Julius Rodenberg
Stillleben auf Sylt
Julius Rodenberg

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IV.

Wie wir vorhin mit dem Wagen über Land gefahren, das ehemals Wasser, so fuhren wir nun mit dem Schiffe über Wasser, das ehemals Land gewesen. Die Ueberfahrt dauert nicht viel mehr als anderthalb Stunden, und mir verging sie wie im Traum. So weich war die Luft, so still das Wasser und so lautlos fast der Gang des Schiffs. Nichts rührte sich, kaum plätscherten die Wogen, wenn der Kiel sie theilte. Die Zeit selber schien stille zu stehen; als ob es von Ewigkeit so gewesen und kein Unterschied zwischen heute und gestern. Schatten lagerten sich umher – war es der Reflex der Wolken im Wasser, waren es die Erinnerungen? Langsam wandelte das Schiff hindurch, und ein fahles Licht färbte den Himmel und Schaaren von Möven flogen vorüber, eine der andern folgend. Unmerklich im Osten verlor sich die eine Küste, unmerklich im Westen stieg die andere herauf – ein langer, schmaler, dunkler Streifen, der allmälig in die Höhe wuchs, sich wellenförmig in die Breite dehnte, sich reckte nach Rechts und nach Links, die Gestalt von Land annahm, so klein und niedlich, daß man es, von Deck aus gesehen, in die Westentasche hätte stecken mögen; mit Dünenhügeln und Haidehöhen, in zierlichstem Miniaturformat, mit einem Leuchtthurm, so klein wie der Thurm auf einem Schachbrett, mit Dorfschaften nicht viel größer als Ameisenhaufen, mit einer kleinen Windmühle und drei kleinen Häusern auf einem kleinen, grünen Vorsprung, mit einem Landungsplatz und vielen kleinen tanzenden Böten davor, und vielen kleinen Menschen und Wagen und Pferden darauf, wie die hübschesten Liliputaner. Mein Gott, wenn das Alles wieder versänke, bei der ersten Berührung, und ich wieder erwachen müßte in der Schellingstraße zu Berlin ... Aber mit einer stolzen Schwenkung rauschte die »Germania« heran und warf Anker und hielt mein Traumbild fest – und wenn ja noch ein Zweifel blieb, so lag dort hinten, weiter auf der Rhede, der »Bismarck« – und wie ich den zu Gesicht bekam, da war ich vollkommen beruhigt; denn, sagte ich mir, was der einmal zwischen den Händen hat, das läßt er nicht mehr los.

Und so war's. Da war mein braves Sylt und die drei kleinen Häuser mit der Windmühle waren Munkmarsch, Alles unverändert, wie ich es zuletzt gesehn. Und der Korbwagen war derselbe und ein dänischer Mann, ein Eingewanderter und Eingeheiratheter, des Deutschen noch immer nicht mächtig, schwang die Peitsche und seine beiden Braunen, derb und schwerfällig, wie ihr Kutscher, trabten dahin, und der Sandweg war derselbe und die Haide war dieselbe .... Darin ändert sich so bald Nichts. Wir Menschen stürzen um und bauen auf, schaffen und zerstören; aber die Natur nimmt im Ganzen wenig Notiz davon. Mir ist zuweilen, als ob sie mit einer gewissen Neugier zusähe, wie weit das kommen und wo das enden werde. Sie war vorher und sie wird nachher sein. Ihr kann man Nichts anhaben; und das hat, mitten in diesem Wechsel irdischer Dinge, manchmal etwas recht Tröstliches.

Nach einer Weile verlassen wir den Sandweg, und die Norddörfer Haide (so genannt nach den Norddörfern Kampen, Braderup und Wenningstedt) liegt vor und um uns, uferlos möchte ich sagen, mit so gut wie gar keinem Weg, und nur gen Westen von der Dünenkette begrenzt. Das ist die Haide, wie ich sie lange gekannt; die Hügel, die Thäler, die ich oftmals durchschweift, und ich meine, sie müßten sich bewegen, wie ich bewegt bin vom Wiedersehen. Aber was sind sechszehn Jahre für sie, welche die Friesen und Angeln und Sachsen abreisen sahen unter Hengist und Horsa, vor eintausend dreihundert Jahren, sie, damals schon uralt und grau bemost, die stummen Zeugen, und jetzt die Gräber und Schatzkammern der vorhistorischen Zeiten?

Einzelne Häuser werden unter den Dünen sichtbar; es sind Häuser von Westerland, welches weit zerstreut über der Haide liegt, nicht wie ein einziges, großes Dorf, welches es ist, sondern in lauter kleinen Gruppen, welche »Hedige« (Nord-, Süd-, Ost- und Westhedig) und »Enden« (Süder-, Wester- und Osterende) heißen und unter sich gar keinen Zusammenhang zu haben scheinen. Einem der letzten Häuser unter den Dünen steuern wir, in südwestlicher Richtung, zu.

Wie der Wagen herankommt – eine seltene Erscheinung in dieser Gegend und in dieser Zeit des vorgerückten Herbstes, wo Gäste nicht mehr erwartet werden – tritt eine hohe Frauengestalt vor die Thür. Das weiße Tuch um den Kopf gebunden und die Hand vor den Augen, um besser ausschauen zu können, steht sie da. Der Wagen hält und ich erkenne sie sogleich. Es ist Brigitte Marlo. Sie steht ganz, wie sie damals stand, als ich Abschied nahm und sie mir lange nachschaute. Doch sie erkennt mich nicht mehr. »Hab' ich mich denn so verändert, liebe Brigitte?« frag' ich, indem ich ihre treue, gute, von Arbeit gehärtete Hand in die meine nehme. Nun plötzlich fliegt ein Strahl des Erinnerns und der Freude, recht wie Sonnenschein, über ihr wettergeröthetes Gesicht und ihre blauen Augen schimmern feucht. Sie nennt meinen Namen, immer noch ein wenig zweifelnd, indem sie einen Blick auf die Dame im Wagen wirft, meine Begleiterin. »Ja, liebe Jungfer Brigitte«, sag' ich, »das ist nun einmal so. Aber sie ist nicht eifersüchtig.«

Lachend und glücklich mit dem Willkommsgruß tritt die Fünfundsechszigjährige, rüstig in unverminderter Kraft, an den Wagen heran. Das kleine Haus öffnet sich mir auf's Neue. Nichts darin hat sich verändert, die kleine grüne Thür, die beiden Zimmer, die Fenster, die sich nur halb öffnen lassen, – wie mich das Alles vertraut anblickt! Und dort der Tisch, an dem ich geschrieben, und dort der Stuhl, auf welchem Dirck Meinerts Hahn saß, wenn er Grog mit mir trank, oder Wulff Manne Dekker, wenn er große Pläne mit mir schmiedete, und dort das Brett, auf welchem meine Thonpfeife mit der Siegellackspitze stand und mein Knaster in einer Porzellanschale lag .... Und draußen der Gartenfleck, und die Kuh, und die Schafe an den Pflock gebunden, und die Katze, die aus der Bodenluke schaut, und die Hühner, die gackernd umherspazieren .... Die ganze Welt ist eine andere geworden; aber Brigitte und ihr Haus sind dieselben geblieben. Einsam und zufrieden, wie ich sie vor sechszehn Jahren verlassen, finde ich sie heute wieder. Mein Freund Kruse hat mir nicht zu viel über sie geschrieben.

Es ist später Nachmittag geworden, und wie ich draußen vor dem Häuschen auf- und abgehe, Alles wieder erkennend und wieder begrüßend, sehe ich auch einen jungen Menschen, dessen bisher Niemand Acht gehabt. Er sitzt auf einem Bänkchen, nicht weit von der Thür, und hat ein Buch auf den Knien liegen, und sein Auge, noch voll von der Schwärmerei der ersten Jugend, blickt auf von dem Buch und in die Dämmerung hinein, aus welcher holdselige Wesen ihm zu nahen scheinen, reizende Mädchenfiguren, mit goldenem, weichem Haar und himmlisch blauen Augen, so rosig das Antlitz, so lieblich der Mund, so schön, so gut ... Jetzt begegnet sein Blick dem meinigen und ich bemerke, daß er vor mir zurückschreckt. Er erkennt mich nicht, auch er nicht! Und doch bin ich selbst der junge Mann, wie ich oft so dagesessen – lang, lang ist's her ....


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