Julius Rodenberg
Stillleben auf Sylt
Julius Rodenberg

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XII.

Am 8. September.

Zum letzten Male sitze ich im Morgensonnenschein auf dem Rasen und sehe mir das Häuschen mit seiner grünen Bogenthür, seinen vier Fensterchen, seinem Strohdach an, unter welchem ich so viel Tage der Einsamkeit, des Friedens und der Rückkehr zu mir selber gefeiert habe. Dort an den Dünen weiden ein paar Schafe, dort über die Haide – das Weiße Tuch fest um den Kopf geschlungen, eine hohe starke Figur, eine wahre Lady Macbeth-Gestalt – geht Jungfrau Brigitte Marlo. Dankbar und gerührt nehm' ich Abschied von dem Einen und dem Anderen; von dem Meer, von den Hügeln, von der Haide, von den Menschen, welche ihre stillen und ernsten Bewohner sind. Ich habe viel von ihnen gelernt; aus ihrem Leben, das ohne Leidenschaft und Verbrechen, aber voll großer Sorgen und immerwährender Gefahr, aus ihrer Geschichte, die ohne Bedeutung ist für die heutige Welt, aber ihr ein Muster sein könnte in der Standhaftigkeit ihrer Kämpfe, nehme ich einen Schatz der Erinnerung mit mir.

Gestern zum Abschied hat Wulff Manne Dekker in der Dünenhalle einen Ball der Westerländer veranstaltet, der all' meine Freunde und Freundinnen noch einmal um mich versammelte. Grete Hahn erschien dabei im alten Nationalkostüm der Sylterinnen, welches seit Anfang dieses Jahrhunderts abgekommen, aber noch in einzelnen Exemplaren von mehreren Familien zum Andenken aufbewahrt wird. Es ist das Kostüm, von welchem um's Jahr 1650 der Bürgermeister von Husum schrieb: »Die Einwohner dieser Insul haben auch noch ihren besonderen Habit oder Tracht an Kleidung, insonderheit tragen die Weiber kurtze Röcke, so nicht viel über die Knie herunter reichen, wie vormahls die spartanischen Weiber auch sollen getragen haben, denen sie an Muth und Hertze sich auch vergleichen.« – Meine kleine braunäugige Spartanerin sah reizend in diesem kurzen weißen Rocke aus. Sie trug dazu hohe, rothe Strümpfe, ein weißes Tuch, das ihren Kopf vestalisch verhüllte, und den berühmten Smak – das altfriesische Hemd mit unzähligen Falten, »wozu einige dreißig Ellen Leinen gingen,« und das, wie Clement behauptet, von den Streifzügen der Friesen und Dänen her sich in Irland lange erhalten hat. Gewiß ist, daß das Hemd in England – freilich um ein Beträchtliches gegen sein friesisches Original verkleinert – noch »smock« heißt; sowie auch, daß dieser Smak ganz gewiß keine »dreißig Ellen Leinen« maß. Denn da man kein passendes Exemplar aufzutreiben wußte, nahm man eins von – meinen Hemden; und es stand dem Mädchen vortrefflich und sie gewann darin einen Reiz, den ich bisher nicht an ihr gekannt hatte. – Grete's Partner in Alt-Sylter Tracht war Kruse, der Tanzdeputirte im Bratenrock. Früher war dieser Mann Schiffskoch, und jetzt ist er Vergnügungscommissär von Westerland. Sein eigentliches Geschäft zwar ist das Fuhrwesen; allein damit will es nicht recht vorwärts, sintemal sein eines Pferd todt ist und sein anderes am Rande des Grabes geht. Das Musikchor, welches sich eine Weile in Mißtönen der schreiendsten Natur erging, bestand aus vier Personen. Muck, der Schiffszimmermann, spielte die erste Violine, und Boysen, der Handelsmann, die zweite; die Clarinette blies Nickels, der Tausendkünstler, der sonst auch Daguerreotypen verfertigt, und den Baß strich der lahme Jens, der an Krücken geht. Aber nicht lange, so kam eine andere Musik auf's Tapet. Es schnarrte, dröhnte, gellte und pfiff, daß ich glaubte, es sei wol ein halb Dutzend neuer Musikanten angekommen. Dem war aber nicht so; es hatte sich ein Junge vom Land herübergemacht mit einem wunderseltsamen Instrumente, das er zur Lust und Freude der Tanzenden, die noch einmal so rasch durch den Saal flogen, im reichlichen Schweiße seines Angesichtes bearbeitete. Der Körper dieses Instrumentes war eine Handharmonika, die er aber mit den Knieen spielte, und während seine Rechte über das Tastwerk hin- und herfingerte, schlug er mit der Linken ein an's Bein geschnalltes Becken und stieß mit dem Mund in eine am Instrument befestigte Trompete, außer bei den zarteren Stellen, zu welchen er pfiff, so daß dieser Mensch mit jedem Glied, daß er rühren konnte, Musik machte, und zwar so lange, bis er von allem Arbeiten, Pfeifen, Blasen und Beckenschlagen schweißgebadet und halb lahm war. Dann bekam er eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen, und auch die Uebrigen setzten sich zu diesem Lieblingsmahl der Sylter nieder, bis der neugekräftigte Orpheus zu neuen Freuden rief.

Doch sieh, was ist das? Dort über das Grün kommt Grete, und vor sich breit im Sonnenschein trägt sie den »Smak,« der, nach diesem nächtlichen Streifzug in die Mythe des Frauenreichs, als gewöhnliches Hemd in das Alltagsleben zurückkehren muß!

Am Abend desselben Tage.

(An Bord der »Ida«.)

Wie bunt, bei Sonnenuntergang, war das Ufer von Nösse, woselbst wir uns einschifften! Es sah wie ein Lagerbild aus oder wie eine Auswandererscene. Da brannten kleine Feuer, über denen Wasserkessel hingen, und ihr bläulicher Rauch wirbelte in die Scheidegluth des Westens empor. Da standen Karren und Pferde und friesische Jungen dazwischen mit langen, falben Haaren – solche, wie mich am Tage der Ankunft empfangen hatten. Da waren Gesellschaften von Herren und Damen, welche an die Küste nach Schleswig oder nach Hamburg zurückfahren wollten – da waren Frauen und Mädchen und Knaben, welche mit Kieseln nach den Seevögeln warfen, daß sie erschreckt auffuhren und sich im Glanze des Abends verloren. Da war halb Westerland versammelt, um Abschied zu nehmen, und da war ein Händeschütteln und ein Bitten, Sylt nicht zu vergessen, und ein Versprechen, im anderen Jahr wiederzukommen – und endlich, als die »Ida«, von Föhr herandampfend, Anker warf, ein Stürzen nach den Böten und ein Schieben der Männer, die nackt bis über's Knie im schwarzen Schlick standen. Und dann kam noch einmal Wulff Manne Dekker an Bord, um jedem Einzelnen die Hand zu drücken, und wie er nun die Schiffsleiter hinabstieg in das letzte Boot, welches zurückging, und dann langsam in der Dämmerung des Abends und dem Nebel des Meeres verschwand, war er das Letzte, was wir von Sylt sahen.


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