Julius Rodenberg
Stillleben auf Sylt
Julius Rodenberg

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V.

Ich habe alle meine Freunde – mit Ausnahme von Dirck Meinerts Hahn – noch am Leben und im besten Wohlsein getroffen. Gleich am Morgen nach meiner Ankunft erschien Wulff Manne Dekker mit einem großen Kasten voll Moos und Muscheln; bald darauf machten ein hübscher, braunäugiger Knabe von acht und ein allerliebstes Mädchen von zehn Jahren, Sohn und Tochter von Grete, geb. Hahn, im Namen der Mutter ihre Aufwartung, und am Abend war ich bei Meister Steffens, der aber nicht mehr in der »Dünenhalle« residirt, sondern sich ein eigenes Palais gebaut hat, »Christianenhöhe« genannt, ein wunderliches Ding von einem Haus, mit einem achteckigen Sitzungssaal für seine Gäste, die Wände geschmückt mit Diplomen, die des Meisters Ruhm verkünden, und mit einer großen Photographie, die ihn darstellt, wie er sein Schlachtschwert, vulgo Tranchirmesser, über einer gewaltigen Ochsenkeule schwingt. Er hat die Mitte der siebenzig überschritten, fühlt sich aber immer noch wie ein Jüngling, und zum Zeichen deß hat er sich kürzlich noch einmal verheirathet und neuerdings den Bart stehen lassen. Diese Leute – Gott erhalte sie! – nehmen es auf mit den Erzvätern und Patriarchen; ja, sie begnügen sich nicht einmal mit dem biblischen Alter, von welchem geschrieben steht: »unser Leben währet siebenzig Jahre und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre«; denn 84, 88, 90 Jahre gelten hier für gar kein ungewöhnliches Lebensziel, und dabei bleiben sie körperlich gesund und geistig frisch bis zur letzten Stunde und haben Nachkommen »wie Sand am Meere.« Das Geschlecht der Dekker z. B. zählte 1860 bereits 403, das der Wulff sogar 547 Glieder. Ihre Geschlechtsregister gleichen denen der heiligen Schrift. Diese Familien von Seefahrern und Bauern haben ihre Stammbäume, welche denjenigen unserer Ritterbürtigen an Genauigkeit und zuweilen an Alter Nichts nachgeben; in einigen Familien findet eine gewisse regelmäßige Vererbung des Berufes statt, wie z. B. des Schullehreramts seit 150 und mehr Jahren in der Familie Hansen, deren heutiger Repräsentant der um die Bildung und literarische Geltung seiner Heimathinsel so hochverdiente Lehrer C. P. Hansen in Keitum.

Das Bad und damit auch das Dorf Westerland hat sich seit meiner ersten Anwesenheit auf Sylt erstaunlich gehoben. Von 470 Badegästen im Jahr 1859 ist die Zahl derselben auf 1500 im Jahre 1875 gestiegen. Ganz besonders stark ist der Aufschwung seit Sylt wieder deutsch geworden: von 566 im Jahre 1863 hob die Zahl sich sofort auf 1000 Badegästen im Jahre 1867, und seitdem, mit Ausnahme der Kriegsjahre 1866 und 1870, hat sie sich auf der Höhe von dreizehn-, vierzehn- und fünfzehnhundert gehalten. Diesem Verhältniß entsprechend sind auch die zum Baden gehörigen Einrichtungen und Anstalten erweitert, vergrößert und vermehrt worden. Westerland ist nicht ganz mehr das primitive Seebad, welches es war. Die Begründung des Seebades und der Fremdenverkehr auf Sylt haben zwar glücklicherweise nicht die schlimmen Folgen für den Charakter der Bewohner gehabt, welche seiner Zeit die Alten voraussahen, wiewol einige Fälle, die mir besonders nahe gehen, zeigen, daß sie doch auch nicht ganz ohne Einfluß geblieben. Im Allgemeinen jedoch haben die Sylter Nichts von ihrer früheren Treuherzigkeit verloren, trotzdem sie gelernt haben, etwas mehr für die Bequemlichkeit ihrer Besucher zu thun. Acht neue Hotels sind erstanden, einige davon mit großen Namen und Ansprüchen, obgleich stattlicher Aufputz und Goldschrift schlecht gegen den salzigen Seewind aushalten; aber sie sind alle zusammen gut eingerichtet und geführt, und eines oder zwei wirklich rühmenswerth in ihrer Art. Die Verpflegung der Gäste kann billigen Anforderungen genügen; an Fischen, wenn man nicht, wie die hiesigen Speisekarten, Sardines à l'huile und marinirte Häringe dafür nehmen will, ist immer noch derselbe Mangel wie sonst, und was die Austern betrifft, so will ich meinem mehrerwähnten, ehrenwerthen Freunde zwar nicht die Schuld beimessen, allein Alles, was davon auf meinen Theil kam, beschränkte sich rund auf ein halbes Dutzend. Es hat für den Binnenländer etwas Widersinniges, am Meere zu sein, und zur gehörigen Zeit weder Fische noch Austern zu haben, obwol an Beidem kein Mangel in der unmittelbarsten Nähe. In diesem Betreff dürften die Sylter sich ein wenig mehr rühren, da es sich nur um Schwierigkeiten handelt, nicht um unüberwindliche Hindernisse.

Die neuen Hotels und eine ganze Reihe neuer sauberer Häuser außerdem liegen im Westhedig, einer Gegend, die, weil sie die nächste zu den Dünen und dem Meere, noch vor wenigen Jahren verödet und versandet und so werthlos war, daß die dort belegenen Grundstücke entweder zu dem niedrigsten Satze oder gar nicht im Steuerregister standen. Jetzt, eben wegen jener Nachbarschaft, ist dieser Theil von Westerland der gesuchteste geworden, ein außerordentlich reges Leben herrscht daselbst, und als ich am Abend zuerst dorthin kam und die vielen Fenster leuchten und die Wimpel an den hohen Flaggenstöcken wehen sah und das gastliche Klingen und Klappern von Gläsern und Tellern und die fröhlichen Menschenstimmen hörte, wo ich ehemals nur dürre Haide gekannt, da war mir in der That, als sei ich in eine fremde Welt versetzt worden, die hier durch irgend ein Wunder entstanden. Und nicht viel weniger gehörte dazu, um aus diesem sterilen, dem Westwind und Flugsand ausgesetzten Boden alles Das hervorzubringen.

Einer von den Bewohnern dieser neuen Gegend ist ein Berliner, ein übrigens prächtiger, jovialer und auf Sylt allgemein beliebter Mann, der es sich in den Kopf gesetzt, hier eine Villa zu haben und einen Garten anzulegen. Nun sind Anpflanzungen irgend welcher Art, es müßte denn der Sandhafer auf der Düne und die Kartoffel und der spärliche Roggen hinter derselben sein, auf dieser ungeschützten Seite von Sylt etwas Unerhörtes. Kein Strauch kommt hier fort, geschweige denn eine Blume. Der Unterschied in dieser Beziehung zwischen dem, aller Unbill des Meeres und des Windes ausgesetzten Westen und dem landein gelegenen Osten dieser Insel ist, wiewol die Entfernung kaum ein Stündlein beträgt, doch so groß, daß man schier in ein ander Land in ein wärmeres, sonnigeres gekommen zu sein vermeint, wenn man Keitum erreicht hat und den blauen Streifen des Wattenmeeres, das stufenförmig niedergehende Ufer, die rothen Ziegeldächer, die grünenden Hecken, die Gärten, und in einem derselben, dem der »Friesenhalle«, den schönen Nußbaum sieht, dessen dichtes Laub um diese Herbsteszeit in aller Pracht von Braun und Roth schimmerte. Selbst auf der Keitumer Haide noch gedeiht, schlecht und recht, eine kleine Beholzung von Nadelbäumen mit etlichen Birken und Eichen dazwischen, welche vor mehr als sechszig Jahren Uwen Jens Lornsen, der »Vogt von Sylt«, hier angelegt und die seinen Namen trägt, »Lornsens Hain.« Freilich sind die Stämme trotz ihres immerhin beträchtlichen Alters noch so dünn, daß man sie mit den Händen umfassen kann, während die Höhe nicht weit über 4 Meter beträgt;Heß, Erinnerungen an Sylt. Naturwissenschaftliche und historisch-geographische Skizzen. Hannover. 1876. p. 84. und die Königliche Baumschule bei Tinnum ist noch nicht über das Stadium des Versuchs hinaus, wiewol auch sie, in ihrer zarten Jugend schon, Spuren der Beschädigung an der Wetterseite zeigt. Kommt man gar nach Westerland und zumal dem Theile, der den Dünen am Nächsten ist, so wird Alles kahl, unfruchtbar und öde; der scharfe, salzige Nordwest duldet Nichts, was »in Farben freudig blüht«, kaum etwas Grünes, und was der Wind verschont, geht durch das Wasser und den Flugsand zu Grunde. Jedoch der Hang zum Urbarmachen und Civilisiren steckt einmal in dem Berliner; ihn schrecken nicht Sand noch Wasser, noch hat er es jemals an Mühe, Geduld und Ausdauer fehlen lassen. Wenn dem nicht immer so gewesen, wo wäre dann Berlin? Freilich ist es ein Ding mit der Spree und den Havelseen und ein ander Ding mit dem großen, großen Ozean, dessen Anhauch belebt und tödtet, gleich dem Geiste des Herrn, der darüber schwebt. Doch nicht einmal davor hat der sceptische Berliner den gebührenden Respect; glaubt vielmehr, daß man die Sache bisher nicht auf die rechte Weise angefaßt, kauft ein weitläufiges Terrain, dicht unter der Düne, »dem Strich der Erde, den Nebel drückt und schädliche Witterung,« baut hohe Mauern ringsum, welche dem Feinde, dem westlichen Winde, zu übersteigen nicht leicht werden wird, besetzt dieselben mit Dornen, um die Luft ihres Salzgehaltes zu berauben, legt dagegen im Inneren Leitungen süßen Wassers und Glashäuser an, und geht nun an das Werk, dort Blumen, Obst und Gemüse zu ziehen, »wo auf trägen Gefilden ein Baum von keinem Sommerlüftchen erquickt wird.« Inzwischen hängt das ganze Herz des Berliners an seinem Garten auf Sylt, und kaum ist mit Beginn des Frühlings das Eis im Wattenmeer aufgegangen, so verläßt er sein schönes, großes Haus in der Friedrichsstadt und eilt gen Westen, um nach seinem »Grundstück« zu sehen. Bis seine Villa fertig sein wird, bewohnt er ein Häuschen im Westhedig, in welchem er einen guten Weinkeller unterhält; und manches Glas Wein habe ich mit dem fröhlichen Mann auf das Gedeihen seiner Besitzung geleert – vivat, floreat, crescat! Allein ich glaube nicht recht daran; als ich dies schwarze, theerbestrichene, dornengekrönte Mauerquadrat zuerst, in der Morgensonne, vor mir sah, ohne zu wissen, welch' ein Paradiesgärtlein dahinter sich verberge, schien es mir von allen denkbaren Dingen am Meisten einem Kirchhof zu gleichen. Doch bei Gott ist Nichts unmöglich. – »Der Herr läßt Gras wachsen auf hohen Bergen.« »Es ist aber auch darnach. Hallelujah!« wie der Küster respondirte, der über der Predigt eingeschlafen war.

Keine Macht der Erde wird hinreichen, den Strand von Westerland zu verändern – weder seine großartige Erhabenheit und Schöne, noch die Unbequemlichkeit für Männlein und Weiblein, welche daselbst spazieren und baden wollen. Von der nächsten menschlichen Behausung ist immer noch ein Weg von zehn oder fünfzehn Minuten über Dünenhügel und knietiefen Sand, und hat man das Meer erreicht, so ist eine Promenade längs desselben mit vielerlei Beschwerden verbunden, zumal wenn die Sonne vom wolkenlosen Firmament hernieder brennt. Einige Pavillons, die noch nicht waren bei meiner ersten Anwesenheit, stehen im Schatten der Dünen, hoch über dem Meer, und es sitzt sich dort recht vergnüglich, besonders am Vormittag, wenn die biederen Musikanten noch nicht zur Stelle. Jedoch der Mangel oder vielmehr die Schwierigkeit eines Spaziergangs am Meere war, ist und wird immer die schwache Seite des sonst so gesegneten Bades von Westerland sein. Weswegen sich eine Aktiengesellschaft zusammenthat und die Höhe von Wenningstedt erkor, um daselbst ein Monstre-Hôtel anzulegen, Steintreppen und Quais zu bauen, und das alte »Riesgap« der Angeln und Sachsen mit allem »Comfort der Neuzeit« zu versehen. Allein, Sylt war noch nicht reif für Gründungen, oder der welterschütternde »Krach« kam zu frühe. Kurz, Alles was von der Herrlichkeit übrig geblieben, ist ein Steinhaufen, welcher in der Nähe der Ringhügel aufgethürmt liegt; und den einzigen Vortheil hat die Kirche von Westerland davon gehabt. Von der nicht unbeträchtlichen Kaufsumme nämlich, welche das Dorf für jene Haidestrecke erhielt, hat man dem bisher mit Schilf gedeckten Gotteshaus ein Schieferdach und eine Thurmspitze gegeben – eines der wenigen Beispiele, daß aus einer Gründung etwas Lobenswertes hervorgegangen.

Nein, Sylt würde den besten Theil seines Reizes und seiner Anziehungskraft verlieren, sobald das Leben daselbst anfinge, weniger einfach, weniger schlicht und natürlich zu sein. Wer den Luxus nicht entbehren kann, der hat die Modebäder; wer aber nach Sylt kommt, der will Ruhe haben, der will allein sein mit dem Meer und der Haide, der will im Umgang mit den harmlosen und zufriedenen Menschen sich langsam darauf besinnen, daß die Welt nicht ganz und gar ein Schauplatz der Berechnung und Thorheit und das Leben nicht überall ein hastiges Jagen nach Gewinn und Ruhm ist, bei welchem der Eine dem Anderen im Wege steht.

Wie wirkte die stille Größe dieser Natur auch diesmal wieder in unverminderter Kraft, und wie herrlich waren die Tage – der Himmel strahlend in herbstlichem Blau, die Haide so sonnig, die Lüfte so lau! Niemals habe ich Sylt so heiter und so freundlich gesehn, als in diesen späten Tagen, welche den Sommer noch einmal zurückzurufen schienen und der nordischen Meereseinsamkeit einen Zauber liehen, den ich nie vergessen werde. Wie köstlich am Morgen war der Anblick des Meeres, wenn die Dünen in purpurnem Schatten standen, wenn die Silberlinie des Sandes flimmerte, daß man jedes Körnchen unterscheiden zu können meinte, und dahinter das unermeßliche Blau sich ausdehnte, kaum athmend, nur mit leisem Murmeln an- und abrollend. Oder am Abend, wenn der ganze Horizont vom Sonnenuntergange glühte, welch' ein Gang durch die weite, stille Haide! Dann, vom Abendroth beglänzt, zieht sich die Kette der Dünen dahin, mit steilen Höhen und dunklen Schluchten, eine geheimnißvolle, phantastische Welt, und in Dämmerung gehüllt erscheinen die Hügel, mit welchen das Innere der Insel ganz bedeckt ist. Grabhügel sind es einer untergegangenen Zeit; – jeder von ihnen hat seinen besonderen Namen, und die Sage, an Thatsachen anknüpfend, die nur noch in den Traditionen leben, war geschäftig, jedem von ihnen auch seine besondere Geschichte zu geben. Von gewaltigen Kämpfen erzählt sie, von heißen Schlachten zwischen den ersten Bewohnern, die sich den Besitz dieser Insel streitig machten – zwischen den Zwergen, den »Oennereersken«, den Unterirdischen, die noch unter der Erde, in Höhlen wohnten, und den Riesen, von denen sie in langwierigen Kriegen befehdet, ausgerottet oder vertrieben wurden. Die Zwerge scheinen auf eine keltische Urbevölkerung hinzudeuten, welche im Verhältnis zu den nachfolgenden Riesen, den hünenhaften Skandinaven, in der That klein gewesen sein muh. Mannigfach haben sich auf Sylt Spuren keltischer neben solcher altgermanischer Mythe gehalten; man begegnet dem Puck hier, diesem ganz specifisch kymrisch-ersischen Poltergeist, der heute noch in Wales und Irland (Phuca) sein Wesen treibt, und die »Puken« werden sogar oft mit den Zwergen identificirt oder machen gemeinsame Sache mit ihnen; eine Schlucht in der Nähe von Braderup heißt nach ihnen »Puckthal« (Puck-dähl) und ein benachbarter Hügel »Puckhügel«, während andererseits der »Wednshügel« (Winjshoog) bei Keitum an die Opferhügel des Wodan, und die Betheurung »bie den Raawen«, die man zuweilen noch auf Sylt hören kann, an seine Raben Hugin und Munin erinnert, nach denen er auch der Rabengott, Hrafnagud, genannt war. Den Zwergen giebt die Sylter Sage Steinäxte und Messer aus Flintstein, die man begraben oder verloren in der Nähe von Kochstellen mit blauen Miesmuscheln auf der Haide, in den Dünen und auf den Kliffen noch manchmal findet; indessen die Riesen, die nach ihnen auftreten, stets mit Schwertern, Beilen und Bolzen aus Bronze, Kupfer und Eisen bewaffnet sind.Man vergl. Hansen, Sagen und Erzählungen der Sylter Friesen. Garding. 1875. p. XV u. 23. Ganze Geschlechter dieser Kämpfer läßt die Sage in einigen der Hügel begraben sein, wie in den »Lünggrewern« (den langen Gräbern) zwischen Westerland und Munkmarsch, oder in den »Bördern« (Riesenbetten) bei Kampen; andere wiederum bezeichnet sie als die Ruhestätten ihrer Könige, in denen diese entweder auf ihrem goldenen Wagen sitzen, wie König Bröns im Brönshügel bei dem rothen Kliff, oder zusammen mit ihrem goldenen Schiffe ruhen, wie König Ring im Ringhügel zwischen Westerland und Wenningstedt. Neuerdings sind einige dieser Hügel geöffnet worden; im Tipkenhügel, östlich von Keitum, fand man (1870) nur einen großen Steinhaufen; in dem von Professor Handelmann aus Kiel (1870 und 1871) geöffneten Krockhügel bei Kampen jedoch Skelette von 6-7 Fuß langen Menschen, sowie Schwerter von Bronze und goldene Schmucksachen; im großen Brönshoog zwar nicht den goldenen Wagen dieses Königs, wol aber einen Schädel, und in dem kleinen Brönshoog daneben, welcher das Grab seines Sohnes sein soll, Menschenknochen, zwei Bronzeschwerter und Reste gewebten Wollenzeuges. Der von Dr. Wiebel aus Hamburg (1868) untersuchte Dänghoog bei Wenningstedt scheint ein unterirdischer Wohnplatz gewesen zu sein, so niedrig, daß man nur gebückt darin stehen kann, aber mit ungeheuren, cyclopenhaften Steinwänden und einem 27 Fuß langen maulwurfsartigen Ausgang nach Süden, durch welchen man kriechend das Freie gewinnen konnte. Man klettert gegenwärtig, um diesen Bau zu besichtigen, von der entgegengesetzten Seite hinein und es wurden darin gefunden eine Feuerstätte, die Knochen eines kleinen Menschen, Steinwaffen, Haushaltgeräthe von Stein und Urnen von Thon.Eine vortreffliche Karte dieser Hügel, mit genauer Namensbezeichnung und sonstigen Notizen giebt Hansen in seinen »Sagen und Erzählungen der Sylter Friesen«.

Indem wir unter den Hügeln, durch die Dämmerung also dahin schreiten, beginnt über mir ein Klingen und Schwirren – es ist der Draht des Telegraphen, welcher quer über die Insel gespannt, in der Abendluft erzittert. Auch es hat »eine wundersame, gewaltige Melodei«, dieses Lied der allermodernsten Gegenwart, wenn es bei Dunkelwerden plötzlich anhebt über den Gräbern und, selbst ein Wunder, hineintönt in das Wunderreich des Märchens und der Sage. Fern über den Dünen erlischt das Abendroth. Es ist ein mühsamer Weg da hinauf, durch Abgründe von Sand, in welchen man beim Steigen oft bis an die Knie versinkt. Aber welch' ein Blick, da wir oben sind! Noch ist das ganze Wasser in dunkle Gluth getaucht, und die See, murmelnd und rollend, trägt den Wiederschein bis an das Ufer. Dies ist die Stelle. Dort, wo der Flugsand aufgehäuft liegt, war einst der große Friesenhafen, und wo die Wellen jetzt kommen und gehen, lag die große friesische Handelsstadt Wenningstedt. Hier, wo im »Riesgap« die ersten Auswandrer und Erobrer sich eingeschifft, war noch durch Jahrhunderte der Sammelplatz und Abfahrtsort der Nordfriesen, wenn sie gen Westen zogen; noch sind Wegspuren hierher durch die Keitumer und die Tinnumer Haide zu verfolgen, ja, die Sage setzt, über das versunkene Land, diese Straße bis nach Helgoland fort. Aber der Friesenhafen ist versandet und die Friesenstadt untergegangen im Jahre 1362, und Nichts übrig geblieben als ein kleiner Teich, nordöstlich hinter uns, und um denselben gelagert das kleine Dorf Wenningstedt, mit nicht viel mehr als einem Dutzend Häuser und etwa 50 Einwohnern. Aber es ist ein trauliches kleines Dorf trotzdem und das Haus, aus welchem das Licht so freundlich herüber blinkt, ist das Wirthshaus, mit einem Gastzimmer, welches in Form und Täfelung genau das Bild einer Schiffskajüte darstellt, und in welchem es sich daher ganz vorzüglich sitzen läßt, wie in einem ordentlichen Schiffe. Und wie ich mich gen Osten umgewandt, da steigt voll und klar über Keitum der Mond herauf, die Haide versilbernd und um die Hügel einen märchenhaften Duft spinnend und webend. Es ist Nacht, eine stille, feierliche Nacht, in welcher lange nur das Säuseln des Windes und der Anschlag der Wellen gehört wird. Auf einmal schallt, von unten herauf, dumpfes Stimmengemurmel, Fackeln mit brennendem Pech huschen vorüber, der Fall und Stoß eines schweren Körpers wiederholt sich in kurzen, regelmäßigen Zwischenräumen, begleitet von einer Art eintönigen, melancholischen Gesanges. Die Buhnenarbeiter sind's, die an ihr nächtliches Werk gehen. Sie können nur zur Ebbezeit arbeiten und müssen daher auch die Nacht zu Rathe ziehen. Sie rammen Pfähle von wuchtigem Holz ein und bauen Steindämme zur Sicherung dieser bedrohten Westküste, die seit Jahrhunderten schutzlos da gelegen. Und der Mond stand hoch und die Pechfackeln brannten und nach jedem in liedartigem Tone gegebenen Commando des Aufsehers, mit dem er die Arbeiter zu bitten und zu ermuntern schien, hob sich und fiel die steinbeschwerte Ramme nieder, gleichsam den Tact schlagend zu seinem Gesange, der langsam hinter mir verhallte, indem wir unseren Heimweg fortsetzten. So regt sich überall neues Leben auf Sylt, seitdem es derjenigen Sorgfalt und Liebe sich erfreut, die der Fremde niemals gewähren kann; und in seine ehrwürdigen Traditionen, die es sich noch lange bewahren möge, klingt laut hinein die Stimme der neuen Zeit und einer neuen Entwicklung. –


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