gekommen seien und daß alles zum besten stehe, ließ ihn aber den Brief nicht lesen.

Peder blieb oft bis zum Morgen aus. Wenn Beret ihn nach dem Nachtessen sich oben auf dem Boden zurechtmachen hörte, setzte sie sich an den Küchentisch, sah ihn sich an, wenn er herunterkam und ging, und fragte: »Bleibst du arg lange?« Mehr nicht. In ihrer Kammer lag sie angezogen auf dem Bett, bis er heimkam; dann stand sie auf, sah auf die Uhr und entkleidete sich; meist blieb der Schlaf ihr dann fern. – – Sie begriff es doch gar nicht: was trieb er nur Nacht um Nacht?

Daß sie sich um etwas ängstigte, das merkte Peder aus ihrem Wesen, und daß es vielleicht sogar um seinetwillen war, das glaubte er daran zu spüren, daß sie so ungewöhnlich gut für ihn sorgte. Jeden Tag kochte sie, was er gern aß. Und habe er auch trockene Füße? Habe er auch daran gedacht, trockene Strümpfe anzuziehen? – Zuweilen wurde sie auffallend gesprächig, erzählte von der alten Heimat in Norwegen und dem Großvater, und was sie als Kind erlebt. Er war völlig von seinem Eigenen erfüllt, und hörte nicht immer ganz hin.

Aber ihr Wesen machte ihn behutsam, er half ihr mit allem, worauf er nur kommen konnte; der Holzkasten war ständig gefüllt, und keineswegs durfte sie Wasser vom Brunnen holen, wenn er daheim war; es entwickelte sich zwischen ihnen förmlich ein Wettstreit, wer dem andern die größere Rücksicht erweisen könne. Das war bisweilen geradezu kurzweilig mit anzusehen; denn dann war es, als versuche der eine den andern einzuzäunen und benutze die Fürsorglichkeit zum Pferch.

So hatte Peder sie oft von dem schönen Silberzeug erzählen hören, das sie drüben in Norwegen besessen hätten. Als er eines Tages eine Fuhre Gemüse zur Stadt gefahren hatte, brachte er sechs silberne Teelöffel und sechs silberne Suppenlöffel mit heim und legte sie ihr auf den Tisch. Beret sagte jeoje! vor Verwunderung – sei er denn ganz närrisch geworden? Habe er eine Goldmine entdeckt? Wolle er sie beide an den Bettelstab bringen? – – Sie vermochte vor Freude kaum zu reden und hatte Tränen in den Augen. – Das sei von seinem Fuhrlohn, sagte Peder; jetzt könnten sie sich's halt leisten, wie ansehnliche Leut zu leben. Wenn es noch etwas gebe, was sie sich wünsche, so möge sie es nur getrost sagen!

Er ging in diesen Tagen mit festem und sicherm Tritt umher – etwas Großes, Helles lag in seinem Wesen; Beret bemerkte es, dachte an seinen Vater in alten Tagen, und die Angst in ihr wuchs. Eines Abends bedeutete Peder ihr, daß sie beim Melken doch nicht zu helfen brauche. Wozu wolle sie sich denn so plagen? Jetzt solle sie sich hinsetzen und ruhen, er werde mit der Arbeit vortrefflich alleine fertig, fast alle Kühe ständen trocken!

Aber da wurde die Mutter ärgerlich: wie? Solle sie etwa nicht ihr eigen Vieh besorgen dürfen? Dann würde es gewiß bald sonderbar im Kuhstall aussehen! – – Oh nein, die Kreatur sei noch das einzige, was sie hätt, sich die Zeit zu verkürzen – die müsse sie wohl behalten dürfen!

Peder schwieg. Jetzt wird der Mutter gewiß die Zeit lang, dachte er. Das Mädel hätt sich nicht da draußen in Montana festlegen dürfen! Doch sehe ich nicht, daß es besser würd, wenn ich mich jeden Abend daheim hinsetzen tät. Worüber sollt ich wohl mit ihr reden? Ich weiß, was auf der Farm zu tun ist.

Aber am Sonntag traf er den Großen-Hans in der Kirche und sprach nach dem Gottesdienst mit ihm:

»Warum schaut ihr niemals zu uns herein?«

»Weil du mich niemals dazu einlädst,« lachte der Bruder. »Bist allzu sehr mit anderm beschäftigt, wie man hört.« Das klang so behaglich und freundlich.

»Dann also lade ich dich hiermit ein!« antwortete Peder und lachte errötend. »Jetzt besorgst du alles zeitig in der Wirtschaft, packst deine Bäuerin und den Henry in den Wagen und bleibst heut eine Weile sitzen.«

»Hat die Mutter das sagen lassen?« fragte der Große-Hans leise.

»Das hat sie zwar nicht, aber darum kannst du alleweil kommen. Es ist nicht gar zu kurzweilig für sie, seit Annemarie fortgereist ist. Niemand kommt zu ihr, und nirgends geht sie hin.«

»Du bist viel auswärts, höre ich!« sagte der Bruder ruhig.

»Nicht so viel wie du zu jener Zeit, da du nachstiegst!«

»Das war ein ander Ding – da waren wir alle daheim.«

Peder lachte gezwungen: »Meinst etwa, ich sollt mich hinsetzen und die Wand anstarren, weil ihr alle aus dem Haus seid?«

Der Große-Hans sah den Bruder forschend an, erwiderte aber nichts. Im Lauf des Nachmittags kam er mit seinem ganzen Hausstand herüber und blieb bis weit in den Abend hinein.

– – –

Dienstag nachmittag war Beret allein zu Haus. In einem Pferch unten auf der Kuhwiese hatte sie eine Schar Jungvieh, das sie gleich nach Weihnachten zu verkaufen beabsichtigte und das sie jetzt jeden Tag mit Mais mästete.

Heute wurde ihre Arbeit dadurch unterbrochen, daß jemand zum Hof gefahren kam. Sie war nicht wenig erstaunt, als sie Pastor Gabrielsen vor sich sah; er hatte sie seit dem Frühsommer nicht aufgesucht. – – Gut, daß er kam, sie hatte ein paar Dollar beiseit gelegt, die sie der Mission zugedacht hatte.

Der Pastor hatte sie schon erblickt und erwartete sie im Wagen:

Nein, danke schön, heute wolle er sich nicht aufhalten. Sei Peder zu Hause?

Nein, der sei mit Weizen zum Markt.

Als der Pastor das hörte, war er sichtlich ratlos.

Wünsche er etwas von Peder? fragte Beret.

»Ja,« gestand der Pastor ernst. »Ich höre, er ist Schauspieler geworden, und vor dieser Sünde muß ich, als sein Seelsorger, ihn warnen.«

»Was sagst du da?« Beret umklammerte den Wagenrand.

Des Pastors fröhliches Gesicht hatte heut einen betrübten Ausdruck. »Er ist mit bei jener tollen Jugend, die es jede Nacht drüben im Murphy-Schulhaus wild treibt. – – Das hätt ich nie von ihm geglaubt!«

Beret war jetzt seltsam anzusehen: ihre Angst wurde von einem Lächeln gekräuselt:

»Jede Nacht, sagst du? Jetzt, mein ich, hast du zu sehr auf Weibergeschwätz gehört. – – Ich weiß von nichts anderem als jener Exhibition, und die haben wir nun schon seit wer weiß wie vielen Jahren, sowohl vor deiner Zeit wie auch hinterher.«

Der Pastor schaute sie bekümmert an:

»Es ist wohl auch noch Schlimmeres dabei!«

»Ist es denn gar so arg verkehrt?« Noch immer lächelte sie.

»Ja, Mrs. Holm,« versicherte der Pastor in mildem Ernst. »Die Schauspielerei ist wahrlich einer der gefährlichsten Feinde des frommen Wandels, davon habe wohl ich genug gesehen damals, als ich in Chicago beamtet war; die erweckt alles andere, nur nicht das Gute in den Menschen. Ich verstehe den Christen nicht, der sich mit so etwas befassen will. – – Und jetzt haben wir diesen Greuel auch hier aufs Land heraus bekommen!«

Berets Gesicht glättete sich, als sie dem Pastor jetzt ins Gesicht sah:

»Bist du dort gewesen und hast nachgeschaut?«

Pastor Gabrielsen zog sich unwillkürlich zurück.

»Aber das solltest du tun!« beharrte sie.

»Das kann ein Pastor nicht. Aber etliche aus der Gemeinde beklagen sich; und heute erhielt ich einen Brief von Pastor Bakken, der mich bittet, dem Unwesen zu steuern; nun – darauf lege ich keinen größeren Wert, der mag vor seiner eigenen Türe fegen. Aber wie schlimm die Verführung ist, dafür haben wir einen ausreichenden Beweis, wenn sie einen jungen Mann wie Peder mitzuschleppen vermag. – – Ich habe meines Erinnerns nie einen Konfirmanden vorbereitet, auf den ich so große Stücke gehalten hätte. – – Jetzt ist die Weltlichkeit im Begriff, sich deines Sohnes zu bemächtigen – es tut mir innig leid, dir das sagen zu müssen!«

Beret schwieg eine Weile. Dann meinte sie bitter:

»Oh ja, wir ernten wohl nichts anderes, als was wir gesät haben!«

»Was meinst du damit, meine gute Mrs. Holm?«

»Wenn wir eine Hürde einreißen, dann rennt leicht das Vieh hinaus! Soviel verstehst doch wohl auch du?«

Der Pastor sah sie fragend an – und sie ihn anklagend:

»Du selbst hast es der Jugend eingeprägt, daß hier in zwanzig Jahren kein Unterschied mehr sein wird!«

»Jetzt, scheint mir, verleitet dich dein Eifer für eine Sache zu einem ungerechten Urteil. Daß alle ein und dieselbe Sprache sprechen, bedingt doch wohl noch nicht, daß auch aller Menschen Handlungsweise die gleiche wird?«

Berets Augen bohrten sich noch tiefer in die seinen:

»Ich frage mich, wer von uns beiden wohl am meisten über dieses hier nachgedacht hat, du, der du nur hinten nachgeschoben hast, oder ich, die versucht hat, sich gegenzustemmen? – – Wir sind erst jung in Amerika. Lassest du solche Burschen in die Wildmark der Welt hinaus, so ist's schlecht vorauszuwissen, worauf sie verfallen können!«

»Das ist deine Meinung nicht, Mrs. Holm, jetzt versündigst du dich gegen mich! Kein Mensch, nicht einmal die eigene Mutter, hat es mit deinem Sohn so gut gemeint wie ich.« Der Pastor hatte sich um den Bart gefaßt und sah sie mit einem Gesicht an, das von Ernst gerötet war. »Und jetzt eröffne ich dir, daß er jene Wege eingeschlagen hat, die ins Verderben führen!«

»Dann mußt du, der du dich darauf verstehst, mit ihm darüber sprechen!«

Beret drehte sich um und ging ins Haus. Die Augen sahen Nebel. Das Rattern des abfahrenden Wagen tat ihrem Kopf weh. – – Hatte sie dem Jungvieh genug Mais gegeben? Sie nahm den Eimer und machte sich daran, noch mehr hinzutragen. – Jetzt war er also wieder im Getratsch? – Und es war so schlimm bestellt, daß die Weiberleut damit zum Pfarrhof gefahren waren und sich beklagt hatten? Und Pastor Bakken hatte um deswillen geschrieben? – – Was er jetzt vorhatte, das tötete das Gute in ihm? Beret vergaß, den Eimer vollzuschütten. – – Sonderbar auch? Sie und der Permann hatten's noch nie so gut miteinander gehabt – das wußte sie. Sie verstand sich wohl nicht besser darauf. Hier waren andere, die ihn noch lieber hatten? – – Was war es doch, das er ihr unlängst gesagt? ›Und gibt's noch etwas, was du dir wünschest, so sag es nur getrost!‹ Der Gabrielsen, der plapperte über so vielerlei, worauf er sich nicht verstand. – – Sie hatte heut gewiß zu viel gesagt. Was hatte sie doch gleich gesagt? – – Und das Geld hatte der auch nicht mitbekommen! – –

Beret vergaß das Vieh, fühlte sich elend und setzte sich auf die Schwelle. – – Daß die jungen Leute es jeden Abend bis weit in die Nacht hinein trieben, – das war eine Lüge, mit der sie da zum Pastor gekommen waren – der sollt lieber nicht so auf alles hören, was die Leut sich erzählten!

 

X

Beim Nachtessen war Beret sehr gesprächig, fragte danach, wie es ihm in der Stadt ergangen sei, welchen Preis er heute erzielt, wen er getroffen habe, – wovon die Leute denn jetzt schwätzten?

Unversehens gab sie ihrem Gespräch eine andere Wendung:

Wie gehe es denn diesmal mit der Aufführung? Werde etwas daraus? Brächten sie's ordentlich zustand?

Es gehe nur gut. Sehr gut sogar. Peder hockte faul und schwer nach der Stadtreise da und hatte nicht allzuviel Aufmerksamkeit für die Mutter übrig.

Aber sie gönnte ihm nicht Ruh:

Hätten sie nicht gar zeitig begonnen? Was hätten sie für dies Jahr denn vor?

Peders Stimme hellte sich auf:

»Etwas schändlich Feines!«

»Ja was denn aber?«

»Ein Play!«

»Wie nennst du das?« Beret bog sich über den Tisch, um besser zu hören.

»Ja wahrhaftig, ob ich's weiß, wie das auf norwegisch heißt,« lachte Peder. »Aber lustig ist es.«

Er sah zuversichtlich und fröhlich aus und scheute sich keineswegs, darüber zu reden – – da konnte es also doch nicht gar so verkehrt sein?

»Ist es ein ›Schauspiel‹?«

Peder dachte nach und nickte. »Wenigstens spielen wir's; es ist von der Art, wie's der Shakespeare geschrieben hat.«

Sie aßen eine Weile schweigend weiter, Beret nur wenig; jetzt legte sie den Löffel weg. Sie hätte gern noch gefragt, was denn das für einer sei, den er da soeben genannt, konnte sich aber doch nicht dazu verstehen. Nach einer Weile fing sie von etwas anderm an:

»Wer ist denn dies Jahr mit dabei?«

Peder nannte die meisten der Mitspieler.

»Der Syvert auch, sagst du?« Beret fand das so lustig, daß sie lachen mußte.

»Ja gewiß,« versicherte Peder, »und er ist sogar recht tüchtig!«

»Wann wollt ihr denn wieder zusammenkommen?«

»Diesen Samstag, – und nächste Woche wollen wir's aufführen.«

»Ihr müßt euch nur hüten, daß ihr nichts Schlimmes tut!«

Dafür hatte er nur ein:

»Pö! Du mußt auch stets etwas herausfinden, wovor du dich ängstigen kannst!«

Weder an dem Abend noch späterhin erwähnte Beret des Pastors Besuch. Aber die ganze Woche über ging sie in Nachdenken versunken herum. Wenn Peder in der Stube saß, beobachtete sie ihn verstohlen, und dann legte sich ihre Besorgnis. Niemals hatte sie ihn noch so zufrieden und fröhlich gesehen. Und er sang auch beständig!

Aber je länger Beret darüber nachdachte, desto stärker wirkten die Worte des Pastors nach. Gabrielsen wäre nicht eigens herangekommen, hätte nicht etwas Besonderes vorgelegen. Und der war kein bloßer Herumträger, hatte auch keinen Grund dazu – bei ihr. Er verfiel doch wohl nicht etwa darauf, sich an dem Buben zu rächen, weil der nicht hatte Geistlicher werden wollen? – – ›Er hat jene Wege eingeschlagen, die ins Verderben führen‹. Sie hatte ihn noch nie so ernst gesehen wie bei diesen Worten. – – Ein Pastor tat doch so etwas nicht ohne Grund? – –

Obwohl sich Peder jeden Abend in dieser Woche daheim aufhielt, schlief Beret selten des Nachts. Die Angst wollte ihr nicht Ruhe lassen. – – Leute waren im Pfarrhof gewesen und hatten geklagt. In früheren Jahren hatte doch niemand eine Einwendung gemacht? – – Und der andere Pastor hatte Gabrielsen aufgefordert, dem Unfug zu steuern! Was in aller Welt konnte das sein? – – Warum ging denn Gabrielsen nicht zu Tönset'n, wenn's gar so schlimm war? – – Er hätte noch einmal herkommen müssen! – – Eines Tages überlegte sie, ob sie Peder nicht mit den Dollars für die Mission zum Pastor schicken solle, ließ es dann aber bleiben, – das hätte sonderbar ausgesehen.

Der Samstag brachte bewölktes Wetter. Ein wolliger Himmel hing düster und schwer auf die Prärie hinunter. Unter ihm sauste kalter Wind. Am Nachmittag war Peder dabei, Mais für das Jungvieh auf Vorrat zu mahlen. Ab und zu half Beret ihm dabei den Mais von und zur Mühle zu tragen. – – Er sang auch heute.

Nach dem Nachtmahl ging er sogleich zum Umkleiden nach oben und ließ sich gute Zeit. Er pfiff, konnte sie hören. Dazwischen tönten Bruchstücke eines Liedes.

Als er herunterkam und gehen wollte, stopfte Beret am Tisch Winterkleider. Sie sah auf und sprach ihn an:

»Hast du das reine Hemd gefunden?«

Peder nickte und wartete; er merkte, daß sie noch mehr zu sagen hatte.

»Das ist aber einmal ein hübscher Schlips! Wann hast du dir den gekauft?«

»Unlängst.«

»Halt ein wenig!« Beret stand auf und kam zu ihm hin. »Da hängt dir ein weißer Faden auf dem Rücken.« Sie zupfte den ab und untersuchte gleich, ob noch mehr da seien. – – »Gehst du jetzt den Syvert holen?«

»Er fährt selber,« sagte Peder ungeduldig.

»Es ist gewiß einsam für die Kjersti, so gänzlich allein zu bleiben. Ich mein, du nimmst mich mit hinunter zu ihr?« Es hörte sich an, als frage sie um Rat.

»Schaut es nicht nach Regen aus?«

»Ja, dann wagt sie sich freilich nicht herauf zu mir!«

Peder faßte nach der Klinke: »Die gehen zeitig zu Bett.«

»Ja, ja; die weiß halt sich nichts anderes vorzunehmen. – – Bleibst du lang heut abend?«

»Das kann ich nicht genau sagen!« Peder machte leise die Tür auf und schlüpfte hinaus.

Beret setzte sich nicht sogleich, sondern ging ans Fenster. Blieb stehen, als warte sie. – – Sonderbar, daß er den Syvert nicht mitnimmt, das war doch kurzweiliger für alle beide? – – Er hätt mich gern hinunterfahren dürfen, das war kein Umweg für ihn.

Als sie den Wagen rattern hörte, trat sie vom Fenster zurück und setzte sich an die Flickarbeit. Die Hand zitterte. Ab und zu sah sie auf. Es waren heute abend in der Küche so mancherlei Laute zu vernehmen. Der Wind legte sich auf die Fenster und rüttelte sie. Aus dem einen zog es, sah sie; des Per Hansen Bild konnte dort oben gar nicht in Frieden hängen. – – Ob das Fenster auch gehörig geschlossen war? Sie stand auf und sah nach, ging zum Herd und schob den Schieber ganz hinein. Sie hatte keine rechte Ruhe, öffnete die Küchentür und lugte hinaus. – – Der Regen kam wohl erst zur Nacht? – – Aus dem Stall drangen Geräusche; ein Pferd wieherte. Beret horchte. Stießen die sich heut abend? Dann hatte er gewiß vergessen, ihnen Heu vorzuwerfen?

Unter den Kleidungsstücken, die sie zum Flicken auf den Tisch gelegt hatte, war auch eine Winterjacke. Die war noch vom Per Hansen; sie brauchte sie selber jeden Winter. Die zog sie über, steckte die Laterne an und ging in den Stall. Alles still dort drin. Ein paar von den Pferden wieherten leise, sobald sie sie erkannten; sie hängte die Laterne auf und füllte alle Krippen mit Heu.

Vom Pferdestall ging sie in den Kuhstall. Eine der Kühe kalbte vielleicht heut nacht. Beret ging in den Stand hinein, fühlte der Kuh übers Kreuz und betastete das Euter. Wenn es hier nicht noch vorm Morgengrauen ein Kleines gab, dann war's ein Wunder. Sie streute reichlich Stroh unter das Tier und sah nach, ob die Kälberbucht auch sauber war – auch dort hinein trug sie frische Streu.

Die Laterne blies sie aus, ehe sie aus dem Kuhstall ging. Auf der Hofreite verweilte sie ein wenig. – – Nicht dunkler war es, als daß sich der Weg noch finden ließ. Der Regen kam wohl kaum vor Mitternacht?

Als sie in die Küche zurückkehrte, band sie sich ein schwarzes Tuch um den Kopf, – sah sich um – da stand ja die Streichholzschachtel! Was alberte sie denn! Sie schraubte die Lampe herunter, wartete, bis sie erlosch, nahm dann die Laterne, steckte sie aber nicht an und ging.

Unten auf der Landstraße blieb sie stehen, um zu überlegen. – – Bei Tönset'n machten sie frühzeitig Feierabend, Kjersti hatte sich vielleicht bereits gelegt – – lieber nicht stören? – – Bis zum Schulhaus hinüber war der Weg nicht lang. – – Finster heut abend – – jetzt fuhr kaum noch einer. – – Beret seufzte schwer und ging nach Westen, zu Anfang ruhig und bedacht, bald aber schneller.

Auf der letzten halben Meile bog sie vom Wege ab. Hier fing ein Maisfeld an, das den Weg bis zum Schulhaus begleitete. Beret ging einige Furchen in den Acker hinein, so weit, daß sie sicher sein konnte, vom Weg aus nicht gesehen zu werden, und folgte einem Streifen. Die dürren Stengel knisterten bei leisester Berührung. Das Geräusch schreckte sie, sie bewegte sich behutsamer. Hier lag ein Maiskolben – sie fühlte ihn unter dem Fuß, blieb stehen und nahm ihn auf. – Hier noch einer. Sie stellte beide gegen eine Wurzel. – Die können nicht sorgsam beim Hülsen gewesen sein, dachte sie. Schad um all den Mais, der hier faulen soll!

Am Rande des Ackers blieb sie stehen. Das Schulhaus lag gerade vor ihr. Aus allen Fenstern schien Licht. Eins war geöffnet. Geplauder und Lachen drang heraus. Der Körper flog ihr so, daß sie sich hinhocken mußte. In mäßigem Abstand lief hinterm Haus ein Zaun entlang. An den waren die Pferde gebunden. Kein Mensch war draußen zu sehen.

Beret horchte jetzt an der Hinterwand des Hauses. Auf dieser Seite war kein Fenster. Sie vernahm nichts als laute Mannsstimmen. – – Zankten die sich? – – Der eine sprach so arg zornig? – – Jetzt lachte eine Dirn. – – Beret zitterte und mußte sich stützen. Unsicheren Schrittes tappte sie sich um die Hausecke herum und so weit an der Längswand fort, daß sie an die Ecke des hintersten Fensters gelangte. Da sah sie gerade sich gegenüber drei grinsende Neger sitzen – die sah sie zuerst, denn die waren pechrabenschwarz im Gesicht.

– – Kannst du mir sagen? – – Dort war der Permann dabei, mit einer Dirn zu schäkern – einer Dirn … Beret bekam Atemnot. Ihr Nacken bog sich. Die Augen wurden unnatürlich groß. Das flimmerte so seltsam. Sie lehnte sich gegen die Wand. Eine kalte Hand preßte ihr das Herz zusammen; sie stöhnte leise unter dem Griff. Wie eine Trunkene torkelte sie davon. Im Acker setzte sie sich auf eine Maiswurzel, jammerte wie ein Kind und wußte nicht, was sie tat. – – »Herre mein Gott, kannst du so etwas zulassen!«

Sie wußte nicht, wie lange sie so gesessen hatte, als eine klare deutliche Stimme sie weckte:

So zieh nun hin, und schlage die Amalekiter, und verbanne sie mit allem, was sie haben. Schone ihrer nicht; sondern töte Mann und Weib, Kinder und Säuglinge, Ochsen und Schafe, Kamele und Esel!

Beret wiederholte die Worte und nickte dazu.

– – »Hsch jetzt! Sprich nicht so laut!«

Jemand kam aus dem Haus heraus, holte sich ein Pferd aus dem Dunkel und fuhr ab. Auf dem Treppenabsatz stand eine Schar und lachte. Berets Augen zerrissen das Dunkel: – jetzt bog auf dieser Seite ein Paar um die Ecke; sie sah, er hatte die Dirn im Arm, er sprach lustig und hastig, sie antwortete ihm mit fröhlichem Lachen. – – Da geht er, jetzt fährt er weg mit ihr, – mich konnte er nicht zur Kjersti hinunterfahren! – –

Das Licht wurde ausgelöscht. Der letzte Wagen fuhr davon, das Schulhaus stand dunkel und geheimnisvoll da und behielt sein Wissen für sich.

Beret stand auf und ging hinüber – herum zur Vorderseite, probierte an der Tür. Die war verschlossen. Sie setzte die Laterne hin und rüttelte an der Klinke.

Der Widerstand erregte sie; sie rannte die Treppe hinunter, stellte die Laterne an der Ecke hin; gleich darauf riß sie im Acker Maisblätter ab – schnell, zuckend. – – Die Stengel waren an der Spitze trocken und gut zu brauchen!

Sie riß und zerrte, und als sie den Schoß voll hatte, trug sie ihn zur Wand, suchte längs der Grundmauer: – – hier ging es, hier fehlte ein Stein! Beret legte die Blätter zurecht, ihr Kopf reckte sich hoch, angestrengt horchend: hörte sie da jemanden? Das Ohr fing einen Laut auf, der einem tiefen Knurren glich. – – Das mußte von der andern Seite herkommen? Sie kroch auf den Knien zur Ecke, lugte herum. Die Sinne spannten sich. – – Nein, es war gewiß nur ein Fenster, das locker hing und knarrte, wenn der Wind dagegenprallte.

– – »Jetzt sieh zu, daß du noch bei Nacht fertig wirst!« rief es ihr ins Ohr. Sie war weder erschreckt noch sonderlich verwundert. Selbstverständlich mußte sie zusehen, bald fertig zu werden, denn jetzt fing es an zu regnen. Sie sah klar, was sie zu tun hatte. Als sie jedoch die Zündhölzer aus der Tasche zog, zitterte ihr die Hand derart, daß das erste zerbrach. Das geht nicht, dachte sie, ich muß es vorsichtig anstellen, ich habe nicht so sehr viele Zündhölzer mitgenommen. – – Sie strich noch das nächste an – ha, jetzt brannte es! Ein paar ängstliche Flammen leckten an den Blättern, blafften verschlafen ein paarmal auf und konnten nicht mehr. Beret wollte es nicht glauben: brannte es nicht, wenn der Herrgott es befohlen hatte? Ihre Augen verschleierten sich. Sie sah nicht mehr deutlich, sie schlotterte auch so arg am ganzen Körper. Sie mußte sich freilich vorsehen, wollte sie es bewerkstelligen. – Sich vorsehen, ja – bei solcher Finsternis! Und jetzt regnete es noch dazu! Sie legte sich dicht vor die Wand, um sich vor dem Zug zu schützen, strich Zündholz um Zündholz an und steckte es in den dürren Blätterhaufen hinein; matte Flämmchen flackerten müde einen Augenblick auf, dann war alles dunkler denn zuvor. – – Und das jetzt, das war das letzte gewesen! Sie suchte in beiden Taschen nach. Plötzlich sank sie hilflos zusammen und jammerte: »Herr, hilf mir, dein Geheiß erfüllen!« – –

Sie wußte nicht, wo sie sich befand.

 

XI

Das war kein gewöhnlicher Regen! Das goß vom Himmel herunter. Wasserwellen rauschten durch die Finsternis; fanden sie Widerstand, dann schäumten sie weiß wie die Brandung um den Felsen.

In Berets Schuhen quatschte es jedesmal, wenn sie den Fuß aufsetzte. Die Kleider klebten ihr an der Haut. Sie ging und ging mit gleichförmiger Regelmäßigkeit – – so war sie von Anbeginn ihres Lebens gegangen, dumpfe Ruhe lag über ihr. Dennoch wünschte sie sich, daß es bald ein Ende haben möge. Sie konnte sich nicht besinnen, daß ihr das Gehen je so schwer gefallen war. – –

Mancherlei sonst war heute nacht eigen und undeutlich. Sie hatte an einer Wand gehockt und sich dagegen gelehnt – – eine Wand? Was für eine Wand? – Und ehe sie sich's versah, war sie durchnäßt gewesen. Sie war aufgesprungen und hatte nach etwas gesucht! Wonach hatte sie doch nur gesucht?

Das Unwetter raste so übermächtig, daß sie nicht Muße bekam, viel zu überlegen. Und der Sturm raste noch ärger als der Regen. Die tobende Finsternis warf die dicken Prügel der Stalltür hinter ihr her. Ein Glück Gottes, daß sie das Wetter im Rücken hatte! Alle Augenblicke stolperte sie vornüber und mußte mit den Händen Halt suchen. Und jedesmal ließ sie die Laterne fallen, und die konnte sie heut nacht durchaus nicht entbehren – sie mußte heut nacht noch nach der Kuh sehen. – – Laterne? Nach der hatte sie ja doch gesucht?

Gottlob, jetzt war sie endlich daheim.

Gerade, als Beret ins Haus wollte, entriß ihr der Sturm die Tür. Drüben neben der Wanduhr klopfte der Per Hansen an die Wand. Sie klinkte eiligst hinter sich ein, damit der Wind das Bild nicht herabreiße. – – Jetzt müssen wir zusehen, daß wir schnell Licht machen! – – Die Gedanken arbeiteten klar. Sie wußte genau, wo die Zündhölzer standen, sie steckte die Lampe an. Was für eine schreckliche Unordnung sie zurückgelassen hatte! – – Nein, aber was war jetzt das? Auf dem Boden lag etwas Schwarzes. Hast du schon je so etwas erlebt – der Wind hatte den Trauerflor von dem Per Hansen abgerissen! Sie hob ihn vorsichtig mit zwei Fingern auf und legte ihn auf den Tisch. – – Die Kuh? Nach der mußte sie noch sehen, ehe sie sich auszog.

Sie suchte sich eine trockene Jacke und wischte die Laterne ab. Ehe sie hinausging, schürte sie das Feuer im Herd und setzte einen Kessel Wasser auf – brauchte es nicht die Kuh, hatte sie selber Verwendung dafür.

Draußen tobte der Sturm derart, daß sie gebückt gegen ihn ankämpfen mußte und sich kaum auf den Beinen zu halten vermochte.

Richtig – da lag das Kälbchen! Beret spürte ein Wohlbehagen, weil sie es so gut vorausgesagt hatte. Was für ein blitzsauberes Kalb! Stern auf der Stirn und alles. Sie sorgte gut für die Kuh, das Kalb brachte sie sogleich in die hergerichtete Bucht und eilte ins Haus nach einem Eimer warmen Wassers. Aus einem Sack Maismehl, den sie immer im Stall stehen hatte, tat sie ein paar Hände voll ins Wasser. Sie ließ sich gute Zeit mit der Kuh.

Als sie wieder hinaustrat, war der Regen zu wäßrigem Schnee geworden. Sie ging ins Haus und leuchtete zur Uhr hinauf. Was? Ging es schon auf elf? War sie so lange bei der Kjersti gewesen? Aber das mußte sie später herausrechnen; denn jetzt merkte sie, daß sie fror. Zog sie sich nicht unverzüglich trocken um, so wurde sie krank. Beret entkleidete sich von Kopf bis Fuß, rieb und trocknete sich, bis sie Wärme spürte. – Dann zog sie sich ein anderes Kleid an, ein Sonntagskleid.

Es knatterte lustig im Herd. Die Küche füllte sich mit dumpfem Wohlbehagen. – Jetzt wäre sie gern sogleich ins Bett gegangen. Aber ihre Schlaftrunkenheit kämpfte mit dem Bewußtsein, das etwas noch ungetan war, was zu tun sie nicht vergessen durfte. Das mußte wohl unumgänglich sein, da es ihr so gar keine Ruhe ließ? – – Ein kalter Luftzug wehte vom Boden – er hatte doch nicht gar das Fenster in solcher Nacht offen stehen lassen?

Beret steckte den Lichtstumpf an, ging still hinauf und in Peders Zimmer. Das Bett stand leer. Sie war darüber nicht weiter verwundert. Er hatte doch hoffentlich Vernunft genug, irgendwo Unterstand zu suchen? Sie bekam übrigens nicht Muße, sich darüber weitere Gedanken zu machen; denn die Stoßwinde fuhren um die Hausecke und jagten die Nässe zu dem halboffenen Fenster herein. Sie schloß es schleunigst. Der Tisch war beregnet, ebenso die Bücher darauf. Die englische Bibel lag zu oberst, der Einband war völlig durchnäßt. – – Die mußte sie aufs Wandbrett überm Herd legen. Sie nahm das Buch mit hinunter und trocknete die schlimmste Feuchtigkeit weg. Als sie es soeben wieder zusammenklappte, guckten ein paar säuberlich beschriebene Zettel hervor – ihrer drei waren es – alle mit Schönschrift bedeckt. Sie tat die Seiten neben die Lampe, derweil sie das Buch überm Herd zurechtlegte, kam darauf zurück und besah sie. – – Der Permann schrieb doch ausnehmend schön, wenn er sich drum bemühte! – – Ja, aber was ist denn das? Sie hielt die Bogen ans Licht – englisch? Ja, hatte sie sich's nicht gedacht! – – Die Augen gelangten an die ersten Worte, die sie verstand, und sogleich mußte sie lachen. – – Kannst du mir sagen, womit der hier seine Possen getrieben hat? »An die Geliebte!« Wahrhaftig! Das stand da. Beret holte die Brille und setzte sich nun dicht an die Lampe. Sie sah aus wie ein Kind, das unvermutet über das tiefste Geheimnis eines Erwachsenen gerät und weiß, dies darf es nicht sehen, es aber doch nicht unterlassen kann. – Jetzt hör bloß:

Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist weg und dahin;
die Blumen sind hervorgekommen im Lande, der Lenz ist herbeigekommen, und die Turteltaube läßt sich hören in unserm Lande;
der Feigenbaum hat Knoten gewonnen, die Weinstöcke haben Blüten gewonnen und geben ihren Geruch. Stehe auf, meine Freundin, und komm, meine Schöne, komm her!
Meine Taube in den Felsklüften, in den Steinritzen, zeige mir deine Gestalt, laß mich hören deine Stimme; denn deine Stimme ist süß, und deine Gestalt ist lieblich.

Beret lächelte groß und kindlich. Meiner Treu! Ich glaub, der Peder ist dabei zu dichten! Das hat er hübsch zustand gebracht. – – Sie las weiter; es ging nur langsam, in dem hier waren so viele Worte, die sie nicht verstand:

Siehe, meine Freundin, du bist schön! siehe, schön bist du! Deine Augen sind wie Taubenaugen zwischen deinen Zöpfen. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die gelagert sind am Berge Gilead herab.
Deine Zähne sind wie eine Herde Schafe mit beschnittener Wolle, die aus der Schwemme kommen, die allzumal Zwillinge haben, und es fehlt keiner unter ihnen.

Nimmt mich doch wunder, dachte Beret, wo er das alles herhat?

Da ich ein wenig an ihnen vorüber war, da fand ich, den meine Seele liebt. Ich halte ihn, und will ihn nicht lassen, bis ich ihn bringe in meiner Mutter Haus, in die Kammer der, die mich geboren hat.
Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, bei den Rehen oder Hinden auf dem Felde, daß ihr meine Freundin nicht aufweckt, noch regt, bis es ihr selbst gefällt.

Beret schüttelte den Kopf, die Hand zitterte ihr. Er dachte doch wohl nicht gar daran, dies hier irgend jemandem zu zeigen? Das ging nimmermehr an!

Du bist allerdings schön, meine Freundin, und ist kein Flecken an dir.
Komm mit mir, meine Braut, vom Libanon, komm mit mir vom Libanon, tritt her von der Höhe Amana, von der Höhe Senir und Hermon, von den Wohnungen der Löwen, von den Bergen der Leoparden!
Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester, liebe Braut, mit deiner Augen einem und mit deiner Halsketten einer.
Wie schön ist deine Liebe, meine Schwester, liebe Braut! Deine Liebe ist lieblicher denn Wein, und der Geruch deiner Salben übertrifft alle Würze.
Deine Lippen, meine Braut, sind wie triefender Honigseim; Honig und Milch ist unter deiner Zunge, und deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch des Libanon.
Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born.

Diese Seite las Beret ein zweites Mal durch. Die Hand zitterte noch stärker. – – War das Kind denn rein närrisch geworden, daß es sich mit solchen Garstigkeiten herumtrug? Sie nahm die nächste Seite. Sah nachdenklich darüber hin, ehe sie zu lesen begann:

Du bist schön, meine Freundin, wie Thirza, lieblich wie Jerusalem, schrecklich wie Heerscharen.
Wende deine Augen von mir; denn sie verwirren mich. Deine Haare sind wie eine Herde Ziegen, die am Berge Gilead herab gelagert sind.

Die Härte in Berets Gesicht legte sich; die Augen strahlten wieder warm und klar; ein abwesender Ausdruck wie ein Träumen lag in ihnen.

Aber jetzt verdarb der Schluß alles:

Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter! Deine Lenden stehen aneinander, gleichwie zwei Spangen, die des Meisters Hand gemacht hat.
Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen.

Hier schloß die letzte Seite. Beret erhob sich jäh: das soll mir nicht weitergehen – mag er sich darüber auch noch so zornig gebärden.

Sie riß die Seiten zu kleinen Fetzen, nahm einen Ring vom Herd und warf sie in die Flammen.

Sie blieb stehen und starrte ins Feuer. Ein leises Frösteln durchlief sie. – – Das brannte jetzt gut – – ja, brannte es nicht? – – – Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen. Nein, so etwas – jetzt war das wieder da, worauf sie sich nicht besinnen konnte! Ein schwerer Seufzer entfuhr ihr, derweil sie in die Glut starrte. Die Hand bewegte sich mechanisch zum Herdring und legte ihn auf. – – War es nicht Zeit zu schlafen? Sie mußte wohl hinein und sich legen.

Beret nahm die Lampe und wollte in die Schlafkammer. Nach alter Gewohnheit leuchtete sie erst noch zur Uhr hinauf. Jetzt ging es auf zwölf. Aber sie beachtete es nicht. – Da war der Per Hansen. Sie ließ das Licht auf das Bild fallen. War der heut abend sonderbar? Sein Gesicht lächelte ihr so schalkhaft zu, und es war so heiter, unnatürlich heiter, deuchte sie. – – Woran, meinst du, denkt er jetzt?

Sie löschte die Lampe nicht, schraubte sie nur herunter. Es war, als erwarte sie jemanden, der noch nicht gekommen war, und werde des Harrens müde. Sie zog die Schuhe aus und warf sich angezogen aufs Bett. – – Das tat gut, sich zu strecken, wahrlich, das tat gut! Jedes Glied schmerzte, daß es ein Graus war. – – Wenn sie nur nicht einschlief, ehe die kamen.

Und sie schlief auch nicht. Die Gedanken wanderten weit fort. Bisweilen mußte sie sich anstrengen, damit sie sie noch erkennen konnte. – – Jetzt kamen sie wohl bald? Denn sie konnten doch eine Nacht wie diese nicht draußen zubringen? – – Sie kamen doch? – – freilich kamen sie! – – da war er jetzt! Und er ging nicht nach oben, sondern kam geradaus zu ihr in die Kammer.

Beret wandte den Kopf – du große Welt! waren solche Leut heut nacht unterwegs? Hier stand der Per Hansen vor ihr und lächelte herzlich und war gewißlich in bester Stimmung – das sah sie an den Augen, die nur noch schmale Schlitze waren. – – Wie er angezogen war! Sie mußte genau hinschauen, – Strickmütze, Winterjacke und Schneeschuhsocken! Ja, ja, es schneite heut nacht. – – Sie hatte nicht Zeit, viel drüber nachzudenken, denn nun redete er:

»Das wär also das, meine Goldberet: das letzte Mal, als ich hier war, da tat ich nach deinem Wunsch, doch diesmal mußt du halt mir folgen. Ich will das, hörst du wohl. Du sollst dem Permann nicht zuwider sein – laß du ihm nur die Dirn, wenn er sie so ausnehmend lieb hat! – – Weißt du denn gar nicht mehr, wie ich dazumal hinter dir hergewesen bin? Und du warst darin nicht viel besser; du schertest dich den Deut darum, was deine Eltern sagten, und dafür sei dir heut noch Dank!«

Beret setzte sich im Bett auf: »Kannst du mir sagen, Per Hansen, worüber sorgst du dich da? Jetzt zieh du die nassen Kleider aus, ich werd dir einen Kaffee kochen!«

»Plag dich nicht damit, ich hab viel zu betreuen und kann nicht verweilen. Red morgen mit dem Permann; es geht schlimm mit den beiden aus, kommen die nicht zueinander! – Ja, und jetzt leb wohl, der Herrgott steht vor der Tür und wartet auf mich.«

 

XII

Als Beret erwachte, klang ihr noch die Stimme ihres Mannes in den Ohren. Er mußte die Stube in eben dieser Minute verlassen haben. Aus dem Bett springend, hastete sie zum Fenster, stand und starrte hinaus. Fahles, graues Licht grüßte sie. Der Tag schien noch zu schlafen. Die Prärie trug eine weiche, weiße Decke. Sie lief in die Küche, öffnete rasch die Tür und spähte, den Atem anhaltend, hinaus … Kein Laut, nur das Tröpfeln vom Dach: jeder Tropfen mit schwerem Aufklatschen … Kein Zeichen von Fußspuren im Schnee … wo konnten die sein? – er war ja soeben erst fortgegangen.

Die kalte Luft machte sie frösteln. Sie schloß die Tür, trat in die Küche zurück und machte Feuer, setzte den Kaffeetopf und das Hafermus auf; dann ging sie zur Treppe und rief Peder, wie sie es jeden Morgen getan. Ohne aber auf ihn zu warten, nahm sie die Milchkübel und begab sich in den Stall – sie mußte das durchaus allein geschafft haben, ehe er kam.

Derweil Peder in der Küche frühstückte, kramte sie in ihrer Kammer herum, ohne sich jedoch erinnern zu können, weshalb sie hierher gegangen war. Sie schaute sich alles mögliche an, setzte sich, stand wieder auf, stellte sich ans Fenster und starrte hinaus. Die Lippen bewegten sich, aber kein Laut war zu vernehmen. Als sie Peder nach oben gehen hörte, begab sie sich in die Küche zurück; sie sah das Essen auf dem Tisch und setzte sich nieder, um zu frühstücken. Sobald sie fertig war, räumte sie den Tisch ab und wusch die Teller auf, sie arbeitete sehr schwerfällig. Zeitweilig vergaß sie, was los war.

Den ganzen Tag über wanderte sie herum wie eine Träumende, versäumte aber keine ihrer gewohnten Obliegenheiten. Doch zu Mittag stellte sie nur Brot und Butter auf den Tisch, sowie ein Glas Milch für sich und eines für Peder.

Peder kam leise vor sich hinpfeifend von oben herunter. Am Tisch stoppte er und brach in Lachen aus – er konnte sich nicht helfen (er konnte nicht anders) – – Was für ein Festmahl hatte sie da heute zubereitet? War das alles, was sie hatte, hungrige Leut zu füttern?

Die Mutter stand mit dem Rücken zu ihm beschäftigt am Herd.

»Wir fahren heut weg,« sagte sie abwesend.

»Wir fahren heut weg?«

Eine Pause entstand.

»Ich mein, wir müssen heut hinüber zu den Dohenys und uns wegen der Hochzeit umtun.«

Peder wurde blutrot. Er setzte sich und wagte nicht aufzuschauen. Eine Welle heißer Freude wogte in ihm … Wie gut von der Mutter! Er hätte stracks zu ihr hingehen und sie an sich drücken mögen.

»Wir hatten gemeint, bis zum Frühling zu warten,« gestand er mit leiser Stimme und sehr verschämt.

Erneutes Schweigen.

»Damit sind weder dein Vater noch ich einverstanden.« Ein wunderlicher Ton von Beleidigtsein lag in Berets Stimme. Sie hatte immer noch am Herd zu tun. Peder schielte zu ihr hin. – – Heut ist sie schlechter Laune. Sie hat sicherlich in der Nacht wach gelegen, auf mich gewartet – Vielleicht war sie gestern abend unten bei der Kjersti gewesen. Die Zungen sind schon tüchtig bei der Arbeit – – Nun, mögen sie klatschen!

Beret hing einen Kessel auf und wandte sich ihm zu. Ihr Gesicht schien gerötet; die Augen zeigten einen fremden Ausdruck; sie schimmerten in einem unnatürlichen Glanz, blickten aber wie abwesend. Peder schaute zu Boden: es fiel ihm schwer, ihren Blicken zu begegnen. – Sie nimmt es schwer – ich wußte es ja im voraus – – Warten wir's ab, bis sie Susie erst kennt!

»Es hat durchaus keine Eile,« meinte er mit einem ungeschickten Versuch, sie zu beruhigen.

»Genug davon, Permann, diesmal hast du mir zu folgen!« Beret sprach mit gereizter Entschlossenheit wie jemand, der fürchtet, seinen Zweck nicht zu erreichen.

Peder erhob sich unsicher vom Tisch. Sie schien heute so völlig außer sich zu sein, daß er Angst hatte, etwas zu erwidern.

Sein unentschlossenes Herumstehen erbitterte sie derart, daß ihr völlig die Geduld riß:

»Geh und mach dich fertig, – hörst du nicht? – Wer weiß, ob später die Dohenys zu Hause sind – – Ich muß auf der Stelle mit ihnen sprechen!«

Peder konnte sich nicht entsinnen, seine Mutter je so gesehen zu haben. Immer noch nicht wissend, was er tun sollte, ging er nach oben. Ein Gefühl, gemischt aus Gekränktsein und Niedergeschlagenheit, erfüllte ihn. Es hätte ihm wohlgetan, irgend etwas zerschlagen zu können, aber noch mehr war ihm danach zumut, sich aufs Bett zu werfen und laut herauszuschreien.

Aber nach und nach begann der Gedanke, daß sie nun wirklich vorhatten, zu den Dohenys zu gehen und ein Geschehnis zu besprechen, das er und Susie bisher nur in ihren Träumen gesehen, seine Angst zu verscheuchen – Fertig angezogen stieg er langsam die Treppe hinunter – Warum sich Sorgen machen – wenn es sein mußte, war er bereit, morgen zu heiraten – dann brauchte Mutter nicht länger allein zu sein! – – Dieser Gedanke machte ihn froh. – – Natürlich, Mutter wird's schon überwinden – sie war stets ein bissel wunderlich – Jetzt aber schnell und fort. – – Der Gedanke an das Staunen, das ihrer beider Erscheinen bei den Dohenys hervorrufen würde, erfüllte ihn mit Lachen; aber er riß sich zusammen, um eine ernste Miene beizubehalten. – – Und Susie, welch grenzenlose Überraschung für sie! – Peder blickte auf und sah seiner Mutter Augen auf sich ruhen, mit einer seltsamen Spannung, die ihn erschreckte. Plötzlich jedoch erhellte sich ihr Gesicht zu einem strahlenden Lächeln, wie bei einem Kind, das lange um etwas geweint, aber dennoch unerwartet sein Spiel gewonnen hat.

 


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